Rede:
ID0804602100

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Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 15
    1. Herr: 2
    2. Dr.: 2
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Inhalt: Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 3469 A Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Dr. Ehmke SPD 3485 C Hoppe FDP 3497 D Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU 3512 A Reuschenbach SPD 3521 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . . . 3525 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D Haase (Kassel) CDU/CSU . . . . . . 3539 D Löffler SPD 3543 D Gärtner FDP 3547 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3551 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469 46. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker * 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Lange * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Neuhaus 5. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe * 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Wehner 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. von Wrangel 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zywietz * 6. 10.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Friderichs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Dr. Strauß, es ist richtig, daß Sie das dem Sinne nach gesagt haben. Es hat doch gar keinen Zweck, das zu bestreiten. Den Ball möchte ich aber dennoch gern aufnehmen. Herr Dr. Strauß, schauen Sie sich bitte einmal die Entwicklung der Haushaltsdefizite in den letzten Jahren und in diesem Jahre an. Ich meine nicht nur den Bundeshaushalt, sondern Sie müssen konsequenterweise den gesamtstaatlichen Haushalt betrachten. Der Konjunkturminister würde sagen, daß die Rückführung des hohen Kreditbedarfs, gemessen an den Zielvorgaben der Konjunkturpolitik, eher zu schnell als zu langsam gelaufen ist. Wenn Sie sich ansehen, was die Gemeinden im ersten Halbjahr an Mehrausgaben und Mehreinnahmen hatten und wie relativ gering ihre neue Kreditaufnahme bei einem überquellenden Kapitalmarkt war, dann muß man sich doch die Frage stellen, ob dies konjunkturpolitisch richtig dimensioniert war.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber Herr Friderichs, dieses Pauschalurteil ist einfach falsch! — Zuruf von der SPD: Herr Kohl versteht doch nichts davon!)

    — Herr Dr. Kohl, ich habe in einer Grundsatzdebatte hier gesagt, daß wir uns einmal losgelöst von aktuellen Fragen über die Dimensionierung der zukünftigen Kreditaufnahme des Staates unterhalten müßten, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Beitrags des Staates zum Sozialprodukt und nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Fiskalpolitik. Ich weiß, Herr Dr. Kohl, daß Sie im vergangenen Jahr draußen großen Beifall fanden, als Sie gegen die damaligen Kreditfinanzierungen des Staates gewettert haben. Nur, volkswirtschaftlich war sie richtig. Daran führt wohl kein Weg vorbei. Oder sollen wir etwa in diesem Jahr den Haushalt kürzen?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege Friderichs, soll ich Ihnen die deutschen Großstädte aufzählen, die mit ihren Finanzen am Ende sind?)

    — Herr Dr. Kohl, soll ich Ihnen die deutschen Großstädte aufzählen, die zur Zeit hohe Guthaben bei Sparkassen und Banken unterhalten?

    (Dr. Kehl [CDU/CSU] : Das ist doch die Ausnahme! — Zuruf von der SPD: Der Kohl hat doch keine Ahnung! — Rawe [CDU/CSU]: Zählen Sie sie doch auf! — Wolfram [ReckBundesminister Dr. Friderichs linghausen] [SPD] : Herr Kohl hat doch keine Ahnung! — Gegenrufe von der CDU/ CSU)




    — Meine Damen und Herren, es lohnt doch wirklich kein polemischer Streit darüber.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, das ist doch kein polemischer Streit! Das ist eine Feststellung!)

    — Eine Feststellung ist es, da haben Sie recht. Herr Dr. Kohl, es ist doch wohl unbestritten, daß im letzten Jahr das, was wir Konsolidierung nennen, schneller gelaufen ist, als es in dem Haushalt ursprünglich vorgesehen war. Sie kennen die Ausgabenreste Ihres früheren Landes, Sie kennen die Ausgabenreste des Bundes, und Sie kennen die der Gemeinden. Dies wollte ich damit sagen.

    (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Das hat doch nichts mit Guthaben zu tun!)

    Ich wollte vor allen Dingen sagen, daß, wer heute Klotzen verlangt, doch zugeben muß, daß er dann nicht gleichzeitig vom Finanzchaos sprechen kann. Denn dann ist das Klotzen nicht zu finanzieren. Das wollte ich deutlichmachen. Ich bin gegen diese Doppelzüngigkeit.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Im übrigen besteht ja auch die Frage, ob die Länderfinanzminister eigentlich zum Klotzen bereit sind.

