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ID0804602900

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Inhalt: Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 3469 A Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Dr. Ehmke SPD 3485 C Hoppe FDP 3497 D Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU 3512 A Reuschenbach SPD 3521 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . . . 3525 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D Haase (Kassel) CDU/CSU . . . . . . 3539 D Löffler SPD 3543 D Gärtner FDP 3547 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3551 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469 46. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker * 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Lange * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Neuhaus 5. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe * 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Wehner 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. von Wrangel 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zywietz * 6. 10.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Friderichs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich hätte Ihnen zugestimmt, wenn Sie gefragt hätten: Geben Sie zu, daß die beiden Vorstellungen nicht identisch sind? Aber „überhaupt nichts zu tun" können Sie nicht einfach sagen, wenn es wörtlich hier in dem Zeitungsartikel heißt, daß gefordert wird, neben den Konjunkturrat einen Strukturrat zu setzen. So heißt es hier wörtlich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Lassen Sie mich aber gleich hinzufügen: Meine Vorstellung ist es nicht. Ich bin nämlich der Meinung, daß die Konzertierte Aktion geeignet ist, auch die strukturellen Fragen mitzubehandeln und es daher eines zusätzlichen Rates dieser Art oder einer Umgestaltung nicht bedarf. Das ist jedenfalls meine Erfahrung der letzten Jahre.
    Lassen Sie mich zum Schluß drittens folgendes sagen. Wir sollten uns weiterhin darum bemühen, die Aufrechterhaltung der Stabilität und damit des Geldwertes der Einkommen als eine zentrale Aufgabe zu sehen; denn die erreichte wirtschaftliche Stabilität ist für die Zukunft eine der wichtigsten Voraussetzungen, die in diesem Lande in den letzten Jahren geschaffen worden sind. Dazu gehört, daß alle im bisherigen Verhältnis miteinander umgehen, und dazu gehört, daß eine unabhängige Notenbank in der Lage ist, darüber zu wachen, was mit dem Geldwert geschieht. Auch nach dem heutigen Vormittag und dem jetzigen Verlauf habe ich die Bitte: Lassen Sie uns das Maß an Übereinstimmenden Vorstellungen, das nämlich größer ist, als wir es oft hier in den Debatten der deutschen Öffentlichkeit darzutun versuchen, nennen, und lassen Sie uns um die Punkte ringen, in denen wir wirklich unterschiedlicher Meinung sind! Diese gibt es. Aber warum sollen wir diese nicht offen auf den Tisch legen, statt den demokratischen politischen Gegner zu diffamieren?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages für das Miteinander in den letzten fünf Jahren bedanken. Dies ist voraussichtlich die letzte Rede, die ich in diesem Bundestag gehalten habe. Ich möchte mich insbesondere für die sehr angenehme Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages, dem Vorsitzenden dieses Ausschusses und für die Unterstützung bedanken, die wir, diese



    Bundesminister Dr. Friderichs
    Bundesregierung fanden, der ich gerne angehört habe und in der ich eine Vielzahl unterstützender und begleitender Hilfen in den schwierigen ökonomischen Phasen gefunden habe. Ich danke Ihnen dafür, daß die Wirtschaftspolitik dieser Regierung in fast allen Fällen die Zustimmung dieses Hauses einschließlich die der Opposition gefunden hat.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Nordlohne [CDU/CSU] : Eine sehr schwache Abschiedsvorstellung!)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich im Namen des ganzen Hauses spreche, wenn ich Herrn Dr. Friderichs für seine künftigen Aufgaben alles Gute wünsche.

(Beifall)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich darf zunächst auch für uns dem scheidenden Bundeswirtschaftsminister das Zeichen menschlichen Respekts erneut beweisen. Ich habe dies oft genug, auch in strittigen Debatten, von dieser Stelle aus getan. Aber diese Schlußworte, Herr Kollege Friderichs, entheben uns natürlich nicht der Notwendigkeit der politischen Kontroverse, wo sie angebracht ist. Deshalb möchte ich sagen, daß Sie sich— um den Kollegen Apel in seiner Sprache zu zitieren — auch „schlußendlich" treu geblieben sind. Sie haben mit einer recht intelligenten, raffinierten Rede einen Überbau um die Probleme herum geliefert und sind dem Kern völlig ausgewichen, den mein Kollege Strauß heute morgen hier dargelegt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben sich mit einer ganz guten und vor allen Dingen geschickten Rede erneut in den Dienst einer schlechten Politik gestellt, wie das hier heute morgen schon gesagt worden ist. Aber immerhin: aus der Regierung, für die Sie hier noch so nette Worte fanden, scheiden Sie aus. Wir halten uns allein an die Tatsachen, und zu den Tatsachen gehört es, Herr Kollege Friderichs, daß sich die ökonomische und soziale Lage der Bundesrepublik Deutschland seit Ihrem Amtsantritt bis zu Ihrem Ausscheiden nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Dies muß leider festgestellt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da hier allein Tatsachen zählen, hätte es uns natürlich interessiert, nicht nur den Morgenzeitungen Berichte über die Gründe Ihres Ausscheidens zu entnehmen, sondern dazu auch etwas vom Minister selbst zu hören. Dazu ist nichts gesagt worden. Also nehmen wir an, daß die Zeitungsberichte stimmen! Demoskopie ist keine Politik; politische Führung ist durch nichts zu ersetzen; wenn du keine Mehrheit hast, mußt du Konsequenzen ziehen. Dies sind Sätze die wir heute morgen gelesen haben; dies sind wohl die Gründe. Dazu muß noch etwas gesagt werden, Herr Kollege Friderichs; denn Sie haben natürlich viele Stationen der Vergangenheit hier geschildert; das war Ihr gutes Recht in diesem Augenblick.
    Ich glaube, den zentralen Punkt haben Sie übergangen. Ich trete niemandem zu nahe, wenn ich ihn bezeichne.

    (Löffler [SPD] : Kommen Sie doch mal zum Thema, Herr Barzel! Das ist doch keine Märchenstunde!)

    — Regt Sie das schon auf? Wir haben Herrn Friderichs eine Stunde zugehört. Sie werden noch was ganz anderes hören müssen.

    (Löffler [SPD] : Sie sollten endlich vom Haushalt sprechen!)

