Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst eine amftliche Mitteilung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden. — Das Haus ist einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat am 12. Dezember 1967 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Diebstahlsicherung bei Kraftfahrzeugen — Drucksache V/2353 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2397 verteilt.
. Wir kommen zur Fragestunde
— Drucksachen V/2371, zu V/2371, V/2385, V/2395 —
Zunächst eine Dringliche Mündliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg zum Geschäftsbereich des Bundesministers. für Arbeit und Sozialordnung:
Entsprechen die Pressemitteilungen den Tatsachen, daß in Auswirkung des Finanzänderungsgesetzes 1967 die Krankenkassen oder einzelne Kassenarten ihre Beitragssätze mit Wirkung vom 1. Januar 1968 erheblich erhöhen müssen?
Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung das Wort. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Auswirkungen des Finanzänderungsgesetzes 1967 auf die Finanzlage der einzelnen Krankenkassen ab 1. Januar 1968 lassen sich noch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, weil die Krankenkassen noch nicht in der Lage waren, ihre Voranschläge für 1968 zu überprüfen oder neu aufzustellen. Die Vertreterversammlungen der Krankenkassen werden
daher erst nach dem 1. Januar 1968 über die künftig
geltenden Beitragssätze Beschlüsse fassen können.
Die Bundesregierung rechnet damit, daß auf Grund der durch das Finanzänderungsgesetz 1967 vorgenommenen Rechtsänderungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1968 Mehreinnahmen von insgesamt etwa 80 bis 90 Millionen DM zufließen. Dabei sind entstehende Mehrausgaben insbesondere bei der Mutterschaftshilfe bereits berücksichtigt.
Die finanziellen Auswirkungen treffen jedoch nicht alle Krankenkassen oder Kassenarten gleichermaßen. Eine Entlastung wird bei den Kassen und Kassenarten eintreten, die einen überdurchschnittlichen Rentneranteil haben. Dagegen ergibt sich für Kassen mit einem niedrigen Rentneranteil dadurch eine Belastung, daß ihnen auf Grund des vorgesehenen Ausgleichsfaktors in der Krankenversicherung der Rentner verminderte Beitragseinnahmen zufließen.
Mehrbelastungen ergeben sich darüber hinaus für solche Kassen, die von der Begrenzung des für die Krankenversicherung der Rentner maßgebenden Beitrages auf den für Angestellte geltenden Beitragssatz betroffen sind. Das gleiche gilt für diejenigen Kassen, die Mehrausgaben für das Mutterschaftsgeld an freiwillig versicherte Frauen haben. In Pressemitteilungen ist darauf hingewiesen worden, daß diese Verhältnisse vor allem bei den Angestellten-Ersatzkassen vorliegen.
Nach vorläufigen Schätzungen ist zu erwarten, daß die Angestellten-Ersatzkassen in ihrer Gesamtheit durch das Finanzänderungsgesetz 1967 im kommenden Jahr bis zu etwa 200 Millionen DM mehr belastet werden. Dem stehen aus der Erhöhung der Verordnungsblattgebühr von 50 Pf auf 1 DM Mehreinnahmen von schätzungsweise 30 Millionen DM gegenüber. Die Gesamtbelastung aller AngestelltenErsatzkassen wäre also mit 170 Millionen DM zu veranschlagen. Die Mehrbelastungen durch das Finanzänderungsgesetz 1967 entsprächen damit für diese Kassenart wahrscheinlich einer Größenordnung von etwa 0,3 Beitragsprozent.
Eine Zusatzfrage, Herr Professor Schellenberg.
7454 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Herr Staatssekretär, spielen bei den in der Presse erörterten möglichen Beitragserhöhungen über das Finanzänderungsgesetz hinaus auch andere Faktoren, z. B. eine manchmal zu großzügige Ausgabenpolitik, eine Rolle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Möglichkeit kann man nicht ausschließen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Professor Schellenberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie meiner Bitte entsprechen und das Bundesversicherungsamt anweisen, keine Beitragserhöhungen zu genehmigen es sei denn, sie sind nach strengster Prüfung der Finanzunterlagen zur Sicherung der Leistungen für die Versicherten unbedingt erforderlich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird das Bundesversicherungsamt entsprechend anweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt .
Herr Staatssekretär, darf ich unter Hinweis auf die mir am 30. November erteilte Antwort fragen, ob die. Hoffnung der Bundesregierung, daß es gut geht, größer oder geringer geworden ist? Sie haben damals gesagt, die Bundesregierung hoffe, daß es ohne Beitragserhöhungen gehe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat nach wie vor die Hoffnung, die ich am 30. November dieses Jahres ausgesprochen habe. Ich muß nur, wie ich vorhin schon in der Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Professor Schellenberg gesagt habe, darauf hinweisen, daß die Verhältnisse bei den einzelnen Krankenkassen unterschiedlich sind.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Darf ich meine Frage noch etwas präziser stellen. Herr Staatssekretär, darf ich annehmen, daß seit dem 30. November durch Pressemeldungen, aber vielleicht auch durch Unterlagen, die in Ihrem Haus eingegangen sind, die Hoffnung, die Sie damals zum Ausdruck gebracht haben, geringer geworden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Pressemeldungen haben uns nicht negativ beeindruckt, Herr Abgeordneter. •
Im Gegenteil, auf Grund der Pressemeldungen haben wir die Unterlagen studiert und sind zu den Ergebnissen gekommen, die ich in der Antwort an den Herrn Abgeordneten Professor Schellenberg zusammengefaßt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß bei der sozialen Krankenversicherung die Organe der Selbstverwaltung darüber wachen, daß die Ausgabenpolitik in einem Rahmen bleibt, der gegenüber den Versicherten vertretbar ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin der Ansicht, daß es so ist. Sollte es im Einzelfall einmal anders sein, so sind die Aufsichtsbehörden verpflichtet, daraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen.
Ist Ihnen bekannt, daß Vertreterversammlungen — beispielsweise der AOK — wiederholt Erhöhungen von Beiträgen abgelehnt und sich zu einer Erhöhung erst dann entschlossen haben, wenn es nicht mehr anders ging?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, mir sind derartige Beschlüsse, beispielsweise bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen, bekannt.
Wir kommen zu der zweiten Dringlichen Mündlichen Anfrage — Drucksache V/2395 — des Herrn Abgeordneten Schmidt :
Bedeutet die Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht für Angestellte in der Rentenversicherung mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an, daß von diesem Zeitpunkt an auch automatisch alle Angestellten in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig werden, nachdem in § 56 Abs. 3 des AVAVG als Kriterium für - die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung unter anderem die Jahresarbeitsverdienstgrenze des § 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes in Höhe von 21 600 DM festgesetzt ist, die auf Grund der Bestimmungen des Finanzänderungsgesetzes 1967 vom 1. Januar 1968 an entfallen sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet: Ja. Vom 1. Januar 1968 an werden alle Angestellten in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7455
Vizepräsident Dr. Mommer: Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt .
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für korrekt, wenn eine so entscheidende Sache wie die totale Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung beschlossen werden soll, dies in Form einer allgemeinen redaktionellen Anweisung zu tun, ohne darin die Paragraphen des betreffenden Gesetzes anzusprechen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Hohe Haus hatte frei zu .entscheiden. Das Hohe Haus hat korrekt entschieden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Schmidt .
Herr Staatssekretär, sind von der Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse überhaupt darüber informiert worden, daß sich diese Auswirkungen ergeben, nachdem außer redaktionellen Hinweisen in der Begründung des Finanzänderungsgesetzes und in allen Unterlagen keine weiteren Hinweise in dieser Richtung gegeben worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat eine Anregung des Ausschusses für Arbeit, § 56 Abs. 3 AVAVG aus Gründen der Rechtsbereinigung zu streichen, nicht aufgegriffen. Die Bundesregierung hatte eine entsprechende Unterlage vorgelegt.
Wir kommen dann zu den Fragen aus ,dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zunächst die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Kaffka:
Wie oft hat es in diesem Jahr im Bundesverteidigungsministerium gebrannt?
— Die Frage wird übernommen.
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Adorno.
Im Jahre 1967 hat es im Bundesverteidigungsministerium bisher insgesamt zweimal gebrannt. Am 17. November legte ein bisher noch Unbekannter von außen Feuer an ein Gebäude im Unterkunftsbereich Ermekeilstraße. Am 28. November entstand ein kleiner Kabelbrand in einem Dienstzimmer im Unterkunftsbereich Hardthöhe.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wie ist es bei den strengen Sicherheitsvorkehrungen um die Gebäude des Verteidigungsministeriums möglich, daß ein unbekannter Täter von außen einen Brand legen kann?
An der Brandstelle wurden ein 20-1-Benzinkanister, zum Verpacken des Kanisters geeignetes Material und eine leere Konservendose mit Deckel sichergestellt. Ein Unbekannter hat mit dieser Konservendose durch ein mit Draht vergittertes Fenster, das aber offen stand — es führte in einen Heizungskeller —, um die Luftzufuhr sicherzustellen, Benzin in diesen Heizungskeller gegossen und dann das Feuer angelegt. Der Brand konnte sofort gelöscht werden. Der Sachschaden ist nicht erheblich; er liegt unter 100 DM.
Keine Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 68 des Herrn Abgeordneten Matthöfer:
Gibt es eine Ausbildung der Bundeswehr im „verdeckten Kampf" ?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Der verdeckte Kampf ist eine der möglichen Formen einer gewaltsamen Auseinandersetzung, wie sie im Kriegsbild der NATO — ich unterstreiche: der NATO — festgelegt sind. Das Kriegsbild ist die Grundlage für die Planungen der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO. Die Bundeswehr ist eine Defensivstreitkraft. Sie wird daher auch nur für ,die Abwehr eines Angreifers im verdeckten Kampf ausgebildet. Dabei geht die Bundeswehr davon aus, daß der verdeckte Kampf eine Begleiterscheinung des allgemeinen oder des begrenzten Krieges sein kann.
Zusatzfrage, Herr Matthöfer!
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob im Rahmen dieser Ausbildung auch Übungen für Aufgaben veranstaltet werden, die nach der jetzigen Rechts- und Verfassungslage der Polizei vorbehalten sind?
Nein, solche Einheiten gibt es bei der Bundeswehr nicht und auch nicht solche Aufgaben, die von der Bundeswehr durchzuführen wären.
Die Frage ist erledigt. Wir kommen zur Frage 69 des Herrn Abgeordneten Lenders:
Trifft die Darstellung des „Spiegel" vom 4. Dezember 1967 zu, wonach Offiziere der Bundeswehr in Form von Planspielen mit den Führungsgrundsätzen des Untergrund- und Bandenkampfes vertraut gemacht werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
7456 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Bei der Ausbildung der Bundeswehr wird — ich darf das auch hier noch einmal unterstreichen — in Übereinstimmung mit dem Kriegsbild der NATO davon ausgegangen, daß ein möglicher bewaffneter Konflikt nicht nur an zusammenhängenden Fronten geführt wird. Vielmehr kann der potentielle Angreifer neben weiträumig operierenden Großverbänden in der Tiefe unseres Hinterlandes auch aus der Luft gelandete oder von See her angelandete Truppenkontingente ebenso einsetzen wie eingesickerte oder eingeschleuste Kommando- und Sabotagetrupps oder illegale bewaffnete Kräfte. Zweck der angesprochenen Planübungen ist, im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Operationsfreiheit der Streitkräfte am Beispiel denkbarer Konfliktsituationen Offizieren der Bundeswehr die Notwendigkeit sowohl rechtlich korrekten als auch psychologisch zweckmäßigen Verhaltens darzustellen. Das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse der Soldaten der Bundeswehr vom 12. August 1965 wird dabei besonders beachtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Lenders.
Herr Staatssekretär, die Frage, die ich gestellt hatte, lautete, ob die Darstellung im „Spiegel" vom 4. Dezember 1967 stimmt. Auf diese Frage habe ich keine Antwort bekommen. Ich darf sie also wiederholen.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Frage eine unseres Erachtens umfassende Darstellung gegeben.
Vizepräsident Dr. Mommer. Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bei der Lektüre des „Spiegel"-Artikels nicht aufgefallen, daß darin behauptet wird, die Bundeswehr werde für Aufgaben ausgebildet, die eindeutig im polizeilichen Bereich liegen, nämlich die Aufgaben eines Kampfes, der vor dem Eintritt des Verteidigungsfalles liegt?
Herr Abgeordneter, die Auseinandersetzung mit dem inneren Feind — ich unterstreiche das noch einmal — ist nicht Sache der Bundeswehr. Die Bundeswehr wendet sich nur gegen Kräfte, die sie in der Ausführung ihres rechtmäßigen Auftrages behindern, und zwar wendet sie sich dagegen unter Anwendung der der jeweiligen Lage angemessenen Mittel auf der Grundlage der bestehenden Gesetze.
Eine Zusatzfrage, Herr Matthöfer.
Herr Staatssekretär, dann ist es also nicht richtig, daß Planspiele durchgeführt werden unter der Annahme, die Notstandsgesetzgebung in der von der Regierung vorgeschlagenen Form sei bereits verabschiedet?
Es werden Planspiele durchgeführt — ich wiederhole es — auf der Grundlage der bestehenden Gesetze im Rahmen des Kriegsbildes der NATO.
Eine Zusatzfrage, Herr Fellermaier.
Herr Staatssekretär, ist es dann richtig, daß die Bundeswehr auf der augenblicklichen gesetzlichen Grundlage im Falle der Beeinträchtigung ihrer Bewegungsmöglichkeiten unter den Annahmen des Planspiels die Hilfe der Polizei bzw. den Einsatz der Bereitschaftspolizei erbitten würde?
Das ist nicht richtig. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß auf der Grundlage der bestehenden Gesetze, des Gesetzes zur Anwendung unmittelbaren Zwangs z. B., die Bundeswehr die Möglichkeit und das Recht hat, in dem Falle, daß sie in der Ausführung ihres rechtmäßigen Auftrags behindert wird, dagegen vorzugehen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie dem Hohen Hause einmal das definieren, was Sie soeben in dem letzten Satz gesagt haben: „in der Ausführung ihres rechtmäßigen Auftrags behindert". Würden Sie bitte sagen, wo Sie dort die Grenzen sehen, und zwar die Grenzen im Hinblick auf das Grundgesetz und auf die Frage des inneren Notstands; denn man muß die Befürchtung haben, daß hier die Grenzen möglicherweise überschritten werden könnten.
Herr Abgeordneter, ich habe bei meiner Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Lenders versucht, ein Bild des verdeckten Kampfes in Umrissen zu zeichnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, dann bezeichnen Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe — ich bitte Sie, das zu bestätigen —, die Darstellung, die im „Spiegel" gegeben wurde und mit der Sie sich doch inzwischen im Ministerium bestimmt befaßt haben, schlicht und einfach als falsch?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7457
Ich habe keine Veranlassung, mich hier mit der Darstellung des „Spiegel" auseinanderzusetzen,
sondern ich hatte nur Anlaß, auf die Frage eine Antwort zu geben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, würden Sie es für falsch halten, wenn sich das Ministerium mit der Darstellung eines immerhin von Millionen von Staatsbürgern gelesenen Magazins befaßte, das doch eindeutig einen Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen nachweisen zu können glaubt?
Herr Abgeordneter, wir prüfen alle Fragen, die unser Haus, also des Bundesministerium der Verteidigung betreffen. Aber ich darf noch einmal wiederholen: ich habe auf die hier gestellten Fragen eine Antwort gegeben, und ich habe keine Veranlassung, darüber hinauszugehen.
Eine Zusatzfrage von Herrn Kaffka.
Herr Staatssekretär, gehört zum Kriegsbild der NATO, von dem Sie sprachen, auch die Niederwerfung innerer Feinde?
Herr Kollege Kaffka, ich habe vorhin ausgeführt, daß die Auseinandersetzung mit dem inneren Feind nicht Sache der Bundeswehr ist.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Ich rufe die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Lautenschlager auf:
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung bei der Stellenbewertung der Dienstposten in der neben der Polizeitruppe bestehenden, Verwaltung im Bundesgrenzschutz an den Grundsätzen fest, daß in der verwaltungsmäßigen Führung dem Amtsinhalt eine geringere Bedeutung beigemessen wird als den vergleichbaren Tätigkeiten in der Truppe?
Wie vertragen sich die in Frage 32 erwähnten Grundsätze mit der Tatsache, daß die Beamten der Bundesgrenzschutzverwaltung neben der Ausübung ihrer verwaltungsmäßigen Aufgaben — bewaffnet und ausgerüstet wie Angehörige der Truppe — an Übungen und Einsätzen mit den gleichen Rechten und Pflichten eines Vollzugsdienstbeamten teilnehmen müssen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Gumbel vom 11. Dezember 1967 lautet:
Die Bundesregierung hat nie die Auffassung vertreten, daß Ämter in der Grenzschutzverwaltung geringer zu bewerten sind als Ämter mit vergleichbarem Inhalt in der Grenzschutztruppe.
Sie ist der Ansicht, daß Vollzugs- und Verwaltungsbeamte zwar unterschiedliche Aufgaben haben, daß deren Wahrnehmung in vergleichbaren Funktionen aber gleich zu bewerten ist. Gerade deshalb steht die Bundesregierung auch auf dem Standpunkt, daß die •einem Teil der Verwaltungsbeamten im Bundesgrenzschutz obliegende Verpflichtung, an Übungen und Einsätzen der Grenzschutztruppe teilzunehmen und notfalls auch Aufgaben von Polizeivollzugsbeamten zu übernehmen, keine grundsätzlich höhere Bewertung der Tätigkeit der Verwaltungsbeamten im Bundesgrenzschutz gegenüber der Tätigkeit anderer Verwaltungsbeamten rechtfertigt.
Das schließt nicht aus, daß die Bewertung einzelner Ämter in der Grenzschutzverwaltung als nicht voll befriedigend empfunden wird. Eine von mir angestrebte höhere Einstufung konnte jedoch noch nicht verwirklicht werden. Als ein Hemmnis dafür wird u. a. § 5 Abs. 4 des Ersten Besoldungsneuregelungsgesetzes angesehen, der die Zahl der Beförderungsämter beschränkt, was sich bei einer verhältnismäßig kleinen Verwaltung naturgemäß nachteilig auswirken muß.
Frage 34 der Frau Abgeordneten Funcke:
Ist die Bundesregierung bereit — so wie in Nordrhein-Westfalen —, eine Bestimmung dahin gehend zu treffen, daß Behörden alle volljährigen weiblichen Personen — unabhängig von ihrem Familienstand — mit Frau anreden, sofern diese nicht erkennbar eine andere Anrede wünschen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Verehrte Frau Kollegin Funcke, seit Ihrer letzten das gleiche Thema betreffenden Frage im April dieses Jahres hat sich die Situation in der Tat insoweit verändert, als das Land Nordrhein-Westfalen in einem eigenen Runderlaß des Herrn Innenministers von Nordrhein-Westfalen eine von der bisherigen Praxis abweichende Regelung getroffen hat. Dieser Runderlaß ist zwar bisher noch nicht veröffentlicht worden, enthält jedoch, soweit wir haben feststellen können, tatsächlich eine „Umkehrung" der bisherigen Regelung, und zwar im Sinne der von Ihnen in dieser Frage offenbar vertretenen Auffassung.
Der Anlaß für diese in Nordrhein-Westfalen getroffene Regelung war zunächst ein mehr formaler, nämlich der, daß der frühere Runderlaß vom März 1955, der in seinem Inhalt den übrigen Regelungen im Bund und den übrigen Länderregelungen entsprach, nicht in die Sammlung des bereinigten Ministerialblatts für das Land Nordrhein-Westfalen aufgenommen und aus diesem Grunde formell außer Kraft gesetzt worden ist. Diese Lücke mußte durch eine Neuregelung geschlossen werden. Das war also jedenfalls der äußere Anlaß für die in Nordrhein-Westfalen getroffene Regelung.
Bevor dies geschah, hatte sich bereits, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, der Arbeitskreis I „Staatsrecht, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit" der Arbeitsgemeinschaft der Innenministerien der Länder im September 1967 mit diesem Fragenbereich befaßt. Das Ergebnis war, daß die Mehrheit der Länder der Auffassung sei, daß eine Änderung der Erlasse aus dem Jahre 1955 über den Gebrauch der Anrede „Frau" im Augenblick nicht notwendig sei.
