Protokoll:
6031

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 31

  • date_rangeDatum: 19. Februar 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:39 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 Inhalt: Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 1365 A Amtliche Mitteilungen 1365 B Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) (Drucksache VI/300) — Erste Beratung — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1969 bis 1973 (Drucksache VI/301) Leicht (CDU/CSU) 1365 C Kirst (FDP) 1372 D Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) . . 1378 D Strauß (CDU/CSU) 1385 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 1394 D Schmidt, Bundesminister . . . . 1403 B Leicht (CDU/CSU) (zur GO) . . . 1407 A Fragestunde (Drucksache VI/381) Fragen des Abg. Damm: Auswirkungen des Organisationserlasses des Bundeskanzlers bei der Militärgerichtsbarkeit Dr. Ehmke, Bundesminister . 1407 B, C, D, 1408 A Damm (CDU/CSU) 1407 C, D, 1408 A Fragen des Abg. Gnädinger: Brücke über den Überlinger See Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 1408 B, C, D Gnädinger (SPD) . . . . . . . 1408 C Fragen des Abg. Dr. Enders: Stürze aus Eisenbahnzügen infolge Verwechslung der Türen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 1408 D, 1409 A Dr. Enders (SPD) . . . . . . . . 1409 A Fragen des Abg. Härzschel: Unfälle an beschrankten Bahnübergängen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . 1409 B, C, D, 1410 A Härzschel (CDU/CSU) . . 1409 D, 1410 A Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Rechtsunsicherheit infolge Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 1 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 1410 B; C Müller (Nordenham) (SPD) . . . . 1410 B Lemmrich (CDU/CSU) . . . . . 1410 C II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 Fragen des Abg. Dr. Apel: Kündigung des Transcontainertarifs von und zu den niederländischen Häfen durch die Bundesbahn Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 1410 C, D, 1411 A, B, C Dr. Apel (SPD) . . . . 1410D, 1411 C Grobecker (SPD) 1411 A Lemmrich (CDU/CSU) 1411 A Fragen der Abg. Biehle und Wende: Störungen beim Empfang des Fernsehens durch Hochbauten Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 1411 D, 1412 A, B, C, D, 1413 A Biehle (CDU/CSU) 1412 A, B Wende (SPD) . . . . 1412 C, D, 1413 A Frage des Abg. Dr. Hauff: Winterbereifung der Dienstfahrzeuge der Bundespost Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 1413 B, C Dr. Hauff (SPD) 1413 B Josten (CDU/CSU) 1413 C Frage des Abg. Dr. Ritz: Steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für Lernmittel im Rahmen der-außergewöhnlichen Belastungen Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 1413 D, 1414 A, B Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . . 1414 A Frage des Abg. Leicht: Versteuerung von Gewinnen aus Grundstücksveräußerungen im öffentlichen Interesse Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 1414B, D, 1415 A Leicht (CDU/CSU) . 1414 D, 1415 A Frage des Abg. Dr. Zimmermann: Erhöhung der für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung maßgebenden kommensgrenze der Lohnsteuerzahler . 1415 A Fragen des Abg. Strohmayr: Auslegung von Vormerklisten bei Sonderprägungen — Terminschwierigkeiten bei der Prägung der Olympiamünzen Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 1415 C, D, 1416 A Strohmayr (SPD) . . .. . . . . 1415, D Fragen des Abg. Dr. Becher (Pullach) : Verluste an deutschem Nationalvermögen in den Oder-Neiße-Gebieten, dem Zwischenkriegs-Polen, dem Sudetenland und Südosteuropa Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . 1416 A, B, D, 1417 A, B Dr. Becher. (Pullach) (CDU/CSU), 1416 C, D, 1417 A Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . 1416 C Dr. Czaja (CDU/CSU) 1417 A Frage des Abg. Niegel: Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden, als Folge des Strukturwandels in den Steinkohlebergbaugebieten Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 1417 B, C Niegel (CDU/CSU) 1417 C Frage des Abg. Geisenhofer: Förderung der Produktion von Elektrostraßenfahrzeugen Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 1417 D Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Angebliche Verlagerung des Vermögens deutscher Unternehmer in das Ausland Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 1418 A Frage des Abg. Dr. Fuchs: Einschränkung der Sonderabschreibungen im Rahmen des Grenzlandförderungsprogramms Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 1418 B, C Dr. Fuchs (CDU/CSU) 1418 B, C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 III Frage des Abg. Krammig: Wegfall der Schonfrist für Steuerpflichtige Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 1418 D, 1419A, B Krammig (CDU/CSU) 1419 A, B Frage des Abg. Hansen: Verwendung der Bezeichnungen „sowjetische Besatzungszone Deutschlands" und „Sowjetsektor von Berlin" in Vordrucken für den Lohnsteuerjahresausgleich 1419 B Frage des Abg. Josten: Geschlossene Unterbringung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 1419 C, D Josten (CDU/CSU) 1419 D Fragen des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Zulassung von Minderjährigen ab 18 Jahren zum Scheckverkehr Jahn, Bundesminister . . . . 1420 A, C, D, 1421 A, B Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) 1420 B, C, 1421 A, B Rasner (CDU/CSU) 1420 D Fragen des Abg. Pensky: Novellierung des Abzahlungsgesetzes Jahn, Bundesminister 1421 C, D Pensky (SPD) . . . . . . . . 1421 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970) (Drucksache VI/300) — Erste Beratung — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1969 bis 1973 (Drucksache VI/301) Fortsetzung der Aussprache Strauß (CDU/CSU), . . . 1422 A 1456 D Dr. Eppler, Bundesminister . . . 1425 B Peters (Poppenbüll) (FDP) 1425 C 1440 C Raffert (SPD) 1427 B Moersch (FDP) . .. . . . . . 1429 D Dr. Martin (CDU/CSU) 1431 A Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 1432 C Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) . . . 1434 B Röhner (CDU/CSU) . . . . . . . 1436 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident (zur GO) . . . . 1439 A Dr. von Bülow (SPD) 1439 A Ertl, Bundesminister 1442 D Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 1445 B Seidel (SPD) 1446 D Baier (CDU/CSU) . . . . . . 1448 B Frau Strobel, Bundesminister . . 1450 D Schmidt (Kempten) (FDP) 1452 C Dr. Schellenberg (SPD) . . . . 1453 D Krampe (CDU/CSU) 1455 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister . . . . . . 1459 A Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 1466 A Wehner (SPD) . . . . . . . 1466 C Nächste Sitzung 1466 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1467 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Geldner betr. Werbung der Bundesbahn 1467 B Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Jung betr. Blendfreiheit von Halogen-Nebelrücklichtern an Kraftfahrzeugen und Anbringung der Stoßstangen in einer normierten Höhe . . . 1467 C Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Müller (Mülheim) betr. Bearbeitung von medizinisch-psychologischen Gutachten durch die Technischen Überwachungsvereine . . . . . . . 1467 D Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Graaff betr. Beschädigung der Fahrbahnen durch Spikes-Reifen . . 1468 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1365 31. Sitzung Bonn, den 19. Februar 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 30. Sitzung, Seite 1361 A, Zeile 9, statt „Solidarität": „Solidität". Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Adorno 20. 2. Amrehn 19. 2. Dr. Barzel 20. 2. Dr. Bayerl 28. 2. Berlin 28. 2. Biechele 28. 2. Burgemeister 31. 3. Dr. Dittrich * 20. 2. Dohmann 31.3. Dröscher * 19. 2. Fellermaier * 20. 2. Frehsee 28. 2. Geldner 6. 3. Freiherr von und zu Guttenberg 20. 2. von Hassel 28. 2. Hauck 28. 2. Dr. Hubrig 19. 2. Jacobi (Köln/Iserlohn) 28. 2. Kater 20. 2. Kriedemann * 19. 2. Freiherr von Kühlmann-Stumm 20. 2. Dr. Löhr * 20. 2. Lücke (Bensberg) 28. 2. Lücker (München) * 20. 2. Meister * 20. 2. Memmel * 20. 2. Müller (Aachen-Land) * 20. 2. Frau Dr. Orth * 19. 2. Dr. Pohle 28. 2. Dr. Prassler 20. 2. Richarts * 19. 2. Riedel (Frankfurt) * 19. 2. Schröder (Sellstedt) 6. 3. Dr. Siemer 20. 2. Dr. Freiherr von Weizsäcker 20. 2., Werner * 20. 2. Windelen 20. 2. Zoglmann 19. 2. Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 19. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Geldner (Drucksache VI/381 Frage A 7) : Auf welche Einzelprojekte zur Konkretisierung ihrer schriftlichen Antwort (Anlage 7 des Stenographischen Berichts über die 25. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 21. Januar 1970, Seite 1105) kann die Bundesregierung hinweisen? Die Deutsche Bundesbahn kann auf zahlreiche Einzelprojekte der Werbung verweisen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Ich weise - als Beispiel - auf folgende Aktionen hin: 1. Die jährliche Touristikkampagne, die im Inland für Urlaub in Deutschland wirbt, 2. die Werbekampagne „Zu Gast im Nachbarland Deutschland", die mit besonderen Prospekten und Anzeigen in Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Österreich durchgeführt wird, und zwar in Zusammenarbeit mit der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 19. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Jung (Drucksache VI/381 Fragen A 10 und 11) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine gesetzliche Regelung die Blendfreiheit bei Halogen-Nebelrücklichtern an Kraftfahrzeugen zu gewährleisten? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine gesetzliche Regelung die Anbringung von Stoßstangen bei Kraftfahrzeugen in einer normierten Höhe herbeizuführen und damit die Kosten für Bagatellschäden zu senken? Nebelschlußleuchten haben eine an der Blendstörgrenze liegende Lichtstärke, die - auch bei Verwendung von Halogenlampen - höchstens 300 Candela betragen darf. Bei Herabsetzung der zulässigen Lichtstärke oder bei Neigung des Lichtbündels wären die Nebelschlußleuchten bei starkem Nebel praktisch wirkungslos. Entscheidend ist, daß die Leuchten nicht schon bei leichtem Dunst oder schwachem Nebel eingeschaltet werden. Technische Einrichtungen, die das zu frühe Einschalten ausschließen, gibt es nicht, so daß nur .an die Vernunft der Verkehrsteilnehmer appelliert werden kann. Das Straßenverkehrsgesetz ermächtigt den Bundesverkehrsminister mit Zustimmung des Bundesrates, Rechtsverordnungen zu erlassen über Maßnahmen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere auch solche über Beschaffenheit und Ausrüstung der Fahrzeuge. In gleicher Höhe normierte Stoßstangen können dazu beitragen, die Kosten für Bagatellschäden zu senken. Der Bundesverkehrsminister kann jedoch verkehrsrechtliche Vorschriften nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr erlassen. Eigenwirtschaftliche Erwägungen der Kraftfahrzeughalter begründen nicht die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministers zum Erlaß entsprechender Bestimmungen. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 19. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Müller (Mülheim) Drucksache VI/381 Fragen A 14 und 15) : 1468 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 Teilt die Bundesregierung die häufig geäußerte Kritik an den Technischen Überwachungsvereinen e. V., wonach diese in der Bearbeitung von medizinisch-psychologischen Gutachten zu Lasten der Betroffenen Koordinierung und Zügigkeit vermissen ließen? Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Arbeitsmethoden und innere Verhältnisse der Vereine durch bundeseinheitliche Richtlinien zu verbessern? Kritik an der Arbeitsweise der medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen der Technischen Überwachungsvereine, wie sie in Ihrer ersten Frage zum Ausdruck gebracht wird, ist der Bundesregierung bisher nicht bekannt geworden. Sie versucht gleichwohl eine einheitliche Arbeitsweise in den einzelnen Untersuchungsstellen zu gewährleisten. Diesem Zweck dienen sowohl die im Einvernehmen mit den obersten Landesbehörden aufgestellten Richtlinien für die amtliche Anerkennung von medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen vom 7. Oktober 1969 (VKBl. 1969 S. 637), als auch die ebenfalls mit den obersten Landesbehörden erarbeiteten Richtlinien für die Prüfung der körperlichen und geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern und -inhabern gleichfalls vom 7. Oktober 1969 (VKBl. 1969 S. 638). Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 19. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Graaff (Drucksache VI/381 Frage A 16) : Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den jüngsten Untersuchungsergebnissen des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin, wonach Winterreifen mit Stahlstiften (Spikesreifen) die Fahrbahnbeläge derart stark angreifen, daß schon nach kurzer Zeit die relative Sicherheit, die eine intakte Straßendecke bietet, deutlich vermindert wird? Die bisherigen Erfahrungen und die jüngsten Untersuchungsergebnisse über die Verwendung von Winterreifen mit Stahlstiften (sogenannten SpikesReifen) geben (in .der Tat zu einer gewissen Besorgnis Anlaß. Diese Reifen tragen unter bestimmten winterlichen Verhältnissen einerseits zur Hebung der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Andererseits verursacht ihre Verwendung einen höheren Verschleiß der Fahrbahndecken und Markierungen. Unter Abwägung .dieser Vor- und Nachteile wurde die Verwendung von Spikes-Reifen in einem bestimmten Zeitraum zugelassen. Im Zusammenhang mit den noch nicht abgeschlossenen Forschungsarbeiten wird geprüft, wie widerstandsfähigere Straßenbeläge entwickelt werden können. Es wird dabei erwartet, daß auch die Reifenindustrie durch die Entwicklung von straßenschonenderen Reifenbauweisen zur Lösung des gemeinsamen Problems beiträgt. Darüber hinaus wird auch erwogen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei der Benutzung von Spikes-Reifen zu beschränken. Die Untersuchungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.
Gesamtes Protokol
Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Leiters der deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union
Betr. 57. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union in Neu-Delhi in der Zeit vom 30. Oktober bis 7. November 1969
— Drucksache VI/235 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend), außerdem mitberatend bei: Entschließungen III, V, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit; Entschließung IV, Verteidigungsausschuß; Entschließung VI, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr. Reparationsschädengesetz
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Januar 1969
— Drucksache VI/248 — zuständig: Finanzausschuß
Vorlage des Bundesministers der Verteidigung
Betr. Weihnachtsgeld für Wehrpflichtige
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 27. Juni 1969 — Drucksache VI/260 —
zuständig: Verteidigungsausschuß (federführend), Innenausschuß, Haushaltsausschuß
Es erhobt sich kein Widerspruch gegen diese Überweisung; sie ist beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 16. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jaeger, Blumenfeld, Pöhler, Jung und Genossen betr. Institutionalisierung der Nordatlantischen Versammlung — Drucksache VI/335 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/400 verteilt.
Die Fragestunde findet heute nachmittag um 14 Uhr statt.
Wir treten in die Aussprache über den Tagungsordnungspunkt 2 ein:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz 1970)

— Drucksache VI/300 —
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1969 bis 1973
— Drucksache VI/301 —
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603100100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Bundesfinanzministers, die wir gestern gehört haben, fällt gegenüber allen anderen Haushaltsreden, die in der Vergangenheit in diesem Hohen Hause gehalten worden sind, in zweifacher Hinsicht aus dem Rahmen. Einmal enthält die Argumentation des Herrn Bundesfinanzministers streckenweise eine vordergründige und billige Polemik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Das mußte ja kommen!)

Zum anderen ist der Wahrheitsgehalt des uns mit großem dialektischem Aufwand vorgelegten Zahlenwerks mehr als dubios,

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

noch schlimmer, es ist teilweise, wie ich an nur wenigen Beispielen nachweisen will, falsch, in sich widersprüchlich und manipuliert.
Bisher ist — Sie mögen das nachlesen — die Vorlage des Haushalts immer in einem streng sachbezogenen, jede vordergründige Polemik vermeidenden Vortrag des Finanzministers geschehen.

(Abg. Wehner: Wie ist das mit der hintergründigen?)

— Ach, Herr Wehner, zu Ihnen komme ich auch noch gleich.
Selbstverständlich ist es das gute Recht der amtierenden Bundesregierung, die Akzente des von ihr zu verantwortenden Haushalts entsprechend ihren politischen Intentionen zu setzen. Es steht dem Bundesfinanzminister aber schlecht an, die Einbringung des Haushalts zu einem Manifest sozialdemokratischer Parteipolemik zu degradieren, wie das nach unserer Auffassung gestern hier geschehen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gestern Ihre Rede zutreffend mit dem Hinweis begonnen, daß es der erste Etat sei, den ein sozialdemokratischer Bundesfinanzminister als Mitglied einer Bundesregierung vorlege. Dieses Hinweises hat es eigentlich gar nicht bedurft. Denn wie unterscheidet sich Ihre Rede von der sachlichen und klaren Form, in der frühere Finanzminister ihren Haushalt vorgelegt haben!

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Leicht
Ich habe nichts gegen eine harte, sachliche Kritik, Herr Bundesfinanzminister. Aber was Sie gestern boten, war eine Aneinanderreihung von Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten, die nur das eine Ziel verfolgten, von der vagen, ja, ich möchte sagen: unsoliden Basis Ihrer Haushaltsplanung abzulenken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was soll es denn heißen, wenn Sie, Herr Möller, Herrn Strauß den Vorwurf machen, er habe die mittelfristige Finanzplanung nicht intern fortgeschrieben? Haben Sie denn in Ihrem Hause nicht die Unterlage über den Stand am 15. Oktober, von dem Tag, an dem Herr Strauß noch verantwortlich war? Ich kann sie Ihnen geben, wenn Sie sie nicht haben. In dieser Unterlage heißt es: „Übersicht über streitig erklärte Beträge zur Finanzplanung 1969-1973". Diese Übersicht ist an ,die Fortschreibung der Finanzplanung angeheftet, die damals ein Volumen von 89,98 Milliarden DM ergab, wobei von diesen 89,98 Milliarden 4,24 Milliarden DM streitig waren.
Unter diesen streitigen Punkten war z. B. die Kriegsopferversorgung. In diesem Konzept steht, daß nur der Unterschiedsbetrag zwischen dem, was bis dahin vorgesehen war, nämlich 12 % plus 8 %, und den Forderungen des damaligen Arbeitsministers in Höhe von 22% — das entspricht einer Größenordnung von rund 455 Millionen DM — streitig sei. Das mußte durch eine politische Entscheidung gelöst werden. Sie sagten selber zu Recht: Das konnte die alte Bundesregierung nicht mehr tun, um die andere Regierung nicht zu 'binden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: Sehr wahr!)

Ähnlich, meine Damen und Herren, ist es mit dem Kindergeld, ist es mit vielen anderen Positionen, z. B. auch mit der Position „EWG-Agrarfinanzierung", bei der ebenfalls die Beträge unter „streitig" stehen, die der politischen Entscheidung bedurften.
Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie allgemein die Kritik über die mittelfristige Finanzplanung des ehemaligen Bundesfinanzministers Strauß dadurch vornahmen, daß Sie ihm vorwarfen, er habe die eine Gruppe der Dinge erst ab 1971 vorgesehen, die andere aber erst ab 1972, erinnere ich Sie daran: Nehmen Sie doch einmal Ihre Erklärung vom 18. Oktober des vergangenen Jahres — wenn ich mich recht erinnere —, in der Sie der Finanzplanung des damaligen Finanzministers Strauß ein Loblied gesungen haben! Lesen Sie es bitte nach.

(Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich erinnere Sie daran, Herr Bundesfinanzminister: Schauen Sie in Ihrem Ministerium nach einer Vorlage, deren Inhalt der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen am 26. Juni vor dem Haushaltsausschuß vorgetragen hat. Der Text ist anschließend verteilt worden. In diesem Vortrag wurde eine Information über die mittelfristige Finanzplanung gegeben, mit Zahlen, soweit sie vorhanden waren, mit Risiken und eventuell kommenden Zahlen. Es war also alles das, was Sie gestern hier als nicht erfolgt darstellten, bereits
am 26. Juni zur Kenntnis dieses Parlaments gebracht.
Ich frage Sie, wo blieben denn in diesen Tagen, da Sie an der Regierung sind, Ihre Informationen für uns?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rawe: Er hat es den anderen Ministerien verboten, damit wir 'die Einzelpläne nicht kriegen; sonst hätten wir uns ja mal Gedanken machen können!)

Ich erinnere an die Daten vom 27. März und 24. Juni, an denen die Übersichten über mögliche Belastungen des Bundeshaushalts zur Kenntnis gebracht worden sind, damit sich die Damen und Herren des Parlaments darauf einrichten konnten, wie schwierig all dies werden konnte.
Ich komme, meine Damen und Herren, zu einer zweiten schiefen Darstellung, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, gestern erneut aufgegriffen haben. Sie haben erneut die Frage der Beantwortung der Kleinen Anfrage einiger Kollegen der Sozialdemokratischen Partei in diesem Hause aufgegriffen. Sie legten dar, daß nicht alles gesagt werden konnte. Ich greife nur eins heraus, um das, was unwahr ist, hier deutlich zu machen: Am 15. Januar wurde die Anfrage beantwortet. Bereits am 6. Januar hatten Sie die Erhöhung der Beamtenbesoldung beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet — von ihr war in der Antwort auf die Kleine Anfrage nicht die Rede —, während Sie unsere Forderungen mit 1,2 oder noch mehr Milliarden in die Aufstellung hineingenommen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alles Verfälschung!)

Man kann darüber streiten, ob Sie das Kindergeld hätten mit hineinnehmen müssen. Da haben 'Sie die Ausrede, daß das erst am 23. Januar — dieser Tag war es, glaube ich — endgültig im Kabinett beschlossen wurde. Aber Sie hatten es doch fest vor. Dann hätten Sie zumindest das auch erwähnen können und nicht nur das, was wir an Erhöhungen im Familienlastenausgleich beantragt haben.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Es wäre noch mehr dazu zu sagen. Es steht ein Kollege bereit, der in dieser Frage die Dinge vertiefen wird, um endlich einmal den Beweis zu führen,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

mit welchen Halbwahrheiten hier gearbeitet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD — Abg. Haase [Kassel] : Das ist der Kassenhalter des Bundes!)

Ich muß Sie an die Mitverantwortung erinnern, die Sie in der Großen Koalition getragen haben. Was Sie gestern hier zum Teil in billiger Polemik getan haben, Herr Bundesfinanzminister, das läßt gar nicht darauf schließen, daß Sie bereit sind, das, was Ihre Minister damals

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

einstimmig mit den unseren beschlossen haben, mit zu tragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)




Leicht
Ich frage Sie, ob das die Verantwortung ist, die Sie sich vorstellen. Dann kann's allerdings übel werden!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was Sie geboten haben, hat, wenn ich es richtig sehe, mit sachlicher Auseinandersetzung und Kritik nur wenig noch zu tun. Sie gaben nur spärlich sachlichen Einblick und versuchten um so mehr, ihren Vorgänger zu diffamieren. Sie qualifizieren, meine ich, damit sich selbst. Bei etwas Ehrlichkeit hätten Sie, Herr Finanzminister, Herrn Strauß sogar ein bißchen dankbar sein können.

(Lachen bei der SPD.)

— Ich werde gleich sagen, warum, wenn wir zum Haushalt und zu dem, was wir als Fundament hinterlassen haben, kommen werden.
Was mußten Sie verteidigen, Herr Bundesfinanzminister, was müssen Sie verbergen, wenn Sie in dieser ungewöhnlichen Weise, wie Sie es getan haben, versuchen, die Flucht nach vorn anzutreten?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Was hier wieder praktiziert wurde, setzt eigentlich den Stil fort, der von Ihnen seit dem Machtwechsel, meine Damen und Herren von der Linkskoalition, eingeführt worden ist:

(Zurufe von der SPD)

unkontrollierte Ausbrüche in Wut und Zorn vor diesem Hause,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD. — Abg. Dr. Apel: Das machen Sie doch im Moment! Sie regen sich doch auf!)

die teilweise

(Zuruf des Bundesministers Dr. Ehmke)

— Herr Ehmke, Sie kommen jetzt — unwürdige Behandlung des Parlaments von einigen Herren auf der Regierungsbank — ich erinnere an einige Fragestunden —,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: Sehr gut!)

die Säuberung im Beamtenapparat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Säuberung! — Pfui! — Widerspruch bei ,der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es doch gewesen!)

Angriffe auf .die Pressefreiheit,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafter Widerspruch bei der SPD. — Abg. Rasner: Der rote Jochen!)

Manipulation bei der Beantwortung von Anfragen bis zum gestrigen Auftritt — meine Damen und Herren, eine Kette, wenn Sie wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß es mir leider versagen, auf alle Einzelheiten einzugehen. Aber es stehen genügend Kollegen bereit, um diese Dinge zu vertiefen, und Sie werden im Laufe der nächsten Tage davon noch hören, meine Damen und Herren.
Die Opposition läßt sich nur mit einem Vorbehalt auf die erste Lesung in dieser Woche ein.

(Lachen bei der SPD.)

— Moment! Es kommt, Sie müssen mal sehen! — Der Bundesfinanzminister hat bis zur offiziellen Einbringung des Haushalts eine völlige Informationssperre verhängt.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut! — Abg. Rasner: Das ist „mehr Demokratie" ! — Abg. Rösing: Haben Sie gehört: „Sehr gut!" von der anderen Seite? — Abg. Rasner: Das heißt man transparent machen! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Ehmke-Stil! — Zuruf von der CDU/CSU: Typisch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Hinzu kommt, daß die Einzelpläne in der letzten Woche nur sehr sporadisch eintrafen und mit dem Haushaltsgesetz verbunden erst seit Anfang dieser Woche in unseren Händen sind,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

so daß sich die Opposition nicht in der Lage sah,

(Abg. Rasner: Das war Absicht! — Abg. Haase [Kassel] : Das ist „mehr Demokratie" !)

sich in genügender Weise auf die Debatte, und zwar so eingehend, wie es bei einer solchen Materie notwendig ist, mit der Durchforstung all dieser Zahlen vorzubereiten.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Unruhe von der SPD und der FDP.)

Die mittelfristige Finanzplanung kam in unsere Hände im Laufe des Montags, der Finanzbericht kam in unsere Hände gestern, und der Subventionsbericht liegt überhaupt noch nicht vor.

(Zustimmung bei ,der CDU/CSU. — Abg. Rösing: Das Kabinett hat Schwierigkeiten! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Das hätte mal früher passieren sollen! — Gegenrufe und Zurufe von der SPD.)

— Bei Ihnen liegt er vor, das wissen wir; dazu werde ich auch gleich etwas sagen.
Für uns ist der Haushalt als das in Zahlen gegossene Programm einer Bundesregierung ein wesentliches Instrument der Kontrolle und einer sachlichen Kritik. Sie haben, Herr Bundesfinanzminister, gestern ein äußerlich blendendes Gebäude aufgebaut und stellten es als Prototyp der Solidität und Stabilität vor. Sieht man aber hinter die Fassade, erkennt man die Brüchigkeit dieses Gebäudes. Sofort ergeben sich Zweifel an der Stichhaltigkeit Ihrer Aussage, die manche Ihrer Thesen in den Bereich des Wunschdenkens verbannen oder sogar schlechthin als falsch erscheinen lassen.
Ich möchte Ihren Haushalt unter drei Gesichtspunkten durchleuchten. Ich untersuche erstens das Fundament, auf dem Sie aufbauen konnten, zweitens die Haushaltsgestaltung 1970, besonders unter konjunkturpolitischem Aspekt, und drittens die
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Leicht
mehrjährige Finanzplanung im Hinblick auf die Verwirklichung Ihres Regierungsprogramms.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Haushalt 1969 vom damaligen Finanzminister Franz Josef Strauß antizyklisch gefahren wurde und daß dieser gesunde und solide Bundesfinanzen übergeben hat, selbst wenn Sise das gestern zu bestreiten versuchten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben dies, Herr Bundesfinanzminister, in mehreren Veröffentlichungen, in Artikeln und Interviews, selbst ausgesagt und auch bestätigt. Ich erinnere nur an das Interview, das Sie am 21. Dezember 1969 ,dem Deutschlandfunk gegeben haben, also gut vor einem Monat, und an den Artikel, den Sie am 23. November in der „Welt" geschrieben haben und der mit dem ersten Satz begann: „Die Bundesfinanzen sind gesund."

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Das Bild läßt sich vervollständigen, wenn man den Stand der Bundesfinanzen im Oktober 1969, also für die ersten zehn Monate, die wir zu verantworten hatten, hinzunimmt. Danach hat die vorige Bundesregierung eine Sperre von rund 1,8 Milliarden DM verwirklicht. Die Ausgabesteigerung betrug Ende Oktober nur 5,8% gegenüber einem nominalen Bruttosozialprodukt von 11,8, einem realen von 8,4, bei einer Produktivitätssteigerung von knapp 7 %.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Es war die Möglichkeit gegeben, mindestens 700
Millionen DM — ich bin sehr vorsichtig — noch 1969 für Aufgaben des Jahres 1970 auszugeben. Trotzdem beträgt der Finanzierungsüberschuß Ende 1969 rund 1,8 Milliarden DM.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Es wurden keine neuen Schulden aufgenommen, im Gegenteil, die Schulden wurden in einer Größenordnung von 1,7 Milliarden vorzeitig getilgt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wenn nicht in den Monaten November und Dezember übermäßige Ausgaben dazugekommen wären, Herr Bundesfinanzminister, wäre entweder der Finanzierungsüberschuß um fast eine Milliarde höher gewesen,

(Sehr wahr! in der Mitte)

oder Sie hätten das in eine Konjunkturausgleichsrücklage tun können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Hinweis auf die Vorbelastungen des Jahres 1970 zieht nicht. Denn ein Kenner weiß — und Sie sind Kenner und wissen es —, daß jeder Bundeshaushalt durch erhebliche Ausgaben auf Grund früherer Beschlüsse und Festlegungen, gleichgültig, von wem, in entscheidendem Umfang vorbelastet ist.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Das müßten vor allem die Kollegen Ihrer Fraktion wissen, weil sie mit uns zusammen, als die Große Koalition entstand, hohe zugesagte, gesetzlich festgelegte Ausgaben zurücknehmen mußten, um die
Finanzen wieder auf einen ,anständigen Nenner zu bringen. Deshalb finde ich ,es unverständlich, wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, das nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Denn schwierig wird die Situation nur dann, wenn gleichzeitig der nötige Finanzierungsspielraum eingeengt ist. Das ist aber in keiner Weise der Fall. Denn sowohl was die Steuerfinanzierung, als auch was die Kreditfinanzierung angeht, .haben Sie, Herr Möller, von Herrn Strauß ein wirklich unvergleichliches und angenehmes Erbe übernommen und nicht eine „Erblast", wie Sie es ausdrücken zu müssen glaubten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben selber gesagt: über 4 Milliarden DM Steuermehreinnahmen. Und dann die Kreditfinanzierung. Die Tilgungen im Jahre 1969 sind höher als die Schuldenaufnahme, so daß sich ein Finanzierungsüberschuß von rund 1,8 Milliarden DM ergeben hat, der noch bedeutend höher gewesen wäre, wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister — ich habe es schon gesagt —, nicht in den Monaten November und Dezember die Ausgaben um 20% gegenüber bis dahin 5,8 % gesteigert hätten.

(Hört! Hört! Sehr wahr! bei der CDU/CSU.),

Dadurch entstand nämlich ein Finanzierungsdefizit in diesen beiden Monaten. Wäre dieses Defizit nicht entstanden, wäre eben das eingetreten, was ich soeben sagte: entweder ein höherer Finanzierungsüberschuß oder die Möglichkeit der Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das war „Konjunkturpolitik"!)

Alles in allem ein solides Fundament, auf dem Sie, Herr Finanzminister, Ihren Haushalt aufbauen konnten.
Ich glaube, ich mußte das nachtragen, und es hätte Ihnen gut angestanden, wenigstens das objektiv zu erwähnen. Ich sagte schon, hätten Sie Ihrem Vorgänger ein Dankeschön gesagt, wäre das besser gewesen als diese billige Polemik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wenn Sie heute glauben, daß die Finanzen nicht mehr in Ordnung ,sind, muß ich Sie fragen, ab wann sie nicht mehr in Ordnung gewesen sind, ob das nicht eine Folge der Leichtfertigkeit ist, die Sie hier praktiziert haben, und das in hundert Tagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich komme nun zur zweiten Frage, zum Haushalt 1970. Die bereits eingangs erwähnte, von Ihnen verfügte Informationssperre — das muß ich vorweg sagen, Herr Bundesfinanzminister — ist leider nicht einheitlich eingehalten worden. Wenn Sie schon das englische System, das ich an sich begrüße, verwirklichen wollen, dann aber bitte ohne Ausnahme! Kollegen in diesem Hause waren längst im Besitz der Pläne, während die Opposition in die Röhre guckte.

(Hört! Hört! und weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Hermsdorf meldet 'sich zu einer Zwischenfrage.)




Leicht
— Sie können zum Schluß fragen, Herr Hermsdorf.

(Zurufe von der SPD.)

Tröpfchenweise konnten wir aus der Presse wenigstens einiges erfahren. Ich meine, das sollte in Zukunft nicht so gehandhabt werden. Die Opposition war dadurch gezwungen, sich an Hand der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober und späterer vereinzelter Veröffentlichungen und Interviews ein Bild davon zu machen, wie der Haushalt aussehen würde. Dabei ergab sich eine verwirrende Menge von sich ständig ändernden und widersprechenden Aussagen, die beileibe nicht auf eine solide Vorbereitung des Haushalts, vielmehr auf eine erhebliche Hektik und Unsicherheit schließen lassen.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0603100200
Erhöhung des Steuersatzes bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, geringere Abschreibungen, Investitionsteuer. Dies ist noch nicht der letzte Stand. Man verwirft wieder sämtliche Steuererhöhungspläne und ordnet, allerdings mit unserer Hilfe, einen Stopp aller ausgabewirksamen Gesetze bis zum Abschluß der parlamentarischen Beratung an. Wenn dann doch bei Ausklammerung sämtlicher versprochener Maßnahmen eine Steigerungsrate von 12,1 % gegenüber dem Soll 1969 — davon gehe ich aus, weil ich die Vorleistungen für 1970 in Ihrem Kalkül nicht so ohne weiteres mit einbeziehe —: wie hätte es dann ausgesehen, wenn die leichtfertig versprochenen Maßnahmen aufrechterhalten worden wären?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


(nach Sperre 8,8 % beträgt die Steigerung des Bruttosozialprodukts laut Jahreswirtschaftsbericht real 4 bis 5 %, nominal 9 bis 10%. Diese Ausgabensteigerung erscheint auch dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen zu hoch, wenn er ausführt — ich darf zitieren —: Solange die inflationären Tendenzen andauern, ist anzustreben, das Wachstum der öffentlichen Ausgaben unterhalb der Steigerungsrate des Sozialprodukts zu halten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint dem Beirat die Ähnliches sagt der neueste Bericht der Deutschen Bundesbank vom Freitag. Sie haben ihn gestern selber angezogen und bemerkt, daß er auf einer anderen als der von Ihnen zitierten Seite etwas anderes sagt. Lesen Sie dies bitte sehr sorgfältig nach und handeln Sie danach, Herr Bundesfinanzminister! Die Ausgabensteigerung hält auch einem Vergleich mit der Steigerungsrate des ganzen Jahres 1969 nicht stand. Diese liegt bei 8 %. Der Vergleich wird noch ungünstiger, wenn man berücksichtigt, daß die Steigerungsrate für das ganze Jahr 1969 insbesondere durch eine Ausgabenhäufung im November und Dezember 1969 von 20 % erreicht worden ist. Ich erinnere an die Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Althammer. Es handelt sich bei einer Reihe der zum Jahresabschluß geleisteten Ausgaben wirtschaftlich nicht um echte Lasten des Jahres 1969 — z. B. bei der Aufstockung in der Kapitalausstattung der Einfuhrund Vorratsstellen und dem Betrag für den Devisenausgleich an die USA —, sondern um Ausgaben schon für das Jahr 1970. Berücksichtigt man das, dann beträgt für das Jahr 1969 die Steigerungsrate 7 %. Eine angemessene Steigerungsrate, Herr Bundesfinanzminister, läge für 1970 beträchtlich unter 8,8 °%. Das heißt: entweder müßten jetzt höhere Sperren kommen, oder es müßte das Gesamtvolumen reduziert werden. Dafür, daß letzteres von Ihnen nicht gemacht worden ist, habe ich noch ein gewisses Verständnis. Wir kennen aus unserer Praxis die Schwierigkeiten in der Zurückweisung von Ausgabeforderungen. Aber die Ausgabesperre, meine ich, hätte etwas höher ausfallen müssen. Ich werde zum Schluß etwas dazu sagen. Die Ausgabensteigerung von 8,8 % ist auch deshalb zu hoch, weil kein Finanzierungsüberschuß erzielt worden ist. Gegenüber 1969 mit einem Finanzierungsüberschuß von rund 1,18 Milliarden DM ergibt sich ein expansiver Finanzierungseffekt. Dazu kommt, daß auch der Entwicklungstrend bei den Ländern und Gemeinden — nicht nur bei den Sozialversicherungsträgern, von denen Sie gesprochen haben — zu berücksichtigen bleibt. Bei den Ländern ist — nach Sperren — mit durchschnittlichen Zuwachsraten von 10 v. H., bei den Gemeinden von 9,5 bis I 0 v. H. zu rechnen. Hier, Herr Bundesfinanzminister, ist allerdings offen, ob die Wirkung der bescheidenen Empfehlungen des Finanzplanungsrates erhalten bleibt. Denn aus Niedersachsen wurde bereits von einer Herabsetzung der Sperre berichtet, und zwar, soviel ich noch in Erinnerung habe, just einen Tag nach der Sitzung des Finanzplanungsrates. Es wäre der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen — man kann nicht auf alle Einzelheiten eingehen —, daß sich ja außerhalb des Haushalts bei Ihnen sehr vieles abspielt, und zwar auch Neues abspielt. Alt sind die Ausgaben für die Öffa: 480 Millionen DM. Neu sind die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung und die Abfindung der Rentner; diese Posten tauchen jetzt plötzlich außerhalb des Haushalts auf. Dazu kommt eine ganze Reihe von anderen Dingen. Grob überschlagen — ohne jedes Detail geprüft zu haben — ergeben sich Ausgaben in Höhe von rund 800 Millionen DM außerhalb des Haushalts. Dazu kommen neue Zinssubventionen. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, auch deren Effekt in Betracht ziehen, bleibt keine SteigeLeicht rungsrate von 12,1 % mehr übrig. Dann landen wir bei Steigerungsraten von 14 und 15 %, nach der Sperre von 11 und 12 %! (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Bundesbahn!)




— „Bundesbahn" wird gerade gerufen. Dort fehlen 900 Millionen DM. Man gibt nicht die Möglichkeit, sie hereinzuholen. Es bleibt nichts übrig, als daß der Bund zur Kasse tritt. Wo ist dafür etwas vorgesehen? Auch das muß man sehen, wenn man eine konjunkturpolitische Betrachtung anstellt.
Die Regierung glaubt, daß die Zuwachsrate der Ausgaben im ersten Halbjahr 1970 auf 4 % — im ersten Halbjahr 1969 waren es immerhin nur 1,5% — gedrückt werden könne. Ich habe meine Zweifel, ob ,die gewählten Mittel dazu auch geeignet sind. Die Verschärfung der vorläufigen Haushaltsführung betrifft ganz entscheidend die sogenannten Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke. Diese bestehen in wesentlichem Umfang aus Renten, Unterstützungen und sonstigen laufenden Geldleistungen an natürliche Personen. Wie man hier die Ausgaben auf 70 v. H. beschränken kann, bleibt mir schleierhaft.
Meine Damen und Herren, auch die Abwicklung von Ausgaberesten aus dem Jahre 1969 darf nicht außer Betracht bleiben. Sie entwertet die Bedeutung der Konjunktursperre 1970 aus ökonomischer Sicht. Wenn wir jetzt über Steigerungsraten und konjunkturpolitisches Verhalten reden, müßte die Wirkung beider Sperren miteinander saldiert werden.
Von der geplanten Konjunkturausgleichsrücklage ist eine zusätzliche Wirkung im übrigen nicht zu erwarten. Bei den meisten Bundesländern liegen bereits entsprechende Gelder in Reserve; die Konten werden nur umbenannt. Beim Bund ist ein entsprechender Überschuß nur der zwangsläufige Reflex der Ausgabensperre auf der Einnahmenseite und der vorläufigen Haushaltsführung bei weiter überdurchschnittlich fließenden Einnahmen.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist dagegen das weitgehende Zusammenstreichen der Steuersenkungsversprechungen. Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit entsprechend den Ankündigungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers in der Debatte am Mittwoch von der Regierung andere Überlegungen angestellt, Schritte in anderer Richtung unternommen und Dinge zur Entscheidung gestellt werden. Diese werden wir prüfen und dazu Stellung nehmen.
Ein kurzes Wort zur Bedeutung der sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Sie steigen von 8,5 Milliarden DM im Jahre 1969 auf 25,6 Milliarden DM im Jahre 1970. Herr Bundesfinanzminister, von Ihnen ist gestern nun gesagt worden, diese Verpflichtungsermächtigungen seien zwar von 8,5 auf 25,6 Milliarden DM gestiegen, aber das habe ausschließlich mit der Haushaltsreform zu tun; in Wirklichkeit habe sich nichts geändert. Ich glaube, auch das ist nur eine halbe Wahrheit. Wir hatten auch bisher eine gesetzliche Bestimmung, daß Verpflichtungen zu Lasten künftiger Jahre nur nach Bewilligung im Haushaltsplan eingegangen werden dürfen.
Diese Ermächtigung — ich will jetzt gar nicht näher darauf eingehen — konnte auf dreifache Weise geschehen. Das wissen Sie. Es wäre nur dann alles beim alten geblieben, wenn die Differenz zwischen 8 Milliarden DM und 25 Milliarden DM allein durch eine Verlagerung der Beträge aus den Erläuterungen in die Verpflichtungsermächtigungen gedeckt wäre. Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Herr Bundesfinanzminister, es wäre Sache der Bundesregierung, hier volle Klarheit zu schaffen,

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr richtig!)

inwieweit das eine der Fall ist und inwieweit echte Steigerungen bei den Verpflichtungsermächtigungen vorliegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber das Schlimme bei dieser ganzen Frage sind doch — das werden Sie mir zugestehen müssen — die Fälligkeiten dieser Verpflichtungsermächtigungen in den kommenden Jahren. Im Jahre 1971 wird etwa die Hälfte der 25,6 Milliarden DM fällig. Das bedeutet, daß ein Großteil der Verpflichtungen in diesem Jahr konjunkturanheizend eingegangen werden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein kurzes Wort zur Kopflastigkeit des Haushalts in Richtung auf kosumtive Ausgaben bei gleichzeitiger Abnahme der Investitionen. Das Ziel jeder Haushaltspolitik sollte sein, bei überschäumender Konjunktur den Konsum zu drosseln. Das Gegenteil geschieht. Während die Personalausgaben nach dem Soll von 1969 auf 1970 um 1,5 Milliarden DM und die Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke sogar um 5,4 Milliarden DM steigen, ergibt sich bei den Investitionen eine Steigerung von nur 1 Milliarde DM. Hier ist noch eine Differenz — ich will das gleich anmelden — zwischen dem, was der Bericht aussagt, und dem, was wir festgestellt haben, ein Betrag, der bei Berücksichtigung der Sperre völlig entfällt, ja sogar unter den früheren Stand gerät, das allerdings auch, wenn ich die Zahlen des Finanzministers nehme.
Ein Wort zu den Auswirkungen der Aufwertung, weil sie ja auch haushaltsrechtlich eine Rolle spielen. Schon dieser Haushaltsentwurf zeigt die ersten Spuren. Zunächst einmal fehlen die Einnahmen aus der Gewinnabführung der Bundesbank von rund 400 Millionen DM. Außerdem fallen die Einnahmen aus der Exportabgabe von rund 480 Millionen DM fort. Dazu kommen die Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Landwirtschaft. Auch nach Abzug der Ausgabenminderungen durch den höheren D-Mark-Kurs dürfte immer noch eine Mehrbelastung von 1,5 bis 2 Milliarden DM verbleiben. Dabei sind die mittelbaren Auswirkungen der Aufwertung außer acht gelassen. Diese Belastungen werden sich, gewollt oder ungewollt, auch in den nächsten Haushalten fortsetzen und bringen damit weitere Unsicherheit in die Bundesfinanzen.
Es käme nun eine Frage über den ausgedehnten Verwaltungsaufwand, über Repräsentation, Kosten, Bauten. Ich erspare mir das, weil meine Kollegen das sicherlich im Laufe dieser Tage noch bringen werden.



Leicht
Lassen Sie mich zur dritten Frage, zur mittelfristigen Finanzplanung, kommen. In die mittelfristige Finanzplanung mußte ja nun all das mit einem Ansatz einbezogen werden — es war nicht anders zu erwarten —, was sich an Versprechungen aus der Regierungserklärung im ersten Haushaltsjahr bereits als undurchführbar erwiesen hat. Hier wird die ganz große Gefahr offenbar, in die uns diese Regierung führt. Von kühnen neuen Plänen einer Bundesregierung, die sich selbst als Kabinett der Reformen bezeichnet, ist deshalb wenig zu spüren. Auf die hochfliegenden Pläne ist schon nach hundert Tagen Reif gefallen. Ziemlich harmlos hat man ein Krankenhausprogramm und den Städtebau aus der Latte, aus dem Katalog der Versprechungen noch in die mittelfristige Finanzplanung hineingeschmuggelt. Allerdings sind dafür nur kleine Beträge zu finden, auch kein großer Wurf, meine Damen und Herren.
Nun zur Einnahmeseite der mittelfristigen Finanzplanung. Um das Zahlenwerk in formelle Übereinstimmung zu bringen, greift man zu gesteigerten Wachstumsraten. Das nominelle Bruttosozialprodukt, bisher 6%, wird mit 6,5 bis 7 % angenommen. Wieviel Wunsch und wiewenig fundiertes Wissen in dieser Änderung steckt, zeigt ein Satz aus dem Jahreswirtschaftsbericht — ich zitiere —:
Obwohl nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob es sich hierbei
— gemeint ist das außergewöhnlich starke Wachstum des realen Bruttosozialprodukts im Jahre 1969 —
um einen längerfristigen Tendenzumschwung in den allgemeinen Wachstumsbedingungen handelt oder umkurzfristige Reflexe auf die vorangegangene Stagnation, wurde der Wachstumsspielraum etwas höher veranschlagt als in den bisherigen Projektionen.
Das setzt sich fort bei den Steuerschätzungen, wo offenbar das außergewöhnliche Aufkommen des Jahres 1969 als Basis genommen wurde, außergewöhnlich, weil in diesem Jahr 1969 die Abschlußzahlungen nach starken Gewinnen aus 1968 zusammenfielen mit der erstmals aus konjunkturellen Gründen systematisch betriebenen Anpassung der Vorauszahlungen an den hohen Wachstumsstand. Da auch diese Schätzung noch nicht ausreicht, soll das gesetzmäßige Auslaufen der Heizölsteuer entfallen.
Die Finanzplanung der neuen Bundesregierung ist dadurch charakterisiert, daß die volkswirtschaftliche Steuerquote des Jahres 1969, zunächst 24 %, über den Zeitraum der Planung konkret gehalten werden soll. Gleichzeitig wird die Mitteilung gemacht, daß der Bund die Kreditfinanzierung verstärkt in Anspruch nehmen will. Dies führte zu dem Ergebnis, daß die Bundesausgaben, ebenfalls gemessen am Sozialprodukt, überproportional steigen müssen. Diese Konsequenz wird jedoch von der Regierung nicht deutlich ausgesprochen.
Zahlenbeispiele! Die Bundesausgaben 1969 machen etwa 13,8 v. H. des Sozialprodukts aus; 1973 belaufen sie sich auf 14,4 v. H. Das ist bei derartigen Größenordnungen ein beträchtlicher Zuwachs, nämlich rund 30 Milliarden DM Ausgaben mehr gegenüber 1969. Finanziert werden müssen diese Ausgaben in Wirklichkeit durch einen Anstieg der volkswirtschaftlichen Steuerquote über 24 v. H. hinaus. Dies gilt nicht nur für 1970, das gilt auch für 1973, weil offenbar die Heizölsteuer hier nicht berücksichtigt worden ist.
Trotz extremer Erwartungen bei den regulären Einnahmen weist auch die mittelfristige Finanzplanung eine rapide Steigerung der Verschuldung aus und erreicht 1973 mit einem Nettofinanzierungssaldo von über 8 Milliarden schwindelnde Höhen, wie sie bisher nur als Radikalkur in einer Rezession akzeptiert worden sind. Hier zeigt sich zweifellos die besondere Schuldenfreundlichkeit ,der neuen Regierung, und der Herr Bundesfinanzminister hat ja gestern ein Plädoyer dafür gehalten.
Das ist um so erstaunlicher, als die Steuerbasis außerordentlich verbessert ist. Ich kann nur warnen: Die Verschuldungsmöglichkeit muß, Herr Bundesfinanzminister, wenn wir ehrlich bleiben wollen —
lassen Sie mich das Wort gebrauchen —, Konjunkturreserve bleiben. Es kann eine Kumulierung des Kreditbedarfs eintreten, einmal durch Bekämpfung einer Wirtschaftsabschwächung durch Finanzierung unvorhergesehener Ausgaben, die doch zwangsläufig kommen. Sie wissen doch schon jetzt, wo diese zwangsläufigen Mehrausgaben herkommen. Diese Kumulierung kann so sein, daß der Kreditbedarf nicht mehr aus dem Markt, sondern nur durch Geldschöpfung der Bundesbank aufgebracht werden kann. Nehmen Sie bitte diese Frage ernst, Herr Bundesfinanzminister.
Es wäre noch zu erwähnen: Aufteilung der Möglichkeiten der Verschuldung auf die öffentliche Hand insgesamt, Einengung ides Spielraums der Wirtschaft, Einengung des Spielraums der hauptinvestiven Träger im staatlichen Bereich, Länder und Gemeinden.

Aus dem Jahreswirtschaftsbericht wissen wir, daß im Gegensatz zur soliden Grundlage der bisherigen Finanzplanung zu alledem eine Geldentwertungsrate erheblichen Umfangs bereits eingeplant ist. Kurzfristig Binnennachfrage plus 4 %, Verbraucherpreise plus 3 %, Baukosten plus 6 bis 7 %: mittelfristig plus 2,5 %.
Die neue Regierung sagt: Wir sind mir ehrlicher gegen uns selbst. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um die Ehrlichkeit, hier geht es einfach um die Solidität des Fundaments.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Ein kurzes Wort zu den Ausgaben. Daß auch hier ein Scheindasein vieler Ausgaben vorhanden ist, möchte ich ,an zwei Beispielen klarmachen. Während die USA auf eine stärkere Honorierung ihrer Verteidigungsanstrengungen in Europa drängen, enden im Finanzplan entsprechende Ansätze mit dem Ablauf des derzeitigen Devisenabkommens, also Mitte 1971.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Hört! Hört!)




Leicht
Hinsichtlich der EWG-Ablieferungen spekuliert die Regierung mittelfristig auf ein gegenüber der bisherigen Planung schlechteres Funktionieren der EWG-Bürokratie bei der Vergabe: also zweifelhaftes Wunschdenken an Stelle solider Planung auch hier auf der Ausgabenseite.
Und nun frage ich: Wo kommt eine Regierung hin, die ihre finanzielle Planung schon am Anfang bis zum äußersten überzogen hat? Es ist nicht damit getan, daß sie ihre Pläne Stück für Stück zurücksteckt. Schlechtes Beispiel des Staates: Kalkulation mit Geldentwertung,. das Wecken ungesunder Lohnerwartungen, nur planerisch teilkompensiert durch eine Stagnation bei den Unternehmensgewinnen — übrigens im Gegensatz zum Sachverständigenrat, wenn ich das hier nur anfügen darf —, die geplante sprunghafte Steigerung von Staatsausgaben und Staatsverschuldung ohne konjunkturelle Veranlassung, Marktzinsen von noch nicht dagewesener Höhe: alles das bedeutet Verlust von Vertrauenskapital in die solide Stabilität der Währung und der Wirtschaft unseres Landes schon jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die vorliegende Finanzplanung ist ein Wunschbild, das von den Realitäten weit entfernt ist.
Ich möchte zusammenfassen: Die Bundesfinanzen waren zu Beginn der Regierung Brandt gesund. Durch die Ankündigung von Steuererleichterungen und Rentenverbesserungen — die nicht eingehalten werden konnte — wurden inflationistische Tendenzen angeheizt.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Haase [Kassel] : Das begreifen Sie nicht!)

Der Haushalt 1970 entspricht nicht dem Stabilitätsgesetz; er ist inflationär.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden bei den Einzelberatungen im Laufe der nächsten Wochen unsere Vorschläge machen, zum Teil zur Kürzung des Volumens. Dazu könnte ich jetzt schon Beispiele nennen. Denken Sie nur an den Baubereich! Denken Sie ,an manche Sperre! Wenn der Ansatz überflüssig ist, muß er gestrichen werden. Als Beispiel nenne ich die Wohnungsbauprämien. Sie sind gesperrt. Entweder werden sie gebraucht, oder sie werden nicht gebraucht; dann können wir sie kürzen. Wir werden auch prüfen, inwieweit Sperren in diesen Einzelberatungen zu erhöhen sind. Wir werden insbesondere verlangen, meine Damen und Herren, daß die Entsperrung der Mittel nur unter parlamentarischer Kontrolle möglich ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.).

Die Konjunkturausgleichsrücklage ist zu niedrig. Ich glaube, Herr Bundesfinanzminister, das denken Sie im Innern selber. Sie bedeutet in dieser Höhe nur eine Buchung bereits vorhandener Kassenmittel. Sie muß also entschieden erhöht werden. Das ist allerdings ausschließlich Sache der Regierung.
Sobald wir Klarheit über die effektive Steigerung der Verpflichtungsermächtigungen haben, werden wir auch dort gewaltige Streichungen vorschlagen.
Der mittelfristigen Finanzplanung fehlt eine solide Basis. Ich habe versucht, das auszuführen. Die Ausgabenplanung steht übersetzten Einnahmeerwartungen, Wachstumsraten und Kreditmöglichkeiten gegenüber, eine Ausgabenplanung, die praktisch keinen Raum für unerwartete Anforderungen läßt.
Bei allem stagnieren die Investitionen. Ich habe darauf hingewiesen.
Uns bewegen auch die Fragen: Wo wird unsere Mark schon am Ende dieses Jahres stehen, und was wird aus der in den letzten zwei Jahrzehnten 'bewährten Marktwirtschaft, über die am Dienstag gesprochen worden ist und zu der sich diese Regierung zwar erneut bekannt hat, deren Beschränkung in wesentlichen Punkten die geplante Politik aber notwendig machen kann?
Mäßigung in der Finanzpolitik und in der Durchsetzung von Ausgabewünschen und wirtschaftliche Stabilität sind natürlich keine spektakulären Dinge, die in der Öffentlichkeit besonderes Aufsehen erregen. Die Regierung scheint sich deshalb durch populäre Ankündigungen — wenn auch einander widersprechender Art — beliebt machen zu wollen. Sie sollte zur Kenntnis nehmen — insbesondere Sie, Herr Bundesfinanzminister —, daß sie einer Opposition gegenübersteht, die lange Jahre die haushalts- und steuerpolitische Praxis kennengelernt hat. Dies bedeutet, daß nicht nur strenge, aber sachgerechte Kritik zu erwarten ist, sondern auch durchaus Verständnis für die Schwierigkeiten der politischen Praxis,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

vor allen Dingen Verständnis dafür, daß nicht alles auf einmal erreicht werden kann. Man sollte es allerdings auch vermeiden, einen derartigen Eindruck in der Öffentlichkeit zu erwecken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Entscheidend ist eine klare finanzpolitische Linie. Dies erfordert gründliche, durchdachte und ausgewogene Maßnahmen. Diese klare Linie, Herr Finanzminister, vermissen wir. Statt dessen — und das läßt sich schon nach drei Tagen kritischer Prüfung sagen — sind Haushaltsplan und mittelfristige Finanzplanung mit Unwägbarkeiten, Wunschbildern und Widersprüchen vollgepflastert. Solidität und Stabilität, jene Prädikate, Herr Finanzminister, die Sie sich selbst erteilt haben, können wir, so wie die Dinge heute liegen, jedenfalls nicht bescheinigen.

(Anhaltender, lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603100300
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0603100400
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Rede des Kollegen Leicht möchte ich eingangs folgendes bemerken. An sich hatte ich erwartet, mich jetzt mit Ihren konkreten, konstruktiven Vorschlägen auseinanderset-



Kirst
zen zu müssen, die Ihren überall erhobenen Forderungen — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Das erwarten wir von euch! — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wir haben doch nicht zu sagen, wie regiert werden soll! Sie müssen das sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

— Entschuldigen Sie, vielleicht lassen Sie mich erst einmal den Satz zu Ende sprechen, bevor Sie Zwischenrufe machen;

(Beifall bei den Regierungsparteien)

denn Sie wissen ja gar nicht, ob Ihre Zwischenrufe richtig oder falsch sind, wenn Sie nicht den Satz zu Ende gehört haben.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich 'wollte sagen: ich hatte erwartet, hier konkrete Vorschläge von Ihnen zu hören, die dem entsprechen, was Sie draußen im Lande fordern und was auch in der Debatte am Dienstag von Ihnen gesagt worden ist. Aber konkrete Vorschläge haben Sie sicherlich nicht gebracht. Sie haben sich am Anfang Ihrer Ausführungen sehr intensiv mit der gestrigen Rede des Herrn Bundesfinanzministers auseinandergesetzt.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Die unnötig aggressiv war!)

— Sie fallen jetzt wieder in den Fehler, den ich schon eingangs bei Ihnen leider feststellen mußte. Aber das geht ja wohl nicht von meiner Redezeit ab.
Herr Leicht, Sie haben den Finanzminister hart angegriffen.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das war auch dringend nötig!)

Er ist sicher Manns genug, sich selbst zu verteidigen. Ich meine nur, wer die gestrigen sehr ruhigen und maßvollen Ausführungen des Finanzministers gehört hat

(Beifall bei den Regierungsparteien — OhRufe von der CDU/CSU)

— natürlich mit harten und für Sie unangenehmen Tatsachen —

(Abg. Dr. Althammer: Das Maß war voll!)

und Ihre Aufregung in der ersten Viertelstunde hier erlebt hat, der steht doch unter dem Eindruck — volkstümlich gesprochen —: Wer schimpft, hat unrecht,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und die Informationen, die wir alle dazu haben, bestätigen das doch.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie haben, bewußt oder unbewußt, in vielen Punkten, gerade was z. B. die Bedeutung der Aussagen
des Kollegen Strauß vom 17. Oktober — in seinem
finanzpolitischen Testament, hätte ich beinahe gesagt
— anlangt

(Abg. Leicht: Sie haben es gar nicht gelesen!)

— ich habe es da liegen —, an den Ausführungen des Bundesfinanzministers vorbeigeredet. Er hat etwas ganz anderes gesagt als das, was Sie ihm hier widerlegen zu müssen glaubten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun, Sie haben einen großen Teil Ihrer Ausführungen dazu verwendet, über die antizyklische Qualität — ich möchte es einmal so formulieren — dieses Haushalts 1970 zu sprechen. Das war ja auch zu erwarten. Sie haben, wenn ich es richtig verstanden habe, am Ende Ihrer Rede diesem Haushalt das Prädikat der antizyklischen Qualität verweigert. Es war zu erwarten, daß wir uns heute in der Haushaltsberatung besonders mit diesem Gesichtspunkt des Haushalts auseinanderzusetzen haben würden. Ich meine, daß es in dieser Situation angemessen und richtig ist, sich dabei, sozusagen um der intellektuellen Redlichkeit willen, auch einmal° grundsätzlich der Möglichkeiten und Grenzen einer antizyklischen Finanzpolitik bewußt zu werden und diese bei noch so berechtigten akuten Forderungen im Auge zu behalten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und gezielt auf die jetzige Situation einer Hochkonjunktur meine ich, daß uns fünf Kriterien sehr deutlich zeigen, wo die zwangsläufigen Grenzen einer antizyklischen Haushaltspolitik liegen, ganz abgesehen davon, daß wir 'selbstverständlich alle wissen, daß der natürliche Drang der Finanzpolitik entgegengesetzt wäre, daß hier vom Ursprung her ein Zielkonflikt vorhanden ist, daß antizyklische Haushaltspolitik eben bedeutet, diesen natürlichen Drang zum prozyklischen Verhalten im Interesse des Ganzen zu überwinden.
Meine Damen und Herren, ich sprach von fünf Kriterien. Zunächst müssen wir den Zeitfaktor sehen. Wir wissen, daß sich konjunkturelle Abläufe nicht in Rechnungsjahre oder Kalenderjahre pressen lassen, d. h. daß zwischen Aufstellung und Vollzug des Haushalts konjunkturpolitisch gesetzte Unterschiede notwendig sind, wie wir es konkret ja auch in der Situation des Jahres 1970 sehen.
Viel wichtiger und entscheidender ist folgendes, worüber wir uns klar sein sollten. Es freut mich, daß der Kollege Leicht etwas hat anklingen lassen, daß wir uns über die Grenzen der Beeinflußbarkeit des Haushalts im klaren sind, wenn wir seine Vorbelastungen — jetzt nicht aus politischen Gründen, sondern einfach aus der Entwicklung der letzten 20 Jahre — sehen, wenn wir die gesetzlichen Verpflichtungen, die sonstigen Bindungen, die internationalen Verpflichtungen — EWG, NATO und was es alles noch gibt — berücksichtigen, wenn wir sehen, wie begrenzt die Manövrierfähigkeit in einem Haushalt letzten Endes auch aus konjunkturpolitischen Gründen ist.
Wir müssen unter diesem Gesichtspunkt drittens sehen, daß eine antizyklische Haushaltspolitik erfolgreich und sinnvoll nur sein kann, wenn sie, wie es immer so schön heißt, von allen öffentlichen



Kirst
Händen koordiniert wird, also von Bund, Ländern und Gemeinden, wenn hier ein gleichgerichtetes konjunkturpolitisches Verhalten vorliegt. Es hat wenig Sinn, wenn die eine Ebene der öffentlichen Hände bremst und die andere Gas gibt; das Ergebnis ist dann möglicherweise Motorschaden. Wir wissen, daß hier nicht nur unterschiedliche sachliche Interessen der einzelnen Ebenen Bund, Länder und Gemeinden vorhanden sind. Zumindest virulent besteht natürlich auch die Gefahr — ich will das nicht vertiefen; es ist hier vorgestern, glaube ich, schon angeklungen, und es gibt Presseveröffentlichungen dazu —, .daß man aus parteipolitischen Gründen versucht, hier die Bemühungen der Bundesregierung zu unterlaufen. Wir sollten sehr genau sehen, wo denn die Steigerungsraten in den Länderhaushalten, die den konjunkturpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung entsprechen, sind und wo nicht und wo die Bereitschaft, die Mittel in die Konjunkturausgleichsrücklage zu zahlen, vorhanden ist und wo nicht.
Viertens sollten wir uns bei dem heftigen und notwendigen Gerede über eine antizyklische Haushaltspolitik immer vor Augen halten, daß Haushaltspolitik, auch antizyklische, immer nur im Rahmen unserer gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Wirklichkeit möglich. ist. Wir sollten dabei sehen, daß wir erfreulicherweise nicht in einem Druckknopfsystem leben, wo man auf den Knopf drückt und sich dann alles ändert. Solche Maßnahmen, wie wir sie im Rahmen einer antizyklischen Haushaltspolitik wollen, sind nur im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten verwirklichbar und durchsetzbar. Es gehört z. B. auch ein großes Maß von Überzeugungskraft dazu, daß hier alle relevanten Kräfte in unserer pluralistischen Gesellschaft in irgendeiner Form, sei es hemmend, sei es fördernd, beteiligt sind. Wir sollten diese Schwierigkeiten sehen.
Letztlich sollten wir die antizyklische Haushaltspolitik nicht zum Allheilmittel machen. Sie kann — das wird auch der Wirtschaftsminister nicht anders sehen — immer nur eine komplementäre, eine flankierende Maßnahme zur allgemeinen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik sein.
Auf dieser Basis, meine sehr geehrten Damen und Herren, und unter diesem konjunkturpolitischen Gesichtspunkt möchte ich nun den Haushalt 1970 betrachten. Hier stellt sich zunächst die Frage der Zuwachsrate. Die Frage der Zuwachsrate ist wohl unter zwei Kriterien zu sehen, einmal dem ihrer Echtheit und zum zweiten dem ihrer Angemessenheit.
Wir werden uns sicher darin einig sein, daß eine letztlich bewiesene Echtheit der Zuwachsrate heute einfach nicht festzustellen ist, weil die sich erst ergibt, wenn wir die Bücher 1969 abgeschlossen haben. Das ist selbstverständlich. Aber was hier in den letzten Tagen und auch von Herrn Leicht an Kritik hinsichtlich der Echtheit gekommen ist, das betrifft zunächst wohl vor allem das Argument der Ausgabensteigerung im Dezember 1969. Hier scheint mir die Darstellung des Bundesfinanzministeriums so überzeugend zu sein, daß ich darauf nicht weiter eingehen will. Der Finanzminister hat das gestern getan. Sie haben es auch vorliegen.
Sie haben auch, Herr Kollege Leicht, noch einmal die Sache mit den Verpflichtungsermächtigungen aufgegriffen. Wir haben uns auch das angesehen. Ich finde die Erklärung, die hier gestern gegeben worden ist, richtig. Sie wird vielleicht noch deutlicher, wenn man sieht, ,daß .die gesamte Steigerung der Verpflichtungsermächtigungen im wesentlichen auf den Bereich der Verteidigung entfällt. Im Jahre 1969 hatten wir 'im Einzelplan 14 lediglich rund 700 Millionen DM — damals hieß es noch „Bindungsermächtigungen" —, und im Haushalt 1970 sind in diesem Einzelplan Ermächtigungen in Höhe von 15,5 Milliarden DM. Das sind rund 15 Milliarden DM von den 17 Milliarden DM Steigerung. Es ist kein Zweifel, Herr Leicht, daß zumindest auf diesen großen Teil der Steigerung die haushaltsrechtliche Argumentation, die gestern dargelegt worden ist, zutrifft.
Nun zur Frage der Angemessenheit der Zuwachsrate. Wir wissen, daß die 8,8 % Zuwachsrate kritisiert werden, nicht nur von Ihnen, sondern auch von anderer Seite. Aber Sie haben z. B. am 28. Januar in einer Pressemeldung — nicht Sie persönlich; ich glaube, es war Ihr Kollege Stoltenberg — davon gesprochen, daß die Zuwachsrate besser bei 6,5 bis 7 % liegen sollte.
Nun meine ich — und das ist das Entscheidende —, daß es nicht genügt, hier so etwas zu sagen, oder, um es einmal volkstümlich zu sagen — ich komme damit auf das zurück, was ich am Anfang sagte —, daß es nicht genügt, den Mund zu spitzen, man muß notfalls auch bereit sein zu pfeifen, sonst bleibt diese Kritik unglaubwürdig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, es gehört auch zur Glaubwürdigkeit einer solchen Kritik, nicht nur davon zu sprechen, daß die Zuwachsrate zu hoch sei, und dann irgendwo zu sagen, sie dürfte nur 6,5 sein. Man muß dann auch diesem Hohen Hause, das darüber zu entscheiden hat, und der Öffentlichkeit, die daran interessiert ist, einmal vorstellen: Was würde denn eine um 2 % niedrigere Zuwachsrate haushaltspolitisch bedeuten? Das sind immerhin 1,6 Milliarden DM. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei dem Bemühen, Streichungs- oder Sperrungsanträge in Höhe von 1,6 Milliarden DM zu finden und in Ihrer Fraktion die Mehrheit dafür zu bekommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aber für diesen Haushalt haben Sie die Verantwortung, nicht wir! Das ist der Vorzug der Opposition! — Abg. Stücklen: Ein Vergnügen ist das nicht!)

Denn das sind, Herr Stücklen — und das macht die Dinge besonders schwierig —, etwa 11 bis 12% unseres Investitionsvolumens. Wir wissen aus der Struktur des Haushalts, daß im wesentlichen nur das Investitionsvolumen für solche Maßnahmen geeignet ist. Ich frage also — —




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603100500
Herr Kollege Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Althammer?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0603100600
Bitte schön!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0603100700
Herr Kollege muß ich die Ausführungen mit dem „viel Vergnügen zu den Streichungen", die Sie eben gemacht haben, so verstehen, daß Sie nicht bereit sind, bei den Beratungen selbst mitzuwirken, um zu Streichungen zu kommen?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)


Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0603100800
Herr Kollege Althammer, ich werde nachher noch etwas dazu sagen. Ich glaube, Sie kennen mich trotz allem bis jetzt schon so gut, daß Sie wissen, daß diese Frage unberechtigt ist. Die Frage, die ich gestellt habe, ist ja, ob Sie überhaupt in ihrer eigenen Fraktion, wenn es hart auf hart geht, wenn es um die konkreten Dinge geht, Mehrheiten für konkrete — nicht für abstrakte — Streichungen und Sperrungen finden. Das ist das Problem.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Als wir an der Regierung waren, haben wir das gemacht!)

Wir sehen doch — darüber, Herr Leicht, haben Sie wirklich kein Wort verloren — seit Oktober eine Flut von zusätzlichen Ausgabenwünschen der Opposition dieses Hohen Hauses. Ich will die Einzelheiten gar nicht aufzählen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Erneuter Zuruf des Abg. Leicht.)

Wenn Ihre Vorstellungen ernst wären, hätte als erstes die Erklärung hierhingehört: Die CDU/CSU zieht alle Anträge zurück, die sie seither eingebracht hat und die in ihren Ausgaben höher liegen, als von der Regierung vorgeschlagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Dazu haben wir gar keinen Anlaß! Wir haben eben andere Vorstellungen von Politik als Sie! — Abg. Dr. Althammer: Dazu werde ich noch etwas sagen!)

— Bitte, Herr Althammer!

(Abg. Leicht: Sie wollen allein Geld ausgeben?)