    (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Seit wann haben Haushaltsreste etwas mit Bankguthaben zu tun?)

    Ich will gern noch einen Punkt aus unserer früheren Zusammenarbeit, Herr Dr. Kohl, hier einfließen lassen. Es ist nämlich heute morgen mit Recht gesagt worden: Bitte nicht Klotzen in den Bereichen, in denen es sich um Dauerausgaben oder hohe Folgekosten handelt. Das unterschreibt die Bundesregierung voll. Aber lassen Sie mich einmal eine Frage stellen: Ist es eigentlich richtig, daß wir landauf, landab eine Vielzahl durchgeplanter und genehmigter Umweltanlagen in den Schubladen liegen haben — ich meine konkret Kläranlagen; ich war früher als Staatssekretär in Ihrem Lande, Herr Dr. Kohl, dafür zuständig —, deren Bau nur deswegen im Moment nicht durchgeführt wird, weil der Bau angeblich nicht finanzierbar ist, obwohl wegen des Gebührenprinzips hier keine Folgekosten auf die Kommunen zukommen, obwohl Baukapazitäten freiliegen und obwohl das Geld am Kapitalmarkt so billig ist wie noch nie zuvor? Diese Frage werde ich doch wohl stellen dürfen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie werden mir doch zugeben, daß es sich dabei um eine Investition handelt, die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist. Wenn wir nämlich unsere Wasserverhältnisse nicht in Ordnung bringen, werden wir auf Dauer nicht das Wachstum in diesem Lande haben können, das wir brauchen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Das habe ich in der Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder kritisiert:
    Nicht utopische Ausgabenprogramme machen, ohne daß die Notwendigkeit der Investition gegeben ist, nein, meine Damen und Herren. Aber dort, wo die Investition nötig ist, wo sie fertig geplant ist, wo die mechanische Anlage — an der Mosel in einigen Fällen — steht und nur die biologische Stufe fehlt, muß man die Frage stellen: Warum bauen wir sie denn jetzt nicht dazu, wo doch exakt die mittelständische Bauindustrie davon berührt wird?

    (Zuruf von der SPD)

    — Das ist kein Vorwurf gegen Rheinland-Pfalz; das will ich gleich sagen. Ich sage bewußt: Es gilt landauf, landab, von Flensburg bis Passau, daß derartige Anlagen gebaut werden könnten, wenn wir den Mut hätten, sie jetzt sauber durchzufinanzieren und wirklich zu bauen. Das muß gesagt sein.
    Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Ich neige fast zu der Auffassung, daß wir bei den öffentlichen Haushalten — jedenfalls zum Teil — von dem sogenannten System der Antizyklik abgehen sollten, weil meine Erfahrung zeigt, daß Antizyklik gesagt und Prozyklik gefahren wird,

    (Beifall bei der FDP)

    um dies in aller Klarheit zu sagen. Im Boom haben sich insbesondere die Kommunen prozyklisch verhalten, ich hätte fast gesagt, wie Unternehmen, und in der Rezession auch. Das heißt, zum Ausgleich der Schwankungen wurde in weiten Bereichen der öffentlichen Hand kein Beitrag geleistet. Wenn das so ist, und wenn es nicht zu ändern ist — und ich fürchte, es ist nicht zu ändern —,

    (Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!)

    dann muß man sich überlegen, ob man von der Antizyklik nicht auch verbal abgeht und sagt: eine weitgehende Verstetigung der öffentlichen Ausgaben.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!)

    Man fährt sie durch. Man reduziert allerdings damit die Konjunktursteuerung um ein Instrument, über dessen Bedeutung man wahrscheinlich trefflich streiten kann.

    (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wie rechtfertigen Sie denn bei dieser These den Haushalt 1978?)