Ich wiederhole, die Mehrheit der Länder ist unverändert der Meinung, daß man die bisherige Praxis nicht ändern sollte. In dieser Situation bitte ich Sie um Verständnis dafür, daß dieser Fragenbereich zunächst erneut mit den Ländern erörtert werden muß, da der Bundesminister des Innern nach wie vor eine einheitliche Regelung in Bund und Ländern für zweckmäßig hält.
7458 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Parlamentarischer Staatssekretär Benda
In der Sache neigt der Bundesminister des Innern durchaus der in Nordrhein-Westfalen getroffenen Regelung und damit auch der von Ihnen vertretenen Auffassung zu. Dies entspricht auch der Anregung, die der Bundesinnenminister den Ländern mit seinem Rundschreiben vom Januar 1967 mitgeteilt hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, nachdem nun die Einheit der Länder bereits durchbrochen ist, könnten Sie sich nicht vorstellen, daß eine Regelung seitens des Bundes ein Anlaß für die anderen Länder sein könnte, sich anzuschließen?
Einstweilen, Frau Kollegin, ist das nicht der Fall. Aber wie gesagt, wir streben eine einheitliche Regelung an, die in ihrem Inhalt der im Lande Nordrhein-Westfalen getroffenen Regelung entsprechen würde.
Noch eine Frage, Frau Funcke,
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der Bevölkerung ein lebhafter Wunsch nach einer solchen Regelung besteht und es deswegen mindestens im Interesse der betroffenen Kreise wäre, wenn nun der Erlaß von früher entsprechend umgedreht würde?
Das ist mir natürlich bekannt, Frau Kollegin. Nur ist mir auch bekannt — und Ihnen sicherlich auch, verehrte Frau Kollegin Funcke —, daß eine Reihe von gar nicht so einfachen Fragen entstehen, insbesondere die Frage, von welchem Lebensalter einer Frau an man unterstellen kann, daß sie den Wunsch hat, nicht mehr als Fräulein, also als Unverheiratete dem äußeren Anschein nach, sondern als Frau bezeichnet zu werden. Das ist eine beinahe brisante Frage, Frau Kollegin Funcke, und darüber gibt es sehr lange Diskussionen.
Eine „brisante" Zusatzfrage, bitte, Herr Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, halten Sie das wirklich für so brisant, daß die Frage, von welchem Alter ab eine Frau als Frau angesprochen werden kann, zu solchen brisanten Unterhaltungen zwischen dem Bund und den Ländern führen kann?
Herr Kollege, die Unterhaltungen verlaufen gar nicht brisant, sondern sehr sachlich und zweckmäßig. Ich sage .das ein bißchen persönlich. In dieser Frage eine persönliche Auffassung zu äußern — was hier gar nicht meine Aufgabe ist —, das ist, habe ich manchmal den Eindruck, für einen Mann ein bißchen brisant.
Noch eine Frage, Herr Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß das wirklich ein Anlaß wäre, hier den Föderalismus so vor den Karren zu spannen, daß in einer solchen zivilen Angelegenheit so — wie Sie doch sagen — ausgedehnte Gespräche geführt werden müssen?
Herr Kollege, wir verwenden auf die Regelung dieser durchaus ernst zu nehmenden und durchaus wichtigen Frage genau die Zeit, die erforderlich ist, nicht mehr und nicht weniger. Es sprechen schon eine Reihe von sehr vernünftigen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten dafür, den Versuch jedenfalls zu unternehmen, bei allen Beteiligten zu einer einheitlichen Regelung zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung nunmehr seit anderthalb Jahren diese Frage prüft, nämlich seit Abfassung der Frauenenquete, und daß da offensichtlich wenig Brisanz in der Prüfung steckt?
Es trifft zu, daß die Unterhaltungen oder Gespräche über diese Frage bisher eine gewisse Zeit in Anspruch genommen haben, etwa den Zeitraum, den Sie bezeichnen. Ich bin auch nicht in der Lage, Ihnen nun genau auf den Tag vorherzusagen, wann eine Entscheidung in dieser Frage getroffen werden wird.
Noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, was hindert die Bundesregierung daran, für ihren Zuständigkeitsbereich, für ,die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die auf Bundesgesetz beruhen, die Frage im Sinne von Nordrhein-Westfalen zu regeln?
Herr Kollege Moersch, der von mir bereits mitgeteilte Wunsch der Bundesregierung und des Bundesinnenministers, soweit wie irgend möglich eine einheitliche Regelung in Bund und Ländern zu treffen.
Herr Giulini zu einer Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7459
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß, wenn nicht nur ein Land, sondern zwei Länder die angestrebte Regelung hätten, es nach Bundesrecht bzw. nach Übung leichter fallen würde, diese Regelung zu treffen?
Es gibt möglicherweise einen Punkt, bei dem die Quantität in Qualität umschlägt.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Fritsch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine an das Bebauungsgebiet der Stadt Deggendorf angrenzende Teilfläche von etwa 9 ha des Exerziergeländes des Bundesgrenzschutzes in Deggendorf an die Stadt Deggendorf zu Wohnungsbauzwecken zu veräußern?
Die Frage wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär des Bundeskanzleramtes hier. Die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Moersch ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Frage 9 des Herrn Abgeordneten Ertl:
Welche Reformen beabsichtigt die Bundesregierung — entsprechend der von Bundeskanzler Kiesinger in einem Interview mit der Zeitschrift Civis gemachten Ankündigung — in dieser Legislaturperiode auszuklammern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Ertl zusammen beantworten zu dürfen.
Bitte sehr! Frage 10:
Welcher Art sind die Ursachen, die die in Frage 9 erwähnte Ausklammerung der von der Großen Koalition angekündigten Reformen notwendig machen?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre beiden Fragen wie folgt.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, irgendeine der in der Regierungserklärung angekündigten Reformen auszuklammern. Sie steht ohne Einschränkung zu ihrem Programm.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie der Auffassung sind, daß die Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers in der Zeitschrift Civis, die er in ähnlicher Form bei den Arbeitgebern wiederholt hat, dann auf nicht voller Kenntnis beruhen?
Herr Kollege Ertl, diesen Gefallen kann ich Ihnen nicht tun. Der Herr Bundeskanzler hat in seinen Erklärungen in der Zeitschrift Civis das Wort „ausklammern" lediglich für eine Thematik gebraucht, die in der Tat in der Regierungserklärung materiell ausgeklammert ist.
Noch eine Frage, Herr Ertl.
Darf ich Sie noch einmal fragen, ob Ihnen beispielsweise bekannt ist, daß der Herr Bundeskanzler auch bei den Arbeitgebern Vorbehalte gemacht hat, z. B. hinsichtlich der Finanzreform, hinsichtlich der Mitbestimmung und hinsichtlich der Sozialreform, und zwar in dem Sinne — wenn ich mich richtig erinnere —, daß er Zweifel hat, ob es hier zu Reformen im echten Sinne kommt. Das war immer das erklärte Ziel der Großen Koalition.
Herr Kollege Ertl, wenn Sie gestatten, darf ich in Ihr Gedächtnis zurückrufen, was die Regierungserklärung zum Thema „Mitbestimmung" sagt. Sie stellt fest:
Die Bundesregierung wird eine Kommission unabhängiger Sachverständiger berufen und 'sie mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung als Grundlage weiterer Überlegungen beauftragen.
Genau dies, Herr Kollege Ertl, hat die Bundesregierung getan. Sie hat also insoweit das, was in der Regierungserklärung angekündigt ist, durchgeführt. Hinsichtlich einer materiellen Entscheidung in dieser Frage hat die Regierungserklärung keine Aussage gemacht.
Zu dem zweiten Thema, das Sie angeschnitten haben, nämlich zur Frage des Sozialversicherungsrechts, sagt die Bundesregierung — wenn Sie gestatten, Herr Präsident, zitiere ich —:
In unserem System der Sozialversicherung werden wir am Prinzip der dynamischen Rente festhalten. Bei den Sozialleistungen, die der Lebenssicherung dienen, soll weder der Besitzstand gemindert, noch sollen sie auf die gegenwärtige Höhe festgelegt werden. Wir müssen aber sehr ernsthaft die Bemessung der jährlichen Zuwachsraten der Sozialleistungen und der Bundeszuschüsse prüfen und sie mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik in Einklang bringen.
7460 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Parl. Staatssekretär Freiherr von und zu Guttenberg
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Ertl, daß in der Tat hinsichtlich der Bundeszuschüsse Beschlüsse bereits gefallen sind. Die Frage der Bemessung der jährlichen Zuwachsraten wird weiter geprüft, diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Insoweit, Herr Kollege Ertl, kann ich Ihnen leider den Gefallen nicht tun, einräumen zu müssen, daß irgend jemand umgefallen sei.
Zusatzfrage, Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihr Zitieren der Regierungserklärung im Gegensatz zu der Rede, die der Herr Bundeskanzler vor den Arbeitgeberverbänden gehalten hat, daß die Rede des Bundeskanzlers vor den Arbeitgeberverbänden den Rang der absoluten Unverbindlichkeit besitzt?
Herr Kollege, das bedeutet es eben nicht. Ich habe mich bemüht — und ich glaube, mit Erfolg bemüht —, darzutun, daß das, was der Herr Bundeskanzler dort gesagt hat, in vollem Einklang mit der Regierungserklärung steht.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns erklären, wo der Einklang besteht, wenn solche gravierenden Differenzen vorhanden sind, wie sie soeben aus Ihrem Zitat selbst deutlich wurden?
Ich habe jedenfalls aus dem, was ich gesagt habe, keinen Widerspruch zur Regierungserklärung entnehmen können. Ich habe im Gegenteil den Eindruck, Ihnen dargetan zu haben, daß eine völlige Identität zwischen der Regierungserklärung und dem, was der Herr Bundeskanzler zu dieser Thematik gesagt hat, besteht.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Fellermaier auf.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die 16-SeitenBroschüre des Presse- und Informationsamtes unter dem Titel „Sie wissen ja. . . die Mehrwertsteuer" bei einer Gesamtauflage von nur 500 000 Exemplaren dazu ausreicht, die Verbraucher in der ganzen Bundesrepublik unmittelbar und ausreichend zu informieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Fellermaier zusammen beantworten zu dürfen.
Einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 12 des Abgeordneten Fellermaier auf.
Beabsichtigt die Bundesregierung, vor der Umstellung auf die Nettoumsatzsteuer die Grundzüge des neuen Systems und die Möglichkeiten des Verbrauchers, ungerechtfertigtem Preisverhalten zu entgehen, durch eine großangelegte Aufklärungsaktion darzustellen?
Die Broschüre „Sie wissen ja ... die Mehrwertsteuer" ist vom Presse- und Informationsamt in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Wirtschaft in einer Auflagenhöhe von zuänchst 5010 000 Stück hergestellt worden. Inzwischen hat das Presse- und Informationsamt ,die Auflage bereits auf 900 000 Exemplare erhöht, um eine weitestmögliche Verbreitung durch unentgeltliche Verteilung zu erreichen. Ein Vorabdruck der Broschüre des Presse- und Informationsamtes ist bereits Anfang November vor Drucklegung an die Presse und an die Verbraucherverbände verteilt worden. Neben dieser Broschüre hat das Presse- und Informationsamt im Herbst dieses Jahres durch vier Presseanzeigen mit hoher Auflage im Rahmen der Anzeigenaktion „Die Bundesregierung informiert" die Öffentlichkeit über Fragen aufgeklärt, die mit der Mehrwertsteuer zusammenhängen. Außerdem wurde die Schrift „Die Mehrwertsteuer" des Bundesministeriums der Finanzen, die sich an den Steuerpflichtigen wendet, in einer Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren verbreitet. Falls es sich als notwendig erweisen sollte, ist für das Jahr 1968 eine weitere Broschüre beabsichtigt, die dann auch erste Erfahrungen mit der Umstellung auf die neue Nettoumsatzsteuer berücksichtigen könnte.
Zusatzfrage, Herr Fellermaier!
Herr Staatssekretär, wenn es auch erfreulich ist, daß die Auflage von 500 000 auf 900 000 erhöht worden ist, können Sie mir erklären, wie Sie es für möglich halten, für eine weitgehende breite Streuung zu sorgen, damit 900 000 Exemplare etwa 22 Millionen Beschäftigte, und zwar unselbständig Beschäftigte, erreichen?
Herr Kollege, diese Broschüren sind im wesentlichen an die Gewerkschaften und an die Verbraucherverbände verteilt worden, die ihrerseits sicher Mittel und Wege finden werden, das in diesen Broschüren enthaltene Material weit zu verbreiten.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es nicht primär Aufgabe der Gewerkschaften und Verbraucherverbände ist, bei einer solchen Umstellung einer
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7461
Fellermaier
derartigen Steuer allein öffentlich zu wirken? Ist es nicht so, daß die Bundesregierung vielmehr bestrebt sein müßte, in einer Aufklärungsaktion der Furcht entgegenzutreten, die draußen teilweise besteht, daß die Mehrwertsteuer zu Preiserhöhungen führen könnte?
Herr Kollege, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es primär die Aufgabe der Bundesregierung ist, für diese Informationen zu sorgen.- Sie hat den Gewerkschaften und Verbraucherverbänden hier tatsächlich nur eine sekundäre Rolle zugedacht. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß zu diesen 9010 000 Exemplaren der von Ihnen erfragten Broschüre noch 1,5 Millionen einer durch das Bundesfinanzministerium verteilten Broschüre hinzukommen.
Herr Fellermaier, noch eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Broschüre in der Auflage von 1,5 Millionen einen ganz anderen Zweck verfolgt, nämlich den Steuerpflichtigen über die Umstellung in seinem Betrieb zu unterrichten, und daß der Inhalt der zweiten Broschüre sich an die Bevölkerung der Bundesrepublik, an den Konsumenten schlechthin wendet? Ich wiederhole meine Frage, wie mit 900 000 Exemplaren alle Konsumenten erreicht werden sollen.
Herr Kollege, Sie haben selbstverständlich recht, daß diese beiden Broschüren nicht dem gleichen Zweck dienen. Aber die beiden Zwecke überlappen sich wohl mindestens zu einem Teil.
Meine Damen und Herren, um möglichst vielen Fragestellern, die Fragen eingereicht haben, hier zu einer Beantwortung zu verhelfen, erlaube ich mir, jedem Zusatzfragesteller nur eine Frage zu geben.
Herr Josten, bitte!
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, bei der vorgesehenen Neuauflage der hier genannten Broschüre dafür ,einzutreten, daß bei dem Vergleich der alten und der neuen Steuer auch ein Vermerk dazukommt, daß der Bundestag mit der neuen Mehrwertsteuer auch einen Beitrag zu einer zukünftigen einheitlichen steuerlichen Belastung in einem zukünftigen vereinten Europa leisten will?
Die Bundesregierung wird diese Anregung gern aufnehmen.
Zusatzfrage, Herr Apel.
Herr Staatssekretär, sehen Sie die Möglichkeit, daß die Bundesregierung noch zur Jahreswende durch eine Anzeigenaktion deutlich macht, wo Produkte durch die Mehrwertsteuer billiger werden müßten und wo etwaige Verteuerungen denkbar sind, um dem Konsumenten, insbesondere der Hausfrau, die von Herrn Strauß ja immer wieder aufgefordert ist, jetzt ihre Pflicht zu tun, Anhaltspunkte zu geben, um auf ungerechtfertigte Preiserhöhungen zu reagieren?
Herr Kollege, ich könnte mir denken, daß eine solche Anzeigenaktion möglicherweise zu einem gegenteiligen Resultat führen könnte.
Zusatzfrage, Herr Rinderspacher.
Herr Staatssekretär, glauben Sie angesichts der allgemeinen Unruhe in der Bevölkerung, die sich zu einer Furcht vor allgemeinen Preissteigerungen ausgewachsen hat, und angesichts der Tatsache, daß viele diese Furcht zu schnellen und billigen Geschäften ausnutzen, nicht auch, daß es zweckmäßig wäre, wenn die Bundesregierung in abendlichen Fernsehsendungen möglichst einfach und eindrucksvoll die Verbraucher darauf hinwiese, wie die Mehrwertsteuer gehandhabt und wie sie sich in bezug auf die Bildung der Preise auswirken wird?
Auch diese Anregung, Herr Kollege, wird die Bundesregierung gern erwägen.
Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Bundesregierung zwar sehr wohl weiß, daß eine Anzeigenserie ein geeignetes und das bestmögliche Mittel der Information wäre, daß sie aber inzwischen die Etatmittel dafür zum Selbstlob für den Jahrestag der Koalition ausgegeben hat?
Herr Kollege, so ist es nicht!
Letzte Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei den vorgesehenen abendlichen Informationssendungen auch einbeziehen, um wieviel öffentliche Preise steigen dürfen und um wieviel nicht?
Frau Kollegin, ich habe nicht gesagt, daß derartige abend-
7462 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Parl. Staatssekretär Freiherr von und zu Guttenberg
liche 'Sendungen vorgesehen seien. Ich habe gesagt, daß eine solche Anregung gern geprüft werden kann. Der Inhalt dieser Sendungen, falls sie stattfinden sollten, müßte selbstverständlich ebenso detailiert geprüft werden.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die vom Bundestag geforderten Berichte künftig gleichzeitig mit der Bekanntgabe an die Presse auch den Bundestagsabgeordneten mitzuteilen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich bitte um die Genehmigung, auch hier beide Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich noch die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht in der Lage sind, politische Stellungnahmen zu diesen Berichten lediglich auf Grund von Presse-Kurzinformationen abzugeben?
Bitte sehr!
Die von der -Bundesregierung verabschiedeten Berichte an den Bundestag werden in der Regel zuerst den Mitgliedern des Hohen Hauses und dann erst der Presse zugestellt. Im Interesse einer sachgerechten und raschen Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Arbeit des Kabinetts wird die Presse im Anschluß an Kabinettssitzungen über das Ergebnis dieser Sitzungen informiert. Soweit es sich hierbei um die Verabschiedung von Berichten an den Bundestag handelt, geschieht diese Information lediglich mündlich und in groben Zügen. Die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß die Mitglieder des Bundestages erst dann zu Berichten Stellung nehmen können, wenn ihnen diese im einzelnen bekannt sind. Aber auch die Presse kann erst nach Vorliegen des Wortlauts der Berichte eingehend informieren.
Zusatzfrage, Herr Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, es ließe sich an Hand von vier oder fünf großen Berichten sehr leicht beweisen, daß bereits schriftliche Mitteilungen an die Presse herausgegeben worden sind, während die Abgeordneten erst drei oder vier Wochen später in den Besitz dieser Berichte gelangten. Geben Sie zu, daß die politische Situation für die Abgeordneten dadurch zuweilen unerträglich wird?
Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege, wenn Sie die von Ihnen angezogenen Fälle der Bundesregierung im einzelnen darstellen könnten.
Das werde ich tun.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 15, 16 und 17 des Herrn Abgeordneten Picard aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten liegen. noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungbericht abgedruckt.
Danke, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zuerst rufe ich die Frage. 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Sind der Bundesregierung Urteile deutscher Gerichte bekannt, in denen mit der Begründung, die Schwarzarbeit sei inzwischen fast schon ein Gewohnheitsrecht geworden, die Anwendung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit abgelehnt und damit die Absichten des Gesetzgebers durchkreuzt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Kattenstroth, Staatssekretär .des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, ich bitte um Ihr Einverständnis, daß ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner zusammenhängend beantworte.
Ich darf an dieser Stelle einmal sagen: Die Bundesregierung ist frei, Fragen zu beantworten — übrigens auch nicht zu beantworten, wie sie will —, sie ist auch frei, Fragen zusammenzuziehen und dadurch ihre Beantwortung zu vereinfachen. Dabei ist klar, daß der Abgeordnete, der zwei Fragen eingereicht hat, entsprechend vier Zusatzfragen stellen darf.