    — Ich weiß, daß Sie es nicht gern hören, wenn ich vom Kern dieses politischen Problems spreche.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Kollege Friderichs erklärte damals — ich zitiere das aus dem Protokoll des Bundestags vom 17. September 1973, wie wir das hier eingeführt haben —: Eine Tendenzwende — so sagte er in seinem beachtlichen Vortrag — sei bisher nicht erkennbar. Die Perspektiven blieben unsicher. Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt sei von 1962 bis 1970 um 2 Prozentpunkte, von 1970 bis 1974 aber um 6 Prozentpunkte gestiegen. Weitere Unsicherheiten belasteten die Unternehmen ebenso wie eine nachhaltige Verunsicherung durch öffentliche Auseinandersetzungen über Forderungen nach Systemveränderung. Die Klärung der mittelfristigen Horizonte sei nötig. Dazu gehöre eine entsprechende Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung sowie eine Durchforstung der Sozialausgaben. Dann kam die Forderung nach Steuersenkungen usw.
    Wir haben das damals in die Debatte eingeführt, weil Sie sich damit, Herr Kollege Friderichs, schon wenige Wochen später nicht in Ihrer Regierung und nicht mal in Ihrer Partei haben durchsetzen können. Ich habe Sie dann hier, laut dem Protokoll, gefragt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
    Warum, Herr Kollege Friderichs, tragen Sie dieses Paket mit? Sie haben doch nun erfahren, daß das Notwendige in dieser Kombination nicht durchzusetzen ist. Ich will Sie da nicht drängen. Denn Sie sind ja erst am Beginn eines sehr schwierigen Weges.
    Ich überspringe weitere Debatten. Ich spreche davon, daß wir Ihnen hier gesagt haben: Sie tragen die volle Verantwortung für die Wirtschaftspolitik der Regierung ebenso wie dafür, daß es diese Koalition gibt. Ihre Verantwortung sei groß, es liege an Ihnen, Ihre Kraft entweder — so in der letzten Debatte — gegen Herrn Eppler und dessen Genossen zu verschwenden oder ... Sie antworteten auf diese Intervention mit dem markigen Wort: „Diese Koalition steht bis 1980." Nun — ganz sicherlich ohne Sie. Dies ist ein politisches Signal!

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Barzel
    Herr Kollege, erlauben Sie mir, daß ich mich, da wir ja übermorgen Gelegenheit haben werden, dazu zu kommen, mit wenigen Worten gleich noch dem Herrn Kollegen Lambsdorff zuwende. Ein findiger Kopf in diesem Haus hat die aktuellen Programme der verschiedenen Parteien aus dem Sommer zur aktuellen Wirtschaftspolitik zusammengestellt. Die drei Zeitpunkte sind der 6. Juni, der 13. Juni und der 13. Juli. Er hat geprüft, wo es Übereinstimmung gibt, und hat das dann — wie man heute sagt —„aufgelistet". Erstens Belastungsstopp: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Zweitens Förderung privater Investitionen: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Drittens Beseitigung steuerlicher Hemmnisse: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Viertens Ausweitung öffentlicher Investitionen zu Lasten des öffentlichen Konsums: CDU ja, SPD nein, FDP ja. So geht das weiter. Von den 37 Punkten, Herr Kollege Graf Lambsdorff, besteht in vier Übereinstimmung zwischen allen drei Programmen. 33 bleiben kontrovers. Wie sind sie kontrovers? Übereinstimmung besteht zwischen SPD und FDP in acht Punkten, zwischen CDU/CSU und FDP in 18 Punkten, zwischen CDU/CSU und SPD in sieben Punkten.

    (Zurufe von der SPD)

    Die Punkte haben natürlich, Graf Lambsdorff, unterschiedliches Gewicht. Nur, dies zeigt Ihnen, daß das, wofür Sie antreten, Quadratur des Zirkels ist. Ich befürchte, Sie werden sich bei aller intelligenten Standfestigkeit den Kopf einrennen, und das wäre immerhin schade um diesen Kopf, von dem wir doch hier in diesem Hause noch eine ganze Menge erwarten.
    Trotzdem: Glück auf, Graf Lambsdorff!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte mich nun dem gesamten Haushalt zuwenden und mich auch an den Herrn Bundeskanzler wenden. Es ist ja nun dahin gekommen, daß selbst die Freunde seiner Regierung und dieser Koalition in großer Aufmachung dieser Regierung Ratlosigkeit und Hilflosigkeit bescheinigen. Nichts kommt ja auch mehr nennenswert voran: Die gestern veröffentlichten Zahlen zeigen, daß die Arbeitslosigkeit andauert und das Wirtschaftswachstum ausbleibt. Die Regierung schneidet nun ins soziale Netz. Wir haben es bei den Renten erlebt, und wir werden es beim Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes erleben. Die soziale Sicherheit ist gefährdet. Der industrielle Produktionsapparat veraltet. Die Vereinigung Europas bleibt aus. Das ist nicht allein ein Vorwurf an diese Regierung; aber man muß es hier festhalten. Der Fortschritt in der Entspannung in Deutschland ist nicht zu sehen. Präsident Carter reist um Deutschland herum. Breschnew ziert sich zu kommen. In dieses Bild gehört ferner, daß die Ford-Werke ihre neue Produktion nicht in Berlin, nicht in Deutschland errichten, sondern in Großbritannien.

    (Dr. Narjes [CDU/CSU]: Leider!)

    Das hat alles etwas mit dem zu tun, was hier passiert.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Am vergangenen Donnerstagabend ist es entgegen dem, was der Kollege Ehmke heute morgen versucht hat, hier darzutun, bei der zweiten Lesung des leider unerläßlichen Gesetzes zur Einschränkung des Besuchs und des Kontakts solcher inhaftierter Terroristen, die zugleich das Leben bedrohen — so muß man es nämlich bezeichnen —, der Koalition nicht gelungen, dieses bedauerlicherweise nötige Gesetz aus eigener Kraft zu beschließen. Wir haben Herr Kollege Ehmke, nicht nur Herrn Wehners Reaktion erlebt, wir haben zum erstenmal das Abstimmen mit wechselnden Mehrheiten erlebt. Sie und wir haben gemeinsam einen Antrag der FDP abgelehnt, von dem Ihre Fraktion erklärte — ich zitiere — „Damit könnten wir dieses Gesetz vergessen; es werde in seiner Wirkung total aufgehoben." Dies ist die Wahrheit. Wir haben dann am Donnerstag und am Freitag im Interesse des Lebens von Hanns Martin Schleyer alles unterlassen, was sich hier parlamentarisch angeboten hätte, um diese Chance parteiisch zu nutzen. Es bleibt festzuhalten: Nur mit Hilfe der Opposition erlebte diese Fassung überhaupt eine Schlußabstimmung in zweiter und dritter Lesung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es handelte sich um den ersten Punkt einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die leider notwendig sein werden und die der Kanzler und die Regierung für dringend halten. Das muß man in den Zusammenhang nehmen. So lesen wir heute, wenn man es politisch betrachtet, und dabei sogar den Blick auf den Bundesrat einmal außer acht läßt, den Haushalt einer Minderheitenregierung. Die Koalition kann weder in den dringenden und wichtigen Fragen der Terroristenbekämpfung — wir werden dies ja sehen — noch in denen der Energiepolitik — das sehen wir ja schon — noch in denen der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen eine Mehrheit aus eigener Kraft aufbringen.

    (Katzer [CDU/CSU]: So ist es! Genau so!)