— Nein, durchaus nicht. Es hindert Sie niemand daran, bei Anträgen der Regierung oder bei Anträgen der Regierungsparteien mitzustimmen. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit gemeinsamer Anträge.
Es geht ja nur darum, daß es durchaus unredlich ist — ich habe vorhin von dem Gebot der intellektuellen Redlichkeit gesprochen —, auf der einen Seite die Zuwachsraten zu beklagen und als zu hoch zu bezeichnen, auf der anderen Seite selbst Anträge zu stellen, die Sie nur stellen, weil Sie wissen, daß sie doch nicht angenommen werden;
denn wenn sie angenommen würden, würden Sie Ihre eigene Politik konterkarieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wir haben andere Vorstellungen von Politik als Sie!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603100900
Herr Kollege Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0603101000
Bitte sehr!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0603101100
Herr Kollege Kirst, könnten Sie den Kollegen Leicht insofern gegen seine eigene Fraktion ein wenig in Schutz nehmen, als Sie darauf hinweisen, daß bekanntgeworden ist, daß er in der Frage der Anträge auf Erhöhung der Kriegsopferversorgung von der eigenen Fraktion überstimmt worden ist, weil er die Zahlen kannte und die Fraktion Gefühle hatte?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0603101200
Vielen Dank für diesen Hinweis, Herr Moersch. Ich würde das sehr gern aufnehmen, ich habe mich aber im Moment mit der Gesamtheit der Oppositionsfraktion auseinandergesetzt.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Angemessenheit der Zuwachsrate sprechen, dann müssen wir eingedenk dessen, was ich einleitend gesagt habe, wohl auch zu einer Analyse der Steigerungsrate kommen. Dann werden wir feststellen, daß sich diese Steigerung in Höhe von 8,8 % — das entspricht etwas über 8 Milliarden DM — auf wenige, nämlich auf fünf Einzelpläne von insgesamt 26 Einzelplänen konzentriert. Von der Gesamtsumme in Höhe von 7,3 Milliarden DM für diese fünf Einzelpläne entfallen — alle Zahlen abgerundet — auf den Einzelplan 10 — Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —2,2 Milliarden DM, auf den Einzelplan 11 — Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung —1,5 Milliarden DM, auf den Verteidigungshaushalt 1,3 Milliarden DM, auf den Haushalt des Verkehrsministeriums 1 Milliarde DM, auf den Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft 0,75 Milliarden DM, auf den Haushalt des Bundesministeriums für Städtebau und Wohnungswesen 0,45 Milliarden DM.
Das sind die großen Brocken in der Steigerungsrate, im Zuwachs. In diesen großen Brocken stecken auch die ganzen Zwangsläufigkeiten und Vorbelastungen, die Herr Minister Möller hier gestern so klar und überzeugend aufgeführt hat, daß ich es Ihnen ersparen möchte, das von mir wiederholt zu hören.
Hier liegt, meine ich, auch das — ich will einmal großzügig sein — vielleicht ungewollte Mißverständnis, das in den Ausführungen des Kollegen Leicht zum Ausdruck kam. Herr Kollege Leicht, wenn Sie mir vielleicht noch einen Moment Ihre geneigte Aufmerksamkeit schenken würden: Ich meine, Sie haben hier etwas verteidigt, was gar niemand bestritten hat, nämlich die Kassenlage, wie sie sich beim Regierungswechsel darbot. Die Kassen-



Kirst
Lage hat niemand bestritten; was bestritten worden ist, ist die Tatsache der exakten Darstellung der zukünftigen kurz- und mittelfristigen Belastungen des Haushalts, wie das am 17. Oktober durch Herrn Strauß — ich habe seine Ausführungen drüben liegen — geschehen ist. In dieser Hinsicht muß man nun allerdings in der Tat feststellen, vor allen Dingen auch in bezug auf die Form, wie es gebracht worden ist, daß die Vorwürfe seines Nachfolgers berechtigt sind. Ich würde es so formulieren: wenn das, was in dieser Erklärung vom 17. Oktober niedergelegt ist, eine Art Übergangsbilanz gewesen sein sollte — um etwas Analogie zum wirtschaftlichen Bereich zu betreiben —, so hätte ein Wirtschaftsprüfer für diese Übergangsbilanz das Testat verweigert.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich nun etwas zum Instrumentarium sagen, mit dem in diesem Haushalt antizyklisch operiert wird. Wir haben über die Sperren gesprochen. Ich glaube, es ist zunächst einmal festzustellen, daß Idas Parlament die neue Form der Sperren begrüßen sollte, nicht nur wegen ihrer Effektivität, sondern auch deshalb, weil das Parlament in jedem Einzelfall bei diesen Sperren— wenn Sie so wollen — zum Bekenntnis aufgerufen ist, nämlich zum Akzeptieren oder zum Ablehnen oder auch zur Erweiterung. Ich meine, das ist auch deshalb gut, weil dann hinterher niemand draußen im Lande sagen kann: Das geschieht und das geschieht nicht, während er in Wirklichkeit diese Sperren vielleicht mitbeschlossen hat. Das scheint mir wesentlich zu sein.
Es muß auch noch einmal betont werden, nachdem Sie von den Rücklagen 1969 gesprochen haben, daß wir ja in diesem Jahre eine echte Konjunkturausgleichsrücklage haben bzw. die Bedienung echt ist. Natürlich muß im nächsten Jahr darüber gesprochen werden, ob die Dotierung dieser Ausgleichsrücklage ausreichend ist oder ob sie erhöht werden muß. Dabei haben wir aber im Auge zu behalten, daß die Rückführung dann nach dem Stabilitätsgesetz natürlich an gewisse Voraussetzungen gebunden ist. Vielleicht ist es zweckmäßiger, ermöglichte Stillegungen von weiteren Ersparnissen auf andere Weise, allerdings konjunkturpolitisch genauso wirksam, zu erreichen.
Hinsichtlich der vorläufigen Haushaltsführung stellt sich die Frage, die auch der Finanzminister gestern sehr ernst angesprochen hat: Was passiert am Tage X, d. h. am Tage der Verkündung des Haushaltsplans, wenn die Regeln der vorläufigen Haushaltsführung außer Kraft treten? Der Finanzminister hat zum Ausdruck gebracht, er befürchte nicht, daß es dann zu einem Nachfragestoß kommt. Wir bieten ihm unsere Unterstützung nicht nur dabei an, sondern wir bieten ihm unsere Unterstützung auch bei dem mindestens zu prüfenden Versuch an, die aus dieser vorläufigen Haushaltsführung entstehenden Ersparnisse so weit wie möglich zu endgültigen Ersparnissen im Haushaltsjahr 1970 zu machen.
Wir wissen — ich habe mich vorhin gegen globale Äußerungen gewehrt —, daß das im Einzelfall
zu prüfen ist. Deshalb diese vorsichtige Formulierung, die aber unsere Bereitschaft, ja unseren Wunsch im Grundsatz unterstreicht, daß die Einsparungen aus ,der Zeit der vorläufigen Haushaltsführung nach Möglichkeit in weitestgehendem Maße endgültig werden. Ich glaube, wir dürfen feststellen, daß zur Zeit alle denkbaren Instrumente einer antizyklischen Haushaltsführung gut kombiniert angewandt und vorgesehen werden.
Sicherlich stellt sich noch die Frage der alternativen Entwicklungen im Laufe des Haushaltsjahres. Theoretisch sind immer zwei Alternativen denkbar: Haushaltsverbesserungen oder Haushaltsverschlechterungen, per saldo aus einer Vielzahl von Einzelvorgängen resultierend gesehen. Es ist wohl realistisch, für 1970 nur die Alternative einer Haushaltsverbesserung im Auge zu behalten. Unser Petitum geht dahin — wir möchten das klar aussprechen und glauben, sicherlich auch da den Intentionen des Finanzministers zu entsprechen —, daß bei anhaltend gleicher Konjunkturlage weitere Haushaltsverbesserungen- zu Stillegungen verwendet werden.
Noch einige Worte zum Zeitproblem, das ich ja eben schon berührte, zur Frage des Zeitpunkts des Wechsels von der vorläufigen Haushaltsführung zum Inkrafttreten des Haushaltsplans. Was geschieht im zweiten Halbjahr? Wir wissen, daß das entscheidende Problem des Haushalts wahrscheinlich darin liegt, ob die bisherige Erwartung, daß im zweiten Halbjahr eine Konjunkturberuhigung oder -abschwächung eintritt, zutrifft oder nicht. Das ist das entscheidende Problem des haushaltspolitischen Vollzugs. Insofern ist die späte Verabschiedung — die ja im übrigen nach dem Ende einer Legislaturperiode, nach einer Wahl ein normales Ereignis ist — —

(Abg. Leicht: Das habe ich nicht kritisiert!)

— Selbstverständlich, Herr Leicht, haben Sie das nicht kritisiert. Trotzdem darf ich noch einmal unterstreichen, daß wir aus dieser zwangsläufigen Not der späten Verabschiedung eine konjunkturpolitische Tugend machen können. Die Verabschiedung kann zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die konjunkturpolitische Entwicklung besser als heute zu übersehen ist.
Sicherlich stellt sich die Frage, ob die antizyklische Haushaltsgestaltung nach dem Auslaufen der vorläufigen Haushaltsführung bei unveränderter konjunktureller Situation dann unter Anwendung des § 6 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes erfolgen muß. Wenn es erforderlich ist, habe ich keinen Zweifel, daß die Regierung es so tun wird. Wir würden sie dabei unterstützen.
Nun meine ich, daß sicherlich bei der dieses Jahr besonders prononcierten Diskussion des Haushalts unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten die Gefahr besteht — die wir aber vermeiden müssen —, die Struktur des Haushalts, die Schwerpunktbildung im Haushalt zu sehr in den Hintergrund treten zu lassen. Mein Kollege Peters wird heute nachmittag zur Frage der Schwerpunktbildung im Haushalt vermutlich noch zusätzliche Ausfüh-



Kirst
rungen machen. Ich möchte dazu im Augenblick nur zwei Bemerkungen anbringen.
Die eine — eine rein sachliche, eine Erfahrung, die man überall und jederzeit machen wird — ist die, daß ein Regierungswechsel einen Haushalt auch nicht revolutionieren kann. Das war weder die Absicht noch die Möglichkeit. Dazu sind die Zementierungen einfach zu groß, die in 20 Jahren angewachsen sind. Aber ich meine, daß diese erstmalige Situation einer ganz neuen Regierungs- und Oppositionskonstellation bei den Haushaltsberatungen die Chance bietet, einmal etwas intensiver, als es sonst vielleicht möglich wäre — das soll gar kein Vorwurf sein —, zwischen echten und möglicherweise weniger echten Zwangsläufigkeiten in diesem Haushalt zu unterscheiden. Wenn ich meine, daß das leichter als sonst sei, dann rein psychologisch; denn die neue Regierung braucht sich weiß Gott nicht aus Prestigegründen an sogenannte Zwangsläufigkeiten in diesem Haushalt gebunden zu fühlen, die in 20 Jahren in anderen Konstellationen entstanden sind, und die neue Opposition braucht sich nicht mehr zur Verteidigung der Vorlage der Regierung berufen zu fühlen. Ich glaube, hier liegt eine Chance, die wir als Parlament und als Mitglieder des Haushaltsausschusses wahrnehmen sollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zwei Bemerkungen zur Einnahmeseite! Hinsichtlich der Steuerschätzungen, die natürlich eine ganz entscheidende Grundlage jeder Haushaltsaufstellung sind, müssen wir einsehen, daß sie nur schwer vergleichbar mit den Vorjahresansätzen sind, da sich in diesem Jahr zum erstenmal der große Steuerverbund auswirkt und damit auch andere Anteile an den Steuerarten für den Bund wirksam werden. Wir wissen aus aller Erfahrung, daß die allgemeinen Steuervorausschätzungen im Laufe der Etatberatungen im einzelnen begründet und gegebenenfalls überprüft werden müssen. Wir wissen ja — das gilt nicht nur für die Steuerschätzungen, sondern überhaupt —, daß der Haushaltsplan letzten Endes nichts anderes als eine Momentaufnahme im Augenblick seiner Aufstellung ist und daß manche Daten zwangsläufig in dem Augenblick, da die Druckerschwärze fast noch feucht ist, schon wieder überholt sind. Wir werden auf das Problem der Steuerschätzungen in der zweiten Lesung zurückkommen. Sollten sie sich als zu niedrig veranschlagt erweisen, dann muß in Konsequenz dessen, was ich eben sagte, sichergestellt werden, daß Mehreinnahmen — immer unter der Voraussetzung unveränderter Konjunkturlage — ausgabenunwirksam bleiben, d. h. daß sie stillgelegt werden.
Auch die Frage der Kreditaufnahme hat eine sehr kritische Würdigung durch Herrn Leicht gefunden. Wir finden es auf jeden Fall richtig und gut, wenn dadurch, daß keine oder nur geringe Kredite aufgenommen werden, im laufenden Jahr sowohl den konjunkturpolitischen Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, als auch — und da werden Sie mir jetzt nicht mehr zustimmen — die Voraussetzungen für eine den Anforderungen entsprechende Kreditaufnahme in den kommenden Jahren geschaffen werden.

(Abg. Leicht: Die haben wir ja schon geschaffen!)

Auch das Problem der Kreditaufnahme hat eine grundsätzliche und eine akute Seite. Sicher, aus akutem Anlaß ist es gut, wenn wir in der Lage sind, auf Kreditaufnahmen zu verzichten. Aber grundsätzlich kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß es für den Staatsbürger besser ist, auf dem Wege über aufgenommene Kredite dem Staat als Anleihegeber — damit auch unter eigener Vermögensbildung — die nun einmal für die erforderlichen Investitionen nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, als auf dem Wege der Steuern. Wir sind uns ja einig, daß an der Steuerlastquote nichts geändert werden soll. Sie wollen das sicherlich auch nicht. Also bleibt, wenn wir uns auch einig sind, daß in bestimmten Schwerpunkten — ich komme gleich noch abschließend darauf — mehr geschehen muß als in der Vergangenheit, eben nur der Weg einer Kreditfinanzierung, der sicher auch gesellschaftspolitisch richtiger ist. Er ist auch deswegen richtiger, weil hier zum Teil Investitionen vorgenommen werden, deren Nutznießer nicht nur die jetzt arbeitende, sondern auch die folgende Generation ist, die durch die Tilgung an der Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel beteiligt sein sollte. Ich glaube, wir sind uns alle darin einig — um auch hier noch einmal eine Analogie aus der Wirtschaft zu bringen —, daß alle Haushalte unter allen Regierungen aller Parteien in der Bundesrepublik in den letzten 20 Jahren eine erstaunlich hohe Selbstfinanzierungsquote bei Investitionen gehabt haben, vielleicht mit Ausnahme der Gemeinden, wo die Dinge etwas anders liegen.
Nach diesen kreditpolitischen Aspekten darf ich abschließend zur Frage der Finanzplanung überleiten. Ich gebe Ihnen vollkommen recht, Herr Leicht — nur bringe ich es lediglich als Feststellung, weil ein Vorwurf nach ,dem Vorgang nicht berechtigt ist —: Die Zeit für eine gründlichle Prüfung sowohl des Haushalts als auch des Finanzplans, des Finanzberichts war selbstverständlich zu kurz. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Aber wir sind uns alle auch darin einig, daß durch die Verfahrensänderung, die wir gemeinsam gewollt und beschlossen haben und die uns auch zusätzliche Beratungstage im Haushaltsausschuß ermöglicht, eine solche Situation zwangsläufig war. Das ist also kein Punkt, über den man streiten kann.
Immerhin meine ich — um das noch einmal aufzunehmen, was ich vorhin sagte —, daß die Vorlage des neuen Finanzplans auch hinsichtlich der Fortschreibung zu einer Stunde der Wahrheit geworden ist. Es genügt nämlich nicht, Herr Kollege Leicht, daß Fortschreibungen, wie Sie sagen — ich kann es nicht beurteilen; Sie waren in dem Hause —, intern vorgelegen haben. Gegenüber der Öffentlichkeit ist das jedenfalls nicht wirksam geworden.

(Abg. Leicht: Der Finanzminister hat bestritten, daß sie intern vorlagen!)




Kirst
Man kann wohl, um noch einmal auf den Gesichtspunkt der Schwerpunkte generell zurückzukommen, sagen, daß sich im Finanzplan deutlicher, als es im Haushalt 1970 möglich ist, gewisse Schwerpunktverlagerungen zeigen. Aber ich glaube, sowöhl die Regierung als auch die Regierungsfraktionen sind sich darin einig, daß durchaus nicht alles, was unseren politischen Vorstellungen, die auch in der Regierungserklärung vom 28. Oktober zum Ausdruck gekommen sind, entspricht, seinen Niederschlag gefunden hat und durchaus nicht alles bereits jetzt in Zahlen seinen Niederschlag in der Finanzplanung finden konnte, und zwar einfach deshalb, weil zum Teil in bestimmten politischen Bereichen sogenannte Bestandsaufnahmen laufen, deren Auswirkung sich erst in den Fortschreibungen der kommenden Jahre niederschlagen kann. Diesen Vorbehalt, diese politische Aussage zur Finanzplanung, die insofern eben auch nur eine Momentaufnahme sein kann, eine Momentaufnahme auch des gegenwärtigen Stands der Überlegungen, sollten wir sehr deutlich anbringen. Da noch nicht alles möglich war, Herr Leicht, ist hier ein Vorwurf nicht gerechtfertigt. Soviel Erfahrungen in der Regierung haben Sie doch auch, um zu wissen, daß man die Dinge nicht über Nacht auf den Kopf steilen kann oder will oder soll. Das wollen Sie sicherlich auch nicht. Fest steht, daß Schwerpunktverlagerungen, wenn sie vernünftig und verantwortungsvoll durchgeführt werden sollen, eine gewisse Zeit erfordern.
Ich möchte nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, noch etwas im Zusammenhang mit dem
Problem Finanzplanung sagen. Derr Herr Finanzminister hat in einem allerdings nicht zwingenden Zusammenhang eine Bemerkung über die Zeit vor der Einführung der Finanzplanung gemacht, die offenbar —das entspricht unseren akustischen Beobachtungen, die sich aus gewissen räumlichen Nachbarschaften ergeben — bei der CDU/CSU eine Deutung gefunden hat, von der wir nicht annehmen — ich betone dies —, daß sie in der Absicht des Ministers lag. Wir haben durchaus nicht die Absicht, diese Angelegenheit zu vertiefen. Weil wir diese Absicht nicht haben, sagen wir es deutlich. Denn es würde sich daraus nur der Zwang zu Fragen z. B. an den damaligen Bundeskanzler — ich sehe ihn im Augenblick nicht — ergeben, und ,die Beantwortung dieser Fragen würde sicher die Fehldeutung dieser Bewertung durch die eigene Fraktion erweisen.

(Abg. Dr. Althammer: Etwas genauer, bitte! Das war etwas orakelhaft!)

— Herr Althammer, die Kollegen der CDU/CSU, die da in der Ecke sitzen, die ich gemeint habe, haben es verstanden.
Lassen Sie mich abschließend sagen, unter welchen Voraussetzungen wir in die Beratungen der nächsten Wochen und Monate im Haushaltsausschuß als Vorbereitung der zweiten und dritten Lesung gehen. Nur einige Punkte!
Wir sind der Meinung, man muß — das sind wir, glaube ich, auch unseren Steuerzahlern schuldig — auch bei einem 90-Milliarden-Etat davon ausgehen, daß es sich lohnt, auch über kleinere Beträge — ob
das nun Millionen sind oder etwas weniger — sehr genau zu reden. Das noch einmal im Anschluß an das, was ich vorhin unter einem anderen Aspekt dazu sagte.
Wir sollten uns andererseits bei all diesen Beratungen immer bewußt sein, was in Wirklichkeit hinter diesem Zahlenwerk, das manchmal einen etwas toten Eindruck macht, steckt in sehr vielen Bereichen und sehr vielen Bezügen, z. B. direkte und indirekte menschliche Schicksale.
Wir sollten schließlich bei allen diesen Beratungen die Treuhänderfunktion dieses Parlaments gegenüber dem Steuerzahler nicht aus den Augen verlieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Vor allem aber gehen wir, die Fraktion der FDP, in diese Haushaltsberatungen in der Überzeugung, daß der Haushalt 1970 und der Finanzplan für die Jahre 1969 bis 1973 ein überzeugender Beweis sind — wir zweifeln nicht daran, daß dieser Beweis in den Beratungen der kommenden Wochen und Monate erhärtet werden wird —, daß diese von uns mitgetragene Regierung bei gleichzeitig solider und konjunkturgerechter Haushaltsgebarung eine fortschrittliche und dynamische Politik betreibt.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603101300
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603101400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion deren Gedankengänge zum Haushalt 1970 und zur Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung vortrage, zwei persönliche Bemerkungen machen.
Zunächst eine Bemerkung zu dem Kollegen Kirst. Herr Kollege Kirst, Sie haben heute hier Ihre Jungfernrede gehalten und gleichzeitig im Auftrage Ihrer Fraktion die Etatrede. Ich muß sagen: A la bonheur! Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Sachlichkeit und Ihren Darlegungen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603101500
Herr Kollege, der Präsident hätte zur Jungfernrede gratuliert, wenn er heute wirklich zum ersten Mal gesprochen hätte.

(Heiterkeit.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603101600
Frau Präsident, ich nehme die Korrektur zur Kenntnis. Ich habe mich schon gewundert, daß Sie es nicht getan haben. Aber trotzdem: nachdem der Kollege Kirst, der erst wenige Wochen oder Tage im Haushaltsausschuß ist, hier eine solche Etatrede für seine Fraktion gehalten hat, bin ich nicht bereit, auch nur ein Stück von diesem Glückwunsch zurückzunehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dann möchte ich eine persönliche Bemerkung zu Herrn Kollegen Leicht machen. Herr Kollege Leicht,



Hermsdorf (Cuxhaven)

Ihre heutige Rede war für mich, ich sage das in allem Ernst, ein Phänomen, mit dem ich noch nicht fertig werde. Wir haben 12 Jahre oder 16 Jahre zusammen im Haushaltsausschuß gearbeitet, und ich habe Sie in der Arbeit im Haushaltsausschuß — ich hoffe, Sie können das auch von mir sagen — als einen sachlichen Mann kennengelernt. Sie wissen genau, daß sich im Haushaltsausschuß, ob wir nun in der Opposition waren oder Sie es jetzt sind, immer eine sehr sachliche und nüchterne Sprache durchgesetzt hat. Ich habe die Wandlung von dem Mitglied einer Regierungspartei zu einem Mitglied der Opposition noch nicht durchgemacht, sondern nur eine solche im umgekehrten Sinne.

(Abg. Leicht: Das ist einfacher!)

Wir waren 16 Jahre Oppositon und sind dann Regierungspartei geworden. Daß .der Eintritt in die Opposition einen Menschen so auf den Kopf stellen kann, wie das bei Herrn Leicht geschehen ist, ist mir völlig unverständlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Der Finanzminister steht Kopf!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603101700
Eine Zwischenfrage von Herrn Althammer.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0603101800
Herr Kollege Hermsdorf, können Sie sich nicht vorstellen, daß die Reaktion unseres Kollegen Leicht, ,den wir übrigens genauso einschätzen wie früher, darauf zurückzuführen ist, daß diese erste Haushaltsrede eines neuen Finanzministers auch „einmalig" war?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603101900
Herr Kollege Althammer, ich bin insoweit einverstanden, als die Rede des Bundesfinanzministers, meines Freundes Alex Möller, einmalig und eindeutig war. Das ist gar keine Frage.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich muß Ihnen noch eines sagen. Haushaltsreden sind keine Reden für Liebhaber von Kammermusik und reine Haushaltsexperten; sie sind auch politische Reden. Das hat Alex Möller hier deutlich bewiesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich komme zu einem zweiten Punkt. Ich möchte ein paar Prädikate, die Herr Leicht hier ausgesprochen hat, wiederholen: vordergründig, polemisch, dubios, manipuliert, Halbwahrheiten, unwahr.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Herr Leicht, damit haben Sie sich selbst und ihre Rede qualifiziert, aber nicht den Bundesfinanzminister.

(Beifall bei .den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich komme nun auf einige Bemerkungen sachlicher Art, die Sie gemacht haben, zu sprechen. Zunächst zur Frage der Informationssperre. Herr Kollege Leicht, alle drei Fraktionen dieses Hauses haben die Situation, in der wir uns jetzt befinden, im Rahmen der Haushaltsreform ausdrücklich gewollt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben es doch kritisiert!)

— Sie müssen sich schon genau orientieren, bevor Sie einen Zwischenruf machen. Ich empfehle Ihnen, einmal das neue Haushaltsgesetz, die Haushaltsordnung zu lesen und sich über die Haushaltsreform zu informieren. Dann hätten Sie sich den Zwischenruf ersparen können. Wir haben aus der Praxis heraus lange darum gerungen, weil wir als Haushaltsausschuß illegetim, neben der Verfassung beraten haben. Wir haben durchgesetzt, daß dieser Haushalt gleichzeitig bei Bundesrat und Bundestag einzubringen ist. Damit haben wir einen neuen Tatbestand geschaffen.
Eines hat mich nun geärgert, Herr Kollege Leicht. Der Bundesfinanzminister hat mit aller Energie zu erreichen versucht

(Abg. Leicht: Ich habe das auch nicht kritisiert!)

— das werden Sie nicht bestreiten können; Sie haben das in der Sitzung des Haushaltsausschusses selbst erlebt —, daß niemand im voraus einen Haushaltsplan erhält. Damit sollte eine gleichzeitige Einbringung bei Bundestag und Bundesrat ohne vorherige Presse- und sonstige Indiskretionen erreicht werden. Er hat eine entsprechende Anweisung an die Ressorts gegeben. Einige Ressorts haben sich nicht an diese Anweisung gehalten,

(Abg. Haase [Kassel] : Aha!)

— einen Augenblick, Herr Haase, lassen Sie mich ausreden; so einfach, wie Sie es sich machen, geht es nicht —, sondern haben den Berichterstattern der Ressorts -den Haushaltsplan gegeben. Wir haben das moniert. Daraus nun abzuleiten, die Opposition sei schlechter informiert gewesen als wir, ist falsch.

(Abg. Leicht: Sie haben ,das Papier vom Finanzplanungsrat gehabt!)

— Das ist nicht wahr, Herr Leicht. Sie wissen ganz genau, daß ich den Haushaltsplan — Einzelplan 05
— an der Tür bekommen habe, als ich zur Sitzung des Haushaltsausschusses kam. Ihr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein hatte ihn als Mitberichterstatter angefordert. Auf diese Weise habe ich den Haushaltsplan auch bekommen. So ist der erste Einzelplan überhaupt erst ins Gespräch gekommen. Versuchen Sie hier doch nicht, die Sache auf den Kopf zu stellen, und sagen Sie nicht, die Opposition sei schlechter informiert worden. Das hier ist der einzige Punkt, in dem ich mit meinen Freund, dem Bundesfinanzminister Alex Möller, hadere. Ich habe nämlich den Eindruck, daß er Sie besser informiert als mich, und das ärgert mich ein bißchen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Mir kommen die Tränen!)

Herr Kollege Leicht, Sie haben beanstandet, daß dies oder jenes noch nicht vorliegt. Auch das hätten Sie ein bißchen anders darstellen sollen. Sie



Hermsdorf (Cuxhaven)

wissen ganz genau, daß wir § 94 mit Ihrem Einverständnis geändert haben. Der Bundesfinanzminister hat es gestern so dargestellt, als seien Sie die Initialzünder gewesen. Das stimmt nicht. Das waren Sie nicht. Wir haben uns untereinander verständigt und haben gesagt: um das einzuhalten und um die Frist zu verkürzen, versuchen wir, diesen Terminplan aufzustellen. Sie waren mit diesem Terminplan einverstanden. Sie und Herr Althammer haben das im Ausschuß genau dargelegt. Und weil Sie im Ausschuß etwas sachlicher sind als hier, Herr Althammer, haben Sie zugestanden — —

(Abg. Dr. Althammer: Ich habe ja noch gar nicht gesprochen!)

— Aber ich kenne Sie doch sonst. Wir beide brauchen uns doch nichts vorzumachen. Sie haben im Haushaltsausschuß wörtlich gesagt — ich zitiere —:
Das ist der Versuch des Bundesfinanzministers, an das englische System heranzukommen. Wir müssen sehen, ob das funktioniert.
Sie werden mir doch zugeben, daß dies bei der bisherigen Praxis, so wie es bisher gehandhabt worden ist, nicht mit einem Male zu erreichen ist. Aber der Wille des Bundesfinanzministeriums war vorhanden und ist zu würdigen und nicht ins Gegenteil umzukehren, als wären wir besser informiert gewesen als Sie.
Herr Leicht, ich komme auf die verschiedenen Punkte, die Sie angeschnitten haben, im Laufe meiner Ausführungen zurück. Nur einen Punkt habe ich mir nicht vorgenommen. Dazu möchte ich jetzt vorweg noch etwas sagen. Es handelt sich dabei um die Frage der Kreditfinanzierung und der Überschuldung. Ich darf wie folgt darauf antworten:
Wenn wir heute die Mittel des öffentlichen Kredits, der Kreditfinanzierung für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, für die Durchsetzung unserer konjunkturpolitischen Ziele heranziehen, dann ist das nicht leichtfertiges Verhalten oder mutloses Ausweichen, dann ist das die Umsetzung der wirtschaftstheoretischen Erkenntnisse, der währungspolitischen Notwendigkeiten in konkrete politische Entscheidungen. Ich erlaube mir auch hier noch einmal die Feststellung, daß die Vorstellung, ein Haushalt sei nur dann ausgeglichen, wenn ordentliche Einnahmen und ausgewiesene Ausgaben sich die Waage halten,

(Abg. Leicht: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

endgültig der Vergangenheit angehören. Auch in der Wirtschaft kann man den Kredit nicht streichen. Ohne Kredit gibt es keine Wirtschaft. Ohne ein modernes Geld- und Kreditsystem ist eine moderne Wirtschaft nicht möglich. Und eine moderne Staatsführung kann auf das Mittel des Kredits genauso wenig verzichten wie die private Wirtschaft und ihre Unternehmenstätigkeit. Es gibt keinen absoluten, d. h. gültigen prozentualen Dauermaßstab für die Zulässigkeit der staatlichen Verschuldung.
Das ist nicht von mir, sondern von Ihrem Kollegen Strauß hier in diesem Hause ausgeführt worden.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. Abg. Leicht: Ich habe mich doch nur gegen das Maß gewandt!)

— Es gibt keinen Dauermaßstab.

(Abg. Leicht: Maßstab und Maß ist etwas anderes!)

— Ich verstehe, daß man in der Opposition natürlich etwas anderes reden muß als in der Regierung.

(Abg. Strauß: Das Zitat war der beste Teil Ihrer Rede! — Heiterkeit bei der CDU/ CSU.)

— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Strauß, ich habe Ihren phantastischen Zwischenruf nicht verstanden.
Lassen Sie mich nun zu den Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Haushalt kommen. Hier muß ich wieder im Gegensatz zu Kollegen Leicht sagen, daß für mich dieser 19. Februar ein stolzer Tag ist. An diesem Tag kann ich im Namen meiner Fraktion zu dem Etatentwurf für 1970 und zu dem fünfjährigen Finanzplan Stellung nehmen. Das geschieht zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, die diesen Etat, den gestern der Bundesfinanzminister hier begründete, am 23. Januar verabschiedet hat. Sie werden, auch wenn es weh tut, verstehen, daß diese Tatsache uns mit Freude und Genugtuung erfüllt,

(Beifall bei der SPD)

zumal das umfangreiche Zahlenwerk bei uns allen Kleinmut und allen Zweifel an der Durchführbarkeit des Regierungsprogramms vom 28. Oktober beiseite wischt, auch wenn die Opposition sich seit Wochen mit diesem Tatbestand noch nicht hat abfinden können, auch das zeigt Ihre Rede. Es wischt die Zweifel, die Sie geäußert haben, beiseite.
Dem Bundesfinanzminister ist es trotz aller vorgegebenen Schwierigkeiten gelungen, eine solide Finanzplanung für 1970 und die Folgejahre vorzulegen, die sowohl den besonderen konjunkturpolitischen Erfordernissen des Jahres 1970 als auch der Zielsetzung des Regierungsprogramms und der Regierungserklärung entspricht. Damit haben wir erneut eine Probe der handwerklichen und intellektuellen Könner- und Kennerschaft von Alex Möller bekommen, der weiß Gott nicht der Mann ist, dem man finanzpolitisches Vabanquespiel vorwerfen kann.
Der Projektierung des Haushalts 1970 waren zwangsläufig Maßstäbe durch die konjunkturelle Lage gesetzt. Ich halte es deshalb für notwendig, daß ich bei der Betrachtung des Haushalts die Frage, ob dieser Haushalt antizyklisch oder prozyklisch ist, erläutere. Der Etat 1970 steht schon bei der Planaufstellung unter der gesamtwirtschaftlichen Verpflichung des Art. 109 des Grundgesetzes. Meine persönliche Auffassung ist — und, Herr Leicht, da unterscheiden wir uns nun wirklich —, daß noch



Hermsdorf (Cuxhaven)

niemals ein Etat, ein Haushalt, so restriktiv geplant wurde wie der vorliegende.

(Oh-Ruhe bei der CDU/CSU.)

— Augenblick, das ist meine Auffassung; ich werde das hier erläutern. Sie können das daraus ersehen, daß erstens kein Nettokreditbedarf des Bundes anfällt, solange die Konjunktursperre gegeben ist, und daß zweitens durch die vorläufige Haushaltsführung bis zum Inkrafttreten des Bundeshaushalts 1970 ein restriktiver Überschuß entsteht. Herr Leicht, das haben Sie völlig ausgeklammert.

(Abg. Leicht: Nein, ich habe es sogar mit dem Vorjahr verglichen!)

— Ja, nur muß ich Ihnen sagen, wenn Sie die Methode des einen Zwölftels als Maßstab anwenden
— wir wissen doch alle, wann dieser Haushalt schließlich verabschiedet wird, wie lange wir ihn beraten werden, wann er im Bundesgesetzblatt verkündet sein wird usw. —, dann müssen Sie doch zugeben, daß Ihre Zuwachsrate, die Sie dann sozusagen als Anheizung der Konjunktur betrachten, überhaupt nicht mehr zutrifft. Das ist doch einfach vorgegeben durch den Zeitplan, den wir jetzt haben, mit dem wir uns beschäftigen.

(Abg. Leicht: Bis der Haushalt in Kraft tritt, ist die Sperre außer Kraft!)

Drittens muß ich sagen, daß bei der Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage in Abstimmung — in Abstimmung, Herr Leicht — mit idem Bundesrat Schuldentilgung im Gegensatz zum Vorjahr nicht anrechenbar ist.

(Abg. Leicht: Mit Zustimmung des Bundesrates! — Weiterer Zuruf des Abg. Strauß.)

Auch hier muß ich sagen — Herr Kollege Strauß, wir werden ja noch im Laufe des Vormittags das Vergnügen haben, Sie zu hören —, Sie können die Sperre von 1,8 Milliarden DM, die Sie 1969 im Haushalt hatten, mit dieser Sperre überhaupt nicht vergleichen, denn bei Ihren 1,8 Milliarden DM war ja die Austauschbarkeit möglich; sie wurde wenigstens praktiziert. Hier ist eine neue Form, auf die ich noch zurückkommen werde.
Ich gebe zu, Herr Leicht — vielleicht sind Sie so freundlich, das noch zur Kenntnis zu nehmen —, es kann natürlich darüber unterschiedliche Auffassungen geben, ob nicht noch mehr gekürzt oder noch mehrgesperrt werden sollte als vorgesehen. Darüber muß in der Ausschußberatung gesprochen werden. Der Kollege Stoltenberg hat ja schon angedeutet, Sie wollten da noch mehr. Ich bin nur sehr gespannt — und hier bin ich der Auffassung meines Kollegen Kirst —, in welcher Richtung bzw. bei welchen Sachgebieten diese Sperren oder diese Kürzungen liegen werden. Das wird ja dann das eigentliche interessante Politikum werden.
Daß ich aber, Herr Leicht, mit der Auffassung hinsichtlich der Konjunkturgerechtigkeit des Haushalts nicht allein stehe, zeigt außer einer Anzahl sachverständiger Stimmen, auch in der 'Fachpresse, auch der Bericht der Bundesbank.

(Abg. Leicht: Nur teilweise!)

Nun werden Sie sagen — Augenblick, darauf komme ich gleich —, wir zitierten die falsche Stelle. Entschuldigung, Sie zitieren Seite 21, wir zitieren die Seiten 9 und 19. Darüber können wir reden. In der Tendenz ist aber ganz klar, daß von „antizyklisch" gesprochen wird. Ich komme noch an einer anderen Stelle darauf, wo ich nicht den Bericht der Bundesbank nehmen werde, wo ich Ihnen aber sagen werde, was der Bundesbankpräsident in einer Rede zu diesem Punkt gesagt hat, wo er insbesondere noch einmal auf den Bundeshaushalt und auf diese Dinge abgehoben hat.
Die gewählte Form — ich spreche jetzt von der Form der Konjunktursperren — ist neu und ist ungewöhnlich, das gebe ich zu, aber sicher wirksamer als 1969. Ich will Ihnen sagen, warum. Anders als bisher und als im Vorjahr werden die Sperren einzeln und konkret im Haushaltsgesetz 1970 fixiert. Sie sind nicht austauschbar gegen andere Minderausgaben wie im Vorjahr. Die Sperre kann nicht allein vom Bundesfinanzminister aufgehoben werden, sondern nur auf seinen Antrag im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister durch Beschluß der Bundesregierung und auch nur, wenn es die Bedingungen des Stabilitätsgesetzes erfordern oder zulassen. Ob und in welchem Ausmaß dieser Fall in der zweiten Jahreshälfte 1970 gegeben sein wird, ist heute noch nicht vorauszusehen.
Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand. Wenn der Eventualhaushalt im Rahmen des Haushalts 1970 bereits gesetzlich bewilligt ist, bedarf es für den Fall einer Konjunkturstützung nicht erst der Ausarbeitung eines neuen Konjunkturförderungsprogramms durch die Bundesregierung nach § 6 des Stabilitätsgesetzes, und es erübrigt sich, das parlamentarische Verfahren zur Bewilligung zusätzlicher Ausgaben nach § 8 des Stabilitätsgesetzes in Gang zu setzen. Billigt das Parlament das Haushaltsgesetz 1970, so verzichtet es also nicht in der Sache auf eine Entscheidung über ein Programm zur Konjunkturstützung.

(Abg. Leicht: Aber der Zeitpunkt!)

— Allerdings hat es keinen Einfluß mehr auf den Zeitpunkt; das gebe ich Ihnen zu.
Bedeutet das nun eine möglicherweise unerträgliche Einengung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte? Das ist die Frage für die Gestaltung der Konjunkturpolitik. Ich würde bis zum Beweis des Gegenteils sagen: nein. Denn das Parlament berät im Rahmen des Haushaltsplans 1970 auch die aus konjunkturellen Gründen gesperrten Titel — wie alle anderen Bewilligungen. Es kann die Sperrung kürzen, streichen oder — wie Herr Stoltenberg angekündigt hat — verstärken. Der Gesetzgeber übt daher bei den gesperrten Titeln das Budgetbewilligungsrecht voll aus. Das ist mehr als das Verfahren nach § 8 des Stabilitätsgesetzes. Nach diesem § 8 in Verbindung mit § 42 der neuen Bundeshaushaltsordnung ist bei konjunkturpolitisch bedingten zusätzlichen Ausgaben die Mitwirkung des Parlaments vorgesehen. Hier aber gehen wir weiter; das sehen Sie doch sicher ein.



Hermsdorf (Cuxhaven)

Im übrigen hat das Parlament im Regelfall beim Vollzug der von ihm bewilligten Etatmittel auch kein Mitwirkungsrecht. Die Exekutive ist hier frei und trägt im Etatvollzug die volle Verantwortung für den Zeitpunkt der Durchführung und für die eventuelle Unterschreitung. Daher ist die Beteiligung des Parlaments bei der Aufhebung der Konjunktursperren, z. B. bei deren Umwandlung in qualifizierte Sperrvermerke, nicht erforderlich. Allerdings erwarten wir von der Bundesregierung eine eingehende und schnelle Information des Parlaments über ihre Maßnahmen, wie ja ohnehin die Informationspflichten der Regierung nach der neuen Bundeshaushaltsordnung verschärft worden sind.
Eine andere Frage, die mich persönlich nachdenklich macht, ist der starke öffentliche Einsatz von investiven Maßnahmen für die Konjunktursteuerung. Die investiven Ausgaben des Bundes sind, eingebettet in die mittelfristige Finanzplanung 1973, für den Bundeshaushalt mit rund 14 Milliarden DM veranschlagt. Die Konjunktursperre in Höhe von 2,7 Milliarden DM bedeutet also zunächst eine Kürzung um ein Fünftel des anerkannten Bedarfs. Wenn wir nun sperren, ist das zweifellos ein harter Eingriff, auch ,dann, wenn nach der Durchsicht des Katalogs der Sperren die von der Regierung vorgenommene Auswahl als sehr abgewogen angesehen werden muß

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— entschuldigen Sie, das ist meine Meinung — auch wenn die Sperrung zunächst keinen endgültigen Verzicht auf die Durchführung der investiven Maßnahmen bedeutet.
Im Prinzip stimme ich natürlich dem zu, was Bundesbankpräsident Dr. Klasen bei seinem Amtsantritt am 13. Januar dieses Jahres sagte. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:
Bedenkt man, wie gering meist die praktischen Nachteile sind, wenn eine öffentliche Investition um ein halbes oder ganzes Jahr später begonnen wird, betrachtet man andererseits den großen volkswirtschaftlichen Nutzen, den eine kurze Verschiebung bewirken würde, so kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich auch bei den Ländern und Gemeinden
— darauf bezieht er sich —
Neigung zu antiziyklischem Verhalten finden wird.
In Anerkennung dieser Feststellungen bleibt dennoch ein gewisses Unbehagen, wenn schon im Jahre 1969 und nun erneut im Jahre 1970 die ohnehin knappen und hinter dem immensen Bedarf nachhinkenden Investitionen für die öffentliche Infrastruktur den Löwenanteil für die antizyklische Finanzpolitik tragen. Denn das Nachholen dieser sozusagen für den Gleichgewichtspfad der mittelfristigen Zielprojektion und Finanzplanung vorgesehenen Maßnahmen, die hier aus konjunkturellen Gründen gesperrt worden sind, darf nach den Regeln konjunkturgerechter Finanzpolitik erst dann erfolgen, wenn die Konjunkturspannungen überwunden sind. Es erfolgt also hier eine Verzögerung. Die Frage ist einfach, ob nicht die Deckung des immensen Bedarfs an öffentlichen Investitionen, den wir haben, und die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben, die dringend auf der Tagesordnung stehen, durch eine sehr strenge konjunkturelle Lage bis zu einem gewissen Grade zwangsläufig ein wenig verzögert werden. Das ist die Frage, die wir hier zu entscheiden haben und über die im Ausschuß sehr ausführlich zu diskutieren sein wird.
Ich bitte nun aber meine Ausführungen nicht so zu verstehen, — — Doch ich sehe, Herr Dr. Martin ist nicht da; da kann ich mir das also schenken.
Nach diesen konjunkturpolitischen Bemerkungen möchte ich jetzt zu den Schwerpunkten kommen und sie mit der Regierungserklärung vergleichen. Das ist für uns der Kernpunkt: Wieweit steht die Regierungserklärung in Übereinstimmung mit dem Haushalt 1970 und der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung? Bei der Etatberatung wird über Absichten und Taten anhand von Daten geredet, und hier wird also aufgezeigt, was anhand des 70er Etats vorgenommen wird und was in der mittelfristigen Finanzplanung gilt.
Die Frage der Vorbelastungen, über die der Herr Bundesfinanzminister schon ausführlich gesprochen hat, möchte ich jetzt einmal weglassen. Aber, Herr Leicht, da muß ich Sie noch einmal zitieren. Sie haben vorhin den Vorwurf zurückgewiesen, daß die Vorbelastungen nicht intern fortgeschrieben worden seien. Herr Leicht, ich mache auf das aufmerksam, was Sie im Haushaltsausschuß in der Diskussion über die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung gesagt haben. Dort haben Sie am 3. Juli 1969 ausgeführt, daß ganz erhebliche Veränderungen auf uns zukommen würden und daß Sie die Befürchtung hätten, ,daß für 1970 kein finanzieller Spielraum mehr vorhanden sein werde. Das haben Sie gesagt.

(Abg. Leicht: Wenn das kommt!)

Damit bestätigen Sie das, was der Bundesfinanzminister gesagt hat, nämlich daß er eben wegen der Vorbelastung keinen finanziellen Spielraum vorgefunden hat und daß alles, was nun zu machen war, sozusagen durch neue Konzeption neu durchdacht, entwickelt und festgelegt werden mußte. Diesen Handlungsspielraum dennoch geschaffen zu haben für die Maßnahmen, die diese Regierung getroffen hat, das ist nun wirklich das Verdienst des jetzigen Bundesfinanzministers.
Um diesen Erfolg zu verdeutlichen, muß ich als Sprecher meiner Fraktion — trotz der Gefahr von Wiederholungen — mit Nachdruck auf einige Schwerpunkte des Etats verweisen. Die politischen Prioritäten, die von der neuen Regierung verbal in der Regierungserklärung gesetzt wurden und die nun, gestützt auf konkrete Zahlen, ihrer Realisierung entgegengehen, werden durch den fünfjährigen Finanzplan bis 1973 noch deutlicher, als in den Haushaltsansätzen dokumentarisch festgelegt ist. Folgende Bereiche treten besonders plastisch hervor: die im weiteren Sinne gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der SPD-geführten Koalition, die zukunftsorientierten Ausgaben für Bildung und Wissenschaft, der weitere Ausbau des Verkehrswesens



Hermsdorf (Cuxhaven)

und die wachstumsfördernden Strukturmaßnahmen einschließlich Agrarbereich und Städtesanierung. Die Zeit erlaubt es mir nicht, auf alle wichtigen Fragen einzugehen. Ich will nur einige Punkte hervorheben.
Bundeskanzler Brandt hat in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 an die Spitze der inneren Reformen den Bereich Bildung und Ausbildung sowie Wissenschaft und Forschung gestellt.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Wollen Sie das bezweifeln, daß er diesen Bereich an die Spitze gestellt hat, oder sind Sie da krank gewesen?

(Abg. Wehner: Er ist jetzt krank! — Heiterkeit.)

Im Finanzplan bis 1973 wird dem Rechnung getragen durch Verdoppelung der Ausgaben für diesen Bereich und durch das Anwachsen ihres Anteils an den gesamten Bundesausgaben von 3,1 auf 5%. Zwar hatte bereits die letzte Finanzplanung schon 1969 — das gebe ich hier zu; da waren wir ja mit in der Regierung, wir können also genau ausrechnen, wer da angeheizt hat — dem Einzelplan 31 eine überdurchschnittlich hohe Zuwachsrate eingeräumt; diese überdurchschnittliche Zuwachsrate ist aber jetzt 1970 und in .der mittelfristigen Finanzplanung qualitativ und quantitativ noch wesentlich verbessert worden.

(Abg. Dr. Althammer: Wie hoch?) — Verlassen Sie sich darauf!

z. B. wird 1970 bereits von den 870 Millionen DM für den Hochschulausbau und -neubau ein Teilbetrag für ein auch vom Wissenschaftsrat empfohlenes Schnellbauprogramm vorgesehen. Eine erste Rate von 44 Millionen DM wurde den Ländern schon zur Verfügung gestellt. Ziel ist zunächst die Schaffung von rund 12 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen an den Hochschulen. Dieses Schnellprogramm wird wirksam dazu beitragen, die mit Numerus clausus verbundenen unwürdigen Verhältnisse an unseren Universitäten zu mildern, die für alle lernwilligen jungen Menschen nicht länger zumutbar sind.
Aber, Herr Althammer, in engerem Zusammenhang damit steht die in die Zukunft gerichtete Ausbildungsförderung. Am 1. Juli 1970 tritt das Ausbildungsförderungsgesetz, maßgeblich von der SPD-Fraktion gestaltet, in Kraft.

(Ah!-Rufe von der Mitte.)

— Aber, Herr Baier, wenn wir nach Ihren Vorstellungen gegangen wären, wären wir ja bei 1870 gelandet. Denken Sie doch an die Diskussion, die wir hier in dieser Frage um das Ausbildungsförderungsgesetz gehabt haben!

(Beifall bei der SPD.)

Dieses Gesetz gilt nicht nur für wenige bevorzugte Bildungszweige, sondern es umfaßt den Besuch aller Ausbildungsstätten nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht und schafft auf diese Weise einen nahtlosen Anschluß an die bereits vorhandene Studentenförderung. Der Bundeshaushalt 1970 sieht
erstmals für das zweite Halbjahr 192 Millionen DM vor, für da Jahr 1971 rund 400 Millionen DM. Insgesamt werden die Bundesmittel für die Ausbildungsförderung, die Studentenförderung und den Studentenwohnheimbau von 1970 bis 1973 mit einer Verdreifachung überdurchschnittlich anwachsen, und zwar dann auf insgesamt 1 Milliarde DM.
Im Verlaufe dieser Etatberatung wird noch auf den Bildungsbereich eingegangen werden müssen. Ich möchte diesen einen Punkt nur erwähnen und verweise auf die noch folgenden Sprecher meiner Fraktion.
Weiter hat das Städtebauförderungsgesetz gesellschaftspolitische Bedeutung. Vorhin hat hier Herr Leicht gesagt, da seien ja nur Anfangsbeträge usw. eingesetzt. Immerhin, Herr Leicht, bis 1973 sind 275 Millionen DM veranschlagt. Aber jetzt muß ich Sie auch in aller Deutlichkeit fragen: Warum ist denn das Städtebauförderungsgesetz in der Großen Koalition nicht zustande gekommen?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Warum wurde nichts eingesetzt? Weil es hier völlig unterschiedliche Auffassungen quer durch die Fraktionen und die Länder gab und wir nicht weiterkamen. Daß es jetzt geschafft worden ist, zeigt doch auch wieder, daß wir hier vorangehen, und zeigt das Verhandlungsgeschick des Bundesfinanzministers.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Leicht: Das ist noch nicht geschafft!)

Das gleiche, was Sie gesagt haben, gilt für Krankenhäuser. Auch hier haben Sie gesagt, es handele sich nur um einen Teilbetrag. Nun gut, die Übernahme des Schuldendienstes für ein Drittel durch den Bund ist natürlich ein Fortschritt. Herr Leicht, so geht es eben nicht, daß Sie uns sagen, für das Städtebauförderungsgesetz sei zu wenig eingesetzt, da sei doch gar nichts, und für die Krankenhausfinanzierung sei auch noch gar nichts da. Gleichzeitig versuchen Sie nachzuweisen: Ihr gebt viel zu viel aus, 13,5 %! — Das stimmt nicht, das alles ist unmöglich. Da ist ein Bruch in Ihrer Argumentation und nicht in unserer, Herr Leicht.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Leicht: Ich habe mich mit Ihren Versprechungen auseinandergesetzt!)

Dasselbe gilt für den Familienlastenausgleich. Hier ist von seiten der CDU lautstark durch das ganze Land getönt und eine Verbesserung versprochen worden. Die von der CDU gestellten Ressortminister, die die Sache in der Vergangenheit hier bearbeitet haben, haben Fehlanzeigen gemeldet. Es tut mir leid. Ich sage hier ausdrücklich, daß es nicht allein die Schuld des von mir sehr geschätzten Kollegen Heck und unserer verehrten Frau Kollegin Brauksiepe war. Sie sind hier am Finanzminister gescheitert. Das ist gar keine Frage. Aber daß Sie lautstark getönt haben und nichts eingesetzt wurde, ist ein Tatbestand, der nicht bestritten werden kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603102000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Baier?




Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603102100
Herr Kollege Hermsdorf, können Sie sich erinnern, daß in der Zeit, wo Herr Heck Familienminister war, ein Gesetz über Ausbildungszulagen mit einem Volumen von 400 Millionen DM als Beitrag zum Familienlastenausgleich in diesem Bundestag beschlossen wurde und daß es im wesentlichen die SPD und die FDP waren, die dieses Gesetz hier wieder vom Tisch gefegt haben?

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603102200
Dies ist nicht der Kernpunkt, Herr Baier.

(Ah!-Rufe von der CDU/CSU.)

Dieses Gesetz umfaßt nicht den Familienlastenausgleich als Ganzes.

(Abg. Baier: Aber sicher!)

Aber Sie wissen auch genau, warum es gescheitert ist: weil Ihre Vorstellungen in dieser Frage in gar keiner Weise mit den Vorstellungen der FDP und unseren Vorstellungen zu decken waren. Daran ist es gescheitert und nicht an finanziellen Mitteln.

(Abg. Dr. Althammer: Genau daran!)


— Augenblick, das werde ich Ihnen gleich nachweisen.
Herr Althammer, ich bin gar nicht sicher, ob Sie so viel Kinder haben wie ich. Deshalb habe ich vielleicht mehr für die Familien übrig als Sie.

(Heiterkeit und Zurufe.) — Gut, sind wir uns also wieder einig.

Aber es gibt keinen Zweifel — das sage ich noch einmal —, daß Sie in der Frage des Familienlastenausgleichs quer durchs Land gezogen sind, und wenn Sie dann Ihre Verantwortung bedenken, müssen Sie zugeben, daß doch am Schluß sehr wenig herausgekommen ist. Das ist auch klar. Ich habe Ihnen auch gesagt, wo die Schwierigkeiten liegen.
Aber von dieser Regierung und von diesem neuen Finanzminister sind für das Kindergeld sofort Mittel eingesetzt worden, und zwar im Haushalt 1970 zunächst 95 Millionen DM und für 1971 390 Millionen DM. Ich möchte Ihnen auch sagen, daß wir nicht nur für das Kindergeld, sondern auch für das Wohngeld, das ich auch zu dem Familienlastenausgleich zähle, Mittel eingesetzt haben, und zwar 290 Millionen DM, und daß sich diese Mittel bis 1973 auf 900 Millionen DM erhöhen werden. Sie werden daran erkennen müssen, daß bei Ihnen zwar sehr viel davon geredet worden ist, daß aber die Praktizierung des Familienlastenausgleichs von dieser neuen Regierung als erstes in Angriff genommen worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Dasselbe gilt für die Kriegsopferversorgung. Meine Damen und Herren, am 21. Oktober wurde der Bundeskanzler gewählt. Am 22. Oktober wurde die neue Regierung gebildet. Am 28. Oktober kündigte der Bundeskanzler in der Regierungserklärung an, daß die Kriegsopfer eine Verbesserung ab 1. Januar 1970 erhalten. Am 20. Januar beschloß das Bundeskabinett den Gesetzentwurf. Am 21. Januar
haben die beiden Koalitionsfraktionen diesen Gesetzentwurf als Initiativantrag angenommen und hier eingebracht. Wir haben eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung erreicht, nicht wie ursprüngllich vorgesehen, sondern wesentlich höher, und haben die Sache noch dynamisiert. Wir haben eine Verbesserung um 16 % und bei den Witwen um 25 %. Die Kriegsopferversorgung steigt von 7,1 Milliarden im Jahre 1970 auf 8,2 Milliarden im Jahre 1973 bei Rückgang der Zahl der Empfänger. Hier, muß ich sagen, ist wirklich vom ersten Tag an gehandelt worden, und Sie sind im Bundesrat mit Ihrer Verzögerungstaktik durch die CDU-regierten Länder gescheitert. Das muß hier festgehalten werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baier: Das war billig!)

— Das war nicht fair? Aber es war Tatsache; das tut mir leid.

(Abg. Baier: Das war billig!)

Im engeren Bereich der Sozialpolitik möchte ich noch anmerken, daß der Zuschuß an die Rentenversicherung — Arbeiter, Angestellte und Knappschaft
— auf 10,8 Milliarden DM im Jahre 1970 und auf 15 Milliarden DM im Jahre 1973 anwächst. Der Bund leistet mit dieser Einkommensumverteilung einen erhöhten Beitrag für einen sorgenfreieren Lebensabend der über 9 Millionen Sozialversicherten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, wie stark die sozialen Maßnahmen im Regierungsprogramm sind. Für die ganze soziale Sicherung sind im Haushalt — hier meine ich nicht nur den Einzelplan 11, sondern dazu noch Pensionäre usw. — bis 1973 27 Milliarden DM für Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden, Renten- und Pensionsberechtigte sowie Kriegsopfer und Versorgungsberechtigte, ausgewiesen. Das sind 24,3 % der gesamten, im Jahre 1973 111 Milliarden DM betragenden Bundesausgaben. Ich sage das, um deutlich zu machen, in wie starkem Maße der Bundesetat durch soziale Verpflichtungen geprägt ist.

(Abg. Leicht: In der Vergangenheit auch!)

— Verzeihung, Herr Leicht, jetzt zwingen Sie mich dazu, das, was ich eigentlich nicht so stark betonen wollte, doch noch stärker hervorzuheben. Wir werden in der mittelfristigen Finanzplanung nach den jetzigen Voraussagen erleben, daß der Prozentsatz der sozialen Maßnahmen viel höher liegen wird als vorher.

(Abg. Leicht: Der Prozentsatz vom gesamten Etat nimmt ab!)

— Das stimmt nicht, Herr Leicht, nicht bis 1973. Was danach kommt, kann ich heute noch nicht sagen. Darüber können wir uns dann unterhalten. Es steht fest, daß dieses Volumen andere Etats übersteigt und daß durch die Erhöhungen im ganzen sozialpolitischen Bereich klargemacht worden ist, daß wir das nicht nur in der Regierungserklärung als einen Ansatz von Reformen haben, sondern hier schlägt sich das in Zahlen nieder.



Hermsdorf (Cuxhaven)

Meine Damen und Herren, aus meinen Ausführungen sollte deutlich werden, was der Bundesfinanzminister unter seiner Forderung versteht, daß die Finanzpolitik ein Instrument der Gesellschaftspolitik zu sein hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht deutlich geworden!)

— Das liegt natürlich an dem unterschiedlichen Verständnis; tut mir leid.

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU: Des Darstellers!)

— Ich habe es versucht; wenn Sie es nicht begriffen haben, kann ich auch nichts dafür.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wenn wir den Maßstab der Regierungserklärung an den Etat für 1970 anlegen, so können wir feststellen, daß auf diesem Sektor die Ankündigungen der neuen Koalition in die Tat umgesetzt wurden. Es waren also keine leeren Worte, wenn Bundeskanzler Brandt am 28. Oktober 1969 seine besondere Sorge für die Mitbürger zum Ausdruck brachte, die trotz Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung im Schatten leben müssen, die durch Alter, Krankheit oder strukturelle Veränderungen gefährdet sind.
Die SPD-Fraktion steht zu dem Wort ihres Kanzlers, den Benachteiligten und Behinderten in Beruf und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chancen zu eröffnen. Bundeskanzler Brandt hat genau gewußt, wen er sich als ersten sozialdemokratischen Finanzminister des Bundes in sein Kabinett geholt hat. Der Mann, der bisher für die SPD deren Regierungsprogramm während dreier Wahlkampagnen auf solide finanzielle Grundlage gestellt hat, tut dies nun für die SPD-geführte Bundesregierung. Nicht wir, seine Parteifreunde, sondern die wach und kritisch beobachtende Presse hat Alex Möller bereits mit Respekt den Titel „Financier der inneren Reformen" beigelegt.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Als Kollege, der ich das harte und verantwortungsreiche Metier des Finanzministers sehr gut kenne, scheue ich mich deshalb nicht, bei diesem ersten offiziellen Anlaß Alex Möller zu danken für seine Bereitschaft, in der Regierungsmannschaft Willy Brandts dieses unbequeme Amt auf sich zu nehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Im Namen der gesamten sozialdemokratischen Fraktion versichere ich dem Bundesfinanzminister persönlich und der gesamten Bundesregierung unsere loyale Unterstützung, damit wir miteinander 1973, am Ende dieser Wahlperiode, eine erfolgreiche Schlußbilanz vorlegen können, zum Wohle unseres ganzen Volkes, dem Sie sich auch nicht verschließen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603102300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603102400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erkenne die Richtigkeit der von uns getroffenen haushaltsrechtlichen Änderungen, die ich selbst eingeleitet habe, durchaus an und begrüße es, daß beide Häuser gemäß Art 110 Abs. 3 des Grundgesetzes gleichzeitig informiert werden. Das bedeutet aber nicht, daß angesichts der bedeutsamen finanzpolitischen Probleme — Haushalt 1970, Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung — die Mitglieder dieses Hohen Hauses, wenn sie am 19. Februar zu diskutieren haben, erst am 16. Februar mittags diese Vorlage bekommen.

(Hört! Hört! und Zustimmung bei der CDU/ CSU.)

Um Haushaltsgesetz, Gesamthaushalt, Einzelpläne und Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung sachlich, kritisch, objektiv prüfen und darüber diskutieren zu können, bedarf der einzelne Abgeordnete, dem ein weiniger großer oder überhaupt kein Apparat zur Verfügung steht, eines wesentlich längeren Zeitraumes.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Ich kann mich nicht erinnern — —


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603102500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hermsdorf?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603102600
Wird das von der Redezeit abgezogen?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603102700
Nein.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603102800
Ich habe vor, einige hundert Sätze zu sagen. Wenn Sie jetzt schon fragen, dann müssen Sie aber Brotzeit mitbringen.

(Heiterkeit.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603102900
Herr Kollege Strauß, ich anerkenne, daß es schwierig ist, wenn Sie den Haushaltsplan erst jetzt bekommen haben. Aber Sie haben mit Recht gesagt

(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

— Augenblick —, nach den Maßstäben, die wir gesetzt haben, ist das so vorgeschrieben und nicht anders möglich. Entweder wollen Sie das englische System, dann müssen Sie .das in Kauf nehmen, oder Sie wollen das nicht, dann müssen Sie wieder von der Reform herunter.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603103000
Ich glaube nicht, daß Art. 110 Abs. 3 GG vorschreibt, daß die Abgeordneten erst 72 Stunden oder 70 Stunden vor Beginn der Aussprache so bedeutsame, umfangreiche finanzpolitische Vorlagen bekommen dürfen, ansonsten die Verfassungsbestimmung nicht eingehalten Wird.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich will mich nicht über das, was der Kollege Leicht „Informationssperre" oder andere „Maulkorberlaß„ genannt haben, hier noch im einzelnen verbreiten.

(Zuruf des Abg. Hermsdorf.)




Strauß
— Nein, ich habe es übernommen. Ich bin auch ein guter Futterverwerter genau wie einige Ihrer Regierungsmitglieder. — Denn ;für diese Informationssperre den Art. 110 Abs. 3 GG zu strapazieren, ist eine etwas — lassen Sie mich es so sagen — sehr extensive oder intensive — je nachdem, wie man es auffaßt — Auslegung der Verfassung. Aber wenn eine Debatte gründlich geführt und dementsprechend gründlich vorbereitet werden soll, ist ein längerer Zeitraum der Prüfung erforderlich. Ansonsten ist es einfach nicht möglich, die Fragen zu prüfen, für deren Vorbereitung und Ausarbeitung Stäbe von Hunderten von Beamten und Experten monatelang tätig gewesen sind. Darüber gibt es doch wirklich keinen Zweifel.
Ich darf zweitens sagen: ich bedaure es, daß — ich rede im gleichen Stil — mein Herr Amtsnachfolger mehr aggressive Polemik gegen seinen Amtsvorgänger als ausgewogene Darstellung der Zusammenhänge und Absichten geboten hat.

(Beifall bei der CDU.)

Er hat damit eine Schärfe der Diskussion provoziert, Herr Kollege Hermsdorf,

(Lachen bei der SPD)

wie sie sonst bei diesem Anlaß noch von keinem Finanzminister verursacht worden ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Es dürfte jetzt das 21. Mal sein, daß ich aktiv oder passiv die Einbringung eines Haushalts als Abgeordneter miterlebe, und ich kann mich nicht erinnern, daß bei den 20 vorhergegangenen Einbringunasreden jemals in dieser Weise gesprochen worden ist,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Der neue Stil!)

wenn ich z. B. an die Einbringung meines ersten Haushalts denke

(Zurufe von der SPD)

— ach, darüber würde ich nicht lachen — und an die
Würdigung meines Kollegen Dahlgrün, dessen
schwierige Situation ich sehr wohl verstanden habe.
Aber das ist um so bemerkenswerter, als die meisten Vorgänge, die der Bundesfinanzminister ebenso wortgewandt wie leider in der Sache unsicher und zum Teil falsch zum Gegenstand seiner Ausfälle machte,

(Oho-Rufe von der SPD)

von beiden Koalitionsparteien der letzten Bundesregierung zu verantworten sind

(Zuruf von der CDU/CSU: Davon will er nichts mehr wissen!)

— auch von der SPD — und nicht auf die Alleinverantwortung des Bundesfinanzministers gehen, wie es das Möllersche Finanzgrusical einer nicht über die Einzelheiten informierten Öffentlichkeit vorzaubern möchte.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Wenn aber die Finanzplanung, die hier Straußsche Finanzplanung genannt wird, als das Buch meiner Schuld dargestellt wird, bekenne ich mich gern dazu,

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

wenn die Konsolidierung der Bundesfinanzen, die erwirtschafteten Überschüsse und die Schuldentilgung dann in Zukunft von Herrn Möller auch als mein Verdienst, als Straußsche Erfolgsplanung, hervorgehoben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin der Meinung, daß das eine ebensowenig richtig wäre wie das andere. Was an Mehrbelastungen über die alte Finanzplanung hinaus zustande gekommen ist, das sind doch nicht die finsteren geheimen Machenschaften des Finanzministers, die er hinter dem Rücken seiner Kabinettskollegen und des Parlaments in aller Heimlichkeit unternommen hat. Es ist doch nichts anderes als das, was dieses Hohe Haus und die Regierung der Großen Koalition beschlossen haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Dr. Stark [Nürtingen] : Davon wollen sie nichts mehr wissen!)

Zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zum Haushalt 1970 und zur mehrjährigen Finanzplanung!
Da ist einmal die bereits vom Kollegen Leicht erwähnte Zuwachsrate 1970 gegenüber 1969 mit Sperre 8,8% ausgewiesen, ohne Sperre 12,1%. Zur Frage der Sperre hat sich Kollege Leicht geäußert. Er hat mit Recht dargestellt, daß sie entgegen Ihren Ausführungen, Herr Minister Möller, nicht recht glaubwürdig ist. Denn entweder sind in der Sperre auch Ausgaben aufgeführt, von denen Sie mit gutem Gewissen annehmen können, daß sie nie fällig werden, oder Ausgaben, die zwingend getätigt werden müssen.

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

Die überflüssigen kann man ruhig in die Sperre aufnehmen, und die anderen müssen sowieso erfolgen.

(Abg. Baier: Sehr richtig!)

Das ganze nennt man dann eine Art Sperrenkosmetik, aber nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn wenn darin Mittel für den Hochschulbau gesperrt sind — angesichts der hohen Priorität, die dem Hochschulbau in dem Regierungsprogramm zugemessen ist —, dann muß ich fragen: will man hier entweder wirklich kürzen, hält man diese Ausgaben für überflüssig, für verschiebbar in das Jahr 1971, oder nimmt man an, daß sie ohnehin getätigt werden müssen? Oder Ausgaben nach dem Wohngeldgesetz! Diese Ausgaben beruhen doch auf zwingendem Rechte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Prämien!)

— Wohnungsbau- und Sparprämien werden doch auf Grund zwingenden Rechtes gezahlt. Diese Ausgaben sind doch nicht konjunkturpolitisch manipulierbar.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Strauß
Ich bin in diesem Hause immer dafür eingetreten, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen, Herr Kollege Hermsdorf, daß öffentliche Investitionen konjunkturpolitisch manipulierbar seien. Der Teil der öffentlichen Investitionen, der konjunkturpolitisch manipulierbar ist, der ist nicht allzu groß.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich kann dieser Bundesregierung doch nicht unterstellen, daß sie in die Sperre Ausgabenminderungen aufgenommen hat, die dazu führen würden, daß lebenswichtige Tätigkeiten des Staates dadurch unterbunden werden.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Das hat auch niemand gesagt!)

Wenn aber die Bereitschaft besteht, diese Ausgaben in diesem Jahr einzusparen, dann gibt es doch nur zwei Möglichkeiten — ich weiß, daß Sie auf den 1. Juli 1970 spekulieren —: entweder Sie halten sie wirklich für einsparbar, dann würden sie besser in den Konjunkturhaushalt eingebracht werden, oder Sie halten sie nicht für einsparbar, dann spekulieren Sie auf den 1. Juli 1970 in der Erwartung, daß die bis dahin sich abzeichnende Änderung der Konjunkturlage eine Verlängerung der Sperre dann nicht notwendig macht. Damit ist doch alles auf das zweite Halbjahr 1970 hinausgeschoben, weil man es nicht wagt, heute Farbe zu bekennen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Im übrigen, bei einer wissenschaftlich so fundierten Politik, wie sie immer mit Stolz genannt wird, würde ich doch auch einmal eine Äußerung erwarten, was der Herr Bundesfinanzminister von dem Votum seines eigenen Beirats hält, der selbst eine Ausgabenzuwachsrate von 8,8 % für konjunkturanheizend erklärt hat. In einem Gutachten, das zu veröffentlichen die Bundesregierung sich durchgerungen hat, steht es doch schwarz auf weiß. Hat der wissenschaftliche Beirat unrecht? Ich bin nicht der Meinung, daß wissenschaftliche Beiräte immer recht haben. Aber gerade bei einer so wissenschaftsorientierten Politik, wie die heutige Bundesregierung sie zu betreiben in aller Öffentlichkeit verkündet, müßte ich doch erwarten, daß der Herr Bundesfinanzminister sich äußert und ganz klar sagt: er hält die Stellungnahme seines Beirats für falsch. Wenn er sie aber für richtig hält, dann muß er zugeben, daß seine Steigerungsrate konjunkturanheizend und darum weder konjunkturneutral geschweige denn konjunkturgerecht ist. Und ohne Sperre 12,1 %!
Ich sage Ihnen aber auch, daß der Haushalt mit Einhaltung der Sperre nicht konjunkturgerecht ist und daß die Verpflichtung nach dem Stabilitätsgesetz nicht erfüllt ist. Was geschieht am 1. Juli 1970? Wir haben schon viele Konjunkturprognosen gehört. Schon im Jahre 1969 haben wir gehört, daß es in der zweiten Hälfte. des Jahres zu einem Abflauen der Konjunktur kommen werde. Die Prognose war falsch. Jetzt hört man dasselbe für 1970. Daß wir nicht am Anfang des Booms stehen, ist klar, daß wir den Höhepunkt hinter uns haben, ist möglich. Aber
ob der 1. Juli 1970 der Wendepunkt ist: das ist doch eine der zahlreichen wie immer mehr oder minder astrologischen Prognosen, denen jede wirkliche Aussagekraft fehlt. Darum würde ich gern hören: Was geschieht am 1. Juli 1970, wenn die Konjunktur bis dahin nicht die Wendemarke erreicht hat? Wird man dann trotzdem die Sperre aufheben, wird man sie verlängern, wird man dann die Steuersenkung ohne Rücksicht auf Verluste trotzdem durchführen, oder wird man sie abermals verschieben, nachdem man dies im Oktober 1969 als Hauptbestandteil der Regierungserklärung versprochen hat? Das sind doch die Fragen, um die es hier geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gerade weil so viel von der Konjunktur die Rede ist: Es geht schließlich nicht um die kassenmäßigen Ausgaben, sondern um die Anstoßeffekte,

(Abg. Leicht: Genau!)

und diese werden nur durch echte Kürzungen unterbunden, nicht durch Sperren, die Mitte des Jahres auslaufen. Das ist der große Unterschied dabei. Denn die Auftragsvergabe ist entscheidend für die konjunkturelle Wirkung,

(Sehr richtig bei der CDU/CSU) nicht der kassenmäßige Abfluß der Mittel.

Die Ausgaben 1969 lagen im Soll nach der neuen Methodik des Finanzplans bei 80,8 Milliarden DM mit Konjunktursperre, Herr Kollege Möller. Sie haben in Ihrem Interview mit Radio Saarbrücken Ende des letzten Jahres eine falsche Zahl genannt. Das kann einem bei einem Interview unterlaufen.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Die hat er sogar korrigiert, im Gegensatz zu Ihnen!)

Die IstAusgaben betragen 81,54 Milliarden DM. Das heißt, daß im Jahre 1969 die Konjunktursperre nicht eingehalten worden ist, nachdem die neue Regierung ihre Tätigkit aufgenommen hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn nach dem neuen Verrechnungsplan, in dem nunmehr der Nettosaldo mit Brüssel aufgeführt wird, hätten die Ausgaben bei Einhaltung der vom alten Kabinett beschlossenen Sperre maximal 80,8 Milliarden DM betragen dürfen. Sie haben aber nach den Unterlagen, die uns das Bundesfinanzministerium gegeben hat, 81,54 Milliarden DM betragen, also 700 Millionen DM mehr, als mit Konjunktursperre vorgesehen war.
Ich darf dazu noch eines sagen. Die Konjunktursperre von 1,8 Milliarden DM war die untere Grenze. Wir waren uns völlig darüber im klaren, daß bei sparsamer Haushaltsführung bis Ende des Jahres über die Konjunktursperre hinaus nicht nur ein Betrag von einigen hundert Millionen, sondern von mindestens 1 Milliarde DM ebenfalls noch an Minderausgaben hätte erzielt werden können. Statt dessen sind die Ausgaben 1969 künstlich erhöht statt vermindert worden. Der Plafond ist bewußt und konjunkturwidrig angehoben worden, damit die Steigerungsrate 1969 gegenüber 1968 optisch höher erscheint

(Zustimmung bei der CDU/CSU)




Strauß
und durch Vorverlagerung von Ausgaben, die erst für 'das Jahr 1970 notwendig gewesen wären,

(Abg. Baier: Sehr richtig!)

auf ,das Jahr 1969 die Zuwachsrate für 1970 gegenüber 1969 künstlich gesenkt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel]: Genau das ist es!)