Ich rufe also auch die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Gedenkt die Bundesregierung, aus dem in Frage 52 Erwähnten Schlußfolgerungen zu ziehen und eine Gesetzesänderung vorzuschlagen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist lediglich ein Urteil des Amtsgerichts Bad Harzburg vom 9. März 1967 bekannt, in dem der Freispruch mehrerer Angeklagter u. a. damit begründet worden war, das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vom 30. März 1957 sei möglicherweise durch Gewohnheitsrecht außer Kraft gesetzt. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Berufung ein. In einem rechtskräftig gewordenen Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 6. Juli 1967 wurde die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Jedoch stellte das Gericht in der Begründung ausdrücklich fest, daß die Gültigkeit des Schwarzarbeitsgesetzes außer Zweifel stehe. Die Bundesregierung ist der gleichen Auffassung.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7463
Staatssekretär Kattenstroht
Wegen einer wirksameren Bekämpfung der Schwarzarbeit steht das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits seit längerer Zeit mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks in Verbindung. Die hiermit zusammenhängenden Fragen sind vor einigen Monaten in einer Besprechung erörtert worden. Hierbei haben die Vertreter des Handwerks u. a. eine Änderung des Schwarzarbeitsgesetzes angeregt. Der Spitzenverband des Handwerks hat zugesagt, hierzu noch konkrete Vorschläge zu machen.
Zu .einer Zusatzfrage Herr Dr. Stark.
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung Folgerungen aus diesen Bemühungen zieht, und hat die Bundesregierung die Absicht, das Gesetz über das Verbot der Schwarzarbeit zu ändern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alle Vorschläge, Herr Abgeordneter, werden zur Zeit von den beteiligten Ressorts sorgfältig geprüft. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Sie wird sicher noch eine gewisse Zeit dauern. Wir stehen in Beratungen mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks. Im Augenblick hat die Bundesregierung nicht die Absicht, eine Novelle zu dem Gesetz vorzulegen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Dr. Stark.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt oder haben Sie eine Vorstellung darüber, wieviel Millionen DM an Steuergeldern — Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Lohnsteuer — und wieviel Millionen DM an Beiträgen zur Sozialversicherung dadurch verlorengehen, daß von den Schwarzarbeitern keine Beiträge und keine Steuern gezahlt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat, Herr Abgeordneter, in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wurbs und Genossen — Bundestagsdrucksache V/721
ausgeführt, daß ihr das Ausmaß der Schwarzarbeit nicht bekannt sei und daß es sich auch durch Umfrage nicht werde ermitteln lassen. So kann ich auch Ihre beiden Fragen nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Geldner auf:.
Worauf ist es nach Ansicht der Bundesregierung zurückzuführen, daß Nordbayern mit einer Zuwachsrate an Arbeitslosen von 2,7 % im November nach wie vor am stärksten betroffen ist?
Ist Herr Geldner im Saal? — Die Frage wird vom Abgeordneten Schmidt übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei dem in der Frage erwähnten Prozentsatz handelt es sich nicht um die Zuwachsrate der Arbeitslosen, sondern um die Arbeitslosenquote, die sich für Nordbayern Ende November 1967 auf 2,7% belief. Die Zunahme der Arbeitslosen betrug im November 1967 für Nordbayern rund 15 %. Diese über dem Bundesdurchschnitt von 9,5 % liegende Zuwachsrate ist vor allem dadurch bedingt, daß in Nordbayern eine verhältnismäßig große Zahl von Beschäftigten entlassen wurde, die eine stark saisonabhängige Tätigkeit ausüben. So entfielen von der Gesamtzunahme der Arbeitslosenzahl bei den Männern nahezu zwei Drittel auf Beschäftigte des Baugewerbes, während bei den Frauen mehr als die Hälfte auf saisonübliche Entlassungen, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe, zurückzuführen sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Staatssekretär, ist im Bundesarbeitsministerium schon eine gewisse Vorstellung darüber vorhanden, wie groß für Nordbayern die Durchschnittsquote für 1967 etwa sein wird auf Grund der Tatsache, daß in Nordbayern beinahe immer wieder mit die höchsten monatlichen Durchschnittsquoten bestanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen nur die Monatszahlen für Nordbayern sagen. Dort betrug die Arbeitslosenquote im Januar 1967 5,9 %, im Februar 6,4 % im März 5 %, im . April 3,5 %, im Mai 3,1 %, im Juni 2,7 %, im Juli 2,6 %, im August 2,5 %, im September 2,3 %, im Oktober 2,3 % und im November 2,7 %.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Schmidt.
Herr Staatssekretär, wenn ich es kurz überschlage, wird eine. Jahresdurchschnittsquote herauskommen, die etwa zwischen 2 und 3% liegt. Wie hoch wird nach den jetzigen Vorausschätzungen die Durchschnittsquote für die Bundesrepublik sein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Durchschnittsquote im Jahr 1967 für das Bundesgebiet wird voraussichtlich etwa bei 2 % liegen.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Moersch auf:
Nach welchen Gesichtspunkten wirbt die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Studentenzeitschriften für Nachwuchs für den höheren Dienst?
Bitte, Herr Staatssekretär!
7464 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung hat im Jahre 1967 durch Anzeigen in Studentenzeitschriften dafür geworben, daß die Arbeitsämter, die Landesstellen für Arbeitsvermittlung und die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung von den Absolventen der Universitäten und Hochschulen für Beratung und Vermittlung in Anspruch genommen werden.
Mit den Anzeigen sollten alle Studierenden und Hochschulabsolventen — ohne Unterschied — angesprochen werden, um diese auf die Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung zur Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Stellen hinzuweisen.
Für die Veröffentlichung der Anzeige wurden alle Studentenzeitschriften berücksichtigt, die nach Feststellung der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung vor der Auftragserteilung eine Auflage von mehr als 10 000 Exemplaren hatten. Eine besondere Werbung für den Nachwuchs im höheren Dienst der öffentlichen Verwaltung wurde von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung nicht betrieben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß auch Blätter bedacht worden sind, die eine eindeutig erkennbare antidemokratische Tendenz haben, und daß das nicht geprüft worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe aus den Unterlagen den Eindruck, daß allein nach der Auflagenzahl entschieden worden ist. Ich habe die Liste hier und darf sie Ihnen vielleicht schriftlich übermitteln, damit ich das Hohe Haus damit nicht zu lange aufhalte.
Herr Moersch!
Herr Staatssekretär, halten Sie es für richtig, daß in Blättern geworben wird, deren redaktionelle Haltung nicht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entspricht — das ist geschehen; ich kann Ihnen die Unterlagen geben —, die doch eigentlich Regierungsbehörden vertreten sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn das so sein sollte, würde ich es nicht billigen. Ich weiß nicht, ob eine Nachprüfung erfolgt ist; ich nehme an, daß die Einstellung der Redaktionen nicht nachgeprüft worden ist.
Wir kommen zu den Fragen 56 bis 58 des Herrn Abgeordneten Weigl:
Ist ab Januar nächsten Jahres für den Bereich der ostbayerischen Arbeitsämter erneut mit größerer Arbeitslosigkeit zu rechnen?
Trifft es zu, daß z. B. im Bereich des Arbeitsamtes Hof an der Saale im vergangenen Jahr das Arbeitslosengeld z. T. erst 4 bis 6 Wochen nach Antragstellung ausgezahlt wurde?
Sind Vorkehrungen getroffen, daß die in Frage 57 angesprochenen Probleme nicht erneut auftreten?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Kattenstroth vom 15. Dezember 1967 lautet:
Es ist eine Erfahrungstatsache, daß aus saisonalen Gründen im Januar und Februar meist ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Es wird also aller Voraussicht nach auch für die ostbayerischen Arbeitsämter ab Januar nächsten Jahres mit einem saisonbedingten Ansteigen der Arbeitslosigkeit gerechnet werden müssen. Die weitere Entwicklung wird dann vor allem vom Witterungsverlauf abhängen.
Während des letzten Winters ist es tatsächlich vorgekommen, daß das Arbeitslosengeld in Einzelfällen erst einige Wochen nach der Antragstellung ausgezahlt werden konnte. Im allgemeinen sind jedoch die Anträge — und zwar auch im Arbeitsamtsbezirk Hof — in angemessener Zeit bearbeitet worden. Wir sind uns alle darüber einig, daß Verzögerungen bei der Bearbeitung der Leistungsanträge vermieden werden müssen. Das Schicksal der Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist ohnehin hart genug. Die Bundesregierung hat sich deshalb bereits im vergangenen Jahr bemüht, die Ursachen für
Verzögerungen zu beseitigen. Das Hohe Haus hat sie dabei im Rahmen der Behandlung des Siebenten Änderungsgesetzes zum AVAVG tatkräftig unterstützt. Das Gesetz konnte allerdings erst am 1. April dieses Jahres in Kraft treten. Die Vereinfachungen werden sich deshalb erstmals in diesem Winter voll auswirken.
Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Auswertung der Erfahrungen des letzten Winters sorgfältige Vorbereitungen für die Bewältigung der bevorstehenden Arbeitsbelastung getroffen. Sie hat das Personal in den Versicherungsabteilungen der Arbeitsämter verstärkt. Sie hat die Stammkräfte weiter ausgebildet, damit sie auch schwierigere Tätigkeiten übernehmen können. Geeignete Arbeitslose hat sie in beruflichen Bildungsmaßnahmen geschult, um sie als Zusatzkräfte einsetzen zu können. In einem Runderlaß vom Oktober dieses Jahres hat der Präsident der Bundesanstalt den Arbeitsämtern ferner ausführliche organisatorische Weisungen gegeben, so u. a. personelle Einsatzpläne aufzustellen, Andrangsregolungen zu treffen und — das scheint mir besonders wichtig zu sein -- erforderlichenfalls Abschlagszahlungen zu leisten.
Ich bin überzeugt, daß dank der gemeinsamen Bemühungen von Bundestag, Bundesregierung und Bundesanstalt Verzögerungen bei der Auszahlung des Arbeitslosengeldes in diesem Winter weitgehend vermieden werden.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Wie groß ist zur Zeit die Zahl der Arbeitnehmer, deren Rentenanträge von den Ärzten der Sozialversicherung abgelehnt werden mußten, deren Arbeitsvermittlungsfähigkeit aber zur gleichen Zeit von den Vertrauensärzten der Arbeitsämter verneint wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über die von Ihnen, Herr Abgeordneter Dröscher, angeführten Fälle führen weder die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung noch die Rentenversicherungsträger umfassende Statistiken. Die Bundesanstalt hat jedoch Anfang Oktober dieses Jahres für die letzten 12 Monate die Zahl der Fälle ermittelt, in denen der Antrag auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe wegen geminderten Leistungsvermögens des Arbeitslosen abgelehnt worden ist, obwohl zuvor der Rentenversicherungsträger die Berufsunfähigkeit des Antragstellers nicht anerkannt hatte. Dabei hat 'die Bundesanstalt insgesamt 198 Fälle dieser Art festgestellt. Die Fälle, in denen zunächst ein Antrag auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe abgelehnt worden ist und erst anschließend der Antrag auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente abgelehnt wurde, konnten von der Bundesanstalt nicht ermittelt werden, weil der Bundesanstalt über diese Fälle keine Unterlagen zur Verfügung stehen. Die Zahl solcher Fälle dürfte sich in der gleichen Größenordnung bewegen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7465
Staatssekretär Kattenstroth
Das Problem der sogenannten Nahtlosigkeit, das Sie mit Ihrer Frage anschneiden, wird künftig in der Arbeitslosenversicherung keine Bedeutung mehr haben, weil das Hohe Haus mit dem Finanzänderungsgesetz beschlossen hat, daß — soweit die sonstigen Voraussetzungen vorliegen — allen Personen Arbeitslosengeld zu gewähren ist, die nicht berufsunfähig sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, wie lange wird es dauern, bis ,die im Bundestag beschlossene Regelung draußen an der Front der Arbeitsämter praktiziert werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ab 1. Januar nächsten Jahres, wenn bis dahin das Gesetz verkündet ist; und ich nehme an, daß es bis dahin verkündet sein wird.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, die Zahl der Fälle ist relativ gering; aber es handelt sich doch ausschließlich um außerordentlich schwierige Fälle von sozialer Not. Die Menschen bekommen ja seit Monaten weder das eine noch das andere an Unterstützung. Würden Sie bereit sein, dafür zu sorgen, daß die Arbeitsverwaltung angewiesen wird, diese Fälle nach der neuen Gesetzgebung vordringlich zu regeln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Gesetz gilt für die Zeit ab 1. Januar nächsten Jahres. Ich werde die Arbeitsverwaltung bitten, zu prüfen, ob im Wege von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Fällen auch für die Vergangenheit geholfen werden kann.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Die erste Frage — es ist die Frage 70 — stellt der Abgeordnete Rehs:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den unhaltbaren Zustand, daß Maschinen der Deutschen Lufthansa zwischen Hamburg und Köln nur am frühen Morgen und am Abend verkehren, dadurch zu beenden, daß wenigstens in den späten Vormittagsstunden eine Maschine von Hamburg nach Köln eingesetzt wird, die zwischen 12 und 14 Uhr in Köln ankommt?
Herr Abgeordneter Sänger, übernehmen Sie?
— Bitte, Herr Staatssekretär Wittrock!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, die Deutsche Lufthansa zur Einrichtung einer Mittagsverbindung zwischen Hamburg und Köln zu veranlassen. Die Fahrplangestaltung der Lufthansa obliegt nicht der Verantwortung der Bundesregierung. Der Bundesregierung ist aber bekannt, daß das ungünstige wirtschaftliche Ergebnis des innerdeutschen Linienverkehrs die Lufthansa zur Zeit davon abhält, die von dem Herrn Abgeordneten Rehs gewünschte Verbesserung des Fahrplans einzuführen.
Herr Sanger!
Herr Staatssekretär, ist die Unwirtschaftlichkeit nicht dadurch begründet, daß die jetzigen Verbindungen unzweckmäßig sind, zu sehr in den Morgen- und in den Abendstunden liegen und daß in den Hauptverkehrszeiten keine Flugmöglichkeit besteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, diese Frage nicht mit Ja beantworten zu können; denn gerade für die doch als Kunden wesentlichen Kreise der Wirtschaft sind sogenannte Tagesrundverbindungen von besonderem Interesse, weniger aber ein um die Mittagsstunde eingelegtes Flugzeug. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß die Lufthansa im Sommer 1965 vorübergehend einen Versuch mit einer Mittagsverbindung von Köln/Bonn nach Hamburg gemacht und dabei mit einer Convair-Metropolitan — dieses Flugzeug hat 48 Sitze —eine SitzLade-Auslastung von 35 0/o erzielt hat, also doch recht wenig. Deshalb mußte dieser Dienst aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden.
Herr Abgeordneter, ich will gar nicht sagen, daß sich hier nicht in Zukunft einmal neue Perspektiven ergeben können, daß eine Verbindung auch zu einem anderen Zeitpunkt wirtschaftlich interessanter werden kann. Aber so, wie die Dinge auf Grund der Erfahrungen des Jahres 1965 im Augenblick aussehen, sieht die Lufthansa aus wirtschaftlichen Gründen keine Möglichkeit, eine solche Verbindung einzuführen.
Herr Sanger!
Herr Staatssekretär, ich habe hier nicht die Möglichkeit, eine Anregung zu begründen. Aber ich darf die Frage stellen: Besteht nicht die Chance, daß sich vor allen Dingen die zuständigen Stellen der Hamburger Wirtschaft, aber meinetwegen auch Angehörige des Bundestages und des Landtages einmal zu diesem Zweck gemeinsam mit der Lufthansa in Verbindung setzen, weil die Erfahrung mit der von Ihnen eben erwähnten Con-vair gerade gezeigt haben, daß ein Nichtmitteilen dieser Verkehrsverbindung zu 'einer Nichtbenutzung geführt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich werde diese Anregung gern an die Lufthansa herantragen. Ich erwähnte bereits, die Lufthansa als eine kommerzielle Gesellschaft ist für ihre Entscheidung selbst verantwortlich. Deshalb sehe ich nur die Möglichkeit, der Lufthansa diese Anregung zu übermitteln.
7466 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Herr Bading!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es eigentlich nicht statthaft ist, das Ergebnis einer Linie im Sommer, wenn sowieso kein großer Verkehr ist — jedenfalls nicht auf der Linie Hamburg–Köln —, mit einem angenommenen Ergebnis zum jetzigen Zeitpunkt zu vergleichen? Glauben Sie andererseits nicht, daß auch durch eine Verbesserung des Fahrplans eine stärkere Benutzung der Flugzeuge zu erreichen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich entnehme zunächst Ihrer Frage, daß Sie den Vergleich, den ich hier gewählt habe, nicht für statthaft halten. Nun, das ist ein Werturteil. Ich nehme davon Abstand, dazu meinerseits Stellung zu nehmen. Ich möchte aber generell darauf hinweisen, daß wir, selbst wenn dieses Vergleichsbeispiel nicht zugrunde gelegt wird, leider vor dem Tatbestand stehen, daß auch in dem heute getätigten Fluglinienverkehr die Sitz-/Ladeauslastung relativ gering ist, und zwar so gering ist, daß man mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß ein um die Mittagsstunde eingesetztes Flugzeug bedauerlicherweise in noch geringerem Maße frequentiert wird. Ich erwähnte bereits, daß für weite Kreise der interessierten oder als Kundschaft in Betracht kommenden Stellen Morgen- und Abendverbindungen interessanter als eine Mittagsverbindung sind.
Wir kommen zur nächsten Frage, und zwar zur Frage 71 des Herrn Abgeordneten Kubitza:
Worauf ist der sich anbahnende neue Unfallrekord für das laufende Jahr auf den südhessischen Autobahnen im Bereich Frankfurt, Würzburg und Mannheim zurückzuführen?'
Die Frage wird von Herrn Ertl übernommen. -Bitte !
Wittrock, Staatssekretär .im Bundesministerium für Verkehr: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung war bisher leider noch nicht in der Lage, die Unfallursachen für die von Ihnen bzw. von dem Herrn Fragesteller genannten Autobahnstrecken, soweit es sich um das laufende Jahr handelt, zu analysieren. Die Frage kann deshalb zur Zeit nicht beantwortet werden.
Keine weitere Frage? Ich rufe dann die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Kubitza auf:
Gedenkt die Bundesregierung aus den Erfahrungen mit den neuen Sicherheitsvorkehrungen an Kraftfahrzeugen in den USA, wo in den ersten neun Monaten dieses Jahres die Rate der tödlichen Verkehrsunfälle, in Beziehung gesetzt zur Zahl der im Verkehr befindlichen Kraftfahrzeuge, um mehr als 5 % zurückgegangen ist, für die Bundesrepublik Deutschland irgendwelche Konsequenzen zu ziehen?
Die Frage wird von Herrn Ertl übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen versichern, daß es die Bundesregierung als eine selbstverständliche Pflicht ansieht, zur Reduzierung der Zahl der Unfälle alle erdenklichen Erfahrungen und Erkenntnisse auszuwerten. Wenn das Ergebnis der Auswertung positiv ist, werden hieraus natürlich auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Frage 73 des Herrn Abgeordneten Kubitza:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Angaben des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands etwa 2,5 Millionen Kraftfahrer in der Bundesrepublik Deutschland, die unter Sehstörungen leiden, auch am Steuer auf die erforderliche Brille verzichten?
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Angaben des Berufsverbandes der Augenärzte sind mir und natürlich auch meinem Haus bekannt. Es gibt jedoch kein amtliches statistisches Material, das diese Angaben bestätigt. Im Rahmen der Arbeiten einer beim Bundesgesundheitsamt gebildeten Sachverständigenkommission, die sich mit dem Thema „Sehvermögen und Kraftverkehr" befaßt, soll u. a. jedoch die kausale Bedeutung von Einschränkungen des Sehvermögens für Unfälle im Kraftverkehr erforscht werden. Es ist anzunehmen, daß man auf Grund dieser Arbeiten nicht nur authentisches Zahlenmaterial über die Teilnahme Sehbehinderter am Straßenverkehr, sondern auch darüber erhalten wird, ob und inwieweit sehbehinderte Kraftfahrer den Straßenverkehr gefährden. Mit dem Abschluß der Kommissionsarbeit ist im Jahre 1968 zu rechnen.
Ich rufe die Fragen 74, 75 und 76 des Herrn Abgeordneten Ramms auf:
Wieviel Ausnahmeanträge zur Senkung der Gütertarife hat die Deutsche Bundesbahn seit Inkrafttreten der Verkehrsnovellen am 1. August 1961 gestellt?
Wieviel dieser in Frage 74 erwähnten Ausnahmetarife sind von der Bundesregierung genehmigt worden?