    Das ist die Wirklichkeit. Sie sind noch fähig, Mehrheiten einmal zusammenzuzwingen. Sie sind noch fähig, sich irgendwie im Amt zu halten. Sie sind auch noch zu faulen Kompromissen fähig. Aber wegen dieser Tatsachen steigt mit der Investitionslücke die Arbeitsplatzlücke, von der der Sachverständigenrat spricht. Das sind Dinge, die in den Schriften und Worten der Koalitionsfraktion auf dieser Seite überhaupt nicht mehr vorkommen. Die Wahrheit ist — Herr Kollege Strauß hat dies heute gesagt —: Die Lage in Bonn steht dem wirtschaftlichen Aufschwung und der sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Bundesregierung kann diesem Deutschen Bundestag mit Aussicht auf Mehrheit zu keiner wichtigen Frage eine überzeugende Antwort vorlegen. Ich fürchte, daß der Herr Bundeskanzler es nach den Abstimmungen, die wir erlebt haben, selbst dann nicht schaffen würde, wenn er eine solche wichtige Frage mit der Vertrauensfrage verbinden würde. In diesem Hause weiß jedermann, daß ich dem Kanzler nicht gerne, eigentlich überhaupt nicht, persönlich am Zeuge flicke. Es wäre mir ganz unmöglich, die Kritik, die ich hier erhebe,
    ihm gegenüber öffentlich zu äußern, wenn ich



    Dr. Barzel
    nicht von Anfang an gewarnt hätte: Wer die geistige Führung abgibt, wird die politische verlieren. Der Bundeskanzler ist dabei.
    Verehrte Damen und Herren, was bei der Vermögensteuer gerade noch erträglich war, das ist nun in Sachen Terror, Energie, Wirtschaftspolitik schlechthin gemeinwohlwidrig. Statt einer Regierung, die führt, statt einer Mehrheit, die gestaltet und trägt, haben wir eine Koalition, die parteiisch auseinanderfällt, die sich belauert, die Nebel erzeugt, wo Perspektive, Entschlossenheit und Wegweisung gefordert sind. Der Bundeskanzler löste seinen Vorgänger ab, weil, so seine Worte vom Mai 1974, eine „Angstlücke" entstanden war, weil „Unsicherheit Gift" sei. So seine Worte. Nun produziert sich das aus dieser Koalition und aus dieser Regierung — noch gesteigert. Nicht der Kanzler produziert das selbst, aber er verantwortet das. Dann frage noch einer, warum die Arbeitsplatzlücke nicht durch steigende Investitionen geschlossen wird,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    warum Vertrauen fehlt, wo das Zutrauen in die Prinzipien und die Staatskunst der Regierenden Tag für Tag dahinschwindet.
    Verehrte Damen und Herren, woher Soll das auch kommen, woher soll diese unerläßliche geistigpolitische Führung kommen, wenn der erforderliche Konsens — davon sprach der Wirtschaftsminister vorhin mit dem Blick auf uns alle — in der Koalition und vor allem in die SPD nicht zu verzeichnen ist? Dieser fehlende Konsens innerhalb der Koalition und in der Hauptregierungspartei läßt doch, wie wir sehen, selbst die Kanzlerkompetenz in sich zusammenbrechen.

    (Hört! Hört! bei der CDU)

    Diese Koalition ist immer mehr eine unfähige, ja, Verzeihung, eine widernatürliche Verbindung. Keiner darf da mehr sagen und fordern, was er eigentlich auf dem Herzen hat! Die Sozialisten wollen eine andere Republik. Die Sozialdemokraten wollen diese Republik, aber in der Republik eine andere Ordnung. Die Liberalen wollen diese Ordnung und diese Republik, nur ein bißchen flotter und ein bißchen anders, und die Liberalsozialisten wollen eigentlich alles zugleich, vor allem an der Macht bleiben, besser: mit ein bißchen Vorbehalt dabei sein. Aus diesen verkehrten Fronten macht. kein Genie ein politisches Konzept. Da ist es vor einem Jahr noch einmal gelungen, eine Administationsquantifizierung als Regierungserklärung vorzutragen. Da gab es keine Prioritäten. Diese Koalition lastet, weil sie Lethargie produziert, auf dem Lande. Das ist der erste Grund, der Hauptgrund des Hemmnisses für wirtschaftlichen Aufschwung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie alle — der Kanzler, der Finanzminister, der Wirtschaftsminister — klagen über den Investitionsausfall von 25 Milliarden; sie klagen, als wenn sie nicht regierten, sie klagen, als wenn sie damit nichts zu tun hätten und keine Verantwortung dafür hätten, sie klagen, als ob nicht die Regierungsparteien selber durch Fragezeichen statt Antworten, durch
    Treibenlassen statt Entscheiden und Argumentieren das alles bewirkt hätten. Sie haben doch weiße Flecken gelassen, in die nun Demonstranten und Gerichte und andere einfließen. Wo die politische Führung ausbleibt, kommen eben andere Autoritäten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und was tun Sie nun, statt das zu ändern, was dabei vielleicht schlecht ist? Welche Konsequenz ziehen Sie aus dem Investitionsstau, der behördlich, politisch, wie Sie selber sagen, bewirkt sei? Statt daß Sie sagen, laßt uns das abbauen, sagen Sie, laßt uns das vermehren, und kommen mit Ihrem Leitantrag, auf den ich noch zu sprechen kommen will, zu einer totalen Gängelei und zu einem totalen Bürokratismus. Woher nimmt man den Mut, im Angesicht dieses Investitionsstaues nun noch Investitionslenkung — wenigstens im Anfangsstadium — zu fordern? Dies ist doch ein neuer Hammer gegen das, was hier notwendig ist. Ich habe nie verstanden — in einer anderen Debatte —, wie man im Angesicht der Wirklichkeit der staatlichen Schulpolitik und der Staatsschulen nun auch noch das Bildungswesen im beruflichen Bereich verstaatlichen wollte. Ich verstehe nicht, wie man im Anblick der Hemmungen, die die Wirtschaft schon jetzt durch ein Zuviel an Gängelei und Bürokratismus ertragen muß, nun noch mehr davon fordert. Dies kann ich nicht verstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn das nicht vom Tisch kommt, werden Sie vergeblich auf den Aufschwung warten. Durch solche Dinge bewirken Sie selber den Abschwung.
    Meine Damen und Herren, ich bin jetzt in einer kleinen Schwierigkeit. Ich wollte mich dem Kollegen Wehner zuwenden. Er ist erkrankt. Es ist sein gutes Recht. Das haben wir alle.

    (Zurufe von der SPD)

    Aber ich möchte gern einen Faden aufnehmen, jetzt allerdings nur den Teil davon, der Sie alle betrifft — das werden Sie wir erlauben —,

    (Zurufe von der SPD)

    denn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist ja anwesend.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich habe mich am 23. Juni mit den Worten an Sie gewandt: „Sie sind dabei, die Krise Ihrer Partei und Fraktion auf den Staat zu übertragen; die Leidtragenden sind die Bürger draußen." Sie haben damals geglaubt, das so vom Tisch wischen zu können.