Darum sind diese 8,8 % mit Konjunktursperre und die 12,1 % ohne Konjunktursperre ein leichtfertiger Umgang mit Zahlen, der dazu bestimmt ist, die Öffentlichkeit über den inflationären Charakter des Haushalts 1970 hinwegzutäuschen.

(Leibhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603103100
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Porzner?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603103200
Auf der Grundlage: Nichtabzug von der Redezeit.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603103300
Ihnen wird nichts abgezogen.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603103400
Herr Kollege Porzner!

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0603103500
Herr Strauß, Sie haben eben die Haushaltspolitik der Bundesregierung im letzten Quartal des vergangenen Jahres für konjunkturwidrig gehalten.

(Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

Sind Sie der Meinung, daß die Feststellung der Bundesbank im letzten Monatsbericht falsch ist, die lautet, „daß die zentralen öffentlichen Haushalte auch im vierten Quartal 1969 durchaus antizyklisch gewirkt haben", also konjunkturgerecht gewesen sind?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603103600
Unter „öffentlichen Haushalten" sind die des Bundes, der Länder, Gemeinden und parafiskalischen Gewalten zu verstehen.

(Abg. Porzner: Nein!) Für den Bund trifft das nicht zu.


(Beifall bei der CDU/CSU.)


Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0603103700
Herr Strauß, die Haushalte ,der Gemeinden zählen nicht zu den „zentralen öffentlichen Haushalten".

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603103800
Ich habe Sie nicht verstanden; wären Sie so freundlich, das zu wiederholen?

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0603103900
Herr Strauß, die Haushalte der Gemeinden zählen nicht zu den zentralen öffentlichen Haushalten. Die Bundesbank — vielleicht darf ich das zitieren, um Sie nicht im Ungewissen zu lassen — schreibt:
Über die sonstigen öffentlichen Haushalte — die Gemeinden und die gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung — liegen zwar noch keine ausreichenden Angaben vor. Aber auch bei ihnen dürfte insgesamt gesehen die Tendenz ähnlich gewesen sein.
Es sind also nicht nur die zentralen, sondern auch die anderen öffentlichen Haushalte konjunkturgerecht abgewickelt worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht der Bund!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603104000
Ein Wort, meine Damen und Herren! Wir wollen uns auf Fragen beschränken, wir wollen nicht Ausführungen machen, solange der Redner spricht.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603104100
Mit dieser Zitierung ist doch die Tatsache nicht aus der Welt geräumt, daß die Ausgaben des Bundes im letzten Quartal 1969 wesentlich höher waren als im Quartalsdurchschnitt der vorangegangenen neun Monate.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Junghans meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich bin jetzt nicht mehr bereit, Fragen zu beantworten.

(Lachen bei der SPD.)

— Sie werden doch nicht glauben, daß ich nicht in der Lage bin, Ihre Fragen zu beantworten.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Aber Sie werden mich auch für erfahren genug halten, daß ich mir nicht eine zusammenhängende Rede nach dem Stil dieser Fragestellung so zerreißen lasse, daß das, was ich zu sagen habe, dann nicht mehr verstanden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber bitte!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603104200
Gestatten Sie die Frage? — Herr Abgeordneter Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0603104300
Herr Kollege Strauß, Sie sprachen vorhin von der Konjunkturbeurteilung. Erinnern Sie sich an den Satz: „Die jüngsten Konjunkturdaten enthalten erste Anzeichen für eine Abflachung des Konjunkturaufschwungs", den Sie am 20. September 1969 geäußert haben?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603104400
Es sind damals die ersten Anzeichen für eine Abflachung der Investitionsgüterkonjunktur entstanden, aber noch keine Anzeichen für eine Abflachung der durch eine Reihe von Umständen und Maßnahmen heute noch künstlich angeheizten und verlängerten Verbrauchsgüterkonjunktur.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil! — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Schiller ist schuld! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber wenn Sie schon den Vergleich der ersten drei Quartale 1969 mit dem letzten Quartal 1969



Strauß
nicht gern hören, dann werden Sie das folgende noch weniger gern hören, das eine noch wesentlich präzisere Aussagekraft hat. Vom Januar bis November 1969 haben die Ausgaben im Monatsdurchschnitt 6,5 Milliarden DM betragen. Im Dezember — das war der 12. Monat; darum ist der Quartalsdurchschnitt schon irreführend, weil hier noch zwei harmlose Monate mit einem gefährlichen Monat kombiniert werden — betrug der Zuwachs gegenüber dem Monatsdurchschnitt der ersten elf Monate 5 Milliarden DM.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Das ist gegenüber dem Monatsdurchschnitt Januar bis November, ein Zuwachs im Dezember von 75 %. Wenn das nicht eine künstliche Steigerung von Ausgaben ist, dann verstehe ich allerdings — worüber Sie lachen werden — von dem Geschäft nicht so viel wie andere.

(Zuruf von der FDP: Das war vorher doch genauso!)

— Jetzt hören Sie mich nur mal an.
Dann, Herr Kollege Möller, haben Sie auf eine Kleine Anfrage von mir eine Antwort gegeben. Sie haben diese Antwort gestern sogar wiederholt. Ich hätte wenigstens geglaubt, daß Sie in der Zwischenzeit die von Ihnen unterschriebene Antwort noch einmal nachgelesen hätten, um zu merken, daß Sie entweder falsche Zahlen oder falsche Prozentsätze geboten haben. Ich wiederhole: falsche
Zahlen oder falsche Prozentsätze. Wenn man es einmal macht, dann kann es Unkenntnis sein. Wenn man es ein zweites Mal in der Haushaltsrede mit Polemik gegen den Vorgänger höhnisch und stolz wiederholt, dann kann es nicht mehr nur Unkenntnis sein, dann muß man Absicht dahinter vermuten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe die Drucksache VI/299 vor mir liegen. Da ist an Betriebsmittelzuweisungen im Dezember 1968 ausgewiesen — mit Ihrer Unterschrift —: 8 Milliarden 860 Millionen DM. Für Dezember 1969 sind 11,8298 Milliarden DM an Betriebsmitteszuweisungen ausgewiesen. Die Zuwachsrate errechnet man auf der Basis der Rate des letzten Jahres. Um diese Rate zu berechnen, brauchen Sie weder einen Computer noch ein Input-Output-Verfahren, über das wir uns früher unterhalten haben; Sie brauchen nur einfache arithmetische Grundschulkenntnisse. Sie werden dann feststellen, daß der Zuwachs von 1968 auf 1969 nicht, wie Sie behaupten, 26,7 %, sondern 33,5 % beträgt. Warum sprechen Sie von 26,7 %?
Sie sagen nun — das habe ich eben auch Zurufen aus Ihrer Fraktion entnommen —: Das war ja immer so! Der Zuwachs von 1967 auf 1968 betrug auch schon 25,2%. Die 1,5% mehr sind dem Zuwachs des Haushaltes zuzuschreiben. Da will ich Ihnen recht geben. Sie weisen für Dezember 1967 7,7963 Milliarden DM und für Dezember 1968 8,860 Milliarden DM aus. Sie brauchen keinen Computer, sie können die Steigerungsrate im Kopf ausrechnen. Hier ist eine Steigerung von 13,5 %
und nicht, wie Sie behaupten, von 25'010 zu verzeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Somit beträgt der Zuwachs — Ausgangspunkt sind jeweils die Zahlen für Dezember — von 1967 auf 1968 13,5 % und von 1968 auf 1969 mehr als 33 %. Nun haben Sie noch gestern gesagt, daß beide Zuwachsraten — .die von 1967 auf 1968 und die von 1968 auf 1969 — gleich seien; das beweise die Haltlosigkeit unserer Vorwürfe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ein Finanzminister aber nicht zwischen 13 und 33 % unterscheiden kann, wenn er meint, das seien ungefähr die gleichen Zahlen — —

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Lesen Sie es doch nach!

(Weitere Zurufe von der SPD.)

— Aus Ihnen spricht jetzt nichts anderes als die betretene Verlegenheit, .die sich in Geschrei ausdrückt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Das ist der Kassenhalter des Bundes! — Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in Vilshofen!)

Habe ich denn eine falsche Ausgabe der Drucksache bekommen? Sind denn die mir vorliegenden Zahlen falsch? Wenn die Zahlen, die Herr Möller angibt, richtig sind, sind die von ihm angegebenen prozentualen Zuwachsraten schlechterdings falsch, irreführend, eine bewußte oder unbewußte Unwahrheit. Etwas anderes kann man daraus doch nicht schließen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Das ist aber nicht das einzige Beispiel! — Und dann spielt er den starken Mann!)

Ich habe schon bei der Lektüre, ohne daß ich mich etwa großer mathematischer Kenntnisse rühme,

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

den Kopf über die Prozentrechnung geschüttelt, und ich habe gestern überhaupt nicht mehr verstanden, daß Sie diese Zahlen mit großem Stolz und im Gefühl ausgekosteten Triumphes über Ihren armen, so minderwertig begabten Amtsvorgänger sogar noch wiederholt haben.

(Abg. Haase [Kassel] : Der arme Alex!)

Herr Kollege Möller, wenn Sie recht hätten, wenn der Zuwachs von 1968 auf 1969 26 % betrüge, hätten Sie wesentlich weniger ,ausgeben müssen; Sie hätten dann am Ende des Jahres noch mehr liquide Mittel gehabt. Man hat aber im Dezember Betriebsmittel überwiesen, um den Haushalt 1969 aufzublähen, die Basis künstlich zu erhöhen und damit den Zuwachs des Jahres 1970 optisch zu senken. Das ist die Methode der Temperaturgestaltung im Zimmer durch ein Streichholz am Thermometer.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Als ich mich, vom Saarländischen Rundfunk gefragt, wie es denn Ende 1969 mit den Ausgaben



Strauß
stünde, noch sehr zurückhaltend geäußert habe — ich zitiere jetzt Ihren Interviewer, Herrn Gasper: Ihr Vorgänger hatte .am Freitag behauptet, die Bundesregierung hätte in den letzten zwei Monaten des Jahres 1969 die Ausgaben um bis 25 % gegenüber anderen Monaten gesteigert —, lag meine Schätzung infolge der Informationssperre aus Ihrem Hause noch weit unterhalb der Wirklichkeit. Da haben Sie in Ihrer Antwort gesagt, es sei Ihnen völlig schleierhaft, wie Herr Strauß zu dieser Bemerkung kommen könne. Nun wenden Sie verstehen, daß wir gegen diese Zahlen einige Vorbehalte anzumelden haben. Im Umgang mit Zahlen sollten Sie nicht so großzügig sein wie die Zeugen Jehovas in der Auslegung der Bibel.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von den Regierungsparteien. — Pfui-Rufe von der SPD. — Abg. Wehner: Eine neue Variante der „Tiere"!)

— Als eine Ihnen nahestehende Korrespondenz Ähnliches über mich im Zusammenhang mit Statistik schrieb, haben Sie sich nicht so erregt.
In Wirklichkeit liegen die Dinge so, daß man zu den 8,8 oder 12,1 % 2 bis 2,5 % hinzuzählen muß. Denn ob die Ausgaben Ende Dezember 1967 oder Anfang Januar 1968 getätigt werden, ist volkswirtschaftlich völlig irrelevant. Ausgaben Ende 1969, wenn sie 70er Ausgaben sind, wirken ökonomisch wie im Haushalt 1970, nicht anders. Und dann sind wir bei Zuwachsraten von 11 % und mehr bei Einhaltung der Sperre und von 14 % und mehr bei Aufhebung der Sperre. Das ist die Wirklichkeit.
Ich beziehe mich hier nicht auf Zahlen, die ich auf krummen Wegen bekommen habe. Ich beziehe mich hier nicht auf Hintergrundangaben. Ich habe jetzt nur die Zahlen verwendet, die in einer Drucksache, unterschrieben vom Bundesfinanzminister, auf eine Kleine Anfrage von mir geboten worden sind. Ist das Parlament hier falsch unterrichtet worden? Das würde man bei mir sagen.

(Zustimmung und Heiterkeit bei der CDU/ CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

Ich komme zu einem weiteren Punkt. In der mehrjährigen Finanzplanung wird angegeben, daß der Bund eine Zuwachsrate von durchschnittlich 8% für die Planungsperiode habe. Da er aber am Anfang schon eine wesentlich höhere Zuwachsrate hat, ist die Zuwachsrate für die Jahre 1971 bis 1973 auf 6,8% begrenzt. Glauben Sie im Ernst, daß man im ersten Jahr mit 11 bis 12 oder 14 bis 15 % anfangen und sagen kann, das sei der Beginn der großen Reformen, und daß man dann in den folgenden Jahren auf einen durchschnittlichen Zuwachs von 6,8% zurückkehren kann? Jedermann weiß doch — das ist die Erfahrung aller Finanzplanungen —, daß mit jedem Jahr, das weiter vom Ausgangspunkt weg liegt, die Gefahr der perspektivischen Verzerrung, der Überschätzung der Einnahmen und der Unterschätzung der Ausgaben, immer noch bestanden hat. Darum ist die Zuwachsratenverkürzung für die folgenden Jahre reichlich illusionär, vor allem wenn ich an die Versprechungen der Regierungserklärung denke. Sie sprechen von Reformen, vom Regierungsprogramm in Zahlen. Was hier vorliegt, ist die schlichte, mit Zuwachsraten ausgestattete Fortsetzung der Arbeit der Vorgänger, nichts anderes. Es geht allein darum, daß man nicht durch Worte die Sachen ändern kann, daß man nicht durch Interpretation die Tatsachen umstülpen kann.

(Abg. Ollesch: Das können Sie am besten! — Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

— Ich danke schön für das Kompliment, Herr Kollege Ollesch. Aber als Sie neulich meinten, ich hätte die politische Bühne mit einem Bauerntheater verwechselt, haben Sie mich mit einem Ihrer Parteifreunde verwechselt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Bundesfinanzminister hat mit einem verständlichen Stolz, mit einer echten Befriedigung darauf hingewiesen, welch höhere Leistungen die neue Bundesregierung und die sie tragende Koalition auf einer Reihe von Gebieten vom Jahre 1970 an erbringen kann: Kriegsopferversorgung, Kindergeld, Wohngeld, regionale Wirtschaftsförderung, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Gesundheit, Sport, Erholung, Verkehrswesen, Wohnungswesen, Raumordnung. Ich stelle einmal die Frage: warum kann denn das alles nach Ansicht der Bundesregierung in durchaus solider Weise finanziert werden? Liegen dazwischen geniale Wundertaten? Ist in der Zwischenzeit von Ihnen der Dukatenesel zur Welt gebracht worden, der auf einmal das Geld herschafft, das der Vorgänger verwirtschaftet hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn das alles finanziert werden kann, dann dank
der traurigen „Erblast", die Sie übernommen haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch in der Zwischenzeit von Ihrer Seite nichts geschehen — mit Recht, sage ich auch, vielleicht mit Recht, muß ich einschränkend hinzufügen — was einnahmemehrend hätte wirken sollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)

Sie geben doch das aus, was durch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre erwirtschaftet worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ihr Auftritt, Herr Kollege Möller, an dieser Stelle als Finanzminister ist doch noch nicht ein Akt der Geldschöpfung in Milliardenhöhe.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Bei den Steuereinnahmen im Bund im Jahre 1969 — und das ist das große Loch, meine Damen und Herren, das der Kollege Möller festgestellt hat — hat er Plus- und Minuszeichen verwechselt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

Das Soll der Steuereinnahmen im Jahre 1969, so steht es in der von ihm erwähnten Finanzplanung, war 74,2 Milliarden DM; das Ist der Steuereinnahmen im Jahre 1969 ist 78,28 Milliarden DM: ein Plus von 4 Milliarden DM. Daß innerhalb dieses Plus Verschiebungen stattgefunden haben, einige Steuern mehr erbracht haben als die Schätzung,



Strauß
einige Steuern weniger erbracht haben als die Schätzung, im Saldo — —

(Zuruf von der SPD.)

— Ich komme schon auf Ihre Investitionssteuer. Das Wort wäre besser nicht gefallen. Ich werde Ihnen nachweisen, warum. Vielleicht wollen Sie es auch nicht mehr hören, dann wird die Redezeit vorgeschützt; aber wenn Sie es hören wollen, dann hören Sie, was es mit der Investitionssteuer für eine Bewandtnis hat. Es gibt doch in Ihren eigenen Reihen Kollegen, die sich hier am liebsten Augen und Ohren verschließen würden, um das nicht mitzubekommen, was sie erlebt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie wissen doch ganz genau, was ich meine. Wenn Sie es nicht wissen, darf ich es Ihnen dann sagen.

(Zurufe von der SPD.)

Jedenfalls betragen die Steuermehreinnahmen der ach so traurigen „Erblast" für das Jahr 1969 4 Milliarden DM.
Im Jahre 1969 ist kein Pfennig Nettokredit aufgenommen worden;

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

das Parlament hatte 3,8 Milliarden DM bewilligt. Im Jahre 1969 sind darüber hinaus 1,8 Milliarden DM Schulden zusätzlich getilgt worden. Damit ist neuer Verschuldungsspielraum für den Fall einer Rezession und eines eventuell notwendig werdenden Konjunkturhaushalts geschaffen worden. Das ist geschehen trotz der mutwilligen Aufblähung der Bundesausgaben in den letzten Monaten, wie ich sie vorher hier an Hand der offiziellen Zahlen nachgewiesen habe. Das ist die Wahrheit über die traurige „Erblast", von der dauernd gesprochen wird.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich kann Ihnen noch eine weitere Botschaft zu der traurigen Erblast verkünden, Herr Kollege Möller:

(Zuruf von der SPD.)

— Glauben Sie ja nicht, daß ich erregt bin! — Das Steueraufkommen für die Jahre 1970 bis 1972 ist nämlich dank der Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten drei Jahre bis zur Bildung der neuen Regierung voraussichtlich um 20 Milliarden DM höher, als im letzten Finanzplan geschätzt worden ist. Das ist auch ein Stück der „traurigen Erbmasse", die Sie zu bewältigen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist doch nicht etwa ein Verdienst der Tätigkeit der neuen Bundesregierung, das ist ein Verdienst der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, gegen deren Leistungsfähigkeit man nicht dauernd durch hektisches Drehen an der Schraube bald da, bald dort ankämpfen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sehr interessant war mir Ihre apologetische Bemerkung, daß der Bundeshaushalt nicht umstrukturiert werden könne. Kollege Hermsdorf hat ja heute unterstrichen, daß er nicht umstrukturiert werden kann. Ich erinnere mich nur daran, daß wir hier alle — nicht zuletzt gemäß den Vorschlägen meines Herrn Amtsnachfolgers — seinerzeit angetreten sind mit der löblichen Absicht, eine Umstrukturierung des Bundeshaushalts herbeizuführen und den Prozentsatz der investiven und investitionsfördernden — man sagte manchmal auch „wachstumsfördernden" — Ausgaben, die nach bestimmten Kriterien — nicht sehr zuverlässigen, wie jedermann weiß, :da es die nicht gibt — zu erhöhen. Im Laufe der letzten drei Jahre ist ein mühsamer Kampf Promille um Promille um :die Erhöhung dieser Quote geführt worden. Ich stelle nur fest: dieser Kampf ist aufgegeben worden, und zwar deshalb, weil man nicht die in der Regierungserklärung gegebenen Versprechungen finanzieren und die seinerzeit so heftig betonte Umstrukturierung des Bundeshaushalts gleichzeitig vornehmen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Das geht einfach nicht.

Wir wissen, daß die konsumtiven Ausgaben meistens rechtlich festgelegt sind, größtenteils sogar mit automatischen Zuwachsraten. Die Investitionsausgaben sind allein für Zwecke der Konjunktursteuerung verwendbar — ohne größeren politischen Ärger. Bei allem anderen gibt es doch, wie wir erlebt haben, größeren politischen Ärger, und darum wird häufig aus der Not eine Tugend gemacht.
Und dann sind noch „erstaunliche Lücken" da. Kollege Leicht hat darauf hingewiesen. Die EWG-Ansätze sind doch höchst problematisch. Denn zur Begründung für kassenmäßige Minderausgaben auch in Zukunft die langsame Arbeitsweise der Kommission als finanzpolitisches Hilfsinstrument anzusetzen,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

ist doch etwas, was sich unter Umständen durch eine etwas raschere Arbeitsweise in Brüssel als wirkungslos erweisen könnte.
Und wie steht es eigentlich mit den Haushaltsbelastungen für den Devisenausgleich nach Auslaufen der bestehenden Abkommen? Glaubt man denn — angesichts der Diskussion in Amerika frage ich das —, daß die Amerikaner auf weitere Devisenausgleichsabkommen verzichten und nicht unter Umständen — sogar wahrscheinlich — noch wesentlich höhere Forderungen stellen werden als bisher, weil sie gewohnt sind, daß Bonn doch gleich zahlt, wenn man drückt?

(Zuruf von der SPD: Das war einmal so! — Weitere Zurufe von der SPD. — Abg. Haase [Kassel]: Wir werden es ja erleben!)

— Ich werde Sie beim Wort nehmen, wenn die Forderungen auf Bezahlung von Stationierungskosten auf dem Tisch liegen.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Welche Praxis haben Sie denn da geübt?)

Oder erwarten Sie bereits als Ergebnis einer europäischen Friedensordnung die Überflüssigkeit der



Strauß
Stationierung verbündeter Truppen auf deutschem Boden?

(Zuruf von der CDU/CSU: Manche ja! Leider!)

Wenn Sie das verneinen, müssen Sie einen Ansatz für die Verpflichtungen aus dem Devisenausgleichsabkommen ab 1971 einbringen, wenn diese Finanzplanung klar, wahr und ehrlich sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie wissen doch, was Senator Percy gesagt hat, als er verärgert auf den Verkauf von 500 Millionen Dollar amerikanischer Schatzanweisungen reagierte? Auch die Zurechtweisung durch den „Oberbundeskanzler" oder „Oberbundesabkanzler" Konrad Ahlers, daß Senator Percy nicht die öffentliche Meinung in Amerika darstelle, wird von Percy bestimmt nicht als ein Befehl aufgefaßt, sich in Zukunft nicht mehr mit Amerika zu identifizieren.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Da muß ich fragen: Welche Vorstellungen hat denn die Bundesregierung in bezug auf diese Punkte?

(Zuruf von der SPD: Sollte das ein Witz sein?)

— Damit kommen Sie nicht durch, mit so billigen Methoden, daß man einen präzise und scharf argumentierenden politischen Gegner mit billigen Verunglimpfungen seiner Aussagekraft zu berauben versucht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Das ist ganz mieser Stil. Der ist von solchen praktiziert worden, mit denen Sie sich in der Methode nicht identifizieren sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Weiterhin — ich möchte nur das Stichwort ansprechen — hoffen wir, daß es zum erfolgreichen Abschluß von Verhandlungen mit unseren östlichen Nachbarn ohne unzumutbare Bedingungen kommen wird. Aber wie steht es dann mit der Bereitschaft der Bundesregierung, Wiedergutmachungsleistungen — und bis zu welcher Höhe? — zu erbringen?

(Abg. Wehner: Sie haben doch schon gesagt, wir hätten alles verschenkt! Was sagen Sie hier denn noch?)

— Wir haben so viel Substanz angesammelt in den letzten zwanzig Jahren, Herr Wehner, daß immer noch etwas da ist.

(Zuruf von der SPD: Das war aber schwach; das müssen Sie zugeben!)

Das sind die Ausgaberisiken, und zwar in Größenordnungen, die man nicht als geringfügig, als eine quantité négligeable bezeichnen kann. Dann haben Sie global die Mehrausgaben drin: 1970 200 Millionen, 1971 300 Millionen, 1972 1 Milliarde und 1973 2 Milliarden DM. Je weiter es weg ist, desto höher werden die globalen Verfügungsreserven! — Das ist ein Irrtum. Die perspektivische Verzerrung führt dazu, daß man die
Ausgaben späterer Jahre notorisch unterschätzt. Deshalb werden aus diesen oder jenen Gründen Mehrausgaben eintreten, die weit über das hinausgehen, was hier an globalen Verfügungsreserven überhaupt vorgesehen ist.
Es ist viel über Nettokreditaufnahme gesprochen worden. Ich danke dem Kollegen Hermsdorf, daß er sich meine Ausführungen auf diesem Gebiet zu eigen gemacht und sie dem Hohen Hause nochmals geboten hat. Ich stehe zu dem, was ich damals sagte. Aber es doch völlig auf Sand gebaut, wenn man eine Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 6,5 bis 7 % gleichbleibend für die folgenden Jahre unterstellt und darauf eine Nettokreditaufnahme aufbaut: 2,7 Milliarden, 4,2 Milliarden, 5,7 Milliarden und 8,2 Milliarden DM, das heißt, daß man eine auf vollen Touren permanent durchlaufende Volkswirtschaft voraussetzt, daß man keine Ausgabereserven mehr für zusätzliche Mehrausgaben hat, die erfahrungsgemäß auftauchen, und trotzdem heute schon für 1973 die Nettokreditaufnahme auf 8 Milliarden DM festsetzen muß. Darin steckt doch noch ein gefährliches Verschuldungspotential. In diesem Zusammenhang darf ich Herrn Blessing zitieren. Es geht nicht darum, daß man sagt, wie hoch oder wie niedrig die Verschuldung jährlich sein darf; in den Zeiten der Rezession soll sie hoch sein, in den Zeiten der Hochkonjunktur soll sie Null sein, soll umgekehrt sogar noch zusätzlich eine Schuldentilgung stattfinden.. Schon als wir im Jahre 1967 verhältnismäßig hohe kurzfristige Kredite aufgenommen hatten, sagte mir Herr Blessing in einer Sitzung des Zentralbankrats: Geben Sie acht, daß Sie damit nicht ein inflationäres Verschuldungspotential aufbauen! Damals war eine Kreditaufnahme in der Höhe von 8 Milliarden DM erforderlich. Ich habe sie auch vertreten. Aber in einer Hochkonjunktur, bei Unkenntnis über kommende Mehrbelastungen und Ausgaben diese Steigerung des Nettokredits schon jetzt als normales Finanzierungsinstrument einzusetzen, das führt mit Sicherheit dazu, daß die wirkliche Kreditaufnahme wesentlich höher sein wird. Sie muß wesentlich höher sein, und dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, was sich da so an Nebenkreditaufnahmen um den Haushalt herumschleicht wie Öffa, Kapitalisierungen der Kriegsopferrente und anderes. Das kommt doch noch alles dazu. Die globalen Verfügungsmittel sind minimal; die Kreditaufnahme steigt steil an. Selbst bei Eintreten der optimistischen Annahmen wird sie noch wesentlich höher sein als in der alten Finanzplanung. Was tritt ein, wenn die Einnahmen zurückbleiben? Dann kommt doch die Kreditfinanzierung in gefährliche Höhen hinein. Kollege Möller hat dem in Hamburg vorgebaut, als er sagte, die Regierung sei bereit, ihr Reformprogramm — was an sich die Fortsetzung dessen ist, was seit Jahren mit gewissen Zuwachsraten, die anerkennenswert sind, läuft — notfalls durch neue Schulden zu finanzieren. Ihre Rede vor dem Überseeclub! Aber wir wollen doch wissen — ich erinnere an die Debatte, die am letzten Dienstag geführt worden ist —: Wie steht man zu der Alternative zwischen Finanzierung von Regierungsversprechungen und dem eisernen Gebot der Sparsam-



Strauß
keit, wenn die Stabilität es erfordert. Darüber sollte eine ganz klare Aussage, so oder so, erfolgen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe noch weniges zu einigen wesentlichen Einzelheiten zu sagen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603104500
Sie haben noch sieben Minuten.

(Zuruf von der CDU/CSU.) — Zusatzminuten!


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603104600
Ich dachte, hier besteht ein Interesse daran, daß ich die Sache Investitionsteuer und Konjunkturausgleichrücklage, die gestern von Herrn Finanzminister Möller angeschnitten worden ist, hier einmal darlege. In der Rede heißt es: Entscheidend ist, daß für die Absichten eines vier Jahre umfassenden Regierungsprogramms der Beginn gesichert ist. — Der Beginn ist durch die Erbmasse gesichert. Aber wie ist die Fortsetzung gesichert? Das ist die eigentliche Frage angesichts der Risiken und Unbekanntheiten.
Der Herr Bundesfinanzminister hat mir vorgehalten, daß die mehrjährige Finanzplanung nicht fortgeschrieben worden sei. Ich nehme damit am Abschluß meiner Ausführungen konkret zu den drei wesentlichsten Vorwürfen Stellung.
Wie ist die Wirklichkeit? Das Finanzkabinett der letzten Regierung ist am 10. Juni 1969 letztmals zusammengetreten. Es war sich darin einig, daß sowohl die Aufstellung des Haushalts 1970 wie die Anpassung der Finanzplanung erst von der neuen Bundesregierung vorgenommen werden können, da damit wesentliche politische Prioritätsentscheidungen verbunden sind. —

(Hört! Hört! in der Mitte.)

So lautet die Aktennotiz, die Staatssekretär Grund nach dieser Besprechung angefertigt hatte. Ein Protokoll über einen Beschluß gibt es nicht.
Wenn Herr Kollege Möller weiterhin erklärt, daß in der alten, Straußschen Finanzplanung weniger Mittel für die Kriegsopfer, weniger Mittel für Kindergeld, weniger Mittel für andere Zwecke vorgesehen seien, dann darf ich ihn höflichst daran erinnern, daß diese von der Bundesregierung einstimmig verabschiedete Finanzplanung einen Kompromiß erzielen sollte in einer Zeit, als noch auf strengste Sparsamkeit und solide Haushaltsführung ausschlaggebender Wert gelegt worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für einen sozialdemokratischen Finanzminister ist es schlechterdings eine Selbsterniedrigung, wenn er eine Finanzplanung, der seine Kabinettskollegen ohne Ausnahme zugestimmt haben — nach manchem Hin und Her, nach manchem Ringen um mehr oder weniger da oder dort —, heute so verächtlich abtut und sie als Straußsches Finanzprogramm darstellt, der gegenüber die neue Regierung jetzt endlich zu höheren Leistungen auf diesen Gebieten kommt. So
macht man es nicht, wenn man ernst genommen werden will!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Dann hat er auf meine „Finanznachrichten" vom 17. Oktober verwiesen. Ich habe darin, schwarz auf weiß an die Öffentlichkeit verteilt, auf Grund der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung im Ministerium ausdrücklich angeführt, daß Devisenausgleich, Brüsseler Paket für die Bundeswehr, Lohnfortzahlungsgesetz, Mehraufwendungen für Wohnungsbauprämien, Sicherung der ausländischen Bezugsquellen für die deutsche Erdölindustrie eine Mehrbelastung von 1,9 Milliarden DM ausmachen. Das steht schwarz auf weiß in diesem Papier. Wie kann jemand dazu kommen, zu sagen, daß die Vorgänge nicht erfaßt worden seien? Dieselben Beamten, die Ihr Papier mit der angeblichen Nichterfassung gemacht haben, haben doch mein Papier mit der Erfassung gemacht!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Der Genosse Generaldirektor!)

In dem gleichen Papier steht unter Bezugnahme auf Beschlüsse des Bundestages bei der Kriegsopferversorgung ein Plus von 900 Millionen DM als Ergebnis der damaligen Verhandlungen zwischen Herrn Katzer und mir ab 1. Januar 1970. Weiter steht in dem gleichen Papier für 1970 eine Erhöhung des Kindergeldes, geschätzter Ansatz: 400 Millionen DM. Das steht in dem gleichen Papier. Und wie heißt es hier? Das sei völlig unerfaßt geblieben. Diese Dinge sind doch alle längst bekannt!
Bezüglich Bildungswesen, Landwirtschaft und öffentlicher Dienst war damals im Ministerium die berechtigte Auffassung, daß die Mehrbelastung wegen der Ungewißheit über einige Faktoren und angesichts der noch nicht erfolgten politischen Entscheidungen nicht zu beziffern sei. Im Herbst 1969 war es definitiv nicht möglich, schon eine klare Erntevorausschätzung z. B. für die Mehrbelastung im Rahmen der Agrarmarktordnungen zu geben. Da hätten wir wahrscheinlich eine Art Wetteramt mit Schiller-Prognosen und Möller-Thesen gebraucht, um zu einer zuverlässigen Wetterprognose für die Ernte 1969 zu kommen.
Herr Kollege Möller, Sie haben der alten Finanzplanung angelastet, diese ganze Reihe von Punkten
seien in ihr nicht enthalten. Ja, haben Sie denn nicht
gemerkt, daß diese Punkte zum Teil erst ein Jahr,
nachdem die alte Finanzplanung aufgestellt worden
ist, beschlossen worden sind? Glauben Sie denn, daß
der Abschluß des Devisenausgleichsabkommens,
für das Herr Brandt als Außenminister federführend
war, im Jahre 1969 abgeschlossen, im September
1968 schon hätte in die konkrete Planung mit Zahlen aufgenommen werden können? Das Devisenausgleichsabkommen ist doch keine finstere Intrige des
Finanzministers gegen seinen Nachfolger! Das ist
das, was das damalige Auswärtige Amt als äußerstes
Ergebnis seiner Verhandlungskunst den Alliierten
abringen konnte. Das ist fortgeschrieben worden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Strauß
So könnte ich Ihnen Punkt für Punkt hier nachweisen.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

— Ja, „Hört! Hört!" ; das ist auch eine tolle Sache.

(Abg. Wehner: „Hört! Hört!" ist doch parlamentarisch)

Herr Kollege Möller, Sie werfen mir vor, das Brüsseler Paket der NATO sei in der letzten Finanzplanung nicht enthalten. Ja, das Brüsseler Paket ist doch erst im Jahre 1969 zustande gekommen! Aber in der Fortschreibung haben wir es erfaßt. Wie wenig ernst Sie es nehmen, geht daraus hervor, daß Sie mir zwar vorwerfen, Sie müßten 600 Millionen DM bei der Verteidigung dazulegen, aber gleichzeitig eine Milliarde D-Mark im Jahre 1970 durch Sperre als möglicherweise überflüssig erklären. So darf man nicht in ein und demselben Bereich opportunistisch verfahren, einmal so, einmal anders.

(Abg. Dr. Stark: [Nürtingen] : Bei „mehr Demokratie!" darf man das! — Abg. Haase [Kassel] : Er hat immer Pech mit den Zahlen!)

Meine sax verehrten Damen und Herren, jetzt komme ich zu den zwei drastischsten Kapiteln, Herr Kollege Möller. Das eine ist — ich kann hernach noch 15 Minuten reden — —

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603104700
Ich bin durch die Geschäftsordnung gezwungen, für die Einhaltung der Redezeit zu sorgen. Ich habe Ihnen 10 Minuten Überzeit zum Ausgleich der durch Zwischenfragen entstandenen Kürzungen gegeben. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Sie können sich jederzeit wieder melden.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603104800
Herr Präsident, Sie waren sehr großzügig. Das erkenne ich an; außerdem unterliegen Sie gar nicht meiner Anerkennung. Aber ich darf hier anmerken, daß die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, die Wirklichkeit

(Lachen bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU)

über die Investitionsteuer und über die Konjunkturausgleichsrücklage der Jahre 1968 und 1969 zu erfahren,

(Abg. Wehner: Das ist wahr!)

sowohl dieses Parlament wie über dieses Parlament die Öffentlichkeit.

(Abg. Wehner: Erneute Wortmeldung heute nachmittag!)

— Jawohl. Dazu bin ich selbstverständlich gern bereit. Ich bedaure, meine Damen und Herren — —

(Zuruf von der SPD: Zweiter Akt!)

— Zweiter Akt, jawohl!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603104900
Einen Moment! Natürlich hat die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, diese Dinge und die verschiedenen Meinungen dazu zu erfahren. Aber die Geschäftsordnung
schreibt bestimmte Redezeiten vor. Ich habe die Absicht, mich als Präsident an die Geschäftsordnung zu halten.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Herr Abgeordneter Strauß kann sich jederzeit erneut zum Wort melden.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603105000
Genau das, Herr Präsident, habe ich eben angekündigt, daß die Öffentlichkeit und dieses Haus einen Anspruch darauf haben, die wirklichen Vorgänge über Investitionsteuer und Konjunkturausgleichsrücklagen zu erfahren.

(Zuruf von der SPD: Heute nachmittag!)

Darum schließe ich diesen Teil meines Beitrags mit der Bemerkung, daß mein Nachfolger nicht eine traurige Erblast, sondern eine erhebliche Erbmasse bekommen hat, mit der er das an Leistungen für die Zukunft versprechen kann, was er gestern versprochen hat. Ich möchte mich gegen dieses törichte Wort von dem traurigen Erbe hier nicht mit Erbitterung wenden, sondern nur sagen, daß er nicht der Leidtragende einer traurigen Last, sondern der Gewinnler einer relativ sehr großen Masse ist, die wir erwirtschaftet haben.

(Abg. Wehner: Hipp, hipp, hurra! — Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603105100
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603105200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Strauß hat seine Ausführungen mit der Feststellung begonnen: So redet nicht, wer ernst genommen werden will.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das bezog sich auf Sie!)

Herr Kollege Leicht hat sich noch etwas deutlicher ausgedrückt und in seiner Rede die Behauptung aufgestellt, meine Ausführungen vom gestrigen Tage seien erstens billige Polemik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr!)

— Meine Damen und Herren, in diesem Punkt gebe ich Ihnen zu: ,das ist Geschmackssache.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Zweitens hat Herr Kollege Leicht behauptet, daß der
Wahrheitsgehalt meiner Rede mehr als dubios sei.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er fügte dann hinzu, ich hätte den Versuch unternommen, meinen Vorgänger zu diffamieren.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Leider wahr!)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Diese Unterstellung ist durch keinen Satz meiner Haushaltsrede zu belegen.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Ich werde Ihnen die Stellen gern zitieren, auch im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß.
Ich darf aber noch hinzufügen, daß Herr Kollege Leicht dann erklärt hat, ich hätte in den vergangenen hundert Tagen eine besondere Leichtfertigkeit praktiziert. Das müssen Sie einmal in einen Vergleich stellen zu dem,

(Abg. Leicht: In einem Zusammenhang!) was ich gestern vorgetragen habe.


(Abg. Dr. Althammer: Ja, und was sonst noch war!)

Wer mir in der Tätigkeit der 120 Tage meiner Amtsführung

(Abg. Haase [Kassel] : In der gestrigen Rede!)

Leichtfertig unterstellt, der kann politisch nicht ernst genommen werden!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wer so etwas behauptet — —

(Abg. Haase [Kassel] : Herr Minister, es geht um Ihre Rede!)

— Nein, ich kann mich doch wohl mit dem auseinandersetzen, was hier an schwerwiegenden Vorwürfen vorgetragen worden ist!

(Beifall bei der SPD — Abg. Haase [Kassel] : Ja, in Ihrer Rede!)

Ich kann nicht einfach sagen: Mein Name ist Hase!

(Heiterkeit. — Abg. Haase [Kassel] : Herr Möller, es geht um Ihre Rede, falls Sie es noch nicht gemerkt haben!)

Meine Tatsachendarstellung ist in keinem Punkt von den Rednern der CDU/CSU-Opposition, weder von der CDU — von Herrn Kollegen Leicht —, noch von dem bayerischen Teil der Opposition — von Herrn Kollegen Strauß — widerlegt worden.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Sie haben doch genug Zeit gehabt, sich mit diesen Zahlen auseinanderzusetzen!

(Abg. Leicht: Auf die Dinge eingehen! — Zuruf von der CDU/CSU: Das glaubt Ihnen doch keiner!)

Was habe ich u. a. gesagt? Ich habe mich mit der Pressekonferenz des Herrn Strauß vom 17. Oktober 1969 beschäftigt und erklärt:
Es heißt dort, daß die neue Bundesregierung bei der Fortschreibung der Finanzplanung bis 1973 von einer soliden finanziellen Grundlage ausgehen könne. Die Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse zeigte aber wenig später, daß mein Herr Amtsvorgänger bei weitem nicht alle durch Beschlüsse des Deutschen Bundestages bereits
vorbestimmten Belastungen und die übrigen Risiken auf der Einnahmen- und Ausgabenseite erfaßt hatte.
Das stimmt; das konnte ich nachweisen. Ich habe es dann im einzelnen dargestellt und kam zu dem Schluß:
Wenn ich das alles zusammenzähle, komme ich zu folgendem Ergebnis: Die neue Bundesregierung fand aus diesen nicht im alten Finanzplan berücksichtigten Ausgaben von vornherein eine Hypothek von mehr als 5 Milliarden DM vor.

(Abg. Leicht: Auch das war nicht ganz richtig; die Kriegsopferversorgung war noch nicht beschlossen!)

— Nun hören Sie doch einmal zu; werden Sie doch nicht deswegen nervös, weil ich Ihnen nicht sogrobe Sachen vortragen kann, wie Sie mir unterstellt haben!

(Beifall bei der SPD.)

Dann kommt die dritte Stelle:
Das alles bezeichne ich als die Erblast, welche
die jetzige Bundesregierung zu tragen hat.
Was ist nun der entscheidende Satz?
Diese Erblast engt zweifellos den finanziellen Spielraum ein.
Das ist alles.

(Abg. Dr. Althammer: Sie waren doch in dieser Zeit stellvertretender Fraktionsvorsitzender!)

— Ja, aber Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender ungefähr 'dieselbe Funktion hat wie ein Bundesfinanzminister. Wenn Sie das glauben, fragen Sie einmal Ihre stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aus der Zeit der Großen Koalition. Sie werden Ihnen einiges aus dem großen Schatz ihrer reichen Erfahrungen vortragen können.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kassel] : Das war sehr schwach!)

Wie war es denn eigentlich, als nun plötzlich die SPD auch Regierungsverantwortung tragen mußte?

(Zurufe von der CDU/CSU: „Mußte?")

— Ich sage das bewußt so; denn Ihre heutige Verfassung beweist, daß Sie uns nicht mit offenen Armen aufgefordert haben, in die Große Koalition zu kommen, sondern daß ganz zwingende Gründe vorgelegen haben müssen,

(Abg. Dr. Apel: Sehr richtig!)

sich mit denen zu verbünden, denen Sie heute ähnliche Dinge unterstellen wie vor 10 und 20 Jahren, als wenn Sie nichts gemerkt hätten!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Herr Strauß, es steht Ihnen schlecht an, sich mit mir bei solchen Feststellungen, die ich in meiner gestrigen Haushaltsrede getroffen habe, so auseinanderzusetzen, als wenn ich Ihnen wehgetan hätte.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Lesen Sie einmal nach, was Sie über einen Mann gesagt haben, der in der schwierigsten Situation, die ich mir derzeit vorstellen kann, in Moskau für die Bundesrepublik Deutschland und das deutsche Volk verhandelt.

(Starker Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen, Zurufe und ironischer Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Mehr haben Sie nicht! — Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen doch widerlegen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, als wir am Anfang der Regierungstätigkeit des Bundeskanzlers Professor Erhard waren,

(Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache! Zahlen widerlegen!)

stand Herr Professor Erhard auch vor Reisen ins Ausland, und ich habe damals — lesen Sie es im Protokoll nach — als Sprecher der Opposition erklärt, daß wir ihm vollen Erfolg bei seinen Bemühungen wünschen, weil er diese Bemühungen im Interesse des ganzen deutschen Volkes unternehme. Lesen Sie es nach,

(Abg. Dr. Althammer: Hat Herr Barzel auch getan.)

und Sie werden dann feststellen können, welch ein Unterschied zwischen der staatsverantwortlichen Haltung der damaligen Opposition und solchen Äußerungen von Herrn Kollegen Strauß besteht:

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Und Ihrer Rede! — Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

Meine Damen und Herren, das gehört nicht zur Sache? Das gehört zur Sache, wenn mir hier unterstellt wird, ich hätte in 119 Tagen meiner Amtsführung Leichtfertigkeit praktiziert.

(Abg. Haas [Kassel] : In Ihrer Rede! — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Da muß ich schon sagen, diejenigen, die so handeln und darauf so reagieren, haben kein Gefühl für das, was leichtfertig ist und was man Verantwortungsbewußtsein nennt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Es geht um Ihre Rede!)

Herr Kollege Strauß hat behauptet, er habe sich bei seinen Etatreden anders verhalten. Das ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Meine Damen und Herren, lesen Sie doch einmal nach, was Herr Kiesinger in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 über die Finanzpolitik gesagt hat. In dem Nachdruck des Bundespresseamtes, Seite 8, zieht er die Schlußfolgerung. Ich will gar nicht diese furchtbare Bilanz darstellen, die Herr Kiesinger aufgemacht hat. Gegenüber Regierungen, an denen nie Sozialdemokraten beteiligt gewesen sind,

(Abg. Haase [Kassel] : Was hat denn das mit Ihrer Rede zu tun?)

hat er gesagt:
Das ist die Wahrheit, die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volke nicht vorenthalten dürfen: Wäre von vornherein das getan worden, was wir nunmehr tun müssen, wären nicht jene Erwartungen und Gewöhnungen enstanden, die heute enttäuscht werden müssen.

(Abg. Baier: Aber Herr Möller, das hat doch damit nichts zu tun! Wir reden doch über Haushalt. — Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache! — Zum Haushalt!)

Was hat der damalige Bundesfinanzminister Strauß bei seiner ersten Etatrede, bei Einbringung des Bundeshaushalts 1968, gesagt? Er stellte die großen Fehler und das Verhängnis der bisherigen Finanzpolitik dar und zog dann die Schlußfolgerung: „Bei der ersten ernsteren wirtschaftlichen Rezession mußte dieses Gebäude einer auf den Augenblick abgestellten Haushaltspolitik zusammenbrechen."

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Zur Sache, Herr Möller!)

„So geschehen im Herbst des Jahres 1966." Dann hat er das in einem späteren Artikel vom 31. März 1967 noch klarer ausgedrückt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn das? — Abg. Haase [Kassel] : 7, 8, 9, aus!)

Ich will das nicht zitieren, ich will nur sagen, man hat sich damals unter ganz anderen Voraussetzungen mit einer verfehlten Finanzpolitik auseinandersetzen müssen, während ich nicht dargestellt habe, daß die Finanzpolitik als solche falsch angelegt gewesen sei — das konnte sie nicht mehr, nachdem wir durch das Stabilitätsgesetz unsere modernen Instrumente auch in die öffentliche Finanzwirtschaft haben einführen können; nachdem wir uns durchgerungen hatten, die Dinge mit einer mittelfristigen Finanzplanung unter Kontrolle zu bringen —,

(Abg. Haase [Kassel] : Jetzt zur Sache!)

sondern ich habe lediglich eine Schluß- und Eröffnungsbilanz machen müssen.

(Abg. Haase [Kassel] : Die war falsch!)

Das ist unerläßlich, wenn es, wie Sie heute selbst in einer Ihrer Reden gesagt haben, zu einem Machtwechsel kommt,

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

d. h. wenn zum erstenmal die Sozialdemokratische Partei Deutschlands den Bundeskanzler in dieser Bundesrepublik stellt

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Wir sind doch hier nicht auf einem Parteitag der SPD!)

und wenn diese Bundesregierung über eine sozialdemokratische Mehrheit verfügt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rösing: Warum sind Sie so nervös, Herr Möller? — Abg. Baier: Setzen Sie sich doch mit den Zahlen auseinander!)

— Ich setze mich selbstverständlich auch mit den
Zahlen auseinander. Aber wann und wie und in



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
welcher Reihenfolge ich es tue, müssen Sie ebenso mir überlassen, wie ich Ihnen überlasse, Ihre Dispositionen hinsichtlich der Ausführungen, die Sie dem Hohen Hause vortragen, selber zu verantworten.
Ich möchte zunächst noch auf den Vorwurf eingehen, daß eine Informationssperre bestanden habe. Nach Art. 110 Abs. 3 des Grundgesetzes ist der Entwurf des Bundeshaushalts gemeinsam und gleichzeitig dem Bundesrat zuzuleiten und beim Bundestag einzubringen. Das bedeutet, daß diese beiden parlamentarischen Gremien in ihrer Gesamtheit zu unterrichten sind. Dieser Regelung folgt die neue Vorschrift des § 30 der Bundeshaushaltsordnung, zu der Herr Kollege Dr. Althammer in seinem Schriftlichen Bericht niedergelegt hat, daß die Etatrede des Bundesministers der Finanzen vor dem Deutschen Bundestag und die sich anschließende Grundsatzaussprache durch die neue Vorschrift die ihnen zukommende Bedeutung für die Öffentlichkeit erhalten sollen.

(Abg. Dr. Althammer: Richtig!)

Dazu ist im Schriftlichen Bericht des Kollegen Dr. Althammer ausgeführt:
Voraussetzung ist hierfür allerdings, daß die Daten des Haushaltsentwurfs nicht vorher in die Öffentlichkeit gelangt sind.
Die Anordnung zur Einhaltung dieser Voraussetzung habe ich allerdings erlassen. Im übrigen ist der Entwurf des Haushaltsgesetzes ausweislich der Drucksache VI/300 am 13. Februar 1970 dem Deutschen Bundestag zugestellt worden. Damit wurde — ent1 gegen der Behauptung des Herrn Kollegen Strauß — die Frist des § 77 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingehalten, nach der die Beratung von Gesetzesvorlagen drei Tage nach Verteilung der Drucksache erfolgen soll. Ich habe mich auch erkundigt, ob etwa die CDU/CSU-Fraktion, der ja diese Geschäftslage bekannt war, im Ältestenrat beantragt hat, die Einbringung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung um eine Woche zu verschieben, um diese Woche für sich in Anspruch nehmen zu können — das hätte ich durchaus verstanden — und sie zu einer gründlichen Durchforstung und Durcharbeitung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung zu nutzen. Ein solcher Antrag wurde nicht gestellt. Wäre er gestellt worden, hätten selbstverständlich die Koalitionsfraktionen diesen Wunsch respektiert. Sie können also nicht uns einen Vorwurf machen, wenn wir uns genau an die Vereinbarungen halten, auch hinsichtlich des Zeitplans, die zwischen den Repräsentanten der CDU/CSU-Fraktion und mir im vorigen Jahre getroffen worden sind.
Die Zuwachsrate hat in den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß eine große Rolle gespielt. Ich habe gestern in meinen Ausführungen im einzelnen dargestellt, warum wir diese Konjunktursperre durchführen mußten, und ich habe ebenfalls begründet, warum nach unserer Meinung diese Konjunktursperre erforderlich ist, auch unter der Voraussetzung, daß etwa im Laufe des Jahres Teile der Konjunktursperre gezielt freigegeben werden können. Man kann nicht einfach aus der Tatsache,
daß in einem großen Haushalt, der über 20 Milliarden DM ausmacht, ein bestimmter Betrag gesperrt wird, schließen, daß dieser gesperrte Betrag beweisen könne, solche Ausgaben seien unnötig. Das ist doch eine Schlußfolgerung, die in keiner Weise

(Abg. Leicht: Doch! Es kommt darauf an, was gesperrt ist!)

— Ja, natürlich. Das müssen wir uns genau ansehen. Da müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, was ich Ihnen gestern schon als meine Meinung dargestellt habe. Ich will sie in einem Satz zusammenfassen: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn in den Haushaltsberatungen bessere Vorschläge erarbeitet werden, bin ich der erste — das ist ganz selbstverständlich —, der bessere Vorschläge begrüßt. Das ist ein Voranschlag, ein Vorschlag, der der Auffassung der Bundesregierung entspricht, den wir dem Hohen Hause vorlegen. Aber wir wissen auch, daß bei der Entscheidung der Deutsche Bundestag im Zusammenwirken mit dem Bundesrat der Souverän ist. Über diese Tatsache sind wir uns durchaus im klaren.
Welche Auffassungen die Koalitionsparteien und die Oppositionsfraktion zur Gestaltung des Bundeshaushalts endgültig vertreten, werden wir in der dritten Lesung und bei den dann zu fassenden Beschlüssen erkennen können. Dann werden wir auch wissen, wie Sie sich mit dem vorhandenen Zielkonflikt auseinandersetzen. Es hat einen solchen in der Bundesregierung gegeben; ich leugne es nicht. Es ist doch selbstverständlich, daß man sich auf Grund von Vorstellungen bestimmte Ziele für die Arbeit im Ministerium setzt. Daß mit der Verwirklichung dieser Ziele Ausgaben verbunden sind, ist meistens nicht zu vermeiden. Daß man nun die Regierung in einen Zielkonflikt hineinbringt — eine Regierung, die ehrgeizig genug ist, um wirklich durchgreifende innere Reformen in Angriff zu nehmen, die sich aber zu gleicher Zeit mit den Erfordernissen des Stabilitätsgesetzes auseinanderzusetzen hat —, habe ich gestern deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Alle Fachleute — ich habe bisher niemanden gehört oder gesprochen, der anders geurteilt hätte —, von der Bundesbank bis zu den Instituten, haben nichts anderes behauptet, als daß wir uns mit diesem Haushalt und den damit verbundenen Vorschlägen konjunkturgerecht verhalten hätten.
Ich komme nun zum Gutachten des Beirates. Aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen hätte Herr Kollege Strauß auch den Hinweis auf die konjunkturpolitischen Unterlassungen im Jahre 1969 zitieren sollen. Der Wissenschaftliche Beirat hat sein Gutachten am 9. und 10. Januar 1970, also noch vor Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichts und des Bundeshaushalts 1970 durch die Bundesregierung, erstellt. Zu jenem Zeitpunkt, als der Wissenschaftliche Beirat über sein Gutachten beriet, war weder die Konjunkturausgleichsrücklage beschlossen, noch war absehbar, ob die Länder dem Beispiel des Bundes hinsichtlich Konjunktursperre und restriktiver Haushaltsführung folgen würden.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Herr Kollege Strauß hat ebensowenig wie Herr Kollege Leicht hier konkrete Vorschläge für weitere Ausgabesenkungen gemacht.
Im übrigen habe ich persönlich nicht gezögert, das Gutachten, nachdem es mir zugegangen und vom Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates freigegeben worden war, unverzüglich zu veröffentlichen. Das war eine Woche nach der Sitzung des Beirates am 16. und 17. Januar. Ich habe nicht gezögert — ich wiederhole es —, dieses Gutachten unverzüglich zu veröffentlichen. Von einem „schweren Entschluß" kann daher in keiner Weise die Rede sein. Herr Kollege Strauß, Sie selbst müßten aus der Zeit, in der Ihre Fraktion an der Bundesregierung beteiligt war, wissen, wie lange derartige Gutachten früher in den Schubladen gelegen haben

(Hört! Hört! bei der SPD.)

und daß sie zu einem um Monate verspäteten Zeitpunkt veröffentlicht worden sind.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie haben dann einiges zu den Ausgaben des Bundes im Dezember 1969 gesagt. In meiner Antwort auf die Kleine Anfrage des Herrn Kollegen Strauß — Drucksache VI/237 — vom 26. Januar 1970 habe ich die Zahlen im einzelnen idargestellt, und zwar für Dezember 1969: 11 829,8 Millionen DM, für Dezember 1968: 8 860,0 Millionen DM. Das war im Dezember 1969 ein Mehr gegenüber Dezember 1968 von 2 969,8 Millionen DM. Diese 2,9 Milliarden DM erklären sich wie folgt: Erstattung von Personalkosten aus den Personalverstärkungstiteln der Bundesbahn — Einzelplan 60 —: 248 Millionen DM.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603105300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603105400
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß die zusätzlichen im Haushaltsausschuß beschlossenen Ausgaben im November und Dezember 1969 nicht mit Zustimmung der CDU/CSU erfolgten und daß Ihre Ausführungen im „Spiegel"-Interview unrichtig waren?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603105500
Es sind, wie ich inzwischen festgestellt habe, unterschiedliche Abstimmungen mit unterschiedlichen Mehrheiten erfolgt.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Das ist aus den Protokollen des Haushaltsausschusses nicht genau zu ersehen!

(Zurufe von der CDU/CSU: Das kann man doch feststellen!)

Es steht fest, daß in einigen Punkten die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion diesen Anträgen nicht zugestimmt haben; es steht aber auch fest, daß in anderen Fällen, beispielsweise beim Betriebsmittelkredit an die Einfuhr- und Vorratsstellen, diese Zustimmung — soweit ich unterrichtet worden bin —
einstimmig gegen die Stimme des Herrn Kollegen Haase erfolgt ist.

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603105600
Herr Bundesfinanzminister, meinen Sie nicht, daß Sie sich vorher, vor einer so bedeutsamen Feststellung über die Beschlüsse des Haushaltsausschusses, die Sie indem Interview angesprochen haben, hätten erkundigen sollen und daß der Sachverhalt doch aus den Protokollen des Ausschusses deutlich ersichtlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603105700
Das habe ich getan. Ich habe also festgestellt, welche dieser Positionen dem Haushaltsausschuß vorgetragen worden sind und ob die Zustimmung des Haushaltsausschusses erfolgt ist.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber nun lassen Sie mich doch einmal sagen, um welche Beträge es sich bei den 2,9 Milliarden DM handelt. Es handelt sich um Erstattung von Personalkosten aus den Personalverstärkungstiteln der Bundesbahn aus dem Einzelplan 60 mit 248 Millionen DM, die endgültige Buchung von 500 Millionen DM, die bereits in der ersten Hälfte Oktober vorschußweise an die Bundesbahn gezahlt worden waren und die Ausgabeseite buchmäßig erst im Dezember belasteten; dann um den Devisenausgleich an die USA mit 277 Millionen DM und nach Umschichtung mit Genehmigung der Mehrheit des Haushaltsausschusses noch einmal 210 Millionen DM, macht 487 Millionen DM; dann einen Betriebsmittelkredit an die Einfuhr- und Vorratsstellen mit 400 Millionen DM; weitere Zahlungen: Koks-Kohle-Subvention 90 Millionen DM, Frisia-AG 37 Millionen DM, Straßenbau — Übernahme von Öffa-Finanzierungen — 105 Millionen DM, das macht 232 Millionen DM; Überbrückungszahlung Berlin für Personalkosten 75 Millionen DM; sonstige Mehrausgaben, insbesondere Spar- und Wohnungsbauprämien, 261 Millionen DM. Insgesamt also rund 2,2 Milliarden DM.
Der Differenzbetrag zwischen den genannten Leistungen in Höhe von 2,2 Milliarden DM und dem Mehr von rund 2,9 Milliarden DM gegenüber dem Dezember 1968 entfällt auf die normale Steigerungsrate des Gesamthaushalts.

(Abg. Stücklen: Wie ist es mit den Prozentsätzen?)

Nun hat Herr Kollege Strauß das zum Anlaß von Unterstellungen genommen.

(Abg. Leicht: Wieso?)

In Ziffer 3 meiner Antwort auf die Kleine Anfrage habe ich ausgeführt, daß ein echter Vergleich der Steigerungsrate im Dezember 1969 nicht mit dem Durchschnitt der Vormonate des Rechnungsjahres 1969,

(Abg. Leicht: Die Rechnungen wollen wir wissen! Ob die richtig sind! Prozentrechnungen!)

sondern mit den Ausgabesteigerungen zum Dezember 1968 und Dezember 1967 möglich ist. Ich hielt
mich bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage an



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
die drei Punkte, die Sie in der Kleinen Anfrage formuliert hatten. In dieser Kleinen Anfrage ist man durch eine Trennung von Punkt 2 und Punkt 3 davon ausgegangen — was richtig ist, was Herr Kollege Strauß aber übersehen hat —, daß Betriebsmittelzuweisungen nicht mit den tatsächlich erfolgten Haushaltsausgaben identisch sind. Deswegen die Darstellung in Ziffer 2 und die Darstellung in Ziffer 3. Und daher habe ich gesagt: Ein echter Vergleich ist nur durch eine Gegenüberstellung der Steigerungsrate des Monats Dezember 1969 mit der des Monats Dezember 1968 möglich. Die Ausgabesteigerung im Dezember 1969, so habe ich in meiner Antwort ausgeführt, betrug im Vergleich zum Dezember 1968 26,7 v. H. und die des Monats Dezember 1968 gegenüber 1967 25,2 v. H. Herr Kollege Strauß hat hier einfach die Antwort auf Frage 2 mit der Antwort auf Frage 3 identifiziert, und das ist, schlicht gesagt, ein Fehler.

(Beifall bei der SPD.)

Ich habe die neueste Errechnung des Referats I A 3 des Bundesfinanzministeriums — Stand: 16. Februar 1970 — ausgehändigt bekommen und werde veranlassen, daß Ihnen diese Aufstellung nachher zugeht. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß wir im Rechnungsjahr 1969 im Dezember Ausgaben in Höhe von 11,605 Milliarden DM zu verzeichnen hatten. Die Ausgaben im Dezember des Rechnungsjahres 1968 betrugen 9,138 Milliarden DM. Wenn Sie diese beiden Zahlen in Vergleich setzen, kommen Sie zu der auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage genannten Steigerungsrate von 27 %.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch neue Zahlen!)

Wenn Sie die Ausgaben im Dezember des Rechnungsjahres 1968 in Höhe von 9,138 Milliarden DM mit den Ausgaben im Dezember des Rechnungsjahres 1967 vergleichen, werden Sie feststellen, daß die Steigerungsrate 25,2 % beträgt. An dieser Feststellung kommen Sie nun einmal nicht vorbei. Ich habe das ja schließlich nicht erfunden.

(Abg. Leicht: Das sind doch neue Zahlen! — Abg. Rösing: Das sind doch andere Zahlen, als Sie schriftlich angegeben haben!)

— Das sind keine anderen Zahlen. Das sind Zahlen, die auf den neuesten Stand gebracht worden sind.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Baier: Das ist doch das gleiche!)

Es ist nun einmal üblich, den Berechnungen die neuesten Zahlen zugrunde zu legen. Der schwere Vorwurf, den ich Ihnen zu machen habe, ist ja gerade, daß Sie die mittelfristige Finanzplanung nicht sorgfältig und zahlenmäßig in allen Positionen weitergeführt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie können sich doch nicht auf irgendeine Anlage zu irgendeinem Vorgang und auf irgendeinen Vortrag, den der damalige Parlamentarische Staatssekretär, Herr Kollege Leicht, im Haushaltsausschuß gehalten hat, beziehen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Leicht hat damals verschiedene Punkte behandelt, aber das war doch keine Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung. Das müssen Sie doch wirklich zugeben. Wenn Sie — wie Sie behaupten — die mittelfristige Finanzplanung in allen Positionen laufend fortgeschrieben haben, dann tun Sie bitte folgendes: Fahren Sie mit dem Leiter der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums, Herrn Soddemann, nachher ins Ministerium und suchen Sie die Akte heraus. Diese Akte ist mir bisher nicht zur Verfügung gestellt worden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603105800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603105900
Nein, ich möchte hier erst auf die Unterstellung eingehen, das seien neue Zahlen.
Was habe ich in meiner Antwort auf die Kleine Anfrage gesagt, und was ist beanstandet worden? Ich habe geantwortet: „Die Ausgabesteigerung im Dezember 1969 betrug im Vergleich zum Dezember 1968 26,7 v. H. ..." Eben habe ich gesagt, daß sie 27 % beträgt. Das ist der neueste Stand vom 16. Februar. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß zwischen 26,7 % und 27 % ein großer Unterschied besteht. Hier handelt es sich lediglich um eine Aufrundung.
Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß die Steigerungsrate für 1968 gegenüber 1967 25,2 % betrug. Auch in diesem Papier ist sie mit 25,2 % ausgewiesen. Ich weiß also nicht, wieso Sie nach wie vor solche Unterstellungen vornehmen.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Strauß hat nun beanstandet, daß keine ausreichenden Globalposten für den später auslaufenden Devisenausgleich vorgesehen worden seien. Wenn die sozialdemokratische Fraktion noch in der Opposition wäre und wenn ich als Sprecher der Opposition heute zu dem Haushalt hätte Stellung nehmen müssen, würde ich solche Äußerungen nicht gemacht haben. Sie können nicht behaupten, daß durch eine derartige Darstellung, wie sie eben gegeben worden ist, die ganze Situation erleichtert worden ist, die gespannte Situation im Hinblick auf das, was die Bundesrepublik Deutschland etwa tun muß, um sicherzustellen, daß die amerikanischen Truppen in ausreichender Zahl auch nach Auslaufen des Devisenausgleichsabkommens weiter in der Bundesrepublik verbleiben. Das Devisenausgleichsabkommen läuft am 30. Juni 1971 aus. Der Bundesregierung ist selbstverständlich klar, was für bedeutungsvolle Verhandlungen mit großer Verantwortlichkeit von beiden Seiten geführt werden müssen, um eine Regelung zu erreichen, von der ich auch schon gestern sprach und von der ich sagte, es müsse sichergestellt werden, daß sich das militärische Gleichgewicht auf dem europäischen Kontinent zugunsten keiner Seite verschiebt. Ich habe ausdrücklich gebeten, auf diesen Tatbestand Rücksicht zu nehmen und nicht in der Öffentlichkeit unbedachte Äußerungen zu tun, die die Verhandlungsposition der Bundesregierung nur zu erschweren geeignet sind.

(Bundeskanzler Brandt: Sehr richtig!)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, welche Ergebnisse solche Verhandlungen erbringen. Deswegen hat auch der Globalansatz, über den hier gesprochen wurde, keinen letzten Aussagewert. Das ist selbstverständlich. Aber da nun davon geredet wurde, daß er 1971 nur 500 Millionen DM betrage, 1972 auf 1,2 und 1973 auf 2 Milliarden DM anwachse, darf ich nur noch einmal, ohne daraus weitere Schlußfolgerungen zu ziehen, festhalten, daß das Devisenausgleichsabkommen zwischen den USA und Großbritannien his zum 30. Juni 1971 befristet ist. Ich hoffe, daß daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen gezogen werden können und sich damit auch die Behauptung des Herrn Kollegen Strauß als unrichtig erweist.
Ich hätte sehr gewünscht, daß Herr Kollege Strauß zu den einzelnen Punkten, die ich gestern vorgetragen habe und die ihn unmittelbar oder mindestens im bayerischen Teil der CDU/CSU-Opposition angehen, einige aufklärende Ausführungen gemacht hätte,

(Abg. Leicht: Das kommt noch!)

z. B. wie es kommt, daß in einem von der CSU verteilten Flugblatt die Behauptung aufgestellt werden konnte, daß die 1,9 Milliarden DM, die Herr Kollege Strauß in der Pressekonferenz vom 17. Oktober 1969 als Risiken bezeichnet habe, in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten seien. Ich habe festgestellt, daß das nicht den Tatsachen entspricht. Was Herr Kollege Strauß am 17. Oktober auf der Pressekonferenz vorgetragen hat und was er als
Risiken gegenüber der alten Finanzplanung für das Rechnungsjahr 1970 bezeichnet, ist im einzelnen auf Seite 7 ausgeführt, und auf Seite 8 sind dann die zusätzlichen Risiken enthalten. Daß das nicht mit der Fortschreibung einer mittelfristigen Finanzplanung gleichgesetzt werden kann, werden Sie mir zugestehen müssen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603106000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603106100
Herr Bundesfinanzminister, vielleicht schreibt einer Ihrer Beamten mit. Würden Sie so freundlich sein und sich die Ubersicht über die Entwicklung des Ausgabebedarfs 1970 bis 1973 und deren Finanzierung — Stand 15. Oktober 1969 — nebst einem Bündel von Anlagen — Referat II A-5 zu II A-5-A 04 02-2 54/69 — vorlegen lassen und dann Aussagen treffen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603106200
Ich werde mich über die Mittagspause gern bemühen, diese Akten beizuziehen, und feststellen, ob sich aus diesen Akten ergibt, daß eine auf den neuesten Stand gebrachte mittelfristige Finanzplanung vorlag.
Meine Herren, Sie können mich nicht davon abbringen — —

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Propoganda zu machen!)

— Nein, Sie können mich nicht davon abbringen, von Ihnen zu erwarten, daß Sie mir nachweisen, eine Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung sei laufend erfolgt.

(Abg. Leicht: Intern!)

— Ja, intern, in Ordnung. Ich habe volles Verständnis dafür, daß man die mittelfristige Finanzplanung nicht veröffentlicht hat. Dazu hätte ein Beschluß der Bundesregierung gehört und einiges mehr. Das habe ich auch gestern anerkannt, indem ich von Herrn Kollegen Strauß nicht erwartet habe, eine auf den neuesten Stand gebrachte mittelfristige Finanzplanung zu veröffentlichen; denn das muß natürlich Sache der neuen Bundesregierung sein, weil die mittelfristige Finanzplanung ein in Zahlen ausgedrücktes Regierungsprogramm darstellt.
Herr Kollege Strauß hat auch einiges über die Konjunkturausgleichsrücklage 1969 gesagt. Alle seine Behauptungen, daß es möglich gewesen sein müsse — das klang auch in den Ausführungen des Herrn Kollegen Leicht an —, im Dezember 1969 eine solche Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden, entbehren des Wirklichkeitsgehalts, denn ich habe ja vorgetragen, welche Verpflichtungen gerade im Dezember 1969 auf den Bundeshaushalt zukamen, und hinzugesetzt, daß die Situation im Januar 1970 auch dadurch erschwert war, daß sich zum erstenmal die Umschichtungen in der Verteilung ,des Steueraufkommens durch die Finanzreform bemerkbar machten und für den Monat Januar 1970 infolgedessen eine um 700 Millionen DM geringere Steuereinnahme eintrat, verglichen mit einem Zustand, der vorhanden gewesen wäre, wenn man die Finanzreform nicht durchgeführt hätte. Daß sich das im Laufe des Jahres ausgleicht, ist bekannt. Aber auch für das Jahr 1970 insgesamt wird sich allein aus der Finanzreform eine Mindereinnahme des Bundes in Höhe von 1,1 Milliarden DM ergeben.
Es wäre mir sehr viel lieber gewesen, wenn sich Herr Kollege Strauß zu dem — sagen wir — Vorwurf geäußert hätte, daß er selbst trotz des Beschlusses der Bundesregierung nichts getan hat, um die Konjunkturausgleichsrücklage auch für den Bund bei der Bundesbank anzulegen.

(Abg. Leicht: Das kommt noch! Der Beschluß lautet doch: „Konjunkturausgleichsrücklage oder ..." !)

— Ja, und es ist eben nichts in die Konjunkturausgleichsrücklage eingezahlt worden.

(Abg. Leicht: Weil Sie es nicht gemacht haben! Sie haben es ausgegeben!)

— Na, hören Sie mal, Herr Kollege Leicht! Ich konnte das nicht nachholen, was in den vergangenen Monaten nicht gemacht wurde, denn auch im Dezember — das wissen Sie — waren weiter Schuldentilgungen vorzunehmen. Das ist geschehen.

(Abg. Leicht: Natürlich, gut! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Wie erklärt dann aber Herr Kollege Strauß den folgenden Satz aus einem Schreiben an den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Blessing, vom 18. September 1969, Seite 2, erster Absatz, sechste Zeile:
Meiner Absicht, die Konjunkturausgleichsrücklage neben der Tilgung der U-Schätze durch zusätzliche Schuldaufnahmen auf die vollen 2,4 Milliarden DM aufzufüllen, ist durch die Entscheidung des Zentralbankrats die Grundlage entzogen worden.

(Abg. Leicht: Na und?)