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, wie hoch die Einnahmeausfälle der Deutschen Bundesbahn gewesen sind, die auf Grund der Tarifsenkungen entstanden sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten liegen noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 77 des Herrn Abgeordneten Opitz:
Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, warum die Deutsche Bundesbahn mit Inkrafttreten der Mehrwertsteuer zu weiteren Tarifsenkungen kommt, während alle öffentlichen Nahverkehrsunternehmen Tariferhöhungen ankündigen?
Die Frage übernimmt Frau Abgeordnete Funcke. Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte antworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gnädige Frau, ich gehe davon aus, daß sich die Frage auf die Umbildung der Personen- und Gepäcktarife bezieht. Diese Tarife bleiben bei der Deutschen Bundesbahn nach Einführung der Mehrwertsteuer unverändert. Die Mehrwertsteuer ist damit ebenso wie bisher die Beförderungsteuer in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7467
Staatssekretär Wittrock
den Tarifen eingerechnet. Dabei wird die Deutsche Bundesbahn die Belastung der bisher steuerfreien Sozialtarife mit Mehrwertsteuer in Höhe von 5 % mit -Ermäßigungen des Steuersatzes im Fernverkehr ausgleichen. Die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen haben diese Möglichkeiten nicht. Daher können bei ihnen aus Anlaß der Einführung der Mehrwertsteuer Tariferhöhungen notwendig werden.
Frau Funcke!
Herr Staatssekretär, wenn dies hier für die Sozialtarife verständlich wäre, warum wird aber im Nahverkehr auch die normale Personenbeförderung verteuert, wenngleich sich die bisherige Beförderungsteuer praktisch mit der neuen Steuer ausgleicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gnädige Frau, die. Bundesbahn hat glücklicherweise die Möglichkeit eines inneren Ausgleichs. Die Beförderungsteuer der Bundesbahn im Personenverkehr betrug in der ersten Klasse 14 %, in der zweiten Klasse 11 %, bei den Zuschlägen 11% bis 16 %, der sozial begünstigte Verkehr war steuerfrei. Nun halten wir es und hält die Bundesbahn es nicht für vertretbar, die steuerliche Entlastung, die sich aus dem Wegfall der Beförderungsteuer ergibt, ausschließlich dem Personenverkehr in der ersten Klasse und im Fernverkehr in der zweiten Klasse zugute kommen zu lassen. Wir haben es für richtig gehalten, durch einen inneren Ausgleich den Vorzug, der im Fernverkehr durch die größere Entlastung besteht, dem sozial begünstigten Nahverkehr zugute kommen zu lassen. Durch diesen inneren Ausgleich war im sozial begünstigten Personennahverkehr eben die Stabilität garantiert. Bei den öffentlichen Nahverkehrsunternehmen ist die Situation deshalb schwieriger, weil sie nicht die Möglichkeit des inneren Ausgleichs haben. Wir bedauern das. Wir haben mit den Ländern, die für die Nahverkehrsunternehmen verantwortlich sind und die entsprechenden Tarifanträge zu genehmigen haben, verhandelt. Alle diese Verhandlungen sind vom Bundesminister für Verkehr und auch vom Bundesminister für Wirtschaft mit dem Ziel geführt worden, Stabilität zu gewährleisten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß die Ergebnisse nicht einheitlich sind. Nicht überall ist es möglich gewesen, das Ziel der Bundesregierung, das übrigens im Bereiche des Güterverkehrs gewährleistet werden konnte, nämlich Stabilität, zu erreichen. Das konnte leider noch nicht überall im Personennahverkehr zur Geltung gebracht werden. Wir haben uns darum bemüht. Die Schwierigkeiten habe ich Ihnen dargelegt.
Sieht die Bundesregierung noch Möglichkeiten, überhöhte Tariferhöhungen bei einzelnen kommunalen Nahverkehrsbetrieben abzubauen oder wenigstens auf einen Abbau hinzuwirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind in diesen Fragen, für die die Länder zuständig sind, in einem Kontakt mit den Ländern. Auch wir selbst beobachten die Entwicklung. Wenn wir feststellen, daß die Notwendigkeit besteht, im Rahmen des gesetzlich Möglichen einzuwirken, werden wir das natürlich tun. Die grundsätzliche Linie, die der Bundesminister für Verkehr im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft vertritt, habe ich Ihnen dargelegt, nämlich die Stabilität der Tarife im Rahmen des gesetzlich Möglichen zu gewährleisten.
Keine weiteren Fragen mehr.
Dann kommen die Fragen 78, 79 und 80 des Abgeordneten Zebisch:
Stimmen Zeitungsmeldungen aus dem oberpfälzischen Grenzgebiet, daß dort wichtige Bauprojekte im Straßenbau nicht mehr durchgeführt werden, weil angeblich die Gelder für die Olympischen Spiele nach München fließen?
In welcher Hohe wurden in den letzten zehn Jahren, einschließlich 1968,. für den Raum Niederbayern-Oberpfalz Mittel für den Straßenbau vergeben?
Kann die bayerische Staatsregierung die zugewiesenen Mittel selbständig verplanen bzw. inwieweit werden sie von der Bundesregierung örtlich projektgebunden zugewiesen?
Sie werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Wittrock vom, 15. Dezember 1967 lautet:
Der allgemeine Ausbau- und Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen weist im Raume München eine Reihe wichtiger Baumaßnahmen auf. Dies erklärt sich aus der allgemeinen Verkehrsbedeutung Münchens und der starken Verkehrsbelastung in diesem Raum. Die hierfür benötigten Mittel konnten bereits zum Teil in den 3. Vierjahresplan eingestellt bzw. sollen im nächsten Ausbauplan berücksichtigt werden.
Im Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele 1972 müssen nunmehr einige Baumaßnahmen an Bundesfernstraßen im Vorfeld von München vorgezogen werden. Die hierfür notwendigen zusätzlichen Mittel werden, soweit eine Zentralreserve nicht in ausreichendem Maße verfügbar ist, durch Mittelausgleich innerhalb des gesamten Straßenbauplans frei gemacht.
Straßenbauprojekte im oberpfàlzischen Grenzgebiet, insbesondere im Raume Pfreimd—Schwaizenfeld sollen keine nennenswerten Beeinträchtigungen erfahren. In Auswirkung des Eventualhaushaltes konnten die Arbeiten im Teilabschnitt Nabbung—Pfreimd so beschleunigt werden, daß mit der Fertigstellung dieses Abschnittes schon im Jahre 1968 gerechnet werden kann.
Ich rufe dann noch ,die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen auf, zunächst die Frage 81 des Abgeordneten Lautenschlager:
Bis wann ist mit den Ausführungsvorschriften zu den §§ 30 und 32 des Arzneimittelgesetzes von 1961 zu rechnen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Frau Strobel vom 13. Dezember 1967 lautet:
Die Rechtsverordnungen nach den §§ 30 und 32 des Arzneimittelgesetzes werden zur Zeit von dem Beirat, der nach § 33 des Arzneimittelgesetzes gehört werden muß, beraten. Dieser Beirat hat bereits zwei Sitzungen abgehalten; die nächste Sitzung ist für den 1. und 2. Februar 1968 einberufen. Unter der Voraussetzung, daß der Beirat in dieser Sitzung seine Beratungen darüber abschließt und seine Stellungnahmen abgibt, werde ich die Entwürfe der beiden Verordnungen mit den beteiligten Ressorts abstimmen. Nach diesem Plan werde ich versuchen, die Vorbereitungen so zu beschleunigen, daß ich die beiden Entwürfe noch vor der Sommerpause in den Bundesrat einbringen kann.
7468 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Vizepräsident Schoettle
Die Fragen 82 und 83 stellt der Abgeordnete Enders:
Wie beurteilt die Bundesregierung die nach Zeitungsberichten kürzlich in Hamburg vorgenommene Anwendung eines in der Sowjetunion entwickelten Serums gegen die multiple Sklerose?
Ist die Bundesregierung bereit, falls das Urteil über den neuen Impfstoff positiv ausfällt, auch anderen an multipler Sklerose erkrankten Patienten zu diesem Präparat zu verhelfen?
Herr Abgeordneter, wenn Sie nicht an der Beantwortung Ihrer Frage interessiert sind, dann lasse ich sie schriftlich beantworten.
— Bitte, Frau Minister, wollen Sie antworten!
Die beiden Fragen des Herrn Kollegen Dr. Enders möchte ich gestützt auf eine Auskunft der Deutschen Multiplen Sklerose-Gesellschaft zusammenfassend wie folgt beantworten. In Pressemeldungen ist gesagt worden, das für ,einen an multipler Sklerose Erkrankten in Hamburg aus der Sowjetunion beschaffte Medikament sei ein neues, im Westen noch nicht bekanntes Mittel gegen die multiple Sklerose. Diese Nachricht ist falsch.
Es handelt sich um einen Impfstoff, der von den russischen Forschern Margulis-Schubladse vor etwa 20 Jahren entwickelt worden ist. Dieser Impfstoff ist seit dieser Zeit im Westen bekannt. Die Vakzine Margulis-Schubladse ist damals in verschiedenen westlichen Ländern und auch in der Bundesrepublik erprobt worden. Aus einer Reihe ernst zu nehmender wissenschaftlicher Untersuchungen ergibt sich, daß die Wirksamkeit dieser Vakzine sehr zurückhaltend beurteilt wird. Der Vertrieb ist seinerzeit in den USA und in England verboten worden.
In der Bundesrepublik kann der Impfstoff seit über zehn Jahren auf ärztliche Verordnung gegen Vorauszahlung durch eine deutsche Importfirma bezogen werden. Der Preis für fünf Ampullen beträgt zur Zeit 184,95 DM.
In einem Merkblatt, das interessierten Ärzten zur Verfügung gestellt wird, äußert sich der Hersteller des Mittels sehr zurückhaltend über die Erfolgsaussichten. Es ist bekannt, daß die Vakzine Margulis-Schubladse auch in ,der Bundesrepublik schon mehrfach angewandt worden ist. Erfolge sind nicht mitgeteilt worden. Daher erklärt es sich, daß der Impfstoff in der letzten Zeit kaum noch angefordert worden ist.
Die Deutsche MS-Gesellschaft hat noch im Jahre 1962 vor der Anwendung dieser Vakzine gewarnt, um so mehr, als damals die Unschädlichkeit keineswegs gesichert war. Weder im westlichen Ausland noch in der Bundesrepublik — auch nicht bei der deutschen Importfirma — sind irgendwelche Anhaltspunkte dafür bekannt, daß der Impfstoff in den vergangenen Jahren verbessert worden ist. Es ist aber selbstverständlich, daß die deutsche wie ,die internationale Forschung jede Spur, die den Weg zu einer erfolgreichen Behandlung der MS-Krankheit zu eröffnen verspricht, verfolgt.
Die Frage 84 des Abgeordneten Dr. Meinecke:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Rechtsvorschriften zu erlassen, um die Einfuhr von einwandfreier Speisegelatine und von Konserven, die Speisegelatine enthalten, sicherzustellen?
wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Frau Strobel vom 15. Dezember 1967 lautet:
Das Bundesministerium für Gesundheitswesen beabsichtigt, für Speisegelantine Rechtsvorschriften zu schaffen, die die Gewinnung einer hyienisch einwandfreien Speisegelantine sicherstellen sollen. Mit den obersten Landesveterinär- und gesundheitsbehörden sowie mit dem Fachverband der Gelatine-Industrie wurden diesem Plan folgend schon seit einiger Zeit Verhandlungen aufgenommen. Das Bundesgesundheitsamt ist aufgefordert worden, zu den Fragen der Gewinnung einer hygienisch einwandfreien Speisegelantine Stellung zu nehmen. Eine abschließende Stellungnahme liegt mir jedoch nicht vor.
Bei der beabsichtigten Regelung sollen folgende Sachgebiete berücksichtigt werden:
1. Hygienische Anforderungen an das Rohmaterial für die Gewinnung von Speisegelatine,
2. hygienische Anforderungen an die Räume, Einrichtungen und Geräte in den Gelatinefabriken,
3. hygienische Anforderungen an das Personal in Gelatinefabriken,
4. Reinheitsanforderungen an die fertige Speisegelatine.
Diese in Vorbereitung befindlichen Rechtsvorschriften müßten in gleicher Weise auch auf eingeführte Gelatine Anwendung finden.
Die Fragen des Herrn Abgeordneten Josten und des Herrn Abgeordneten Gottesleben sind zurückgezogen worden.
Die übrigen nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht zurückgezogen sind.
Damit ist die Fragestunde für heute beendet.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt auf, der vorgestern auf die Tagesordnung gesetzt worden ist:
Beratung .des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD betr. EWG-Beitrittsverhandlungen
— Drucksache V/2382 —
Wird dieser Antrag begründet? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mommer.
Dr. Mommer: : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Petitum dieses Antrags ist gestern bei dem Frühstück der fünf Außenminister im Grunde angenommen worden. Es ist die Absicht festgelegt worden, das Petitum in der Ministerratssitzung am Montag und Dienstag nächster Woche zu realisieren. Dadurch ist dieser Antrag in der Sache erledigt.
Ich schlage vor — ich habe mich entsprechend bemüht —, daß wir jetzt den Bericht des Herrn Bundesaußenministers über das, was in Brüssel. geschehen ist, entgegennehmen und daß wir zum Schluß der dann folgenden Debatte diesen Antrag für erledigt erklären.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7469
Bundesminister Brandt
Antrag der Fraktionen soll die Bundesregierung ersucht werden, im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften eine vertragsgemäße Entscheidung über die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit den Regierungen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens herbeizuführen.
Ich darf dazu erklären: Die Bundesregierung ist bemüht, eine solche vertragsgemäße Entscheidung herbeizuführen. Das Thema steht auf der Tagesordnung ,des Ministerrats am Montag und Dienstag der kommenden Woche. Wir hoffen, daß es zu einer positiven Lösung kommen wird; denn es ist die Politik dieser Regierung, aus deutschem und europäischem Interesse für eine Erweiterung des Gemeinsamen Marktes einzutreten.
Ich möchte den Versuch machen, drei Fragen zu beantworten, die sich in diesem Zusammenhang stellen:
Erstens. Wo stehen wir in der Behandlung der vier Anträge, d. h. der Anträge Großbritanniens, Irlands, Dänemarks, Norwegens, vom Frühsommer dieses Jahres und des Schreibens, das die schwedische Regierung im gleichen Zusammenhang an die Europäische Gemeinschaft gerichtet hat?
Zweitens. Was ist eine vertragsgemäße Entscheidung?
Drittens. Welche Möglichkeiten, Gefahren und Chancen sehen wir in diesem Zusammenhang für uns selbst und für die Europäische Gemeinschaft?
Zum ersten Punkt. Es ist unstreitig, daß das Verfahren über die genannten Beitrittsanträge im Gange ist. Es wurde eingeleitet im Sommer durch den Auftrag des Ministerrats an die Europäische Kommission, über die Fragen, die sich durch diese Anträge stellen, zu berichten. Ein solcher umfassender Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften liegt unter dem Datum des 29. September vor. Der Ministerrat hat sich in mehreren Sitzungen mit diesem Bericht befaßt, und über das bisherige Ergebnis dieser Diskussion kann ich folgendes sagen.
Erstens. Die Antragsteller, erfüllen ohne Zweifel die Vorbedingungen für eine Mitgliedschaft. Es handelt sich um europäische Staaten, . es handelt sich um demokratisch regierte Staaten, und es handelt sich um Staaten, deren ökonomisches Niveau sich nicht wesentlich von dem der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterscheidet.
Zweitens. Die sechs Regierungen, die im Ministerrat vertreten sind, sind sich darin einig, daß ein Beitritt der genannten Staaten nur auf der Basis der Römischen Verträge erfolgen kann und dann zweifellos auch unter Inanspruchnahme von Übergangsregelungen, wie sie in den Römischen Verträgen vorgesehen sind. Weiterhin besteht auch Einigkeit darin, daß bei einem Beitritt auch das gültig bleiben muß, was bisher. seit Inkrafttreten der Römischen Verträge ordnungsgemäß beschlossen ist und für die Gemeinschaft gilt.
Drittens. Nicht oder noch nicht einig sind sich die sechs Regierungen darin, ob der Charakter der Gemeinschaft durch die hier in Frage stehende Erweiterung, die zahlenmäßige und auch gebietliche Ausweitung, grundlegend verändert werden würde. Fünf Regierungen beantworten die hier gestellte Frage mit Nein. Sie glauben, eine grundlegende Veränderung des. Charakters nicht vermuten zu müssen. Die französische Regierung vermutet bzw. befürchtet eine solche Veränderung des Charakters der Gemeinschaft.
Viertens. Nicht umstritten scheint demgegenüber zu sein, daß das Ziel der Erweiterung der Gemeinschaft von allen sechs Regierungen der Mitgliedstaaten bejaht wird. Dies schließt, wovon ich mich gestern noch einmal überzeugen konnte, was diese Zielsetzung angeht, auch ein prinzipielles Ja der französischen Regierung ein.
Fünftens. Noch nicht abgeschlossen ist im Ministerrat, d. h. im Kreise der Sechs, die Aussprache über die Teile des Berichts der Kommission, die sich auf die ökonomischen und monetären Fragen beziehen. Dazu gehören die Fragen der Zahlungsbilanz und des Kapitalverkehrs, die Stellung des Pfundes als Reservewährung, die Landwirtschaftspolitik und die Agrarfinanzierung, schließlich auch einige Commonwealth-Probleme: Zuckerabkommen und neuseeländische Butter, um die beiden Hauptfragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, zu erwähnen.
Übrigens darf ich bei dieser Gelegenheit erwähnen: Der Ministerrat hat am Dienstag dieser Woche einen ergänzenden Bericht von Herrn Präsidenten Rey bzw. dem zuständigen Kommissionsmitglied, Herrn Barre, entgegengenommen. Es handelt sich um einen ergänzenden Bericht, der sich auf die Auswirkungen der Pfundabwertung bezieht. Ich möchte, daß das Hohe Haus weiß — weil es für die Erörterungen der kommenden Woche wichtig ist —, daß die Kommission in diesem ergänzenden Bericht die britische Pfundabwertung als einen wesentlichen Schritt zur Wiederherstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts Großbritanniens im Inneren und nach außen bezeichnet. Die Kommission steht durch diesen ergänzenden Bericht zu ihrer Beurteilung vom 29. September und hebt damit die Notwendigkeit hervor, bald in Verhandlungen mit Großbritannien einzutreten.
Wir sind im übrigen der Ansicht — sie mag in einem Punkt eine Kleinigkeit von der Meinung abweichen, die in dem Bericht' der Kommission vertreten wird, aber sie weicht, wie ich mich gestern vergewissern konnte, nicht von der Meinung des französischen Außenministers zu dieser Sachfrage ab —, daß die Probleme der Reservewährung in einem weiteren Rahmen behandelt werden müssen und nicht nur in dem engen Rahmen der Beitrittsverhandlungen der Sechs über den Beitritt Großbritanniens gelöst werden können.
Ich darf bei der Beantwortung der Frage, wo wir jetzt in der Behandlung der Anträge stehen, als sechsten Punkt folgendes hinzufügen. Wenn am Montag und Dienstag die erwähnten materiellen, d. h. ökonomischen und monetären Fragen durchberaten sind, dann wird der Ministerrat zu dem letzten Punkt im Bericht. der Kommission Stellung zu nehmen haben.
7470 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Bundesminister Brandt
In diesem letzten Punkt empfiehlt die Kommission, in Regierungsverhandlungen einzutreten. Darum geht es also am 19. Dezember, und ich meine, daß darüber am 19. Dezember entschieden werden muß. Dieser Meinung sind auch meine Kollegen aus Italien und den Benelux-Ländern. Ich selber bin darauf vorbereitet, es am 19. Dezember spät werden zu lassen oder auch die Nacht zu Hilfe zu nehmen, damit man weiß, woran man ist und wie es weitergehen soll.
Zu der zweiten Frage: Was ist eine vertragsgemäße Entscheidung?, darf ich folgendes vortragen. Wir müssen hier — das wissen die eigentlichen Europapolitiker in diesem Hause natürlich ganz genau, manche wissen es so genau sogar schon etwas länger als ich, aber ich darf es des Zusammenhangs wegen hier noch einmal darstellen — zwei Artikel des Römischen Vertrags heranziehen.
Art. 237 Abs. 1 lautet:
Jeder europäische Staat kann beantragen, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig, nachdem er die Stellungnahme der Kommission eingeholt hat.