    (Zurufe von der SPD)

    Die Fakten sorgten dafür, daß dies auf dem Tisch bleibt. Inzwischen brauche ich das nicht mehr zu behaupten, denn inzwischen haben Kollegen aus Ihrer Fraktion und Partei dies völlig bestätigt. Das muß in diese Debatte eingeführt werden.
    Der SPD-Bezirk Niederrhein hielt am 17. September einen Parteitag in Oberhausen. Ihm lag nicht irgendein, sondern ein parteieigenes Dokument vor,

    (Dr. Ehmke [SPD] : Beschäftigen Sie sich doch mit Berlin!)




    Dr. Barzel
    in dem es hieß, in der SPD herrsche gegenwärtig — wörtlich — „Orientierungslosigkeit", die Krise der Partei sei seine Erfindung des politischen Gegners.
    Am Tag zuvor erklärte der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Bundeskanzler Helmut Schmidt, auf dem Parteitag in -Hamburg — ich zitiere —:
    Vieles, was gegenwärtig in der SPD an sogenannter Theoriediskussion hin und. her bewegt wird, das kommt in der Tendenz dem anarchistischen Liberalismus nahe.
    Der Kanzler sprach dann von Hemmnissen, die dem Aufschwung entgegenstünden. Dabei bezeichnete er nach Pressemeldungen selbst den Hamburger Parteitag seiner eigenen Landespartei auch als ein solches Hemmnis. Zu den Hemmnissen sagte er wörtlich, zur Zeit habe sich ein Investitionsstau von 25 Milliarden DM aufgebaut, davon allein 8,5 Milliarden DM beim Kernkraftwerksbau und 10 Milliarden DM beim Straßenbau mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen. Damit auch jeder merkte, daß dies nicht Ausrutscher waren, erklärte der Kanzler seine Sorgen dem Zweiten Deutschen Fernsehen und der Presse. Ich zitiere — und das sollte man nun wirklich zur Kenntnis nehmen —:
    Das Sozialprodukt 1977 könnte i bis 2 °/o stärker steigen ohne diese Hemmungen. Die Arbeitslosigkeit würde um 100 000 bis 200 000 abnehmen, wenn es diese Hemmnisse nicht gäbe.
    Verehrte Damen und Herren, da hat der Kanzler doch recht, die SPD mit ihrer Politik verhindert den möglichen Aufschwung, und Sie von der FDP-Fraktion verantworten das mit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Als ich das hier damals Bremsklötze nannte, feixten Sie von dieser Seite. Aber das löst das Problem nicht. Inzwischen erklärt der Kanzler — das gehört doch in diese Debatte — die Distanz zu seiner eigenen Partei. Was bleibt ihm auch anderes übrig, wenn die Partei sich weigert, diesen Mann auch nur mit zu tragen? Das ist doch die Wirklichkeit.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

    — Herr Wolfram, das stimmt. Sagen Sie das Ihrem Kanzler, Ihrem Parteifreund. Vielleicht können Sie das unter Genossen besprechen. Ich muß mich an das halten, was undementiert veröffentlicht wird. Der Kollege Matthöfer legt doch hier den Finger auf die Wunde — ich sehe ihn leider nicht —, er macht dies, wie meistens, konkret und genau. Ich zitiere das nach der „Frankfurter Rundschau" vom 19. 9., die über seine Rede vor dem Bezirksparteitag SPD Hessen-Süd berichtet. Das Zitat lautet:
    Entgegen einem beschwörenden Appell von Bundesforschungsminister Hans Matthöfer, die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nicht in ausweglose Lagen zu bringen, indem sie die Beschlüsse der Partei nicht beachten können, wenn sie ihrer Gesamtverantwortung gegenüber dem deutschen Volk gerecht werden wollen, beschlossen die Delegierten einen Antrag, der einen Genehmigungsstopp für den Bau und Betrieb neuer Kernkraftwerke vorsieht.
    Dann kommt diese Regierung hierhin und beklagt sich über diesen Investitionsstau, beklagt sich darüber, daß wir die Spannung zwischen Parteitagsbeschlüssen vom grünen Tisch und den Gemeinwohlnotwendigkeiten der Bundesrepublik Deutschland hier in die Debatte einführen. Sie übertragen Ihre Krise auf den Staat. Die Zeche zahlen nicht Sie, die Zeche zahlen die Wähler und die Arbeitslosen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Jedermann weiß inzwischen, daß SPD und FDP bei der Bundestagswahl die Wähler hinsichtlich der Renten täuschten. Wir müssen in die Debatte einführen, das es in der Energiepolitik nicht anders war. Sie baten die Wähler um die Fortsetzung Ihres Mandats für Ihre Politik. Zu dieser Politik gehörte Ihre Energiepolitik, niedergelegt in der Bundestagsdrucksache 7/2713. Da ist nachzulesen. warum Sie welche Kraftwerke — Kraftwerke auf Kohle, Kraftwerke auch auf Atom, wieviel und in welchem Ausmaß — brauchten.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : 20 Jahre!)

    — Das haben, verehrter Herr Wolfram, die Wähler im Ohr gehabt, als sie das Mandat verlängerten. Dann sagen Sie nach der Wahl: April! April! Wir müssen jetzt erst neu darüber nachdenken, und solange wir nachdenken, stoppen wir das alles. So haben Sie, verehrte Damen und Herren, in dieser Frage Ihre eigene Krise diesmal auf die Zukunft des deutschen Volkes übertragen. Das muß hier gesagt werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Auf diese Weise verlieren wir Arbeitsplätze und unterbleiben Investitionen, sinken Exportchancen und verlieren wir unseren technischen Fortschritt. Sie reden, verehrte Damen und Herren, von Wachsturn, den Ihre eigenen Taten ersticken. Sie sind auf dem Wege, den ich in der letzten Debatte noch mit Herrn Eppler belegen mußte: der Staat solle Wachsturn und Energie zuteilen. Nur, der Staat, der dies tut — nicht einmal in einer Notlage, sondern absichtlich tut — hört auf, freiheitlicher sozialer Rechtsstaat zu sein. Es gibt eben keinen wirtschaftlichen und keinen sozialen Fortschritt ohne ausreichende und preiswerte Energie.
    Wem, verehrte Damen und Herren, der Mensch wichtiger ist als die Sache, wie wir sagen, der stellt aber gerade im Zusammenhang mit solchen Fragen auch metaökonommische Fragen. Der fragt sich und andere mit höchster Sensibilität, was neue Technik menschlich und sozial bedeutet. Nur, verehrte Damen und Herren von der Koalition: Das prüft man, b e v o r man Entscheidungen trifft. In Ihren Energieprogrammen, in denen der Bundesregierung, die Sie dem Wähler vorlegten und die bis zum Wahltag gültig waren, heißt es ganz klipp und klar, daß Sie Kernenergie wollen, wieviel Sie davon wollen, warum Sie wieviel davon brauchen. Also mußte jeder Wähler 1976 davon ausgehen, daß SPD und FDP die humanen, sozialen und ökologischen Voraussetzungen der neuen Technik vor diesen Programmen gewissenhaft und mit Sorgfalt geprüft hätten. Und nun sagen Sie: Wir wissen nicht genug