    — Der Haushalt 1978 des Bundes, Herr Abgeordneter, steigt insbesondere aufgrund des Programms für Zukunftsinvestitionen im Investitionsbereich gegenüber der Finanzplanung um mehr als 5 Milliarden DM, bei Projekten, die machbar sind. Dies halte ich in der Lage, in der wir uns befinden, auch für richtig.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Nun lassen Sie mich noch ein Wort zu den blokkierten Vorhaben bzw. zu dem sagen, was unter dem Stichwort Energie angesprochen worden ist. Ein Teil der energiewirtschaftlichen Investitionen ist blockiert durch Gerichtsentscheid. Hier kann die Politik nur eines sagen: Dem haben wir uns zu beugen und gegebenenfalls Gesetze zu ändern. Aber dem Spruch der Richter, ob er uns paßt oder nicht paßt, haben wir uns zu beugen.



    Bundesminister Dr. Friderichs
    Nun sind heute morgen Anspielungen auf energiepolitische Auseinandersetzungen in den politischen Parteien gemacht worden. Meine Damen und Herren, warum sollen wir das hier nicht offen ansprechen? Hier handelt es sich, wie in vielen anderen Bereichen auch, um einen Zielkonflikt, nämlich darum, auf der einen Seite ausreichende Energiemengen zur Verfügung zu stellen und auf der anderen Seite dem Umweltschutz oder der Sicherheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Entemotionalisieren wir das Thema doch! Es ist doch ganz unbestritten — Sie kennen meine Haltung in der Frage der Kernenergie; sie hat sich auch nicht geändert —, daß ich es hier — dies habe ich bei meiner Abwägung zugrunde gelegt — mit einem andersartigen qualitativen Risiko als bei konventionellen Anlagen zu tun habe. Dann dürfen Parteien doch wohl miteinander darüber streiten, kämpfen, ringen, was denn wohl die richtige Position sei. Das ist nach meiner Meinung in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das bestreitet doch niemand!)

    Kritik wäre angebracht, wenn Zweifel an der Haltung der Bundesregierung als Führungsinstrument aufkommen könnten.
    Meine Damen und Herren, wir haben ein erstes Energieprogramm vorgelegt, dem auch Sie nicht widersprochen haben. Wir haben ein zweites Energieprogramm, eine Fortschreibung — wiederum mit dem Bestandteil „Kernenergie" — vorgelegt, dem auch Sie nicht widersprochen haben. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir die Eckwerte und Richtlinien für die zweite Fortschreibung vorgelegt — ebenfalls mit dem Bestandteil „Kernenergie" —, dem in diesem Hause auch nicht so widersprochen worden ist, daß die Bundesregierung ihre Meinung hätte ändern sollen oder müssen.

    (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wird es denn durchgeführt? — Dr. Kohl [CDU/ CSU] : Wenn sechs von Ihnen mit uns stimmen, haben Sie die Mehrheit!)

    Es handelt sich also um einen Zielkonflikt, in dem die Regierung zwischen den Risiken und den Umweltbelastungen . auf der einen Seite und den energiepolitischen Notwendigkeiten auf der anderen Seite abgewogen hat und in dem sie absolut eindeutig und klar Position bezogen hat. Im Kabinett
    — Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir, dies zu sagen — hat es keine einzige Gegenstimme gegeben. Im Kabinett gab es also übereinstimmende Auffassungen in dieser Frage. Die Fortschreibung wird auf dieser Basis erfolgen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wann?)

    — Die Frage nach dem Wann nehme ich gerne auf. Ich selbst habe dem Bundeskanzler vorgeschlagen, die Fortschreibung nicht vorzunehmen, bevor das Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission vorliegt. Dies soll im Laufe des Monats Oktober der Fall sein. Es ist doch geradezu aberwitzig, ein Energieprogramm einschließlich eines nuklearenergietechnischen Teils
    fortzuschreiben, bevor sich die Reaktorsicherheitskommission zur Entsorgungsfrage überhaupt nur geäußert hat. So leichtfertig sollten wir nicht mit der Offentlichkeit umgehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie kennen meine Haltung. Daran ändert sich auch gar nichts. Ich bleibe dabei: Erst erfolgt die Abwägung; dann wird aber fortgeschrieben.
    Meine Damen und Herren, dies sollte noch hinzugefügt werden: Die Bundesregierung steht hier unter ihrer eigenen Verantwortung. Jeder Bundesminister hat einen eigenen Eid geleistet, der auch in diesem Falle gilt. Die Bundesregierung wird dafür zu sorgen oder darum zu ringen haben, hier im Deutschen Bundestag die erforderlichen Mehrheiten zu bekommen. Sie hat sie in der Vergangenheit auch ohne die Opposition, Herr Dr. Kohl, gehabt. Sie wird sie auch in Zukunft haben. Machen Sie sich nicht zuviel Hoffnungen auf falsche Tatbestände.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es kann sonst eine bittere Enttäuschung geben. Es ist schon einmal passiert, daß sich hier jemand mit Mehrheiten verschätzt hat.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich würde an Ihrer Stelle solche Prognosen nicht abgeben! Sie ,sehen das ja dann von draußen!)