Art. 148 Abs. 1 desselben Vertrages, des EWG- Vertrages, lautet:
Soweit in 'diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, beschließt der Rat mit der Mehrheit seiner Mitglieder.
In den meisten Fällen schreibt der EWG-Vertrag vor, mit welcher Mehrheit ,der Rat seine Beschlüsse zu fassen hat, so daß in der Praxis mit einfacher Mehrheit gefaßte Beschlüsse Verfahrensbeschlüsse sind. So ist unbestritten der Beschluß des Rates gemäß Art. 237 Abs. 1, die Stellungnahme der Kommission zu den vorliegenden Beitrittsanträgen einzuholen, ein Verfahrensbeschluß, der gemäß Art. 148 Abs. 1 mit einfacher Mehrheit gefaßt werden kann.
Unbestritten ist ferner, daß um Ende der Beitrittsverhandlungen parallel zu dem in den Mitgliedstaaten durchgeführten parlamentarischen Zustimmungsverfahren als letzter Akt des gemeinschaftlichen Verfahrens der Rat den Beitritt eines dritten Staates zur Gemeinschaft einstimmig billigen, ihm zustimmen muß.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Beschluß des Rates zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen ein Verfahrensbeschluß ist, der gemäß Art. 148 Abs. 1 mit einfacher Mehrheit gefaßt werden kann, oder von der in Art. 237 Abs. 1 vorgesehenen Einstimmigkeit im Rat über den Beitrittsantrag mit umfaßt wird. Der Wortlaut des Vertrages wird unterschiedlich ausgelegt. Aus der früheren Praxis bei den ersten Aufnahmegesuchen Großbritanniens und Dänemarks im Jahre 1961 ergeben sich Anhaltspunkte, wenn man will, aber keine zwingenden Schlüsse. Damals, 1961, hat der damals amtierende Ratspräsident in seinem Schreiben an den britischen Premierminister und an den dänischen Außenminister seine Freude zum Ausdruck gebracht, daß der Rat der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen einstimmig seine Zustimmung gegeben habe. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, daß der Rat diesen Beschluß auch mit einfacher Mehrheit hätte fassen können. Der französische Text des Art. 237 Abs. 1, der der Gesamtredaktion ,des Artikels zugrunde gelegen hat, spricht allgemein davon, daß der Rat sich über den Antrag einstimmig ausspricht, „se prononce à lunanimité". Dies würde schon dem Wortlaut, diesem französischen Wortlaut nach, nicht nur den abschließenden Beschluß des Rates umfassen, sondern auch die vom Rat vorher hinsichtlich des Antrages zu treffenden Maßnahmen, insbesondere also die Eröffnung formeller Beitrittsverhandlungen.
Für die gleiche Auffassung wird die Entstehungsgeschichte herangezogen. Bei Abfassung des Art. 148 Abs. 1 hat man an die sich in Verträgen über internationale Organisationen befindende Vorschrift gedacht, wonach Verfahrensentscheidungen, im Gegensatz zu der sonst vorgeschriebenen Einstimmigkeit, mit Mehrheit getroffen werden können. Daß ,außer diesen internen Verfahrensentscheidungen auch Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Außenbeziehungen von der Vorschrift gedeckt sein sollten, ist damals nicht ins Auge gefaßt worden. In diesem Sinne ist auch geltend gemacht worden, daß der Beschluß, formelle Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, die endgültige Entscheidung über den Beitritt, die zweifellos einstimmig erfolgen muß, teilweise präjudiziere, indem er festlege, daß kein Hindernis bestehe, das von vornherein unter den gegebenen Umständen den Beitritt ausschließe. Jedenfalls haben die Autoren, die früher diese Frage geprüft haben, durchweg die Notwendigkeit einer einstimmigen Entscheidung bejaht.
Wenn man hiervon ausgeht, entfällt die Prüfung der Frage, ob es sich um ein für einen Mitgliedstaat sehr wichtiges, ein vitales Interesse handelt, worüber nach dem Beschluß des EWG-Ministerrats vom 29. Januar 1966 in Luxemburg — Luxemburger Kompromiß — nur unter erschwerten Umständen entschieden werden kann. Dieser sogenannte Luxemburger Kompromiß kommt der Natur der Sache nach nur bei Mehrheitsentscheidungen zum Zuge.
Wenn man sich andererseits die Rechtsansicht zu eigen macht — wozu ich selbst seit langem neige; aber ich bin nicht Jurist —, der Rat könne auch mit Mehrheit den Beschluß zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen fassen, dann stellt sich im Sinne des Luxemburger Kompromisses vom Januar 1966 die Frage, ob die Bemühungen um eine einstimmige Entscheidung lange genug fortgesetzt wurden.
Soweit aus dem Munde eines Laien die rechtliche Seite der Frage. Meine Gespräche dieser Tage mit den Kollegen der anderen Länder haben übereinstimmend ergeben, daß Vertragsauslegung in dieser Lage nicht weiterhilft.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7471
Bundesminister Brandt
Die Frage, die ich erwähnt habe, ist umstritten. Sie würde verbindlich nur durch dien Europäischen Gerichtshof entschieden werden können. Aber es bestand unter uns sowohl gestern bei dem, was man das „kontinentale Frühstück" genannt hat, wie auch bei anderen Zusammenkünften die Meinung, daß nicht dazu geraten werden könnte, in dieser Frage auf einen Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof zu marschieren. Politisch, meine Damen und Herren, wird man davon auszugehen haben, daß die positive Mitwirkung aller Regierungen erforderlich ist, wenn man die Erweiterung der Gemeinschaft erreichen will.
Damit komme ich zu dem dritten Fragenkomplex: Welche Möglichkeiten, Gefahren und Chancen stehen hier jetzt — und wenn ich „hier" sage, meine ich damit auch das Werk der europäischen Einigung, dem wir so große Bedeutung beimessen — gegenüber?
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland tritt dafür ein, daß der Ministerrat am 19. Dezember mit einem, vom Ratspräsidenten festzustellenden, klaren Ergebnis abschließt.
Wir werden uns unsererseits für die Aufnahme von Regierungsverhandlungen aussprechen.
Andere Delegationen werden, wie wir wissen, das gleiche tun. Die Schlußffeststellung des Ratspräsidenten wird in erster Linie in einer Aussage darüber bestehen müssen, daß entweder hierüber, über die Aufnahme von Regierungsverhandlungen, Einigkeit erzielt wurde oder, wenn nicht, wie viele Delegationen sich dafür und wie viele sich dagegen ausgesprochen haben.
Wichtig wird dann noch eine zweite Feststellung sein, nämlich die Feststellung, wie die Angelegenheit weiter behandelt werden soll und was gegegebenenfalls in der Vorbereitung offizieller Regierungsverhandlungen geschehen kann. Wenn es jetzt nicht zum ersten Schritt im Sinne offizieller Regierungsverhandlungen unter Beteiligung aller kommen sollte, dann werden alle Beteiligten nach dem 19. Dezember, sehr rasch nach dem 19. Dezember, die so entstandene Lage zu prüfen haben, jede Regierung für sich, die Regierungen untereinander, alle untereinander oder einige untereinander, und gegenüber anderen in und/oder außerhalb der Gemeinschaft. Hierzu können aus unserer Sicht neben deutsch-französischen und deutsch-britischen Gesprächen auch Kontakte der Fünf gehören, Bemühungen der Fünf nicht an Stelle, aber im Interesse der europäischen Gemeinschaft
Man wird meiner Überzeugung nach schon jetzt erkennen müssen, meine Damen und Herren: Es geht jetzt nicht nur um Großbritannien und um Irland und Dänemark und Norwegen, sondern es geht jetzt auch um die Gemeinschaft selbst.
Eine Grundregel der Gemeinschaft ist, daß die
Meinungsbildung der Gemeinschaft auf Grund der
Meinungen aller Mitglieder zu erfolgen hat. Dazu darf ich, auf den konkreten Falle bezogen, aber auch noch einmal durch einen Rückgriff auf den Vertragstext, folgendes sagen.
Die Kommission führt in ihrem vorhin erwähnten Bericht vom 29. September eine Reihe von Fragen auf, die geklärt sein sollten, bevor der Beitritt Großbritanniens erfolgen kann. Die Kommission läßt offen, ob und wie diese Fragen geklärt werden können. Die französische Regierung glaubt nach dem bisherigen Stand der Erörterungen ihrerseits hierauf bereits eine Antwort zu wissen, und sie sagt sinngemäß: Erst wenn die materiellen Voraussetzungen geschaffen sind — ökonomisch und monetär —, wird in dann relativ kurzfristig anzusetzende und in relativ kurzer Zeit durchzuführende Regierungsverhandlungen einzutreten sein. Die fünf anderen Mitgliedstaaten sagen durch ihre Regierungen, sie seien -wie die Kommission der Auffassung, daß wir uns erst auf Grund einer Verhandlung mit Großbritannien — und wenn ich Großbritannien sage, meine ich die drei anderen immer mit — ein endgültiges Urteil bilden können. Wir meinen, daß Frankreich weder ein Interesse daran noch einen Anspruch darauf haben kann, dies zu verhindern, nämlich daß wir uns in Verhandlungen mit Großbritannien ein klares und endgültiges Urteil bilden können.
Wenn ich sage, ich muß hierbei noch einmal auf den Vertrag selbst zurückgreifen, dann meine ich damit folgendes. Art. 5 des Römischen Vertrags schreibt jedem Mitgliedstaat vor, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Die Erweiterung ist ein Vertragsziel. Der Vertrag schreibt hierfür Verhandlungen vor. Jedes Mitglied ist zwar in der letzten, materiellen Entscheidung frei, aber kein Mitglied darf den Weg verbauen, der nach dem Vertrag zur Entscheidung über die Aufnahme weiterer Mitglieder führt.
Dabei ist unbestritten, daß die Sechs in den Verhandlungen, worum es auch immer gehen mag, nur mit einer Stimme sprechen können.
Großbritannien hält daran fest, erst dann beitreten zu sollen — daran muß man sich auch noch einmal erinnern —, wenn dies ohne ernste Gefahr für sich selbst und für die Gemeinschaft möglich ist, und die britische Regierung weiß, daß dies noch einige Zeit dauern wird. Niemand wünscht also in Wirklichkeit vorschnelle 'Entscheidungen. Aber man muß dann auch hinzufügen, die Wirtschaft Großbritanniens und der drei anderen Länder ist nicht nur ein Interesse dieser Länder, sondern auch derer, die mit diesen Ländern in engem Wirtschaftsverkehr stehen, heute nicht in der Gemeinschaft, später in einer Gemeinschaft. Die Wirtschaft dieser Länder muß ja wohl auch wissen — und das hängt davon ab, ob verhandelt wird oder nicht —, auf welche europäischen Ziele hin sie sich bei ihren Maßnahmen und Schritten orientieren soll oder kann.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, es sei eine Grundregel der Gemeinschaft, daß die Mei-
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Bundesminister Brandt
nungsbildung der Gemeinschaft auf Grund der Meinung aller Mitglieder zu erfolgen habe. Ich darf hinzufügen, Überlegungen darüber, wie man zum Ziel kommen oder das Ziel übereinstimmend feststellen und inzwischen das Vernünftige tun kann, helfen in diesem Augenblick nicht weiter, zumal die britische Regierung — und davon habe ich mich am Wochenende in persönlichen Unterhaltungen überzeugen können — jetzt nichts anderes wissen möchte — und das ist ihr gutes Recht — als das, ob Verhandlungen aufgenommen werden können oder nicht.
Wir haben im übrigen auf seiten der Bundesregierung nicht nur über Verfahrensfragen nachgedacht — meine Ausführungen könnten diesen Verdacht aufkommen lassen —, sondern wir haben selbstverständlich über die Inhalte nachgedacht und hoffen, daß diese Überlegungen dann, wenn es aktuell sein wird, hilfreich sein können. Über die Chancen einer erweiterten Gemeinschaft braucht vor diesem Hohen Hause nichts über das hinaus gesagt zu werden, was am 13. Oktober von allen drei Fraktionen und der Regierung erklärt worden ist. Wir waren uns alle einig, wie wichtig es wäre, den Graben zwischen der EWG und den EFTA-Staaten zuzuschütten, wichtig für die europäische und internationale Entwicklung, wichtig für das ökonomische Wachstum, wichtig für die Verminderung und schließlich die Überwindung des technologischen Abstandes zwischen diesem unserem Kontinent und den Supermächten, wichtig in ,der weiteren Entwicklung auch für die Sicherung des Friedens.
Die Gefahren, die jetzt nicht zu verkennen sind, bestehen darin, daß das Communautaire, das Gemeinschaftsdenken und -handeln Schaden leiden könnte, nein,-mit einiger Sicherheit Schaden leiden würde, wenn der Eindruck entstünde, als bestimme die einseitige, in diesem Fall zu einem negativen Ergebnis kommende Überlegung einer Regierung das Gesetz des Handelns, und daß dann der Elan fehlen werde, um die in der Gemeinschaft vor uns liegenden großen Entscheidungen zu treffen.
Schon jetzt ist unverkennbar, daß von einer Blockierung des Beitritts Großbritanniens andere Erweiterungen betroffen sein werden. Es droht also eine Stagnation dessen, was als europäisches Gemeinschaftswerk zustande gekommen ist. Ich sage das gerade auf dem Hintergrund dessen, daß wir am 13. Oktober sinngemäß gesagt haben: Wir möchten die Erweiterung, und wir möchten sie am liebsten, ohne daß das Geschaffene gefährdet wird oder Schaden leidet.
Es wird schwer werden — um es, wie es dem Außenminister in diesem Augenblick geziemt, vorsichtig zu sagen —, zu einer Einigung über den Eintritt in die Endphase der Gemeinschaft zu kommen, solange .die Beitrittsfragen ungeklärt sind.
Es wäre nicht richtig, würde ich den Ernst der
Lage vor diesem Hohen Hause nicht ausdrücklich
und nachdrücklich unterstreichen. Dies ist auch in den Gesprächen der letzten Tage geschehen.
Die Regierung dieser unser Bundesrepublik bewegt sich nicht in den Kategorien von Machtansprüchen, Demonstrationen oder gar Drohungen. Aber unser eigenes Interesse — das haben wir zu vertreten — und unser Verständnis der europäischen Interessenlage zwingen uns, deutlich zu sprechen und gerade in diesem Augenblick auch unseren französischen Nachbarn dringend zu empfehlen, es sich selbst und anderen nicht zu schwer zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle können den Herrn Bundesaußenminister zu der Erklärung beglückwünschen, die er gerade abgegeben hat.
Er kommt unmittelbar von Kontaktnahmen in England und mit den EWG-Staaten zurück. Er hat eindeutig zum Ausdruck gebracht, was unsere Politik hier — des Bundestages und der heutigen Regierung und der vorhergehenden Regierungen — immer war: Wir sind für die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, wir sind für den Beitritt Großbritanniens und anderer Staaten, die diesen Beitritt wünschen, und wir sind selbstverständlich — daraus folgend — auch für die Aufnahme der zu diesem Ziele führenden Verhandlungen, die in sich natürlich noch keine endgültige Verpflichtung darstellen.
Nun hat sich eine eigentümliche Situation ergeben. In Vorwirkung Ihrer Erklärung, Herr Bundesaußenminister, haben die Antragsteller diesen Antrag, der hier zur Debatte vorliegt, schon für erledigt erklärt. Sie haben ihn nicht deswegen für ,erledigt erklärt, weil sie ihn für unrichtig hielten, sondern weil er schon erfüllt ist, nämlich dadurch, daß die Regierung sagt, sie habe sich bemüht. Sie wird sich auch am 18. und 19. an diesen entscheidenden Tagen im Ministerrat bemühen und dafür eintreten, daß die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen erfolgt. Unsere Debatte ergänzt jetzt eigentlich das, was Sie gesagt haben, und bestärkt das, was die Antragsteller ursprünglich von der Regierung wollten und was die Regierung inzwischen erfüllt bzw. bindend versprochen hat.
Zunächst geht es um eine Verfahrensfrage, aber um eine außerordentlich wichtige Verfahrensfrage. Ich will auf die Probleme, die der Beitritt Englands aufwirft, nicht eingehen. Das haben wir hier schon in Debatten getan; das hat die Kommission getan. Ich will nur sagen, daß zur Lösung dieser Probleme eben Verhandlungen notwendig sind, und ich will ganz deutlich sagen, daß wir auch nach den Ausführungen des Herrn Außenministers mit einer sehr schwierigen Situation am 18. und 19. Dezember in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7473
Dr. Furler
Brüssel rechnen müssen, weil offenbar- die Fünf für Eröffnung der Verhandlungen sind, aber Frankreich sich bis heute noch nicht zu einer Zustimmung entschließen konnte. Es geht auch heute wieder um das Bemühen, Frankreich zu bewegen, doch diesen ersten vorläufigen und nicht bindenden Schritt zu tun. Es geht um den Antrag der Kommission, die ausdrücklich gesagt hat: Wir sind der Meinung, daß Verhandlungen nötig sind, und sie sollen auf Grund eines Beschlusses des Ministerrats eingeleitet werden. Die Kommission hat durch ihren Vorsitzenden, Herrn Rey, ausdrücklich erklären lassen: Wir haben in unseren Bericht nach Art. 237 nicht hineingeschrieben: Gespräche mit England anfangen, nein, wir haben „Verhandlungen" hineingeschrieben, weil nur diese Verhandlungen dazu führen können, daß die notwendigen Positionen klargestellt werden, daß deutlich wird, welche Konzession England macht, ob .es möglich ist, zu einer Einigung zu gelangen, was wir fordern und was die anderen konzedieren müssen. Ich kann Ihnen sagen, daß der Präsident der Kommission am letzten Dienstag, unmittelbar von England zurückkommend, im Politischen Ausschuß des Europäischen Parlaments erklärt hat — er hat das auch dem Ministerrat gesagt —: Ich bin mir darüber klar, daß viele Probleme, zum Teil schwierige Probleme vorliegen; aber kein Problem ist unlösbar. Das ist eine sehr wichtige Erklärung, die der Präsident der Kommission abgegeben hat. Also sind auch wir dafür — und das hat die Regierung versprochen —, daß dem Vorschlag der europäischen Kommission gefolgt und in Verhandlungen eingetreten wird. Das hat auch das Europäische Parlament immer konsequent verlangt. Erst am letzten Dienstag hat der Politische Ausschuß in Brüssel eine Resolution gefaßt und publiziert, in der er ausdrücklich verlangt, daß durch einen Beschluß, der in der nächsten Ministerratstagung zu fassen wäre, in Verhandlungen eingetreten wird.
Diese Verhandlungen sind auch deshalb so wichtig, damit nicht plötzlich alles blockiert wird. Schon durch Verhandlungen, schon durch Auseinandersetzungen wird verhindert, daß sich dieser Graben wirtschaftspolitischer Art in Europa vertieft. Wir haben auch die günstige Situation, daß keine Fristen die Verhandlungen, ich möchte einmal sagen, unter Druck setzen können. Die Verhandlungen können in aller Ruhe und ber eine lange Zeit hinweg geführt werden, wenn sie nur überhaupt geführt werden, um zu einer Annäherung zu gelangen. Das müßte den Beschluß doch wirklich erleichtern, auch für Frankreich. Die Verhandlungsposition ist ja eine ausgezeichnete, auch für Frankreich.
Etwas ganz Entscheidendes: Dieser Beschluß, Verhandlungen aufzunehmen, bindet ja nicht hinsichtlich des endgültigen .Ergebnisses. Selbstverständlich ist jede Regierung frei, in freier, souveräner Beurteilung des Ergebnisses dieser Verhandlungen dann ja oder nein zu sagen. Man kann also nicht sagen, man würde jetzt die französische Regierung auf etwas festlegen, wozu sie heute noch nicht entschlossen sei. Im übrigen gibt es vielfältige Formen dieser Verhandlungen. Auch da besteht ein großer Spielraum.
Aber ich glaube, es würde vor allem hier in Deutschland, von der öffentlichen Meinung, von unserem Parlament nicht verstanden werden, wenn man schon gar nicht anfinge, sich einmal mit denen an einem Tisch auszusprechen,
die unseren Wunsch, diese Gemeinschaft zu erweitern, erfüllen wollen, einen Wunsch, .den wir nicht erst heute haben, sondern den wir schon bei Abschluß der Verträge hatten.