    Dr. Barzel
    zu dem zu sagen, was ihr da draußen fragt. In Ihrer Drucksache, die den Wählern vorlag, stand, Sie wollten die „Sicherheitstechnik fortschreiben" — fortschreiben, nicht neu feststellen, nicht erkennen, nicht suchen danach, nicht sie neu begründen, Sie wollten Sie fortschreiben! Denn Sie hatten das ja geprüft.
    Verehrte Damen und Herren, wenn Sie das damals gesagt und gewollt haben, ohne sich zuvor der Sicherheit ziviler Atomnutzung zuverlässig versichert zu haben, dann handelten Sie damals fahrlässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig. Wenn Sie Ihr damaliges sicheres Wissen jetzt in Frage stellen, um Stimmungen nachzugeben, die Sie für wichtig halten, dann handeln Sie heute fahrlässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Welche der beiden Möglichkeiten auch immer zutrifft: Mangelnde Ernsthaftigkeit und Pflichtwidrigkeit lasten auf Ihnen, weil Sie sich opportunistisch verhalten.
    Durch fehlende politische Führung sind wir auf dem Wege zu mehr Abhängigkeit, statt uns freier und unabhängiger zu machen. Wir haben doch das erste Gefecht aus dem Nord-Süd-Konflikt, das mit dem Namen Ö1, hinter uns. Haben wir das vergessen? Was soll eigentlich werden — denken Sie an Berlin! —, wenn es irgend jemandem gelänge, zugleich eine Ost-West-Spannung und eine Nord-Süd-
    Spannung auszulösen?

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Regieren heißt doch vorsorgen! Wer keine Energiepolitik hat,

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Aber wir haben doch eine!)

    ist nicht regierungsfähig. Sie sorgen nicht vor, Sie bauen Sorgen nicht ab, Sie vermehren sie, indem Sie sich mehr um Ihre Partei als um die Zukunft von uns allen besorgen. Das muß hier gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte mich dem Herrn Bundeskanzler zuwenden.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der pflegt nicht mehr da zu sein! — Dr. Sprung [CDU/CSU] : Wo ist er denn?)

    — Er wird das schon zur Kenntnis nehmen. — Als er vor gut drei Jahren sein Amt hier antrat, da habe ich, gestützt auf die Deutsche Bundesbank — nachzulesen in der Debatte vom 20. Mai 1974 —, ihn, leider ohne Erfolg, darauf hingewiesen, daß die Sorge um den Arbeitsplatz ständig steigt und daß der Kostendruck der Inflation zahlreiche Selbständige auf der Strecke bleiben läßt. „Die Beschäftigungsrisiken", so hatte die Deutsche Bundesbank geschrieben, „sind weitgehend" — das sollte Kollege Ehmke vielleicht einmal hören, der heute wieder allein das Ausland bemüht hat — „die direkte oder indirekte Folge von Verzerrungen und strukturellen Problemen, die der Inflationierung zuzuschreiben sind." Sie hat weiter geschrieben, daß die Inflation überwiegend hausgemacht sei.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Sie haben in den folgenden Monaten und Jahren, wie die Protokolle des Deutschen Bundestages ausweisen, unsere Mahnungen mißachtet, unsere Vorschläge übergangen, die Anregungen des Sachverständigenrates bis jetzt beiseite geschoben. Sie glaubten — der Bundeskanzler vor allem — von vornherein alles besser zu wissen. Die Diskussionsbereitschaft und die Bereitschaft, hier, im Parlament, zuzuhören, reichten nicht aus. Man wurde Weltmeister im Erfinden fauler Ausreden. Alles käme von draußen, und draußen sei es noch schlimmer, hieß es.
    Verehrte Damen und Herren, für diese Debatte habe ich, gerade auch wegen der Vergangenheitspassagen des Kollegen Friderichs, noch einmal die Gutachten des Sachverständigenrates durchgesehen. Denn die markieren ja die Kette verpaßter Gelegenheiten der Bundesregierung, den Weg nach unten. Einige Kostproben: „Das Niveau der Unternehmensinvestitionen ist schon vor Beginn der Rezession für ein angemessenes Wirtschaftswachstum unzureichend gewesen."
    Wir müssen nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland eine private Wirtschaft hat, in der die öffentlichen Hände zusammen im Jahr weniger als 50 Milliarden DM investieren, während auch in schlechten Jahren die private Industrie 250 Milliarden DM investiert. Das heißt: Daher kommt es, oder es kommt eben nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte aus dem letzten Gutachten des Sachverständigenrates — nicht dem vom September — vorlesen, Herr Kollege Ehmke:
    Die Beschäftigungsprobleme, die mit der Rezession offenkundig wurden, ,sind nicht allein das Erbe zyklischer Abschwungskräfte im Innern und in der Welt. Sie rühren auch daher, daß im ganzen nicht zueinander passende Ansprüche, Lohnansprüche und Gewinnansprüche, Ansprüche des Staats und des Auslandes, über Jahre hinweg zu Lasten des Geldwerts gegangen waren, die Produktionsstruktur verzerrt und die Investitionsneigung mehr und mehr beeinträchtigt hatten. In ihrem Kern waren die Beschäftigungsprobleme längst angelegt, bevor es zur Rezession kam.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Ende 1976 empfahl der Sachverständigenrat nachdrücklich ein „Programm zur wachtumspolitischen Vorsorge". Er machte dazu ein ganz konkret beziffertes und durchgerechnetes Programm. Dieses Programm setzte da an, wo der „Herzmuskel" ist — wie wir eben sagten —, bei den privaten Investitionen, bei der Förderung der Forschung, bei der Förderung der Gründe neuer Unternehmen, bei der Steuerentlastung. Die Bundesregierung stahl damals die Überschrift und tat das Gegenteil. Sie legte ein Programm für öffentliche Investitionen vor. Am 24. März habe ich Ihnen dazu gesagt, was zu sagen war: dieses