Wir haben eben gehört — Herr Kollege Leicht hat es bestätigt —, daß bis dahin noch keine D-Mark in die Konjunkturausgleichsrücklage gezahlt worden ist.
Ich will auf den Vorgang nicht eingehen — obwohl er auch außerordentlich beachtlich ist —, der Herrn Kollegen Strauß veranlaßt hat, am 18. September, einige Tage vor der Wahl, diesen Brief an den Herrn Präsidenten der Bundesbank zu schreiben. Aber wenn hier steht, es sei seine Absicht, die Konjunkturausgleichsrücklage auf die vollen 2,4 Milliarden DM aufzufüllen, dann muß doch ein normal begabter Bürger daraus schlußfolgern, daß schon etwas darin ist. Denn ich kann doch nur auf den vollen Betrag von 2,4 Milliarden DM auffüllen, wenn bereits Zahlungen geleistet worden sind.

(Beifall bei der SPD.)

Davon muß Jauch der Vorsitzende Ihrer Fraktion ausgegangen sein. Ich habe Ihnen gestern bereits vorgetragen, was Herr Kollege Barzel im Bayerischen Rundfunk ausgeführt hat, nämlich, daß die Regierung Kiesinger und Finanzminister Strauß eine Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank gebildet haben. Tatsächlich ist die Bildung dieser Koniunkturausgleichsrücklage nicht erfolgt.
Nun 'ist von Herrn Kollegen Strauß gefragt worden: Was geschieht .ab 1. Januar 1931?

(Abg. Strauß: Am 1. Juli 1970!)

— Was am 1. Juli 1970 geschieht, habe ich gestern schon dargestellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit den Sperren!)

Wenn wir in einer Lage sind, die es uns gestattet, die Beträge zu entsperren — das wollten Sie wissen? —, wenn wir . also einiges für die Wiederbelebung der Konjunktur tun müßten — diesen Fall einmal theoretisch gesetzt —, dann könnte eine Entsperrung nur auf Antrag des Bundesfinanzministers im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister durch die Bundesregierung erfolgen, und zwar für jeden einzelnen Titel getrennt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Kontrolle?)

— Inwieweit hier eine Einschaltung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages ermöglicht werden kann, sollte geprüft werden. Hier ist die Rechtslage eine andere als bei der Konjunkturausgleichsrücklage. Wie dort verfahren werden muß, ist im Stabilitätsgesetz angegeben. Aber auch für eine Entsperrung haben wir im Haushaltsgesetz ausdrücklich vorgesehen, daß die Voraussetzungen des Stabilitätsgesetzes erfüllt sein müssen: Also nur wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erwartet werden kann, wenn diese Zeichen eindeutig gesetzt sind, ist der Bundesfinanzminister überhaupt in der Lage, der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister einen solchen Antrag vorzulegen, und zwar wie gesagt, für jeden einzelnen Titel; und über jeden einzelnen Titel müßte beschlossen werden.
Wenn nun eine solche Lage am 1. Juli 1970 nicht vorhanden ist und wenn wir bis Mai/Juni den Haushaltsplan 1970 verabschiedet haben, ergibt sich die Frage, die ich gestern zu beantworten versucht habe: Was ist dann? Tritt dann nicht ein Ausgabestoß ein, weil sich durch die restriktive Haushaltsführung einiges angesammelt hat und natürlich die Gefahr besteht, daß dann, wenn der Haushaltsplan in Kraft tritt und der vorläufige Haushaltsvollzug damit beendet ist, ein größerer Ausgabestoß erfolgen könnte? Ich habe dazu gestern erklärt, daß wir uns selbstverständlich auch in diesem Fall konjunkturgerecht verhalten müssen und eine auf diesen Fall abgestellte Beschlußfassung der Bundesregierung unerläßlich ist.
Nun könnte die dritte Frage gestellt werden: Wie ist die Situation, wenn diese Konjunktursperre für das ganze Jahr bestehen bleibt? — Dann gehen die gesperrten Beträge als Ausgabereste in die Haushaltsführung ein, und über die Verwendung dieser Ausgabereste muß, wie Sie wissen, ein besonderer Beschluß gefaßt werden.
Das wäre die Antwort auf die Frage: Was geschieht ab 1. Januar 1971? Aber das ist eine rein theoretische Darstellung, wie ich gern zugebe. Ich bin auf diese Fragestellung eingegangen, weil sie immerhin bedeutsam ist. Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung alles tut, um sich in den gegebenen Zeitabschnitten so zu verhalten, daß nach Möglichkeit in voller Übereinstimmung des ganzen Hauses gesagt werden kann: das war ein antizyklisches, ein konjunkturgerechtes Verhalten! Seien Sie auch versichert, daß alle in dieser Richtung, insbesondere von Herrn Kollegen Leicht, gemachten Ausführungen von mir sehr ernst genommen werden und daß ich diesen Teil der Ausführungen der Opposition selbstverständlich so beachte, wie es die Lage und der Wert dieser Vorschläge verdienen.
Herr Kollege Strauß hat gefragt, wie das nun alles finanziert werden könne. Er hat gemeint, die Erblast sei doch gar nicht so schlecht. Aber wir wären natürlich in einer ganz anderen Situation — das sollten wir doch bei dieser Gelegenheit auch noch einmal festhalten —, wenn wir früh genug aufgewertet hätten.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Es tut mir leid, daß ich Ihnen das sagen muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Strauß hat sich ausdrücklich auf das
höhere Steueraufkommen bezogen. Ich möchte Ihnen
dazu erklären, in diesem höheren Steueraufkommen,



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
insbesondere des Jahres 1970, befindet sich eine' beträchtliche Inflationsrate. Ich würde als Bundesfinanzminister auf diese Inflationsrate gern verzichten und mit geringeren Steuereinnahmen auskommen, wenn wir dabei von einer gesunden Preisstabilität ausgehen könnten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603106300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0603106400
Herr Bundesfinanzminister, bin ich falsch unterrichtet, wenn ich davon ausgehe, daß Sie noch im Mai 1969 für Ihre Fraktion ein Papier erstellt haben, in dem Sie 21 Punkte gegen die Aufwertung und nur 8 in der Gewichtung reicht unbeachtliche Punkte für die Aufwertung genannt haben?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603106500
Herr Kollege, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, haben Sie doch schon dem 5. Deutschen Bundestag angehört?

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Ja, ja!)

— Dann müßten Sie das eigentlich wissen; das haben wir bereits einmal ausführlich behandelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein Antwort! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Sie können mir vieles vorwerfen, aber daß ich kneife und keine Antwort gebe, 'das können Sie mir nicht, unterstellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das war erst einmal der Anfang. Es hätte ja sein können, der Herr Kollege hätte dem 5. Deutschen Bundestag nicht angehört. Dann mußte ich mich mit meiner Antwort anders verhalten. Dann hätte ich ,sagen müssen: Herr Kollege, ich habe bereits bei der Etatdebatte des vorigen Jahres klargestellt, was dieses Papier für eine Bedeutung hatte, daß dort die Gründe einerseits für und andererseits gegen die Aufwertung aneinandergereiht worden sind, daß damit aber in keiner Weise eine Bewertung vorgenommen worden ist. Ich habe gesagt: Dieses Papier vom Mai 1969 bezieht sich auf ein Papier vom November 1968, als wir uns ebenso wie im Mai 1969 in unserer Fraktion mit der Frage zu beschäftigen hatten: Ist eine Aufwertung der richtige und notwendige Schritt, oder können wir außenwirtschaftlich über das Absicherungsgesetz versuchen, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verhindern?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn es damals zu diesem Absicherungsgesetz kam
— oh, hätten Sie nicht gefragt! —, so doch deswegen,
weil Herr Kollege Schiller ein Menschenfreund ist.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

In der damaligen Situation hat Herr Kollege Strauß bei den Beratungen im Bundeskabinett im November 1968 erklärt: Eine Aufwertung geht nur über meine Leiche.

(Abg. Leicht: Das hat Schiller auch gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Daß Herr Kollege Schiller im November nicht gerade die Leiche Strauß' sehen wollte, können Sie ihm doch nicht verübeln.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist schließlich so gewesen, daß dieses Absicherungsgesetz eine Kompromißlösung zwischen denen, die schon damals die Aufwertung für den richtigen Schritt gehalten haben, und denen, die nicht dieser Meinung waren, dargestellt hat.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Aber, meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, lassen Sie mich das bitte zu Ende führen. Ich habe die Verhandlungen damals mitgemacht. Nun tun Sie doch nicht so, als wenn dieses Absicherungsgesetz eine Leichtgeburt gewesen wäre; ich weiß nicht, ob es medizinisch so etwas gibt. Aber Sie wissen ja, wie schwer es gewesen ist, dieses Absicherungsgesetz gegen Ihren Wirtschaftsflügel durchzusetzen. Wir haben darüber in der Koalition verhandelt. Der Vorgang Absicherungsgesetz ist bereits durch Verhandlungsergebnisse aufgeweicht worden, die im Gegensatz zu der von der Bundesregierung beschlossenen Vorlage zum Absicherungsgesetz standen. Sie haben schon damals durch einige Ihrer Kollegen erklären lassen: Wenn wir dieses Absicherungsgesetz realisieren, bedeutet das den Ruin des Exports. Das gleiche haben Sie auch erklärt, als wir nachträglich die Aufwertung mit 8,5 % durchführten. Da ist gerade die Höhe des Aufwertungssatzes wieder Gegenstand einer öffentlichen Kritik gewesen, die nun durch die Realitäten des Wirtschaftslebens und des Exports in keiner Weise gestützt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603106600
Herr Abg. Althammer möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0603106700
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß es gerade Ihr Kollege Schiller war, der im Haushaltsausschuß sehr nachdrücklich die Unterstützungsleistungen für verschiedene Wirtschaftszweige verlangt hat, daß man sich also in dieser Frage einig war? Ist Ihnen weiter nicht bekannt, daß damals bis zum Mai die Aufwertung auch von Ihrer Seite ganz eindeutig abgelehnt worden ist?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603106800
Nein, das stimmt nicht. Ich wiederhole, diese Aufwertung wurde von uns damals nicht eindeutig abgelehnt, sondern in der Abwägung des wirtschaftlich Notwendigen und des politisch Möglichen ist man zu dem Resultat ge-



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
kommen, einen Versuch zu machen, durch das Absicherungsgesetz den Export und den Import zu beeinflussen. Wenn Herr Kollege Schiller dann das Ergebnis der Koalitionsabsprache im zuständigen Ausschuß vertreten hat, dann mag das für Sie etwas Besonderes sein; für uns ist das eine Selbstverständlichkeit.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich darf aus dem „Wirtschaftsbild" vom 28. Januar 1970 zitieren, das von den Herren Erhard, Scheufelen und Schmücker herausgegeben wird. Sie mögen die zitierten Feststellungen vom 28. Januar 1970 in der weiteren Debatte berücksichtigen. Hier heißt es:
Bei der Durchforstung des Instrumentenkastens des Stabilitätsgesetzes kamen nicht nur Bundesregierung und Opposition, sondern auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute sehr schnell zu der Erkenntnis, daß sich gegenwärtig als praktikables Instrument allein die öffentliche Haushaltspolitik anbietet. Um so stärker wandte man sich ,der Ausgabenseite der öffentlichen
Haushalte zu. Hier bot sich ein sehr weiter Spielraum an, der inzwischen auch weitestgehend genutzt wurde.
Das ist aus der Sicht des 28. Januar 1970 richtig gewesen. Inzwischen ist durch die neuen Konjunkturdaten eine ernstere Situation entstanden. Das wurde bei der Erörterung des Jahreswirtschaftsberichts klar.
Hier verweise ich auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Schiller, sowie auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und füge von mir aus hinzu, daß ich in vollem Umfang einem erweiterten binnenwirtschaftlichen Stabilisierungsprogramm zustimmen würde, wenn es der für den Konjunktur- und Wirtschaftsablauf verantwortliche Bundeswirtschaftsminister Professor Schiller für notwendig hält. Dann wird der Bundeswirtschaftsminister diesmal den Bundesfinanzminister ganz auf seiner Seite haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603106900
Das Wort hat nun der Herr Bundesminister für Verteidigung.

(Zurufe von der CDU/CSU: 1 Uhr!)

— Ich nehme an, daß es sich um eine kurze Erklärung handeln wird.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603107000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Erklärung, aber eine kurze Bemerkung. Ich habe zu denjenigen gehört, Herr Strauß, die in Bonn mit besonderem Interesse auf Ihre Rede gewartet haben. Ich hatte dafür zwei Gründe. Zum einen habe ich gemeint, daß das allerdings für Sie keine ganz leichte Aufgabe sein würde nach der sehr politischen Haushaltsrede, die Alex Möller gestern gehalten hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Polemisch, nicht politisch!)

— „Politisch" habe ich gesagt. Auf die Polemik komme ich noch zu sprechen. Da verstehe ich auch etwas davon, beruhigen Sie sich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es war eine Haushaltsrede, die das ganze Gebäude der Finanzpolitik in der vollen Übereinstimmung mit den politischen Schwerpunktsetzungen dieser Regierung gezeigt hat. Sie sind dem teilweise gerecht geworden, aber eben nur teilweise.
Es hat mir leid getan, daß bei Ihnen Passagen drin waren wie die über die gleichen Beamten, die einmal dies geschrieben hätten und einmal das. Es sind ja nicht mehr ganz die gleichen Beamten, Herr Strauß. Zum anderen gehen wir doch beide davon aus, daß alle Beamten in Bonn im Rahmen der Gesetze loyal ihrem jeweiligen Minister dienen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Das sollten Sie sich aber merken!)

Es hat mir auch leid getan, daß da Bemerkungen gefallen sind wie die, daß Dr. Möller plus und minus verwechsle und daß er nicht rechnen könne. Das meinen Sie im Ernst auch nicht.

(Abg. Dr. Althammer: Braucht er denn Ihre Hilfe, Herr Minister?)

— Schauen Sie, ich rede hier nicht für das Finanzressort, sondern ich nehme mein Recht nach dem Grundgesetz wahr, für die Bundesregierung gegen den Herrn Dr. Strauß zu sprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Es wird ja Zeit, Herr Kollege Strauß, nachdem Sie sich draußen in Bayern als der Praeceptor Germaniae aufführen und hier bloß den Finanzexperten machen wollen, daß Sie auf die Sache gestellt werden und nicht auf das Plus oder auf das Minus in irgendeiner Rechnerei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zum Haushalt hat Ihr Kollege Leicht gesprochen, den ich sehr respektiere. Es wird noch Ihr Kollege Althammer zum Haushalt sprechen, den ich respektiere. Von Ihnen aber hat man nach der Ouvertüre in Vilshofen erwartet, daß Sie die Gelegenheit einer ersten Lesung des Haushalts — das ist doch die große politische Generalchance — nutzen würden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie doch uns überlassen!)

Da wäre ich dankbar, Sie würden noch einmal reden. Wir wären dankbar, wenn Sie die Gelegenheit einer Generaldebatte nutzten, Herr Strauß, um nicht so ganz viel vor- und nachzurechnen. Ich habe nichts dagegen; Sie haben auch noch etwas nachzuholen bei der Rechnerei. Aber wenn Sie statt dessen hier darlegen würden — —

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Damit hat doch Herr Möller angefangen!)

— Ja, Herr Möller ist der Finanzminister. Der Herr Strauß möchte aber der Praeceptor Ger-



Bundesminister Schmidt
maniae sein. Ich möchte einmal hier in Bonn hören, was er zu sagen hat.

(Abg. Baier: Sie sind der Oberlehrer!)

— Nein! Sie wollen doch zum Essen. Wenn Sie aber Zeit haben, bin ich bereit, darauf einzugehen. Dann würde ich Sie bitten, ans Mikro zu gehen und die Frage so zu stellen, daß ich sie akustisch auch verstehe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch nicht mehr Fraktionsvorsitzender!)

— Nein; schade, nicht?

(Heiterkeit.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603107100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID0603107200
Herr Minister, darf ich Sie fragen: Leisten Sie jetzt im Augenblick Ressortarbeit, oder in welcher Eigenschaft sprechen Sie?

(Abg. Wehner: Hier ist ein Parlament! Lümmel!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603107300
Ich habe das gerade vorher erklärt. Ich nehme das Recht in Anspruch, das die Verfassung, das das Grundgesetz unseres Staates jedem Angehörigen der Bundesregierung einräumt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: So dumme Fragen zu stellen! — Gegenruf des Abg. Baier. — Abg. Wehner: Diese Art ist erschreckend, wissen Sie! Sie glauben, Sie können hier spielen! — Abg. Baier: Wie kann man ihn mit „Lümmel" bezeichnen! Das erfordert einen Ordnungsruf!)

Ich wollte Sie eigentlich zunächst noch einmal bitten, ein bißchen zuzuhören. Ich habe zunächst eine Bemerkung zu machen, von der ich annehme, daß Herr Strauß ihr zustimmt, und die auch von mir aus nicht polemisch vorgebracht werden soll, eine Fußnote. Herr Strauß, die Auslegung der Bibel durch die Zeugen Jehovas würde ich nicht zum Maßstab machen, an dem man politische Darlegungen von Kollegen mißt. Ich meine, jedermann in diesem Lande sollte die religiösen Auffassungen und Bekenntnisse seines Nächsten achten und respektieren.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien!)

Zwei kleine Bemerkungen, weil Sie mich fragen, ob ich von meinem Ressort etwas verstünde.

(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stark — Ich verteidige nicht den Kollegen Möller — das hat der nicht nötig —, ich greife den Kollegen Strauß an. Das ist der Unterschied. (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Sie sind Verteidigungsminister, nicht Angriffsminister! — Abg. Strauß: Ersatzreserve II! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich eben die beiden Sätze sagen, damit der Herr Kollege hier in der Mitte seine Genugtuung bekommt. Sehen Sie, in den Ausführungen von Herrn Strauß waren Bemerkungen, die sich auf das von mir gegenwärtig verwaltete Ressort bezogen. Da fand sich die Behauptung, daß die Dezemberzahlungen besonders auf den Zeiger der Konjunktur gehauen hätten; da war nachher die Rede von Zahlungen in Richtung Amerika.

(Abg. Dr. Althammer: Vergleichsbilanz!)

— Ja, sicher, Vergleichsbilanz! Hier waren z. B. im Dezember in der Größenordnung von einer knappen halben Milliarde DM Zahlungen an die Vereinigten Staaten. Wir werden doch wohl darin übereinstimmen, daß das völlig konjunkturneutral war; da gibt es sicherlich keinen Widerspruch.
Dann waren da Bemerkungen über die Summe von 1 080 Millionen DM, die im Einzelplan 14 zunächst gesperrt ist; es wurde gefragt, ob diese Summe wohl überflüssig sei. Dieser Sperre hätte ich nach langem Rechnen in meinem Hause nicht zustimmen können, Herr Strauß, wenn ich nicht — siehe vorhergehender Absatz — z. B. in der Lage gewesen wäre, noch im Jahre 1969 Zahlungen an das Ausland zu leisten. Dazu war ich nur in der Lage, weil in der Periode des Jahres 1969 eine Reihe von dem Verteidigungsminister zur Verfügung stehenden Geldansätzen nicht voll ausgegeben worden waren. Ich war dafür ja nicht verantwortlich.
Aber es war jemand mitverantwortlich dafür, daß Gelder nicht ausgegeben wurden, nämlich derjenige, der durch Schreiben des Finanzministeriums verhindert hat, daß weiterhin Unteroffiziersheime gebaut wurden. Das ist nur ein Beispiel; ich kann Ihnen eine ganze Liste vorlegen, aus der hervorgeht, daß der damalige Finanzminister Strauß durch alle möglichen bürokratischen Hemmnisse den damaligen Verteidigungsminister Schröder daran gehindert hat, das Geld, das dieses Hohe Haus bewilligt hatte, auch wirklich für den bewilligten Zweck zu verwenden. Da kann ich Ihnen eine ganze Menge Beispiele geben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Strauß, ich möchte jetzt keine Frage beantworten.

(Abg. Strauß: Ihr Glück!)

— Normalerweise drücken wir uns ja nicht voreinander; aber Sie kommen ja heute nachmittag noch einmal dran. Ich werde Ihnen dann zuhören, und Sie können mich dann noch einmal vors Brett nehmen. Ich habe jetzt ein bißchen Mitgefühl mit denen, die zum Essen wollen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)




Bundesminister Schmidt
) Schauen Sie, Herr Strauß, was Sie nach meiner Meinung hätten tun müssen, nachdem zwei, drei Ihrer Kollegen sich auf haushalts- und finanzpolitische Reden vorbereitet und sie auch zum Teil schon gehalten haben, war diese Gelegenheit zu benutzen, um den Generalangriff auf die Regierung

(Abg. Baier: Ein Oberlehrer!)

— ich provoziere jetzt ganz bewußt — hier im deutschen Parlament zu führen, den Sie sonst draußen in Vilshofen am Aschermittwoch vom Stapel lassen. Das war Ihre Aufgabe!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich werfe Ihnen nicht einmal vor, daß Sie in Vilshofen und hier mit verschiedener Zunge gesprochen hätten. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie dort zu Sachen redeten, zu deren Sie sich heute hier ausschweigen, zu sehr wichtigen Sachen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: So war das immer! — Abg. Haase [Kassel] : Kommt doch noch! — Abg. Baier: Wird erfolgen!)

Ganz abgesehen davon, daß auch die Art und Weise, wie Sie sich dort ausdrückten, Anlaß zur Kritik gibt, der über den Anlaß, den Sie heute geboten haben, noch hinausgeht.
Ich lese — natürlich mag das in den Zeitungen falsch zitiert sein; das passiert uns allen —, daß Sie über den Kollegen Landwirtschaftsminister gesagt haben:
Ich sage nicht, daß er ein Verräter ist; denn für :den Verrat fehlt ihm die Erkenntnis für die Rolle, die er gespielt hat.

(Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der SPD.)

In derselben Rede zitieren Sie unseren früheren Vorsitzenden der Fraktion, Fritz Erler, als „mein Freund".

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ja bitte, wenn jemand Anspruch hat, Erler als Freund zu zitieren, dann sind das Brandt oder Wehner oder die ganze SPD-Fraktion oder ich, aber jedenfalls nicht Sie, Herr Strauß, wenn ich mir die letzten 20 Jahre richtig vergegenwärtige.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

In derselben Rede zitieren Sie Kurt Schumacher und gebrauchen das wenig geschmackvolle Bild, er müsse im Grabe wie ein Ventilator rotieren. Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn Schumacher noch hier unter uns wäre, würde er mit einer allerdings unnachahmlichen Schärfe zurückweisen, daß Sie ihn oder Fritz Erler für sich in Anspruch nehmen.

(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.)

Nun aber zur Sache selbst, die ich Sie bitte, hier in diesem Parlament vorzutragen und nicht am Aschermittwoch in Vilshofen. Sie haben dort gesagt, diese Bundesregierung verkaufe eine Position nach der anderen

(Abg. Wehner: Verschenke!)

„zu Schleuderpreisen" Das möchte ich hier in diesem Hause von Ihnen gesagt hören. Damit möchte ich mich auseinandersetzen 'dürfen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das kommt am Mittwoch! — Nächsten Mittwoch! — Abg. Strauß: Atomsperrvertrag, Zweistaatentheorie!)

Sie haben in Vilshofen davon gesprochen, der Phase der Kooperation zwischen den verschiedenen Parteien müsse nunmehr die Konfrontation folgen. Na bitte, dann machen Sie's doch hier und reden Sie nicht über Plus und Minus!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Kommt noch!)

Sie haben in Vilshofen gesagt, bei dem Botschafter Bahr sträubten sich Ihnen die Haare, „wenn ich sehe, wie der dillettantische Amateurdiplomat über Fragen verhandelt, von denen die Zukunft Europas abhängt". Das war das zweitemal, daß Sie Politiker dieses Staates, die in Moskau in schwierige Gespräche verwickelt sind — das letzte ,Mal waren es Alex Möller und Egon Franke und ich —, während man im Gespräch ist mit dem weiß Gott schwierigen sowjetischen Partner, kritisieren. Sie versuchen, irgendwo in Bayern, diesem Mann, der für Deutschland in Moskau spricht, den Teppich unter den Füßen wegzuziehen!

(Lebhafter Beifall bei den Reigierungsparteien. — Pfui-Rufe von der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Das alles hätte in die von Ihnen weiß Gott zu verlangende politische Leitrede hineingehört,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kommt doch nächsten Mittwoch!)

die Sie diem deutschen 'Parlament und Ihrer eigenen Fraktion heute morgen allerdings schuldig geblieben sind.

(Abg. Rösing: Es sind Vereinbarungen im Altestenrat getroffen worden! Sie reden viel zu früh! — Abg. Baier: Demagogie ist das! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie die Geschäftslage im Hause?)

— Die Geschäftslage im Hause ist die: Ich bin 1953 das erstemal in dieses Parlament gewählt worden. Ich gebe zu, es gibt Kollegen, die sind schon vier Jahre länger hier; aber das habe ich in 16 Jahren Bonn begriffen, daß die erste Lesung einer Haushaltsdebatte die große politische Debatte ist!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Nächste Woche!)

Ich meine, daß die CDU/CSU-Fraktion — ich bedaure, daß ihr Vorsitzender heute nicht hier sein kann —, leider die Gelegenheit versäumt,

(Zurufe von der CDU/CSU: Das muß man sich hier anhören! — Gehen Sie doch 'zum Ältestenrat und erkundigen Sie ich!)




Bundesminister Schmidt
dem Hohen Hause klarzumachen, wer für die Fraktion spricht, ob für die Fraktion Herr Kollege Kiesinger spricht,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind doch mitten in der Debatte drin!)

der gegenüber der Bundesregierung und auch öffentlich erkennbar sagt, er sei dafür,

(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

daß in Moskau die Möglichkeiten — wer weiß, wie groß sie sind — ausgelotet werden, oder ob für die CDU/CSU-Fraktion — —

(Abg. Katzer: Wo ist denn der Außenminister?)

— Da sitzt der Bundeskanzler!

(Abg. Rösing: Wir nehmen Rücksicht darauf, daß er diese Woche nicht da ist!)

— Ja, ja, ja, ja! Wenn Sie mir durch den Zwischenruf sagen wollen,

(Abg. Lemmrich: Nicht mehr glaubwürdig!)

daß Herr Strauß die Rede, die ich von ihm erbitte, in der nächsten Woche hält,

(Zurufe von der CDU/CSU: Die können Sie haben! — Die hält er noch!)

soll es mir nur recht sein. Es wird dann innerhalb von acht Tagen die dritte Rede sein, denn die zweite kommt ja heute nachmittag noch. Mir soll es recht sein; ich würde es wünschen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber Sie haben doch heute das Thema geändert! — Wir haben doch auf Veranlassung des Außenministers die außenpolitische Debatte auf die nächste Woche gelegt! — Gegenruf des Abg. Wehner: Das ist doch keine Außenpolitik! Schimpfpolitik macht Herr Strauß!)

Hier geht es doch nicht um einen Ausschnitt aus der Außenpolitik. Hier geht es darum, daß wir gerne wissen möchten, welche Grundlinie der Gesamtpolitik für die CDU/CSU hier im Parlament vorgetragen werden soll, die von Herrn Kiesinger,

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte)

oder die von Herrn Schröder oder die von Herrn Strauß oder, was ja auch noch möglich wäre, die von Herrn Barzel.

(Abg. Rösing: Das ist doch albern! Heute ist hier finanzpolitische Debatte!)

Wir sehen mit Interesse — — Und für mich ist es ja ein Vergnügen, endlich wieder einmal frei reden zu können.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe und Lachen in der Mitte.)

— Ja, das war gar nicht so leicht, drei Jahre sich eine gewisse Zügelung anzulegen; manchmal hat es einen gejuckt in den Fingern, man hat aber nicht gedurft. Ich will sagen: wir sehen mit Interesse und mit einem gewissen Verständnis und zum Teil ja
auch gar nicht ohne Sympathien, wie in Ihrer Fraktion um die politische Führung gerungen wird.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Sie werden es uns ja nachfühlen, Herr Strauß, daß wir da ein Achtellos mitspielen möchten. Wir würden das gern in diesem Hause dargestellt sehen, da wir ja beobachten, daß Sie überall in den deutschen Ländern jetzt Arbeitsgemeinschaften der Freunde der CSU gründen.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: „Demokraten aller Länder, vereinigt Euch in der CSU!" — Gegenrufe von der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Den Spruch kennt er!)

So sind wir natürlich besonders hellhörig auf das geworden, was Sie sagen.
Herr Kollege Leicht hat heute morgen gesprochen, ich habe mir das notiert — wenn ich es richtig erinnere, haben Sie es auf den Kollegen Möller bezogen gehabt —, von „unkontrollierten Ausbrüchen in Wut und Zorn".

(Abg. Leicht: Nein, nicht auf Möller! — Es gibt auch noch andere!)

— Nicht auf Möller? Ich bin dankbar dafür, daß Sie es nicht auf Dr. Möller bezogen haben; ich muß es dann auch nicht zurückweisen. Kollege Möller hat eine sehr kontrollierte Rede gehalten. Ich habe das Gefühl, es könnte sich Ihr Wort, Herr Leicht, möglicherweise auch auf jemandes anderen Rede an einem anderen Ort auch beziehen lassen!
Ich bin am Schluß dieser bisher elf oder zwölf Minuten umfassenden Bemerkung.

(Zuruf von der Mitte: In der Mittagszeit!)

Ich denke, es wird der Atmosphäre in der deutschen Politik guttun, wenn die große politische Rede des Herrn Strauß nächste Woche wirklich gehalten wird, und, Herr Strauß, bitte — —

(Zuruf von der CDU/CSU: „Er macht Vorschriften!")

— Nein, ich bitte Sie ja doch, dies ist doch keine Vorschrift.

(Abg. Baier: Hättest du geschwiegen!)

Ich möchte noch eine zweite Bitte aussprechen, Herr Strauß — ich meine, es gibt. auch bei uns Leute, die polemisieren können; die könnten ja auch notfalls erwidern —: tun Sie sich und uns allen und der öffentlichen Entwicklung in unserem Land den Gefallen, bei dieser Gelegenheit, die Sie dann nutzen werden, nicht den Versuch zu machen, vom Stil her den heutigen Bundestag umzufunktionieren in einen Vilshofener Aschermittwoch.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das Herrn Wehner! — Abg. Baier: Vielen Dank, Herr Oberlehrer!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603107400
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Abgeordneter Leicht.




Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603107500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es muß einfach ein klärendes Wort zu dem gesagt werden, was eben der Herr Bundesverteidigungsminister zumindest als Eindruck hat hinterlassen können. Von der Opposition ist auf die Dispositionen der Regierung Rücksicht genommen worden, um die Generalaussprache, insbesondere auch im außenpolitischen Bereich, in Anwesenheit des Herrn Bundesaußenministers in der nächsten Woche führen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In der nächsten Woche ist dann Zeit, dazu etwas zu sagen. Allerdings scheint es so zu sein, daß Vereinbarungen im Ältestenrat nicht bis zur Regierung durchdringen. Im übrigen sollte man sich aus Ihrer — —

(Abg. Wehner: Es war doch von Vilshofen die Rede, und nicht vom Ältestenrat! — Gegenruf von der Mitte: Ach, der Herr Wehner!)

— Im übrigen, Herr Wehner, sollte man sich bei Ihnen nicht so aufregen; Sie haben den Ausspruch getan: „Wir brauchen keine Opposition."

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Natürlich!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0603107600
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich unterbreche die Sitzung. Der Bundestag tritt wieder zusammen um 14.00 Uhr zur Fragestunde.

(Unterbrechung von 13.20 Uhr bis 14.00' Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603107700
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
Fragestunde
— Drucksache VI/381 —
ein.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf, und zwar zunächst die Frage 150 des Herrn Abgeordneten Damm:
Könnte es sein, daß der. Organisationserlaß des Bundeskanzlers (Bulletin vom 18. November 1969), Nummer 6, in seiner Auswirkung, zum Beispiel bei der Militärgerichtsbarkeit, einen gesetzwidrigen Zustand zur Folge hat?
Für die Beantwortung steht Herr Bundesminister Dr. Ehmke zur Verfügung. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603107800
Herr Präsident, darf ich die Fragen 150 und 151 zusammen beantworten?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603107900
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden? — Dann rufe ich noch die Frage 151 des Herrn Abgeordneten Damm auf:
Wenn ja, welchen?
Bitte schön!

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603108000
Ich beantworte die erste Frage, Herr Abgeordneter, mit Nein. Die Beantwortung der zweiten Frage erübrigt sich dann.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603108100
Zusatzfrage?

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0603108200
Herr Bundesminister, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß die Zuständigkeit für die Truppendienstgerichte nach diesem Organisationserlaß nicht mehr beim Bundesminister der Verteidigung liegt?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603108300
Das halte ich für ein Mißverständnis dieses Organisationserlasses. Die Truppendienstgerichte werden durch diesen Erlaß überhaupt nicht berührt. Sie gehören nach § 51 Abs. 2 der Wehrdienstordnung nach wie vor zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich darf mir noch einen Satz dazu gestatten. Die Truppendienstgerichtsbarkeit hat nichts mit einer Militärgerichtsbarkeit zu tun. Eine solche gibt es nämlich nach dem Grundgesetz nicht. Hier handelt es sich um eine Disziplinargerichtsbarkeit der Truppe, für die nach wie vor der Bundesminister der Verteidigung zuständig bleibt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603108400
Herr Kollege!

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0603108500
Wenn das so ist, warum enthält dann der Organisationserlaß in Nr. 6 eine Formulierung, die den Eindruck erweckt, als ob die Truppendienstgerichte jetzt zum Justizministerium ressortierten?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603108600
Darf ich mir einmal ansehen, welche Formulierung Sie meinen, Herr Abgeordneter?

(Abg. Damm: Aber bitte!)

— Das verstehe ich nicht. Nr. 6 — ich darf vorlesen — lautet:
Die Zuständigkeit für die bisher zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern gehörende Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich der Gerichtsverfassung des Verfahrens wird auf den Bundesminister der Justiz übertragen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603108700
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön!

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0603108800
Wenn das, was Sie eben vorgelesen haben, die Truppendienstgerichte nicht betrifft, wie ist es dann zu erklären, daß Truppendienstgerichte darüber unterrichtet worden sind, daß sie jetzt zum Justizministerium als dem geschäftsführenden Ministerium ressortierten?




Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603108900
Das weiß ich nicht. Es kann nur auf einem Irrtum beruhen. Die Truppendienstgerichte sind gesetzlich festgelegt. Das läßt sich durch einen Organisationserlaß nicht ändern, Herr Abgeordneter.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0603109000
Darauf zielte meine Frage ab. Darf ich also Ihren Antworten entnehmen, daß es weder die Absicht war noch künftig der Wille der Regierung sein wird, Truppendienstgerichte aus dem bisherigen Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministeriums herauszunehmen?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0603109100
Sie sind durch Nr. 6 des Organisationserlasses gänzlich unberührt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603109200
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Für die Antworten steht der Herr Parlamentarische Staatsekretär Börner zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 7 des Kollegen Geldner auf. — Ist Herr Kollege Geldner im Hause? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe dann die Frage 8 des Kollegen Gnädinger auf:
Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten der Verkehrsverhältnisse im westlichen Bodenseegebiet, insbesondere im Zuge der Bundesstraße 33 über den Bodensee (Konstanz—Meersburg—Ravensburg) bekannt, und ist sie bereit, eine feste Straßenverbindung (Seebrücke) über den Überlinger See in die
Straßenplanung aufzunehmen?
Ist der Herr Kollege Gnädinger im Saal? — Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603109300
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich unter der Voraussetzung des Einverständnisses des Herrn Kollegen Gnädinger darum, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603109400
Sind Sie einverstanden, Herr Kollege? — Dann rufe ich noch die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Gnädinger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Finanzierung dieser Seebrücke aus Straßenbaumitteln zu übernehmen oder wird sie gegebenenfalls eine Finanzierung über den Kapitalmarkt ermöglichen?
Bitte schön!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603109500
Herr Kollege, der Bundesregierung sind die Verkehrsverhältnisse im westlichen Bodenseegebiet selbstverständlich bekannt. Sie werden durch die Fortführung des Ausbaus der Bundesstraßen 31, 33 und 34 sowie durch den Neubau der Bundesautobahn Stuttgart-Singen-Schweiz und Singen-Lindau wesentlich verbessert werden.
Der Bau einer Straßenbrücke über den Bodensee wird von dem Ergebnis künftiger Untersuchungen
und Planungen abhängen, die von der zuständigen Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg zu erarbeiten sein werden. Zur Frage der Finanzierung eines solchen Baues kann noch nicht Stellung genommen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603109600
Zusatzfrage? — Bitte schön!

Fritz-Joachim Gnädinger (SPD):
Rede ID: ID0603109700
Ich möchte fragen: Bis wann rechnet die Bundesregierung mit dem Abschluß dieser Planungen und Untersuchungen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603109800
Herr Kollege, es ist mir leider nicht möglich, dafür einen festen Termin zu nennen. Ich bin aber davon überzeugt, daß im Rahmen der landesplanerischen Arbeiten die Landesregierung Baden-Württemberg sich bemühen wird, auch dieses Planungsprojekt zu fördern bzw. die Untersuchungen baldmöglichst zu einem Abschluß zu bringen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603109900
Eine weitere Zusatzfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603110000
Darf ich daraus schließen, daß die Bundesregierung bereit ist, auf das Land im Sinne einer Beschleunigung einzuwirken?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603110100
Das dürfen Sie nicht daraus schließen, sondern hier handelt es sich in erster Linie um eine Sache, die das Land selber im Rahmen seiner Kompetenz vorantreiben muß. Aber wir werden uns selbstverständlich mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen haben, wenn es vorliegt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603110200
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Jung auf. — Der Kollege ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Frage 12 des Kollegen Dr. Enders:
Kann die Bundesregierung die Zahl der verhängnisvollen Stürze aus fahrenden Eisenbahnzügen bekanntgeben, die sich offensichtlich durch die Verwechslung von Türen jährlich ereignen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603110300
Herr Kollege, soweit feststellbar, konnte 1968 ein Fall festgestellt werden, in dem eine Verwechslung nicht auszuschließen war. Die Deutsche Bundesbahn untersucht laufend die Ursachen für 'die Stürze von Reisenden aus Eisenbahnzügen. Dabei ist auch wiederholt die Frage geprüft worden, ob für solche Stürze die Verwechslung der Türen ursächlich sein kann. Eine solche Verwechslung kommt jedoch nur in ganz seltenen Ausnahmefällen vor.
Um jedoch die Gefahr von Verwechslungen möglichst ganz auszuschließen, wird bei den neuen Reisezugwagen der Deutschen Bundesbahn der



Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Drehpunkt der Toilettentür an die Außenwand gelegt, so daß sich die Türklinke jetzt in der Wagenmitte befindet.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID0603110400
Herr Staatssekretär, haben Sie Unterlagen darüber, wieviel Stürze aus fahrenden Zügen sich insgesamt — gleich, aus welchen Gründen — ereignet haben?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603110500
Herr Kollege, es ist mir nicht möglich, Ihnen diese Frage jetzt zu beantworten, da ich dazu eine Statistik der Deutschen Bundesbahn brauche. Ich bin aber bereit, Ihnen die Antwort nachzureichen. Die Verwechslung von Türen ist, wie gesagt, für 1968 nur in einem Falle einwandfrei festgestellt worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603110600
Herr Kollege Jung, zu meinem großen Bedauern haben Sie um wenige Sekunden den Aufruf Ihrer Fragen verpaßt. Ich kann leider an dem Ablauf nichts mehr ändern.
Frage 13 des Kollegen Enders:
Hält die Bundesregierung erhöhte Sicherheitsvorrichtungen an den Außentüren der Eisenbahnwagen für erforderlich, um der Verwechslung mit einer Innentür vorzubeugen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603110700
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn arbeitet laufend an der Verbesserung der Türverschlüsse an Reisezugwagen, um auf diese Weise möglichst alle Stürze aus den Reisezügen zu verhindern. Zur Zeit befinden sich zwei verschiedene Systeme in der Erprobung, die sämtliche Außentüren während der Fahrt verriegeln. Dabei hält sie engen Kontakt mit den anderen Eisenbahnverwaltungen, da diese Frage nur international gelöst werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603110800
Fragen 14 und 15 des Kollegen Müller (Mülheim). — Der Kollege ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Frage 16 ist von Herrn Abgeordneten Graaff gestellt. — Ich sehe den Herrn Kollegen nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 17 und 18 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Unfälle an beschrankten Bahnübergängen

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603110900
Herr Kollege, an den rund 10 000 beschrankten Bahnübergängen der Deutschen Bundesbahn ereigneten sich durch Verschulden von Bahnbediensteten, d. h. durch zu spät geschlossene bzw. vorzeitig geöffnete Schranken, folgende Unfälle: im Jahre 1967. 45 Unfälle mit 26 Getöteten und 25 Verletzten, davon 12 schwer; im Jahre 1968 44 Unfälle mit 10 Getöteten und 33 Verletzten, davon 8 schwer; im Jahre 1969 49 Unfälle mit 29 Getöteten und 46 Verletzten, davon 14 schwer.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603111000
Haben Sie hierzu Zusatzfragen, Herr Kollege?

(Abg. Härzschel: Nein!)


Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603111100
Dann darf ich zur Beantwortung der zweiten Fage übergehen.
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn hat sich schon immer bemüht, durch betriebliche Weisungen und technische Einrichtungen menschliches Versagen weitestgehend auszuschalten. Seit Mitte der fünfziger Jahre müssen die Schrankenwärter die Zugmeldungen am Fernsprecher mithören. Hierdurch kann gleichzeitig die Dienstbereitschaft jedes Wärters vor jeder Zugfahrt festgestellt werden. Insbesondere wurden und werden technische Hilfsmittel für die Ankündigung der Züge, sogenannte Anrückmelder, eingebaut, mit denen der Zug selbsttätig seine genaue Standortmeldung gibt. Diese Einrichtungen wurden durch die Herstellung einer Abhängigkeit mit der Schranke vervollkommnet, die ein Offnen der Schranke nach Vorbeifahrt eines Zuges verhindert, wenn sich bereits ein weiterer Zug aus der Gegenrichtung nähert. In den letzten Jahren wurde die Abhängigkeit zwischen Schranken und Signalen soweit entwickelt, daß sie inzwischen serienmäßig eingebaut werden kann. Die Deutsche Bundesbahn wird in diesem Jahr in größerem Umfang mit dem Einbau beginnen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603111200
Eine Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0603111300
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, nähere Ausführungen darüber zu machen, ob überall da, wo jetzt noch nur eine einfache Sicherung vorhanden ist oder überhaupt nur eine Sicherung durch menschliche Tätigkeit erfolgt, zusätzliche technische Sicherungen eingebaut werden? Ich glaube, daß es im Zeitalter der Mondfahrt möglich sein muß, auch für den Zugführer erkennbar zu machen, ob die Schranke geschlossen ist oder nicht.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603111400
Herr Kollege, ich will Ihnen darüber gern schriftlich nähere Auskunft geben. Ich muß betonen, daß es sich hier ja darum handelte, erst technische Einrichtungen zu entwickeln, die ein menschliches Versagen nahezu ausschließen. Diese Einrichtungen sind in den letzten Jahren entwickelt worden. Wir bedauern die schrecklichen Unfälle, die passiert sind, aber es muß darauf hingewiesen werden, daß die Zahl der Unfälle im Vergleich zu der großen Zahl der Schrankenpunkte relativ klein gewesen ist. Trotzdem wird die Bundesbahn überall dort mit dem Einbau beginnen, wo die Zugfolge sehr



Parlamentarischer Staatssekretär Börner
dicht ist und die technischen Voraussetzungen sehr schnell geschaffen werden können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603111500
Herr Kollege, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0603111600
Bis wann etwa, meinen Sie, werden diese Vorrichtungen eingebaut werden?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603111700
Sie werden so schnell als möglich eingebaut werden, weil die Bundesbahn ein Interesse daran hat, diese Unfälle nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Einbau hängt aber nicht nur von der Bereitstellung der entsprechenden Mittel, sondern auch von der Lieferfähigkeit der Fernmeldeindustrie ab. Ich möchte deshalb hier keine auf Monate bezogene Auskunft geben. Sie können aber sicher sein, daß das Sicherheitssystem der Bundesbahn innerhalb der nächsten Monate und Jahre sehr schnell vervollkommnet wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603111800
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Müller (Nordenham) auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die durch die Erklärung der Verfassungswidrigkeit des § 13 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes entstanden ist, und werden für die Durchführung laufender Vorhaben ersatzweise Bundesmittel vorab bereitgestellt?
Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603111900
Herr Kollege, die Bundesregierung bereitet zur Zeit eine Novelle zum Eisenbahnkreuzungsgesetz vor, damit die durch die teilweise Nichtigerklärung des § 13 Abs. 1 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes geschaffene Lücke alsbald geschlossen werden kann. Bezüglich der Durchführung laufender Vorhaben hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, das bislang nach § 13 Abs. 1 Satz 2 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes auf die Länder entfallende Kostendrittel bzw. Kostensechstel von einem mit den Ländern abgesprochenen Stichtage an, und zwar vom 3. Dezember 1969 an, vorübergehend in der Form auf den Bund zu übernehmen, daß in Höhe dieses Kostenanteils Zuschüsse gewährt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603112000
Eine Zusatzfrage.

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0603112100
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär! Darf ich annehmen, daß laufende Vorhaben nicht gestoppt zu werden brauchen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603112200
In dieser Annahme würde ich Ihnen zustimmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603112300
Eine Zusatzfrage des Kollegen Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0603112400
Herr Staatssekretär, welche Beträge sind im Bundeshaushalt 1970 für diese Finanzierung vorgesehen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603112500
Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen diese Zahlen im Laufe dies heutigen Nachmittags nachzuliefern. Ich habe sie zur Zeit nicht zur Hand.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603112600
Keine Zusatzfrage zu diesem Problemkreis.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Dr. Apel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der von der Deutschen Bundesbahn eingeräumte Transcontainertarif von und zu den niederländischen Häfen, der unter den entsprechenden Tarifen für die deutschen Seehäfen liegt und deshalb die deutschen Seehäfen benachteiligt, von der Deutschen Bundesbahn aus rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen gekündigt wurde?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603112700
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn hat den Transcontainertarif von und zu den niederländischen Häfen nicht gekündigt. Es ist der Bundesregierung jedoch bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn die auf diesen Tarif zugunsten der Rheinmündungshäfen gewährten zusätzlichen außertariflichen Vergünstigungen widerrufen hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603112800
Zusatzfrage!

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0603112900
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß die Bundesbahn jetzt die Verlängerung dieser zusätzlichen Vorteile beschlossen hat?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603113000
Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Hohe Haus in den letzten Jahren ein Bundesbahngesetz gestaltet hat, das eine weitgehende Unabhängigkeit des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vorsieht. Die Bundesregierung respektiert diesen gesetzgeberischen Willen selbstverständlich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603113100
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0603113200
Herr Staatssekretär, Sie erklären also die Verlängerung dieser Rabatte durch den Vorstand der Deutschen Bundesbahn mit ökonomischen Überlegungen seitens des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, obwohl die Bundesbahn die Rabatte vorher aus ökonomischen Gründen gekündigt hatte?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und




Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603113300
Herr Kollege, ich bitte um Ihr Verständnis, daß ich mich von diesem Platz zur Geschäftspolitik des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn nicht äußern möchte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603113400
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. Bitte schön!

Claus Grobecker (SPD):
Rede ID: ID0603113500
Herr ,Staatssekretär, können Sie mir bitte sagen, ob Ihnen bekannt ist, welche Konsequenzen für die deutschen Seehäfen daraus entstehen, daß ,der Tarif — ich denke hier etwa an Linienverkehrscontainer von Bremen und Hamburg nach Rotterdam — nicht gekündigt worden ist?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603113600
Herr Kollege, die Bundesregierung ist immer in der schwierigen Lage, im Rahmen der Gesamtverkehrspolitik sowohl das Interesse der Häfen als auch das wirtschaftliche Interesse der Deutschen Bundesbahn und natürlich auch die Synchronisierung unserer Verkehrspolitik mit den Maßnahmen der EWG beachten zu müssen. Sie wird das auch weiterhin tun.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603113700
Herr Kollege Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0603113800
Herr Staatssekretär, hat die Deutsche Bundesbahn diese Präferenz vielleicht deswegen eingeräumt, weil sie Sorge hat, daß dieser Verkehr sonst auf die Binnenschiffahrt oder auf den Kraftverkehr abwandern könnte?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603113900
Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr Kollege — und Sie als Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn werden sicher dafür Verständnis haben —, daß es eine ungute Sache wäre, wenn wir uns hier im Hause, obwohl wir ein Bundesbahngesetz beschlossen haben, das eine weitgehende Unabhängigkeit des Vorstandes in der Geschäftspolitik vorsieht, nun mit wertenden Äußerungen in Einzelmaßnahmen des Bundesbahnvorstandes einmischen wollten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603114000
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Dr. Apel auf:
Wird die Bundesregierung trotz der niederländischen Intervention bei der letzten Sitzung des EWG-Verkehrsministerrates in Brüssel zugunsten des Transcontainertarifs jede Einflußnahme auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn unterlassen, die dem ökonomischen Interesse der Deutschen Bundesbahn widerspräche?
Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603114100
Herr Präsident, die Antwort ist im Grunde bereits durch die Beantwortung der Zusatzfrage gegeben worden. Ich möchte aber ausdrücklich noch einmal feststellen: die Bundesregierung respektiert selbstverständlich die Entscheidungskompetenz des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn. Das wäre die Antwort auf diese Frage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603114200
Ich nehme an, der Fragesteller hat die Antwort noch gewollt, um Zusatzfragen zu stellen.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0603114300
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die Aussage in der offiziellen Pressemitteilung des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften, daß der deutsche Verkehrsminister die Deutsche Bundesbahn veranlassen wird, ihre auf diesem Gebiet getroffenen Entscheidungen auszusetzen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603114400
Ich kann mir nur vorstellen, daß hier die vorher zitierte Rechtslage nicht ganz klar gesehen wurde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603114500
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 22 des Abgeordneten Biehle auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu ergreifen, damit die durch private, industrielle oder öffentliche Hochbauten verursachten Empfangsbeeinträchtigungen bei den umliegenden Ton- und Fernsehrundfunkanlagen nicht zu Lasten der Hörer oder Kommunen gehen?
Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603114600
Herr Präsident, ich bitte um Ihre Zustimmung und die des Herrn Fragestellers, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603114700
Ich nehme an, es bestehen keine Bedenken. Dann rufe ich auch die Frage 23 des Abgeordneten Biehle auf:
Wird die Bundesregierung ggf. Sorge dafür tragen, daß u. a. durch Auflagen bei Baugenehmigungen die Bauherren verpflichtet werden, auf eigene Kosten vorbeugende technische Maßnahmen zu treffen, um solche Empfangsstörungen zu verhindern oder zu beseitigen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603114800
Herr Kollege., die Bundesregierung kennt die Beeinträchtigungen, die sich für Rundfunk- und Fernsehteilnehmer aus der zunehmenden Hochhausbebauung in unseren Städten ergeben. Ein Arbeitskreis „Rundfunkempfangsantennen" befaßt sich mit dem aufgeworfenen Fragenkomplex und sucht nach Lösungsmöglichkeiten. Ihm gehören u. a. der Bundesminister für Wirtschaft, der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen, der Bundesminister der Finanzen, der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Ministerien der Länder, die kommunalen Spitzenverbände sowie der Zentralverband der deutschen Haus- und Grundbesitzervereine und der Deutsche Mieterbund an. Die Bundesregierung wird die weitere Entwicklung



Parlamentarischer Staatssekretär Börner
sorgfältg beobachten. Es ist Sache des Bauordnungsrechts der Länder, bei erwarteten Empfangsstörungen durch Auflagen bei der Baugenehmigung Abhilfe zu schaffen. Der Bund hat insoweit keine Gesetzgebungszuständigkeit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603114900
Eine Zusatzfrage bitte!

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID0603115000
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß technische Anlagen zur Verbesserung des Empfangs, z. B. Gemeinschaftsantennen von Punkten außerhalb der Abschattungszonen, und das dazugehörende Leitungsnetz zu den Fernsehteilnehmern in jedem Fall von dem Verursacher der Empfangsstörung zu finanzieren oder zu beschaffen sind?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603115100
Herr Kollege, ich komme hier in die Schwierigkeit, eventuell in die Kompetenz der Länder eingreifen zu müssen. Ich kann Ihnen nur sagen, ich habe persönlich sehr viel Verständnis für Ihre Ansicht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603115200
Eine weitere Zusatzfrage.

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID0603115300
Herr Staatsekretär, sind Sie bereit, bei bereits jetzt aus diesem Grunde bestehenden Empfangsstörungen im Interesse der zwar mit Gebühren belegten, dafür aber mit einem schlechten Empfang bedachten Fernsehteilnehmer Voraussetzungen zu schaffen — unter Umständen auch in Verbindung mit den Ländern —, daß ohne finanzielle Belastung und ohne weitere Benachteiligung der Gerätebesitzer technische Verbesserungen in der Versorgung geschaffen werden?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603115400
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß dieses Problem zur Zeit in einem Arbeitskreis zwischen Bund, Ländern, Hausbesitzer- und Mietervereinen diskutiert wird. Wir sind der Meinung, daß einem Bauherrn, der ein Haus baut, von dem eine solche Beeinträchtigung erwartet wird, entsprechende Auflagen gemacht werden sollten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603115500
Eine weitere Zusatzfrage.

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID0603115600
Und bei zurückliegenden Fällen?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603115700
Das ist im Einzelfall nur durch einen Rechtsstreit zu klären. Die Verursachung muß ja nachgewiesen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603115800
Ich rufe nunmehr die Frage 24 des Kollegen Wende auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei immer mehr Bürgern in verdichteten Bebauungsgebieten der Empfang der Fernsehprogramme durch die wachsende Anzahl von Hochhäusern gestört, zum Teil unmöglich gemacht wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603115900
Herr Präsident, auch hier wäre ich wegen ides Sachzusammenhangs dankbar, wenn ich beide Fragen gemeinsam beantworten dürfte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603116000
Herr Kollege, Sie sind einverstanden?

Manfred Wende (SPD):
Rede ID: ID0603116100
Bitte, ja.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603116200
Dann rufe ich auch noch die Frage 25 des Abgeordneten Wende auf:
Welche Maßnahmen gesetzgeberischer oder technischer Art gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, damit den Fernsehteilnehmern in den „abgeschatteten" Häusern eine ungestörte Empfangsqualität gesichert wird?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603116300
Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Hochhausbebauung zu Störungen des Empfangs der Fernsehprogramme führt. Es ist Sache des Bauordnungsrechtes, im Falle solcher Störungen durch entsprechende Auflagen bei ,der Baugenehmigung Abhilfe zu schaffen. Das materielle Bauordnungsrecht unterliegt jedoch der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Deren geltendes Recht enthält zur Zeit keine ausdrücklichen Regelungen zum Schutz vor Empfangsstörungen. Der Arbeitskreis Rundfunkempfangsantennen, in dem verschiedene Ressorts der Bundesregierung, die Länder sowie alle betroffenen Interessengruppen vertreten sind, bemüht sich gegenwärtig um Lösungsmöglichkeiten.

Manfred Wende (SPD):
Rede ID: ID0603116400
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es doch Sorge der Bundes post sein müßte, den Fall nicht eintreten zu lassen, daß es heutzutage Wohnungen gibt, die vermietet werden, von denen aber von vornherein feststeht, daß dort nahezu kein Fernsehempfang möglich ist?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603116500
Herr Kollege, ich teile nicht Ihre Auffassung, daß es Sache der Bundespost sei, hier Abhilfe zu schaffen, sondern ich meine, daß man hier nach dem Verursacher suchen sollte. Der Verursacher ist ja nicht die Bundespost, sondern der, der das Hochhaus 'baut. Genau hier müssen wir ansetzen. Ich gebe Ihnen zu, daß es eine schlechte Sache ist, wenn das Informationsrecht eines Bürgers durch solche Dinge eingeengt werden kann; ich gebe auch zu, daß es eventuell das Verhältnis von Mieter und Vermieter berührt. Das ist aber keine



Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Sache, die die Post zu regeln hat, das ist eine Sache, die man im Grunde bei der Baugenehmigung regeln sollte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603116600
Eine weitere Zusatzfrage.

Manfred Wende (SPD):
Rede ID: ID0603116700
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hielten Sie für angebracht, wenn in einem konkreten Fall ein Gebäude der Bundespost Verursacher solcher Störungen wäre, wie das in einer deutschen Großstadt der Fall ist?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603116800
Herr Kollege, wenn das zutrifft, was Sie hier erfahren haben, würde ich sagen, daß hier die Deutsche Bundespost als Hauseigentümer die gleiche Verpflichtung wie jeder andere auch hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603116900
Danke. — Ich rufe nunmehr die Frage 26 Ides Abgeordneten Dr. Hauff auf:
Trifft es zu, daß die Dienstfahrzeuge der Brief- und Paketzusteller der Deutschen Bundespost für den Winter nur unzureichend bereift sind und z. B. keine Spikes montiert haben, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen zu tun?
Herr Staatssekretär!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603117000
Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß die Dienstfahrzeuge der Brief- und Paketzusteller der Deutschen Bundespost für den Winter unzureichend bereift sind. Es liegt bei den Oberpostdirektionen, örtlich zu entscheiden, welche Fahrzeuge entsprechend den besonderen Einsatzverhältnissen mit M- und S-Reifen, Gürtelreifen, Schneeketten oder gegebenenfalls mit Spikes-Reifen ausgerüstet werden können. Die Entscheidung 'darüber fällt 'der jeweils zuständige Kraftfahrzeugsachverständige der Oberpostdirektion.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603117100
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0603117200
Herr Staatssekretär, halten Sie es für tragbar, daß die Oberpostdirektion diese Entscheidungsfreiheit in dem Sinne auslegt, daß nur die Dienstfahrzeuge für Führungskräfte mit SpikesReifen bestückt werden, nicht aber die der Postzusteller?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603117300
Ich 'glaube nicht, daß eine solche Entscheidung in einer OPD ergangen ist. Wenn Sie entsprechende Informationen haben, dann bitte ich, sie mir unverzüglich zuzuleiten, denn ich meine, daß die Straßenverkehrssicherheit unabhängig von der betroffenen Besoldungsgruppe gesehen werden müßte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603117400
Herr Kollege Josten!

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0603117500
Herr Staatssekretär, würden Sie veranlassen, daß die Oberpostdirektionen zuerst die Dienstfahrzeuge der Bundespost 'mit Winterreifen versehen, welche in Gebieten ihren Dienst versehen, wo im Winter besonders mit Frost und Schnee zu rechnen ist, z. B. Schwarzwald, Allgäu, Eifel, Hunsrück oder Westerwald?

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0603117600
Herr Kollege, das geschieht. Gerade deshalb haben wir ja diese Anordnung nicht von Bonn aus zentral für das ganze Bundesgebiet getroffen, sondern 'das 'dem jeweils 'sachverständigen Herrn der Oberpostdirektion überlassen. Denn es ist ja ein Unsinn, bei Witterungsverhältnissen, wie sie normalerweise hier im Rheinland eintreten, mit Spikes-Reifen zu fahren, während ich mir für die Eifel vorstellen könnte, daß es notwendig ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603117700
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf und zwar zunächst die Frage 76 des Kollegen Dr. Ritz:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in den Bundesländern, in denen noch keine Lernmittelfreiheit besteht, Aufwendungen für Lernmittel im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich zu berücksichtigen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603117800
Die Bundesregiierung sieht keine Möglichkeit, Aufwendungen für Lernmittel in den Bundesländern, in denen noch keine Lernmittelfreiheit besteht, im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich zu berücksichtigen. Alle übrigen Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen durch den Unterhalt, die Erziehung, die Schulbildung oder die Berufsausbildung eines Kindes erwachsen, werden einkommensteuerlich durch den Abzug des Kinderfreibetrages pauschal abgegolten. Bei der Mannigfaltigkeit der Ausbildungsgänge und der Unterschiedlichkeit der Aufwendungen ist zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und im Interesse der Rechtssicherheit sowie der Verwaltungsvereinfachung eine solche typisierende Regelung unumgänglich.
Neben dem Kinderfreibetrag können nur außergewöhnliche Belastungen besonders berücksichtigt werden. Als außergewöhnlich in diesem Sinne sind aber, abgesehen von den besonders geregelten Kosten einer auswärtigen Unterbringung zur Berufsausbildung, nur solche Kosten anzusehen, die mit der Berufsausbildung nicht zusammenhängen, wie z. B. Krankheitskosten oder Kosten einer auswärtigen Unterbringung wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen eines Kindes. Aufwendungen für Lernmittel stellen also auch nicht deshalb außergewöhnliche Belastungen im Sinne des Einkommensteuerrechts dar,, weil in verschiedenen Bundesländern Lernmittelfreiheit besteht.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603117900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0603118000
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es trotz Ihrer Antwort sehr schwierig ist, einem Bürger in einem Lande, das keine Lernmittelfreiheit hat, klarzumachen, daß er hier eine im Vergleich zu seinen Mitbürgern in einem anderen Land doch beachtliche zusätzliche Last zu tragen hat, die er dann nicht einmal unter dem Stichwort „außergewöhnliche Belastungen" absetzen kann?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603118100
Herr Kollege, diese Auffassung kann ich nicht teilen. Es ist einfach so, daß nach dem gegenwärtigen Einkommensteuerrechtssystem — es ist eine andere Frage, ob man das einmal ändern sollte — nur pauschal abgegolten werden kann. Dazu dient der Kinderfreibetrag. Die Unterschiede, die sich aus der Kulturhoheit der Länder ergeben — und das hier ist letztlich eine Folge davon —, können hierdurch eben nicht ausgeglichen werden. Dazu sind die Sonderregelungen für außergewöhnliche Belastungen nicht da.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0603118200
Herr Staatssekretär, wären Sie unter Umständen nicht doch bereit, zu prüfen, ob man nicht trotzdem an eine Änderung des Einkommensteuersystems und der betreffenden gesetzlichen Regelung denken kann, um damit vielleicht als Bundesgesetzgeber einen wenn auch bescheidenen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603118300
Herr Kollege, dazu muß ich sagen, daß die Fragen der Freibeträge und des Familienlastenausgleichs generell im Rahmen der Steuerreform geprüft werden müßten. Vorher aber Sonderregelungen zu treffen, um Ungleichheiten auszugleichen, die sich nun einmal aus der verfassungsrechtlichen Ordnung ergeben, dazu kann man das Steuerrecht nicht verwenden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603118400
Ich rufe die Fragen 77 und 78 des Kollegen Picard auf. — Der Herr Kollege ist im Augenblick nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Es folgt die Frage 79 des Kollegen Memmel. — Der Kollege ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Es folgt die Frage 80 des Kollegen Leicht:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß Bürger,
die im öffentlichen Interesse bereit sind, Grundstücksteile zur Verfügung zu stellen, mit einer Spekulationssteuer belegt werden, wenn die Abgabe der Grundstücksteile innerhalb von zwei Jahren nach Erwerb erfolgt?
Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603118500
Gewinne aus der Veräußerung von Grundstücken und Grundstücksteilen, die nicht zu einem Betriebsvermögen,
sondern zum Privatvermögen gehören, unterliegen nach den §§ 22 und 23 des Einkommensteuergesetzes als Spekulationsgeschäfte dann der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung solcher Wirtschaftsgüter nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Juli 1969 festgestellt hat. Der Gesetzgeber hat sich aus sachlich einleuchtenden Gründen für die Steuerpflicht von Gewinnen aus Grundstücksveräußerungen, die innerhalb der zweijährigen Spekulationsfrist erzielt werden, entschieden.
§ 23 des Einkommensteuergesetzes ist nach der Rechtsprechung nicht ausnahmslos anzuwenden. Insbesondere greift diese Vorschrift dann nicht ein, wenn eine unter Zwang erfolgte Veräußerung wegen Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsgutes nicht zu einer Gewinnverwirklichung geführt hat. Aus der Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte, die es ermöglichen würden, allgemein auf die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nach § 23 des Einkommensteuergesetzes zu verzichten, wenn Grundstücke oder Grundstücksteile im öffentlichen Interesse veräußert werden.
Eine solche Auslegung des § 23 wäre meines Erachtens auch sehr bedenklich, da hierdurch ein Anreiz geschaffen werden könnte, Wirtschaftsgüter zu erwerben, von denen bekannt geworden ist, daß sie in naher Zukunft z. B. für die Durchführung von im öffentlichen Interesse gelegenen Vorhaben benötigt werden, um sie später mit hohem Gewinn veräußern zu können. Es würde in der Öffentlichkeit sicherlich nicht verstanden werden, wenn in solchen Fällen trotz Veräußerung innerhalb des Spekulationszeitraumes der Veräußerungsgewinn nicht zur Einkommensteuer herangezogen würde. Aus dem gleichen Grunde halte ich es auch nicht für vertretbar, eine gesetzliche Regelung einzuführen, die für solche Fälle Steuerfreiheit gewährt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603118600
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Leicht.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603118700
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, zwingt man in solchen Fällen dann nicht die Bürger dazu, sich gegen die Abgabe von Gelände für öffentlichen Gebrauch zu wehren und es bis zur Enteignung kommen zu lassen, damit der Zweijahreszeitraum zu Ende geht?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603118800
Eine Grundabtretung, die sich aus der Anlage einer Straße ergibt und die innerhalb des Zweijahreszeitraums verlangt wird, wäre wohl ein Fall, wo ein gewisser Zwang einfach von der Sache her besteht, aber ich glaube, daß die Rechtsprechung, die ja diese Frage noch nicht entschieden hat, hier wohl einen Ausweg finden würde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603118900
Eine weitere Zusatzfrage.




Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603119000
Ich bin dankbar, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, weil ich dann wohl annehmen darf, daß jetzt zumindest in der Richtung Ihrer Aussage auch den Finanzämtern dazu etwas gesagt werden wird.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603119100
Diese Frage werde ich gern überprüfen lassen und Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, schriftlich Bescheid geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603119200
Wir kommen zur Frage 81 des Abgeordneten Dr. Zimmermann:
Ist die Bundesregierung im Interesse der Vermögensbildung und der Vereinfachung der Steuerverwaltung bereit, die Einkommensgrenze für Lohnsteuerzahler nach § 46 EStG für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung von 24 000 DM und die Steuerfreiheitsgrenze für Nebeneinkünfte von 800 DM angemessen zu erhöhen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 16. Februar 1970 lautet:
Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wonach Arbeitnehmer mit Einkommen von mehr als 24 000 DM stets zur Einkommensteuer zu veranlagen sind, dient der Steueraufsicht und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
Erfahrungsgemäß haben Arbeitnehmer mit Einkommen von mehr als 24 000 DM vielfach Nebeneinkünfte, die bei der Steuerbemessung grundsätzlich nicht außer Ansatz bleiben können. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei einem zu versteuernden Einkommensbetrag von 24 000 DM der Progressionssteuersatz nach dem für Alleinstehende geltenden Einkommensteuergrundtarif bereits 37,2 v. H. und nach dem für zusammenlebende Ehegatten geltenden Splittingtarif 24,8 v. H. beträgt. Im Hinblick hierauf erscheint es grundsätzlich gerechtfertigt, nicht nur Nebeneinkünfte zu erfassen, sondern auch die im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigten, lediglich auf einer Vorausschätzung beruhenden Freibeträge zu überprüfen. Etwaige Steuernachforderungen können nämlich nicht im Wege des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, sondern nur im Veranlagungsverfahren festgesetzt werden. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Einkommensgrenze von 24 000 DM auch heute noch gerechtfertigt.
Es kommt folgende Überlegung hinzu:
Eine Heraufsetzung dieser Einkommensgrenze hätte u. a. zur Folge, daß nicht nur bei Arbeitnehmern mit einem Einkommen bis zu 24 000 DM, sondern auch bei Arbeitnehmern mit einem Einkommen zwischen 24 000 DM und der neuen Veranlagungsfreigrenze Nebeneinkünfte von insgesamt nicht mehr als 800 DM künftig nicht mehr zur Einkommensteuer herangezogen würden. Im Hinblick auf die vorgenannten Steuersätze, die sich mit wachsendem Einkommen erhöhen, bestehen gegen eine Heraufsetzung der Einkommensgrenze aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Bedenken, weil bei Nichtarbeitnehmern derartige Nebeneinkünfte stets in vollem Umfang zur Einkommensteuer herangezogen werden. Das gilt in noch stärkerem Maße, wenn gleichzeitig auch die Freigrenze von 800 DM (§ 46 Abs. 2 Ziff. 1 EStG) erhöht würde.
Gleichwohl könnte erwogen werden, die Veranlagungsgrenze von 24 000 DM mäßig zu erhöhen, wenn schwerwiegende Gründe der Verwaltungsvereinfachung für die Erhöhung dieser Grenze sprächen.
Zur Entscheidung der Frage, ob durch die Erhöhung der Veranlagungsgrenze eine fühlbare Arbeitsentlastung für alle Beteiligten herbeigeführt werden könnte, sind in den Ländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Berlin besondere statistische Repräsentativerhebungen der Arbeitnehmerveranlagungsfälle nach § 46 Abs. 1 EStG durchgeführt worden. Die Auswertung dieser Erhebungen hat jedoch ergeben, daß einschneidende verwaltungsmäßige Entlastungen des Einkommensteuerveranlagungsverfahrens von einer Erhöhung der Veranlagungsgrenze für Arbeitnehmer auf 30 000 DM oder 36 000 DM Einkommen nicht zu erwarten sind. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß nur 3 bis 4 v. H. der veranlagten Arbeitnehmer über der Veranlagungsgrenze von 24 000 DM liegen und von diesen wiederum ein Großteil aus anderen Gründen (insbesondere wegen Sonderabschreibungen nach § 7 b EStG) ohnehin zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
Eine gewisse verwaltungsmäßige Entlastung könnte allerdings erzielt werden, wenn zugleich mit der Veranlagungsgrenze auch die Freigrenze von 800 DM erhöht würde. Eine solche Erhöhung der an sich schon hohen Freigrenze erscheint aber aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kaum vertretbar, weil diese Grenze nur für Nebeneinkünfte von Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gilt. Im übrigen
ist darauf hinzuweisen, daß eine Erhöhung der Freigrenze auf 1600 DM zu Steuerausfällen in einer Größenordnung von 30 Millionen DM führen würde, und daß nur weniger als die Hälfte der veranlagten Arbeitnehmer über Nebeneinkünfte von mehr als 800 DM verfügen, von denen wiederum ein Teil aus anderen Gründen ohnehin zu veranlagen wäre.
Unter diesen Umständen bestehen gegen eine Heraufsetzung der Veranlagungsgrenze von 24 000 DM und der Freigrenze von 800 DM im Interesse der Verwaltungsvereinfachung erhebliche Bedenken.
Der Gesichtspunkt der Förderung der Vermögensbildung kann eine solche Heraufsetzung nicht vertretbar erscheinen lassen. Sie wäre schon deshalb kein geeignetes Mittel für gesellschaftspolitische Zwecke, weil sie nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Arbeitnehmer besserstellen würde.
Im Rahmen der eingeleiteten Steuerreform wird auch die Frage der Veranlagung von Arbeitnehmern einer Prüfung unterzogen werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß vor einer endgültigen Entscheidung das Ergebnis dieser Prüfung abgewartet werden sollte.
Ich rufe nunmehr die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Strohmayr auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es sinnvoll wäre, bei Sonderprägungen von 5- oder 10-DM-Münzen bei den Bank- und Sparinstituten Vormerklisten aufzulegen, damit der Bedarf auch tatsächlich gedeckt und Spekulation ausgeschlossen werden kann?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603119300
Nach Ansicht der Bundesregierung tragen Vormerklisten bei Kreditinstituten dazu bei, daß die Gedenkmünzen gleichmäßig an die Interessenten verteilt werden. Entscheidend für die Befriedigung der Nachfrage ist aber letztlich die Höhe der Auflage. Mit Zustimmung des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank ist die Auflage für die nächste Gedenkmünze, die Mercatormünze, von 3 Millionen auf 5 Millionen Stück und für die Olympiamünzen zu 10 DM von 6 Millionen auf zunächst 10 Millionen Stück je Motiv erhöht worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603119400
Herr Kollege!