Der Herr Außenminister hat ganz klar gesagt — und das steht in den Verträgen —, daß es ein Ziel ist, diese Gemeinschaften zu erweitern. Wir haben ja die EWG damals nicht geschaffen, um uns endgültig von den anderen ,abzuschließen. Im Gegenteil, wir wollten die vitale Kraft setzen, auf Grund deren dann die anderen bewogen würden, zu uns zu kommen.- Und sie sind so weit, daß man mit ihnen mindestens darüber verhandeln kann, wie es geht.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein paar kurze Worte. Ich will nicht in den völkerrechtlichen Streit eintreten: Ist Einstimmigkeit für die Aufnahme dieser Verhandlungen erforderlich oder nicht? Ich glaube, damit kommen wir nicht weiter. Niemand denkt ja daran, in dieser Frage ein Urteil des Gerichtshofs einzuholen. Das Ganze ist für mich in erster Linie eine politische Frage, die Frage nämlich: Kann man sich, auch von Frankreich aus, entschließen, diese Verhandlungen aufzunehmen?
Weiter ist dies für mich aber auch eine Frage der Arbeit, des Lebens und des Rechts innerhalb der Gemeinschaften. Es geht meiner Ansicht nach nicht um die völkerrechtliche Interpretationsfrage: Einstimmiger Beschluß, also einstimmiger Beschluß auch für Aufnahme der Verhandlungen. Nein, es geht um den Geist und die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaften.
Der Herr Außenminister hat mit Recht gesagt, es ergebe sich aus Art. 5 und aus anderen Artikeln sowie aus der Präambel, daß die Erweiterung der Gemeinschaften ein Ziel der Verträge sei und daß die Verträge ausdrücklich sagten, alle müßten mitwirken, festgelegte Ziele zu erreichen. Aber ich gehe hier noch weiter. Ich sage folgendes: in den Gemeinschaften gibt es eine besondere Verpflichtung, auch auf die Interessen anderer Rücksicht zu nehmen. Es geht einfach nicht, daß diese dauernde, diese enge paritätische Zusammenarbeit, zu der auf Grund der Römischen Verträge eine Verpflichtung besteht, die nach den Verträgen eine Selbstverständlichkeit ist, ignoriert und daß man aus eigenen oder anderen Interessen ohne Notwendigkeit einfach über das hinweggeht, was die anderen fordern und was deren Interesse ist. Das Gebot der Rücksichtnahme, das Gebot, alle Argumente zu erwägen, das Gebot der Zusammenarbeit verlangt auch eine Mitwirkung auf Ziele hin, vor allem dann, wenn ich dadurch nicht endgültig verpflichtet werde.
7474 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Dr. Furler
Ich glaube, wir können es uns in der EWG einfach
nicht erlauben, diese Gemeinschaftshaltung in einer
solchen Weise zu übersehen. Das ist nicht tragbar.
Ich muß auch sagen, wenn man schon in Erklärungen so deutlich zum Ausdruck bringt, daß es sich hier nicht um eine Interessengemeinschaft, eine Freihandelszone oder irgend etwas Lockeres, sondern um eine Gemeinschaft handelt, muß man auch diese Konsequenzen ziehen, die in diesem Fall — besonders deutlich — zumutbar sind.
Meine Damen und Herren, wir wollten die Regierung stützen. Wir tun das auch jetzt. Wir brauchen die Resolution nicht mehr. Wir sind der Meinung, die Regierung hat bisher eine richtige Politik getrieben, sie hat im Sinne der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und der wiederholten Erklärung des Herrn Außenministers gehandelt. Unser Ziel ist klar: die Erweiterung. Das taktische Ziel ist die Aufnahme der Verhandlungen. Es geht nur um die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen können.
Wir wollen hier aber auch die Gelegenheit nehmen — drei Tage vor der sehr wesentlichen Entscheidung —, an die französische Regierung zu appellieren und sie zu bitten, die Dinge noch einmal zu erwägen, zu erwägen auch aus dem Geiste der Gemeinschaft heraus. Denn wir wollen ja die Gemeinschaft nicht auflösen, nicht schwächen oder denaturieren. Im Gegenteil, wir sind für eine Stärkung. Wir sind aber auch für die Vermeidung von Krisen; die können wir nicht gebrauchen. Die Gemeinschaft muß in sich erhalten werden, sie muß aber auch diese Stärkung nach außen haben.
Meine Freunde, die Resolution, die zu fassen wir vorhatten, ist zwar in sich erledigt. Aber wir haben etwas viel Besseres bekommen, wir haben diese Erklärung des Herrn Außenministers bekommen und wir haben die Gelegenheit, zwei Tage vor Beginn der Auseinandersetzung in Brüssel noch einmal ganz deutlich zu sagen, was wir wollen und was wir für unsere Freunde für zumutbar halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist im Prinzip zu begrüßen, daß wir Gelegenheit haben, in einer für Europa entscheidenden Frage vom Bundestag her zu den Dingen Stellung zu nehmen, die auch über unser Schicksal entscheiden werden. Nur, so einfach, meine Damen und Herren, darf sich das Parlament die Sache nicht machen, daß es sich mit der Entgegennahme einer Erklärung, die in manchen Punkten durchaus auch unsere Billigung findet, begnügt. Ich glaube, es müßte noch einiges gesagt werden, was wir dem Herrn Bundesaußenminister für seinen schweren Gang am Montag und Dienstag noch mit auf den Weg geben möchten.
Das geschieht nicht, meine Damen und Herren, um eine Kluft innerhalb der Regierung oder zwischen den Parteien aufzureißen. Das geschieht auch nicht etwa aus Scharfmacherei, sondern das geschieht, um der Sorge darüber Ausdruck zu geben, daß das, was heute nicht geschieht, morgen un-wiederholbar vorbei sein kann.
Die Vorgeschichte, wie es zu dieser Debatte im Bundestag gekommen ist, ist Ihnen bekannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Dieses Ersuchen hat eine Parallele in der Frage, die meine Partei gestellt hatte. Unsere Frage ist dadurch, daß das Thema auf die Tagesordnung gekommen ist, erledigt. Das Ersuchen, daß die Bundesregierung im Ministerrat eine vertragsgemäße Entscheidung herbeiführen solle, erschöpft sich nicht nur mit dem Eintritt Großbritanniens in die EWG. Es bedeutet weitaus mehr; es ist kein Einzelproblem. Denn nach Lage der Dinge handelt es sich im Grundsatz um die Entscheidung, wie es in Europa, wie es um Europa weitergehen kann und wie es weitergehen soll. Das ist keine Frage der Methodik; damit würden wir es uns zu leicht machen. Ich fürchte, es handelt sich um einen echten Zielkonflikt innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft besteht aus sechs Ländern. Wir haben uns daran gewöhnt, zu denken, es seien jetzt fünf plus eins. Ich meine, wir sollten die Augen nicht vor der Gefahr verschließen, daß es sehr wohl auch sechs minus eins werden kann, wenn wir nicht aufpassen. Meine Damen und Herren, es scheint uns zu billig zu sein, wenn wir etwa Herrn de Gaulle unterstellen wollten, er wolle nur nicht oder er handle aus einer irgendwie motivierten Aversion gegen die USA oder gegen England, oder er erstrebe etwa die Vorherrschaft Frankreichs, oder er habe visionäre Illusionen. Ich fürchte vielmehr, so wie die Dinge erkennbar werden, handelt Herr de Gaulle sehr konsequent. Wenn er auf seinem Kurs bestehenbleibt, so wie wir ihn sehen, kann er gar nicht anders handeln. Daß wir diese Erkenntnis erst heute finden, meine Damen und Herren, daran tragen auch wir ein gerüttelt Maß Schuld mit.
-- Sie werden es hören, Herr Kollege Majonica.
Ich teile nicht die Ansicht des Herrn Bundesaußenministers. Ich verweise vielmehr auf die Beurteilung der Situation, die der Herr Bundeskanzler gegeben hat. Er ist es nämlich, der gesagt hat, wir in der Bundesrepublik tragen die Schuld mit. Er sagte am 26. Oktober von diesem Platz aus: „ ... die französische Politik war und ist durchaus kalkulierbar." Es sei ein Fehler gewesen, so sagte er, in den vergangenen Jahren den ganz entschiedenen französischen Willen, der entschieden und klar einer völlig anderen europäischen Konzeption entstammt, nicht ernst genug genommen zu haben. Das sind die Worte des Herrn Bundeskanzlers. In der Tat, wir können diese Dinge nicht ernst genug nehmen. Wenn wir uns jetzt der Illusion hingeben wollten, wir könnten in diesem einen Fall irgend etwas begradigen oder etwas weiterkommen: morgen wird es ein anderes sein, wenn wir nicht grundsätzliche Entscheidungen herbeiführen.
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Was will nun de Gaulle? Auch seine Handlungen sind nur im Zusammenhang zu begreifen. Was bedeutet die Rundum-Verteidigung, welche General Ailleret jetzt als für Frankreich notwendig herausgestellt hat? Offenbar soll ein Frankreich gesichert werden, das sich allseitig ungebunden, frei von Blockbildungen, nach allen Seiten neutral, auch militärisch verteidigen kann.
Meine Damen und Herren, jeder Staatsmann braucht einen Popanz. Jeder Staatsmann braucht etwas, an dem er sich reiben kann und an dem er seine Kräfte messen kann. Das sind für de Gaulle unzweifelhaft die USA. Hier will er zeigen, wohin er will. Er will die Gemeinschaft mit den USA, die er in der NATO eingegangen ist und welche die EWG selbstverständlich ihrer Zielsetzung nach für notwendig hält, schwächen, wenn nicht aufheben. De Gaulle will die enge Zusammenarbeit in der EWG dazu benutzen, um eine europäische Entente, die in sich selbst zufrieden ist, mit der Spitze gegen die USA und mit der Spitze gegen ein England zu schaffen, das dieser seiner Konzeption nicht zu folgen bereit ist.
Wir würden uns irren, wenn wir meinten, daß es ihm sein visionärer Starrsinn gestatten würde, sein Ziel aufzugeben, ohne daß er ständig insonderheit von uns darauf hingewiesen wird, daß wir andere Zielsetzungen und andere Wege haben. Jedes Mittel benutzt er. Unzweifelhaft handelt der General de Gaulle gegen den Vertrag.
Ich habe es begrüßt, daß der Herr Bundesaußenminister die politische Bedeutung des EWG-Vertrages hervorgekehrt hat. Wir sind mit ihm der Meinung, daß uns juristische Auslegungen nur wenig helfen, weil es um politische Grundentscheidungen geht. Ich darf wiederholen, was der Herr Außenminister als Gefahren aufgezeigt hat. Er hat gesagt, das Gemeinschaftsdenken würde Schaden leiden, wenn nur einer bestimmen wollte. Er hat ferner gesagt, es drohe dadurch eine Stagnation. Die ungeklärte Beitrittsfrage der Vier und die Nichterledigung des Schreibens von Schweden blockiere den Fortgang innerhalb der EWG. Dem ist wenig hinzuzufügen.
Das anzuführen, ist aber nur dann sinnvoll, wenn man erkennt, daß Herr de Gaulle von dem Zeitpunkt an, als er merkte, daß die EWG nicht mitziehen würde, jenen Weg eingeschlagen hat, der jetzt wieder einmal an einen kritischen Punkt geführt hat. Herr de Gaulle ist in einer Beziehung kein Phantast: er rechnet mit den Realitäten, und er respektiert nichts weiter als entschlossenen Willen, der dann für ihn Realität wird. Für uns bedeutet das folgendes: unsere Realität hat unser Wille nach vertraglicher Ausweitung der EWG zu sein. Nicht nur Großbritannien, auch die anderen Partner der EWG haben einen verbrieften Anspruch darauf, daß in die Verhandlungen eingetreten wird, denn ohne Verhandlungen ist der Beitritt einfach nicht zu erzielen.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Ausführungen meines Freundes, Herrn von Kühlmann, die er in der
Debatte am 23. Oktober gemacht hat, sich als voll berechtigt erwiesen haben.
Ich würde es begrüßen, wenn dem nicht so wäre. Aber die Gerechtigkeit gebietet, festzustellen, daß .das, was er mahnend gesagt hat, heute seine Bestätigung findet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen ein Wort vortragen, das unser Freund Dr. Starke am 30. November 1967 im Europäischen Parlament gesprochen hat. Er sagte sinngemäß: „Alle Nachgiebigkeit, alle Bereitschaft hat eine Krise nicht verhindern können; sie kommt doch, und zwar dann, wann sie gewollt ist, und sie kommt so, wie sie gewollt ist." Was anderes wäre nun das Verhalten des Herrn de Gaulle in der EWG-Agrardebatte mit seiner Politik des leeren Stuhls gewesen, was anderes wäre sein Verhalten zur NATO und auch außerhalb des Rahmens der EWG, außerhalb des Rahmens Europas, in Kanada, gewesen, was anderes bedeutet sein Nein zur politischen Integration? Die Regierung, die die schwierigen Verhandlungen zu führen hat, darf das nicht vergessen, sonst kommt sie zu Fehlentscheidungen. Und in der heutigen kritischen Konstellation könnten solche . Fehlentscheidungen schwerwiegende Folgen heraufbeschwören.
Meine Damen und Herren! Der deutschfranzösische Vertrag, dessen Präambel und auch dessen Inhalt wir uns immer wieder ansehen sollten, ist für Herrn de Gaulle stets ein Mittel gewesen, unser Verständnis dafür zu gewinnen, daß er sich in dieser oder jener Situation wieder einmal querlegt. Wir — das dürfen wir befriedigt feststellen — erfüllen diesen Vertrag bis an die Grenze der Loyalität. Aber dadurch, daß wir die Interessen unseres eigenen Volkes und auch die Interessen der Gemeinschaft wahrzunehmen haben, sind uns Grenzen gezogen. Wenn wir diese Grenzen überschreiten, geraten wir in die Gefahr, falsche Wege zu gehen und eine falsche Konzeption zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen. Wir wären dankbar, wenn wir noch aus dem Munde der Regierung hören könnten, ob der Herr Bundeskanzler bei seinem Gespräch mit Herrn General de Gaulle und der Herr Bundesaußenminister bei den Gesprächen mit seinem Kollegen Couve de Murville unzweideutig und klar unsere Situation gekennzeichnet haben und wie die Reaktion darauf gewesen ist.
Nun wird sehr viel von Einstimmigkeit unbestriten in der letzten Phase — wann immer sie einzutreten hat — gesprochen. Es wird davon gesprochen, daß dieser Zwang zur Einstimmigkeit — das beweisen die Tatsachen — zur Blockierung des Fortschreitens der Verhandlungen geführt hat. Meine Damen und Herren, so macht man keine Politik, daß man seine Partner vor die Entscheidung stellt, entweder zu kapitulieren oder ständige Krisen in Kauf zu nehmen.
Wir wiederholen — und wir freuen uns, daß wir in diesem Punkte hier im Hause alle einer Meinung sind —, wir und auch die restlichen Vier in der
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EWG sehen in dieser nicht ein Gebilde zum Selbstzweck. Es ist für uns die Keimzelle einer Ausweitung. Ich darf Herrn Kollegen Furler zustimmend zitieren, der am 26 Oktober — ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten zu zitieren — gesagt hat:
Die EWG wurde nicht gegründet, um Europa zu spalten, sondern als ein Anfang auf die Einheit hin.
Und am gleichen Tage sagte der Herr Bundesaußenminister:
Wir sind nicht etwa frei; der Vertrag wünscht die Erweiterung der Gemeinschaft.
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, nicht frei sind und wenn die EWG gegründet worden ist, um sie offenzuhalten für alle europäischen Staaten und als Basis, auf der man einst vielleicht mit dem Osten reden kann, müssen wir auch alles tun, um Gefahren für ihre Fortentwicklung abzuwenden. Wir wollen deswegen die Ausweitung nicht nur verbal — das wäre billig und sehr einfach —, vielmehr muß der Wille zur Ausweitung glaubhaft werden durch praktische Taten, und das bedeutet in der heutigen Phase den Zwang zur Verhandlung mit den Antragstellern, die vor der Tür stehen.
Die Aufgabe zwingt uns, jetzt eine Grundsatzentscheidung des Herrn Generals de Gaulle herbeizuführen. Es ist unmöglich, daß das von . uns gewünschte Europa bereits in seinen Anfangsstadien von Krise zu Krise hinundhergerissen wird.
Wir dürfen auch nicht außer acht lassen, welche Rückwirkungen die heutige Situation, wenn sie ausweglos würde oder wenn sie länger dauerte,, auf England haben müßte. Noch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Beitrittswille unserer englischen Freunde echt ist, trotz der früheren Abweisung durch ein kategorisches Nein aus Paris. Wir fragen uns aber, ob es immer so bleiben kann.
Natürlich hat England kaum eine brauchbare Alternative; das müssen wir feststellen. Es hat nur die Wahl zwischen dem Eintritt in die EWG und dem Marsch in die Neutralität. Die Fragen um Europa stehen an, und sie müssen gelöst werden, so oder so. Was ein Marsch Englands in die Neutralität — wenn es dazu gezwungen wäre — bedeuten würde, brauche ich nur anzudeuten. Uns Deutsche trifft es insonderheit: Die Auflösung der NATO, den Abzug der Rheinarmee und den Alleingang Englands nach Moskau, um dort auszuhandeln, was für England nötig ist. Infolgedessen ist für Großbritannien der Beitritt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch nötig und deswegen gewollt.
Wir dürfen aber nicht verkennen daß es auch in England erhebliche Gegenkräfte gibt. Lesen Sie einen Teil der englischen Presse, lesen Sie die Berichte über die Haltung des jetzigen Schatzkanzlers in London! Und Sie kennen alle die ewig Gestrigen, die sich nicht damit abfinden können, daß die Rolle Englands so, wie sie einmal war, nicht mehr möglich ist. Wir sollten uns entsinnen, was Lord Chalfont gesagt hat, zweimal gesagt hat. Er war hier in Bonn, und er beklagte sich in London auf dem Labour-
Parteitag sehr bitter darüber, daß er bei seinem Besuch nicht in vollem Umfang über die Meinung der Bundesrepublik in der Frage des Eintritts Englands in die EWG orientiert worden sei. Er verbarg seine Enttäuschung nicht. Und wer wollte leugnen, daß damit jene Äußerung zusammenhängt, die er kürzlich getan hat. Vielleicht war es eine Gedankenskizze; aber solche Dinge geschehen eben nicht ohne politischen Zweck, besonders nicht seitens der englischen Regierung. Wir sollten nicht sein Bild vergessen von der möglichen Haltung Englands für den Fall, daß der Eintritt Großbritanniens in die EWG durch General de Gaulle zum zweitenmal unmöglich gemacht wird. Auch er sagte es: Austritt aus der NATO, Neutralität, Abwendung von Europa.
Meine Damen und Herren, wir in erster Linie tragen die Verantwortung — und wir können uns ihr nicht entziehen — für ein kommendes Europa. Was hat nun also zu geschehen? Wir haben Verträge, die die Erweiterung der Gemeinschaft beinhalten, und nach ihnen müssen wir handeln. Europa muß entstehen, und nach unser aller Meinung ist die EWG das Instrument, mit dessen Hilfe und unter deren Vorantritt Europa zu entstehen hat. Diese EWG ist nun einmal nicht statisch, sie ist ihrer ganzen Anlage und ihrer Sinngebung nach dynamisch. Die EWG bestimmt nach unserer Meinung unseren Part, den wir zu spielen haben, wenn es um die friedliche Entwicklung nicht nur in Europa, sondern in der Welt geht.
Wenn dem so ist, ist es unerträglich, daß in Europa eine einzige Autorität sich anmaßen möchte, den Gang der Ereignisse so zu bestimmen, wie sie selbst es sieht und wie es ihren Interessen entspricht, um jeden Fortschritt zu blockieren, wenn es nicht ganz nach ihrem Willen geht. Dieses Europa, das entsteht, kann niemals ein Europa der Ultimaten sein oder ein Europa, in dem ein Veto wann immer und zu welchem Zweck jede Bewegung verhindern könnte.
Wenn wir diese Ultimaten und dieses Veto ablehnen, bedeutet das natürlich auch, daß wir dem Herrn General de Gaulle kein Ultimatum stellen dürfen. Der Weg, den wir ihm gegenüber und mit ihm zu gehen haben — hoffentlich mit ihm! —, ist der Weg des Rechts, unseres Rechtsanspruchs darauf, daß die EWG nicht so klein bleibt, wie sie ist, sondern erweitert wird.