    Dr. Barzel
    Programm sei bar jeder Folgerichtigkeit; es werde nicht helfen. Sie antworteten damals lautstark. Sie ballerten Wortkanonaden nur so in die Luft, so, wie wir das heute bei Herrn Ehmke noch einmal gehört haben, der sagte, alles käme von draußen.
    Verehrte Damen und Herren, das hat mit Rationalität nichts zu tun. Das ist „Machismo" statt Politik, wenn ich das einmal zu Herrn Ehmke sagen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Nun hat sich der Sachverständigenrat am 7. September erneut und diesmal nachdrücklich zu Wort gemeldet. Er hat an sein damaliges Programm, das man hier mißachtet hat, erinnert und geschrieben:
    Inzwischen haben zwei weitere Monate die ungünstige Tendenz der konjunkturellen Entwicklung bestätigt und die Gefahr entstehen lassen, daß neuer Vertrauensmangel, verstärkt noch durch eine aufgeregte öffentliche Diskussion, abermals wirtschaftliche Lethargie bewirkt.
    Wir haben dem nichts hinzuzufügen.
    Der Rat wiederholt dann seine Ursachenanalyse unserer Probleme bezüglich der Kosten und Risiken. Er kritisiert die Regierung, weil sie die Probleme im Kern anders sehe. Verehrte Kollegen auf der Regierungsbank, man darf anders argumentieren. Nur, dann muß man sagen, warum man anders argumentiert, analysiert und die Therapie setzt. Aber wenn man die Begründung für die Wahl der Art der Analyse verweigert, dann wird man eben nicht weiterkommen. Sie werden nicht weiterkommen, solange Sie sich weigern, die Ursachen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Malaise zu erkennen, und solange Sie sich weigern, dementsprechend folgerichtig, also ursachengerecht und zielgemäß, zu handeln. Anderenfalls können Sie mit Milliarden, mit Plänen und Paragraphen nur so um sich werfen; der Erfolg wird ausbleiben.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Nun kommen Sie mal mit Ihrem Programm rüber!)

    — Herr Wolfram, Sie haben schon vor einem Jahr darauf gewartet. Da habe ich es skizziert. Ich komme ein Stück weiter, gar keine Sorge.

    (Zurufe von der SPD)

    Was sich in Westeuropa als eine Krise der Wirtschaft darstellt, ist doch in Wahrheit eine Folge der Krise der Politik. Dies muß einmal gesagt werden. Bevor die Verantwortlichen da von Unregierbarkeit, von exogenen Indikatoren und Faktoren, von unauflöslichen Sachzwängen sprechen, sollten sie erst einmal in den Spiegel — den aus Glas oder Kristall — gucken und sich an die eigene Nase fassen; denn gar zu oft haben Politiker die Anspruchsinflation nicht nur laufen lassen, sondern sie beflügelt. Die Folgen davon kennen wir.

    (Löffler [SPD] : Ihnen fällt doch nichts anderes ein!)

    Wenn ich hier erneut für Folgerichtigkeit plädiere, dann hoffe ich mich mit allen in diesem Hause in diesem Zusammenhang einig, wenn ich sage: Folgerichtigkeit beginnt mit der genauen Kenntnis der Tatsachen. Hier beklagt doch jeder, der sich bemüht, der Arbeitslosigkeit abzuhelfen, daß wir immer noch nicht genau genug wissen, wer wo wann warum arbeitslos ist. Niemand weiß, wie hoch z. B. die Zahl derer ist, die als Arbeitslose gemeldet sind, aber vor der Altersgrenze stehen und auf die Rente warten, einen neuen Arbeitsplatz also gar nicht mehr erstreben, oder derer, die - berechtigterweise — nur ihre Ansprüche an die Sozialversicherung erhalten wollen, aber keine Arbeit mehr suchen. Wir wissen auch nicht — und das hat die Nürnberger Anstalt im Mai selbst gesagt —, inwieweit die Unterbeschäftigung auf eine mangelhafte Ausnutzung der vorhandenen Arbeitsplätze oder auf das Fehlen von Arbeitsplätzen infolge der ungeheuer großen Zahl von Konkursen mittelständischer Betriebe zurückzuführen ist. Zugleich sagt man uns, daß ein Sechstel der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung sei — das ist sehr schlimm —, daß das wirkliche Angebot an offenen Stellen um — da schwanken die Zahlen — 300 000 bis 380 000 Stellen höher sei, als dies bei den Arbeitsämtern registriert ist, daß mehr als zwei Drittel aller Industrie- und Baubetriebe schon jetzt nicht in der Lage seien, qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, und daß nur ein Fünftel aller Arbeitslosen bereit sei, einen Ortswechsel im Interesse der Beschäftigung vorzunehmen. Unser Kollege Schmidt (Kempten) hat in einem nachdenkenswerten Beitrag in der „Zeit" dargetan, eigentlich hätten wir Vollbeschäftigung. Verehrte Damen und Herren, solange wir aber über die Fakten hier nicht genauer Bescheid wissen, werden wir eine folgerichtige Politik zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit wohl kaum betreiben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei einer rationalen Bemühung um diese Fragen muß man außerdem einige Lehren und Fakten einrechnen — beispielsweise aus dem Jahre 1976. Da hatten wir ein ganz ansehnliches Wachstum. Das führte aber nicht automatisch Vollbeschäftigung herbei, und die Unterbeschäftigung dieses Jahres führte nicht automatisch zu einem niedrigen Lohnniveau. Das müssen wir einrechnen. Wir müssen einrechnen, daß wir ein Hochlohnland mit einer, von draußen gesehen, sehr teuren Währung sind.
    Sicher ist nur — und damit wende ich mich dem zu, worauf Herr Wolfram so lange gewartet hat; er ist nun leider nicht mehr da, kommt aber sicher wieder —Zuruf von der CDU/CSU: Er holt Kuchen!)
    — aber zu Fuß in diesem Fall, habe ich gehört —, sicher ist nur, daß allein eine steigende Wirtschaftskraft, und zwar — damit wir hier keinen Popanz aufbauen — eine diesseits der ökologischen Grenze steigende Wirtschaftskraft zu einer Lösung beitragen kann. Keine Verteilung von Mangel, kein Dirigismus, keine Steuer, keine Arbeitsmarktpolitik werden die Probleme allein wieder lösbar machen.
    Aus unserer Sicht ist zunächst die Wiedererlangung der politischen Stabilität unerläßlich. Wenn es in der Bundesrepublik Deutschland nicht bald wieder eine Regierung mit einem Konzept und einer



    Dr. Barzel
    I Mehrheit, die auch für kritische Fragen langt, gibt, werden Sie die wirtschaftlichen Angelegenheiten überhaupt nicht in Ordnung bringen können. Zur politischen Stabilität gehört der Konsens — davon ist nachher zu sprechen —, aber dazu gehört auch Stetigkeit.