    — Ich würde den Wähler befragen, Herr Dr. Kohl. Wir haben den Wähler befragt. Diese Bundesregie. rung hat den Bundestagswahlkampf unter anderem mit ihren energiepolitischen Vorstellungen geführt, und sie hat dafür vorn deutschen Volk eine Mehrheit bekommen. Das werden Sie ja wohl nicht auch noch bestreiten.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Mit dem Belügen von Rentnern hat sie den Bundestagswahlkampf geführt! — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Da schweigt des Sängers Höflichkeit!)

    Heute morgen ist nun ein Thema angeschnitten worden, das eigentlich auf Parteitagen zu behandeln ist. Im politischen Teil der Ausführungen kam die Frage nach Parteiprogrammen, Meinungsunterschieden in den Parteien etc. auf. Wenn Parteien darangehen, Programme fortzuschreiben oder neue Programme zu entwerfen, ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit, daß um Programminhalte gerungen wird. Oder wollen Sie das — in einer pluralistischen Gesellschaft, in der sie nicht diktiert, sondern erarbeitet werden — bestreiten?

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD — Zuruf von der SPD: Bei der CDU ist es anders!)

    — Ja, das würde ich ja gern einmal zitieren. Ich habe z. B. einen Redetext vor mir liegen, aus dem ich nur einen Satz herausgreife. Nun werden Sie sagen, das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Nun, das ist immer so; wenn Sie nur einen Satz zitieren, ist er immer aus dem Zusammenhang gerissen. Aber er entspricht dem Zusammenhang. Dort lese ich wörtlich:



    Bundesminister Dr. Friderichs
    Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten die Forderung nach Systemveränderung ableiten und etwa die Ablösung der sozialen Marktwirtschaft fordern, ist unübersehbar.
    Dieser Satz stammt aus der Rede des Abgeordneten Professor Biedenkopf über den Programmentwurf der CDU,

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    wörtlich zitiert! Ich habe es da; Sie können das gern in Empfang nehmen.
    Damit ist doch deutlich, daß auch in Ihrer Partei der Kampf und das Ringen um das richtige Programm eingesetzt haben, oder etwa nicht? Ich verstehe es jedenfalls so, daß Herr Professor Biedenkopf diesen Entwurf in wichtigen wirtschaftspolitischen Passagen brutal kritisiert hat; denn eine brutalere Kritik als die, die ich soeben zitiert habe, ist ja wohl kaum denkbar.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wir sind jetzt tief getroffen!)

    Meine Damen und Herren,. und ist es denn nicht so, daß bei der Programmdiskussion — unabhängig von den verbalen Formulierungen — auch noch andere Fragen eine Rolle spielen? Nehmen wir die Fortentwicklung des Wettbewerbs. Hat denn das Arbeitsmarkt-Papier des Generalsekretärs der CDU Heinrich Geißler die begeisterte Zustimmung der Unionsfraktion gefunden, etwa des Abgeordneten Dr. Strauß?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ist das wiederum meiner Aufmerksamkeit entgangen? — Man könnte das auf andere Forderungen, die dabei auch eine Rolle gespielt haben, ausweiten.
    Herr Dr. Strauß, bezüglich der Freien Demokratischen Partei empfehle ich Ihnen folgendes. Beobachten Sie mit Ihrem kritischen Verstand das Ringen in den nächsten Wochen, und vergessen Sie bitte nicht, genau zu beobachten, welche Entscheidungen auf dem FDP-Bundesparteitag fallen. Ich bin sehr sicher, daß Sie, nachdem die Entscheidungen gefallen sind, das, was Sie heute morgen vorgetragen haben, hier nicht mehr vortragen werden, jedenfalls nicht auf der Basis der Beschlüsse, bestenfalls auf der Basis von Nicht-Beschlüssen.