Ich kann es mir ersparen, meine Damen und Herren, Ihnen die fünf Punkte vorzutragen, auf die sich der Ministerrat geeinigt hat; das hat in überzeugender Weise und mit der entsprechenden Begründung der Herr Bundesaußenminister getan. Die Folgerung daraus ist: Es müssen trotz allem gemeinsame Grundlagen gesucht werden, um Europa voranzutreiben. Denn eines wissen wir: ein Europa ohne England oder ein Europa ohne Frankreich muß ein Torso ohne sichere Zukunftsaussichten bleiben.
Nun müssen wir erkennen und zugeben, daß derzeit die Widerstände und die Widersprüche, die sich ergeben, einen antagonistischen Charakter haben und daß sie ohne große Anstrengungen und ohne Klarheit nicht überwunden werden können. Das läßt sich nicht hinwegdiskutieren.
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Welche Möglichkeiten haben wir? Die Linie der Fünf gestern in Brüssel — ich sprach bereits davon — zeigt deren Bestreben — leider sind es nur noch fünf, die sich einig sind —, zeigt, daß keine Tür zugeschlagen worden ist und daß sie nach äußerstem Willen für niemanden zugeschlagen werden soll. Das findet unseren ungeteilten Beifall. Aber wenn wir den Antagonismus überwinden wollen, verlangt das von uns Ehrlichkeit, es verlangt Klarheit; Klarheit nicht nur gegenüber Herrn de Gaulle, sondern Klarheit auch gegenüber England. Sonst sitzen gerade wir nach den Erfahrungen und nach dem Ruf, den wir nun einmal genießen, am Ende zwischen sämtlichen Stühlen.
Was bedeutet Klarheit gegenüber Frankreich? General de Gaulle muß wissen, daß wir in der augenblicklichen Krise keinen Einzelfall sehen, sondern sie hineinstellen in die Erfahrungen der Vergangenheit und daß wir seine Erklärung über ein Europa, wie er es sich vorstellt, nicht mehr ignorieren. Unsere Verantwortung für Europa und die Unterschrift, die wir unter ,die EWG-Verträge gesetzt haben, zwingen uns dazu, beharrlich, aber auch unnachgiebig darauf zu bestehen, daß England und alle jene, die der EWG beizutreten wünschen, diesen Beitritt auch ermöglicht bekommen.
Herr de Gaulle muß weiter wissen: wie immer die jetzige Krise ausgeht, die EWG wird nach dem Schluß dieser Krise so oder so nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Das kann negative Folgen haben, oder es kann sich positiv auswirken. Wir hoffen das letztere. Aber Hoffnung allein genügt nicht. Wir müssen etwas dafür tun. Im Ziel unnachgiebig, meine Damen und Herren, in der Methode flexibel, stufenweise — warum nicht —, aber konsequent.
Es darf auch keinen Versuch geben, Frankreich etwa zu überlisten oder langsam zu etwas zu ziehen, was es nicht will. Das merken die Leute in Paris. Das würde alles verderben. Kapitulation wollen wir nicht verlangen. Aber die Franzosen müssen wissen, Paris muß wissen, daß der Schlüssel zur europäischen Entwicklung, zur Stagnation oder zur segensreichen Weiterentwicklung jetzt in Paris liegt. Für den Nichterfolg, für das Versagen trägt allein Paris die Verantwortung. Wir müssen sehr klarmachen, daß Frankreich weder in ,der Gemeinschaft noch gar isoliert das Recht oder die Möglichkeit hat, allein seinen Willen als für die Entwicklung der europäischen Dinge maßgebend zu betrachten.
Die Tatsache, daß der Schlüssel bei Frankreich liegt, zwingt uns, das immer wieder auch vor der Welt zu wiederholen, damit wir nicht eines Tages mit dem Schwarzen Peter in der Tasche dastehen. Ich fürchte, daß seitens 'der Fünf noch nicht genug geschehen ist, die öffentliche Meinung Europas unzweideutig in Paris zu artikulieren. Auch dort liegen Möglichkeiten für uns.
Was bedeutet Klarheit gegenüber Großbritannien? Großbritannien muß über jede Nuance, über jede Phase der Entwicklung loyal und erschöpfend unterrichtet werden. Großbritannien muß überzeugt werden, daß es auch in seinem Interesse liegt, .da es nun einmal schnell nicht gehen kann, schrittweise vorzugehen. Großbritannien muß überzeugt werden, daß Ungeduld seinerseits sehr vieles verderben könnte. Auch Großbritannien kann kein Interesse haben, daß die EWG geschädigt wird oder gar ein 'Ende nimmt.
Ich glaube, es liegt auch eine Möglichkeit vor, unseren guten Willen dadurch zu beweisen, daß wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um die wirtschaftliche Sanierung, die die Vorbedingung für die Möglichkeit des Eintritts ist, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu fördern, auch wenn es uns manchmal finanziell oder sonst etwa schwerfällt. 'Großbritannien muß wissen: die Fünf, die übriggeblieben sind, sprechen eine Sprache, und diese Sprache ist auch die Sprache Großbritanniens.
Wir wollen natürlich nicht verkennen — das würde die Schwierigkeiten nicht beseitigen —, daß wir in unserer Lage nicht frei sind. Die Lage ist mißlich. Sie ist dadurch eingeengt, daß unser nationales Grundanliegen noch in der Schwebe ist. Das enthebt uns aber nicht des Zwanges zur Klarheit. Es gibt keine Einheit Deutschlands ohne Europa. Es gibt aber auch keine Einheit gegen de Gaulle.
Meine Damen und Herren, wie handelt de Gaulle, und wie handelt unsere Regierung? Gestatten Sie mir, Herr Präsident, aus der Präambel zum deutschfranzösischen Vertrag einige kurze Stellen zu zitieren. Da heißt es, dieser deutsch-französische Freundschaftsvertrag solle dazu beitragen, eine enge Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika herzustellen. Das ist der Wille des Hohen Hauses. Es heißt weiter, die gemeinsame Verteidigung im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses und die Integrierung der Streitkräfte der in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Staaten sei auch Sinn und Zweck dieses Vertrages. Weiter heißt es, unter Einbeziehung Großbritanniens und anderer zum Beitritt gewillter Staaten sei die weitere Stärkung dieser Gemeinschaften, der EWG und der NATO, anzustreben.
Das ist mehr als ein Wort, meine Damen und Herren. Sie wissen, daß die Präambel vor der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrages eine erhebliche Rolle gespielt hat. Dieses Gesetz ist die Richtschnur des Handelns der Regierung. Wenn sie etwas anderes will, mag sie vor den Bundestag treten und diese Bestimmungen aufheben lassen. Aber solange dieses bindende Gesetz für die Regierung besteht, hat sie alles zu tun, um im Rahmen der NATO und auch im Rahmen der EWG das durchzusetzen, was der erklärte Wille dieses Hohen Hauses ist.
Die anderen Staaten, die Beneluxstaaten und Italien, sind ohne nationale Probleme. Sie tun sich leichter, weil negative Rückwirkungen für sie nicht so lebensentscheidend sein würden wie für uns. Wir sollten sie auffordern, für uns Verständnis zu haben. Wir sollten sie bitten, ihre Stimme in demselben Sinne zu erheben, wie wir es tun. Wir täten gut daran, die Europafreundlichkeit der Holländer zur Grundlage und als Beispiel zu nehmen.
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Nun geht es nur um den Verhandlungsbeginn. Wenn schon hier jene Schwierigkeiten bestehen, was soll dann erst werden, wenn es zur letzten, zur endgültigen Entscheidung kommt? Wir wissen, die letzte Entscheidung kann nur einstimmig gefaßt werden. Es besteht ein Streit darüber — ich will das nicht wiederholen —, ob bereits die Aufnahme von Verhandlungen der Einstimmigkeit bedarf oder nicht. Sei dem, wie es sei. Der Bundesaußenminister hat dargelegt, daß er es für notwendig und vernünftig gehalten hat, die Notwendigkeit der Einstimmigkeit auch bei der Aufnahme von Verhandlungen zu respektieren.
Aber frei sind wir ohne Zweifel für informative Gespräche mit allen, die eintreten wollen, frei ist auch die Kommission in Brüssel. Frei sind die einzelnen EWG-Länder; denn diese sind es ja, die in der Endphase durch ihre Parlamente jedes für sich die Ratifizierung eventuell entstehender Verträge über den Beitritt dieser oder jener Länder zu beschließen haben.
Meine Damen und Herren, Europa kann nicht länger durch nur einen Mann seine Zukunft gefährden lassen. Der Punkt ist erreicht. Die Zurückweisung Englands würde eine gefährliche europäische Entwicklung in die Wege leiten, deren Konsequenzen wir heute nicht übersehen können und die wir nicht unter Kontrolle werden halten können. Hierzu dürfen wir niemals die Hand reichen. Das bedeutet: elastisch in der Methode, unnachgiebig im Ziel. Gibt de Gaulle nicht nach, muß England vor der Tür bleiben. Dann wäre die Vertrauensgrundlage innerhalb der EWG nicht mehr gegeben, mühsam würde sich die EWG dann als ein amorphes Gebilde hinschleppen und am Ende hinsiechen. Das wäre ein Schrekken ohne Ende.
Es gibt nur eine Lösungsmöglichkeit. Sie besteht in der Schaffung eines einigen, eines freien und eines zunächst in seinen freien Teilen starken Europas, einer mächtigen Wirtschaftsmacht als Partner für Osteuropa in friedlicher Entwicklung und für die Welt. Wer diese Möglichkeit, zu der es keine Alternative gibt, verbaut, blockiert, schließt sich selber aus. Die lachenden Dritten wären jene, die immer glauben, aus der Uneinigkeit der freien Welt ihre Vorteile ziehen zu können. Wohl kann de Gaulle Europa in tödliche Gefahren stürzen, aber wir dürfen nicht einem solchen Werk Vorschub leisten, um nicht mitschuldig zu werden.
Die Bundesregierung möge sich gesagt sein lassen: jetzt ist die Zeit des Taktierens vorbei. De Gaulle muß jetzt zu einer prinzipiellen Entscheidung gestellt werden. Stellen wir die Dinge doch nicht auf den Kopf. Nicht wir wollen die Römischen Verträge ändern oder etwas hineininterpretieren, was man Herrn de Gaulle nicht zumuten könnte. Wir verlangen weiter nichts als die Wahrung unseres Rechts. Wir legen die Römischen Verträge nach Buchstaben und Sinn aus. Wir lassen es uns aber auch nicht gefallen, wir dürfen es uns nicht gefallen lassen, daß diese Verträge ständig, wenn nicht gebrochen, so aber in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Das Verfahren ist vorgeschrieben. Art. 237, wir hörten es, regelt das Verfahren des Eintritts.
Hiervon dürfen wir nicht lassen. Verhandlungsverweigerung gegenüber einem Staat, wer immer es sei, dessen Sanierung wir verlangen, ist ein unfaires Spiel, das wir nicht mitmachen dürfen. Wir fordern die Regierung auf, unmißverständlich zu handeln. Das Recht steht auf unserer Seite. Die Zukunft Europas steht auf dem Spiel.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Herr Borm hat eben von den Schrecken ohne Ende gesprochen. Das war für mich seine Rede. Entschuldigen Sie, daß ich das so sage. Man kann hier natürlich keine Oppositionsrede über den fehlenden Mut der Bundesregierung halten und dann in der Sache eigentlich nichts aussagen.
Wir sind doch nicht zusammengekommen, um Glaubensbekenntnisse über Europa auszutauschen, sondern wir sind wegen eines sehr ernsten Anliegens zusammengekommen. Wenn ich mir das, was Sie ausgesagt haben, genau angucke, kann ich nur sagen, es gibt keine konkrete Aussage, die man der Regierung für die Verhandlungen in der nächsten Woche mit auf den Weg geben kann.
Insofern, muß ich Ihnen sagen, war der Beitrag der Opposition — gestatten Sie mir diese Bemerkung — mehr als kümmerlich.
Sie haben gesagt, daß die Zeit des Taktierens vorbei sei, und Sie haben die Regierung zum Handeln aufgefordert. Hat die Regierung denn nicht gehandelt? Ich habe für meine Fraktion das Gefühl, daß wir hier einen Bericht des Außenministers bekommen haben, der völlig deutlich macht, daß hier gehandelt wird, wenn auch vielleicht nicht so, wie Sie es wollen, emotional, mit großem Geschrei und viel Klamauk, sondern sachlich, ruhig, zielbewußt unter der Wahrung der deutschen Position und der europäischen Interessen. Das ist die Aufgabe unserer Regierung. Nur so kommen wir weiter.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich darf die Frage an das Haus stellen, ob das Anliegen dieses Antrags nicht bereits durch die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers erfüllt ist.
— Ja eben; deshalb meine Fragestellung, ob der Antrag damit erledigt ist.
— Das Haus stimmt dieser Feststellung zu.
Dann, meine Damen und Herren, teile ich noch mit, daß Punkt 11 der heutigen Tagesordnung, die erste Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches, ein Antrag der Fraktion der FDP, von der Tagesordnung abgesetzt worden ist.
Ich rufe Punkt 9 auf:
a) Zweite unid dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Pflanzenschutzgesetzes
— Drucksache V/8175 —
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Vizepräsident Schoettle
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2367 — Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
bb) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache V/2335 — Berichterstatter: Abgeordneter Bading
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Gesundheitswesen über den Antrag der Fraktion der SPD
betr. Schädlingsbekämpfungsmittel
— Drucksachen V/395, V/2287 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans
Der Berichterstatter möchte das Wort? — Das ist eine Ausnahme von der Regel. Leider! Das Wort hat der Berichterstatter, der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage über das Pflanzenschutzgesetz hat im Plenum schon einmal vor den Sommerferien vorgelegen. Da sich aber noch Meinungsverschiedenheiten zwischen dem federführenden Landwirtschaftsausschuß und dem mitbeteiligten Gesundheitsausschuß ergaben, hat das Plenum die Vorlage noch einmal an die Ausschüsse zurückverwiesen. Die Ausschüsse haben die Vorlage noch einmal sehr eingehend beraten. Ich kann Ihnen nun einen Bericht über den jetzigen Stand geben.
Die Entwicklung der gesamten Chemie der Pflanzenschutzmittel, die Erhöhung ihrer toxischen Wirkungen, die Ausbreitung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und damit auch die Vermehrung der Gefahren erzwangen ein neues Gesetz. Das bisherige Gesetz, das sich bisher mit dieser Materie beschäftigt, stammt aus dem Jahre 1937. Eine Neufassung ist 1949 bekanntgemacht worden. Seitdem sind beinahe zwanzig Jahre vergangen. Es ist also notwendig, daß das Gesetz erneuert wird.
Bisher war es üblich, daß Pflanzenschutzmittel auf freiwilliger Basis geprüft werden konnten und dann anerkannt wurden. Dieses Verfahren ist nicht mehr möglich. Es ist notwendig, daß wir eine obligatorische Prüfung einführen, auf Grund deren dann die Zulassung vorgenommen wird. Daneben sind aber auch noch Vorschriften über die Kennzeichnung der Pflanzenschutzmittel zur Abwendung von Gefahren dringend notwendig. Das ist in kurzen Worten der Inhalt des neuen Gesetzes.
Dieses Gesetz ist auch dadurch interessant, daß wir uns entschlossen haben, gewissermaßen einen Minoritätenschutz einzuführen. Sie alle wissen, daß es neben der Vielzahl von landwirtschaftlichen Betrieben, die zur Erzielung möglichst großer Ernten chemische Düngemittel und chemische Pflanzenschutzmittel anwenden, in der Landwirtschaft auch noch eine Richtung gibt, die sich bemüht, ohne Verwendung dieser Mittel durch Standortpflege und andere entsprechende Maßnahmen gegen Befall durch Schädlinge widerstandsfähige Pflanzen heranzuzüchten und qualitativ hochstehende Erzeugnisse auf den Markt zu bringen. Ebenso wie für den Menschen eine gesunde Lebensweise frei von Reiz- und Giftstoffen durchaus ihre Berechtigung hat — ich persönlich muß leider gestehen, daß ich dem Reiz von Giftstoffen nicht ganz entsagen kann —, ist auch eine entsprechende Richtung in der Landwirtschaft berechtigt. Aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt ist die Erhaltung eines schutzgiftfreien Anbaus wichtig. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, aus denen Diätmittel insbesondere für Säuglinge und Kinder hergestellt werden, dürfen keine Rückstände von Schäd]ingsbekämpfungs- und Vorratsschutzmitteln enthalten.
Bei unserer Arbeit im Ausschuß sind wir nach dem Grundsatz verfahren: Freiheit so viel wie möglich, und Eingriffe in die Freiheit nur dann, wenn sie dringend notwendig sind. Eingriffe in die Freiheit sollen nur vorgenommen werden, soweit sie zur Abwendung einer akuten, allgemeinen Gefahr — z. B. dem massenhaften Auftreten eines Schädlings — erforderlich werden und wenn die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Das heißt, daß die Interessen der Betroffenen gewahrt werden müssen.
Würde man auf Feldern und in Gärten, bei denen jahrelang keine chemischen Düngemittel und Pflanzenschutzmittel angewandt worden sind, solche Mittel verwenden, würde man die jahrelangen Bemühungen der Besitzer dieser Felder und Gärten zunichte machen und sie schädigen. Daher hat der Ausschuß mit den in § 3 eingefügten Worten „unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen" nicht nur den Schutz der Verbraucher, sondern auch die Interessen der Betriebe gemeint, die sich bemühen, im Rahmen besonderer Kulturverfahren Schadensorganismen und Pflanzenkrankheiten möglichst ohne Anwendung toxischer Schutzmittel zu bekämpfen. Betroffene können unter Umständen aber auch die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln sein, z. B. dann, wenn durch behördliche Maßnahmen der freie Wettbewerb auf dem Pflanzenschutzmittelmarkt eingeschränkt werden soll.
Der federführende Ausschuß ist damit beim § 3 dem Vorschlag des Gesundheitsausschusses gefolgt. Ich bin vom Landwirtschaftsausschuß beauftragt, das von dieser Stelle aus hervorzuheben und den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie auch den Minister für Gesundheitswesen — sofern er beteiligt ist — ausdrücklich darauf hinzuweisen, Rechtsverordnungen auf Grund des § 3 nur in diesem Sinne zu erlassen. Beim Erlaß dieser Rechtsverordnungen ist also darauf zu achten, daß bestimmte Bekämpfungsmaßnahmen und die Verwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel nur dann angeordnet werden, wenn den Betroffenen andere wirksame Bekämpfungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen und soweit es unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffe-
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Bading
nen erforderlich ist und die Zwecke des Gesetzes
auf andere Weise nicht erreicht werden können.
Bei § 7 blieb der federführende Ausschuß bei der vorgeschlagenen Streichung des Abs. 3. In diesem Abs. 3 sind die Einzelheiten aufgeführt, die ein Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels enthalten muß. Der Ernährungsausschuß ist der Ansicht, daß diese Einzelheiten nicht in das Gesetz, sondern in die Durchführungsverordnung gehören. Ergibt sich nämlich später die Notwendigkeit, noch einen weiteren Punkt als Bedingung aufzunehmen, so braucht nur die Verordnung und nicht das Gesetz geändert zu werden.
Der Ernährungsausschuß kam aber dem Wunsch des Gesundheitsausschusses insofern nach, als die Bundesregierung auch von dieser Stelle aus ersucht wird, in der Zulassungsverordnung vorzuschreiben, daß dem Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels Versuchsergebnisse und Protokolle beizufügen sind, soweit dies für die Beurteilung erforderlich ist. Vorkommnisse in der letzten Zeit haben nämlich gezeigt, daß das besonders notwendig ist.
Die anderen Änderungen, die noch vorgenommen worden sind, sind nicht wesentlich, und ich möchte Sie damit nicht weiter langweilen. Der Ordnung halber muß ich lediglich darauf aufmerksam machen, daß. in § 19 Abs. 1 die Worte: „zuletzt geändert durch die Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 " auf Grund von in der Zwischenzeit ergangenen Gesetzen wie folgt zu ändern sind: „zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10. August 1967 (Bundesgesetzbl. I S. 877)".