    (Zuruf des Abg. Lenders [SPD])

    Politik wird doch — Herr Lenders, das werden Sie mir doch zugeben — geradezu zu einer neurotischen Veranstaltung, wenn, nachdem es dem Bundesfinanzminister nach harten Mühen gelungen ist, eine Steuererhöhung durch dieses Haus und durch den Bundesrat zu bringen, der unmittelbar nach dieser Beschlußfassung vor der Fernsehkamera sagt: Nun muß ich erst einmal wieder die Steuern senken. Da wird doch Politik zu einer neurotischen Veranstaltung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer sich im August auf das Wort der Regierung verlassen und munter bestellt und investiert hat, weil er der Regierung geglaubt und sich gesagt hat, daß es mit den Abschreibungen ja doch nicht besser wird, ist enttäuscht worden. Wer der Regierung nicht geglaubt und gewartet hat, wird nun im September belohnt. Das erinnert doch fatal an das frühere „stop and go", von dem ich hier nicht erneut sprechen möchte. Zum anderen ist die Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft notwendig. Mancher klagt die Soziale Marktwirtschaft an, auch Herr Ehmke heute morgen. Ich zitiere hierzu Herrn Mundorf aus dem „Handelsblatt":
    Es ist ungerecht, zunächst das System zu verstümmeln, um anschließend zu sagen, nun soll es einmal zeigen, was es kann.
    Verehrte Damen und Herren, in keinem Lande des freien Europa hatten wir mehr Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards. Weil es so ist, wie ich geschildert habe, bleiben die Erfolge aus. Deshalb fordern wir Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft.
    An Hand einer Arbeit von Herrn Professor Müller-Armack habe ich das in die Diskussion mit dem Kollegen Friderichs eingeführt: Graf Lambsdorff hat das, was die Manipulation und den Abbau marktwirtschaftlicher Verläufe angeht, inzwischen bestätigt. Ich möchte heute hinzufügen: Wo die Steuerprogression die Leistung bestraft, wo der Staatsanteil knapp unter 50 %liegt, wo durch Vernichtung des Mittelstandes mit der gesunden wirtschaftlichen Struktur die Elastizität der Volkswirtschaft beeinträchtigt wird, kann man von Sozialer Marktwirtschaft im eigentlichen Sinne nicht mehr sprechen.
    Es waren Gesetze nötig, die sich auf den Haushalt — der Inhalt war nicht gut; deshalb haben wir abgelehnt — und auf das, was in der Sozialversicherung zu reparieren war — der Inhalt war ganz miserabel —, bezogen. Wir brauchen jetzt eine Gesetzgebung, die uns vom Übermaß der in Paragraphen erstarrten Wirtschaftspolitik befreit. Dies bezieht sich auch auf solche Paragraphen, die wir selbst beschlossen haben. Wenn uns das Handwerk eine Liste mit 130 Positionen vorlegt, die beinhaltet,
    was der Handwerksmeister alles unentgeltlich für den Staat zu leisten hat, so müssen wir prüfen, ob wir es wirklich bei diesen Kosten und Belastungen belassen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Verehrte Damen und Herren, auch im geltenden Recht ist manches ein Hemmnis für den Aufschwung. Manches schränkt ein, statt zu befreien. Ich will ein Beispiel nennen: Jedermann weiß, daß wir dringend Binnennachfrage brauchen. Jedermann weiß zugleich, daß unsere Bauwirtschaft diesbezüglich stimulierend wirken könnte. Jeder, der ehrlich ist, weiß weiterhin, daß auch Gesetze den Markt müde gemacht haben. Darüber müssen wir sprechen. Deshalb haben wir in unserem Programm — dieser Teil unseres Programms ist nicht strittig — gesagt — ich zitiere —:
    Die vielfältigen Gesetze und Verordnungen in den verschiedensten Bereichen müssen dahin gehend überprüft werden, inwieweit sie dem Ziel der Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung entgegenstehen. Sie dürfen keine beschäftigungspolitischen Bremsklötze sein.
    Weg damit! Haben wir den Mut, an diese Aufgabe heranzugehen!

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Fangen Sie doch einmal damit an!)

    — Es geht das Gerücht, daß Sie regieren, Herr Wolfram.
    Der dritte Punkt ist dieser. Wir brauchen wieder Wirtschaftspolitik im Sinne einer rationalen Veranstaltung. Wirtschaftspolitik muß, wie wir sagten, ursachengerecht und zielentsprechend sein. Hierzu haben wir im Juni vorgetragen: Der Schlüssel für neue Arbeitsplätze liegt bei den Investitionen. Wir haben hierzu ein Programm, das einem Belastungsstopp und konkret die Förderung privater Investitionen beinhaltet, vorgesehen. Dies ist auch alles hier in diesem Hause erörtert worden. Es steht in den Papieren; Sie haben das alles gelesen. Wir äußern uns dann über den Rang öffentlicher Investitionen. Wir machen Vorschläge zur Dämpfung von Kosten, zur Förderung der Forschung und zur Gründung wirtschaftlich selbständiger Existenzen. Ich möchte aus diesem Programm gern noch einen wichtigen Punkt zitieren, an dem wir nicht vorbeigehen können: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn eine Minderheit vielleicht die Arbeitslosenversicherung ausnutzt, so müssen wir uns damit beschäftigen. Wir fordern deshalb ein Zusammenwirken von Arbeitsämtern, Gewerkschaften und Arbeitgebern, um die Vorschriften für die Sperrfristen bei der Zahlung von Arbeitslosengeld und den Begriff der Zumutbarkeit zu überprüfen. Die Meldungen über Arbeitsunwillige sollen Anlaß sein, Umgehungsmöglichkeiten in begründeten Fällen auszuschließen.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist Ihr Arbeitsbeschaffungsprogramm!)