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0603119500
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Verteilung der Erstausgabe der Olympiamünzen mehr der weniger unter den Banktresen erfolgt ist und daß diese Münzen auf dem offenen Markt nicht zu haben sind?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603119600
Davon ist mir nichts bekannt; ich habe davon noch nichts gehört.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603119700
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0603119800
Herr Staatssekretär, werden Sie dafür Sorge tragen, daß bei den Münzausprägungen nicht den Spekulationen dadurch Tür und Tor geöffnet werden, daß zuwenig ausgeprägt wird?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603119900
Ich sehe dazu eigentlich keinen Anlaß. Wenn wir die Auflage erhöhen, wird ohnehin eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung sichergestellt werden können. Schließlich werden wir auf die Verteilung bis zum letzten nie Einfluß nehmen können. Ich halte das für ausgeschlossen.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603120000
Ich rufe die Frage 83 des Kollegen Strohmayr auf:
Trifft es zu, daß Auflagen von weiteren 4 bis 6 Millionen Stück der Olympiamünzen deshalb auf Terminschwierigkeiten stoßen, weil die staatlichen Münzen durch Privataufträge überlastet sind und Staatsaufträge zurückstehen müssen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603120100
Der Zusatzprägeauftrag für 4 Millionen Stück Olympiamünzen der Ausgabe 1969 ist ,am 3. Februar 1970 erteilt worden. Die Münzen können erst in einigen Monaten ausgeprägt werden, weil zur Zeit ein großer Bedarf an Umlaufmünzen besteht, der vorrangig gedeckt werden muß. Die Terminschwierigkeiten bei den Olympiamünzen sind also nicht auf eine Überlastung der Münzämter durch Privataufträge zurückzuführen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603120200
Ich rufe die Frage 84 des Kollegen Dr. Becher (Pullach) auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung das verlorene Nationalvermögen der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten, aus dem Zwischenkriegs-Polen, aus dem Sudetenland und aus Süd-OstEuropa?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603120300
Darf ich mit Zustimmung des Herrn Fragestellers die beiden Fragen zusammen beantworten?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603120400
Der Fragesteller 'ist einverstanden. Ich rufe zugleich die Frage 85 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus den Kreisen der Wissenschaft und der Betroffenen dieses verlorene Nationalvermögen exakt berechnen zu lassen und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603120500
Zunächst darf ich an die Fragestunde des Bundestags am 19. Januar 1967 erinnern, in der Herr Staatssekretär Grund zu den Fragen der Feststellung der Vermögensverluste der aus ihrer Heimat vertriebenen Sudetendeutschen und der anderen deutschen Volksgruppen Stellung genommen hat. Danach hat das Bundesfinanzministerium schon damals dafür Sorge getragen, daß diese Vermögensverluste aufgezeichnet werden, indem es das Statistische Bundesamt damit beauftragt hat, die im Rahmen der Schadensfeststellung für das Lastenausgleichsgesetz erteilten Bescheide genau nach Herkunft der Vertriebenen statistisch in Zusammenarbeit mit dem Bundesausgleichsamt auszuwerten.
Sie hatten dann in einer Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß zwischen diesen im Lastenausgleich behandelten Vermögensverlusten und dem insgesamt verlorenen Nationalvermögen der einzelnen Volksgruppen ein Unterschied zu machen ist. Diese Frage hat die Bundesregierung weiter verfolgt, indem sie das Bundesausgleichsamt beauftragt hat, in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv und dem
Statistischen Bundesamt exakte Berechnungen dieser Gesamtverluste — soweit das überhaupt möglich ist — anzustellen. Bereits damals sind Fachleute aus den Kreisen der Wissenschaft und der Betroffenen beteiligt worden. Da es sich um sehr schwierige Ermittlungen handelt, wird der Abschluß dieser Arbeiten voraussichtlich noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag hierüber dann Bericht erstatten. Ich bitte um Verständnis, daß es mir nicht möglich ist, Schätzungen der Bundesregierung vorher bekanntzugeben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603120600
Eine Zusatzfrage!

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0603120700
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung oder haben die damit nun beauftragten Stellen bereits einheitliche Richtlinien erarbeitet, die neben der Festsetzung etwa des Stichtags, nach dem die verlorenen Nationalvermögen berechnet werden sollen, und neben der Festsetzung der Kaufkraftparitäten eben auch von der Tatsache ausgehen, daß es sich dabei um mehr als nur die Summe von Privatvermögen handelt? Da es um Vermögensfeststellungen aus verschiedenen ehemaligen Staatsgebieten geht: Sind da nun — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603120800
Ihre Zusatzfrage entspricht leider nicht den Richtlinien .der Fragestunde, wonach auch die Zusatzfragen kurz gefaßt sein müssen, um auch eine kurze Antwort zu ermöglichen.

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0603120900
Ich meine: Sind da mittlerweile einheitliche Richtlinien erarbeitet worden?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603121000
Soweit ich auf Grund der mir jetzt vorliegenden Unterlagen feststellen kann, wird nach einheitlichen Grundsätzen vorgegangen. Sonst könnten die beteiligten Ämter eine solche Statistik wohl kaum zusammenstellen. Ich bin aber bereit, nachzuprüfen, ob formelle Richtlinien dazu da sind, und Ihnen das schriftlich mitzuteilen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603121100
Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage.

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0603121200
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der bayerischen Staatsregierung bereits in den Fünfziger Jahren über die Vermögensverluste der Deutschen aus den böhmisch-mährischen Gebieten eine Zusammenstellung übergeben wurde, die nach dem Paritätsjahr 1956 den Betrag von 63 Milliarden DM errechnet hat? Und werden diese Berechnungen bei den Feststellungen, die Sie erwähnt haben, mit zugrunde gelegt?




Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603121300
Mir persönlich ist von diesem Sachverhalt nichts bekannt. Ich kann deswegen hier jetzt auch keine Auskunft darüber geben, ob das dabei behandelt wird. Aber ich bin bereit, auch nachzuprüfen, ob diese Unterlagen bei der Gesamtaufnahme, wenn Sie so wollen, herangezogen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603121400
Eine Zusatzfrage, bitte!

Dr. Walter Becher (CSU):
Rede ID: ID0603121500
Eine letzte Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, daß das Bundesfinanzministerium in dieser Angelegenheit weiterhin federführend bleibt?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603121600
Soweit ich diesen Unterlagen entnehmen kann, dürfte es ja wohl federführend sein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603121700
Herr Kollege Czaja!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0603121800
Wird das Bundesfinanzministerium angesichts der erheblichen finanziellen und politischen Bedeutung und der langen Erhebungen in absehbarer Zeit diesem Hause oder einem Ausschuß einen Zwischenbericht geben? Und können Sie dazu einen Termin nennen?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603121900
Einen Termin kann ich nicht nennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603122000
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe nunmehr die Frage 86 des Abgeordneten Niegel auf:
Kann die Bundesregierung Angaben über die Hohe der jährlichen Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden — insbesondere in Bergbaugemeinden — machen, die infolge des Strukturwandels bzw. der Errichtung der Ruhrkohle AG (Einheitsgesellschaft) entstanden sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603122100
Die Höhe der gesamten Gewerbesteuermindereinnahmen, die als Folge des Strukturwandels in den Steinkohlenbergbaugebieten bzw. der diesen Strukturwandel begünstigenden Errichtung der Ruhrkohle AG sowie der damit zusammenhängenden anderen Maßnahmen den Gemeinden entstehen, ist nicht bekannt. Die Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden, die durch die Steuervergünstigungen für die Ruhrkohle AG und für die Maßnahmen nach dem Zechenstillegungsgesetz eintreten, betragen schätzungsweise — also nur für diesen Teil — für 1968 20, für 1969 20, für 1970 30, für 1971 40, für 1972 ebenfalls 40 Millionen DM. Diese Ausfälle wirken sich jedoch nicht in vollem Umfang zu Lasten der Gemeinden aus, sondern werden im Durchschnitt zu
etwa 50 v. H. über entsprechend höhere Leistungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs ausgeglichen. Zu beachten ist auch, daß gerade den relativ gewerbesteuerschwachen Bergbaugemeinden vom Jahre 1970 an erhebliche Mehreinnahmen auf Grund der Gemeindefinanzreform zufließen. Bei der Beurteilung der Steuerausfälle, die den Gemeinden, aber auch dem Bund und den Ländern vorübergehend entstehen, darf schließlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Steuervergünstigungen ebenso wie andere Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaftskraft der Steinkohlenbergbaugebiete dazu beitragen, die Wirtschaftsstruktur in diesen Gebieten zu verbessern und damit auf längere Sicht auch die Steuerkraft der Gemeinden zu stärken.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603122200
Sie haben Zusatzfragen? — Bitte!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0603122300
Es ist allerdings unzweifelhaft, daß Einnahmeverluste entstehen. Wie werden die dann kurzfristig, selbst wenn gewisse Vergünstigungen vorhanden sind, ausgeglichen?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603122400
Herr Kollege, ich habe gesagt, es werden 50 vom Hundert nach den Gesetzen über den kommunalen Finanzausgleich ausgeglichen. Mehr wird nicht ausgeglichen. Das andere müßte sich teilweise durch die Zunahme des Anteils an der Einkommensteuer ausgleichen, der den Gemeinden zufließt; das hatten sie bisher nicht. Da diese Gemeinden verhältnismäßig gewerbesteuerschwach waren, werden sie natürlich allein dadurch, daß sie jetzt einen Anteil an der Einkommensteuer bekommen, einen Zuwachs an Steuereinnahmen gegenüber früher erhalten, der zumindest zu einem Teil auch zum Ausgleich des Verlusts beiträgt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603122500
Ich rufe nunmehr ,die Frage 87 des Kollegen Geisenhofer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die steuerliche Benachteiligung von Elektrostraßenfahrzeugen (Gewichtsbesteuerung an Stelle nicht möglicher Hubraumbesteuerung) so rechtzeitig aufzuheben, daß die jetzt in Gang kommende Produktion abgasfreier Omnibusse gefördert wird, und welche sonstige Förderung der Einführung abgasfreier Stadtfahrzeuge gedenkt die Bundesregierung zu gewähren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603122600
Bei dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung kommen elektrisch angetriebene Omnibusse nur für die Verwendung im Linienverkehr in Betracht. Diese Einsatzmöglichkeit wird durch die Kraftfahrzeugsteuer nicht beeinträchtigt, da Omnibusse, die überwiegend im Linienverkehr verwendet werden, seit dem 1. Januar 1969 von der Kraftfahrzeugsteuer befreit sind. Eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes kann somit nur zugunsten anderer Elektrofahrzeuge in Betracht kommen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es im Interesse der Lärm- und Abgasbekämpfung geboten ist, die Verbreitung dieser Fahrzeuge durch eine Vergünstigung bei der Kraft-



Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl fahrzeugsteuer zu fördern. Über Art und Umfang einer solchen Vergünstigung kann aber erst entschieden werden, wenn Elektrofahrzeuge zur Verfügung stehen, die den Anforderungen des modernen Verkehrs genügen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603122700
Keine Zusatzfragen. Ich rufe nunmehr die Frage 88 des Kollegen Müller (Nordenham) .auf:
Trifft es zu, daß, wie die „Welt am Sonntag" vom 1. Februar 1970 berichtet, deutsche Millionäre ihr Geld ins Ausland bringen und daß manche Unternehmer ihr Geld darum im Ausland anlegen, weil sie der Bundesregierung skeptisch gegenüberstehen und Mitbestimmung, Sozialisierungen und Erhöhung von Erbschaft- und Vermögensteuer fürchten?
Herr Staatssekretär, bitte!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603122800
Nach dem letzten Wochenausweis der Deutschen Bundesbank vom 6. Februar 1970 betrug der Gesamtbestand an Gold und Devisen 25,8 Milliarden DM gegenüber einem Bestand von 31,5 Milharden DM am 31. Januar 1969, also vor dem Einsetzen der Spekulation wegen der Aufwertung der D-Mark. Der Rückgang um 5,7 Milliarden DM gegenüber idem Januar 1969, der devisenwirtschaftlich nicht bedenklich ist und konjunkturdämpfend gewirkt hat, dürfte zum Teil auf das höhere Zinsniveau des Auslands zurückzuführen sein. Von einer verstärkten Vermögensverlagerung aus den in der Anfrage genannten Gründen der Kapitalflucht ist der Bundesregierung und der Deutschen Bundesbank nichts bekannt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603122900
Keine Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 89 des Kollegen Dr. Fuchs auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, zum heutigen oder einem späteren Zeitpunkt Schritte zu unternehmen, um die Sonderabschreibungen Grenzland einzuschränken oder gänzlich aufzuheben?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603123000
Die Verwaltungserlasse über die Gewährung von Sonderabschreibungen im Rahmen des Grenzlandförderungsprogramms, die als Billigkeitsmaßnahmen im Sinne des § 131 der Reichsabgabenordnung erlassen wurden, sind bis zum 31. Dezember 1970 befristet. Im Hinblick auf diese Befristung wird gegenwärtig unter Beteiligung der Finanzminister und Finanzsenatoren der Länder die Verlängerung der Erlasse geprüft. Wegen der besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse im Zonenrandgebiet ist nicht beabsichtigt, die Begünstigung der förderungswürdigen Investitionen in diesem Gebiet einzuschränken oder aufzuheben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603123100
Eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0603123200
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, gegebenenfalls auch gesetzgeberische Schritte zu unternehmen, um die Möglichkeit dieser Sonderabschreibungen Grenzland zu sichern?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603123300
Die Frage, inwieweit man gesetzgeberisch hier zusätzliche Regelungen schaffen sollte, kann meines Erachtens nur im Rahmen der Steuerreform geprüft werden, bei der die Einkommensteuer ohnehin an der Spitze steht, also in nächster Zeit geprüft werden muß. Ich würde es vorziehen, wenn man bis zu dieser Zeit bei der gegenwärtigen Art des Erlasses bleibt. Eine andere Lage könnte höchstens dann entstehen, wenn solche Erlasse etwa durch die Finanzgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt würden. Dann müßte wohl der Gesetzgeber eingreifen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603123400
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0603123500
Herr Staatssekretär, sind Sie also der Auffassung, daß die Möglichkeit der Sonderabschreibungen für das Grenzland auch für die Zukunft gegeben ist?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603123600
Diese Frage kann ich schlicht mit Ja beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603123700
Ich rufe nunmehr die Frage 90 des Abgeordneten Krammig auf:
Billigt der Bundesminister der Finanzen die Ankündigung verschiedener Hauptzollämter, daß Steuerpflichtige, die innerhalb der Schonfrist nach § 1 Abs. 1 der Verordnung zum Steuersäumnisgesetz häufiger Steuerzahlungen leisten, damit rechnen müssen, daß die Fälligkeit der Verbrauchsteuern nach § 101 Reichsabgabenordnung vorverlegt wird, so daß die Schonfrist für diese Steuerpflichtigen entfällt?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603123800
Die sich aus den Verbrauchsteuergesetzen ergebenden Fälligkeitstage für die Entrichtung der Verbrauchsteuern werden durch die Schonfristenregelung der Verordnung zum Steuersäumnisgesetz nicht berührt. § 1 Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes knüpft die Säumnisfolgen an die Nichteinhaltung des Fälligkeitstages.
Wird eine Zahlung nicht bis zum Ablauf des genannten Tages geleistet, so ist sie verspätet. Durch die Gewährung der fünftätigen Schonfrist soll nur von der Erhebung des durch die verspätete Zahlung an sich verwirkten Säumniszuschlags abgesehen werden. Dagegen ist es nicht der Sinn der Schonfristenregelung, den gesetzlichen Fälligkeitstermin für die Entrichtung der Steuern hinauszuschieben. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn von Hauptzollämtern darauf hingewiesen worden ist, daß Steuerpflichtige, die bei der Entrichtung von Verbrauchsteuern wiederholt oder möglicherweise sogar dauernd die Schonfrist ausnutzen, mit einer Vorverlegung der Fälligkeit nach § 101 der Reichsabgabenordnung rechnen müssen.
Eine solche Maßnahme hat nicht zur Folge, daß die Schonfrist für die betroffenen Steuerpflichtigen schlechthin entfällt. Soweit Zahlungen innerhalb von fünf Tagen nach Ablauf des vorverlegten Fälligkeitstermins eingehen, wird auch in diesen Fällen



Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
von der Erhebung von Säumniszuschlägen abgesehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603123900
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Krammig.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603124000
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, warum bei der Umsatzsteuer, die ja ebenfalls in § 101 der Reichsabgabenordnung genannt ist, eine Vorverlegung der Frist nicht vorgesehen ist, obwohl die Schonfrist, soweit mir bekannt ist, in fast allen Fällen der Umsatzsteuerzahlung in Anspruch genommen wird?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603124100
Bei der Umsatzsteuer ist meines Erachtens die Lage anders als bei den Verbrauchsteuern. Bei der Umsatzsteuer gibt es auch für den Steuerpflichtigen oft aus technischen Gründen Schwierigkeiten, die Termine einzuhalten.
Ich muß selber sagen: bei der Kompliziertheit der Formblätter usw. ist es manchmal, namentlich für jemanden, der nicht über die erforderliche Ausbildung dafür verfügt, sicher schwierig, diese Termine einzuhalten. Bei der Verbrauchsteuer ist das aber ganz anders. Hier wird die Steuerschuld erst mehrere Wochen nach ihrer Entstehung fällig.
Infolgedessen ist eine regelmäßig verspätete Zahlung, sozusagen unter Dauerausnutzung der Schonfrist, eine Sache, die wir uns auf die Dauer nicht gefallen lassen können, weil hier eben nicht die gleichen Voraussetzungen wie bei der Umsatzsteuer bestehen.

Karl Krammig (CDU):
Rede ID: ID0603124200
Herr Staatssekretär, würden Sie trotzdem so freundlich sein, in Ihrem Hause prüfen zu lassen, ob sich diese abweichende Handhabung mit Art. 3 des Grundgesetzes auf die Dauer vereinbaren läßt?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603124300
Dazu darf ich persönlich, da ich glaube, selbst einiges von Verfassungsrecht zu verstehen, sagen, daß ich nicht glaube, daß diese Handhabung mit Art. 3 des Grundgesetzes unvereinbar ist, weil eben die Lage bei der Umsatzsteuer und bei den Verbrauchsteuern wegen deren viel größerer Schematisierung völlig verschieden ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603124400
Ich rufe dann die Frage 91 des Abgeordneten Hansen auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß in Vordrucken für den Lohnsteuer-Jahresausgleich nach wie vor die Bezeichnungen „sowjetische Besatzungszone Deutschlands" und „Sowjetsektor von Berlin" verwendet werden?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 19. Februar 1970 lautet:
Die Gestaltung des für 1969 geltenden Vordrucks „Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich" -ist bereits am 17. Juli 1969 mit Vertretern der Länderfinanzministerien erörtert und abgestimmt worden; die Druckaufträge wurden im Oktober 1969 erteilt. Nur bei dieser Termingestaltung war es möglich, die Vordrucke schon zu Beginn des Jahres 1970 für die Ausgabe an die Antragsteller verfügbar zu haben.
Im Zeitpunkt der Erörterung über die Gestaltung des Antragsvordrucks mußten für die Bezeichnung des Gebietes der DDR die Begriffe verwendet werden, die in den sog. Bezeichnungsrichtlinien des damaligen Ministers für Gesamtdeutsche Fragen vom Juli 1965 (GMBl 1965 S. 227) festgelegt sind; diese Bezeichnungsrichtlinien waren durch Kabinettbeschluß für verbindlich erklärt worden.
Die Frage der Weitergeltung der Bezeichnungsrichtlinien ist inzwischen von der Bundesregierung aufgegriffen worden. Es wurde festgestellt, daß die Richtlinien durch politische und sprachliche Entwicklungen z. T. überholt sind. Die Angelegenheit wird z. Z. noch geprüft.
Es kann damit gerechnet werden, daß in absehbarer Zeit eine abschließende Regelung vorliegt, die dann bei der Gestaltung der für den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 geltenden Antragsvordrucke zu berücksichtigen sein wird.
Wir kommen dann zur letzten Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Josten, die zunächst unter dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgeführt war, auf:
Hat die Bundesregierung einen Plan, um die einzelnen Dienststellen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die in verschiedenen Häusern in Bonn untergebracht sind, in einem modernen Bürohaus zusammenzulegen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603124500
Das Bundesministerium der Finanzen entwickelt zur Zeit in engem Benehmen mit der Stadt Bonn ein Rahmenkonzept für die Unterbringung aller obersten Bundesbehörden. Darin wird auch eine geschlossene Unterbringung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgesehen werden.
Sobald dieses Rahmenkonzept fertiggestellt und mit allen Beteiligten abgestimmt worden ist, werde ich ,den Deutschen Bundestag entsprechend meiner bereits in der Fragestunde am 21. Januar 1970 gegebenen Zusage unterrichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603124600
Eine Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0603124700
Herr Staatssekretär, da es sich hier um ein kleines, aber ständig an Bedeutung gewinnendes Ministerium handelt, darf ich Sie fragen: Bis zu welchem Zeitpunkt rechnen Sie mit dem Abschluß der von Ihnen angeführten Verhandlungen?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0603124800
Diese Verhandlungen werden mit großer Beschleunigung vorangetrieben, Herr Kollege. Ich habe auch sehr gedrängt, daß die Raumanforderungen aller Bundesministerien, die ja nun durch die Zusammenlegung einiger Ministerien anders geworden sind, so schnell als möglich festgestellt wurden. Das war ja die Voraussetzung für ein derartiges Programm, und ich bin sicher, daß wir innerhalb der allernächsten Zeit zu einem solchen Programm kommen werden, damit die Auskunft — mindestens eine Zwischenauskunft —über die etwaige Größe usw. bald gegeben werden kann.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603124900
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Herr Bundesminister Jahn steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 54 und 55, die der Herr Abgeordneter Dr. Hauser (Sasbach) gestellt hat, auf?
Erscheint es der Bundesregierung auf Grund sehr praktischer Erwägungen nicht geboten, zumindest Minderjährige, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, am Scheckverkehr teilnehmen zu lassen, ohne daß sie noch weiterhin der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und gar der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen (vgl. § 1643 in Verbindung mit § 1822 Nr. 9 BGB) ?
Hält die Bundesregierung eine recht baldige gesetzliche Regelung der Frage, daß Minderjährige ab 18 Jahren ohne die bisherigen Einschränkungen zum Scheckverkehr zugelassen werden, nicht für geboten, um die in der Praxis der Kreditinstitute oft im Zusammenhang mit der bargeldlosen Lohn- und Gehaltszahlung aufgetretenen Schwierigkeiten auszuräumen und damit der Empfehlung des Bundesverbandes des Privaten Bankgewerbes zu entsprechen, der bereits im Jahr 1967 das Bundesjustizministerium auf dieses Problem aufmerksam gemacht hat?
Herr Minister!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603125000
Die Frage, ob es angebracht ist, Minderjährige nach Vollendung des 18. Lebensjahres zum Scheckverkehr zuzulassen. ohne daß sie der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedürfen, gehört in den größeren Problemkreis der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, der auf nationaler Ebene möglichst nach Abschluß der Überlegungen im Europarat gelöst werden soll. Ich habe deshalb am 23. Januar 1970 vor dem Europarat auf die Dringlichkeit der Lösung dieses Problems ausdrücklich hingewiesen.
Die Bundesregierung hält es nicht für ratsam, die im Rahmen des Minderjährigenschutzes insgesamt nicht unwichtige Detailfrage der Zulassung zum Scheckverkehr isoliert zu behandeln. Davon unabhängig könnte jedoch die Teilnahme Minderjähriger am Scheckverkehr wesentlich erleichtert werden, wenn insoweit das Erfordernis der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nach § 1822 Nr. 9 des Bürgerlichen Gesetzbuches wegfiele. Nur auf eine Änderung dieser Vorschrift war im übrigen die in der zweiten Frage erwähnte Anregung des Bundesverbandes des Privaten Bankgewerbes gerichtet.
Mein Haus ist grundsätzlich bereit, dieser Anregung näherzutreten, sobald sich im Rahmen eines Gesetzgebungsvorhabens eine Möglichkeit zur Regelung bietet. Das dürfte bei der Reform der Vorschriften über "das elterliche Sorgerecht der Fall sein, in deren Rahmen auch der Kreis der nach den §§ 1643 und 1822 BGB genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfte überprüft werden soll.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603125100
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0603125200
Herr Minister, Sie werden mir doch recht geben, daß Scheckgeschäftsfähigkeit und Volljährigkeit in der Tat nicht eng miteinander gekoppelt sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603125300
Herr Kollege Dr. Hauser, „Sie werden mir recht geben" ist keine Frage. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie eine Frage stellen würden.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0603125400
Herr Minister, nachdem Sie ,die Frage der Scheckgeschäftsfähigkeit und die der Volljährigkeit so eng gekoppelt sehen, darf ich fragen: Gehen Sie mit mir einig, daß Scheckgeschäftsfähigkeit keineswegs unbedingt mit der Frage der Volljährigkeit zusammenhängt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603125500
Ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Hauser: Die Frage der Scheckgeschäftsfähigkeit, wie Sie sagen, und die der Volljährigkeit hängen eng miteinander zusammen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603125600
Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

(Sasbach wollen Sie, Herr Minister, zugunsten einer sicherlich zu begrüßenden gesamteuropäischen Regelung auf diesem Felde zuwarten, bis Sie sich etwa veranlaßt sehen, leine auf die Bundesrepublik eingsetzte Neuregelung in Gang zu bringen, wie Sie sie in Straßburg in Ihrer eben erwähnten Rede ,am 23. Januar schon angedeutet haben? Sie interpretieren die Haltung der Bundesregierung nicht richtig, Herr Kollege Hauser, wenn Sie ,sie mit „zuwarten" darstellen. Wir meinen allerdings, daß es notwendig ist, zunächst einmal alle Anstrengungen zu unternehmen, um dieses Stück bereits vorhandener europäischer Rechtseinheit möglichst zu wahren, d. h. möglichst einvernehmlich zu einem Ergebnis zu kommen, wobei ich im Augenblick noch offenlassen muß, wie dieses Ergebnis aussieht. Der Sinn meiner Rede vor dem Europarat in Straßburg und der Verweisung eben noch eimal darauf war aber, deutlich zu machen: wenn sich herausstellt, daß sich in einer absehbaren, d. h. nicht zu fernen Zeit eine gemeinschaftliche Regelung in Europa nicht finden läßt, wird die Bundesregierung ihre eigenen Entscheidungen zu treffen haben. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rasner. Herr Minister, sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen der sogenannten Geschäftsfähigkeit und dem Wahlalter? Und dem Wahlalter? Ja, dem Alter, in dem man wählen kann, meine ich. Einen unmittelbaren Zusammenhang nicht. Aber, Herr Kollege Rasner, ich denke, wir sollten an dieser Stelle uns selber doch nichts vormachen. Die Frage des WahlBundesminister Jahn alters und die Frage der Volljährigkeit haben einen inneren Zusammenhang, den man nicht formalisieren kann auf die Frage der Scheckfähigkeit; das ist ein Ausschnitt. Obwohl es nicht neu ist in der Rechtsgeschichte und der Verfassungsgeschichte unseres Landes, daß das Wahlalter und Volljährigkeitsalter nicht zusammenfallen, sollten wir aber auf die Dauer doch möglichst zu einer einheitlichen Regelung kommen. Wollten Sie noch eine ergänzende Erklärung dazu geben? Nein. Herr Kollege Hauser, Sie können noch weitere Zusatzfragen dazu stellen. Herr Minister, darf ich erfahren, inwieweit denn die Prüfung der Volljährigkeitsgrenze insgesamt innerhalb der Bundesregierung vorangekommen ist, nachdem bereits in der Regierungserklärung vom 28. Oktober diese Prüfung angekündigt wurde, Sie aber Ihrerseits vor dem Europarat mitgeteilt haben, die Bundesregierung habe bisher noch keine Schritte in die Wege geleitet, die zu einer Änderung der Altersgrenze im nationalen Bereich führen könnten? Ich denke, das eine schließt das andere nicht aus. Die Prüfung ist im Gange, Herr Kollege Hauser. Aber ob diese Prüfung zu dem Ergebnis führen wird, jetzt schon Schritte einzuleiten oder diese Schritte abgestimmt mit den anderen europäischen Staaten vorzunehmen, ist eine andere Frage. Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Hauser. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dabei auf den Gesamtzusammenhang achteten. Herr Minister, nachdem Ihr Vorvorgänger im Amt in seinem Schreiben an die Spitzenverbände unserer Kreditinstitute vor Jahresfrist bereits unter ausdrücklichem Hinweis auf die Erörterungen im Europarat über die Herabsetzung der Volljährigkeitsgrenze lediglich mitteilte, er wolle die Angelegenheit im Auge behalten, darf ich mich erkundigen, wieweit denn die Erörterungen im Europarat nun in der Tat schon vorangekommen sind? Die Verhandlungen im Europarat haben dazu geführt, daß nach der dortigen, Ihnen bekannten Übung zunächst eine Kommission des Ministerkomitees mit der Frage beschäftigt ist, die allerdings, soweit mir im Augenblick geläufig ist — ich weiß nicht, ob das einer ganz genauen Nachprüfung so standhält —, erst in diesen Wochen ihre Arbeit aufnimmt. Die Prüfung der speziellen Frage, von der Sie ausgehen, im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der deutschen Gesetzgebung, steht auf einem anderen Blatt. Dazu habe ich bereits gesagt, daß, soweit dies möglich ist, wenigstens eine Erleichterung im Zusammenhang mit einer Änderung des § 1822 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgesehen ist, und auch gesagt, wann das geschehen soll. Ich rufe nunmehr die Frage des Kollegen Pensky auf. Ich würde gern auch diese beiden Fragen zusammen beantworten. Herr Fragesteller, Sie sind einverstanden? — Dann rufe ich die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Pensky gemeinsam auf: Stimmt mir die Bundesregierung darin zu, daß die Tatbestände des sogenannten Haustürschwindels durch unseriöse Vertreter ständig zunehmen und es deshalb dringend notwendig ist, zum besseren Schutz der Verbraucher das Abzahlungsgesetz im Sinne des vom Lande Hessen beim Bundesrat eingebrachten Entwurfs erneut zu novellieren? Wann ist mit der Behandlung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes, das der Bundesrat beschlossen hat, durch das Kabinett und mit der anschließenden Vorlage dieses Entwurfs im Deutschen Bundestag zu rechnen? Bitte, schön, Herr Minister! Nach den Beobachtungen meines Hauses läßt sich eine ständige Zunahme mißbräuchlicher Verkaufsmethoden bei den sogenannten Haustürgeschäften nicht feststellen. Das ändert nichts daran, daß es sich hier insgesamt um einen sehr problematischen und auch der Klärung und Prüfung bedürftigen Bereich handelt. Gleichwohl begrüßt die Bundesregierung im Interesse einer weiteren Verbesserung des Schutzes der Verbraucher den vom Lande Hessen eingebrachten Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes. Das Kabinett wird sich voraussichtlich Anfang März mit dem Gesetzentwurf befassen und ihn anschließend dem Bundestag zuleiten. Eine Zusatzfrage, Herr Kollege! Sie erwähnten, daß nach Ihren Feststellungen ein Zunehmen dieser Zahl nicht feststellbar sei. Würden Sie mir zugestehen, daß gerade in diesem Bereich die Dunkelziffer erheblich groß ist, weil sich geprellte Menschen in der Regel scheuen, zur Polizei zu gehen und zu bekennen, daß sie sich haben überrumpeln lassen? Soweit mir bekannt ist, Herr Kollege, wird in diesem Bereich keine Statistik geführt. Deswegen kann es mir nicht schwerfallen, Ihnen zuzugestehen, daß Ihre Annahme richtig sein könnte. Ich glaube aber nicht, daß dies die entscheidende Frage ist. Vielmehr weiß ich aus meiner +eigenen Arbeit als Abgeordmeter in einem Wahlkreis, eine wie große Rolle Bundesminister Jahn dieses Problem spielt, wieviel Menschen davon betroffen sind und wie sehr es notwendig ist, hier zu einer noch besseren als der geltenden Regelung zu kommen. Keine weitere Zusatzfrage? — Dann stehen wir am Ende der Fragestunde, und wir ,setzen die Beratung des Tagesordnungspunktes 2 a)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603125700
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603125800
Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0603125900
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603126000
Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0603126100
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603126200



Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603126300
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603126400
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603126500
Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0603126600
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603126700
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603126800
Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0603126900
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603127000
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603127100
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603127200
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603127300
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603127400
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603127500
Heinz Pensky (SPD):
Rede ID: ID0603127600
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603127700



Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603127800
Ich erteile als nächstem Redner dem Herrn Abgeordneten Strauß das Wort.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603127900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf auch im Auftrag meiner Fraktion noch einmal feststellen, daß es nicht ,der Wunsch unserer Fraktion war, eine allgemeine politische Aussprache heute nicht durchzuführen, sondern .daß das eine gemeinsame Absprache war,

(Abg. Rösing: Im Ältestenrat!)

die im übrigen aus den bekannten Gründen von der Bundesregierung angeregt worden ist. Es wäre gut, wenn alle Mitglieder der Bundesregierung verständigt würden

(Abg. Baier: Dafür ist Herr Ehmke zuständig!)

— ,dafür gibt .es sozusagen einen eigenen Bundesminister —,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Der hat so viel anderes zu tun!)

damit nicht einer aus den Reihen der Bundesregierung gegen die von der Bundesregierung selbst vorgebrachten Wünsche verstößt.
Das zweite, was ich dazu bemerken darf — es ist eine politische Debatte gewünscht worden —, ist, daß weder wir noch ich 'im besonderen uns vom Herrn Bundesverteidigungsminister in dieser Funktion vorschreiben lassen, wann und wo wir zu welchem Thema jeweils die Genehmigung haben, reden zu dürfen.

(Beifall 'bei der CDU/CSU.)

Wenn ich im übrigen eine lückenlose Presseübersicht darüber hätte, zu welchen Themen die führenden Damen und Herren der SPD jeweils da oder dort gesprochen haben, könnte ich Ihnen sicherlich nachweisen, daß sie auch über Fragen geredet haben, die vorher im Parlament nicht behandelt worden sind. Wenn ich die Argumente miteinander vergliche, ließe sich eine Stilistik nachweisen, die sie im Parlament nicht angewandt haben. Auch darüber gibt es keinen Zweifel.

(Beifall bei der ' CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Herrn Wehner!)

Des weiteren scheint es mir so zu sein, daß sich der Herr Bundesverteidigungsminister in Geschäftsführung ohne Auftrag auf einmal, vielleicht in einer
Art Seelenwanderung, an frühere Zeiten erinnert oder eine neue Aufgabe übernommen hat.

(Abg. Rösing: Er hat eine neue Aufgabe übernommen! Er verteidigt den Finanzminister!)

Denn er hat — vielleicht ist das auch zur Verteilung der Gewichte innerhalb der SPD allgemein oder von ihm aus gesehen wünschenswert — Funktionen wahrgenommen, die vielleicht sonst Herr Wehner oder Herr Brandt normalerweise hätten wahrnehmen müssen.

(Zuruf von der SPD: Kommen Sie doch einmal zur Sache!)

— Ich bin außerhalb der Sache vom Herrn Bundesverteidigungsminister hier sehr deutlich angesprochen worden, aber nicht zur Sache, über die ich geredet habe, sondern genau zu dem, worauf ich jetzt Antwort gebe.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Weil Herr Möller in die Bredouille kam!)

Im übrigen braucht sich der Herr Bundesverteidigungsminister hinsichtlich der Sprachregelung innerhalb der CDU/CSU gar keine Sorgen zu machen. Mit unseren eigenen Problemen werden wir leichter fertig, als er mit seinen Jungsozialisten fertig werden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Sie werden doch nicht glauben, daß der Kollege Helmut Schmidt angesichts der Vorgänge in Frankfurt, München und anderswo nicht Gefahr läuft — auch wenn es ihm leid tut —, von uns mehr unterstützt zu werden als vom größten Teil seines eigenen Nachwuchses.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen hat die Bundesregierung für nächsten Montag — das gilt für die Fraktionsvorsitzenden — auch eine Unterrichtung über das Ergebnis der Moskaureisen angekündigt. Schon aus diesem Grunde wäre eine abschließende Behandlung derselben in einer politischen Debatte kaum möglich.

(Abg. Rasner: Das wäre sinnlos!)

Wer für die CDU/CSU spricht, bestimmt sie selber, und nicht ein Mitglied der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich komme jetzt auf die zwei Punkte zu sprechen, die ich heute vormittag angekündigt habe. Das erste ist das Thema der Investitionssteuer. Hier hat der Sozialdemokratische Pressedienst vom 26. Januar 1970 von einem „Franz-Josef-Strauß-10-MilliardenProgramm der Konjunkturüberhitzung in der privaten Wirtschaft" — davon 2,5 Milliarden DM im Jahre 1970 — gesprochen. Hier wird sehr großzügig mit 10 Milliarden DM jongliert. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern erklärt, daß die Handhabung der Investitionssteuer, des investiven Selbstverbrauchs, allein in den Jahren 1968/69 4 Milliarden DM Steuerausfall erbracht habe. Herr Bundesfinanzminister, seien Sie bitte sehr, sehr vorsichtig! Dann



Strauß
haben Sie weniger Anlaß, sich später korrigieren zu müssen. Sie haben am 16. Februar 1970 im Pressedienst der SPD davon geschrieben, daß über die Jahre 1968 bis 1973 zusammengenommen der Minderertrag dieser Investitions-Steuer — wie sie irrig genannt wird — 3,1 Milliarden DM sei. Und dann sagen Sie gestern hier im Parlament, das seien für die ersten zwei Jahre schon 4 Milliarden DM. Da stimmt doch etwas nicht! Es muß dann doch so sein, daß trotz der einschränkenden Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsgut" der angebliche Gesamtausfall in fünf Jahren niedriger ist — wie Sie selber schreiben, 3,1 Milliarden DM — als in den beiden ersten Jahren mit 4 Milliarden DM. Das klingt widersprüchlich, ist aber trotzdem verhältnismäßig einfach aufzuklären.
Die Mehrwertsteuer ist auf Grund eines Initiativantrages der beiden damaligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eingeführt worden. Es standen damals — Modell war der frühere Regierungsentwurf — für die umsatzsteuerliche Entlastung der Investitionen drei Möglichkeiten zur Diskussion. Der alte Regierungsentwurf — ich muß leider jetzt nicht so politisch reden, wie Kollege Schmidt es wünscht —, der mit der alten Legislaturperiode zu Ende gegangen war, sah eine sogenannte Prorata-Lösung vor. Ich bin selber immer gegen die Pro-rata-Lösung gewesen, weil ich sie für wenig wirtschaftsfreundlich und im übrigen verwaltungstechnisch ungewöhnlich schwierig gehalten habe. Dieselbe Haltung hat auch der Finanzausschuß eingenommen. Ich wäre für einen Sofortabzug bei den 10 bzw. 11% Mehrwertsteuer gewesen. Wir konnten aber im Jahre 1967 den Sofortabzug beim besten Willen — das war gemeinsame Auffassung des Finanzausschusses — nicht bewilligen, und zwar aus zwei Gründen. Der Steuerausfall hätte 5 Milliarden DM betragen, was damals nicht zu verantworten war. Aber noch schwerwiegender waren die konjunkturpolitischen Gründe, Herr Bundeswirtschaftsminister. Eine starke steuerliche Entlastung für Investitionen ab Januar 1968, beschlossen etwa im Mai 1967, hätte eine ungewöhnliche konjunkturbremsende und damit für unsere damaligen Bemühungen negative Wirkung gehabt. So hat sich der Finanzausschuß nach langen Bemühungen und Überlegungen für diesen Stufenplan entschieden, den ich hier nicht mehr zu schildern brauche, weil diejenigen, die sich dafür interessieren, ihn kennen.
Im Rahmen des Stufenplanes ist folgender Satz durch das Parlament — nicht durch mich — in das Mehrwertsteuergesetz gekommen:
Selbstverbrauch liegt vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensrechtlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt.
§ 30 Umsatzsteuergesetz wurde dann durch den Einführungserlaß vom 30. Januar 1968 näher erläutert.
In dem berühmten „Stern"-Interview — über das ich mich gern mit Ihnen unterhalten will, Herr Kollege Möller, auch wenn Sie einen Teil davon jetzt dementiert haben — sagen Sie: „Ich würde den Hut nehmen, wenn mir das passieren würde." Ich sage Ihnen, daß Sie die Einführungserlasse dieses Jahres erst gelesen haben, als Sie sich polemisch mit meiner angeblichen Rolle bei der Investitionsteuer befaßt haben und vorher das, was Ihre Beamten unterschrieben haben, überhaupt nicht einmal zur Kenntnis genommen haben. Ich gebe Ihnen darauf Brief und Siegel.

(Zurufe von der SPD.) — Woher wissen Sie denn das?


(Zuruf von der SPD.)

In diesem Einführungserlaß heißt es : „Der Begriff des Wirtschaftsgutes richtet sich nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen." Herr Kollege Möller, wir haben uns im Finanzausschuß darüber unterhalten. Herr Kollege Schmidt hat dann die Debatte abgebrochen, weil Sie in große Verlegenheit gekommen waren.
Es gibt für die Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsgut" keine andere Möglichkeit als die Zugrundelegung der einkommensteuerrechtlichen Vorschriften.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Es ist ausgeschlossen, den Begriff „Wirtschaftsgut", wenn es der Staatskasse nützt — wie bei den Sonderabschreibungen — einschränkend auszulegen, d. h. nur die selbständig bewertbaren Güter darunter zu verstehen, und ihn umsatzsteuerrechtlich, wenn es wiederum um die Interessen des Fiskus geht, völlig anders — umgekehrt — auszulegen als wenige Monate vorher bei der Definition der Sonderabschreibungen. Schon das unterste Finanzgericht würde eine solche Bestimmung für verfassungswidrig erklären. Darüber gab es nicht den geringsten Zweifel. Fragen Sie doch die Juristen in Ihrem eigenen Hause. Ich habe Sie doch im Finanzausschuß in Gegenwart Ihrer Beamten und in Gegenwart der Kollegen gefragt, ob Sie eine andere rechtliche Definition für möglich halten. Sie haben gesagt, politisch wäre sie wünschenswert gewesen. Sie haben gesagt, das hätte im Ermessensspielraum gestanden. Ich sage Ihnen hier klipp und klar: das stand nicht im Ermessensspielraum. In dem Augenblick, wo der Begriff „Wirtschaftsgut" verwendet wird, können nur die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt werden und sonst nichts. Sie versündigen sich wider Treu und Glauben, wenn der Begriff „Wirtschaftsgut" jeweils nach dem Interesse der Staatskasse und ohne Rücksicht auf die Situation der Steuerzahler ausgelegt wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603128000
Herr Kollege Strauß, gestatten Sie ein Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603128100
Bitte sehr!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603128200
Herr Kollege Dr. Strauß, spricht nicht alles das, was Sie jetzt gerade zur



Frau Funcke
Erläuterung gesagt haben, dafür, daß die Formulierung, die das Finanzministerium seinerzeit unter Ihrer Leitung und zweifelsohne mit Ihrer Kenntnis in das Gesetz eingebracht hat, diesen Betriebsunfall verursacht hat?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603128300
Erstens stand damals gar nicht fest, daß der Gesetzgeber nicht die einschränkende Auslegung gewünscht hat, weil damals nämlich aus konjunkturpolitischen Gründen von allen eine Begünstigung der Investitionen gewünscht worden ist. Zweitens gibt es ein Kabinettsmitglied, das Ihrer Partei angehört.

(Zuruf rechts: Pfui!)

— Nicht „pfui", im Gegenteil, ich begrüße das. (Zuruf des Abg. Ollesch.)

— Sie wußten das nicht, Herr Kollege Ollesch? Dann sind Sie hinter den Ereignissen aber etwas zurück. Dieses Kabinettsmitglied hat erklärt: Das war gar kein Irrtum des Gesetzgebers; das wollte doch der Gesetzgeber.
Sie haben im Finanzausschuß nur von einer Panne gesprochen. Ich bestreite, daß es eine Panne war. Wenn im Finanzausschuß zahlreiche Steuerexperten mit jahrzehntelanger Erfahrung beisammensitzen — mitten darunter Sie als leuchtendes Juwel — und den Begriff „Wirtschaftsgut" verwenden, kann es nicht den geringsten Zweifel darüber geben, daß sie mit diesem Begriff klare steuerrechtliche Vorstellungen verbinden, und zwar klarere Vorstellungen, als ich sie damals jemals hätte entwickeln können. Ich habe mich sehr eingehend mit dieser Materie befaßt. Wenn der Begriff „Wirtschaftsgut", d. h. bewegliche und unbewegliche Güter ,des Anlagevermögens, verwendet wird, muß er in allen Fragen im Hinblick auf die Interessen des Steuerzahlers und des Fiskus einheitlich definiert werden, nicht aber einmal so und einmal anders.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603128400
Herr Kollege Dr. Strauß, die Berechnungen Ihres Hauses gingen doch seinerzeit zweifelsohne davon aus, daß sämtliche aktivierungspflichtigen Investitionsgüter der Investitionsteuer unterlegen haben. Stimmen Sie dann nicht mir darin überein, daß die Formulierung ein Betriebsunfall war?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603128500
Wenn es ein Betriebsunfall war, haben Sie ihn als Mitglied des Finanzausschusses führend zu verantworten. Ich war nicht Mitglied des Finanzausschusses. Ich habe den Begriff „Wirtschaftsgut" dort nicht eingeführt. Er ist vom Finanzausschuß eingeführt worden. Die Initiativvorlage sah ursprünglich anders aus, und die frühere Regierungsvorlage Ihres Kollegen Dahlgrün sah ebenfalls anders aus. Es mag sein, daß das Umsatzsteuerreferat nicht eine einschränkende, sondern eine extensive Auslegung hatte. Wenn das aber so war, so war das falsch. Auf Grund der gesamten Rechtsprechung hat sich Ministerialdirektor Falk, von dessen Ermessen es auch nicht abhing, so oder so zu entscheiden, gezwungen gesehen, eine ganz klare, den Steuerzahler beruhigende, befriedigende und sicherstellende Definition des Begriffes „Wirtschaftsgut" abzugeben. So und nicht anders ist verfahren worden. Darüber gibt es doch gar keinen Zweifel. Wissen Sie, warum es darüber keinen Zweifel gibt? Wenn die Rechtsauslegung, die Ministerialdirektor Falk damals vorgenommen hat — wenn sie auf meinen Schreibtisch gekommen wäre, hätte ich auch nicht anders entscheiden können; ich distanziere mich gar nicht davon, auch wenn ich sie gar nicht gesehen habe —, falsch oder unerwünscht gewesen wäre, so hätte den jetzigen Bundesfinanzminister doch nichts daran gehindert, den Begriff „Wirtschaftsgut" für zukünftige Investitionen in einem neuen Einführungserlaß anders auszulegen, als es in der Vergangenheit getan wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wäre nicht möglich gewesen, es für die Vergangenheit rückwirkend zu machen. Für die Zukunft wäre aber durchaus eine andere Regelung möglich gewesen. Das wäre kein Verstoß wider Treu und Glauben gewesen.
Ich gehe noch weiter. Warum hat denn der Herr Bundeswirtschaftsminister eine Änderung des Gesetzes vorbereitet? Doch um nicht durch Auslegung, sondern de lege ferenda, durch eine Gesetzesänderung, eine andere Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsgut" herbeizuführen, und zwar durch Einführung des Begriffs „aktivierungspflichtig" ? Die Tatsache, daß die Bundesregierung eine Gesetzesänderung vorbereitet hat, die am Widerspruch der FDP und des Herrn Finanzministers gescheitert ist, spricht doch dafür, daß Sie eine andere Rechtsauslegung nicht für möglich gehalten, sondern eine Gesetzesänderung für notwendig gehalten haben.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Eine andere Möglichkeit gibt es doch nicht.

Herr Kollege Möller, ich habe mich in der Zwischenzeit allmählich daran gewöhnt, daß ich den „Spiegel" und neuerdings auch „Stern" als Veröffentlichungsorgane des Bundesfinanzministeriums anzuerkennen habe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sage das deshalb, weil es sehr befremdend ist, einem Wochenmagazin die Einlassung des Ministerialdirektors a. D. Falk zu lesen, die ihnen offensichtlich zugänglich gemacht worden ist. Aber mir, dem Sie die Unterschrift Falk politisch anlasten, haben Sie die Einlassung Falk niemals zugänglich gemacht. Die Einlassung Falk, die Sie sozusagen auf Befehl von Herrn Ehmke verlangt haben, ist allen möglichen Leuten zugänglich gemacht worden, auch der Presse. Aber mir ist sie nicht zugänglich gemacht worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603128600
Herr Abgeordneter Strauß, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603128700
Es ist schade, daß ich solche Dinge, bei denen in der Öffentlichkeit mit Milliarden hin und her geworfen wird und schwerstwiegende



Strauß
Vorwürfe erhoben werden, hier nicht aussprechen kann.

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603128800
Herr Abgeordneter Strauß, Sie haben hier die Möglichkeit gehabt, zu der Sache Stellung zu nehmen. Nach der geltenden Geschäftsordnung können Sie sich im Verlauf der Debatte erneut zu Wort melden.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603128900
Das letzte, was ich dazu zu sagen habe, ist: Ihre Schätzungen, Herr Kollege Möller, über Einnahmeausfall sind falsch. Sie sind aus drei Gründen falsch. Fragen Sie bei den Finanzämtern nach.
Erstens ist in vielen Fällen die Mehrwertsteuer abgezogen und keine Investitionsteuer gezahlt worden. Das kommt erst bei der Veranlagung und beim Umsatzsteuerbescheid und bei der Betriebsprüfung heraus. Das ist der erste Grund, warum Ihre Zahlen falsch sind. Denn sonst hätten Sie sich hier selbst widersprochen, indem Sie für zwei Jahre 4 Milliarden DM Verlust sagen und für fünf Jahre 3 Milliarden DM Verlust schreiben. Da stimmt doch etwas nicht.
Zweitens sind Ihre Zahlen aus folgendem Grunde falsch. Eine Besprechung zwischen den steuerberatenden Berufen und Herrn Fredersdorf hat ergeben, daß viele Mehrwertsteuerzahlungen und Investitionsteuer bereits im Vorsteuerabzug saldieren. Kassenmäßig wird die Investitionsteuer dann also überhaupt nicht eigens erfaßt. Sie, Herr Kollege Möller, verlassen sich nur auf die Geschäftsstatistiken der Finanzämter, die ihrerseits wieder auf den Angaben der Steuerpflichtigen beruhen, die ihrerseits wieder Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung haben, weil der investive Selbstverbrauch eine ganz schwierige Materie ist.
Drittens haben Sie gar nicht gewürdigt, daß ein Minus an Umsatzsteuerzahlungen eine Erhöhung des Gewinns und damit eine Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie die drei Punkte einbeziehen, kommen Sie erst zu richtigen Zahlen. Aber dann müssen Sie die Materie noch viel gründlicher kennenlernen und sich sehr sorgfältig vorbereiten, bevor Sie solche Vorwürfe erheben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Pfui-Rufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603129000
Das Wort hat Herr Bundesminister Eppler.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Erst Verteidigung, jetzt Entwicklung! — Zurufe von der CDU/CSU: Bei der Sache bleiben! — Weitere Zurufe!)


Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0603129100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur einen einzigen Satz zu
sagen, und Sie dürfen feststellen, ob es anderthalb werden.
Wenn das alles so ist, Herr Kollege Strauß, wie sie sagen, wenn also eine andere Auslegung des Begriffs gar nicht möglich war und wenn die Beamten des Finanzministerium dies alles wußten, warum haben sie dann dem Gesetzgeber, sprich: dem Ausschuß, nicht die finanziellen Auswirkungen eben dieser Auslegung auf den Tisch gelegt?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603129200
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603129300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt, daß die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf Schwerpunkte gesetzt hat, und zwar in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Sparförderung und Entwicklungshilfe. Die Zuwachsraten für Bildung und Wissenschaft betragen 22 %, für die Sparförderung 23% und für die Entwicklungshilfe 7%, die ein Beitrag der Bundesrepublik zur Friedenshilfe ist. Mit der hohen Zuwachsrate für den Bereich von Bildung und Wissenschaft ist zunächst einmal nur ein Zeichen in der richtigen Richtung gesetzt worden. Wir haben prozentual eine starke Steigerungsrate, aber wir haben in den absoluten Beträgen mit Sicherheit noch nicht das, was von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag erwartet wird. Wenn Bund und Länder den Bildungsplan — wir hoffen, bald — und den Plafond der Finanzierung dafür fertiggestellt haben, dann wird zu einem späteren Zeitpunkt an den Bundestag und die Bundesregierung die Aufforderung zu richten sein, die Beträge für diesen Bereich zu verstärken; denn Bund und Länder werden, obwohl sie durch die Finanzreform finanzmäßig besser ausgestattet sind, in Zukunft diese Aufgaben nicht in dem Maße übernehmen können, wie das erwartet wird.
Die FDP begrüßt darüber hinaus eine Steigerung der Raten für die Vermögensbildung und unterstützt das Vorhaben der Bundesregierung, die Sparförderung für Einkommensschwache zu erweitern und den Betrag des 312-DM-Gesetzes zu verdoppeln. Wir würden es begrüßen, wenn für das erste Halbjahr 1970 eine zusätzliche Sparförderung ermöglicht würde, um Kaufkraft abzuschöpfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es entspricht unseren Vorstellungen, daß die regionale Wirtschaftsförderung in ländlichen Bereichen verstärkt worden ist, und zwar um die Hälfte auf 250 Millionen DM verstärkt worden ist. Wir begrüßen es, daß für die nationale Agrarpolitik, nachdem von der früheren Bundesregierung in der mittelfristigen Finanzplanung eine Kürzung um 500 Millionen DM vorgenommen wurde, in diesem Bereich wieder eine Aufstockung um 400 Millionen DM erfolgt ist.

(Unruhe.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603129400
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
dankbar, wenn Sie dem Redner die gebührende Aufmerksamkeit schenkten.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603129500
Wir verhehlen allerdings nicht, daß wir es lieber gesehen hätten, wenn das Gesamtvolumen des Haushalts nicht diesen großen Umfang gehabt hätte. Wir hätten auch lieber eine Steigerungsrate von 6 his 61/2 % als von 8,8 % gesehen. Der Bundesfinanzminister mußte aber von den politischen Fakten ausgehen, die er bei Antritt seines Amtes vorfand. Ich komme dabei stichwortartig auf das zurück, was in der Kontroverse zwischen dem Finanzminister und Herrn Strauß hier schon ausgeführt worden ist. Er fand 3,5 Milliarden DM gesetzliche Verpflichtungen vor und nicht, wie von Herrn Strauß behauptet wurde, 1,9 Milliarden DM Risiken. Er fand Zusagen aus dem früheren Bundestag in Höhe von 1,7 Milliarden DM vor, Erklärungsverpflichtungen für die Kriegsopfer, für den öffentlichen Dienst und für Kindergeld. Dazu kam dann ein Betrag von 1,7 Milliarden DM für den Ausgleich der Verluste der deutschen Landwirtschaft. Jeder von uns wußte, daß diese Zahlung auf den Bundeshaushalt zukommen würde,

(Abg. Leicht: Davor haben wir ja gewarnt!)

und auch Sie von der CDU, Herr Leicht, konnten ja nur die Aufwertung bis zur Wahl hinausschieben. Sie haben vor der Wahl selbst die Börse geschlossen und mittelbar nach der Wahl, als Sie noch in der Regierung waren, den Wechselkurs freigegeben.

(Abg. Leicht: Sagen Sie doch dazu, warum!)

Diese 7 Milliarden DM Vorbelastungen führten zu dem hohen Plafond des Bundeshaushalts, und es ist erfreulich, daß es der Bundesregierung trotzdem gelungen ist, für wichtige Vorhaben noch Schwerpunkte zu setzen.
Bei dieser Gelegenheit noch ein Wort zu den hohen Ausgaben im Dezember, also zu dem Streitpunkt von heute morgen. Meine Damen und Herren, hier hat zweifellos eine Begriffsverwechslung stattgefunden. Herr Strauß und seine Kollegen hatten unter Ziffer 2 nach den Betriebsmittelzuweisungen gefragt. Das sind die Zuweisungen des Finanzministeriums an die Ressorts, Herr Leicht.

(Abg. Leicht: Das weiß ich!)

Unter Ziffer 3 war gefragt nach der Steigerungsrate der Ausgaben. Daß beide Faktoren nicht übereinzustimmen brauchen, ist völlig klar. Das ergibt sich ganz eindeutig aus den Zahlen.

(Abg. Leicht: Das hatte Strauß auch getrennt!)

Denn im Jahre 1968 betrugen die Anforderungen der Ressorts 8,86 Milliarden DM, die Steigerungsrate bei den Ausgaben aber betrug 9,138 Milliarden DM; die Steigerungsrate bei Effektivausgaben betrug im Jahre 1969 11,6 Milliarden DM, und bei den Zuweisungen an die Ressorts — per Zusagen — waren es 11,8 Milliarden DM. So ergibt sich der Prozentsatz der Steigerungsrate der Ausgaben — nach dem in der dritten Frage gefragt war — in Höhe von 25 und 26 %, wie das heute morgen dargestellt worden ist. Es ist bedauerlich, daß ein ehemaliger
Finanzminister hier ein Opfer von Finanzbegriffen geworden ist. Aber so ist es den Tatsachen nach.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun komme ich noch einmal zu der Frage: Ist der jetzige Haushalt konjunkturgerecht oder ist er es nicht? — Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit das Entscheidende in diesem Haushalt ist, daß eine Konjunkturausgleichsrücklage beim Bund in Höhe von 1,5 Milliarden DM und bei den Ländern in Höhe von 1 Milliarde DM gebildet wird und daß im Bundeshaushalt 2,7 Milliarden DM gesperrt werden. Herr Strauß möchte heute lieber, daß gekürzt wird, statt daß Sperren eingebaut werden.

(Widerspruch des Abg. Leicht.)

Als wir im vorigen Jahr, als Sie die Sperre in Höhe von 1,8 Milliarden DM wollten, vorschlugen, echte Haushaltskürzungen vorzunehmen, haben Sie uns das abgelehnt mit der Begründung, man müsse die Entwicklung der Konjunktur abwarten und könne erst zu einem späteren Zeitpunkt darüber entscheiden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603129600
Herr Kollege Peters, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Leicht zu?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603129700
Bitte schön!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603129800
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Peters, daß der Tatbestand im vorigen Jahr ein o anderer war als in diesem Jahr? Da waren keine Sperren im Bundeshaushalt eingebaut.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603129900
Nein, Herr Leicht, Sie hatten damals nur eine Gesamtsperre.

(Abg. Leicht: Nein, nicht hier im Parlament! Das war eigene Sache der Regierung!)

Hier ist vom jetzigen Finanzminister mit Recht dargelegt worden, daß es sehr viel wirksamer ist, wenn die Sperren in den einzelnen Positionen ausgebracht sind, als wenn sie über dem Gesamthaushalt liegen, weil dann die Ressorts nicht die Möglichkeit des Ausweichens haben, wie das im vorigen Jahr der Fall war.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Aber wir, die jetzige Bundesregierung und die Koalition, wollen auch heute die Möglichkeit haben, die Konjunkturentwicklung dieses Jahres abzuwarten. Mitte des Jahres wird dann entschieden werden, ob die gesperrten Mittel freigegeben werden können oder nicht.
Viel wirksamer als die Konjunkturausgleichsrücklage und die Haushaltssperre wird die restriktive Haushaltspolitik sein, die von jetzt bis Mitte des Jahres, also bis zur Verabschiedung des Haushalts, betrieben wird. Dadurch werden Mittel in Höhe von 5 bis 7 Milliarden DM einbehalten und dem Umlauf entzogen. Das wird sehr viel dämpfender wirken als alles andere. Dadurch ist der gesamte Haushalt — das darf man nicht vergessen — heute nicht nur konjunkturneutral, sondern er ist konjunkturge-



Peters (Poppenbüll)

I recht. Wenn sich im Laufe des Jahres zeigen sollte, daß, wie die Bundesbank befürchtet, eine weitere Beschränkung der Ausgaben stattfinden muß, werden wir die Bundesregierung dabei unterstützen.
Nun möchte ich noch zu einem Problem Stellung nehmen, das hier heute morgen schon aufgeworfen worden ist. Ich sehe mich gezwungen, auf eine Äußerung des Kollegen Strauß über meinen Freund Josef Ertl einzugehen. Herr Minister Schmidt hat heute morgen diese Äußerung aus Vilshofen schon herangezogen. Die einzige Unterlage, die mir hier vorliegt, ist der „Spiegel"

(Zuruf des Abg. Unertl.)

— Sie haben ja vielleicht eine bessere, Herr Unertl,
Nach den Äußerungen. wie sie im „Spiegel" stehen — und die ziehe ich hier heran —, hat Herr Strauß gesagt: „Als Verräter möchte ich ihn nicht bezeichnen. Für den Verrat fehlt ihm die Erkenntnis der verhängnisvollen Rolle, die er gespielt hat."

(Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf des Abg. Unertl.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Strauß sollte diese Äußerung an dieser Stelle zurückziehen, oder er sollte zumindest zu dieser Äußerung Stellung nehmen; denn sie erfüllt nach unserer Meinung den Tatbestand der Beleidigung.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Leicht: Wenn er es gesagt hat!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603130000
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte Ihnen noch sagen, daß der Herr Kollege Peters die ihm zustehende Redezeit — es waren von seiner Fraktion 30 Minuten angemeldet — bei weitem nicht in Anspruch genommen hat.

(Abg. Haase [Kassel] : Ausgezeichnet! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Raffert.

Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0603130100
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Ich darf versichern, daß ich keine besondere Redezeit beantragt habe. Ich will sogar den Versuch machen, die mir zustehende Redezeit nicht voll auszunützen. Wenn es auch für jemanden, der den ganzen Morgen hier gesessen hat, sehr reizvoll wäre, die Auseinandersetzung mit Herrn Strauß fortzuführen, so meine ich doch, wir sollten heute nachmittag auf wesentliche Einzelkomplexe des neuen Haushalts in der Form eingehen, wie das bei ersten Lesungen in diesem Hause erfreulicherweise üblich gewesen ist.
Ich möchte hier zum Bereich der Bildung und der Wissenschaft sprechen. Wer das für die SPD-Fraktion in dieser Debatte und zu diesem Haushalt tut, der befindet sich auf ziemlich festem Grund. Das ist nachzuweisen. Übrigens zeigen nicht nur die Zahlen und Positionen dieses Haushalts die Priorität, die wir dem wichtigen Feld von Bildung und Wissenschaft in unserer Finanzgebarung und Haushaltsgestaltung wie in unserer Gesamtpolitik zu geben
gewillt sind. Das geschieht nicht überraschend und kommt nicht von ungefähr. Wer verfolgt hat, was wir im Laufe der letzten Jahre zu diesen Dingen immer wieder vortragen konnten, der weiß, daß der jetzige Bundesfinanzminister, der in seiner Rede auf diese Aufgabe so großen Wert gelegt und auf diese Priorität deutlich Bezug genommen hat, einer der „Erfinder" des Begriffs der Gemeinschaftsaufgaben ist, den wir vor einigen Jahren in die deutsche Politik eingeführt haben und der heute sogar von denen benutzt wird, die zur Zeit in diesem Haus in der Opposition sitzen. Das ist eine gute Sache. Hier haben wir also voneinander gelernt. Die Frage der Priorität ist hier völlig klar: sie lag bei uns. Für uns ist Bildung und Wissenschaft immer die wesentlichste Gemeinschaftsaufgabe, die Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1 gewesen.
Aber darüber herrschte in diesem Hause nicht immer Einigkeit. Hier hat es z. B. in bezug auf die notwendige Ausdehnung der Zuständigkeiten des Bundes auf diesem Gebiet Schwierigkeiten gegeben. Viele von uns erinnern sich noch an die Auseinandersetzung, die wir im vorigen und im vorvorigen Jahr im Vorfeld der Finanzreform darüber führten, wo es uns eigentlich nur gelungen ist, einige wenige Restbestände dessen, was wir ursprünglich vorhatten, zum Institut der Gemeinschaftsaufgaben zu machen und, was ich hinzufügen darf, in das Grundgesetz zu bekommen.
Auch hier ist ein Fortschritt im Lernprozeß der jetzigen Opposition festzustellen. Das haben wir bei Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes erkannt, bei dem Sie jetzt auch von der damals vorgesehenen sehr engen Beschränkung auf die wissenschaftlichen Hochschulen alten Stils abzugehen bereit sind und uns mit der Streichung des Wortes „wissenschaftlich" nun die Möglichkeit geben wollen, zu helfen, diese Dinge so fortzuentwickeln, wie es notwendig ist, wenn die Hochschulen als wesentlicher Teil unseres Bildungs- und Erziehungssystems entsprechend gefördert werden sollen.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers erinnern, der klargemacht hat, daß es die gemeinsame Überzeugung der die Regierung jetzt tragenden Parteien ist, daß „Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung an der Spitze der Reformen stehen, die es bei uns vorzunehmen gilt". Die Regierungserklärung hat es nicht bei diesem allgemeinen Hinweis belassen, sondern ein paar ganz konkrete Punkte genannt, auf die es der Regierung dabei ankommt.
Wenn Alex Möller heute sagt, er wolle nicht „den Eindruck erwecken, daß das Gebiet von Bildung und Wissenschaft im Bundeshaushalt 1970 oder in der Finanzplanung bis 1973 schon ausreichend berücksichtigt" werde, und daß man „sich noch vielerlei einfallen lassen müsse", um hier das Notwendige zu tun, dann ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Erklärung der Bereitschaft auch des Finanzministers, hier noch mehr zu tun, als es das derzeitige Verteilersystem ermöglicht. Auch hier können wir die Hilfe der Länder, aber auch die Hilfe der Opposition in diesem Hause brauchen. Denn um



Raffert
das Verteilersystem zu ändern, kann und wird es sogar nötig sein, in allernächster Zeit die Verfassung noch einmal daraufhin abzuklopfen, ob das Verteilersystem • nicht doch noch verbessert werden kann. Hier könnten weitere Beweise wachsender Einsicht gegeben werden.
Die Erhöhung des Wissenschaftsetats im Haushalt 1970 ist ein deutliches Signal, nicht mehr. Ich selber habe den Einzelplan 31 erst am Montag bekommen. Ich habe mich darüber nicht geärgert, weil ich die Absicht des Finanz- und des Wissenschaftsministers
— der deshalb besonders unberechtigt angegriffen worden ist — respektiert habe, erst zu diesem Zeitpunkt und für alle zur gleichen Zeit damit herauszukommen. Als die ersten Zahlen auf allen möglichen Kanälen bekannt wurden, hat es eine ganze Weile — ich befürchte, daß uns das auch in der heutigen Debatte passieren kann — einen Streit um Prozentzahlen gegeben: Wieweit ist eigentlich der Wissenschaftsetat wirklich erhöht worden? Da kann man eine Menge Jongleurkunststücke machen. Man kann drei verschiedene Ausgangspositionen wählen. Bei 1969 kann man vom Soll nach dem Haushaltsplan ausgehen oder vom Soll nach Abzug der Konjunktursperre, oder von den IstAusgaben. Man kann bei 1970 vom Soll nach dem Haushaltsentwurf einschließlich der Sperre ausgehen, also vom „BruttoSoll", oder vom Soll ohne die Sperrbeträge, oder von diesem selben Betrag, aber mit den Ausgabenresten, die wir vom letzten Jahr besonders auch im Hochschulbereich behalten haben.
Ich halte das alles für ganz unfruchtbar; denn niemand wird den anderen davon überzeugen können, daß seine Ausrechnung über soundsoviel Prozent genau die richtige sei. Daß natürlich die Regierung und die sie tragenden Parteien von der für sie aussagekräftigsten Rechnung ausgehen, indem sie sagen: Wir gehen von dem Ist 1969 aus und rechnen demgegenüber das Brutto-Soll 1970!, ist ganz selbstverständlich. Wer etwas anderes erwarten würde, wäre nicht ernst zu nehmen.

(Abg. Leicht: Aber das war auffallend!)

— Das ist nicht falsch, aber sehr aussagekräftig, Herr Leicht. Das werden Sie nicht bestreiten können.

(Abg. Leicht: Nein, das war falsch angelegt!)

— Aber das werden Sie bei den Einzelplanberatungen ja noch einmal nachzuweisen versuchen. Ich kann es im Augenblick nicht selbst beurteilen. Ich gehe aber davon aus, daß die Zahlen, die wir hier bekommen, soweit ich sie übersehen kann, in Ordnung sind. Dann kommt die Steigerung um 36 % heraus. Genau sind es 35,9%, Frau Kollegin Dr. Walz.
Bei den Sperrren, die in diesem Bereich vorhanden sind, darf man nach dem ersten Überblick wohl sagen, daß durch sie bei der enormen Steigerung des Wissenschaftsetats von dem, was in nächster Zeit getan werden muß, nichts gefährdet wird. Wir vertrauen auf das Wort des Finanzministers, der erklärt hat, daß bei der Lockerung der Sperren, wenn sie möglich oder durch die Konjunkturlage im nächsten Halbjahr notwendig werden sollte, die
Maßnahmen für Bildung und Wissenschaft vordringlich behandelt werden sollen.
Aber es geht hier gar nicht um Zahlenspiele. Es geht auch nicht darum, wie hoch die Sperre im Augenblick ist, soviel oder soviel. Man wird in der Praxis des Ablaufs des nächsten Jahres von dieser Regierung erwarten können, daß das in Ordnung geht; Durch diesen Haushalt und durch das, was dazu von Regierung und Mehrheitsfraktionen gesagt wird, wird nämlich nicht nur der Reformwille, der notwendig ist, unter Beweis gestellt, sondern meiner Meinung nach auch die Reformfähigkeit.
Ich erinnere gern daran, wie zum erstenmal die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in einem Bundeshaushalt stark überproportional gesteigert worden sind. Das war im Haushalt 1967, nämlich nach dem Beginn der Großen Koalition, und so ganz unschuldig daran sind wir nach unserem Eintritt in die Koalition sicher nicht gewesen. Jetzt sind wir die Mehrheitsfraktion, und jetzt ist wieder eine ganz entscheidende, auch gegenüber der Proportion von damals sehr beachtliche Steigerung vorgenommen worden.
Nun weg von den Zahlen. Was kann man aus diesem Haushalt 1970 noch erkennen? Man kann erkennen, daß die Regierung und die sie tragenden Fraktionen bereit sind, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen durch die Verfassungsänderungen des Vorjahres inzwischen zugewachsen sind. Das haben sie nicht nur dadurch getan, daß im Wissenschaftsministerium eine Unterabteilung oder Referate für Bildungsplanung eingerichtet worden sind. Man mag erst einmal abwarten wollen, was denen wohl einfallen wird. Wir können aber aus dem Haushaltsentwurf heute schon ganz deutlich erkennen, daß 'bis in einzelne Beispiele klare Vorstellungen darüber bestehen, was man in diesem Feld tun will. Man kann mal nicht genug tun; denn die Zuständigkeit des Bundes ist da, meine ich, nur ziemlich global beschrieben. Man muß sehen, wie man sie mit konkreten Maßnahmen füllen kann. Die Regierung schlägt zum Beispiel vor, ein Zentralinstitut für Curriculum-Forschung einzurichten, das sich um Lerninhalte und Lernziele kümmern soll, um die es vor allem bei Lehrplanreformen gehen wird, oder ein Testforschungsinstitut. Insofern besteht in Deutschland wohl ein Forschungsrückstand, als wir über Leistungs- und Lerntests nicht in abgesichertem Maße verfügen. Aus all diesen wenigen Dingen ist zu sehen, daß hier schon außerordentlich konkrete Vorschläge gemacht werden.
Vorschläge wie diese machen auch klar, daß das, was wir für Bildung und Wissenschaft im Bundesetat tun, in sehr engem Zusammenhang mit anderen Etats und mit anderen Vorgängen auf diesem Gebiet steht. Wir müssen durch das, was wir nach der Verfassung schon tun dürfen, eine Verkoppelung der verschiedenen Ebenen des Bildungssystems, der primären, sekundären und tertiären, schaffen helfen. Damit haben wir jetzt zu tun. Wir können uns als Bund darum nicht mehr herumdrücken, sondern wir müssen sehen, daß wir das zusammenfassend tun können, auch mit Mitteln, die im Haushalt stehen,



Raffert
Initialzündungen geben, auslösen, Länder anregen, Verbände anregen usw.
Wir haben aber über das Gebiet der Bildungsplanung nicht nur auf lange Sicht zu entscheiden — was ich eben nannte, sind meist Entwicklungen, die man nur auf viele Jahre anlegen kann —; Wir haben auch das ganz aktuelle Problem — das zum Teil eine Folge bisher mangelnder und unzulänglicher Bildungsplanung ist — der Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten. Ich hätte fast gesagt: auf Deutsch genannt „Numerus clausus" ; ich möchte sagen: deutlich und für jedermann erkennbar mit dem Begriff des Numerus clausus umschrieben. Hier ist es notwendig, ganz entschlossen schnelle Maßnahmen zu ergreifen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603130200
Herr Kollege Raffert, ich nehme an, Sie genehmigen eine Zwischenfrage des Kollegen Dichgans.

Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0603130300
Bitte schön!

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0603130400
Herr Kollege Raffert, verstehe ich Sie richtig dahin, .daß Sie der Meinung sind, der Bundestag könne sich nunmehr nicht auf die Bewilligung von Geldern beschränken, sondern müsse sich sehr intensiv auch mit der Frage beschäftigen, ob die bewilligten Gelder auch rationell in Forschung, Lehre und Unterricht verwandelt werden?

Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0603130500
Herr Kollege Dichgans, jemand, der in Haushaltsdebatten spricht, kann Ihnen hier nur nachdrücklich zustimmen. Wir sind in diesem Feld ja seit langem einig. Ich wollte, es gäbe mehrere solcher Punkte, über die wir uns verständigen könnten.
Dieses aktuelle Problem des Numerus clausus ist es, das wir schnell angehen müssen, so sagte ich. Hier fühlt sich die Bundestagsfraktion der SPD im Wort. Hier ist auf Grund der Äußerungen, die in den Debatten zu diesem Thema fielen, auch die Regierung im Wort.
Wir wissen inzwischen, daß von dem, was für den Ausbau der Hochschulen angesetzt war, durch Erstattungsbescheide bereits 44 Millionen DM in Schnellbaumaßnahmen gegangen sind, die ein Programm auslösen, das insgesamt fast 250 Millionen DM umfassen und, wie ich denke, eine beträchtliche zusätzliche Erhöhung der Zahl der Studienplätze ermöglichen wird. Wir wissen aber natürlich, daß man das nicht nur mit Baumaßnahmen vielfältiger Art regeln kann.
Es gibt einen Posten in diesem Bundeshaushalt, der mir als immer noch weit unterfinanziert — obwohl auch dort schon fast verdoppelt worden ist — aufgefallen ist: das ist die Position der Promotionsstipendien. Sie sieht sehr, sehr klein aus. Wir haben sie allerdings erst im vorigen Jahr — fast nur mit Hilfe eines haushaltstechnischen Tricks — in den Bundeshaushalt hineingebracht. Hier wird unsere
Fraktion Wert darauf legen, daß mehr, wesentlich mehr getan wird. Ich denke, das wird durch Umschichtungen aus anderen Positionen auch möglich sein.
Aber wenn ich so fortfahren würde, käme ich vermutlich doch mehr in eine Form der Behandlung dieses Haushalts in zweiter Lesung.
Abschließend möchte ich folgendes sagen: Bei Ausdehnung der Aufgaben des Bundes in Richtung auf die Bildungsplanung und der Übernahme größerer, auch finanzieller Verantwortung für den Hochschulbau, müssen wir darauf achten, daß war der Gefahr entgehen, das von uns weiter intensiv zu beackernde Feld der wissenschaftlichen Forschung zu vernachlässigen; das ist aber ,auch aus diesem Haushaltsentwurf aus nicht zu 'befürchten.
Darauf werden wir alle gemeinsam zu achten haben, ganz abgesehen davon, daß natürlich auch zwischen Hochschulausbau und Weiterentwicklung der Forschung enge Zusammenhänge und Rückwirkungen bestehen. Ich darf aber sagen: hier gibt es keine Befürchtungen von unserer Seite, selbst wenn man sich etwas genauer mit den vorgeschlagenen Prozentsätzen beschäftigt hat.
Ein letztes Wort. Das alles wird besser und klarer für uns sein, wenn wir den Bildungsgesamtplan haben, wenn wir daraus das auch vom Bundesfinanzminister angekündigte Bildungsbudget entwikkeln können. Ich bin sicher, daß in diesem Bildungsbudget sowohl prozentual als auch in 'absoluten Zahlen gemessen der Bundesanteil höher liegen wird, als wir es bisher aus der mittelfristigen Finanzplanung erkennen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603130600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0603130700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte offen gestanden erwartet, daß die Kollegen von der CDU/CSU sich heute speziell mit den Fragen des Etats des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft befassen wollten. Das ist offensichtlich nicht der Fall; mehrere Kollegen der CDU/CSU haben seit Dezember den Anlauf für diese Frage geübt und nun offensichtlich den Absprung versäumt oder nicht gefunden.
Das ist um so verwunderlicher, als dieser Etat der eigentlich herausragende Posten in der Vorlage der Bundesregierung ist. Ich kann daraus nur schließen, daß sich in der CDU/CSU inzwischen das Feldgeschrei gelegt hat, man könne beispielsweise durch möglichst schnelle Erhöhung von Baumitteln Hochschulprobleme lösen — ein Irrtum, der hier schon in einer der letzten Debatten berichtigt werden konnte.
Es handelt sich um den Irrtum, daß es allein auf das Quantum der Investitionen ankomme statt auf die Veränderung des Gesamtbildungswesens überhaupt. Insofern ist es korrekt und richtig, daß in der bisherigen Finanzplanung — —




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603130800
Herr Abgeordneter Moersch, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Walz zu?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0603130900
Bitte!

Dr. Hanna Walz (CDU):
Rede ID: ID0603131000
Herr Moersch, haben Sie nicht die Überzeugung, daß es auch in den Thesen des Herrn Wissenschaftsministers nur auf
die Quantität ankommt?


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0603131100
Ich habe nicht diese Meinung, Frau Dr. Walz. Wenn Sie damit sagen wollen, daß Sie inhaltlich mit diesen Thesen einverstanden sind, daß Sie also die Gesamthochschule bejahen, wäre das eine neue Erkenntnis für uns, für die ich Ihnen sehr dankbar wäre.
Der Wissenschaftsminister hat hier zweifellos eine Vorlage erarbeitet, die die Bundesmöglichkeiten auch inhaltlich ausschöpft. Das wird sich, denke ich, im Verlauf der genaueren Lektüre noch herausstellen. Aber das ist heute nicht der Debattenpunkt, sondern der Debattenpunkt ist doch, daß Sie von der CDU/CSU in den letzten Wochen unablässig außerhalb dieses Hauses gejammert haben, daß die Bildungsfinanzierung in dieser Bundesregierung zu kurz komme, und sich nun dazu nicht äußern. Und das wundert mich. Das stelle ich hier nur fest.

(Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)

— Was heißt hier abwarten? Ich hatte erwartet, daß jetzt ein Redner von Ihnen zu diesem Thema spricht. Das war ja heute morgen offensichtlich von Ihnen angekündigt worden.

(Abg. Dr. Martin: Wir wollen Sie erst hören!)

— Das ehrt mich, Herr Dr. Martin. — Deswegen darf ich mich hier auf wenige Bemerkungen beschränken und im übrigen das noch einmal unterstreichen, was Herr Kollege Raffert eben gesagt hat. Nach der Vorlage eines Gesamtbildungsplans wird auch finanziell eine Planung weit über das Jahr 1974 hinaus notwendig sein, damit wir eben im Verlauf dieses Jahrzehnts die Zahl von Ausbildungsstätten und Forschungseinrichtungen erreichen, die für einen Staat und für eine Gesellschaft notwendig ist, die Bildung an die erste Stelle der Staatsaufgaben stellen, was ja bisher in der Praxis keineswegs der Fall war.

Ich möchte aber denen, die solche Zahlen gelegentlich erschrecken — etwa ,die Größenordnung von 50 Milliarden Bildungsausgaben im Jahre 1980, gemessen in heutigen Preisen —, doch auch einmal sagen, daß diese Berechnung vor allem dann besonders erschreckend ist, wenn man davon ausgeht, daß die bisherigen Bildungseinrichtungen so bestehenbleiben. Dann nämlich wäre eine Berufsfindung für Akademiker erst weit jenseits des Alters möglich, das in anderen Ländern dafür üblich ist. Durch eine Verkürzung der ersten Ausbildungsphase, die alle drei Bildungsbereiche umfaßt, wird man auf der
anderen Seite insgesamt volkswirtschaftlich einen größeren Effekt erzielen, so daß in der Kostenrechnung auch die Verkürzung der Gesamtausbildungszeit gesamtwirtschaftlich eine positive Bilanz ergeben wird.
Ich darf ein weiteres Beispiel, das mir bei der Betrachtung dieses Haushalts wichtig erscheint, hier anführen: die Frage, ob sich der Bund nicht in Zukunft — und das muß man, .glaube ich, bejahen —nicht nur im bisherigen Umfang der Großforschung zu widmen hat, sondern ganz besonders auch der Unterstützung der kleineren und mittleren Industriebetriebe bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, weil hier Betriebe entstanden sind und auch weiter entstehen werden, die in der Forschung Pioniercharakter haben, in denen man mit hoher Effizienz Forschungsinvestitionen vornehmen kann, wenn ein Förderungssystem entwickelt worden ist, das meiner Ansicht nach gerechter sein muß als das, das es in der Vergangenheit gab und das im Grunde genommen gar nicht sehr logisch aufgebaut gewesen ist. Das scheint mir eine wichtige Frage zu sein. Mein Kollege Kienbaum hat ja vorgestern auf diesen Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Produktivitätsfortschritt und Forschungsinvestitionen bereits hingewiesen. Ich kann mir weitere Einzelheiten dazu deshalb ersparen.
In Zukunft werden wir uns auch sehr genau zu überlegen haben, in welchem Umfang man etwa Bundesvermögen weiter in Stiftungen umwandeln kann, die dann ihrerseits der Forschungs- und Bildungsfinanzierung dienen, und zwar in Einrichtungen, die unabhängig von starren öffentlich-rechtlichen Vorschriften handeln können, die frei in der Vergabe der Mittel sind und die leichter Schwerpunkte bilden können, als das ein Verwaltungsapparat unter den gegebenen haushaltsrechtlichen Vorschriften tun kann.
Mir scheint, daß auch auf diesem Gebiet noch eine Gesamtüberprüfung einsetzen wird und notwendig ist, und ich glaube, daß wir dann, wenn dieses Haus diesen Prioritäten am Ende zustimmt, durchaus in der Lage sein werden, eine Bildungsreform auf breiter Basis in Gang zu bringen. Aber wenn ich sage „wenn dieses Haus zustimmt", so bringt das auch Zweifel zum Ausdruck, weil nämlich die CDU/CSU auf diesem Gebiet mit sehr vielen Zungen spricht, auch jetzt in den letzten Monaten mit sehr verschiedenen Zungen gesprochen hat, weil je nach Gruppeninteresse in der CDU/CSU Prioritäten in der Öffentlichkeit völlig anders dargestellt worden sind. Wenn ich etwa die Anträge in diesem Hause betrachte, etwa den Ruf nach sofortiger Erhöhung des Kindergeldes, der sich eben finanziell etwa mit der Forderung nach möglichst rascher Einführung der Vorschule nicht verträgt, dann meine ich, die CDU/CSU-Fraktion muß sich entscheiden, was sie eigentlich will. Ich glaube, Ihr Schweigen gerade zu diesem Thema im Augenblick dieser Debatte ist ein beredtes Schweigen, das uns zeigt, daß der Denkprozeß oder besser die Denkpause in der CDU/CSU über die Frage der Prioritäten noch nicht zu Ende ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603131200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin.

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0603131300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich erwartet, daß wir nächste Woche eine Debatte über Wissenschaft und Bildung haben werden, wie es dem Gegenstand angemessen ist. Herr Raffert hat nun die Sache vom Zaun gebrochen. Ich hatte gerade noch Gelegenheit, durch den Schnee hierher zu kommen und mir anzuhören, was Herr Moersch sagte. Obwohl er genau wußte, daß ich sprechen werde, hat er seine Polemik — —

(Zuruf des Abg. Moersch.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603131400
Herr Kollege Dr. Martin, Ihre Wortmeldung ist erst abgegeben worden, als der Herr Kollege Moersch schon mit seinen Ausführungen begonnen hatte.

(Abg. Moersch: Eine so lange Leitung!)


Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0603131500
Ich hatte es Ihnen zugerufen. Es tut ja nichts zur Sache, Herr Moersch, ich komme auf Sie zurück; Sie können sich darauf verlassen, wie gewohnt.
Ich habe mir jetzt die Regierungserklärung von Herrn Brandt und die Haushaltsrede von Herrn Finanzminister Möller noch einmal vorgenommen. Beide Reden sprechen von der Priorität von Bildung und Wissenschaft. Ich muß hier einfach feststellen, daß von einer solchen Priorität in diesem Haushalt überhaupt keine Rede sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist auch kein Fortschritt erkennbar gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung, wie sie die alte Regierung hatte. Die hatte von 1968 bis 1972 Steigerungen von jeweils 20 °% vorgesehen. Jetzt sind es nur 19 %. Und dann hat man hier noch den Mut, von Priorität der Wissenschaft und Bildung zu sprechen und sich nochmals als Reformpartei vorzustellen!
Der Finanzminister erhebt im übrigen, wenn man subtil liest, auch gar nicht den Anspruch, daß er seine großen Versprechungen wird halten können oder daß er dem Regierungschef gerecht wird. Er sagt nämlich in schöner Bescheidenheit: „Ich wollte nur ein Signal setzen." Mehr als ein Signal ist auch nicht gesetzt worden. Die Ressorts sind gleichmäßig gekürzt worden. Die Wissenschaft macht dabei nicht die geringste Ausnahme. Es sind 300 Millionen DM gefallen, davon 70 Millionen, d. h. 25 %, die auf den Hochschulausbau fallen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Dazu vergleiche man die Rede von Herrn Raffert, der sagt, es sei eine zentrale Aufgabe, den Numerus clauses zu beseitigen.
Dann finden wir in dieser Rede wieder den bekannten Eskarpismus, der vom Jahre 1980 und 1990 redet: Bildungsplanung sei eine Sache über Jahrzehnte. Wir sind aber im Jahre 1970, und es stehen Zehn- und Hunderttausende von Studenten vor den Toren der Universitäten,

(Beifall bei der CDU/CSU)

ohne daß die Regierung darauf auch nur annähernd eine Antwort wüßte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603131600
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raffert?

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0603131700
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage, weil sie — —

(Abg. Moersch: Darauf haben Sie schon seit zwanzig Jahren keine Antwort!)

— Sie waren doch die zwanzig Jahre dauernd dabei, Herr Moersch; haben Sie da geschlafen, oder was haben Sie getan?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn hier das Schnellbauprogramm zitiert wird als Maßnahme gegen den Numerus clausus, so ist das eine schlichte Kopie des Vorgehens des Landes Baden-Württemberg, eines CDU-Landes. Man kann das machen. Ein Plagiat kann sogar ehrenhaft sein, wenn man den Autor nennt. Außerdem stammen diese 44 Millionen ja aus der Summe, die ohnehin vorgesehen ist, und sind keineswegs zusätzlich.
Wir werden nächste Woche noch einmal in diese Debatte einsteigen und Ihnen auch konkrete Vorschläge machen. Ich möchte als erstes sagen: die 70 Millionen müssen aus der Sperre wieder heraus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es muß erst noch der kommen, der mir zeigt, daß das eine angemessene konjunkturdämpfende Maßnahme sei, die wir in diesem Jahre brauchen. Und über die 300 Millionen DM reden wir auch noch einmal.
Wir müssen auch einmal überprüfen, was es heißt, daß hier 50 Millionen DM angesetzt sind für Maßnahmen zur Verbesserung des Schulwesens in den Ländern. Das ist ja doch wohl die Spielwiese für Frau Hamm-Brücher. Das ist die Gegend, die verfassungsmäßig überhaupt nicht abgesichert ist. Ich habe nichts dagegen, daß der Bund Bildungsplanung treibt. Wir wollen das. Aber wir haben jetzt die Verpflichtung, uns ganz und gar auf einen Notstand, nämlich auf den des Numerus clausus, zu beschränken und uns auf ihn zu konzentrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb werden wir die 50 Millionen DM noch einmal ganz genau — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603131800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0603131900
Augenblick! Ich möchte zunächst die Argumente sammeln.
Ich sage das auch noch aus einem anderen Grunde. Ich vertrete hier kein Unikum der CDU, sondern ich weiß genau, daß der Regierungschef von Hessen, Herr Osswald, beim Herrn Bundeskanzler gewesen ist und ihn gebeten hat, sich nicht bildungsplanerisch und schulpolitisch zu engagieren, sondern statt dessen die eigentlich subsidiären Aufgaben des Bundes



Dr. Martin
zu erledigen. Ich hoffe, daß sich hier noch einiges durchsetzen wird.
Herr Moersch, jetzt sind Sie dran.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0603132000
Herr Kollege Dr. Martin, darf ich aus Ihren Anmerkungen über die Methode des Geldausgebens den Schluß ziehen, daß Sie, im Unterschied zum Kollegen Dichgans, keine besonders solide Vorstellung von der Methode des Geldausgebens haben?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0603132100
Herr Moersch, das war keine politische Aussage, sondern eine etwas unter dem Niveau, das Sie sonst haben, liegende Wertung meiner Person. Deshalb brauche ich darauf überhaupt nicht zu antworten. Herr Moersch, wenn Sie mir sagen wollen, es komme nicht nur auf das Quantitative an, brauchen Sie das, was ich gesagt habe, doch nur nachzulesen. Selbstverständlich kommt es auf das Qualitative an. Ich will Ihnen sagen, worauf es in diesem Jahr im wesentlichen ankommt.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß sich die Universität in einem Zustand befindet, der es erforderlich macht, daß sich der Deutsche Bundestag und die Länder einmal überlegen, wie sie die institutionelle Sicherung der Freiheit von Lehre und Forschung an unseren Universitäten sicherstellen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist eine Frage des Rahmengesetzes, der Studienordnung und dergleichen Dinge mehr.

(Abg. Dr, Tamblé: Was ist denn der Grund für diesen Zustand?)

— Der Grund für diesen Zustand, Herr Kollege, ist Ihnen sehr genau bekannt. Er liegt u. a. in der Einführung einer schematischen Beteiligung der Gruppen an den Universitäten, insbesondere in sozialdemokratisch regierten Ländern, mit dem Erfolg, daß die Professoren aus diesen Ländern abwandern. Sie wissen, wohin: meistens nach Rheinland-Pfalz.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich will mich auf diese wenigen Bemerkungen heute beschränken, obwohl mir das sehr wehtut. Ich stelle folgendes fest.

(Abg. Moersch: Das ist die Vogelfluglinie!)

Erstens. Dieser Haushalt ist, soweit er Wissenschaft und Bildung betrifft, bestenfalls eine Fortschreibung dessen, was die vorige Koalitionsregierung bereits getan hat.
Zweitens. Dieser Haushalt ist nicht ein Haushalt der bildungspolitischen Prioritäten, kein Haushalt der Reformen des Bildungswesens, sondern er erweckt lediglich den Anschein von Reformen, ohne sie durchführen zu können. Das Eingeständnis, daß man keinen Weg wisse, wenn man sagt, daß es einem nach 120 Tagen Regierung eingefallen sei,
daß einem noch viel mehr einfallen müsse, ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603132200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603132300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war von unserer Seite nicht vorgesehen, hier jetzt in die Debatte Bildungsprobleme einzuführen. Mein Kollege Dr. Martin hat soeben schon erklärt, daß wir uns wegen der Wichtigkeit dieser Dinge vorbehalten, nächste Woche noch zu diesen Frage zu sprechen. Ich möchte deshalb noch einmal in die generelle Debatte zurückblenden, die wir heute geführt haben. Ich glaube, es ist notwendig, daß einige Punkte erneut klargestellt werden. Herr Bundesfinanzminister, es wäre wahrscheinlich heute manches anders gelaufen, wenn Ihre Haushaltsrede gestern anders gewesen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vielleicht wäre auch jetzt noch der Zeitpunkt, um nach den Kontroversen des heutigen Vormittags für die weitere Arbeit auch im Ausschuß und darüber hinaus ein besseres Klima zu schaffen. Ich würde sagen, das wäre möglich, wenn Sie sich z. B. an das erinnerten, was Sie — allerdings vor längerer Zeit schon — in der „Welt" am Mittwoch, den 12. November 1969, geschrieben haben, wo Sie einen großen Artikel mit den Sätzen begannen — ich darf zitieren —:
Die Bundesfinanzen sind gesund. Ihre Solidität wird allerdings angezweifelt. Es gibt gewisse Gefahrenmomente; sie werden aber zum Teil übertrieben dargestellt.
Wir möchten gern, daß diese Dinge geklärt werden und daß hier eine Legendenbildung in den Anfangsansätzen sofort beseitigt wird,

(Beifall bei der CDU/CSU)

nämlich eine Legende, die etwa dahin geht, es sei ein katastrophales oder ein schweres finanzpolitisches Erbe anzutreten gewesen.
Man wird sich, glaube ich, auch darauf einigen können, daß der frühere Finanzminister nicht in der Lage war — auch gar nicht berechtigt war —, eine Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung vorzunehmen, weil das ja eine legitime Aufgabe der neuen Regierung gewesen ist.
Herr Kollege Möller, ich habe heute vormittag einen Zwischenruf gemacht, daß Sie in der Zeit vor Ihrem Amtsantritt ja stellvertretender Fraktionsvorsitzender waren. Es ist hier wirklich die Frage, ob die Sozialdemokraten es unternehmen wollen, sich aus der Verantwortung, die sie in der Großen Koalition getragen haben, nachträglich hinwegzustehlen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Es sieht immer so aus, daß man nur dort, wo es gilt, Erfolge aufzuzeigen, betont, daß ein sehr wesentlicher Beitrag von der SPD geleistet wurde.



Dr. Althammer
Ich halte es auch nicht für einen guten Stil, Herr Minister, daß Sie in Ihrer Etatrede gestern einzelne Minister des früheren Kabinetts namentlich genannt und die Frage gestellt haben, wo denn ihre Konzeptionen, ihre Anträge geblieben seien, z. B. zur Familienpolitik, z. B. zur Beamtenbesoldung und zu anderen Dingen. Herr Bundesfinanzminister, sind Sie sich nicht darüber im klaren, daß mancher Fachminister Ihres Kabinetts sich bei solchen Ausführungen die Frage stellen muß, ob er nicht später auch einmal diesen Vorwurf bekommen wird, weil er Ihre Kürzungs- oder Sperrungsvorschläge akzeptiert hat, nicht in der Absicht, seine eigene Konzeption damit zu verleugnen, sondern von der Notwendigkeit ausgehend, zu sparen und Stabilität zu schaffen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf noch eine Bemerkung machen, um den Vorwurf, daß hier seit dem Antritt der neuen Regierung unsolide gewirtschaftet worden ist, mit einem Zitat zu unterstreichen. Ich kann mich auf das große und ausführliche Interview beziehen, das Sie dem „Spiegel" vor einiger Zeit gegeben haben. Es ist ganz interessant, daß in dieser Nummer des „Spiegel" vom 19. Januar in nur drei Seiten Abstand zwei völlig verschiedene Zitate von Ihnen stehen; ich darf sie vielleicht — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — zitieren. Sie finden auf Seite 33:
Möller damals. arglos: „Die Bundesregierung hat die konjunkturellen Auswirkungen dieser Steuersenkung
— es geht um die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages —
sorgfältig geprüft. Dabei hat sich ergeben, daß die Steuersenkung wirtschaftspolitisch unbedenklich ist."
So ein Zitat aus Seite 33. Auf Seite 36:
Möller:... Wir haben bei diesem Teil der Regierungserklärung keine konjunkturpolitischen Erwägungen im Auge gehabt.
Es erhebt sich hier doch die Frage, Herr Minister Möller, warum Sie, als einer derjenigen, die seit je für eine mittelfristige Finanzplanung gekämpft haben, sich nicht vor solchen Ausgabeversprechen, vor solchen Steuersenkungsversprechungen, terminiert auf den 1. Januar 1970, die Frage gestellt haben, ob ,das in die konjunkturpolitische und in die finanzpolitische Landschaft paßt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie hätten damit, Herr Bundesfinanzminister, Ihrem Bundeskanzler die Blamage ersparen können, daß ausgerechnet die erste konkrete Aussage, ,die in der Regierungserklärung gestanden war, nämlich, zum 1. Januar 1970 den Arbeitnehmerfreibetrag zu verdoppeln und eine andere, mittelständische Steuermaßnahme zu halbieren, zurückgenommen werden mußte.
Es kommt noch etwas weiteres hinzu. Wir werden ja auch die Frage zu stellen haben: Wie werden Sie es im Sommer dieses Jahres halten, wie wird dann
die konjunkturpolitische Landschaft aussehen, und glauben Sie, .daß man dann solche Steuersenkungspläne verwirklichen kann? Die neuesten Indikatoren, ,die wir haben, deuten nicht darauf hin — ich glaube, das Bundeswirtschaftsministerium wird hier nicht widersprechen wollen —, daß am 1. Juli 1970 ein katastrophaler Konjunkturabschwung eintreten wird. Sogar interessierte Wirtschaftskreise sagen heute schon, es könnte sein, daß zum Jahresende ein Abschwung erfolgt. Dann ist natürlich die Frage zu stellen: Ist es wirklich vertretbar, .daß, wenn der Bundeshaushalt 1970 zu diesem Zeitpunkt in Kraft tritt, .daß damit die ganze Ausgabenflut auf die Öffentlichkeit und .auf die Finanzen zukommt, daß auf der anderen Seite gleichzeitig Steuersenkungen in Kraft treten und daß darüber hinaus Bindungsermächtigungen mit riesigen Milliardensummen ebenfalls konjunkturanheizend wirken?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Auch hier wird in einer sehr schwierigen Frage zu entscheiden sein.
Ich möchte noch zu einem anderen Punkt Stellung nehmen. Ich meine die Frage, wie sich die Opposition in dieser Situation verhält. Ein beliebter Vorwurf ist, uns zu sagen: Wir kritisieren die Regierung, weil sie zu wenig spare, zu wenig Stabilitätspolitik betreibe; ihr stellt aber selber Anträge in Milliardenhöhe! — Die Sache ist von uns völlig klargestellt worden. Unser Fraktionsvorsitzender hat erklärt: Wir sind bereit, mit der endgültigen Entscheidung über unsere Vorschläge zu warten, bis die finanzpolitische Gesamtbilanz gezogen ist. Das kann aber nicht heißen, daß wir in diesem halben Jahr überhaupt keinen Antrag und keinen Gesetzentwurf einbringen, denn wenn wir das tun würden, würden Sie wiederum sagen: die CDU/CSU hat offenbar überhaupt keine Konzeption, sie hat keine Vorschläge zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie weiß zur Sozialpolitik, zur Mittelstandspolitik, zur Landwirtschaftspolitik und zu was auch immer nichts zu sagen. — Wir haben unsere Alternativvorstellungen entwickelt, und wir behalten uns vor —so wie das jetzt in denn neuen Gesetz vorgesehen ist —, unter Umständen von der Bundesregierung zu vertagen, daß sie auf Grund der Schwerpunktbildung mittelfristige Alternativrechnungen erstellt und uns diese vorlegt. Die Diskussion darüber wird noch geführt werden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schließlich möchte ich noch etwas zu der Frage bzw. dem Vorwurf der sogenannten Informationssperre, der heute vormittag hier eine Rolle gespielt hat, sagen. Ich bin vom Herrn Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang als Berichterstatter zum neuen Bundeshaushaltsrecht auch zitiert worden. Wir haben uns im Haushaltsausschuß mit diesen Fragen ausfiihrlich beschäftigt. Im Hinblick auf die Zukunft möchte ich hier eines sagen, Herr Bundesfinanzminister. Das Ziel der gesetzlichen Neuregelung war, dem englischen Vorbild nahezukommen. Sie wissen, wie die Situation in England ist. Wenn dort vor der Etatrede des Ministers Einzelheiten über den



Dr. Althammer
Haushalt in die Öffentlichkeit dringen, ist das sogar ein Grund zum Rücktritt des Ministers. Sicherlich werden wir nicht mit einem Schritt so weit kommen können. Was wir aber nicht möchten, ist, daß wir nach wie vor — ich glaube, die Kollegen von der SPD und FDP teilen diese Sorge — aus den Zeitungen oder .aus Einzelinterviews entnehmen müssen, was die Regierung in diesem odr jenem Punkt vorhat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Oft ist es so, daß wir als Abgeordnete, wenn wir von den Verbänden gefragt werden: Wie ist es denn mit dieser Sache?, der Herr Staatssekretär X hat dazu folgendes erklärt, sagen müssen: Es tut uns Furchtbar leid, wir haben die Unterlagen noch nicht, wir können Ihnen dazu nichts sagen.

(Abg. Strohmayr: Voriges Jahr hat es der „Bayernkurier" vorher gehabt!)

Herr Minister, Sie müssen hier auch den zweiten Schritt tun und dafür sorgen, daß eine solche Informationssperre auch auf die Verlautbarungen der Ministerien, auch Ihres Hauses, ausgedehnt wird. Solange das nicht der Fall ist, können Sie nicht erwarten, ,daß sich dieses Parlament damit abfindet, in aller Öffentlichkeit mit Zahlen und Absichten konfrontiert zu werden, selber aber nichts darüber zu wissen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein letzter Hinweis. Es wäre noch sehr viel zur Problematik dieser Sperren zu sagen. Es werden hier gesetzliche Maßnahmen gesperrt; es werden hier Vorhaben gesperrt, die dieses Jahr finanziell bedient werden müssen. Aber uns geht es jetzt um die folgende Frage: Soll das Parlament in der Frage der weiteren Ausgabegestaltung und damit der Konjunkturbeeinflussung völlig ausgeschaltet sein? Sollen wir von dem Tag der Verabschiedung des Haushaltes an auf die weitere Gestaltung dieser wesentlichen Punkte keinen Einfluß mehr haben? Ich wäre sehr dankbar, wenn SPD und FDP mit uns der Meinung wären, daß das Parlament an diesen sehr wichtigen Dingen beteiligt wird, sei es in der Form qualifizierter Sperren oder, was noch logischer wäre, in der Form, daß diese Maßnahmen in einen Eventualhaushalt umgewandelt werden. Auch hier wird sich erweisen, ob das Wort „mehr Demokratie" ernst gemeint ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was an uns liegt, meine sehr verehrten Damen und Herren, so wird die CDU/CSU, die hier in der Bundesrepublik zwanzig Jahre lang für Stabilität gesorgt hat,

(Zuruf von der SPD: 1966!)

alles dazu tun, daß weiterhin die Grundsätze der
Stabilität und Solidität auch im Haushalt gelten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603132400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603132500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, auf
Grund der Ausführungen des Kollegen Althammer einige Bemerkungen für meine Fraktion zu machen. Herr Althammer, Sie haben mit dem Satz geschlossen, daß .die CDU zwanzig Jahre für Stabilität gesorgt habe und daß das nun anders werde. Sie haben in einem Artikel im „Augsburg aktuell" geschrieben:
Der deutsche Staatsbürger fragt sich besorgt, ob die goldenen sechziger Jahre,
— was wir so alles gehabt haben! —
in denen die CDU/CSU regiert hat, durch eine Inflationsentwicklung abgelöst werden, die in die sozialistische englische Krankheit führen könnte.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Althammer, erstens glauben Sie selber nicht, was Sie da schreiben. Sie winsen ganz genau, daß das eine Polemik ist, die weit über das Maß hinausgeht, das erlaubt ist.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Mehr Demokratie!)

Das ist der Punkt, von dem ich heute morgen gesprochen habe. Sie haben tatsächlich noch nicht verstanden, wie Opposition geführt wird.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Unterlassen Sie doch die ständigen Belehrungen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Herr Lehrer!)

Ihre Opposition besteht bisher darin, daß Sie an Stelle von Politik in 'Panik machen. Ich glaube nicht, daß das jemandem hilft.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Vielen Dank, Herr Lehrer!)

Sie haben weiter ausgeführt: Wenn die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers anders gewesen wäre, wäre das, was ,hier heute morgen abgelaufen ist, nicht passiert. Erstens stammen dieser Artikel und andere Bemerkungen Ihrer Fraktionskollegen aus einer Zeit weit vor der Haushaltsrede. Zweitens erkläre ich hier nochmals verbindlich für meine Fraktion: diese Haushaltsrede war eine der ausgezeichnetsten Haushaltsreden, die wir je in diesem Hause gehört haben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Baier: Geschmacksache! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Eigenlob stinkt!)

Jetzt kommen wir zur „Legendenbildung". Es nutzt überhaupt nichts, daß Sie uns Legendenbildung zuschreiben wollen. In Wirklichkeit sind Sie diejenigen, die sich sozusagen an Legenden hochranken. Was ist denn der Tatbestand hinsichtlich der Finanzlage, als die Sozialdemokraten das Amt des Finanzministers übernahmen? Es gibt keinen Zweifel — das werden auch Sie nicht bestreiten wollen —, daß jede neue Regierung, welche auch immer, das übernehmen muß, was bisher vorhanden war. Wollen Sie bestreiten, daß durch Beschlüsse und durch Resolutionen dieses Hauses eine Reihe von Verpflichtungen auf dem Tisch des Finanzmini-



Hermsdorf
sters lagen, die erfüllt werden mußten und die eine Hypothek, eine Vorbelastung darstellten? Wir haben daran alle mitgewirkt.

(Abg. Althammer: Sie doch auch!)

Jetzt sagen Sie, es werde Ihr Stil kritisiert, daß Sie Anträge auf Ausgaben einbringen, aber keine Streichungsanträge. Als wir in der Opposition waren, haben wir es anders gemacht.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Niemand kann an dem Tatbestand rütteln, daß wir in dem Augenblick, wo wir sahen, daß wir in einer Hochkonjunktur waren, durch Alex Möller mitten im Wahlkampf Anträge über 2 Milliarden DM in diesem Hause zurückgezogen haben. Wollen Sie das bestreiten?

(Beifall bei der SPD.)

Und im Jahre 1965, nach der Bildung der neuen Regierung, habe ich als Sprecher der Opposition die Schwerpunkte der Opposition festgelegt und Anträge in Höhe von 1 Milliarde DM gestellt. Gleichzeitig haben wir für diese eine Milliarde Streichungen angeboten. Daran können Sie sehen, daß wir also nicht so wie Sie hier laufend Forderungen gestellt haben, sondern auch Deckungsvorschläge und Kürzungsvorschläge gemacht haben. So wird Opposition gemacht und nicht so, wie Sie es bisher praktizieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603132600
Herr Kollege, würden Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dichgans zulassen?

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0603132700
Herr Kollege Hermsdorf, könnten Sie dem Hohen Hause einmal erläutern, warum Sie immer in so bedenklichen Worten von einer „schweren Last", einer „Hypothek" sprechen, wenn es möglich ist, diese Last im Jahre 1970 ohne einen Pfennig Neuverschuldung abzulösen?

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603132800
Verzeihung, Herr Kollege Dichgans. Ich habe hier von einer Hypothek gesprochen, die dem Finanzminister auf den Tisch des Hauses gelegt wurde, die nicht intern in der mittelfristigen Finanzplanung weitergeführt worden ist und die nun erst einmal verarbeitet werden muß. An der Höhe dieser Vorbelastung von 5 Milliarden DM wollen doch bitte auch Sie keinen Anstoß nehmen. Das war eine Realität. Das war sie. Das war dann also eine Einengung des Spielraums, der Handlungsfreiheit dieser neuen Regierung und dieses Bundesfinanzministers. Das muß ich allerdings dazu sagen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603132900
Herr Kollege Hermsdorf, der Herr Abgeordnete Strauß wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603133000
'Bitte schön!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603133100
Herr Kollege Hermsdorf, wären Sie so freundlich, endlich zur Kenntnis zu
nehmen, daß es eine abgeschlossene, von der letzten Bundesregierung einstimmig gebilligte Finanzplanung gab, die diese Mehrausgaben schon deshalb nicht enthalten konnte, weil sie nach der Beschlußfassung entstanden sind, und zweitens anzuerkennen, daß auf Grund eines Beschlusses des Finanzkabinetts der gleichen Regierung der Finanzminister angewiesen wurde, Mehrbelastungen zu registrieren, aber die Finanzplanung nicht fortzuschreiben, damit der neuen Regierung nicht durch Setzung von Prioritäten irgendwie vorgegriffen wird,

(Zuruf des Abg. Moersch)

und drittens anzuerkennen, daß sämtliche sowohl rechtlich verbindliche wie durch politische Zusagen in der Zwischenzeit eingetretenen Mehrbelastungen ohne jede Ausnahme, zum Teil nicht beziffert, weil noch nicht errechenbar, registriert worden sind?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603133200
Herr Strauß, obwohl ich diesen Kabinettsbeschluß nicht kenne,

(Abg. Strauß: Finanzkabinettsbeschluß!)

muß ich ihn als Tatbestand hinnehmen, nachdem Sie das jetzt gesagt haben. Ich muß aber auch hinzufügen, daß dieser Kabinettsbeschluß Sie nicht daran hat hindern können, intern auszurechnen und vorzubereiten, was nun an Hypothek durch diese Vorbelastung vorlag.

(Abg. Leicht: Das ist geschehen!) Da kann ich nur sagen,


(Abg. Strauß: Ist doch geschehen! Der Kollege Leicht kann das Aktenzeichen angeben!)

hier steht Aussage gegen Aussage. Jedenfalls hat
der Bundesfinanzminister mir bis zur Stunde erklärt,

(Zurufe von der CDU/CSU)

daß eine solche interne Fortschreibung nicht erfolgt ist.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Lassen Sir mich weitermachen! Jetzt hat Herr Althammer gesagt, ob wir uns denn aus der Verantwortung der Großen Koalition herausschwindeln wollten. Hierzu will ich Ihnen ganz klar und deutlich meine Meinung sagen. Sie wissen ganz genau, daß ich damals ein Befürworter der Großen Koalition war. Sie wissen auch, daß die Arbeit der Großen Koalition funktioniert hat, zumindest bis zum März 1969, Sie wissen aber auch, daß dann keine praktische Arbeit mehr möglich war, weil die Differenzen zwischen Ihnen und uns so waren, daß es dann eben nicht mehr funktionierte. Aus dieser Situation gibt es kein Herausschmuggeln, sondern da gibt es nur Feststellungen der Gegensätze, die in dieser Zeit vorhanden waren. Das muß auch gesagt werden.

(Abg. Dr. Althammer: Das hat doch nichts mit den Haushaltsbelastungen zu tun!)

— Entschuldigung, Sie haben doch gesagt, wir wollten uns herausschmuggeln. Ich sage, das ist nicht



Hermsdorf
wahr. Ich habe hier nur festgestellt, was vorhanden war.
Jetzt zur Frage :der Informationssperre. Ich habe das heute morgen schon erläutert, und ich bin eigentlich ein bißchen erstaunt, daß Sie nochmals auf die Informationssperre zurückkommen. Sie selbst, das habe ich auch heute morgen zitiert, haben im Ausschuß festgestellt, daß das Bemühen des Finanzministers auf Grund der neuen Rechtslage sowohl durch die Reform als auch durch das Haushaltsgesetz anerkannt werden muß, den Zeitplan einzuhalten, und daß ebenso anerkannt werden muß, daß er den Versuch macht, möglichst nahe, an. das englische System heranzukommen, ohne daß das bei uns in der Praxis möglich ist.

(Abg. Dr. Althammer: Da sind wir uns ja einig!)

Der zweite Punkt ist der — das habe ich auch dargestellt —, daß der Bundesfinanzminister und das Bundesfinanzministerium von sich aus nicht bereit waren, Informationen herauszugeben; meiner Ansicht nach mit Recht! Wenn es schon durchgeführt werden soll, dann dort. Sie haben uns das doch auch selber vorpraktiziert und wissen — ich lasse das Wort „praktiziert" lieber weg, weil Sie das sonst vielleicht als Vorwurf auffassen —, wie schwierig das ist: Selbst wenn der Minister dichthält, wissen Sie nicht, ob dann nicht dieser oder jener Beamte eben doch etwas hinausjubelt. Das aber können Sie nun nicht wieder dem Bundesfinanzminister anlasten.
Ich glaube, hier auch für meine Fraktion sagen zu können — und ich bin sicher, daß ich hier auf das offene Ohr des Finanzministers stoße —: Daß wir keinen Einfluß mehr auf die Gestaltung des Haushalts haben können — auch in der Frage der Sperren —, das halte ich für völlig ausgeschlossen, und davon ist ja auch niemand ausgegangen. Sie haben doch im Haushaltsgesetz die ganzen Sperren einzeln aufgeführt. Sie können die Sperren verstärken, Sie können sie vermindern; das liegt im Haushaltsgesetz. Wir können dieses Haushaltsgesetz ja ändern. Die Frage ist nur: Wie ist es richtig? Und da scheint mir eben der Vorschlag der Bundesregierung hinsichtlich der Sperren — das sage ich ausdrücklich — sehr abgewogen. Sie werden sehen, wenn Sie sich an die Arbeit machen und sich fragen: wo verstärken wir, wo schwächen wir ab, wie ist die jeweilige Konjunkturlage?, wie mühsam das Geschäft sein wird, da konjunkturell noch besser abzuwägen, als die Bundesregierung es getan hat.
Daß diese Sperre eine andere ist, als wir sie vorher gehabt haben, ist auch klar. Ich habe heute morgen noch einmal gesagt, warum ich diese Sperre für einen Fortschritt halte: Weil sie nämlich nicht austauschbar ist, weil nicht nachgeschoben werden kann, sondern bei jedem einzelnen Posten eine Änderung oder Aufhebung nur auf Antrag des Finanzministers und mit Zustimmung des Wirtschaftsministers durch Beschluß des Kabinetts möglich ist. Ich verstehe deshalb nicht, warum Sie hier so scharf reagieren. Wenn Sie so wollen, ist das eine Formfrage. Sie können nicht die Bemühungen des Finanzministers bestreiten, die Sache so zeitnahe
zu machen wie möglich. Wir werden diese Praxis fortsetzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603133300
Als nächster hat sich der Kollege Röhner zu Wort gemeldet.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0603133400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen des Bundeshaushalts 1970 nimmt ein Haushalt, über den ich jetzt einige Ausführungen machen möchte, eine besondere Stellung ,ein, nämlich der Agrarhaushalt, einmal wegen seiner abermaligen Steigerungsrate, zum anderen wegen der Besonderheit seines Verbungs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und damit zur europäischen Politik. Ich halte es deshalb für notwendig, daß im Rahmen der Debatte über die Einbringung des Haushalts 1970 gerade dieser Etat auch im Lichte der Erklärungen der Bundesregierung analysiert und an den Notwendigkeiten der Agrarpolitik und der Agrarförderung gemessen wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner gestrigen Haushaltsrede — ich möchte sagen: mit Recht — auf die Bedeutung der Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur hingewiesen. Er hat in diesem Zusammenhang besonders auf die Verschärfung der Anpassungsschwierigkeiten in der deutschen Landwirtschaft aufmerksam gemacht. Ich darf daran erinnern, daß es dem Willen aller Parteien des vorigen Bundestages entsprach, als der damalige Finanzminister der Großen Koalition, Franz Josef Strauß, für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung ebenso wie für den Haushalt 1970 in diesem Strukturbereich, mindestens so viel Mittel mehr in Ansatz zu bringen zusagte, als zur Erreichung des Ansatzes des Jahres 1969 — das war ein Betrag von 'etwa 500 Millionen DM mehr — notwendig wäre. Wenigstens zum Zeitpunkt der Regierungserklärung waren sowohl der Herr Bundeskanzler als auch sein Finanzminister — vor allem der Finanzminister; das ergab doch die Debatte zur Regierungserklärung deutlich — dieser gleichen Auffassung.
Ich darf aus dieser Debatte — mit Genehmigung des Präsidenten — ganz kurz einige Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zitieren. Er sagte damals:

(die ich von mir aus nicht ablehnen kann, sondern die ich im Prinzip und aus der Grundhaltung gegenüber dem Landwirtschaftsprogramm als berechtigt anzusehen habe. So vor hundert Tagen der Herr Bundesfinanzminister. In Anbetracht dieser Worte müssen wir um so mehr verwundert sein, daß gerade von Ihnen, Röhner Herr Bundesfinanzminister die Strukturmittel im Haushalt 1970 um 215 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr 1969 gekürzt worden sind. In diesem Abbau der strukturellen Förderungsmittel sind die Mittel für die „von der Natur benachteiligten Gebiete" im süddeutschen Bereich ebenso einbezogen wie die Förderungsmittel für die regionalen Programme im norddeutschen Bereich. Jedermann weiß, daß es sich gerade hier um Gebiete handelt, bei denen es — um wieder einmal Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, die Sie gestern vor diesem Hohen Hause zum regionalen Strukturprogramm ausgesprochen haben — wahrhaftig darum geht, „die Gleichheit der Chancen und die Gleichheit der Lebensverhältnisse für die Bürger in allen Teilen der Bundesrepublik herzustellen". Hier handelt es sich ganz bestimmt auch nicht um Gebiete, die unter strukturellen Überhitzungserscheinungen zu leiden hätten. Ich frage Sie: Wie wollen Sie die Ankündigung in der Regierungserklärung verwirklichen, die ländliche Bevölkerung als gleichrangigen Teil an 'der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen zu lassen — dais sagte uns doch hier der Bundeskanzler —, wenn Sie die Mittel auch für diese wichtigen investiven Aufgaben in solchen Problemgebieten kürzen und darüber hinaus auch noch in Ihr Programm der Konjunktursperre miteinbeziehen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen weiteren Schwerpunkt hinweisen, auf das Anliegen der Agrarsozialpolitik, also das sozialpolitische Anliegen im ländlichen Bereich. Hier geht es um zwei Probleme. Einmal muß für die im Bereich der Landwirtschaft tätigen Menschen und ihre Familien — wir hoffen, daß in den nächsten Jahren und Jahrzehnten möglichst viele in der Landwirtschaft verbleiben können — endlich die gleiche soziale Absicherung bei Alter, Unfall und Krankheit erfolgen, wie sie in anderen Bereichen längst selbstverständlich ist. Ich will in diesem Zusammenhang gar keinen internationalen Vergleich anstellen. Eigentlich müßte ich es doch tun, weil es hier auch um eine Wettbewerbsverfälschung geht, wenn ich auf die soziale Absicherung der bäuerlichen Familie in Frankreich hinweise. Zum zweiten geht es darum, daß für die vom Strukturwandel betroffenen Menschen rechtzeitig ausreichende soziale Alternativen geschaffen und bereitgehalten werden. Herr Bundesfinanzminister, angesichts dieser Anliegen ist es ganz bestimmt kein sozialer Fortschritt, sondern in meinen Augen ein echter Rückschritt, wenn diese Bundesregierung die Mittel für die Altershilfe gegenüber dem Vorjahr um 34 Millionen DM kürzt. Ebenso ungut ist es, wenn diese Regierung ihre Agrarsozialpolitik damit beginnt, daß sie die Mittel für die Unfallversicherung gegenüber 1969 um 30 Millionen DM auf 160 Millionen DM herabsetzt, obwohl im Haushaltsjahr 1970 in diesem Bereich effektiv 240 Millionen DM benötigt werden — Fachleute können Ihnen das bestätigen —, wenn weitere zusätzliche Belastungen für die Beitragszahler, für unsere Landwirte vermieden werden sollen. Nach einer gestrigen Verlautbarung haben die Koalitionsparteien die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, im agrarsozialen Bereich baldmöglichst Gesetzesinitiativen zu ergreifen. Dazu darf ich feststellen: Die Fraktion der CDU/CSU hat ihren Antrag zur Verbesserung der Altershilfe bereits eingebracht. Er wird in der nächsten Woche auf der Tagesordnung dieses Hohen Hauses stehen. Ein weiterer Antrag, der das Problem der Nachversicherung ausscheidender Landwirte regelt, wird diesem Hohen Hause in den nächsten Tagen ebenfalls zugehen. Wir haben die Absicht und sind dabei, auch Anträge im Bereich der Neuregelung der Unfallversicherung und im Bereich der Krankenversicherung für die Landwirtschaft diesem Hohen Hause alsbald vorzulegen. Ich darf schon heute an Sie alle, meine Damen und Herren, den Appell richten, für eine zügige und aufgeschlossene Bearbeitung dieser Anträge und Initiativen zu sorgen, damit hier das dringend Notwendige möglichst rasch geregelt werden kann. Ich möchte in aller Kürze ein drittes Problem anschneiden und, Herr Bundesfinanzminister, ein paar Worte zur Systematik und zum Volumen des Agrarhaushalts 1970 sagen. Wir erinnern uns alle noch sehr gut, so hoffe ich, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung angekündigt hat, daß die Ausgaben für die EWG-Marktordnungen künftig getrennt von den nationalen Agrarausgaben ausgewiesen werden. Wenn wir nunmehr den Agrarhaushalt 1970, den wir vor einigen Tagen erhalten haben, überprüfen, dann haben wir festzustellen, daß diese Zusage des Herrn Bundeskanzlers für 1970 nicht eingehalten worden ist. Ich will hier recht verstanden werden: Es geht beileibe nicht um eine Formalie, sondern um eine sachgerechte, klare Darstellung dieses Agrarhaushalts, nicht zuletzt der Öffentlichkeit gegenüber. (Zuruf von der SPD: Wie beim EWGAnpassungsgesetz!)





(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)


(Zuruf von der SPD: Das freut uns!)

Das sollte Sie doch nicht davon abhalten, in Anbetracht der angekündigten vielfachen Reformen gerade hier mit Reformen zu beginnen.
Keiner bestreitet, daß die Ausgaben der EWG-Marktordnung für die deutsche Landwirtschaft notwendig und wichtig sind. Aber diese EWG-bedingten Ausgaben — das möchte ich feststellen — sind integrationsbedingt und somit keine Ausgaben, die ihre Ursache im nationalen Problem und im nationalen System der deutschen Landwirtschaft haben.
Der Haushaltsklarheit entspricht es auch nicht — das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden —, wenn man die 920 Millionen DM Ausgleichs-



Röhner
mittel für die Aufwertungsschäden der Landwirtschaft in diesen Haushalt einstellt.

(Zurufe der SPD: Wie beim Getreide!)

Es handelt sich bei diesen Mitteln ganz klar nicht um einkommensverbessernde Maßnahmen zusätzlicher Art, sondern um teilweisen Ersatz von Schäden, die der deutschen Landwirtschaft durch die Aufwertung zugefügt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren und meine Herren von der Regierungsbank, es hätte der Bundesregierung gut angestanden, wenn sie auf diesen Umstand nicht nur in teuren Zeitungsinseraten, sondern durch konsequentes Handeln und durch entsprechende Haushaltsgebarung aufmerksam gemacht hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß in diesem Zusammenhang noch etwas erwähnen. Bei der Verabschiedung des Gesetzes am 12. Dezember hatte ich die Ehre, einen entsprechenden Änderungsantrag einzubringen und namens der CDU/CSU-Fraktion zu begründen. Wie Sie sich gewiß erinnern, wurde dieser Antrag damals in einer namentlichen Abstimmung durch die Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.

(Zuruf von der SPD: Mit großer Mehrheit!)

— Zugegeben! — Sicherlich erinnert sich der Herr Kollege Hermsdorf noch, wie er die ablehnende Haltung der Koalitionsfraktionen damals begründete. Ich darf einige seiner Worte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Unser Antrag wurde auf Grund der vorausgegangenen Passagen in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers eingebracht. Herr Kollege Hermsdorf sagte damals dazu:
Es ist eine völlig neue Methode, daß wir hier, bevor überhaupt der Haushalt zur Beratung ansteht, schon jetzt organisationsmäßig festlegen, in welchem Einzelplan die Mittel zu erscheinen haben. Das hat es bisher noch nie gegeben. Wenn jemals ein solcher Antrag gestellt wurde, dann wurde das bei der Vorlage des Haushalts geändert und nicht vorher. Ich würde dies für einen Eingriff in die Gesetzesvorlage halten, die die Regierung erst noch vorlegen muß; denn hier liegt ja das Gesetz über 920 Millionen DM noch gar nicht vor.
Heute möchte ich dem Herrn Kollegen Hermsdorf dazu sagen: Entgegen unserem Vorschlag, den Sie damals abgelehnt haben, und entgegen der damals geäußerten Auffassung von Herrn Hermsdorf haben wir nunmehr doch die Situation, daß diese 920 Millionen DM von der Regierung im Agrarhaushalt untergebracht worden sind.
Einen vierten Punkt möchte ich noch behandelt haben. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner gestrigen Einbringungsrede ausführlich mit der EWG und ihrer Finanzierung beschäftigt. Ich möchte nur eine seiner Feststellungen hier aufgreifen. Er sagte: Eine Begrenzung der Kosten der EWG-Agrarpolitik kann nicht allein durch Finanzverordnungen erreicht werden; die Begrenzung hat vielmehr dort einzusetzen, wo die Kosten verursachenden Tatbestände geschaffen wurden, also im Agrarmarktordnungsrecht. So weit, so gut. Damit hat der Herr Bundesfinanzminister erneut auf das Kernproblem der EWG-Agrarfinanzierung hingewiesen, aber eine Lösung ist damit noch nicht einmal angesprochen. Anders ausgedrückt — und das beinhalten doch die Ministerratsbeschlüsse vom 7. Februar dieses Jahres — wurde wohl die Einnahmeseite der EWG-Finanzierung eindeutig in Brüssel festgelegt. Aber für die Ausgabeseite fehlen die Initiativen und insbesondere jene Klarheit, auf die heute unsere Bauern, die gesamte deutsche Landwirtschaft, warten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, solange Mitglieder dieser Bundesregierung sich wiederholt in der Richtung äußern, daß die Einkommensfunktion der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise kein Tabu sein dürfte, wie es z. B. in einem Interview des Bundeskanzlers zum Ausdruck kam, oder daß die Preisfunktion zur Herstellung des Marktgleichgewichts eingesetzt werden müßte, so lange ist nach meiner und nach unserer Auffassung mit einer sachgerechten und finanzpolitisch vertretbaren und tragbaren Lösung ebenso wenig zu rechnen wie mit einer Lösung, die den Bedürfnissen und den Notwendigkeiten in unserem landwirtschaftlichen Bereich entspricht

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603133500
Herr Kollege Röhner, ich habe eben schon etwas zugegeben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Ende kommen würden.

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0603133600
Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident. Ich bin gleich am Ende.
Es wäre interessant, in diesem Zusammenhang auf die entsprechenden Vorschläge Professor Weinschenks hinzuweisen, der bekanntlich die Einführung von Marktlieferrechten und Kontingenten in den wenigen Produktionsbereichen mit strukturellen Überschüssen für preissichernder hält. Ich persönlich — lassen Sie mich das noch sagen — denke, daß sich eigentlich nur auf diesem Wege eine Lösung finden läßt, die die Landwirtschaft einerseits angemessen an der Einkommensentwicklung beteiligt und andererseits auch für den Bundeshaushalt finanzpolitisch tragbar ist.
Herr Bundesfinanzminister, Sie sagten bei Ihrer gestrigen Rede — und Sie feierten es als einen Erfolg —, daß es die Brüsseler Beschlüsse auch weiterhin bei einer „Koordinierung der Strukturpolitik" in Europa belassen, daß also die Zuständigkeit für die Strukturpolitik im nationalen Bereich verbleibt. Lassen Sie mich als allerletztes dazu die Feststellung treffen: Wie wollen wir in der nationalen Strukturpolitik vorankommen, wenn nicht zu den strukturellen Förderungen durch die öffentliche Hand über angemessene Erzeugerpreise jene Eigenleistung und jene Selbstfinanzierung durch die Landwirtschaft hinzukommen kann, ohne die es, langfristig gesehen, einfach keine durchschlagende



Röhner
Agrarstrukturverbesserung in unseren ländlichen Räumen geben kann!

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603133700
Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, wir müssen die Lämpchen, die Signale für den Redner geben, etwas versetzen. Wenn der Redner sie mit seinem Papier bedeckt, verliert er natürlich die Übersicht und sieht nicht, wie weit die Zeit schon abgelaufen ist. Ich habe die Verwaltung gebeten, das zu prüfen.

(Abg. Strauß: Eine Versenkungsanlage! — Heiterkeit.)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID0603133800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agrarstruktur ist nicht erst seit diesem Jahr oder seit der Übernahme durch die neue Regierung krank; sie ist schon seit Jahrzehnten krank. Das Überschußproblem plagt uns schon seit einigen Jahren. Vorschläge kann man in Hülle und Fülle machen, aber sie müssen durchsetzbar sein, sie müssen insbesondere im europäischen Rahmen durchsetzbar sein.
Der Herr Bundesfinanzminister ist am Ende seiner Etatrede auch auf die Landwirtschaftspolitik und hier insbesondere auf die Kosten der Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingegangen. Die Kosten dieser europäischen Agrarpolitik, von
denen die Bundesrepublik einen entscheidenden Teil zu tragen hat, nehmen uns von Jahr zu Jahr mit ihrem ständig wachsenden Volumen die finanzielle Luft für unsere nationalen Maßnahmen zugunsten unserer Landwirtschaft.
Wir alle wissen, in welch gewaltigem Umstrukturierungsprozeß sich die deutsche Landwirtschaft befindet. Wir alle wollen der Landwirtschaft in diesem Krisenprozeß helfen, soweit es die finanziellen Verhältnisse erlauben.

(Zuruf des Abg. Röhner.)

— Darauf gehe ich gleich ein, Herr Röhner.
Die Verhandlungen des Ministerrats in Brüssel am 5. und 6. Februar haben auf der Grundlage der Ergebnisse der Gipfelkonferenz im Haag im Dezember des vergangenen Jahres zu einem Kompromiß zwischen den beteiligten Ländern geführt. Das Ergebnis dieses Kompromisses ist für den Haushalt der Bundesrepublik und die mittelfristige Finanzplanung von Gewicht. Es ist in diesen Verhandlungen gelungen, den deutschen Beitrag an den europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds „Landwirtschaft" auf durchschnittlich 32 °% für die kommenden vier Jahre festzusetzen.
Nach den Vorschlägen der EWG-Kommission vom 16. Juli und 11. Dezember des vergangenen Jahres wären hingegen die deutschen Beiträge von 31,6 % im Jahre 1970 auf 36,4 % im Jahre 1974 gestiegen. Die zu erwartenden deutschen Belastungen sind daher niedriger, als sie nach den von der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten gemachten Vorschlägen sein würden. Es gelang des weiteren, die Einführung einer mehrjährigen Finanzplanung auch bei den europäischen Gemeinschaften durchzusetzen, wie dies dem Willen dieses Parlaments entspricht.
Natürlich ist diese Finanzierung, bei der die Bundesrepublik mehr in den Fonds eingezahlt, als sie daraus entnehmen kann, kein glänzendes Geschäft. Darüber sind wir uns alle einig. Aber wie der Herr Finanzminister richtig ausgeführt hat, hat Europa seinen Preis. Wir sollten daher dein Kompromiß, den die Regierung in Brüssel ausgehandelt hat, im Hinblick auf unsere allgemeine Interessenlage zustimmen.
Ein Aussteigen ,aus dem gemeinsamen Agrarmarkt oder eine nationale Finanzierung der Kosten des Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft ist nicht möglich, nachdem der Ministerrat bereits am 4. April 1962 in der Verordnung Nr. 25 die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik für die Endphase des Gemeinsamen Marktes in den Grundzügen verbindlich festgelegt hatte.
Bei den Ausgaben des Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft ist es gelungen, den deutschen Wunsch nach einer Beibehaltung der Plafondierung der Mittel für die Abteilung „Ausrichtung", d. h. für die Ausrichtung der europäischen Strukturaufgaben, auf 285 Millionen Rechnungseinheiten entsprechend den schon bisher geltenden Bestimmungen durchzusetzen.
Ich halte dieses Ergebnis für sehr wesentlich im Interesse unseres Bundeshaushalts und auch im Interesse unserer Landwirtschaft. Die Sorge, wir könnten durch eine finanzielle Beteiligung an den gewaltigen strukturpolitischen Aufgaben unserer Partnerländer jeden Spielraum für nationale Hilfen im Interesse der deutschen Landwirtschaft verlieren, ist damit beseitigt.
Es fehlt hier die erforderliche Zeit, um auf die neuen Marktordnungen für Tabak und Wein einzugehen. Sie werden neue Belastungen finanzieller Art mit sich bringen. Im Haushalt 1970 sind allein hierfür bereits 600 Millionen DM eingesetzt. Diese Marktordnungen liegen nicht in unserem Interesse; das ist offenkundig. Sie waren jedoch bereits im Jahre 1966 durch einstimmigen Beschluß des Ministerrats grundsätzlich zugestanden worden. Immerhin scheint es gelungen zu sein, in den Marktordnungen für Wein und Tabak zum erstenmal Maßnahmen zur Begrenzung der Produktion vorzusehen.
Wir sind natürlich daran interessiert, daß sich die Ausgaben des europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds, Abteilung „Garantie", nicht weiter so dynamisch entwickeln wie 'in den vergangenen Jahren.
Im Grundsatz hat sich der Ministerrat darauf geeinigt, vorrangig Maßnahmen zu treffen, die zu einer besseren Beherrschung der Märkte durch eine landwirtschaftliche Erzeugungspolitik und zu einer Beschränkung der Haushaltslasten führen. Diese Maßnahmen werden jedoch nach unserem Interesse so ausgerichtet sein müssen, daß sie der Landwirtschaft keine wesentlichen Einkommensverluste zu-



Dr. von Bülow
muten. Wir können daher nur auf einen sehr langsamen Fortschritt bei der Beschränkung der Ausgaben im Bereich der europäischen Landwirtschaftspolitik rechnen. Mit einer Senkung der Ausgaben ist bei realistischer Betrachtungsweise leider nicht zu rechnen.
Der Haushalt des Jahres 1970, soweit er die deutsche Landwirtschaft betrifft, bringt eine beträchtliche Steigerung der Ausgaben mit sich. Dies hängt im wesentlichen damit zusammen, daß der Einkommensverlustausgleich aus der Aufwertung der D-Mark mit 920 Millionen DM eingestellt ist. Die 920 Millionen DM, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeuten keine Subvention für die Landwirtschaft, wenn auch von seiten der Landwirtschaft und insbesondere auch der Opposition beachtet werden sollte, daß .die Aufwertung das volle Durchschlagen einer Anpassungsinflation und damit eine Schmälerung des landwirtschaftlichen Einkommens durch Kostensteigerung verhindern wird.
Darüber hinaus scheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß die sogenannte Globalhaftung zwischen den beiden Titeln 10 02 und 10 03 aufgehoben worden ist, wonach Mehrausgaben im Bereich der EWG-Marktordnungen in ,der Regel durch Kürzungen ,der Ansätze für die nationale Agrarpolitik gedeckt werden müssen. Diese Globalhaftung zwischen den beiden Titeln besteht nicht mehr. Sollten die Marktordnungen im nächsten Jahr mehr Mittel benötigen, bedeutet das nicht gleichzeitig eine Kürzung der Maßnahmen für ,die nationale Strukturpolitik.
Nach der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung war mit dem Auslaufen der Erstattungen der EWG für die mit der Senkung des Getreidepreises gewährten Ausgleichszahlungen eine erhebliche entsprechende Verminderung der Mittel für die nationale Agrarpolitik vorgesehen. Diese Verminderung ist weigehend rückgängig gemacht worden. Die Planzahlen sehen eine Verstärkung der Mittel um 385 Millionen DM vor.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.)

Meine Damen und Herren, die Landwirtschaftspolitik der kommenden Jahre steht vor der ungeheuren Schwierigkeit, sowohl den Strukturwandel der Landwirtschaft als auch gleichzeitig die soziale Absicherung dieses Vorgangs zu ermöglichen, und dies bei steigenden Ausgaben für die europäischen Marktordnungen. Daß hier Grenzen gesetzt sind, die verhältnismäßig eng sind, versteht sich. Wir werden harte Entscheidungen zu treffen und um jede D-Mark für diese Aufgaben zu ringen haben.
Meine Fraktion begrüßt es gerade im Interesse der Landwirtschaft sehr, daß die Mittel für regionale Hilfsmaßnahmen zur Stärkung der Wirtschaftskraft ganz entscheidend von 173,8 Millionen DM im Jahre 1969 auf 248,8 Millionen DM im Haushaltsjahr 1970 heraufgesetzt worden sind. Und diese Maßnahmen und Möglichkeiten betreffen ja insbesondere die Landstriche, die von der Natur besonders benachteiligt sind, Teile unserer Mittelgebirge und das Zonenrandgebiet.
Das Ziel der Regierungserklärung, der Landwirtschaft bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen und sie sich zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft entwickeln zu lassen, der an der allgemeinen Einkommens- und' Wohlstandsentwicklung in vollem Umfang teilnimmt, ist das Ziel der Haushaltspolitik dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603133900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters.

(Zuruf von der SPD: Das war eine Jungfernrede!)

— Ich höre gerade, daß wir eine Jungfernrede gehört haben. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege von Bülow!

(Beifall bei der SPD.)


Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603134000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Röhner, Sie haben hier angeführt, daß die jetzige Bundesregierung die Mittel für die Strukturmaßnahmen um etwas über 200 Millionen DM gekürzt habe,

(Abg. Dr. Althammer: Küstenplan zum Beispiel!)

— auf die Küste kommen wir noch —, und das sei zurückzuführen auf eine Kürzung der mittelfristigen Finanzplanung um 520 Millionen durch die vorige Regierung, die nunmehr nicht aufgefüllt worden seien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir uns voriges Jahr beim Haushalt über die Kürzung in der mittelfristigen Finanzplanung unterhielten, habe ich gesagt, diese Kürzungen um 520 Millionen wird keine Regierung und keine Koalition durchhalten; irgendwie werden diese Positionen wieder aufgefüllt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603134100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0603134200
Herr Kollege Peters, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich darauf abstellte, daß bei der Aussprache zur Regierungserklärung der Herr Bundesfinanzminister in Anlehnung an die Vorschläge seines Kollegen vom Agrarministerium 533 Millionen für die strukturellen Mittel im Haushaltsjahr 1970 für notwendig hielt und daß ich dazu zweitens festgestellt habe, daß diese Inaussichtstellung nicht eingehalten worden ist, sondern daß gegenüber dieser Inaussichtstellung eine Kürzung, wenn Sie so wollen, von 215 Millionen erfolgte? Darauf habe ich abgestellt.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603134300
Herr Röhner, auch das stimmt nicht. Eindeutig ist klar, daß in der mittelfristigen Finanzplanung der Großen Koalition die nationalen Mittel für die Agrarpolitik um 530 Millionen gekürzt worden sind. Das steht fest, und das war Tatbestand bis zur Neubildung der Regierung. Auch wenn der frühere Bundeskanzler, auch wenn



Peters (Poppenbüll)

der frühere Finanzminister vor der Wahl der Landwirtschaft Zusagen gegeben haben, sie würden diese Beträge wieder ausgleichen, Tatbestand ist, daß diese Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung gefehlt haben, daß ich das im vorigen Jahr bei den Haushaltsberatungen moniert und gesagt habe, hier wird eine Änderung durchgeführt werden müssen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603134400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritz?

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0603134500
Herr Kollege Peters, ist Ihnen nicht auch klar, daß die Zusage, die der frühere Bundeskanzler Kiesinger Vertretern des Deutschen Bauernverbandes gegeben hat, in der Summe sogar noch geringfügig unter der lag, die hier der Bundesfinanzminister Möller in der Debatte zur Regierungserklärung genannt hat? Darum geht es doch, glaube ich, wenn ich das recht sehe, dem Kollegen Röhner.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603134600
Das müssen inzwischen ja wohl alle Anwesenden hier begriffen haben.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der Mitte: Sie auch!)

Bloß, es war eine Zusage, es war ein Versprechen vor der Wahl, Herr Dr. Ritz, das ist doch das entscheidende, eine Zusage vor der Wahl von Ihrer Seite.
Hier hat der Bundesfinanzminister nach der Wahl festgestellt, daß diese Beträge für die nationale Agrarpolitik fehlten und daß die neue Bundesregierung sich bemühen werde, diese Beträge, weil es notwendig sei, aufzufüllen. Das ist durch einen Kabinettsbeschluß und durch den Haushalt 1970 in Form von knapp 400 Millionen geschehen. So ist der Tatbestand.

(Zustimmung bei der SPD. — Zuruf des Abg. Ehnes.)

— Herr Ehnes, ich möchte jetzt zunächst mal weiterreden. Sie können nachher Zwischenfragen stellen. Ich bin nicht derjenige, der Zwischenfragen ablehnt, ich möchte aber zunächst mal meine Gedanken hier weiter ausführen.
Herr Röhner, falsch ist grundsätzlich, daß die Strukturmittel um 220 Millionen DM gekürzt worden seien. Weil ich geahnt habe, 'daß Sie mit solchen Dingen kommen würden, habe ich mir vorher eine Aufstellung gemacht. Danach ist völlig klar, daß bei Strukturmaßnahmen von Haushalt zu Haushalt eine Kürzung von 78 Millionen stattgefunden hat. Dann sind die Investitionshilfen um 71 Millionen gekürzt, der Sozialbereich — der Komplex Altershilfe. Unfallversicherung und Landabgaberente — um 48, die Zinsverbilligung um 3 und die Vermarktung um 37 Millionen. Aber diese Positionen sind ja wohl auch nach Ihrer Meinung, nach Ihrer Definition keine Strukturmaßnahmen, sondern unter Strukturmaßnahme fallen eindeutig ländliche Siedlung, Flurbereinigung, agrarstrukturelle Maßnahmen, von der Natur benachteiligte Gebiete, Wirtschaftswege, Wasserwirtschaft, Emsland, Nordprogramm, Landarbeiterwohnungsbau. Das sind die Titel der Strukturmaßnahmen, und die sind nicht um 215, sondern um 78 Millionen gekürzt. So ist im weiteren der Tatbestand.
Nun zum nächsten Komplex! Sie sind der Meinung, die 920 Millionen hätten nicht etatisiert werden können, weil das Gesetz dafür nicht vorliege. Herr Röhner, Ihnen ist anscheinend entgangen, daß wir 'ein Gesetz zum Ausgleich für die Landwirtschaft verabschiedet haben: im ersten Teil die Mehrwertsteuer, im zweiten Teil die 920 Millionen. Nur ist ein Sondergesetz darüber, wie verteilt werden sollte, schon damals angekündigt worden.