    (Beifall bei der FDP — Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Deswegen möchte ich mich mit dem Grundsatzpapier der Union hier nicht auseinandersetzen. Ringen Sie, entscheiden Sie; dann ist der Zeitpunkt da, darüber zu sprechen, ob Sie richtig oder falsch entschieden haben. Vorher überlasse ich es den eigenen Parteifreunden, darüber zu diskutieren.

    (Strauß [CDU/CSU]: Wenn wir Ihnen helfen konnten, ist es gern geschehen!)

    Aber, meine Damen und Herren, es gibt da noch eine nicht uninteressante Passage, über die wir im Blick auf die grundsätzlichen Fragen der Ordnungspolitik einen Moment sprechen sollten. Im Verlaufe des heutigen Vormittags ist gesagt worden — ich zitiere einen Halbsatz wiederum wörtlich —, „weil man ohne Zweifel den gehobenen Konsum stärker besteuern kann". Herr Dr. Strauß, ich bin erschrokken, als Sie das gesagt haben. Ich war ebenso erschrocken — obwohl man sich in die innenpolitischen Verhältnisse anderer nicht einmischen soll —, als sich unser Nachbarland Osterreich bei der Mehrwertsteuer zu einer Art Luxussteuer durchgerungen hat, weil ich von einer derartigen staatlichen Definition dessen, was Luxus ist und was nicht Luxus ist, überhaupt nichts halte. Dann sollte man aber auch einen Halbsatz, wie Sie ihn gesagt haben, nämlich man könne den gehobenen Konsum ohne Zweifel stärker besteuern, lieber nicht sagen;

    (Zustimmung bei der FDP)

    er berührt zutiefst die Ordnungsfragen dieser Wirtschaft.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, Sie drehen doch den Sinngehalt dieses Satzes herum!)

    — Nein, ich habe ihn nicht herumgedreht; ich kann es Ihnen gleich geben.
    Meine Damen und Herren, wer das sagt, muß im nächsten Absatz sagen: Es gibt also gesellschaftlich nützliche und gesellschaftlich nicht nützliche Güter. Lassen Sie mich daher ein Wort zu dem, wie ich meine, höchst überflüssigen Streit um den scheinbaren Gegensatz zwischen quantitativem und qualitativem Wachstum sagen, weil ich der Meinung bin, daß es diesen Gegensatz so, wie er zur Zeit in einem Teil der politischen Diskussion hochstilisiert wird, ganz einfach so nicht gibt.

    (Leicht [CDU/CSU] : Das müssen Sie nach links sagen!)

    — Das richtet sich an diejenigen, die das sagen, egal wo sie politisch stehen, Herr Abgeordneter. — Es ist mies, so zu tun, als ob wir in der Vergangenheit nicht anderes als ein weniger wertiges quantitatives Wachstum gehabt hätten und nun erst einmal das richtig schöne qualitative käme.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Worum geht es denn in Wahrheit? Aber lassen Sie uns auch den Punkt aus der Emotion herausnehmen. Es ist doch unbestritten — ich glaube das wenigstens —, daß ein Mehr an Einkommen, ein Mehr an realem Sozialprodukt nicht eo ipso zu einem Mehr an Wohlbefinden führt. Es sind Fälle denkbar, in denen die Steigerung der Produktion, des Einkommens oder des Wachstums negative Folgen auslöst, die die positiven Wirkungen des Wachstums aufheben. Die sind denkbar. Kurzum: Nach meiner Meinung stehen wir in jedem Einzelfall vor der Abwägungsfrage, ob das Mehr an Wachstum — das heißt, daß wir dann auch mehr zur Verteilung zur Verfügung haben — das Wohlbefinden erhöht oder nicht. Die Umweltschutzgesetzgebung ist ein ganz typisches Beispiel dafür, nämlich die Rahmenbedingungen so zu setzen, daß im gesetzten Rahmen ein Mehr an Wachstum keine negativen oder keine unvertretbaren negativen Auswirkungen hat. Das



    Bundesminister Dr. Friderichs
    heißt, erst einmal braucht man Wachstum, um Beschäftigung zu haben, um etwas zum Verteilen zu haben. Aber man muß die Rahmenbedingungen dieses Wachstums so setzen, daß am Ende die Voraussetzungen für ein besseres Wohlbefinden gegeben sind.
    Wovon ich nichts halte, ist, dieses Wohlbefinden staatlich zu definieren oder gar zu verordnen; denn Glück kann der Staat nicht verordnen. Er kann den Raum schaffen, in dem der einzelne sein Glück empfindet, aber er kann es ihm nicht staatlicherseits frei Haus liefern.