    — Ich merke, Sie haben es gelesen, Herr Wolfram. Vielen Dank; ich brauche es dann nicht noch einmal vorzutragen.
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den S. Oktober 1977 3519
    Dr. Barzel
    Wir haben es nicht mit einer Kreislaufschwäche unserer Volkswirtschaft zu tun. Wenn wir sie hätten, hätten die sieben oder vierzehn Programme der Regierung — je nachdem, wie man hier zählt — doch längst im Sinne einer belebenden Spritze gewirkt. Wir haben es mit einer Ordnungskrise zu tun. „Der marktwirtschaftlichen Ordnung wird als Versagen angelastet, was Ausdruck ihrer Überforderung ist", sagt der Sachverständigenrat. Unser Kollege Lambsdorff, dem wir übermorgen zur Übernahme seines neuen Amtes gratulieren dürfen, sagt: „In den letzten Jahren haben wir zuviel an marktwirtschaftlichen Einrichtungen, an marktwirtschaftlichen Funktionsabläufen demontiert, sie manipuliert, in sie eingegriffen." — Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge, dem entgegenzuwirken, Graf Lambsdorff.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In einer Hinsicht besteht aber hoffentlich Einmütigkeit. Dies sage ich auch in die Adresse des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wobei ich mich auf einen Punkt beziehe, den er wohl mehr mit dem Blick in die Zukunft anführte. Unser sozialer Erfolg und unser wirtschaftliches Wachstum und damit unsere Geltung in der Welt hängen erstens von der politischen Stabilität — dies ist wohl nicht mehr streitig — und zweitens vom breiten Konsens über gesellschaftliche Grundfragen ab. Herr Kollege Friderichs hat dies bejaht. Ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Die politische Stabilität zerbröckelt, genauer gesagt: sie wird zerbröckelt. Hier passieren ja nicht Unglücke oder Ungeschicklichkeiten, sondern es sind Strategen am Werk — und vielleicht sogar eine recht gut anzusehende Strategin. Hier wird doch an Ihrer Mehrheit etwas gebastelt, und der breite Konsens ist dabei, zu zerbrechen. Nicht nur die Konzertierte Aktion lahmt, wie jeder weiß; das „deutsche Modell" ist nun verbeult, es hat keinen Motor mehr. Es hat noch einen Steuermann, aber was machen Sie als Steuermann, wenn der Motor nicht da ist?
    Verehrte Damen und Herren, ich stimme dem wirtschaftspolitischen Leitartikel der „Zeit" vom 30. September 1977 zu und möchte ihn gern in die Debatte einführen. Da heißt es:
    Ausgerechnet in einer Situation, in der alle Kräfte darauf gerichtet sein müßten, gemeinsam einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere zu finden und das Problem der Arbeitslosigkeit — vor allem auch der Jugendarbeitslosigkeit — so rasch wie möglich zu lösen, drohen Arbeitgeber und Gewerkschaften immer stärker auf Kollisionskurs zu geraten. Jetzt, wo eine klare wirtschaftspolitische Führung notwendiger denn je wäre, ist innerhalb der Parteien ein heftiger Konflikt über den künftigen Kurs der Wirtschafts- und Energiepolitik ausgebrochen, durch den die Handlungsfähigkeit der Regierung immer mehr eingeengt wird ...
    Wenn es nicht gelingt, den über viele Jahre hinweg bewahrten Konsensus wiederherzustellen, wird es keinen Sieger, sondern nur Verlierer geben — ein sinnloses Spiel.
    Es genügt also nicht, wenn die Fraktionsvorsitzenden der Koalition hier ab und zu noch einmal mit Krampf — wie bei der Vermögensteuer — eine genau berechnete Majorität in einer Einzelfrage zusammenbringen. Stabilität und Konsens bedingen einander; das eine ist ohne das andere nicht zu haben; zerbricht dies, so ist das ein historisches Verhängnis.
    Zum Konsens gehört — ich möchte dies ohne Wenn und Aber sagen — die soziale Partnerschaft, zum Konsens gehört ebenso die Soziale Marktwirtschaft. Dies beides gehört zusammen; will man Erfolg haben, kann man das eine ohne das andere nicht haben. Dies beides gehört zusammen! Wer etwa prinzipiell soziale Fundamente in Frage stellt oder beeinträchtigt, zerstört den Konsens ebenso wie der, der eine andere Republik oder eine andere Ordnung in dieser Bundesrepublik Deutschland will.
    Deshalb möchte ich gern, verehrte Damen und Herren, daran erinnern: Da ist im Schutt etwas liegengeblieben. Im späten Frühjahr hat der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz-Oskar Vetter, ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefordert, das — so seine Worte —„von allen demokratischen Parteien und den Sozialpartnern gemeinsam entwickelt werden muß". Dieser Vorschlag ist übergangen worden; er ist weder in der Offentlichkeit noch in der politischen Führung aufgenommen worden. Hier war eine Hand ausgestreckt. Denn, verehrte Damen und Herren, Streit und wechselseitige Vorwürfe — etwa des einen, der andere habe die Arbeitsplätze „wegtarifiert", also durch zu hohe Löhne beseitigt; auf den dann der andere antwortet, die Arbeitsplätze seien „wegrationalisiert" worden, weil man sie durch neue Technik entbehrlich gemacht habe — allein führen uns nicht weiter. Bei allem Streit in diesem Hause — der soll sein und der muß sein — muß dieser grundsätzliche Konsens wiederhergestellt werden; wer ihn zerstört, begeht, wie ich glaube, einen geschichtlich schweren Fehler.
    Ich kann nicht umhin, dem Vorsitzenden der SPD, dem Kollegen Willy Brandt, diesen Vorwurf zu machen. Bei der letzten Debatte mußte ich als Zeugen des geänderten wirtschafts- und gesellschaftpolitischen Kurses noch Herrn Eppler mit seiner These bemühen, der Staat müsse bestimmen, für welches Wachstum welche Energie da sei. Inzwischen stellt der Parteivorstand der SPD selbst das Programm für diese Wandlung vor: In seinem wirtschaftspolitischen Antrag an den Parteitag im November empfiehlt er — natürlich getarnt wie auch damals, als der Konsens in einer anderen Frage aufgegeben wurde — de facto die Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft.
    Dieser Antrag, verehrte Damen und Herren, kehrt das Prinzip der Freiheit wie das der Subsidiarität um. Nach diesen Prinzipien haben wir eine private Wirtschaft; danach soll der Staat nur das machen, was die Privaten und der Markt nicht können. Nach diesem Parteiantrag sollen Markt und Private nur noch das dürfen, was ihnen der Staat läßt.



    Dr. Barzel
    Sie, Herr Kollege Ehmke, haben dazu den Minister Kiep bemüht. Wir haben den Minister Kiep inzwischen gesprochen; ich habe auch die „FAZ"-Meldung gesehen. Herr Kiep hat mir erklärt, einen Strukturrat habe er weder jetzt noch früher gefordert; er will keinen Strukturrat, der irgendeine Ähnlichkeit mit den von der SPD geforderten Räten haben könnte. Kiep hat lediglich nicht jetzt, sondern vor etwa einem Jahr erklärt, daß sich das Gutachten der fünf Weisen nicht nur zu konjunkturellen, sondern auch zu strukturellen Fragen äußern solle.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD] und weitere Zurufe)

    — Dies ist die Wahrheit! Ich möchte das Herrn Kollegen Ehmke gegenüber ausführen. Die Marktwirtschaft sei unvollkommen, heißt es in Ihrem Papier; Planung und Lenkung seien erforderlich. Dann folgt der erstaunliche Satz, die Entwicklung zukunftsträchtiger Branchen dürfe nicht den Marktkräften überlassen bleiben. Verehrte Kollegen, natürlich ist jedes System unvollkommen wie jeder Mensch.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Nur, nennen Sie uns irgendein System, das sozialere und erfolgreichere Ergebnisse gehabt hat als Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir nicht vom Markt allein sprechen, sondern von Sozialer Marktwirtschaft! Sie sollten gelernt haben, daß das ein fundamentaler Unterschied ist.
    Wenn Sie sich einmal die Forschungspolitik dieser Bundesregierung z. B. im Computerbereich angucken — das ist ja wohl ein zukunftsträchtiger Bereich — und dann noch den Mut haben, allein vom Staat die erforderlichen Maßnahmen zu erwarten, kann ich nur sagen:

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Verehrter Herr Kollege Ehmke, was Unternehmer können, ist das eine, und was Beamte können, ist das andere, bzw. was Beamte können, ist das eine, und was Unternehmer können, ist das andere. Beamte, auch die besten, können das nicht, was hier gefordert wird. Beamte, alle Behörden, Institute und was weiß ich, was Sie da einschalten wollen, müssen sich nach den Vorschriften richten. Die Vorschriften leben aus der Erfahrung von gestern, und etwas unternehmen heißt, etwas für die Zukunft ausspähen, riskieren und dafür etwas frei tun. Das ist der Unterschied.

    (Beifall bei der CDU/CSU)