(Abg. Dr. Ritz: Ja, natürlich! Aber darum geht es doch nicht!)

Aber damit war klar, daß die 920 Millionen DM etatisiert werden mußten.
Herr Ritz, bitte schön!

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0603134700
Herr Kollege Peters, ist Ihnen wirklich nicht klar, daß es bei der Etatisierung nicht darum geht, ob etatisiert wird, sondern wo, nämlich ob im Einzelplan 10 oder etwa im Einzelplan 60? Das war doch der Punkt, auf den Kollege Röhner hingewiesen hat.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603134800
Herr Ritz, das Entscheidende für die Landwirtschaft ist, daß die Mittel etatisiert werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ritz: Das hört sich bei Ihnen heute aber anders als gestern an!)

Das zweite, Herr Ritz, ist, daß eine Etatisierung im Einzelplan 10 für die Landwirtschaft sicherer wäre. Wenn es nämlich Reste gibt, ist es für die Landwirtschaft besser, wenn die Etatisierung im Einzelplan 10 statt im Einzelplan 60 vorgesehen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ritz: Das nach dem Motto: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?"!)

— Ihnen fehlen Haushaltserfahrungen, Herr Ritz.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603134900
Herr Kollege Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Röhner?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603135000
Bitte schön, Herr Röhner!

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0603135100
Herr Kollege Peters, wie läßt sich Ihre letzte Feststellung, entscheidend sei, daß überhaupt etatisiert werde, und es nicht darauf ankomme, in welchem Einzelplan etatisiert werde, mit Ihren früheren Feststellungen und Ihren früheren Anträgen z. B. zur Dieselkraftstoffverbilligung vereinbaren?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603135200
Herr Röhner, ich habe in diesem Hohen Hause immer gesagt, daß die Posi-



Peters (Poppenbüll)

tionen für die Landwirtschaft klar ausgewiesen werden sollten, z. B. einkommenswirksame und strukturwirksame Maßnahmen in völliger Trennung. Wir haben ebenfalls einen Streit darüber gehabt, ob Sozialmaßnahmen im Sozialetat oder im Landwirtschaftsetat etatisiert werden sollten. Aber das ist keine Kardinalfrage. Entscheidend ist, daß die Mittel für die Landwirtschaft bereitgestellt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang ist für die Landwirtschaft entscheidend — ich will darauf noch einmal hinweisen, obwohl mein Vorredner das auch schon gesagt hat —, daß nach dem Haushaltsgesetz für dieses Jahr Beträge, die in Kap. 10 03 fehlen, nicht mehr aus Kap. 10 02 gedeckt werden müssen, also aus dem Kapitel, in dem die nationale Agrarpolitik etatisiert ist, wie es zu der Zeit der Fall war, als Sie von der CDU den Finanzminister stellten. Heute ist es genau umgekehrt, nämlich daß Reste aus Kap. 10 03 für Kap. 10 02 zur Verfügung stehen. Das ist eine ungeheuere Verbesserung für den Agraretat im Haushaltsgesetz. Das sollten Sie ebenfalls zur Kenntnis nehmen.
Ich komme nun zur Agrarfinanzierung. Bei der Agrarfinanzierung in der EWG ist bisher nur die Kostenseite beschlossen worden. Mehrere Redner haben hier gesagt, daß der deutsche Beitrag bis 1975 32 % — genau 32,04 % — betragen wird, also nicht höher ist als alle früheren Beträge der einzelnen Ressorts. Von 1975 bis 1978 und. danach wird sich I der Satz im wesentlichen nach Abschöpfungen, Zöllen und einem Anteil an der Mehrwertsteuer bemessen. Hier hat die jetzige Bundesregierung ebenso wie früher, als es um den Ausgleich für die Landwirtschaft ging, in weit härterer Weise als die frühere Bundesregierung, zu der Sie von der CDU Minister gestellt haben, für die deutschen Bauern und die Bundesrepublik verhandelt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich habe Ihnen früher schon einmal gesagt, Herr Röhner: Wenn Ihre Minister zurückkamen, mußten wir immer besorgt sein, ob sie nicht mit den Beschlüssen zurückkamen, die die Kommission und die anderen Partnerländer vorbereitet hatten. Jetzt — und das gilt auch für die Zukunft — haben wir absolutes Vertrauen zu Minister Ertl, Minister Schiller

(Abg. Dr. Althammer: Vorsicht!)

und zu den Mitgliedern unserer Regierung, die in Brüssel verhandeln. Daß die Verhandlungen über das Marktgleichgewicht nicht leicht sind, wissen wir ebenso wie Sie. Aber auch hier sind die Verhandlungen bisher absolut positiv für die deutsche Landwirtschaft gelaufen. Dabei sind keine Zugeständnisse gemacht worden.

(Zuruf des Abg. Dr. Althammer.)

— Herr Althammer, ich erinnere Sie nur an die Zeit, als Herr Schmücker und Herr Schwarz dorthin fuhren.

(Zurufe von der CDU/CSU.) Damals sind nicht nur kleine Zugeständnisse gemacht worden, sondern man hat einem großen Paket immer grundsätzlich zugestimmt, und das ging dann zu unseren Lasten.


(Beifall bei der FDP.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603135300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Röhner?

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0603135400
Herr Peters, wie vereinbaren Sie diese Auffassung mit einer Meinungsäußerung des Herrn Bundeskanzlers nach der Den Haag-Konferenz, in .der es sinngemäß hieß, daß bei der Herstellung des Marktgleichgewichts auch die EWG-Agrarpreise nicht tabu sein dürften? Sie sind also der Meinung, daß das insgesamt ein großer Erfolg war. Wie vereinbaren Sie das mit dieser Feststellung?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603135500
Sie haben aus dieser Äußerung konstruiert, Herr Röhner, daß damit ein deutsches Zugeständnis für Preissenkungen gegeben würde. Das wollen Sie doch damit sagen. Bisher stellen wir fest, daß von der deutschen Verhandlungskommission in genau entgegengesetzter Weise verhandelt worden ist; und warten Sie einmal ab, wie die Verhandlungen weiterlaufen.
Wenn Sie hier den guten Ratschlag geben, man sollte danach gehen, was Professor Weinschenk vorgeschlagen habe — das sei ja sehr sinnvoll für die Vorschläge in der EWG —, dann muß ich Ihnen sagen, ich habe nichts gegen die Vorschläge von Herrn Weinschenk — wir haben ja selber die Mengenbeschränkungen des öfteren hier als praktikabel für Deutschland dargelegt —, aber vergessen Sie doch bitte nicht, daß die Verhandlungen mit der EWG-Kommission schwieriger sind als mit Professor Weinschenk.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603135600
Das Wort hat der Bundesminister Ertl.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0603135700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, aber ich mußte wegen der Vorbereitung des Besuchs des rumänischen Außenhandelsministers ein Gespräch mit dem rumänischen Botschafter führen und konnte daher in der letzten Stunde die Debatte nicht verfolgen. Ich möchte aber doch einige Bemerkungen machen. Ich verstehe durchaus, daß man hier versucht, daraus Kapital zu schlagen, daß angeblich nur 389 Millionen DM für die nationale Agrarförderung aufgestockt worden sind. Nur muß ich eines sagen: 389 Millionen DM mehr — das ist das Ergebnis in dieser Regierung im Gegensatz zu dem Vorschlag der alten Regierung. Das muß in aller Deutlichkeit festgestellt werden.
Ich hätte guten Grund — aber Kollege Strauß ist nicht da —, nun auf seine konjunkturellen Aspekte einzugehen. Der Herr Kollege Strauß hat



Bundesminister Ertl
ja gerade heute von uns gefordert, sehr zu sparen. Nun soll er doch einmal Vorschläge machen und sagen, wo er sparen will; denn sonst wird hier nicht mit offenen Karten gespielt, wird mit zweierlei Zungen gesprochen. Von den persönlichen Aspekten seiner Bemerkung zu meiner Person möchte ich hier nicht reden, aber ich hoffe und erwarte, daß er dafür eine Klarstellung gibt. Denn das kann ich nur sagen: das ist für mich abgeschrieben, das gehört bei mir in .den Mülleimer, wenn jemand so spricht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte betonen: Wer von dieser Regierung einen konjunkturgerechten Haushalt verlangt — und ich bin der Meinung, diesem Imperativ müssen wir alle uns beugen —, der darf dann nicht hier Vorwürfe machen, ,daß zu wenig Ausgaben beschlossen worden sind; oder er muß mir einen Vorschlag machen, wo ich den Finanzminister bitten kann — und ich bitte hier die Opposition, das im Parlament zu machen —, woanders diese zusätzlichen 120 Millionen zu bekommen. Das ist dann offen und klar und fair.
Ich betone noch einmal: die Kürzung beträgt nicht 220 Millionen DM — ich weiß nicht, ob es behauptet worden ist, ich beziehe mich jetzt auf die Bemerkungen vom Kollegen Peters —, die Kürzung beträgt 140 Millionen DM. Das ist immerhin schon ein Unterschied. Ich glaube, hier mit gutem Grund sagen zu können, daß die Aufstockung von 389 Millionen DM die Voraussetzung dafür geschaffen hat, daß die bisher laufenden Agrarförderungsmaßnahmen einigermaßen fortgesetzt werden können. Ich glaube, das kann ich mit gutem Grund sagen. Hinzukommt die Deckungsgleichheit zwischen Marktordnungsausgaben und Agrarförderungsmaßnahmen. Ich bin überzeugt, daß sich hier gewisse Möglichkeiten eröffnen, wenn es gelingt, Fortschritte im Hinblick auf das Marktgleichgewicht zu erzielen. Vielleicht gelingt es wirklich, hier Fortschritte zu erzielen. Ich bin nicht so pessimistisch wie die Kommission in Brüssel. Ich habe erst am Montag und Dienstag dieser Woche eine genaue Bilanz verlangt. Eis ist mir ein Bedürfnis, hier festzustellen, daß es bezüglich der Überschüsse momentan nicht so dramatisch aussieht, wie es dargestellt wurde. Hoffen wir, daß Konsum und Produktion sich mehr zu einem Gleichgewicht hin entwickeln. Ich bin gern bereit, in eine Agrardebatte einzusteigen und weiter über Einzelheiten zu diskutieren. Ich halte das aber nicht im Verlauf der Haushaltsberatungen für nötig, denn Sie haben anläßlich 'des Grünen Berichtes Gelegenheit, mit mir zu diskutieren.
Ich möchte aber doch noch einige Bemerkungen zu den 920 Millionen DM machen. Über die Frage „Einzelplan 60 oder Einzelplan 10?" läßt sich streiten. Ich möchte sie aus vielerlei Gründen — das sage ich in aller Deutlichkeit, gerade weil draußen immer so viel bezüglich der Nichtglaubwürdigkeit der Zusagen dieser Bundesregierung gemunkelt und subkutan gearbeitet wird — gern im Einzelplan 10 behalten, weil ich damit ein echtes Instrument meiner Agrarpolitik habe. Ich betone hier
noch einmal: Es handelt sich um Ausgleichszahlungen für die Aufwertungsverluste. Sie stellen einen Beitrag zur Stabilisierung der Lebensmittelpreise dar. So versteht sie die Bundesregierung. Sie versteht sie aber auch als einen Teil einer möglichen Variante in der Agrarpolitik. Es ist eine Variante, die man hier auf diesem Gebiet, vielleicht gezwungenermaßen, auch einmal in Betracht ziehen muß. Ich bin bereit, diesen Weg zu verantworten.
Ein ganz anderes Thema ist der Dieseltreibstoff. Der Herr Kollege Möller weiß, daß darüber bereits mit seinen Herren und meinem Hause Gespräche geführt worden sind. Sie wissen alle, soweit Sie das Problem kennen, daß diese Frage des Dieseltreibstoffes längst hätte gelöst sein können, wenn Sie, solange Sie Minister gestellt haben und hier die Mehrheitsfraktion waren, unseren Antrag unterstützt hätten. Insoweit können Sie von uns nicht verlangen, daß wir innerhalb von hundert Tagen tabula rasa mit den Versäumnissen der Vergangenheit machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie hätten diese Frage leicht lösen können. Vier Jahre lang lagen dazu Anträge vor — sogar in der Zeit, in der wir mit Ihnen eine Koalition bildeten —, und Sie wissen ganz genau — das wollen wir hier einmal in aller Deutlichkeit sagen —, daß Ihr Finanzminister nie bereit war, in dieser Frage irgendeine Form einer anderen Lösung zu suchen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603135800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehnes?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0603135900
Ja, bitte!

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0603136000
Herr Bundesminister, kann ich Ihrer Aussage entnehmen, daß Sie die Meinung vertreten, daß die Vorschläge, die der Berichterstatter über das Gasölverbilligungsgesetz, Herr Abgeordneter Stooß, damals in seinem Bericht niedergelegt hat, sehr bald verwirklicht werden können?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0603136100
Herr Kollege Ehnes, Sie haben . eine phänomenale Gabe, mich etwas zu fragen, was nicht mit meiner Feststellung zusammenhängt. Ich bin froh, wenn das Parlament mir die Möglichkeit gibt, eine bessere Lösung zu finden. Ich stehe noch zu idem alten Antrag der Freien Demokraten. Ich habe auch bereits in den ersten vier Wochen ein diesbezügliches Gespräch mit Herrn Soddemann geführt. Aber Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Ehnes — Sie müssen sich nur einmal mit Ihren früheren Ministern unterhalten, damit Sie wissen, wie die Sachlage ist —, daß es z. B. bis jetzt sehr schwierig ist, die Mineralölfirmen dazu zu bewegen, gefärbten Treibstoff abzugeben. Das kommt also auch noch hinzu.

(Zurufe von der CDU/CSU: Genau das haben wir auch gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)




Bundesminister Ertl
— Nur mit dem Unterschied, daß ich bereits in den ersten vier Wochen Verhandlungen über diesen Punkt eingeleitet habe — ich gebe zu, .daß noch kein Ergebnis zu verzeichnen ist, aber der Finanzminister steht dem Anliegen wohlwollend gegenüber —, während Sie immer unsere Anträge abgelehnt haben, und zwar in einer strikten Form, nämlich mit der Behauptung, Sie könnten nichts machen. Das ist der Unterschied.

(Zustimmung bei der FDP.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603136200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Frage ides Herrn Abgeordneten Ehnes?

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0603136300
Herr Bundesminister, ich kann aus Ihren Ausführungen doch sicher entnehmen, daß es Ihr Bestreben ist, daß wir zum Zollscheinsystem, wie es in der Gesetzesvorlage bereits erwähnt ist, kommen und daß Sie zusammen mit uns diesen Weg gehen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0603136400
Ich kann Ihnen nur sagten, daß ich über diese Frage Gespräche geführt habe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Über Ergebnisse berichte ich erst, wenn Ergebnisse zu verzeichnen sind. Das kann ich darauf antworten. Ich kann allerdings sagen, daß hätte auch früher schon passieren können. Soviel zum Treibstoff. Inzwischen besteht also zwischen den 920 Millionen DM und der Etatisierung dieser 920 Millionen DM für den Treibstoff auch in der Sache gar kein Zusammenhang. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Nun zur Agrarfinanzregelung. Hier muß ich noch einmal feststellen: der Bundesrepublik — ich glaube, es war sogar die Bundesregierung, bei der auch die FDP in der Koalition war — ist bei der Agrarfinanzierung bisher ein Anteil von 30 % freiwillig zugestanden worden. Im letzten Jahr haben wir genau 29,9 % gezahlt. Ich sage das, damit hier einmal klare Verhältnisse geschaffen werden. Bei den Verwaltungsausgaben und den Sozialausgaben haben wir sonst immer 32 % gezahlt. Man muß einmal sagen, wie es war.
Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie die Vorschläge lagen; denn nur auf dem Hintergrung der Vorschläge und Wünsche kann man ja das Ergebnis sehen und bewerten. Der Vorschlag der Kommission für die Bundesrepublik, und zwar für alle drei Teile, lautete 1970 auf 31,63 %, der Vorschlag Coppé lautete ebenfalls auf 31,63%. Effektiv erzielt wurden von uns 31,37%. Das ist das Ergebnis.
Für 1971 lautete der Vorschlag der Kommission auf 33,49%, der Vorschlag Coppé auf 32,72 %. Das Ergebnis der Ratstagung war 31,68 %. Die effektive Ersparnis gegenüber den Vorschlägen beträgt zirka 256 Millionen DM.
Für 1972 lautete der Vorschlag der Kommission auf 33,79 %, der Vorschlag Coppé auf 33,54 %. Das effektive Ergebnis der Ratstagung war 32 %. Die effektive Ersparnis gegenüber den anderen Vorschlägen beträgt zirka 231 Millionen DM.
Für 1973 lautete der Vorschlag der Kommission auf 35,02 %, der Vorschlag Coppé auf 34,28%. Das effektive Ergebnis war 32 %. Die Ersparnis beträgt zirka 375 Millionen DM.
Für 1974 lautete der Vorschlag der Kommission auf 36,41 %, der Vorschlag Coppé auf 35,13%. Das Ergebnis war 32,64%. Nun soll mir noch jemand sagen, wir hätten uns nicht bemüht, unseren Anteil um ein Höchstmaß herunterzusetzen! Das soll mir noch jemand behaupten!

(Beifall bei der FDP.)

Ich kann nur wiederum sagen — das war auch die Meinung der Verhandlungspartner —, daß wir in dieser Frage weiß Gott den Versuch unternommen haben, auch von den deutschen Steuerzahlern ein Höchstmaß an Belastung fernzuhalten. Wenn ich über meine hundert Tage sonst überhaupt keine Befriedigung haben sollte, auf diesem Sektor, kann ich mit gutem Grund sagen, haben wir zugunsten der deutschen Steuerzahler Milliarden eingespart.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603136500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Egon Susset (CDU):
Rede ID: ID0603136600
Herr Minister, stimmt es, daß eine Einsparung von 1 % nur 150 Millionen DM ausmacht? Sie sprachen aber immer davon, daß Sie meinetwegen den Satz 32,8 auf 32,5 % reduzieren konnten. Gleichzeitig sprachen sie von Einsparungen von 2,1 Milliarden DM.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0603136700
Ich habe jetzt die Prozentzahlen nicht im Kopf. Ich kann nur sagen, das ist die offizielle Statistik, die vorliegt. Sie können sie nachlesen. Insofern dürften meine Zahlen stimmen. Das zur Agrarfinanzregelung.
Nun noch ein Wort zur Doppelfunktion der Preise. Der Herr Bundeskanzler hat in Den Haag erklärt: Man muß die Doppelfunktion der Preise überprüfen. Auch dazu stehe ich. Wer dieser These widerspricht, muß der Steuerung nur über den Preis zustimmen. Und wer der Steuerung über den Preis zustimmt, muß Herrn Mansholt recht geben, daß man durch Preissenkungen ein Marktgleichgewicht herbeiführen kann, was ich bezweifle. Wir haben nämlich bereits einen Bereich, wo der Preis als Steuerungselement begrenzt wurde, und zwar bei der Zuckermarktordnung. Dort haben wir die Mengenregelung, die Quotenregelung. Sie wissen ,selbst, daß beim Marktgleichgewicht auch eine Quotenregelung für mich eine Rolle spielt. Das ist doch eine ganz natürliche Sache, sonst kann ich nicht eine Lösung im Sinne ausgeglichener Verhältnisse herbeiführen. Jedermann weiß, ,daß es Überschüsse gibt, wenn sie auch nicht so hoch sind, wie sie vielleicht ursprünglich geschätzt wurden, und wenn sich auch auf verschiedenen Sektoren in den letzten Monaten eine erfreuliche Konsumentwicklung herausgebildet hat.



Bundesminister Ertl
Das Ganze kostet sehr viel, darüber gibt es doch
gar keinen Zweifel. Wir werden um so leichter eine Markt- und Preispolitik betreiben können, wenn es keine Überschüsse gibt. Hier muß ich dann notfalls auf die Doppelfunktion der Preise, nämlich Steuerungselement und Einkommenselement zu sein, verzichten. Das ist doch selbstverständlich. Das ist eine ganz logische Folge. Oder ich mache die Preise zum alleinigen Steuerungselement, dann sind sie sowohl für die Quantität der Produktion entscheidend als auch für das Einkommen. Für uns sind die Preise viel mehr 'entscheidend für das Einkommen als für die Quantität. Das ist eine ganz logische Deduktion, und ich möchte noch einmal bitten, sich das zu überlegen, bevor man darüber spricht.
Das wollte ich bei diesem Stand der Beratungen zur Diskussion beitragen. Ich glaube mit gutem Grund sagen zu können, daß wir bezüglich der Strukturmaßnahmen weitermachen können, wenn wir allerdings auch den Überhang nicht löschen können. Auch darüber werden wir uns nächste Woche unterhalten, verehrte Kollegen. Ich habe 190 Millionen DM Strukturüberhang übernommen, das allein bei Aussiedlung und Aufstockung, und anderen Strukturmaßnahmen.
Im übrigen freue ich mich, wenn es der Opposition gelingt, mit konjunkturgerechtem Haushalt noch mehr für die Landwirtschaft herauszuholen. Dann machen Sie uns aber auch Vorschläge, wo Sie streichen wollen, denn dann kann ich erst mit dem Finanzminister wieder verhandeln. Ich habe mich bemüht, ein Optimum für die Landwirtschaft herauszuholen und gleichzeitig auch von meiner Seite den Beitrag für einen konjunkturgerechten Haushalt zu liefern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603136800
Dias Wort hat der Abgeordnete Dr. Wagner.

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603136900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein paar Worte zur europäischen Finanzierungsregelung, nicht nur zur Agrarfinanzierung, sondern überhaupt zu den Finanzbeschlüssen, die in Brüssel gefaßt worden sind. Man wird hier im wesentlichen zwei Aspekte unterscheiden können, erstens den finanziellen, zweitens den politisch-institutionellen.
Zunächst ein paar Worte zum Finanziellen. Der Kollege Dr. Strauß ist heute morgen hier gerügt worden, daß wir so viel über Finanzen und zuwenig über Politik sprächen, so viel herumrechneten und uns so viel über Zahlen und über Geld verbreiteten. Ich meine aber, im Rahmen einer Haushaltsdebatte müßte es wohl erlaubt sein, auch etwas zu Zahlen zu sagen. Die Regelung für die EWG-Finanzierung, die in Brüssel gefunden wurde, ist eine komplizierte Regelung. Ich habe die Zeit nicht, sie hier im einzelnen darzustellen; es ist auch nicht erforderlich. Was hier in diesem Rahmen entscheidend ist, ist das Ergebnis, das politische und das finanzielle Ergebnis, das herausgekommen ist. Nun ist dieses Ergebnis hier sowohl gestern vom Herrn

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0603137000
die deutschen Verhandlungsziele wurden erreicht, die deutschen Kasten wurden in tragbaren Grenzen gehalten; nie haben, so heißt es, Minister der CDU/ CSU in Brüssel so hart verhandelt und so gute Erfolge für die Bundesrepublik erzielt. Genau das ist hier gesagt worden, und eis wird mit einigen Zahlen belegt, die sich auf die Zeit bis 1974 beschränken. In der Tat kann man sagen — der Herr Bundesfinanzminister hat das mit Recht ausgeführt —, daß sich bis 1974 der deutsche Beitrag für die Agrarfinanzierung und die sonstige Finanzierung der EWG um 32% bewegen wird. Was aber entscheidend ist, Herr Bundesfinanzminister — und das wissen Sie —, ist ja der Trend, der in die Sache hineingelegt wurde, der in diesen Beschlüssen liegt. Diese Beschlüsse gehen. ja weit .über 1974 hinaus. Die Entwicklung ist die, daß wir 1974 — das ist vorhin auch gesagt worden — bei 32,7% ankommen, einem Satz, der schon höher ist als alles, was wir bisher gehabt haben. Dann geht es weiter nach Berechnungen, die ich selbst angestellt habe, da die Bundesregierung uns bisher keine Unterlagen für diese fundamentalen Fragen zur Verfügung gestellt hat, Berechnungen, die aber, glaube ich, stimmen: 1975 33,4%, 1976 34,1 %, 1977 34,8%. Für 1978 ist eine Vorhersage schwierig, weil man wegen des Berechnungsmodus da wiederum auf Schätzungen angewiesen ist. Man geht aber wohl nicht fehl in der Annahme, daß im Jahre 1978 der deutsche Finanzierungsanteil bei etwa 38 % angekommen sein wird, weil dann nämlich die letzten Schranken der Höchstbegrenzung fallen werden.
Ein solches Ergebnis, meine Damen und Herren, kann nur gesamtpolitisch gewürdigt werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir müssen aber hier feststellen, daß mit solchen Beteiligungssätzen und mit solchen Lasten für den deutschen Haushalt noch kein Finanzminister der CDU/CSU von Brüssel nach Hause gekommen ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603137100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Peters?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603137200
Selbstverständlich.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603137300
Herr Kollege, auf Grund welcher Fakten kommen Sie zu der Vermutung, daß der Gesamtbeitrag Deutschlands ab 1978 38% ausmachen wird?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603137400
Ich komme zu diesen Fakten auf Grund des Beschlusses, daß ab 1975 die Finanzierung der Lücke, die übrigbleibt, nachdem Abschöpfungen und Zölle an die Gemeinschaft abgeführt sind, nicht mehr durch nationale Finanzbeiträge nach irgendeinem Schlüssel erfolgen



Dr. Wagner (Trier)

wird, sondern durch einen Zuschlag zur Mehrwertsteuer oder — wie es in den Brüsseler Beschlüssen ausgedrückt ist — durch die Erhebung eines Betrages von his zu einem Punkt auf die allgemeine Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer. Da nun aber unser Anteil an den Zöllen bei etwa 42,6 % liegt und die Zölle etwa das Doppelte der Abschöpfungen ausmachen und da unser Anteil an der allgemeinen Bemessungsgrundlage im Jahre 1975 auch nicht weit unter 40 % in der Gemeinschaft liegen wird — das sind Schätzungen; deswegen sagte ich vorhin: es ist nicht auf das Komma genau —, kommt man zu dieser Zahl von voraussichtlich etwa 38 % insgesamt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603137500
Gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603137600
Bitte!

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0603137700
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß zu jenem Zeitpunkt, wenn nur Zölle, Abschöpfungen und ein Teil der Mehrwertsteuer herangezogen werden, der deutsche Beitrag 35,7 % ausmachen wird?

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603137800
Ich habe von diesem Satz gehört. Auf Grund meiner Berechnungen und auf Grund von Berechnungen, die ich in der wissenschaftlichen Literatur gefunden habe, kann ich dieser Hypothese nicht zustimmen. Es sollte mich freuen, wenn es so käme. Ich komme ja auch noch zu einer abschließenden Gesamtwürdigung der Sache. Ich bin aber der Meinung, daß wir auf Grund der derzeitigen Gegebenheiten eher von einem Satz in der Nähe dessen ausgehen müssen, den ich genannt habe, Herr Kollege Peters.
Die zweite Seite dieser Sache — und die für meine Begriffe noch entscheidendere — ist der politisch-institutionelle Aspekt. Die CDU/CSU hat von jeher gewußt — sie stimmt insoweit dem Herrn Bundesfinanzminister zu —, daß Europa seinen Preis erfordert. Die CDU/CSU hat daher auch häufig Opfern zugestimmt unter der Voraussetzung, daß sich diese Opfer in Brüssel nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit vollziehen. Ich meine aber, daß dieser Preis klar genannt werden muß. Deswegen haben wir das, was von der Bundesregierung hier nicht gesagt worden ist, von uns aus vorgetragen und auch, wie ich glaube, vortragen müssen. Der Preis, den die Bundesregierung gezahlt hat, ist hoch. Ich bin nicht sicher, daß er so hoch sein mußte. Daß ein Preis bezahlt werden mußte, ist sicher. Ich frage mich aber, inwieweit die Entschlossenheit der Bundesregierung, die französische Sperre gegen den Beitritt anderer Länder auf jeden Fall schnell zu beseitigen, zu einer größeren Kompromißbereitschaft der Bundesregierung beigetragen hat.
Zum Institutionell-Politischen: Das Europäische Parlament bekommt ein Haushaltsrecht — eine alte Forderung sowohl des Europäischen Parlaments als auch unserer Fraktion als auch, glaube ich, eines großen Teiles dieses Hauses. Täuschen wir uns aber
nicht darüber, daß dieses Haushaltsrecht zunächst mehr von prinzipieller als von praktischer Bedeutung sein wird! Es ist nämlich so, daß das Europäische Parlament bei der Verabschiedung des Haushalts an das Finanzrecht der Gemeinschaften gebunden ist. Dieses Finanzrecht der Gemeinschaften regelt aber rechtlich zwingend etwa 95 % aller Gemeinschaftsaufgaben. Die wirkliche Verfügungsgewalt des Europäischen Parlaments über den Gemeinschaftshaushalt beschränkt sich daher zunächst in der Praxis auf 5 % des Gesamtvolumens. Für uns sollte das, so meine ich, Anlaß sein, diesen ersten Schritt zu einer institutionellen Stärkung der Gemeinschaften nur als eine Etappe anzusehen, wirklich nur als einen ersten Schritt. Wir wären sehr dankbar, wenn wir von der Bundesregierung heute hören könnten, daß auch sie dieser Auffassung ist. Ich habe da zuweilen Zweifel, wenn ich u. a. an das Interview denke, das der Bundeskanzler während seines Paris-Besuches der Zeitung „Le Monde" gegeben hat und in dem er klar erklärt hat:
Es ist noch nicht die Zeit gekommen, supranationale Elemente in die Gemeinschaftsverfassung einzuführen. Wir sind davon
— so heißt es dort wörtlich — weit entfernt.
Ich halte diese Bemerkung auch im Rahmen dieser Haushaltsdebatte für wichtig. Unserer Überzeugung nach können Finanzlasten, finanzielle Verpflichtungen wie diejenigen, um die es sich hier handelt, überhaupt nur im Rahmen einer supranationalen Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die auf eine europäische Föderation angelegt ist, verantwortet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603137900
Wenn meine Informationen stimmen, war das eine Jungfernrede.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute!)

Sie wurde, sogar einschließlich der meisten Zahlen, frei gehalten. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall.)

Das Wort hat der Abgeordnete Seidel.

Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0603138000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt hat 26 Einzelpläne. Es ist ganz natürlich, daß in der ersten Lesung auf einige der wesentlichen Einzelpläne eingegangen wird.
Im Bundeshaushaltsplan hat der Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung sozialpolitisch und finanzpolitisch seine besondere Bedeutung. Erstmalig seit 1949 wird dieser Einzelplan von einem Arbeitsminister aus den Reihen der SPD vorgelegt. Er wird daher eine besonders kritische Aufmerksamkeit finden.
Um es gleich vorwegzunehmen: Der Entwurf von 1970 stellt gegenüber dem Etat von 1969 naturgemäß keine radikale Änderung dar. Die aus den Vorjahren vorgegebenen sozialpolitischen Leistungen werden konsequent weitergeführt und weiter-



Seidel
entwickelt. In diese Leistungen sind sehr viele gemeinsame politische Anstrengungen dieses Hauses investiert. Das war in der Vergangenheit so und wird wohl auch trotz der anderen Rollenverteilung seit dem 28. September 1969 so bleiben, auch dann, wenn in Zukunft die Meinungen zwischen der Opposition und den Regierungsparteien sich stärker differenzieren sollten.
Nach dieser Feststellung der Gemeinsamkeit weise ich darauf hin, daß der Entwurf 1970 nach der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 neue Fakten geschaffen hat und daß andere Tendenzen sichtbar geworden sind. Das Ministerium ist dabei, die Bewältigung von Schwerpunkten der Gesellschaftspolitik systematisch vorzubereiten. Diese Vorbereitungen reichen vom Ausbau der sozialen Sicherung einschließlich eines zeitgerechten Arbeitsschutzes über die Fortentwicklung der Arbeitsmarktpolitik und der Berufsausbildung bis zu den Aufgaben des Betriebsverfassungsrechts und der Vermögensbildung sowie der europäischen und internationalen Sozialpolitik.
Das Gesamtvolumen des Etats beträgt 18,8 Milliarden DM. Das sind rund 2 Milliarden DM mehr als als im Finanzjahr 1969. Mit diesen 2 Milliarden DM wurden in der Hauptsache zwei große gesellschaftspolitische Verpflichtungen erfüllt. Dazu gehören die Erhöhung der Kriegsopferversorgung um 938 Millionen DM, der Sozialversicherung um 430 Millionen DM und die erste Rate für die Erfüllung der Lohnfortzahlungsverpflichtung um rund 200 Millionen DM. Als Folge der Neuorganisation der Bundesregierung wurde das Kapital „ Kriegsfürsorge" aus dem Bundesministerium des Innern mit 467 Millionen DM in den Etat des Arbeitsministeriums übernommen. Von der Gesamtausgabe der 18,8 Milliarden DM beanspruchen die großen gesetzlich festgelegten Ausgabenblöcke „Sozialversicherung" mit 11,3 und „Kriegsopferversorgung" mit 6,7; insgesamt 18 Milliarden DM.
Die Betrachtung des Entwurfs 1970 läßt sich von der mittelfristigen Finanzplanung 1969/73 nicht trennen. Hier darf ich die erfreuliche Feststellung treffen, daß bis 1973 die Leistungssteigerungen im sozialen Bereich, besonders bei der „Sozialversicherung" und der „Kriegsopferversorgung", abgesichert sind. Von 18,8 Milliarden DM im Jahre 1970 wird der Betrag 1971 auf 19,7, 1972 auf 21,1 und 1973 auf 23,7 Milliarden DM steigen. Der bisherige Rückzug des Bundes aus der Finanzierung sozialer Leistungen wird damit gestoppt, und in der Zukunft werden die Leistungen weiter angehoben.
Für alle, die es interessiert, sei als Vergleich die Entwicklung des Verteidigungsetats dargestellt: 1970 19,2, 1971 21, 1972 21,8 und 1973 22,1 Milliarden DM. Der Sozialhaushalt überholt also den Verteidigungsetat, obwohl dieser steigt. Ohne also die militärische Sicherheit zu vernachlässigen, wird hier ein klarer Akzent auf die soziale Sicherheit gesetzt.
Meine Damen und Herren, im Entwurf von 1.970 sind einige wesentliche sozialpolitische Maßnahmen, die in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 'angekündigt wurden, verwirklicht.
Ersten sind das die Erhöhung der Kriegsopferversorgung und ihre Dynamisierung. Erfreulich ist bei diesem Titel besonders, daß unter dem neuen Rentenkapitalisierungsverfahren die Leistungen mit 172 Millionen DM jährlich sichergestellt sind.

(Abg. Leicht: Außerhalb des Haushaltes!)

Zweitens ist in diesem Zusammenhang bei der mittelfristigen Finanzplanung die Steigerung der Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten von 6,9 Milliarden DM über 7,1 zu 7,7, weiter auf 9,6 bis 1973 zu 10,3 Milliarden DM festzustellen.

(Abg. Leicht: Durch Meine Damen und Herren, drittens begrüßen wir, daß die Maßnahmen zur Förderung der Errichtung überregionaler Zentren für die im Beruf Benachteiligten und Behinderten durch Erhöhung der Ausgaben in Form von Darlehen und Zuschüssen von bisher 10 auf 20 Milliarden DM verbessert werden. Unsere soziale Grundeinstellung erfordert die erhöhte Aufmerksamkeit für diesen Personenkreis. Die vorgesehene Kürzung von 5 Millionen DM müßte in der Detailberatung noch einmal überlegt werden. Die in Aussicht genommene Verpflichtungsermächtigung von 12 Millionen DM sollte aber unter allen Umständen keine Einschränkung erfahren. Viertens. Rationalisierung und Automation haben ihre sozialen Auswirkungen. In der Öffentlichkeit sind diese Folgen in ständiger Diskussion. Endlich, so sage ich, nimmt sich das Ministerium der Sache so an, daß für die Förderung der Erforschung der sozialen Auswirkungen des technischen Fortschritts und des Strukturwandels ein finanzieller Beitrag geleistet wird. Er beträgt vorläufig 1,3 Millionen DM. Fünftens. Für bemerkenswert halte ich die verstärkte Förderung der Arbeitsaufnahme in Berlin. Zum 1. Januar 1970 sind eine Reihe wichtiger Leistungsverbesserungen in Kraft getreten, die zusätzliche Anreize für die Arbeitsaufnahme in Berlin bringen. Unter anderem wird das Überbrückungsgeld für Ledige von insgesamt 300 auf 750 DM und für Verheiratete von bisher 400 auf 1350 DM erhöht. Damit wird vor allem den Familien mit Kindern die Arbeitsaufnahme in Berlin erleichtert. Diese neuen finanziellen Maßnahmen, im Etat mit 36 Millionen DM gegenüber 10 Millionen DM des Vorjahres ausgewiesen, dienen zur Stärkung der Wirtschaftskraft Berlins. Sechstens. Wenn auch bescheiden, so doch interessant ist die Aufnahme eines deutsch-japanischen Austauschprogramms für junge Facharbeiter. Dieses Programm dient der Erweiterung der Kenntnisse der Berufsausbildung. Es geht um die berufliche Ausund Fortbildung, Anpassung und Umschulung im Gastland. Der Bund trägt dafür die Flugkosten. Die beteiligten Betriebe tragen die übrigen Kosten für die deutschen Teilnehmer. Siebentens. Problematisch bleibt für das Ministerium die Durchführung des zivilen Ersatzdienstes. Im Prinzip wird die sinnvolle Dienstleistung anSeidel gestrebt. Obwohl das Gesetz fast 10 Jahre in Kraft ist, haben wir das gesetzte Ziel noch nicht voll erreicht, zumal nicht alle Betroffenen herangezogen werden können. Im Jahre 1970 sollen es 6000, im Jahre 1971 7000 Dienstleistende sein. Die Ausgaben im Etat steigen sprunghaft von bisher 26 auf 65 Millionen DM an. Es wäre angebracht, wenn die zuständigen Ausschüsse im Rahmen der Haushaltsberatung diesem Problem besondere Aufmerksamkeit schenkten, um durch neue Anregungen der Exekutive diese Aufgabe zu erleichtern. Soweit, meine Damen und Herren, einige Punkte aus dem Sozialetat. Aus dem Abschnitt „Gesellschaftsund Sozialpolitik" der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 konnte man entnehmen, daß sich diese Bundesregierung gemäß dem grundgesetzlichen Auftrag dem sozialen Rechtsstaat verpflichtet fühlt. Für diesen Verfassungsauftrag wurde ein umfassendes Programm angekündigt. Nach den Haushaltsansätzen gibt es keinen Zweifel, daß dies Zug um Zug verwirklicht wird. Nach dem Vorliegen des Berichts „Mitbestimmung im Unternehmen" darf man annehmen, daß die Bundesregierung zur Betriebsverfassung und zur Personalvertretung noch 1970 dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen will. Der Gesetzentwurf zur Mitbestimmung müßte dann später folgen. Als ganz dringlich sei aber angemerkt, daß die angekündigte Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherungsreform baldigst berufen werden sollte. Abschließend, meine Damen und Herren, sei festgestellt, daß dieser Etat des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung die Sicherung von wesentlichen sozialen Leistungen, die vom Gesetzgeber beschlossen wurden, garantiert, des weiteren, daß die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung die steigenden Ausgaben für soziale Verpflichtungen des nächsten Jahres gewährleisten. In die Gestaltung des Etats 1970 wurden auch einige wichtige soziale Aufgaben im Verein mit anderen Kostenträgern aufgenommen. Meine Damen und Herren, der erste Etat des Bundesarbeitsministers Arendt ist geprägt von sozialer Verantwortung und der realistischen Einschätzung unserer finanziellen Möglichkeiten. Das Wort hat der Abgeordnete Baier. Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich an den letzten Satz meines verehrten Kollegen Seidel über den Start des neuen Bundesarbeitsministers anknüpfe, habe ich aber einen mißglückten Start in Erinnerung, einen Fehlstart, Herr Bundesarbeitsminister, mit dem Weihnachtsgeld für die Rentner, das Sie in die Diskussion gebracht haben. Darüber steht natürlich in Ihrem Bericht nichts, ebenso wie nichts über die sehr schmerzlichen Währungsverluste vieler Bezieher ausländischer Renten gesagt wurde, die nun auf ihrem Rücken eine Einkommenseinbuße hinnehmen müssen. Ihr Haus ist nicht in der Lage, dies auszugleichen. Sie sprechen von einer kontinuierlichen Fortsetzung der Sozialpolitik. Lieber Kollege Seidel, die Ansatzpunkte für diese kontinuierliche Fortsetzung sind sicher unter Bundesarbeitsminister Katzer im ,Arbeitsförderungsgesetz, und im Berufsbildungsgesetz geschaffen worden. Dazu stehen auch wir. Wenn Sie aber darauf hinweisen, was nun durch die neue Regierung alles schöner und besser wird, darf ich doch an die Worte des Bundesfinanzministers erinnern, der von der „fatalen Erblast" sprach. Ich muß sagen: dank dieser „fatalen Erblast" können Sie davon zehren und dies und jenes heute weiterentwickeln. Lassen ,Sie mich auch noch ein Wort zur Frage der Kriegsopfer sagen; denn hier ist schon festgestellt worden, wir sollten Legendenbildungen in der Öffentlichkeit vermeiden. Verehrter Kollege Hermsdorf, in aller Freundschaft: was Sie über die „Verzögerungstaktik" im Bundesrat sagten, war ein böses Wort, das Ihnen hier aus dem Mund kam. — Ich will es Ihnen gern so interpretieren, wie es der Wahrheit entspricht. Auf einen gemeinsamen Beschluß dieses Hauses, der Großen Koalition, geht die Anhebung der Kriegsopferversorgung per 1. Januar 1970 zurück. Es war selbstverständlich, daß diese neue Regierung danach zu handeln hatte. Die CDU/CSU-Fraktion hat für sich in Anspruch genommen, eine stärkere Anhebung der Renten mit der entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung, wie wir sie in der letzten Zeit zu verzeichnen hatten, zu begründen. Daß wir dann jede demokratische Chance, die sich bietet, dazu nutzen, um unsere Forderungen durchzusetzen, dürfen Sie doch nicht als eine Verzögerungstaktik interpretieren. Das ist eine Verfälschung der Tatsachen, verehrter Kollege Hermsdorf, und eine bewußte Fehlinterpretation des gesetzgeberischen Ablaufs. Ich meine, es ist unser Recht und unsere Pflicht, alle demokratischen Möglichkeiten auszuschöpfen, wenn wir Besseres tun wollen. Wir im Bundestag und die Länder im Bundesrat, die sich an unsere Auffassung gehalten haben, nutzen die demokratischen Chancen im Interesse der Kriegsopfer. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt im Bereich der Gesellschaftspolitik ansprechen und etwas zur Familienpolitik sagen. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, angesichts .der dürftigen Mittel in Höhe von 95 Millionen DM — das entspricht einer Verbesserung des Familienlastenausgleichs um knapp 3,3 % — können diese großspurige Ankündigung und der polemische Hinweis auf familienpolitische Versäumnisse der Großen Koalition, der auch Sie Baier von der SPD angehört haben, nicht unwidersprochen bleiben. (Abg. Dorn: Aber diese Versäumnisse sind doch unbestritten!)





(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603138100
Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603138200

(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Abg. Mertes: Aber nicht von Ihrem Verdienst!)


(Abg. Liehr: Wie würden Sie es denn bezeichnen?)


(Zuruf von der FDP)


(Abg. Mertes: Sehr gut, daß Sie das sagen!)




— Verehrter Herr Dorn, Sie hören es gleich; nur etwas Geduld.

(Erneuter Zuruf ides Abg. Dorn.)

Auch wir haben bedauert — ich habe das hier am 26. November zum Ausdruck gebracht —, daß es seit 1964 keine Anhebung des Kindergeldes mehr gegeben hat. Aber, verehrter Herr Dorn, jetzt vergessen Sie mit Ihrem Koalitionspartner auf der Linken bitte nich, daß Sie beide es waren, die das unter Minister Heck eingeführte Gesetz über die Ausbildungszulage, welches jedem Kind zum Besuch einer fortführenden Schule 40 DM pro Monat gewährte — angesicht der höheren Lasten konnte diese Leistung als ein verstärktes Kindergeld angesehen werden; es handelte sich um eine Größenordnung von 400 Millionen DM pro Jahr —, verhindert haben, daß

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

diese wertvolle Hilfe für die Familien in der letzten Legislaturperiode unter dem Druck der SPD- und der FDP-Fraktion gestrichen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Als Pennälergehalt haben sie es diffamiert!)

Weil wir das wegen der Situation der Familien angesichts steigender Löhne und angesichts der Erhöhung der Lebenshaltungskosten nicht für vertretbar hielten, hat die CDU/CSU mit dem Entschließungsantrag im März des letzten Jahres die Initiative ergriffen und mit der SPD jenen Antrag eingebracht, dem auch die FDP dann zustimmte und in dem es heißt, daß wir unabhängig von einer umfassenden Reform des Familienlastenausgleichs eine alsbaldige Anpassung der Leistungen für kinderreiche Familien an die wirtschaftliche Entwicklung bereits im Jahre 1970 haben wollen. Dies war der Auftrag dieses Hauses an die Bundesregierung, und im Rahmen der Vorbereitungen in der Regierung Kiesinger wurden auch die finanziellen Mittel vorgesehen. Und wir haben heute vormittag vom früheren Bundesfinanzminister Strauß gehört, daß in der internen Fortschreibung ein Betrag von 400 Millionen DM dafür in Aussicht genommen war.
Wir haben dann die Regierungserklärung der neuen Regierung am 28. Oktober gehört. Die Frage der Familienpolitik wurde nur gestreift — unverbindlich und allgemein wie vieles andere, meine Damen und Herren. Das war eine Enttäuschung, und nicht von ungefähr haben die Familienverbände nachher die Formel geprägt und die Frage gestellt, ob die Familien ein Brandt-Opfer sein sollten.

(Abg. Hermsdorf: Alles, was Sie zu dieser Frage sagen, ist falsch! — Zuruf des Abg. Dorn.)

— Aber Herr Kollege Hermsdorf, was ich hier sage, entspricht den Tatsachen!

(Abg. Hermsdorf: Darf ich eine Zwischenfrage stellen?)

— Aber gerne!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603138300
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf!

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0603138400
Ich bitte um Entschuldigung, wenn das nicht ganz eine Zwischen- frage werden sollte, aber ich versuche, es als Frage zu formulieren. Herr Baier, war der Tatbestand nicht folgender, daß ursprünglich 40 DM gezahlt wurden, daß dann durch das Haushaltssicherungsgesetz 10 DM zurückgenommen wurden und daß in der Großen Koalition auch das dann gestrichen worden ist, um einen besseren Familienlastenausgleich zustande zu bringen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Gegen unsere Stimmen! — Zuruf von der FDP: So war's! Ganz genau!)


Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603138500
Nein, das entspricht nicht den Tatsachen, verehrten Herr Kollege Hermsdorf. Es ist mein Kollege Stingl gewesen, der hier damals dafür eingetreten ist, daß wir diese Position im Familienlastenausgleich erhalten. Wir können uns über Form und Methode unterhalten, darüber, wie die Mittel gegeben werden. Aber hier ging es darum, daß wir uns gegen eine ersatzlose Streichung gewehrt haben,

(Abg. Haase [Kassel] : Im Haushaltsausschuß ! Jawohl!)

wie sie von Ihnen und noch viel hektischer von der FDP vertreten wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603138600
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Eilers?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603138700
Bitte!

Elfriede Eilers (SPD):
Rede ID: ID0603138800
Herr Kollege, ich habe zwei Fragen. Stimmt es, daß die ersten 10 DM von den 40 DM des „Gießkannengesetzes", wie es damals, 1965, genannt wurde, schon im November 1965 im Haushaltssicherungsgesetz unter der Regierung Erhard fielen?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603138900
Ja.

Elfriede Eilers (SPD):
Rede ID: ID0603139000
Stimmt es weiterhin, daß die restlichen 30 DM in der mittelfristigen Finanzplanung durch die Große Koalition

(Zuruf von der CDU/CSU: Gegen unsere Stimmen im Haushaltsausschuß!)




Frau Eilers
im Hinblick darauf, daß wir ein größeres, umfassendes Ausbildungsförderungsgesetz machen wollen, von CDU/CSU und SPD gestrichen wurden?

(Abg. Dorn: Sehr wahr!)

Herr Kollege, das können Sie nicht bestreiten, denn das ist aktenkundig!

(Sehr wahr! bei der FDP.)


Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603139100
Verehrte Frau Kollegin, gegen die Stimmen der CDU/CSU im Haushaltsausschuß und im Plenum des Deutschen Bundestages ist dies geschehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603139200
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Frage der Abgeordneten Frau Eilers?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603139300
Ja, wenn Sie mir die Zeit nicht anrechnen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603139400
Ja, die wird abgezogen. — Bitte, Frau Eilers!

Elfriede Eilers (SPD):
Rede ID: ID0603139500
Herr Kollege, ich bin nicht Mitglied des Haushaltsausschussus gewesen und kann darüber nichts sagen. Aber würden Sie mir zugeben, daß in diesem Hause im Plenum diese Entscheidung über die 30 Mark in der mittelfristigen Finanzplanung — ich weiß jetzt im Augenblick ) nicht zu sagen, ob die FDP dem zugestimmt hat —

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603139600
Die war immer dagegen, wenn's um Familienpolitik ging!

Elfriede Eilers (SPD):
Rede ID: ID0603139700
— jedenfalls mit den Stimmen der SPD und der CDU/CSU getroffen worden ist — mit einigen wenigen Ausnahmen, zu denen z. B. Herr Wuermeling zählte?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603139800
Nein, das entspricht nicht den Tatsachen. — Lassen Sie mich zum Thema zurückkehren.
In der Regierungserklärung der neuen Regierung: unverbindliche allgemeine Hinweise auf die Familienpolitik. Dann erfolgten von dieser Regierung ausgabewirksame Gesetzentwürfe, Anträge auf Steuersenkung in der Höhe einer Milliarde Mark und wiederum nichts zur Existenzsicherung für die Familien. Das war der Anlaß, weshalb meine Fraktion dann den Antrag einbrachte, in der ersten Stufe eine Erhöhung des Kindergeldes ab drittem Kind um 10 DM vorzunehmen, eine Anpassung in Anlehnung an den § 56 .des Bundesversorgungsgesetzes, und gleichzeitig war damit der Hinweis verbunden, daß in der Fortführung des Familienlastenausgleichs eine zweite und dritte Stufe zu folgen hat.
Hier erhebt sich die Frage: was bietet diese Regierung für den von allen Fraktionen damals als dringend erforderlich bezeichneten verbesserten Familienlastenausgleich? Den unverbindlichen Hinweis in der Regierungserklärung, keine Regierungsinitiative und im Haushalt 1970 einen Verbesserungsvorschlag um 3,3 %. Dies ist angesichts des einstimmigen Willens dieses Hauses im März 1969, der Tatsache der Preisentwicklung, die. besonders die Familien mit Kindern trifft, und der von der Regierung unterstellten Einkommenssteigerung in den nächsten Jahren der Hinweis dafür, daß die neue Regierung der Familienpolitik keine besondere Priorität einräumen will.

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)

Für uns in der CDU/CSU ist nach wie vor vorrangig: erstens die Anhebung des Kindergeldes für das dritte und weitere Kinder, zweitens der Wegfall der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld und die Anhebung des Zweitkindergeldes. Wir hoffen, im Parlament eine Mehrheit dafür zu finden, wenn der Entschließungsantrag noch gilt, dem auch Sie von der FDP zugestimmt haben. Oder Sie ziehen sich vielleicht zurück auf die Formel des Herrn Bundeskanzlers kürzlich bei der Debatte über die Lage der Nation, wo er sagte, inzwischen seien ja Wahlen gewesen. Das heißt: es ist unverbindlich, was man vorher hier im Hause beschlossen hat.

(Abg. Wehner: Das ist aber eine sehr willkürliche Ausdeutung, die Sie da geben! Wer hat die Mehrheitsverhältnisse geändert?)

Ich habe die Frage gestellt auf Grund dieses Hinweises des Bundeskanzlers kürzlich, und ich hoffe nicht, daß es der Fall ist, sondern daß Sie mit dazu stehen. Denn, Herr Kollege Wehner, ich hoffe mit Ihnen einig zu sein, daß unabhängig von parteipolitischen Auseinandersetzungen wir für die Familien und den Familienlastenausgleich hier eine befriedigende Regelung finden sollten. Denn das, was die Regierung im Haushalt 1970 geboten hat, kann keinen Anspruch auf Lob erheben; es verdient die Note „Ungenügend".

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603139900
Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0603140000
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem Teil Stellung nehmen, zu dem Herr Baier eben im Zusammenhang mit der Familienpolitik generell und dem Familienlastenausgleich im besonderen gesprochen hat.
Zunächst einmal, Herr Baier, meine ich, es kommt in erster Linie darauf an, daß die gesamte Politik der Bundesregierung die Familie als Orientierungspunkt für unsere Sozial- und Gesellschaftspolitik nimmt. Insofern sagen Sie eben Halbwahrheiten, wenn Sie lediglich im Zusammenhang mit dem Familienlastenausgleich über Familienpolitik sprechen. Die gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik, wie sie gestern, vorgestern und heute hier dargestellt wurde, dient im Endeffekt der Familie. In diesem Zusammenhang muß man es auch sehen. Das will ich lediglich vorausschicken.




Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603140100
Frau Bundesminister, darf ich Sie nach Ihrem Hinweis darauf, daß Familienpolitik in allen Bereichen praktiziert werden solle, fragen, ob Ihnen entgangen ist, was in der Regierungsvorlage zur Besoldungsanpassung ab 1. Januar 1970 vermerkt ist? Sind Ihnen die Stimmen in der Öffentlichkeit entgangen, die feststellten: je mehr Kinder, desto weniger Erhöhung; familienpolitische Demontage im öffentlichen Dienst, weil die Erhöhung der Gehälter auf Grund des Besoldungsgesetzes um so geringer ist, je größer die Familie ist?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0603140200
Herr Baier, im Grunde genommen standen alle diese Probleme auch in der Regierung der Großen Koalition zur Debatte, nämlich ob es im Rahmen der Besoldungserhöhungen möglich ist, auch für die Kinder mehr zu tun. Wenn Sie sich einmal bei Ihrem Kollegen Benda danach erkundigen,

(Abg. Baier: Weihnachtsgeld!)

wie die Verhandlungen mit den Tarifpartnern verlaufen sind, werden Sie einsehen, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, einseitig zu handeln.

(Abg. Baien Hier haben wir keine Tarifpartner! Das ist ein Gesetz!)

Außerdem ist der öffentliche Dienst immerhin der einzige Zweig, bei dem generell Kindergeld für jedes Kind vom ersten Kind an gezahlt wird.

(Abg. Leicht: Aber aus einem anderen Grunde! — Abg. Baier: Das ist doch nicht vergleichbar!)

— Aber natürlich! Insofern wären gerade wir froh, wenn auch in anderen Wirtschaftszweigen für alle Kinder, unabhängig davon, wo ihre Väter und Mütter beschäftigt sind, generell ein gleich hohes Kindergeld gezahlt werden könnte.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch folgendes sagen. Wir sprechen alle immer wieder von der Reform des Familienlastenausgleichs, die dringend notwendig ist. Ich erinnere mich an die ersten Debatten überhaupt, die wir im Bundestag über die Kindergeldgesetzgebung geführt haben. Wenn Sie damals den sozialdemokratischen Vorschlägen gefolgt wären, wäre heute die Reform des Familienlastenausgleichs nicht mehr nötig; denn wir sind damals für ein einheitliches Kindergeld ab erstem Kind eingetreten, was Sie aber nicht akzeptiert haben. Sie standen damals einer wirklich gerechten Regelung des Kindergeldes im Wege. Heute sind Sie Gott sei Dank — ich hoffe wenigstens, das vielen Äußerungen in der Öffentlichkeit entnehmen zu können — endlich auf dem Weg zu einer besseren Lösung über die Reform des Familienlastenausgleichs. Ich hoffe, daß wir dafür eine breite Zustimmung finden werden. Ich muß aber immer wieder darauf aufmerksam machen, daß eine solche Lösung — das wissen Sie auch — erst im Zusammenhang mit der Steuerreform möglich ist. Solange müssen wir leider warten. Da der Finanzminister die Steuerreform gerade auf dem Gebiet der Einkommen- und Körperschaftsteuer wesentlich vorantreiben will, habe ich die große Hoffnung, daß wir noch rechtzeitig in dieser Legislaturperiode eine Vorlage über eine Familienlastenausgleichsreform einbringen können.
Nun aber ein Wort zum Kindergeld überhaupt. Ihre Rechnung mit den 3,3 % stimmt einfach nicht. Herr Baier, Sie können lesen und schreiben.

(Abg. Baier: Auch rechnen!)

Im Haushalt steht: ab 1. Oktober 1970. Das heißt, die 95 Millionen DM beziehen sich auf ein Vierteljahr. Im Haushalt 1971 beträgt die Erhöhung 390 Millionen DM. Das sind nicht 3,3 %, sondern, auf das Jahr bezogen, genau 14% Erhöhung, wenn man von der jetzt gezahlten Globalsumme ausgeht. So muß man rechnen, wenn man nicht, wie Sie es natürlich getan haben,

(Abg. Baier: Man kann so und so rechnen!) polemisch eine Zahl zurechtrücken will,


(Abg. Baier: Nein, nein!)

die nach außen hin schlecht aussieht.

(Abg. Baier: Ich sagte: eine Steigerung um 3,3 % für das ganze Jahr!)

Herr Baier, Sie haben auch nicht ganz recht, wenn Sie immer wieder darauf hinweisen, daß der Bundestag einstimmig beschlossen habe, das Kindergeld Anfang 1970 zu erhöhen.

(Abg. Baier: Nein, im Laufe des Jahres!)

In der Entschließung heißt es: „schon im Laufe des Jahres 1970."

(Abg. Baier: So habe ich es gesagt!)

Eine Regierung, die eine mittelfristige Finanzvorschau und Finanzplanung übernimmt, in die erst ab 1972

(Abg. Baier: Nein!)

— aber natürlich! —, und dann auch erst im zweiten Halbjahr, 200 Millionen DM für die Erhöhung des Kindergeldes eingesetzt worden sind, hat, wenn sie diesen Betrag schon ab 1971 verdoppelt und ab 1970 im Oktober das erste Vierteljahr vorwegnimmt, eine große Anstrengung im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemacht, um wenigstens in der Übergangszeit zu einer vertretbaren Erhöhung zu kommen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603140300
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baier?

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0603140400
Frau Minister, Sie konnten heute sicherlich nicht den ganzen Tag anweisend sein, aber darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß hier ausgeführt wurde, daß die offizielle Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung in den letzten Monaten der Regierung Kiesinger überhaupt nicht mehr möglich war und daß eine interne Fortschreibung im Haus des Finanzministers erfolgte, wo auf diese Entschließung .des Bundestages hingewiesen wurde und dem mit 400 Millionen DM Rechnung getragen wurde?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0603140500
Herr Bader, das ist behaup-



Bundesminister Frau Strobel
tet worden, das ist nicht nachgewiesen. Darf ich dazu aber darauf aufmerksam machen, daß in Ihren eigenen Forderungen im Bundestagswahlkampf noch am 20: August 1969 von Ihnen veröffentlicht wurde: Dementsprechend wird vorgeschlagen, das Kindergeld ab 1. Juli 1970 mit dem Inkrafttreten des Ausbildungsförderungsgesetzes zu erhöhen. Das war Ihre eigene Aussage, und insofern kann ich mich natürlich auch darauf beziehen. Hier gibt es gewisse Widersprüche zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was hier schwarz auf weiß steht.
Nun zu dem anderen Problem: Beseitigung des sogenannten „Pennälergehalts" und Ersatz dafür. Sie wissen genau wie wir alle, daß das Ausbildungsförderungsgesetz der Ersatz dafür ist und daß wir mit dem Ausbildungsförderungsgesetz zu einer gezielten Ausbildungsförderung gekommen sind

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und daß es, beginnend ab 1. Juli 1971, für die Zeit ab 1972 dieselben Beträge ausmacht. Darf ich darauf aufmerksam machen, daß in der mittelfristigen Finanzplanung für die Ausbildungsförderung 1971 422, 1972 571, 1973 822,6 Millionen DM vorgesehen sind. Das ist doch ein Schritt in dieser Richtung und das ist doch die Ablösung des Gießkannenprinzips, das in der damaligen Förderung herrschte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Außerdem noch folgender Hinweis. Sie haben kritisiert, daß diese Bundesregierung Steuersenkungen angekündigt hat. Nun rechnen Sie bitte einmal nach — lassen Sie sich die Zahlen vom Finanzministeriumgeben —, wie viele Familien auch von der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags profigieren werden.

(Abg. Baier: Und die Ergänzungsabgabe?)

Das ist eine ziemlich große Anzahl. Es trifft genau die Familien, die bisher von der Erhöhung des Kindergeldes am wenigsten hatten und es eigentlich am meisten nötig hatten, nämlich die Zwei-KinderFamilien mit den niedrigen Einkommen.

(Abg. Bader: Sprechen wir von der Ergänzungsabgabe, dann schaut es anders aus!)

In dem von Ihnen vorgelegten Gesetz ist für sie überhaupt keine Erhöhung des Kindergeldes vorgesehen. Dies scheint mir auch nicht gerade der Ausdruck besonderer sozialer Gerechtigkeit zu sein.

(Abg. Baier: Wie ist es mit der Ergänzungsabgabe?)

Ich wollte auf diese Dinge im Zusammenhang mit diesem Teil Ihres Beitrags zu dieser Auseinandersetzung aufmerksam gemacht haben. Ich betone noch einmal, daß sich Familienpolitik nicht im Familienlastenausgleich erschöpfen kann; die gesamte Politik der Bundesregierung muß der Familie dienen, insbesondere auch die Politik, die auf Stabilität und Wachstum in der Wirtschaft ausgerichtet ist, denn davon profitieren die Familien am meisten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603140600
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Kempten).

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0603140700
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundesminister Strobel hat schon eine ganze Reihe von Korrekturen an Ihren Aussagen, Herr Baier, angebracht. Ich darf dazu noch einige Bemerkungen anfügen. Ich darf Sie zunächst einmal bitten, im Protokoll der 142. Sitzung des Deutschen Bundestags, 5. Wahlperiode, nachzulesen, was Frau Pitz-Savelsberg für die Fraktion der CDU/CSU gesagt hat, als sie, wenn auch bedauernd, die Zustimmung der CDU/CSU zum Wegfall des damaligen 400-Millionen-DM-Gesetzes ausgesprochen hat. Bitte lesen Sie es auf Seite 7321 dieses Protokolls nach. Damit ist doch schon deutlich geworden — wie auch jetzt wieder in den Worten von Frau Bundesminister Strobel —, daß es eben diese Bundesregierung war und daß es eben die Fraktionen waren, die diese Bundesregierung tragen, die in einer Regierungserklärung — wie Sie sagten — wenig, aber etwas zur Familie gesagt haben, während es Herr Bundeskanzler Kiesinger überhaupt nicht für nötig befunden hatte, die Familie in seiner Regierungserklärung anzusprechen.

(Sehr wahr! bei der FDP.)

Vielleicht denken Sie darüber einmal nach, oder vielleicht lesen Sie einmal nach, was Ihr damaliger Kollege Wuermeling zu den familienpolitischen Vorstellungen der damals von Ihrem Bundeskanzler geführten Bundesregierung gesagt hat. Oder ist Ihnen das alles entfallen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie mal vor!)

Lassen Sie mich ein zweites sagen, Herr Kollege Baier. Sie haben im Zusammenhang mit dem Problem der Ausbildungszulage oder, wie man damals sagte, des Schülergehalts und seiner Abschaffung in Richtung auf die Freien Demokraten ein sehr böses Wort gesagt. Es klang so, als ob wir Freien Demokraten bisher am wenigsten für die Familienpolitik gesagt und getan hätten.

(Abg. Baier: Das ist leider eine Erfahrung!)

Ich will Ihnen dazu eines sagen. Wir haben uns — das sage ich ganz offen — für dieses 40-DM-Gesetz nie besonders stark gemacht. Meine Damen und Herren, was 'bedeuten denn 40 DM dort, wo für die weitere Ausbildung bzw. Fortbildung viel mehr notwendig ist, und was bedeuten 40 DM dort, wo sie nicht notwendig sind? Die FDP hat ja deshalb als erste Partei — sehr bald folgte dann die sozialdemokratische Fraktion — .ein Ausbildungsförderungsgesetz vorgelegt, das eine wirkliche echte Ausbildungsförderung — nicht nach dem Gießkannenprinzip, wie Sie es wollten — vorsah. Deshalb haben wir damals gesagt: Dieses 40-DM-Gesetz soll wegfallen! Wir sind statt dessen für ein Ausbildungsförderungsgesetz eingetreten, das einen Schwerpunkt in der Familienpolitik darstellt und vom finanziellen Sektor her eine echte Förderung der Schul- und Berufsausbildung vorsieht. Vielleicht erinnern Sie sich einmal daran, wie Ihr Fraktionsvorsitzender seinerzeit bemüht war, sowohl uns als auch der SPD die Vorlage eines solchen Ausbildungsförderungsgesetzes auszureden. Er war



Schmidt (Kempten)

sogar bemüht, ein Zurückziehen dieser Entwürfe bei den beiden anderen Fraktionen dieses Hauses zu erreichen. Sie werden das feststellen, wenn Sie einmal in den Protokollen nachlesen.
{Abg. Baier: Aber Sie wissen doch, daß wir
vor zwei Jahren noch gar keine Kompetenzen hatten, um ein Ausbildungsförderungsgesetz in der heutigen Form zu verabschieden!)
— Herr Kollege Baier, Sie wissen aber auch, daß es gerade meine Fraktion war, die in allen diesen Fragen immer um mehr Kompetenzen gerungen hat und entsprechende Anträge gestellt hat.

(Abg. Baier: Erst die Kompetenzen und dann das Gesetz!)

Wer hat denn die Mehrheiten für solche Änderungen meistens blockiert, wenn wir die bildungspolitischen Möglichkeiten im Rahmen des Grundgesetzes verstärken wollten? War das vielleicht die FDP-Fraktion? War das vielleicht die SPD-Fraktion? War es nicht vielmehr die CDU/CSU-Fraktion, die lange Zeit als Bremser gewirkt hat?
Herr Kollege Baier, noch einige wenige Worte zu den von Ihnen auch wieder aufgeworfenen Fragen der Kriegsopferversorgung. Ich hatte es für klüger gehalten, wenn dieses Thema von Ihnen hier nicht noch einmal angesprochen worden wäre, weil ich mich an eine noch gar nicht allzu lange zurückliegende Debatte erinnern kann, in der von Ihrer Seite — nicht von Ihnen, aber von seiten Ihrer Fraktion — auch große Töne gesprochen worden sind und in der wir dann nachweisen mußten — ich habe das mehrmals tun müssen, damit es deutlicher wurde —, daß von der CDU/CSU im vergangenen Jahr zwar sehr viel im Hinblick darauf gesagt wurde, was am 1. Januar 1970 geschehen sollte, daß aber die Mittel, die eingesetzt wurden bzw. beantragt wurden, in keiner Weise ausreichend waren. Wissen Sie nicht mehr, daß Herr Katzer eine Anhebung von 12 % beantragte und daß Herr Strauß sie auf 10 % herunterstrich? Haben Sie das alles nicht mit gehört in diesem Hause? Haben Sie nicht mit gehört, wie Herr Kollege Schellenberg diese Zahlen verlesen hat? Von Ihnen wurde lediglich geredet, aber die notwendigen Mittel wurden nicht zur Verfügung gestellt. Die jetzige Bundesregierung erst mußte es fertigbringen, die Mittel für die von uns seit langem geforderte Anhebung der Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1970 zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie wollen uns doch nicht erzählen, daß der Versuch über den Bundesrat eine ätherisch reine und saubere Sache für die Kriegsopfer war. Das war doch reine Schau. Ich freue mich nur, daß sich inzwischen eine Reihe von Bundesratsmitgliedern — auch aus Ihrer Partei — kürzlich in einem Fernsehinterview davon distanziert haben, den Bundesrat wieder zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen, die 'in dieses Haus gehören, zu machen und ihn so seiner Aufgabe, die Kompetenzen und Interessen der Länder zu vertreten, zu entkleiden. Man kann nur froh sein, daß das inzwischen geschehen ist. Ich hoffe, daß das der einzige, allerdings — Sie haben es gesehen — untaugliche, Versuch gewesen ist, etwas, was Sie hier nicht erreicht haben, auf Bundesratsebene vielleicht noch zu erreichen.
Das einzige, was Sie damit erreicht haben, ist die Tatsache, daß die Kriegsopferrenten um Monate später ausgezahlt werden können. Nur in Bayern können die Renten noch verhältnismäßig zeitig ausgezahlt werden. Ich erwähne das, damit die CSU nicht sagt, in Bayern gehe es schneller. Dort werden die Dinge zufälligerweise über Computer gemacht. In den anderen Teilen der Bundesrepublik liegt der Zeitpunkt der Auszahlung Monate später. Das wäre alles nicht notwendig gewesen, wenn das, was Sie heute behauptet haben, stimmte, wenn die Mittel eingesetzt worden wären, wenn Sie nicht zusätzlich noch auf die Bremse des Bundesrates getreten hätten und wir einen gemeinsamen Weg hätten gehen können.
Die von Ihnen vielleicht als sozialpolitische Runde gedachten Ausführungen waren nur eine Bestätigung dafür — ich will nicht noch einmal aufzählen, was der Kollege Seidel auf Grund der Haushaltsentwicklung bereits deutlich gemacht hat —, daß es in dem sozialpolitischen Etat, der Ihnen heute vorliegt, keine echten Angriffspunkte gibt, daß es keine echten Angriffschancen gibt sondern daß man Dinge hervorholen muß, die sich dann bei Nachkontrolle als Rohrkrepierer herausstelle n. Das tut man offenbar immer in der Hoffnung, daß nach dem Motto, daß, was ich gestern gesagt habe, morgen keiner mehr weiß, die Öffentlichkeit vielleicht glaubt, Sie hätten es damals besser gewollt.

(Beifall bei den Regierungsparteien).

Wenn Sie es gewollt haben, dann zeigen Sie mir die Zahlen in den Fortschreibungen der vergangenen Jahre unter Ihrem Bundeskanzler und unter Ihrem Finanzminister, die dem entsprechen.

(Abg. Baier: Teil der mittelfristigen Finanzpolitik!)