    (Beifall bei der FDP und der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Führen wir doch diese Diskussion, die ich für wichtig halte, gerade wenn die Gemeinsamkeit da sein sollte — und ich hoffe, sie ist da im Ja zu einer freiheitlichen Wettbewerbswirtschaft —, aus dem Reich der Polemik zurück zur wahrhaftigen Frage nicht des Entweder-Oder, des quantitativen und qualitativen Wachstums, sondern der Struktur des Wachstums, die aber am Ende zu bestimmen ist von den Menschen selbst, d. h. von der Summe der Verbraucher.
    Lassen Sie mich zu den Eckpfeilern unserer Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung noch folgende drei Bemerkungen machen. Erstens. Ich halte es für wichtig, daß es uns gelingt, den Grundkonsens zwischen den wichtigen Gruppen aufrechtzuerhalten. Dieser Grundkonsens zwischen den wichtigen Gruppen in unserem Volke ist das eigentliche Sozialkapital, das diese Nation hat.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die niedrige Streikquote, die grundsätzliche Bejahung unserer Wirtschaftsordnung sind Beweis dafür. Bitte, zerreden wir das nicht. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Grundkonsens heißt nicht Verzicht auf Diskussion und heißt auch nicht Verzicht auf Auseinandersetzung, wenn es nötig ist. Ich hoffe, daß eines Tages aller wieder an den Tisch der Konzertierten Aktion zurückkehren werden, um dort diese Auseinandersetzung und das Ringen um den richtigen Weg gemeinsam zu suchen.
    Lassen Sie uns — zweitens — festhalten an dieser marktwirtschaftlichen Ordnung, der Sicherung der Rahmenbedingungen, die das Vertrauen von Investoren und Konsumenten stärken. Herr Strauß, ich stimme Ihnen zu: Soziale Marktwirtschaft ist eine Errungenschaft von säkularer Bedeutung. Übrigens würde ich gern etwas hinzufügen, was in den öffentlichen Diskussionen oft nicht ausgesprochen wird. Für mich ist sie nicht nur ein Instrument effizienter Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik, sondern sie ist mehr. Sie ermöglicht nämlich einen täglichen Abstimmungsprozeß von Millionen von Verbrauchern, von Millionen von Investoren über das, was sie selbst für nützlich und wünschenswert halten.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    Deswegen ist sie nach meiner Meinung das Korrelat
    im ökonomischen Bereich zur freiheitlichen Demokratie im staatlichen Bereich; sie hat mehr als nur instrumentalen Charakter.

    (Beifall bei der FDP und der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich möchte als Liberaler gerne ein Wort hinzufügen. Während wir uns im staatlichen Bereich der Mehrheitsentscheidung von 51 : 49 unterwerfen müssen, damit regiert werden kann, damit die Dinge im staatlichen Kompetenzbereich in Ordnung gebracht und gehalten werden können, hat der Markt den Vorzug, daß hier nicht 51 über 49 bestimmen, sondern daß jede relevante Minderheit mit ihren Wünschen im Markt zur Geltung kommen kann; das gilt jedenfalls dann, wenn das Parlament die Kraft behält, Wettbewerbsordnung, Wettbewerbsrecht und ökonomische Rahmenbedingungen richtig und rechtzeitig zu setzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und Strukturräte zu verhindern! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — Sehr richtig, Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar. Denn in meiner Unterlage liegt die Forderung des Finanzministers von Niedersachsen, meines Freundes Kiep, auf Einführung eines Strukturrates, und ich stimme Ihnen in diesem Falle ausnahmsweise zu.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte schön, Herr Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Bundesminister, Sie haben soeben die Behauptung des Herrn Abgeordneten Ehmke vom heutigen Morgen wiederholt, daß unser Kollege Kiep, der Finanzminister von Niedersachsen, im Sinne des soeben gemachten Zwischenrufes derartige Strukturbeiräte gefordert hat.

    (Zurufe von der SPD: Frage!)

    Darf ich Sie fragen, wann und wo Herr Kiep diese Forderung erhoben hat?