— Wir sprechen von den letzten Jahren, als diese Leistungen, die wir jetzt erbringen, von Ihnen hätten erbracht werden können. Sie hätten die Mittel einsetzen können. Das ist nicht geschehen, sie standen nicht im Haushalt. Man kann nicht über Familie,
Familienlastenausgleich, Familienpolitik bloß eine Schau abziehen und dann nicht gleichzeitig die Mittel einsetzen. Man kann den Kriegsopfern nicht immer bloß Versprechungen machen und dann zuwenig Mittel dafür einsetzen und hinterher behaupten, das habe man ja alles gewollt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0603140800
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0603140900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Baier, die Tatsache, daß Sie es für ratsam gehalten haben, die — ich kann nicht anders sagen — Tragikomödie der damaligen Ausbildungszulage oder, wie der Volksmund sagt, das Pennälergehalt hier zum Gegenstand



Dr. Schellenberg
der Diskussion zu machen, zwingt mich, Ihnen die Fakten zu nennen: 1. eingeführt durch Gesetz vom 5. April 1965 40 DM pro berechtigtes Kind; 2. Betrag herabgesetzt am 1. Juni 1966, als Sie die führende Regierungspartei waren, von 40 auf 30 DM, bei Beginn der Rezession; 3. wurde dann durch das Finanzplanungsgesetz, angenommen von den Parteien der Großen Koalition, mit Wirkung vom 1. Januar 1967 der Personenkreis der Berechtigten halbiert; 4. wurden durch das Haushaltsgesetz 1967, dem die CDU/CSU doch sicher zugestimmt hat, alle Zahlungen für Ausbildungszulagen für die Zeit vom 1. Juli 1967 bis 31. Dezember 1967 ausgesetzt, und 5. schließlich formell wurde die Ausbildungszulage aufgehoben durch das Finanzänderungsgesetz, dem die beiden damaligen Regierungsparteien zugestimmt haben. Das ist die traurige Geschichte der Ausbildungszulage, ein Beispiel für eine fehlerhafte Konzeption, die nach dem Gießkannenprinzip gestaltet wurde.
Es gab dann ein hartes Ringen — Herr Kollege Schmidt (Kempten) hat es bereits angedeutet— um eine echte gezielte Ausbildungsförderung. Ich will hier nicht alle Details aus den Beratungen der damaligen Koalition vortragen. Aber es ist ja der damaligen Opposition nicht unbekannt geblieben, daß es die CDU/CSU war, ihr damaliger Bundesfamilienminister, ihr damaliger Finanzminister, die mit so erheblichen zahlenmäßigen Größenordnungen bezüglich der Ausbildungsförderung operierten, die bezwecken mußten, die gezielte Ausbildungsförderung überhaupt unmöglich zu machen.
Herr Kollege Baier, ich werde nachher zur Bestätigung dieser Behauptung ein Schreiben von Herrn Barzel persönlich zeigen, das er seinerzeit an unseren Fraktionsvorsitzenden gerichtet hat.

(individuelle Ausbildungsförderung zum Gesetz werden zu lassen. Herr Kollege Baier, es wäre doch ein Gebot der Fairneß gewesen, anzuerkennen, daß diese Regelung, der Sie selbst zugestimmt haben, einen enormen Fortschritt gegenüber dem Pennälergehalt bedeutete. Wenn Sie, meine Damen und Heren, in die mittelfristige Finanzplanung hineinschauen, die heute Gegenstand der Beratungen ist, und die Ausbildungsförderung insgesamt betrachten, so zeigt sich, daß die Mittel von 119 Millionen DM im Jahre 1969 — da ist die Studentenförderung dabei — auf 989 Millionen DM im Jahre 1973 erhöht werden. Das ist eine gewaltige Steigerung der Mittel für Ausbildungsförderung, und es ist deshalb einfach falsch — Ich komme gleich zum Kindergeld. Bisher hat die CDU/CSU, beispielsweise in der gesamten letzten Legislaturperiode, die Ausbildungsförderung zum Familienlastenausgleich gerechnet. Für Sie war und ist Ausbildungsförderung stets ein Teil des Familienlastenausgleichs. Wenn die CDU/CSU, Herr Kollege Baier, diese Auffassung, wie ich annehme, heute noch vertritt, dann müssen Sie auch die Mittel, die jetzt zusätzlich für die Ausbildungsförderung gewährt werden sollen, in den Gesamtzusammenhang des Familienlastenausgleichs stellen. Ich will Ihnen die Zahlen aus der mittelfristigen Finanzplanung vorlesen. Für 1969 sind an Kindergeld plus Ausbildungsförderung '2,88 Milliarden DM eingesetzt, für 1973 4,59 Milliarden DM. Das ist innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung eine Steigerung um 58 %. Und da stellen Sie sich hier hin und operieren mit 3,3%! Das ist einfach unfair! (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Immer wieder die alten Ladenhüter! — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist die Wahrheit!)


(Abg. Baier: Da haben Sie alles zusammengerechnet; das ist nicht nur Kindergeld!)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Baier, Sie sollten auf Grund dieser Fakten, die Sie nachlesen können, zugeben,

(Zuruf des Abg. Baier)

daß die Familienpolitik in ihrer Gesamtheit, die in einer Zeit, in der die CDU den Familienminister stellte, gröblich vernachlässigt wurde, jetzt auch finanzpolitisch aktiviert wird, auch im Hinblick auf die Teilleistung Kindergeld.
Sie haben die Frage an uns gerichtet, ob wir zum Entschließungsantrag betreffend Neuordnung des Familienlastenausgleichs stehen.
— Wir stehen nicht nur zu dem Entschließungsantrag, sondern die von uns getragene Bundesregierung führt den Entschließungsantrag durch.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.) — Jawohl!


(Abg. Baier: Unvollkommen!)

In diesem Entschließungsantrag heißt es sinngemäß: . . . unabhängig von der Gesamtkonzeption Kindergeld und Steuererleichterungen für die Familie zu einer einheitlichen, umfassenden Reform des Familienlastenausgleichs zu koordinieren

(Abg. Leicht: Ab 1. 1. 1970!)

und sicherzustellen, daß im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung eine Verbesserung des Kindergeldes schon im Laufe des Jahres 1970 wirksam werden kann. — Das ist der damalige Entschließungsantrag, und den führt die Bundesregierung mit dem vorgelegten Haushaltsplan und der mittelfristigen Finanzplanung durch,

(Abg. Dr. Althammer: Im Dezember!)

und zwar in einer Größenordnung, die die letzte mittelfristige Finanzplanung wesentlich übersteigt. Für das Jahr 1972 waren damals beispielsweise 200 Millionen DM eingesetzt; jetzt sind es jährlich 400 Millionen DM. Die Regierungsvorlage sieht nicht nur einen früheren Beginn, sondern auch eine Steigerung des Volumens für Kindergeld gegenüber der letzten mittelfristigen Finanzplanung vor.
Oder nehmen Sie den Gesamtansatz für Kindergeld in der mittelfristigen Finanzplanung für den Vierjahreszeitraum! Er erhöht sich von 12,2 Milliar-



Dr. Schellenberg
den DM in der letzten mittelfristigen Finanzplanung auf 13,4 Milliarden DM in der jetzigen mittelfristigen Finanzplanung. Das ist eine Erhöhung um 1,2 Miliarden DM. Das Volumen von Kindergeld plus Ausbildungsförderung erhöhte sich von 13,3 Milliarden DM auf 15,4 Milliarden DM. Diese Erhöhung um 2,1 Milliarden DM bei einer einzigen Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung ist eine familienpolitische Leistung, die sich sehen lassen kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baier: Die Ausbildungsförderung haben wir doch in der letzten Regierung beschlossen, in der Großen Koalition! Stecken Sie sich doch nicht die Federn auf Ihren Hut!)

— Sie haben das in der Großen Koalition beschlossen? Ich kann Ihnen sagen: Bei starken bremsenden Tendenzen in Ihrer Fraktion haben wir es schließlich hingekriegt. Wir haben das gemeinsam getan, auch unter Mithilfe der damaligen Opposition, der FDP.
Herr Kollege Baier, Sie haben noch etwas gesagt, das ich klarstellen muß. Sie haben hier vom Kriegsopferanpassungsgesetz gesprochen und wollten nochmals das verteidigen, was Sie damals an nicht sehr Ausgewogenem beantragt haben. Die Ansätze dieser mittelfristigen Finanzplanung sehen für das Jahr 1969 für die Kriegsopferversorgung 5,9 Milliarden DM und für das Jahr 1973 7,8 Milliarden DM vor. Das ist eine Steigerung der Kriegsopferleistungen um 30 % für einen dann um 140 000 Leistungsberechtigte verringerten Personenkreis. 30 Prozent Steigerung auf Grund des Prinzips der Dynamisierung der Kriegsopferleistungen! Meine Damen und Herren der CDU/CSU, die sie damals an den Ausschußberatungen teilgenommen haben, geben Sie doch zu, daß Sie damals schwerste Bedenken hatten, ob es überhaupt möglich sei, die Dynamisierung finanzpolitisch zu verkraften! Sie haben den Herrn Bundesfinanzminister in Iden Haushaltsausschuß zitiert, um von ihm die Bestätigung zu erhalten. Der Minister erklärte: Jawohl, finanziell wird es klappen. Es klappt tatsächlich, und es wird durch die Dynamisierung eine so wesentliche Leistungserhöhung erreicht. Im Hinblick darauf muß ich Ihnen, Herr Kollege Baier, sagen: Wenn die CDU/ CSU damals — ich glaube, es war am 12. Dezember vergangenen Jahres — über die jetzt eingeplante enorme Steigerung um 30 % innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung hinaus noch weitere Leistungssteigerungen in der Größenordnung von 1,5 Milliarden DM in 17 Abstimmungen, beantragte, dann zeigt das, daß Sie nicht getragen waren von der notwendigen finanzpolitischen Verantwortung,

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Nein, von anderen Vorstellungen!)

die diesen Haushalt und diese mittelfristige Finanzplanung bestimmt.
Noch ein Wort zum Schluß, damit das Haus Größenordnungen würdigen kann. Die gesamten Aufwendungen für die soziale Sicherung werden sich nach der mittelfristigen Finanzplanung von
25,1 Milliarden DM im Jahre i1969 auf 35,4 Milliarden DM im Jahre 1973 erhöhen. Das ist eine Steigerung um über 40 %. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie bei einer Diskussion über den Sozialhaushalt diesen Tatbestand mit keinem Worte würdigen, sondern nur Kritik um der Kritik willen üben, das ist ein schlechter politischer Stil.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

Der Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung zeigen gerade für den Bereich der Gesellschaftspolitik, daß die Bundesregierung ernst macht mit ihrer Zusage, eine Politik der inneren Reformen in Gang zu bringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603141000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krampe.

Wilhelm Krampe (CDU):
Rede ID: ID0603141100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Seidel hat soeben den Haushaltsplan des Arbeits- und Sozialministeriums als einen Entwurf herausgestellt, der jetzt unter der neuen Leitung des Arbeitsministeriums zu neuen Fakten, zu neuen Ufern führe, weil er neue Tendenzen aufweise.
Der Kollege Seidel verkündete, daß dieser Haushalt 2 Milliarden DM mehr als in den vergangenen Jahren enthalte. Ich möchte auf die Dinge hinweisen, die in diesen 2 Milliarden DM verborgen sind. Für die Kriegsopferversorgung sind davon 930 Millionen DM abzusetzen. Die Umschichtung vom Bundesinnenministerium in das Bundesarbeitsministerium und damit in die Ausweitung des Haushalts des Bundesarbeitsministeriums sind mit 427 Millionen DM anzusetzen. Das, was auf gesetzlichen Verpflichtungen beruht, nämlich die Erhöhung der Rentenversicherungszuschüsse wie auch der Zuschüsse im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen der Lohnfortzahlung, macht weitere 600 Millionen DM aus. Das ergibt allein schon 1950 Millionen DM, und damit schrumpft all das, was hier mit Stolz als neue Fakten, neue Ufer und neue Tendenzen verkündet wurde, ein bißchen in sich zusammen.
Was bleibt, ist ein Aufpfropfen auf bereits vorhandene Positionen, auch des Jahres 1969. Was jedenfalls für uns bleibt, nachdem dieser Haushalt vorgelegt wurde, ist die Frage nach den neuen Tendenzen, nach den neuen Ufern, und da werden wir hoffentlich im Laufe dieser Lesung oder der zweiten Lesung einiges mehr von seiten des Herrn Bundesarbeitsministers oder des Herrn Bundesfinanzministers erfahren.
Auch ist zu überlegen, wo die neuen Ansätze sind. Der Herr Kollege Seidel hat das dankenswerterweise punktuell aufgezählt. Er sprach zunächst davon, daß die Erhöhung der Kriegsopferleistungen wesentlich zu Buche schlägt. Hier ist oft gesagt worden, auch am heutigen Abend wieder, daß alle Parteien gerade für diesen Bereich im Wort ständen und daß die Koalitionsfraktionen ihren Willen



Krampe
durchgesetzt hätten. Die Fraktionen selbst haben schon vor und während der Wahlen, aber auch nach den Wahlen, beim Anlaufen der jetzigen Parlamentsperiode klipp und klar zu dieser Verbesserung der Kriegsopferleistungen ja gesagt. Das ist also nichts Neues.

(Abg. Liehr: Und die Dynamisierung der Renten?)

Ein Zweites. Die Rentenkapitalisierung findet außerhalb des Haushalts statt. Aus dem Haushalt werden 120 Millionen DM herausgenommen. 30 Millionen Bindungsermächtigungen werden herausgenommen. Schauen Sie sich einmal die überplanmäßigen Ausgaben des vergangenen Jahres an! Sie werden auf 150 Millionen DM kommen. Das bedeutet genau das, was heute morgen der Kollege Leicht und der Kollege Strauß gesagt haben, nämlich daß der Haushalt außerhalb des vorgelegten ein wenig ausgeweitet wird. Das ist also auch nicht neu. Wenn Sie jetzt einen kritischen Zwischenruf machen würden, würde ich Ihnen sagen, daß wir uns mit dieser Frage letzten Endes auch schon in der Diskussion im Jahre 1969 beschäftigt haben.
Zu der Steigerung der Bundeszuschüsse für die Sozialversicherung ist zu sagen, daß in dieser Zuschußsteigerung 90 Millionen DM für den Bereich der Knappschaft drin sind, wofür ja der Bund letzten Endes die Defizithaftung übernommen hat. Diese 90 Millionen DM mußten für den zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag in der Knappschaftversicherung eingesetzt werden, weil der Bund hier eindeutig die Defizithaftung übernommen hat.
Kein Wort, nicht einmal ein Wort der Entschuldigung ist in Richtung auf Ersatz des Verlustes gesagt worden, den die Sozialversicherungsträger der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung durch den zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag erleiden. Dazu hatte der Finanzminister nichts zu sagen, und auch der Arbeitsminister hatte nichts zu sagen. Hier entstehen Kosten, die letzten Endes zu Belastungen für diejenigen werden, die sozialversicherungspflichtig sind, auch bei geringerem Einkommen. Diese müssen also dafür geradestehen, was an unkontrollierten Aussagen des Arbeitsministers gemacht wurde. Das ist also auch nicht neu.
Viertens zur Rehabilitation. Herr Professor Schellenberg, Sie wissen, daß das eine der Aufgaben war, die sich unser verflossener Arbeitsminister und jetziger Sprecher Hans Katzer immer wieder vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang darf ich auch noch daran erinnern, daß die Eingliederungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer anzusprechen sind. Ich will nur darauf hinweisen, daß auch das nicht neu, sondern bereits vorvollzogen worden ist. Ein Aufpfropfen kann man nicht als Erneuerung bezeichnen.
Als fünfter Punkt wurden Rationalisierung und Automation herausgestellt. Sich damit zu beschäftigen heißt einmal die Hintergründe aufzuzeigen, weshalb heute im Haushalt einige Ansätze dort stehen: weil die Voraussetzungen zur Forschung und
Förderung in diesem Bereich unter Hans Katzer geschaffen worden sind. Das ist also auch nicht neu.
Was sechstens den Bereich Arbeitsaufnahme in Berlin betrifft, so heißt es schlicht und einfach: Verbesserung der Richtlinien. Auch nicht neu!

(Abg. Liehr: So einfach ist das!)

— Schauen Sie einmal nach! Sie müssen die Daten in der Begründung, das, was klein gedruckt ist, auch einmal lesen. Dann werden Sie einige Daten darin lesen und feststellen, daß das nicht neu ist.
Neu ist allerdings — siebtens — der Ansatz von 60 000 DM zur Förderung des deutsch-japanischen Arbeitnehmeraustausches. Damit sollen Flugkarten finanziert werden. Dafür — und das ist neu — wird nicht mehr die Richtung verfolgt, den Jungarbeiteraustausch innerhalb Europas im Rahmen der EWG-Länder zu vollziehen und zu forcieren, nämlich dadurch, daß man die Mittel gestrichen und dort einen Leertitel angesetzt hat.
Achtens. Der zivile Ersatzdienst ist, das glaube ich sagen zu dürfen, eine Sorge, die alle Parteien und alle Fraktionen dieses Hauses tragen. Wir sollten in vernünftigen, sauberen und soliden Gesprächen diesen Dingen einmal nachgehen, damit sie möglichst bald in Ordnung gebracht sind.
Interessant ist — das hat ebenfalls Kollege Seidel gesagt —, daß der Bund seinen Rückzug aus der Finanzierung der sozialen Leistungen gestoppt habe. Ich darf daran erinnern, daß es noch unter dem Arbeitsminister Hans Katzer gelungen ist, seitens des Bundestages bzw. der Bundesregierung — damals in der alten mittelfristigen Finanzplanung — das auszuhandeln, was zur Wiederaufstockung der Bundeszuschüsse an die Sozialversicherungsträger ab 1972 notwendig ist. Damit steigt der Bund — ich darf es einmal so sagen — wieder in die bessere Finanzierung unserer sozialen Sicherheitsmaßnahmen ein. Das führt dann zu der Möglichkeit, zu sagen, daß der Rückzug des Bundes bezüglich der Finanzierung unserer sozialen Leistungen gestoppt sei.
Weil einiges an wesentlichen Fragen, Projekten, Aussagen im Regierungs- und im Wahlprogramm fehlt und sich weder im Haushalt noch in der Finanzplanung niederschlägt, muß insgesamt herausgestellt werden, daß das, was hier seitens der Sozialdemokratie zum Haushalt gesagt wurde, ein Eintreten in die Flucht nach vorn war, die man mit der realisischen Einschätzung der finanziellen Möglichkeiten begründet. Von den finanziellen Möglichkeiten her gesehen gibt dieser Haushalt, vom Finanzministerium gespeist, nicht viel her.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603141200
Meine Damen und Herren, als letzter Redner in der heutigen Debatte hat sich der Abgeordnete Strauß gemeldet.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603141300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Eigenart der Geschäftsordnung veranlaßt mich, die Klarstellungen



Strauß
eben ratenweise zu geben. Das ist die vorläufig letzte, kann ich trostvoll versichern. Es handelt sich hier um das vom Bundesfinanzminister angeschnittene Problem der Konjunkturausgleichslage im Jahr 1969. Zu dem Vorwurf, es sei im Jahre 1969 keine Konjunkturausgleichsrücklage gebildet worden, muß ich folgendes feststellen. Der Kollege Möller kann sich bei Nachfrage im eigenen Hause bei den richtigen Beamten vergewissern, ob dem so ist oder nicht.
Es war von Anfang an geplant, die Konjunkturausgleichsrücklage 1969 im Dezember zu bilden. Ich verweise hier, Herr Kollege Möller, darauf, daß die Länder, soweit sie Zuführungen zur Konjunkturausgleichsrücklage gemacht haben, diese Zuführungen auch im Dezember vorgenommen haben. Was der Bund an Kassenüberschüssen hatte, lag bis dahin ohnehin bei der Deutschen Bundesbank, sollte aber dann bei Jahresende in eine Konjunkturausgleichsrücklage eingebracht werden. Darum muß ich den Vorwurf, daß keine Konjunkturausgleichsrücklage gebildet worden sei, auf den zuführen, der im Dezember 1969 Bundesfinanzminister gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Daß die Mittel dafür nicht mehr vorhanden waren, hängt andererseits mit den Vorgängen zusammen, über die wir uns heute vormittag unterhalten haben, daß im Dezember 1969 unter Vorziehung von Ausgaben — zum großen Teil ohne rechtliche Verpflichtung — 5 Milliarden DM mehr ausgegeben worden sind als im Monatsdurchschnitt von Januar bis November. — Soviel zur Frage: Konjunkturausgleichsrücklage, oder nein.
Zu der zweiten, damit verbundenen Frage, Herr Kollege Möller, haben Sie das Sachverständigengutachten zu Hilfe ziehen wollen. Aber es ist für Sie in diesem Zusammenhang leider nicht hilfreich. Es kann von Ihnen dafür nicht angezogen werden. Ihre Berufung auf den Sachverständigenbericht 1969 ist unberechtigt. Dort steht, ausdrücklich, daß die Verwendung von Steuermehreinnahmen zur Tilgung kurzfristiger Schulden außerhalb des Zentralbanksystems kein Beitrag zur Konjunkturdämpfung ist. Bei den Schulden, die wir im Jahre 1969 zurückgezahlt haben, handelt es sich um U-Schätze. Das sind Mobilisierungspapiere mit einer 18monatigen oder kürzeren Laufzeit, die von den Banken jederzeit bei der Zentralbank eingereicht werden konnten und dort refinanziert werden mußten.
Ich darf Ihnen deshalb sagen, daß sich der damalige Bundesbankpräsident an die Bundesregierung an mich gewandt hat und auf die Frage: Wem geben Sie den Vorzug, Konjunkturausgleichsrücklage oder Tilgung aller kurzfristigen Schulden dieser Art? erklärt hat: Sie würden meine Politik besser unterstützen, wenn Sie die U-Schätze vom Markt nähmen, als wenn Sie die Konjunkturausgleichsrücklage bildeten. Darum wollten wir zunächst alle U-Schätze bei Fälligwerden tilgen und den Rest im Dezember in die Konjunkturausgleichsrücklage einbringen. Ich verweise Sie darauf — und ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen —, daß — —

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Ein Kabinettsbeschluß !)

— Nein, das war kein Kabinettsbeschluß. Aber ich habe es im Kabinett vorgetragen, und im Kabinett hat niemand dem widersprochen. Also konnte ich davon ausgehen, daß das gesamte Kabinett dem zustimmen würde.
Lesen Sie den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Juni 1969 nach! Dort steht ausdrücklich — ich zitiere —:
Mit der Reduzierung des Umlaufs an U-Schätzen und Kassenobligationen, d. h. an Schuldtiteln, die sich fast ausschließlich im Bestand von Banken befinden und die in die Geldmarktregulierung der Bundesbank einbezogen sind, haben sich uno actu auch die Liquiditätsreserven der Kreditinstitute verringert.
So der Monatsbericht der Bundesbank vom Juni 1969.
Ferner verweise ich Sie auf die „Aktuellen Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik", Bonn, 4. August 1969, letzter Absatz. Dort heißt es:
Im Ergebnis wirkt die Einlösung fälliger U-Schätze durch den Bund nicht viel anders, als wenn der Bund Überschüsse in einer Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank festlegen würde.
Ich verweise Sie schließlich noch auf den Artikel des Generalbevollmächtigten der Dresdner Bank, AG Kurt Riechebächer, im „Volkswirt" vom September des letzten Jahres unter der Überschrift „Geldabschöpfung durch Schuldentilgung". Ich kann diesen Artikel der Länge wegen nicht verlesen. Dort heißt es, daß Schuldentilgung, und zwar Tilgung der U-Schätze, liquiditätsmäßig identische Wirkungen mit der Einbringung desselben Betrages in die Konjunkturausgleichsrücklage habe.
Nach dieser Klarstellung hoffe ich, daß jetzt endlich dieses Märchen von der nicht gebildeten Konjunkturausgleichsrücklage und der dadurch künstlich vermehrten Liquidität ein Ende nimmt, weil es beim besten Willen nicht mehr haltbar ist und Ihre Annahme, daß das außerhalb des Zentralbanksystems sei, eben falsch ist. Weil die Prämisse falsch ist, sind auch die Schlußfolgerungen falsch, Herr Kollege Möller. So liegt dies in Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich komme zu einem zweiten Punkt, den ich heute nur kurz erwähnt habe. Es macht nicht nur auf mich, Herr Kollege Möller, einen peinlichen Eindruck, daß in einem Interview, das Sie dem „Stern" gegeben haben — — Ich meine nicht, es macht einen peinlichen Eindruck, daß Sie dort über den Schellenkönig gelobt werden; das gönne ich Ihnen sehr gerne. Ich hoffe nur, daß Sie nicht vom „Stern" zum „Mann des Jahres" gemacht werden. Da gibt es nämlich gefährliche Vorbilder: einmal war es schon Herr Karl Schiller, einmal war es der Herr Dubček, einmal war es Gerhard Schröder. Es ist ein hohes Berufsrisiko, im „Stern" zum „Mann des Jahres" ernannt zu werden.
Wenn es dort weiterhin heißt, daß nun Alexander der Große Karl den Großen verdrängt habe — gut,



Strauß
dagegen habe ich auch nichts einzuwenden. Wenn es aber dann dort weiterhin heißt, Sie würden Ihre Gastwirtsrechnungen zerreißen, weil Sie wüßten, daß die Industriellen sie nachher von den Kellnern kauften, um sie von der Steuer abzuziehen, dann ist das doch eine etwas sehr unangenehme Verallgemeinerung möglicherweise vorkommender bedauerlicher Einzelereignisse. So steht es nämlich hier drin.
Sie haben sich dann von den Angriffen gegen die Beamten, die Sie dort „wiedergegeben" haben, erfreulicherweise distanziert, allerdings, nach dem Text Ihrer eigenen Erklärung, wohl unter dem sanften Druck der Personalvertretung und der im Ministerium vertretenen Beamtengewerkschaften. Was hier gesagt worden ist, wäre auch nicht aufrechtzuerhalten gewesen.
Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang zu dem „Stern"-Interview folgendes zu sagen. Peinlich ist es auch deshalb, weil in diesem Interview neben Ihrer Glorifizierung, die ich Ihnen gönne, eine Reihe von ganz schäbigen, miesen Unwahrheiten stehen, um nicht zu sagen: Lügen.

(Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Sehr wahr!)

Es ist auch deshalb Reinlich, weil Sie dadurch in den Verdacht kommen, daß im Gespräch mit Ihnen diese nicht in Anführungszeichen ,stehenden Passagen zustande gekommen sind. Zum Beispiel steht dort, Sie seien der erste Finanzminister, der die Finanzpolitik über die Parteipolitik gestellt habe; bei allen andern — am schlimmsten 'bei mir — sei es umgekehrt gewesen. Ferner wird dort behauptet, ich sei nur einen Tag in der Woche im Ministerium gewesen; ich hätte mir die Dienstpost in die Landesleitung der Bonner CSU, die eis gar nicht gibt — ich sage nicht nur: noch nicht gibt, sondern: nicht gibt —, nachschicken lassen und dort die Routinepost mit der Unterschriftsmaschine unterschrieben. All das sind handfeste Lügen, ,die nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Schließlich darf ich noch ein Wort über das Thema sagen, das heute vom Kollegen Helmut Schmidt angesprochen wurde. Ist er da? — Natürlich nicht. In dem Fall, Herr Berkhan, sind Sie kein ausreichender Vertreter. Es genügt nicht, daß Helmut Schmidt wie ein feuerspeiender Mittelpanzer oder ein tönender Jupiter hereinkommt, dann über Dinge spricht, dann wieder verschwindet und sich nicht mehr anhört, was man dazu zu sagen hat.

(Abg. Baier: Sehr wahr! — Abg. Wienand: Er hat gelernt!)

— Er hat gelernt. — Ich wollte darauf nur folgendes erwidern. Über meine Bemerkungen zu Josef Ertl stand anläßlich der Vilshofener Rede an der ganzen Presse, es sei erstaunlich, wie freundlich ich ihn behandelt hätte. Ich bin beinahe erschrocken und hab mir gedacht, hoffentlich schadet ihm das in der Umgebung nicht. Das war meine erste Reaktion.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Helmut Schmidt hat sich ja heute auch mit innerparteilichen Vorgängen — CDU/CSU, BindestrichZwischenbindestrich, dann Gruppen von Freunden usw. befaßt. Und da kann ich doch einmal in Niederbayern auf die Frage Ihrer eigenen Parteifreunde, Kollege Ertl, eingehen, die mir gesagt haben: Ja, wie kommt denn der in die Regierung hinein? Der hat doch bei uns immer den umgekehrten Eindruck erweckt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Das ist doch die Frage, und mit der Frage ist dann auch eine Kennzeichnung verbunden worden. Das habe ich gesagt, weil Sie sprechen wollten, keinen Saal bekommen haben und ich Sie deshalb gewissermaßen vertreten mußte. Sie kommen ja später dorthin.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Da habe ich gesagt, die einen von der FDP sagen, er ist ein Widerstandskämpfer in dieser Regierung, und die anderen sagen: das ist doch ein Verräter. Und ich habe gesagt, beides trifft nicht zu. Das ist kein Widerstandskämpfer gegen die jetzige Regierung, auch wenn .er am Telefon oft gesagt hat: Ich bin reingegangen, um das Schlimmste zu verhindern.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

So schlimm ist es gar nicht bis jetzt. — Und das zweite: ein Verräter? Ja, da müßte man dann wissen, woran überhaupt ein Verrat geübt werden soll.
Diese 'beiden Dinge, die von Ihren eigenen Parteifreunden — ich könnte Ihnen die Namen unter vier I Augen sagen — an mich herangetragen worden sind, habe ich, gerade weil Sie an diesem Tage nicht reden konnten, von mir aus gesagt. Fahren Sie demnächst runter, sprechen Sie selber in Vilshofen und sagen Sie dann ganz genau, daß Sie weder ,ein Widerstandskämpfer noch das andere sind. Dann 'brauchen Sie's nicht in die Mülltonne zu werfen, aber wir haben das in die Mülltonne geworfen, lieber Herr Ertl, was Sie über den Chef dieser Regierung bei einer Reihe von Gelegenheiten gesagt haben, weil es unfair wäre, das hier zu wiederholen.

(Heiterkeit und Hört! Hört! bei der CDU/ CSU.)

Das, um nur einmal anzudeuten, wo die Grenzen liegen.
Aber ich weiß ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie solche Dinge an solcher Umgebung gelegentlich zustande kommen. Der Kollege Ertl weiß es auch; er weiß es noch viel besser als ich.
Daß es im übrigen, Herr Kollege Wehner, ein Lokalkolorit gibt, das trifft auch zu, wenn Sie in Bayern sprechen; aber ich glaube, doch nicht 'deshalb, weil Sie in Bayern sprechen. Sie haben laut „Franken-Post", einer Ihnen nahestehenden Zeitung, vom Montag, dem 9. Februar — das war also zwei Tage vor Vilshofen —, am Ende einer Konferenz, in der über Probleme des Zonenrandgebiets gesprochen wurde, folgendes — laut Zeitung in Anführungszeichen — gesagt:



Strauß
Herbert Wehner, der trotz seiner Arbeitslast als Vorsitzender ,der größeren Regierungsfraktion von Anfang bis Ende an der Konferenz teilnahm, kleidete dieses Resultat ,auf seine plastische Art in die Worte: „Ihr müßt eben darauf achten, daß nicht die Beamtenärsche auf Aktenvorgängen sitzen, sondern daß Ihr selbst an Ort und Stelle nach idem Rechten seht."

(Heiterkeit.)

Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, ich nehme Ihnen das gar nicht übel. Ich drücke mich zwar manchmal über die Verzögerung von Arbeitsvorgängen sogar etwas gewählter aus, aber ich bin fest überzeugt, daß Sie von Beamtenärschen auf Aktenvorgängen in diesem Hause nicht sprechen würden. Wenn Sie's aber in Bayern machen, sei es Ihnen verziehen. Ich werde mich demnächst bemühen, mit Ihnen zu wetteifern.

(Heiterkeit und Beifall 'bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Dias war eine Übersetzung, Herr Strauß!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603141400
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603141500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von Herrn Kollegen Strauß vorgetragenen Zitat aus dem „Stern" möchte ich bemerken, daß dieses Zitat ebenso unrichtig ist wie die Angaben, die in einer Besprechung mit der Personalvertretung und den zuständigen Gewerkschaften des Bundesfinanzministeriums klargestellt worden sind. Ich habe den „Stern" veranlaßt, diese zwischen beiden Seiten vereinbarte Erklärung in der nächsten Nummer zu veröffentlichen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Im übrigen, Herr Kollege Strauß: Halten Sie mich doch nicht für so töricht, daß ich eine solche Bemerkung über Spesenabrechnungen machen würde, wie sie dort im Wortlaut wiedergegeben worden ist. Ich glaube, Sie unterstellen mir nicht, daß ich das gesagt haben könnte,

(Abg. Ruf: Hätte ich sofort dementiert!)

Nun, Herr Kollege Strauß, haben Sie sich noch zur Konjunkturausgleichsrücklage geäußert. Ich gebe zu: mir ist unbekannt, daß Sie auf dem Standpunkt gestanden haben, diese Konjunkturausgleichsrücklage im Dezember 1969 bei der Bundesbank einzuzahlen. Ich kenne aus den Akten Ihre beiden Briefe an ,den Bundesbankpräsidenten vom 8. und 18. September 1969. Am 8. September haben Sie geschrieben, daß Sie die Konjunkturausgleichsrücklage — 2,4 Milliarden DM —einzahlen wollten, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Beträge zur Tilgung von U-Schätzen anzurechnen, sondern Sie wollten diese Konjunkturausgleichsrücklage durch zusätzliche Schuldenaufnahme realisieren. So in Ihrem Brief vom 8. September.

(Abg. Strauß: Das hätten ja Sie machen sollen!)

— Das hätten Sie mir dann aber in einem netten Brief mitteilen können, daß ich Ihr Vollziehungsgehilfe sein sollte.

(Heiterkeit.)

Aber inzwischen, Herr Kollege Strauß, hatten Sie an den Präsidenten der Bundesbank den Brief vom 18. September geschrieben. Nun hätte ich Sie desavouiert, wenn ich der Aufforderung gefolgt wäre, die Sie eben ausgesprochen haben. Denn am 18. September schrieben Sie Herrn Blessing: „Meiner Absicht, die Konjunkturausgleichsrücklage neben der Tilgung der U-Schätze durch zusätzliche Schuldaufnahmen auf die vollen 2,4 Milliarden DM aufzufüllen" —, von den vollen 2,4 Milliarden DM habe ich heute vormittag schon gesprochen —, „ist durch die Entscheidung des Zentralbankrates die Grundlage entzogen worden."

(Hört! Hört! bei .der FDP.)

Damit konnten Sie mir, wie ich gern zugebe, auch nicht den Brief hinterlassen, der mich aufgefordert haben würde, im Dezember diese Konjunkturausgleichsrücklage zu bilden.
Nun der weitere Punkt: der Streit um die Investitionssteuer. Es hat, glaube ich, keinen Zweck, hier steuerliche Vorlesungen zu halten. Ich will das auch nicht, Herr Kollege Strauß. — Bitte schön!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603141600
Würden Sie Stellung nehmen zu der Frage der Liquiditätsdämpfung durch Tilgung kurzfristiger Schulden?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603141700
In Ordnung! Bin ich völlig Ihrer Meinung. Da muß ich Ihnen zustimmen.
Dann: Streit um die Investitionssteuer! Herr Kollege Strauß, ich bedauere, daß Sie erklärt haben, wenn Ihnen der Erlaß vorgelegt worden wäre, würden Sie ihn unterzeichnet haben. Ich habe das nicht geglaubt. Ich habe immer — das ist nachweisbar — in der Öffentlichkeit erklärt: dieser Vorgang ist weder bis zum Staatssekretär gekommen noch bis zum Minister. Überall, ja.

(Abg. Strauß: Das stimmt doch auch!)

— Ja, natürlich; ich habe das auch überall festgestellt. Wir können noch weiter gehen: das ist von dem Leiter der Abteilung IV entschieden worden ohne Beteiligung des Leiters der Abteilung I. Ein ganz unmöglicher Vorgang, wie Sie mir zugeben werden.

(Abg. Strauß: Wer?)

— Abteilung I, Grundsatzabteilung, leitete damals Herr Vogel.

(Abg. Strauß: Da vertrat der Leiter der Abteilung I eine andere Meinung?)

— Nein, es wird immer so verfahren, daß in solchen Streitfragen die Grundsatzabteilung beteiligt wird, Herr Kollege Strauß; das müssen Sie doch wissen. Ich habe nach diesem Vorgang noch einmal zwischen den beiden Abteilungen klargestellt, daß man gar nicht anders verfahren kann.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Ich habe also geglaubt, Sie würden heute darstellen: wenn Ihnen der Vorgang bekannt geworden wäre, hätten Sie sich schon einmal mit dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages in Verbindung gesetzt, um in einer Sitzung des Finanzausschusses zu klären, 'welche Auffassung der Finanzausschuß auf Grund seiner bisherigen Beratungen zu dieser Auslegung hat. Denn immerhin ist doch beachtlich, daß das Umsatzsteuerreferat eine andere Auslegung des Begriffs des körperlichen Wirtschaftsguts vorgeschlagen hat als das Einkommensteuerreferat, und daß dann der Leiter der Abteilung gegen die Auffassung des Umsatzsteuerreferats entschieden hat. Daß es sich bei der Mehrwertsteuer um eine Umsatzsteuer handelt, kann nicht strittig sein.
Ferner haben Sie beanstandet, daß ich Ihnen die Einlassung von Herrn Falk nicht zur Verfügung gestellt hätte. Sie hätten sie nur anzufordern brauchen,

(Abg. Strauß: Hat sie der „Spiegel" angefordert?)

dann hätten Sie diese Einlassung bekommen, wie Sie auch alles andere bekommen, was Sie anfordern und was Sie an telefonischen Auskünften zu wissen wünschen; das ist Ihnen bekannt.
Nun sagen Sie, ich hätte falsch geschätzt. Herr Kollege Strauß, ich habe überhaupt nicht geschätzt. Die Zahlen, die hier veröffentlicht worden sind, stammen vielmehr aus dem Arbeitskreis „Steuerschätzungen" und datieren vom 20. November 1969 und vom 20. Januar 1970. Ich habe nur diese Zahlen in dem Artikel veröffentlicht.

(Abg. Strauß: Dazu werden Sie mir eine Frage erlauben?)

— Selbstverständlich!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603141800
Wie erklären Sie dann, Herr Finanzminister — ich habe das heute schon erwähnt —, daß Sie als Ausfall für die ersten beiden Jahre der Geltung des Finanzplans zwar 4 Milliarden DM angeben . . .

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603141900
Dazu komme ich jetzt.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603142000
... aber in einem Artikel selber auf 3 Milliarden DM als Ausfall über fünf Jahre durch angeblich falsche Rechtsauslegung zurückgehen? Sie wissen doch ganz genau, warum das so ist. Das, was Sie geschrieben haben, die kassenmäßige Schätzung, hat doch keinerlei Aussagewert.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603142100
Erstens betrifft diese Schätzung nicht 5, sondern 7 Jahre, und sie schließt nicht etwa mit dem Jahr 1972 ab.

(Abg. Strauß: 6 Jahre!)

Verzeihung! 1968, 1969, 1970, 1971, 1972, 1973, 1974.

(Abg. Strauß: 1974 gleich Null!)

— Ja, aber es ist doch eine Schätzung. 1973 z. B. gibt es keine Investitionsteuer mehr. Sie wurde deswegen eingesetzt, weil angenommen wird, daß infolge von Betriebsprüfungen nachträglich noch Beträge hinzukommen. Aus diesem Grund ist auch das Jahr 1974 angegeben worden. Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen" vertritt nämlich die Meinung, daß 1974 ein zusätzlicher Betrag aus der Betriebsprüfung nicht zu erwarten ist.
Nun müssen Sie zunächst berücksichtigen, daß wir im Jahre 1968 einen Steuersatz von 8 % und 1969 von 7 % hatten, der bis 1972 auf 2 % absinken wird. Sie müssen außerdem berücksichtigen, daß ab 1970 — was im Jahre 1968 und 1969 nicht der Fall war — die Länder mit 30 % an der Mehrwertsteuer beteiligt sind und sich dadurch für die folgenden Jahre aus diesen beiden Ursachen ganz andere Berechnungsquoten ergeben. Aber, Herr Kollege Strauß, das habe ja nicht ich zu verantworten, sondern diese Schätzungen haben diejenigen zu verantworten, die im Arbeitskreis „Steuerschätzungen" mitarbeiten: Bund, Länder und Wissenschaftsinstitute.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603142200
Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603142300
Herr Kollege Möller, Sie haben meine Frage leider nicht beantwortet. Ich bestreite doch nicht, daß diese Steuer degressiv ist; das wissen wir doch beide. Aber warum erbringt die Steuer nach Ihren Angaben, die aus dem Arbeitskreis „Steuerschätzungen" stammen — das weiß ich; aber darüber steht „kassenmäßig", und das versteht die Öffentlichkeit nicht, weil es nämlich keinen Aussagewert hat —, weniger? In Ihrem Artikel im SPD-Pressedienst haben Sie die Ausfälle über fünf Jahre hinweig 1968, 1969, 1970, 1971, 1972, 1973 — zusammengefaßt und kommen auf 3 Milliarden DM.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603142400
3,1 Milliarden DM.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603142500
3,1 Milliarden DM! — In Ihrer Rede sagen Sie, daß allein schon die Jahre 1968 und 1969 4 Milliarden DM erbringen. Wie ist es denn möglich, daß 5 Jahre einen geringeren Ausfall als 2 Jahre bringen?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603142600
Weil wir im Jahre 1972 nach den Schätzungen des Arbeitskreises von der Mindereinnahme wieder 700 Millionen DM hinzubekommen, außerdem in dem Jahr, in dem keine Investitionssteuer erhoben wird, einen Betrag von 1,2 Milliarden DM. Das können Sie den Unterlagen entnehmen. Deswegen sind die beiden Jahre, in denen keine Investitionsteuer mehr erhoben wird, hinzugefügt worden. Aber in den ersten beiden Jahren ist eben der Ausfall aus den zwei genannten Gründen so groß. Er beträgt nämlich — nichts anderes habe ich



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
gesagt — 1968 und 1969 nach diesen Schätzungen für den Bundeshaushalt 4 Milliarden DM.
Noch ein Drittes. — Sie haben gefragt: Warum haben Sie den Erlaß nicht aufgehoben?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603142700
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Graaff?

Carlo Graaff (FDP):
Rede ID: ID0603142800
Herr Bundesfinanzminister, darf ich Sie fragen: Sind diese beiden Zahlen überhaupt vergleichbar? Durch den Erlaß des Bundesfinanzministeriums sind 4 Milliarden DM Investitionsteuer ausgefallen. Da Sie in der Fortschreibung nachher nur noch 3,1 Milliarden DM haben, schätzen Sie doch nur hinzu, daß die Buch- und Betriebsprüfungen mehr erbringen, als bisher effektiv veranschlagt ist. Die 4 Milliarden DM haben doch mit den 3,1 Milliarden DM meiner Meinung nach gar nichts zu tun, Herr Bundesfinanzminister.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603142900
Ja, aber ich habe nur gesagt, es handle sich in der Zusammenfassung am Schluß um einen saldierten Betrag, in dem Minus und Plus aufgehoben sind.
Ein Drittes. Sie haben mich gefragt, warum ich den Erlaß nicht aufgehoben oder geändert hätte oder warum er nicht durch ein Gesetz abgeändert worden sei.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603143000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0603143100
Nach der Frage von Kollegen Graaff: Es ist Ihnen geläufig, Herr Bundesfinanzminister, daß der jährliche Steuerertrag nicht kassenmäßig, sondern nach der Fälligkeit festgelegt wird und daß deshalb durch Veranlagung und durch Betriebsprüfung erfolgte Nachversteuerung den Jahren des Ausfalls zugerechnet werden muß und daß deshalb Ihre Zahl von 4 Milliarden ohne jeden Wert ist?!

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603143200
Das ist Ihre Meinung. Ich habe dargestellt, wie ich die Dinge betrachte, und so werden sie von den Fachleuten allgemein betrachtet — mit Ausnahme des Fachmannes, der diesen Erlaß zu verantworten hat. Daß der sich um eine entsprechende Auslegung bemüht, ist menschlich verständlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun lassen Sie mich aber den Vorgang abschließen. Sie haben mir eine Frage gestellt, die ich beantworten möchte. Ich habe Ihnen im Finanzausschuß erklärt: wir müssen mit diesem Erlaß leben. Ich weiß nicht, ob Sie im Ernst geglaubt haben, daß der Vorsitzende des Finanzausschusses die Diskussion zwischen uns beiden abgebrochen hat, weil er mir helfen wollte. Ich würde umgekehrt den Eindruck haben, er wollte Ihnen helfen, würde das aber nicht behaupten, weil ich weiß, wie objektiv seine Geschäftsführung ist. Ich bin der Meinung, er hat diese Auseinandersetzung abgebrochen, weil sie sinnlos war Und weil es keinen Zweck hatte, die Zeit des Finanzausschusses mit einer Fortsetzung dieses sinnlosen Streites zwischen uns beiden zu beanpruchen.

(Abg. Strauß: Weil Sie keine Rechtsauskunft gegeben haben!)

— Doch, ich habe Ihnen sogar gesagt, daß sich zwei Rechtsauffassungen gegenüberstehen, wie das auch in anderen Fällen des menschlichen Lebens möglich ist.
Ich wollte Ihnen erklären, warum ich den Standpunkt einnehme, daß man mit diesem Erlaß leben muß. Hätten wir den Erlaß geändert, so wäre damit zu rechnen, daß der Bundesfinanzhof wie in ähnlichen Streitfällen die Gültigkeit dieser Änderung des Erlasses bestreiten würde, und zwar einfach deswegen, weil der Bundesfinanzhof — so war es in ähnlichen Fällen — in solchen Durchführungserlassen des Bundesfinanzministeriums eine Art Selbstbindung sieht — und zwar mit Recht eine Art Selbstbindung sieht —, so daß ich nicht glaube, daß eine Änderung des Erlasses nützlich gewesen wäre. Ich bin der Meinung, daß dann eine noch größere Unsicherheit in Erscheinung getreten wäre ohne einen sichtbaren Nutzen für den Fiskus.

(Abg. Strauß: Für zukünftige Investitionen auch?)

Es wurde gefragt: Warum kein Gesetz? — Deswegen kein Gesetz, weil, wenn ich nur von der Überlegung, die die Investitionsteuer betrifft, ausgehe, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verschlechternde Rückwirkung

(Abg. Strauß: Nein! Ohne Rückwirkung, für Zukunftsinvestitionen!)

mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar ist. Wenn Sie das ohne Rückwirkung gemacht hätten, dann hätten Sie einen Torso bekommen und eben diejenigen begünstigt, die bis dahin eine Anwendung dieses Erlasses vorgenommen haben, die nicht in unserem Sinne liegt. Damit will ich an dieser Stelle diesen Rechtsstreit um die Investitionsteuer abschließen.

(Abg. Strauß: Warum hat dann Herr Schiller diese Maßnahme vorgeschlagen?)

— Warum das Herr Kollege Schiller vorgeschlagen hat? Das hat gar nichts mit diesen Überlegungen zu tun, sondern Herr Kollege Schiller wollte die Investitionsteuer als eine konjunkturpolitische Maßnahme zur Dämpfung der Investitionsneigung eingeführt wissen und glaubte, daß sie ein zweckmäßiges Mittel sei und das dieses zweckmäßige Mittel mit in den Kreis der Erwägungen vieler Maßnahmen einzubauen sei. Das ist doch ein durchaus normaler Vorgang. Es ist nun einmal so, daß man sich in einer solch schwierigen konjunkturellen Lage bemühen muß, über Verschiedenes nachzudenken und sich darüber schlüssig zu werden, welche Maßnahmen überhaupt in eine solche konjunkturpolitische Situation passen.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Deswegen kann ich auch nicht verstehen — entschuldigen Sie, daß ich mich einen Moment von Ihnen entferne, Herr Kollege Strauß —, warum Herr Kollege Martin gesagt hat, es sei doch ein trauriger Zustand, wenn der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede erklären müsse, daß man sich in Zukunft etwas einfallen lassen solle,. und zwar nach Möglichkeit vielerlei. Ich meine, wer diesen Teil meiner Etatrede richtig würdigt, wird daraus keine negativen Schlußfolgerungen ziehen können. Man kann nur negative Schlußfolgerungen daraus ziehen, wenn man noch nicht den Versuch unternommen hat, eine andere, neue und für die weitere Entwicklung wirkungsvollere Ausgangsposition einzunehmen, als sie in den vergangenen Jahren eingenommen worden ist.
Meine Damen und Herren, bei diesem und bei anderen Beispielen haben wir erlebt, daß jeder von der Opposition, der sich mit der Finanzseite, mit Ausgaben und Einnahmen beschäftigte, neue Forderungen erhoben hat. Auch Herr Kollege Martin forderte: Die Sperre von 305 Millionen DM im Haushalt für Bildung und Wissenschaft muß fort! Darüber kann man reden. Aber man muß dann auch sagen, woher man die anderen Beträge zur Auffüllung der 2,7 Milliarden DM nehmen will. Wenn ich Sie in der bisherigen Debatte richtig verstanden habe, kann ich wohl davon ausgehen, daß Sie im Haushaltsausschuß versuchen werden, noch über die 2,7 Milliarden hinauszugehen, und weiter versuchen werden, dort, wo Sie glauben, daß eine Sperre nicht nützlich sei, weil das Geld in diesem Jahr doch nicht ausgegeben wird, von vornherein eine Herabsetzung des Ausgabebetrags beschließen zu lassen, um die Verhältnisse dadurch noch besser zu klären.

(Abg. Leicht: Jawohl!)

Das alles stimmt aber nicht mit den verschiedenen Darstellungen von Kollegen, die über andere Bereiche gesprochen haben — angefangen von Bildung und Wissenschaft bis hin zur Landwirtschaft —, überein. Diese Herren Kollegen haben immer gesagt: Da fehlt noch etwas, dort ist zuwenig eingesetzt worden. Hier haben wir genau die Diskussion, von der ich gesagt habe, daß ich sie aufmerksam verfolgen will. Man kann nicht erklären, die Steigerungsrate sei zu hoch und dieses und jenes stimme nicht, und zugleich neue Forderungen mit entsprechenden Konsequenzen für den Haushalt, aber auch für die Höhe der Steigerungsrate anmelden.
Herr Kollege Röhner gehört ebenfalls zu denen, die ein Klagelied angestimmt haben, ohne zu würdigen, was wir im Etat im Rahmen des finanziell Möglichen jetzt schon auszuführen versuchten. Ich meine, daß insbesondere der Beschluß der neuen Bundesregierung, der von dem der früheren Bundesregierung vom 4. September 1968 abweicht, entscheidend dafür isst, daß künftig lain Mehrbedarf für die Marktordnungen bei Aufstellung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung nicht mehr im Einzelplan 10 aufgefangen werden muß. Ich halte das für eine ganz wesentliche Verbesserung. Sind Sie anderer Meinung?

(Abg. Röhner: Ich stimme dem zu!)

— Sie stimmen dem zu; das freut mich. Nun konnten wir leider für 1970 nicht 530 Millionen DM für die strukturellen Maßnahmen mobilisieren, sondern nur 389 Millionen DM. Aber wir haben den Betrag in der mittelfristigen Finanzplanung weiter aufgestockt und damit den guten Willen, den wir dokumentieren wollten, noch einmal unterstrichen. Ich glaube, es ist die Auffassung aller Fraktionen, daß der Verwirklichung des guten Willens zumindest konjunkturpolitische, wenn nicht finanzielle Grenzen gezogen sind.
Herr Kollege Dr. Wagner hat eine beachtliche Rede gehalten und sich mit der Situation in der EWG beschäftigt. Herr Kollege Dr. Wagner, ich habe volles Verständnis dafür, wenn Sie sagen: Uns fehlen die Unterlagen, die wir haben müßten, um unsere eigene Stellungnahme überprüfen oder erarbeiten zu können. Sie haben recht. Aber diese Unterlagen lagen dem Bundeskabinett erst gestern, am 18. Februar, vor. Das Bundeskabinett hat erst gestern die Brüsseler Ergebnisse gebilligt, so daß wir uns nun auf einen Kabinettbeschluß stützen können. Wir sind also auch erst jetzt in der Lage, das Material zur Verfügung zu stellen. Daß das unser guter Wille war, wird mir der Vorsitzende des Finanzausschusses bestätigen, denn ich habe in der Sitzung vom 29. Januar auf diese Verhandlungen in Brüssel hingewiesen und gesagt, sobald sie zu einem gewissen Abschluß gekommen seien, würde ich Sie bitten, Herrn Staatssekretär Emde zu hören, damit er Ihnen alle Einzelheiten und das notwendige Material über die Finanzverhandlungen und deren Ergebnisse vorlegen könne. Ich bin dazu bereit. Sie werden dann sehen, daß die deutsche Verhandlungsdelegation beachtliche Resultate erzielen konnte.
Sie haben weiter gefragt, warum ich bei 1974 abschließe. Dazu kann ich nur sagen: Es ist die allgemeine Auffassung der an der EWG beteiligten Länder, daß die folgenden Jahre nicht mehr zuverlässig schätzbar sind wegen zu erwartender Beitritte, insbesondere Englands, zur EWG. Deswegen haben wir verbindlich zunächst einmal die Zahlen für die Jahre 1970 bis 1974 errechnet.
Berücksichtigen Sie bitte, daß der Kommissionsvorschlag davon ausging, daß wir im Jahre 1974 bei 36,41 % ankommen würden. Der Vermittlungsvorschlag Coppé lautete auf 35,13%, Wir konnten auf der Basis der Entwicklung bis 1974 ein Verhandlungsergebnis von 32,64%, im Durchschnitt also 32 %, erzielen. Das ist nach meiner Auffassung unter Berücksichtigung der in Brüssel nun einmal vorliegenden Tatbestände ein beachtliches Ergebnis.
Der Verteilungsschlüssel hat in den Verhandlungen eine entscheidende Rolle gespielt. Insbesondere Frankreich und Italien wollten unter allen Umständen durchsetzen, daß der neue Finanzierungsschlüssel nach dem Bruttosozialprodukt ausgerichtet wird. Das ist eigentlich das Kernstück der ganzen Auseinandersetzung gewesen. Hier ein gewisses Mischsystem zu finden, das uns gestattet, mit diesem Verhandlungsergebnis auskommen zu können, ist die Aufgabe gewesen, die von der deutschen Verhandlungsdelegation zu lösen war.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, wir hätten das alles etwas zu günstig beurteilt. Aber man darf eben nicht die ganze Entwicklung vergessen, die wir in der EWG durchmachen mußten, eine Entwicklung, die sich heute in einer verhärteten Situation abzeichnet. Ich meine, daß wir gerade in diesen Wochen und Monaten in der EWG keine aus solchen wirtschaftlichen Überlegungen entstehende Verhärtung der politischen Situation vertragen können. Darin sind wir uns sicher einig.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603143300
Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0603143400
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Lösung, die ab 1975 kommen soll und die 1978 endgültig sein soll, doch einer Bemessung der Beiträge nach dem Bruttosozialprodukt sehr nahe kommt, weil ein beträchtlicher Teil des Gesamtfinanzvolumens, etwa die Hälfte — schwer zu sagen über den Anteil an der Mehrwertsteuer finanziert werden wird und weil unser Anteil an der allgemeinen Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer der Gemeinschaft voraussichtlich nicht sehr verschieden sein wird von unserem Anteil am Sozialprodukt der Gemeinschaft?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603143500
Ich bin nicht Ihrer Meinung, vor allem deswegen nicht, weil ich die Entwicklung der Relation zum Bruttosozialprodukt wahrscheinlich etwas anders beurteile als Sie.

(Abg. Strauß und Abg. Dr. Althammer: Sehr interessant!)

Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß bei dem Schlüssel „Bruttosozialprodukt" nur die EWG betroffen wäre. Wenn wir uns einmal nach dem Bruttosozialprodukt richten, hätte 'dies auch innerhalb anderer bestehender Verpflichtungen erhebliche und, wie ich meine, bedenkliche Auswirkungen.
Es ist viel über die neuen Marktordnungen, vor allem über die Marktordnung für Tabak, gesprochen worden. Ich darf einmal daran erinnern, daß wir an den einstimmigen Maibeschluß des Ministerrats gebunden waren und daß wir nur im Rahmen dieses Beschlusses den Versuch unternehmen konnten, eine für uns und für die Tabakindustrie möglichst günstige Regelung zu erreichen. Der Sprecher der Tabakindustrie hat Herrn Staatssekretär Emde am 17. Februar einen Brief geschrieben, der heute eingegangen ist und den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten auszugsweise zu Ihrer Kenntnis bringen möchte:
Nachdem nun in Brüssel
— so heißt es in diesem Brief —
die Entscheidung über das Tabakpaket gefallen ist und hierbei im ganzen, besonders aber bei dem Problem der Steuerharmonisierung eine optimale Weichenstellung für die weitere Entwicklung in der EWG erreicht werden konnte,
möchte ich Ihnen aufrichtig für Ihr Verständnis gegenüber unseren Problemen und Ihren erfolgreichen Einsatz in der Verhandlungsführung danken. Noch bei unserem letzten Zusammensein in Bonn kurz vor dieser entscheidenden Ministerratssitzung hatten wir ja die ganze sorgenvolle, politisch vielfältig verschlungene Problematik durchgesprochen, und es war damals noch äußerst ungewiß, ob es gelingen würde, Lösungen zu erreichen, die bei der weiteren Harmonisierung eine wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung ermöglichen.
Auch dieses Schreiben beweist, daß die Zensur, die ich gestern mit diesen Ergebnissen verbunden habe, nicht ganz unberechtigt zu sein scheint.
Nun noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Althammer. Herr Kollege Althammer, ich bin Ihnen für manche Ihrer Hinweise und Anregungen dankbar, insbesondere auch, was Ihre Stellungnahme zur Informationssperre betrifft. Ich teile Ihren Standpunkt und glaube, wenn wir uns gemeinsam bemühen, aus den Erscheinungen, die sich jetzt beim ersten Mal ergeben haben — ich sage mit Absicht nicht „Fehler" —, die notwendigen Schlüsse zu ziehen, dann werden wir auch gemeinsam einen Weg finden, um das Ziel zu_ erreichen, das bei der Haushaltsrechtsreform beabsichtigt war, nämlich den Souverän, das Parlament, an die erste Stelle zu setzen und jede Zwischenschaltung unmöglich zu machen. Das ist nicht leicht. Denn es gäbe — von der Presse sind nur noch wenige anwesend — von seiten der Presse eine Revolution, wenn wir nach dem letzten Beschluß des Kabinetts den Haushalt festgestellt und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung beschlossen haben und keine Presseinformation erfolgen lassen, weil wir ja nun ,die Drucklegung abwarten müssen. Sie wissen, daß wir die Berliner Druckerei in Anspruch zu nehmen haben; das ergibt schließlich einen weiteren Verzögerungseffekt. Ob wir ,diese Wochen gemeinsam durchstehen, weiß ich nicht. Aber ich bin bereit, diesen Versuch gemeinsam mit Ihnen zu unternehmen. Sie dürfen sicher sein, daß von mir aus nichts getan worden ist, um eine Informationssperre durchlöchern zu helfen.
Als ich von Herrn Kollegen Leicht hörte, daß alles nicht recht klappt, habe ich mich sofort gemeinsam mit Herrn Soddemann bemüht festzustellen, wann die Einzelpläne von der Druckerei kommen. Es muß ja nicht unbedingt abgewartet werden, bis der ganze Stapel zusammen ist. Ich habe dann mit der Druckerei einen Zeitplan vereinbart, habe den Zeitplan dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses geschickt und habe meinem Hause Weisung gegeben, daß immer dann, wenn Einzelpläne ankommen, diese sofort zum Bundestag hinübergehen. Sicher können wir das in diesem Jahr für den Bundeshaushalt 1971 noch besser machen.
Herr Kollege Althammer, Sie sind etwas ausgerutscht, als Sie den „Spiegel" zitiert haben. Nicht weil Sie den „Spiegel" zitierten, sondern weil Sie aus zwei Äußerungen, die Sie gegenüberstellten, glaubten nachweisen zu können, daß das eine un-



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
solide Finanzwirtschaft sei. Wenn ich zu der Frage, warum wir in der Koalition dieses Steueränderungsgesetz im Oktober vereinbart haben, erklärte, wir hätten damals bei dieser Vereinbarung keine konjunkturpolitischen Erwägungen ins Auge gefaßt, dann stimmt das einfach. Als wir das Steueränderungsgesetz im Dezember vorigen Jahres einbrachten, habe ich Ihnen von dieser Stelle aus die Gründe für seine Einbringung vorgetragen, und zwar aus der Sicht, die mit der Steuerpolitik zu tun hat, und nicht aus der Sicht, die sich später aus konjunkturpolitischen Notwendigkeiten ergab.
Herr Kollege Althammer, Sie sollten ein solches — wie ich zugebe, ungewöhnliches — Verhalten einer Bundesregierung honorieren. Meistens ist es doch so, daß dann, wenn eine Bundesregierung in einer so wichtigen Frage einmal eine Entscheidung getroffen hat, sie an dieser Entscheidung festhält, ob sie nun gut oder schlecht war, einfach deswegen, weil sie glaubt, mit einer Überlegung, die zu einer anderen Beurteilung führt, wäre ein Prestigeverlust verbunden. Ich bin der Meinung, man muß einen Pestigeverlust in Kauf nehmen können, wenn es der Sache dient. Was wir gemacht haben — auch das Gentlemen Agreement, das im Dezember vorigen Jahres bei der Kriegsopferdebatte zwischen uns und der Opposition abgeschlossen wurde —, ist nur aus dieser Überlegung zu verstehen, weil uns die konjunkturpolitischen Sorgen damals schon veranlaßt haben, zu sagen: Wenn schon Gesetze mit finanzwirtschaftlichen Auswirkungen, dann verbunden mit der dritten Lesung des Bundeshaushalts. Nur so haben wir eine klare Übersicht über das, was möglich ist, und nur so ist es auch für jeden Abgeordneten bei einem solchen Katalog, der dann vorliegt, leichter zu entscheiden, welcher Frage er die Priorität geben soll, als wenn er nun jede Woche einen Gesetzentwurf ablehnen oder annehmen muß.

(Abg. Baier: Sehr richtig!)

Das ist jedenfalls für mich als Finanzminister der entscheidende Gesichtspunkt gewesen. Ich habe gesagt: Ich bin sicherer, daß die richtigen Entscheidungen vom Bundestag getroffen werden, wenn das Ganze mit der dritten Lesung des Bundeshaushalts verbunden wird.

(katastrophalen finanzpolitischen Erbe gesprochen, das wir antreten müßten. Wenn eine solche Behauptung irgendwo aufgestellt worden wäre entspräche sie nicht den Tatsachen. Um was es sich handelt, ist von mir in der Etatrede dargestellt worden. Und das Recht müssen Sie jedem Finanzminister einer neuen Koalition einräumen, daß er eine solche Eröffnungsbilanz macht. Ich habe das, was ich an Schlußfolgerungen zu dem Thema gezogen habe, heute vormittag noch einmal zusammengefaßt. Ich habe im übrigen in meiner Etatrede auf die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 verwiesen, in der es heißt: Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein. Wir dürfen allerdings nicht verschweigen, daß die Situation weniger günstig ist, als sie von bestimmter Seite dargestellt wurde. Das ist, meine ich, eine sehr vorsichtige und zurückhaltende Formulierung, die von unserer Seite vorgenommen worden ist, auch von mir in meiner gestrigen Rede, weil ich ja Ihre Empfindlichkeit kenne. Wenn ich etwa in der Tonart und in der Lautstärke von Herrn Kollegen Strauß meine Ausführungen vortragen würde, (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen die Lautstärke haben wir nichts!)


(Abg. Dr. Althammer: Herr Dahrendorf!)


(Zuruf von CDU/CSU: Umgekehrt!)

hätte das bei Ihnen wahrscheinlich eine noch sehr viel schlimmere Wirkung als diese einfache, sachliche Darstellung von Tatbeständen.
Nun komme ich zum Schluß. Meine Damen und Herren! Wir haben uns heute über die interne Fortschreibung der Finanzplanung unterhalten, und Herr Kollege Leicht hat mich aufgefordert, einen bestimmten Vorgang — mit Aktenzeichen, die er genau kannte —, vom 20. Oktober — mit dem Stande vom 15. Oktober 1969 — zu Rate zu ziehen um festzustellen, ob nicht doch diese interne Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung erfolgt sei. Ich habe diesen Akt hier. Die ersten Überlegungen — so will ich das einmal nennen — stammen vom 17. September und die nächsten vom 20. Oktober.
Meine Damen und Herren von der Opposition, nun mache ich Ihnen einen Vorschlag zur Güte. Ich schlage Ihnen vor, wir schließen den Akt und stellen fest: Eine mittelfristige Finanzplanung, auf der man aufbauen konnte, lag auch intern nicht vor. Dabei sollten wir es bewenden lassen. Sind Sie einverstanden?

(Zuruf von der SPD: Sehr großzügig!)

Oder sollen wir hier in die Einzelheiten gehen? Ich mache Ihnen ,den Vorschlag zur Güte.

(Zurufe von der CDU/CSU: Lag sie vor, oder lag sie nicht vor?)

— Lag nicht vor. — Herr Kollege Althammer hat den Appell an mich gerichtet, für ein besseres Klima zu sorgen.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Althammer: Ja, aber nicht so!)

— Ach, nicht so? Sie wollen also, daß ich auf die Sachen eingehe?

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht auf unsere Kosten! — Heiterkeit.)

— Endlich hat es einer gemerkt. — Ich nehme also an, Sie wollen, daß ich das behandle. Schön, dann soll es geschehen.
Gehen wir also von der Vorlage vom 20. Oktober
aus: Streng vertraulich, Referat II A/5 an den Leiter
der Haushaltsabteilung, betrifft Fortschreibung der



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Finanzplanung bis 1973; Bezug: Meine Vorlage vom 17. September 1969 usw.
Das ist nun eine Referatsarbeit, die zum Ministerialdirektor der Haushaltsabteilung kam und über diese Stelle nicht hinausging. Das ist völlig normal, hat also mit dem anderen Fall, den wir vorhin behandelt haben, nichts zu tun. Aber ich kann doch nicht davon ausgehen — ich tue das in Ihrem Interesse nicht —, daß eine solche Ausarbeitung, daß solche Überlegungen, die ohne Abzeichnung durch einen Staatssekretär oder durch einen Minister festgelegt worden sind, als eine interne Fortschreibung angesehen werden.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das glauben Sie auch noch nicht?

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Schön, dann gehen wir in die Einzelheiten. Hier heißt es:
Die zuletzt mit Stand vom 1. 1. 1969 vorgelegte Übersicht über die Entwicklung des Ausgabebedarfs bis 1973 ist unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Abteilungsleitergespräche sowie bekanntgewordener neuer Entwicklungen überprüft worden. Es haben sich dabei bedeutende Änderungen sowohl auf der Ausgabenseite wie auf der Einnahmenseite ergeben.
Das steht in diesem Schriftstück vom 20. Oktober. Ich will jetzt einige Beispiele nennen. Es würde natürlich zu weit führen, das Ganze vorzutragen. Sie interessieren, auch im Hinblick auf die geführte Debatte, nur einige besondere Delikatessen, wie ich mir vorstellen kann. Da steht zunächst:
Für Agrarstrukturverbesserung ab 1970 etwa die Hälfte bis zwei Drittel der ursprünglichen Mehranforderung des Bundesministeriums für Landwirtschaft.
Da sind Sie bei mir gut abgekommen. Dann heißt es weiter:
Für die Verbesserung der Kriegsopferversorgung
— Stand vom 20. Oktober; beachten Sie das! — ab 1. 1. 1970 12 v. H.,

(Abg. Dorn: Hört! Hört!)

ab 1. 1. 1972
— nicht 1971; das ist kein Druckfehler —
weitere 8 v. H.

(Hört! Hört! bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603143600
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Leicht? — Bitte!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0603143700
Nur um der Klarheit willen: Würden Sie dazusagen, Herr Möller, daß derselbe Akt eine Übersicht über als streitig erklärte Beträge zur Finanzplanung enthält — schon damals, als ich dort war, enthielt; er ist nicht hinterher nachgekommen — und daß darunter der .weitere Betrag in der
Kriegsopferversorgung, eine Erhöhung bis zu 22 %, eben als streitig erklärt, aufgeführt ist?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0603143800
Ja, aber hier heißt es:
Im Ausgabebedarf — Ergebnis der Ressortverhandlungen zuzüglich schätzungsweise zuzugestehender Streitpunkte — sind wie ...
Und dann kommen die einzelnen Punkte.

(Abg. Leicht: Auf Referentenebene war das! Es geht doch um die politischen Entscheidungen!)

— Sie beziehen sich doch darauf, daß eine interne Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung im Finanzministerium erfolgt sei, und da kann ich mich nur an diese Tatsachen halten.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun weiter:
Für den Familienlastenausgleich entsprechend der alten Finanzplanung

(Abg. Leicht: Ich werde das vervielfältigen und überall verteilen lassen, damit die Leute sich selber ein Bild machen können!)

Mittel in Höhe von 200 Millionen DM erst ab 1972.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.) Ferner heißt es dort:

Im Einzelplan 60 sind für Maßnahmen auf dem Besoldungs- und Tarifsektor einschließlich Arbeitgeberbelastung des Bundes aus der Lohnfortzahlung Verstärkungsmittel vorgesehen, die für 1970 eine Verbesserung der Bezüge um rund 9 v. H., gegenüber in der alten Finanzplanung um 5 v. H., zulassen. Ab 1971 ist für neue Maßnahmen eine Steigerungsrate von jährlich 5 v. H. vorgesehen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich habe Ihnen ja gesagt: das ist keine Unterlage für eine interne Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung.

(Abg. Rösing: Die war in Vorbereitung!)

Ich habe Ihnen den Vorschlag zur Güte gemacht:

(Abg. Wehner: Was heißt hier Güte? Konsequenz!)

Verzichten wir doch auf den Vortrag dieser Dinge!

(Zurufe von der SPD.)

Die Konsequenz ist, daß ich nach der Schlußbilanz für die vorige Bundesregierung und bei Vorliegen der Eröffnungsbilanz dieser Bundesregierung um folgendes bitte:
Erstens. Gehen Sie davon aus, daß sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in keiner Weise der Verantwortung zu entziehen versucht, die sie und ihre Minister durch die Beteiligung an der Großen Koalition übernommen haben.

(Abg. Rösing: Sehr gut!)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Zweitens. Gehen Sie weiter davon aus, daß sich diese Bundesregierung mit einer sozialdemokratischen Mehrheit und einem sozialdemokratischen Bundeskanzler ehrlich bemühen wird, es besser zu machen, als Sie es bisher getan haben. Das können Sie uns nicht übelnehmen! Wir sind ja auch noch, ganz jung und frisch. Sie haben sich in der Regierungsarbeit über zwei Jahrzehnte hinweg etwas verbraucht, etwas abgenutzt.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Das ist durchaus verständlich. Wir gehen aber mit neuem Mut und frischer Kraft an die Arbeit. Unterstützen Sie uns in unserem Bestreben, es besser zu machen, als es bisher gemacht worden ist!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Ruf: A la bonne heure! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603143900
Das Wort hat der Parlamentarische Staatsekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Berkhan.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0603144000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Strauß, es tut mir leid, als ein nicht ausreichender Vertreter eines feuerspeienden Berges, der hier so durch den Saal gesaust ist — —

(Abg. Strauß: Eines Panzers!)

— Also eines Panzers; da kommt der alte Adam bei Ihnen wieder heraus. Ein Berg wäre mir lieber gewesen.

(Abg. Strauß: Sie denken nur in Ihren Kategorien!)

Ich will nur mitteilen, daß Minister Schmidt aus dienstlichen Gründen verhindert ist, hier teilzunehmen. Ich habe ihn verständigt. Er hat an dem technischen Gerät, welches früher Sie benutzten, mitgehört, welche lichtvollen Ausführungen Sie über Verräter oder Widerstandskämpfer gemacht haben. Ich bin sicher, daß er zu gegebener Stunde darauf zurückkommen wird; von meiner Person erwarten Sie ja keine Antwort.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603144100
Herr Abgeordneter Wehner!

(Abg. Rösing: Machen Sie mal einen Witz, Herr Wehner!)


Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0603144200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Strauß hat seine Ausführungen vorhin mit einem Zitat geschlossen.

(Abg. Ruf: Aus der „Frankenpost"!)

— Ja, aus der „Frankenpost", so habe ich gehört. — Ich wollte nur feststellen, daß es sich dabei um eine unautorisierte Übersetzung in die dortige Landessprache handelt.

(Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0603144300
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Beratung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 20. Februar 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.