Meine Damen und Herren, der Ernährungsausschuß glaubt, Ihnen einen Gesetzentwurf vorzulegen, der alle beteiligten Kreise befriedigen kann, sowohl die Erzeuger von Pflanzenschutzmitteln als auch die Landwirtschaft im allgemeinen als aber auch die Landwirte, die unter besonderen Bedingungen arbeiten und ihre Betriebsweise geschützt wissen wollen, und nicht zuletzt auch die Verbraucher. Ich bitte das Hohe Haus, der Vorlage seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache in zweiter Lesung. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ritgen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Pflanzenschutzgesetzes soll das Gesetz zum Schutze der Kulturpflanzen aus dem Jahre 1937 ablösen. In den 30 Jahren, die zwischen diesen beiden Gesetzen liegen, hat sich sowohl in der Natur als auch in der Chemie manches geändert, und es war deshalb erforderlich, daß das alte Gesetz einer Überprüfung und Neufassung unterzogen wurde.
Die Bundesregierung hat diesen Gesetzentwurf im August vorigen Jahres eingebracht. Aus der
Tatsache, daß er erst heute zur Entscheidung ansteht, können Sie ersehen, ,daß es den zuständigen Ausschüssen, insbesondere dem Unterausschuß, den der Ernährungsausschuß gebildet hatte, nicht leicht gefallen ist, die Formulierungen zu finden, die allen Beteiligten gerecht werden. Der Berichterstatter, Herr Bading, hat vorgetragen, um welche Gesichtspunkte es sich dabei gehandelt hat. Ich glaube, daß der Ernährungsausschuß in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsausschuß in den strittigen Punkten die Formulierungen gefunden hat, die wir wohl alle als zweckmäßig und richtig bezeichnen können.
Die Landwirtschaft ist erfreut, daß die Neufassung des Gesetzes erfolgt ist, und zwar insbesondere deshalb, weil auch bezüglich der Anwendung der Mittel jetzt zunächst eine obligatorische Prüfung vorgesehen ist. Auf der anderen Seite darf ich feststellen, daß die Landwirtschaft in der heutigen intensiven Form auf die chemische Bekämpfung nicht mehr verzichten kann. Das fängt an bei der Beizung des Saatguts und hört in vielen Fällen erst bei einer Spritzung während oder nach der Blüte auf. Insbesondere der intensive Gemüsebau, der Weinbau und der Hopfenbau können auf diese chemischen Mittel nicht verzichten. Deshalb ist es besonders notwendig, daß auch die Mittel und die Anwendung der Mittel gewissen Richtlinien und gesetzlichen Bestimmungen unterworfen sind.
Nun liegt ein Änderungsantrag vor -- wenn ich richtig sehe, ist es ein interfraktioneller Antrag —, in § 7 den Abs. 3 wieder einzufügen. Der Ernährungsausschuß war der Auffassung, daß es sich bei diesem Abs. 3 um eine Verfahrensregelung handele, .die besser in einer Durchführungsverordnung untergebracht sei. Der Gesundheitsausschuß vertritt die Auffassung, daß es nach den Erfahrungen, die mit dem Arzneimittelgesetz gemacht worden sind, besser sei, diesen Absatz wieder einzufügen und gesetzlich zu verankern. Daraus ergibt sich dann aber natürlich der Nachteil, daß spätere Ergänzungen nicht ohne weiteres möglich sind, sondern daß es dazu wieder einer Novellierung bedarf.
Es ist weiterhin ,der Antrag gestellt worden, noch eine Nr. 8 einzufügen, die bestimmt, daß bei der Antragstellung die Unterlagen beizufügen sind, die zur Beurtèilung des jeweiligen Mittels erforderlich sind, also Versuchsergebnisse, Versuchsprotokolle usw. Die Fraktion 'der CDU/CSU hat . sich in ihrem Arbeitskreis mit dieser Vorlage befaßt. Sie ist der Auffassung, daß man doch wohl dieser Vorlage zustimmen könne, so 'daß ich abschließend sagen möchte: Meine Fraktion stimmt der Gesetzesvorlage insgesamt gesehen zu. Sie ist damit einverstanden, daß der § 7' Abs. 3, und zwar unter Anfügung der neuen Nr. 8 mit dem Wortlaut „die für die Beurteilung erforderlichen Unterlagen",
wieder eingefügt Wind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bardens.
7484 Deutscher Bundestag -- 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses hat bereits im Frühjahr 1964 ein solches Pflanzenschutzgesetz gefordert, und wenige Wochen später hat das Haus einstimmig einem Antrag des Gesundheitsausschusses zugestimmt, der in die gleiche Richtung ging. Wir haben uns damals von dem Gedanken leiten lassen, daß angesichts der ständigen Ausweitung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eine moderne gesetzliche Regelung dringend notwendig ist. Wir waren auch beeindruckt von den Berichten in der Literatur über große Schadensfälle, insbesondere über Unglücksfälle in Amerika.
Jetzt haben wir gemeinsam ein Gesetz geschaffen, das den Forderungen, die in unserem damaligen Antrag enthalten waren, genügt. Wir sind vor allem darüber befriedigt, daß der vernünftige Grundsatz aus dem Lebensmittelrecht, wonach vor der Zulassung einer Substanz deren Unbedenklichkeit erwiesen sein muß, auch hier eingeführt worden ist.
Wir wünschen, daß die drei Zwecke eines solchen Gesetzes, das die Anwendung der hier in Frage stehenden Mittel regelt, nämlich Pflanzenschutz, Sicherstellung der Ernährung und Sicherstellung der Gesundheit der Menschen, die davon betroffen sind, in einem abgewogenen Verhältnis zueinander gesehen werden.
In der Höchstmengenverordnung des Lebensmittelgesetzes sind ungefähr 900 zugelassene Substanzen für den Pflanzenschutz aufgeführt. Auf dem Markt werden mehr als 1500 Pflanzenschutzmittel angeboten. Mir erscheint die Zahl der verwendeten Substanzen immer noch zu hoch. Man sollte alle Anstrengungen unternehmen, um diese Zahl zu reduzieren. Dies sollte vor allem dadurch geschehen, daß wir die Forschung im Bereich des biologischen Pflanzenschutzes auch von uns aus kräftig unterstützen.
Ich möchte noch auf einen Sachverhalt hinweisen, der nur in mittelbarem Zusammenhang mit dem Gesetz steht. In § 21 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes wird der Bundesminister des Innern ermächtigt, in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsminister .eine Verordnung zu erlassen, die den Einführern von Lebensmitteln vorschreibt, die eingeführten Lebensmittel am Bestimmungsort zu melden. Diese Verordnung ist bisher leider noch nicht ergangen. Gerade wenn unser Recht auf diesem Gebiet jetzt strenger wird, wird man allein schon zur Sicherstellung der Wettbewerbsgleichheit verlangen müssen, daß diese Verordnung jetzt erlassen und auch praktiziert wird. Außerdem wird man dadurch die bisher mehrfach aufgetretene Gefahr ausschließen können, daß erst am Markt draußen, beim Einzelhändler etwa, eine zu hohe Belastung von Lebensmitteln mit Pflanzenschutzmittelresten festgestellt wird, so daß man dann nicht mehr verfolgen kann, wohin die an sich nicht mehr zugelassene Ware gelangt ist. Ich möchte also bei dieser Gelegenheit noch einmal bitten, diese Verordnung möglichst bald zu erlassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sander.
Es ist selbstverständlich und eigentlich überflüssig zu betonen: auch wir Freie Demokraten sind dankbar, daß jetzt dieses Gesetz verabschiedet wird. Ich glaube, diejenigen, die sich selber von der Praxis her, vielleicht in Verbindung mit der Wissenschaft, nun beinahe ein Lebensalter mit diesem Problem beschäftigt haben, sind ganz besonders dankbar, daß nun in Auswertung neuer chemischer Erkenntnisse in die leider immer dringender gewordene Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eine weitere gesetzliche Ordnung kommt.
Man wird draußen in der Praxis sehr oft gefragt: Wie kommt es, daß heute auf allen Gebieten so viel Chemie angewendet werden muß? Da muß vielleicht doch einmal in einigen Sätzen gesagt werden, daß dieser Pflanzenschutz überhaupt erst dadurch notwendig geworden ist, daß der Mensch von heute durch die Einführung von Monokulturen — ein Zustand, der leider nicht mehr zu ändern ist — die Natur aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Als einer, der seit Kriegsende im Ausschuß „Pflanzenschutz" der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft mitgearbeitet hat, bedauere ich natürlich, daß die Erfolge, die wir gerade auch auf dem Gebiet des biologischen Pflanzenschutzes haben wollten, längst nicht so groß sind und sein konnten, wie wir alle es gewünscht hätten. So sind wir glücklich darüber, daß zumindest das jetzt vorliegende Gesetz verabschiedet wird.
Wir brauchen, sehr verehrte Frau Kollegin Dr. Hubert, wenn alle draußen in der Praxis die Vorschriften richtig anwenden, wenig Sorge zu haben. Ich darf Ihnen sagen, daß wir Deutschen hier sehr weit wieder nach vorn gegangen sind. Hinsichtlich der Begrenzung der Toleranzen oder der zulässigen Restbestände sind wir also wieder führend in der Welt gewesen. Ich glaube, darüber sollten wir nicht traurig sein, sondern wir sollten dankbar sein. Ich persönlich habe, wie gesagt, keine Sorge, daß bei richtiger Anwendung noch Gefahren der Verunreinigung des Grundwassers oder der Schädigung der Tierwelt und der Pflanzenwelt eintreten werden. Sie wissen ja, das Problem der Rückstände hat uns sehr, sehr lange beschäftigt. Es ist in einer Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaft und Praxis behandelt worden. Sie haben ja sicherlich die Möglichkeit gehabt — ich selber war nicht im Gesundheitsausschuß —, Herrn Präsidenten Richter von der Biologischen Bundesanstalt zu hören; ich nehme an, daß Sie auch mit den führenden Leuten des Max-vonPettenkofer-Instituts und wahrscheinlich auch mit Herrn Professor Schupan Rücksprache genommen haben. Jedenfalls ist in dieser Hinsicht, meine ich, alles getan, was zu tun ist.
Eines allerdings, meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch sagen. Diejenigen, die wirklich glauben, man könne es allein mit dem biologischen Pflanzenschutz schaffen, bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, daß gerade wir, die wir in der Praxis mit den Dingen umgehen müssen, dankbar wären, wenn uns das gelungen wäre. Herr Kollege Dr. Hammans,
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7485
Sander .
auch ich würde mich freuen, wenn ich in meinem Betrieb die etwa 10 000 DM für Chemikalien plus 20 000 DM Investitionen für Maschinen nicht notwendig hätte. Ich darf das vielleicht für all die vielen Betriebe sagen, die sich nun einmal mit diesem Lebewesen Pflanze zu beschäftigen haben.
Aber eines, meine Damen und Herren, müssen wir ja nun wirklich erkennen: Sie wissen, glaube ich, daß heute etwa 35 °/o der Welternährung durch Schädlinge vernichtet werden; in Westeuropa sind es immer noch 25 '°/o. Angesichts dieser Tatsache hieße es Eulen nach Athen tragen, wollte ich hier noch lange Ausführungen über die Bedeutung der Viren, über die Bedeutung der bakteriziden und fungiziden Mittel machen. Ich will mich kurz fassen; wir alle, glaube ich, wollen uns allmählich auf die herrliche Weihnachtszeit vorbereiten. Ich möchte Ihnen nur sagen: Seien wir dankbar, daß dieses Gesetz über die Runden geht.
Ich darf noch zu folgendem Stellung nehmen. Wir möchten, daß in § 7 Abs. 3 des Pflanzenschutzgesetzes die Fassung der Regierungsvorlage wiederhergestellt wird. Wir möchten zweitens eine Nr. 8 angefügt wissen, die dafür sorgt, daß das in Form einer Durchführungsverordnung geschieht, weil wir der Ansicht sind,- daß unsere chemischen Werke Meute einfach überfordert sind. Es kann auch bei verschiedenen Gefahren auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes eintreten, daß die Praxis im Augenblick nicht das richtige Mittel zur Hand hat. Wir bitten also darum, daß das auf dem Wege einer Durchführungsverordnung geschieht, weil eine solche Regelung wesentlich anpassungsfähiger und flexibler ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Giulini.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon spät, und ich kann mich kurz fassen. Ich möchte folgendes ausführen. Was hier zusammenkommt, ist ja im wahrsten Sinne des Wortes eine konzertierte Aktion, was ich eigentlich so übersetzen möchte: eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise zu einem ganz bestimmten Zweck. Ich glaube, es müßte auch -einer von denen hier zu Wort kommen, die zwar keine Pflanzenschutzmittel machen, die aber aus der Chemie sind.
Am Anfang darf ich mir vielleicht erlauben, den Herren des Ministeriums, die dasind, meinen besonderen Dank zu sagen, daß sie so viel Verständnis und so viel Hilfe bei der Festlegung des Gesetzesvorschlags gebracht haben.
Eines möchte ich hier ganz besonders betonen — das ist, glaube ich, ursprünglich im ersten Entwurf der SPD über die Schädlingsbekämpfung gewesen —, daß das Wort „Mensch und Tier" an Stelle von „Menschen und Haustiere" hereingekommen ist. Ich habe das gestern erst beim Durchblättern der Akten gesehen. Ichglaube, daß die deutsche Jägerschaft für dieses Wort, „Mensch und Tier" statt „Menschen und Haustiere", außerordentlich dankbar sein wird; Sie wissen, was dahintersteht.
Zweitens ein klein-es Monitum; ich werde trotzdem dem Gesetzesvorschlag zustimmen. Aber ich hätte natürlich gern gesehen, daß auch der Anwender, derjenige, der diese Giftstoffe unmittelbar anwendet, etwas stärker erfaßt worden wäre. Ich gebe aber zu, daß das gerade bei der Landwirtschaft etwas schwierig ist. Es handelt sich da um die §§ 6 und 7.
Ferner hätte ich gern hier noch einmal ganz klar erklärt, daß auch der Ausschuß der Ansicht ist, daß dieser § 6 keine neuen Zulassungswege schaffen soll. Er soll nur in ganz bestimmten Fällen den Anwender — und das ist die Brücke zu dem eben Gesagten — anhalten, ein für einen bestimmten Zweck hergestelltes und bezeichnetes Pflanzenschutzmittel nicht woanders anzuwenden, wo es unter Umständen schädigende Wirkungen haben kann. Das gleiche gilt, wenn man es erst zu spät ansetzt, also kurz vor dier Ernte.
Was ich gern noch im Gesetz hätte — aber ich gebe zu, daß das nicht unbedingt nötig ist —, ist das Tätigwerden der Behörden. Ich weiß, daß mir die Herren des Ministeriums sagen werden: Die Behörden sind immer tätig. Aber die chemische Industrie hätte bei den Zulassungsverfahren ganz gern frühzeitig gewußt, ob nun Aussicht auf die Zulassung besteht oder nicht, weil das natürlich viel Geld, viel Zeit und viel Arbeitskraft kostet. Es ist fraglich, ob man vielleicht bei anderen, späteren Gesetzen immer wieder einmal auf -das Tätigwerden der Behörden abhebt, damit Geld, Zeit und Arbeitskraft gespart werden.
Ein letztes, meine Damen und Herren, und ich meine das jetzt ernst. Als der Mensch das Feuer fand, hatte er zwei Möglichkeiten. Er konnte sich eine Suppe damit kochen oder seinem Nachbarn ein Häuschen anzünden. Als der Mensch das Eisen fand, konnte er damit einen Pflug oder ein Messer konstruieren. Als der Mensch -das Salpeter fand, konnte er ,damit Düngemittel oder Sprengstoff machen, als der Mensch die Atomkraft fand, konnte er damit ein Kraftwerk bauen oder eine Bombe machen. Als der Mensch die Gifte fand, konnte er damit Vergiftungen machen; aber er konnte damit auch — wie in diesem Fall — segensreich für die Landwirtschaft und die Ernährung wirken und der Gesamtbevölkerung dienen. Möge dieses Gesetz in dieser Richtung wirken!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorweg die Bemerkung, daß die Präsenz dieses Hohen Hauses umgekehrt proportional ist zu der Wichtigkeit des zu verabschiedenden Gesetzes.
Wie sehr die Verantwortung der Abgeordneten hier gefordert ist, darf ich Ihnen an einigen Bei-
7486 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Dr. Hammans
spielen vor Augen führen. Ich möchte ein paar kritische Bemerkungen machen zu einem Gesetzentwurf, der, im ganzen gesehen, gelungen ist und der zu begrüßen ist.
Herr Sander, um gleich auf Sie zurückzukommen: Wir haben in der Bundesrepublik allen Grund, als erste ein Pflanzenschutzgesetz zu schaffen, weil wir in der ganzen Welt am meisten Pflanzenschutzmittel gebrauchen, mehr als in England und in den USA.
Eine Zwischenfrage von Herrn Sander.
Herr Dr. Hammans, sind Sie bereit, mir abzunehmen, daß wir z. B. beim Obstbau — um ein Beispiel zu zeigen — etwa acht Spritzungen durchführen, während in Amerika schon seit Jahren 14 bis 16 Spritzungen durchgeführt werden?
Ich bin bereit, diese Einzelmaßnahme anzuerkennen. Insgesamt gesehen ist es aber so, daß in der Bundesrepublik mehr Pflanzenschutzmittel gebraucht werden als in irgendeinem Land der Welt.
Noch eine Frage, Herr Sander.
Sind Sie bereit, mir auch abzunehmen, daß das daran liegt, daß wir sehr viel Intensivfrüchte anbauen, und ist Ihnen auch bekannt, daß wir sehr hohe Flächenerträge von unserem Acker herunterholen?
Ich bin dazu bereit.
Ich möchte auf etwas anderes zu sprechen kommen. Einige Beispiele mögen zeigen, wie hoch die Verantwortung ist, die wir bei der Verabschiedung dieses Gesetzes haben. Ich möchte mich für die Mühe bedanken, die man sich gerade mit § 3 gemacht hat; Herr Bading hat es angeführt.
In einem Punkte muß ich Ihnen, Herr Ritgen, allerdings widersprechen, nämlich in dem Punkte, daß es ohne Pflanzenschutzmittel nicht geht. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß es in der Schweiz rund 600 Betriebe unter ,der Leitung von Herrn Dr. Müller gibt, .die einen Umsatz von vielen Millionen im Jahr haben und die keinen Kunstdünger und keine Pflanzenschutzmittel gebrauchen. Nachzulesen in der Baseler National-Zeitung Nr. 3 vom 3. 1. 1967.
Wir haben in der Bundesrepublik drei Wirtschaftsbereiche, denen es nicht gut geht. Das ist der Bergbau, das ist die Textilindustrie, und das ist die Landwirtschaft. Bei allen dreien besteht das gleiche Problem, daß immer weniger Menschen 'immer mehr erzeugen. Es wäre auch im volkswirtschaftlichen Sinne durchaus einer Überlegung wert, ob es nicht für die deutsche Landwirtschaft sehr positiv und sehr gut wäre, wenn sie sich dazu entschließen könnte, in immer weiteren Bereichen die biologische Methode anzuwenden, um zwar weniger zu erzeugen, .das Erzeugte aber zu höheren Preisen abzusetzen. Sie wissen, daß eine ganze Reihe von Bürgern in 'diesem Lande gern bereit sind, in Reformhäusern für Nahrungsmittel, die auf biologische Weise erzeugt sind, mehr Geld auszugeben, als sie das in anderen Geschäften tun. Dies nur am Rande.
Lassen Sie mich ,einige Beispiele anführen, wie mit dem Pflanzenschutz und mit dem Kunstdünger auch eine ganze Reihe von .gefährlichen Dingen geschehen. Man hört sehr wenig davon — in der deutschen Presse bisher überhaupt nichts --, daß z. B. in denn Winzerdorf Thüngersheim bei Würzburg — nachzulesen bei Seifert in dem Buch „Gärtnern ohne Gift" — das Grundwasser durch Kunstdünger so verseucht ist, daß es Kindern nicht mehr gegeben werden kann, daß man das Wasser abkochen muß und daß die Eltern Mineralwasser nehmen müssen, um hre Kinder zu ernähren, damit diese nicht eine gefährliche Blutkrankheit bekommen. Es ist dort behördlicherseits verboten gewesen, Kunstdünger anzuwenden. Dieses Verbot ist nachher wieder aufgehoben worden.
In der Schweiz gab es 40 ha Rebstöcke, die keinen Ertrag brachten, weil ein Pflanzenschutzmittel nicht funktioniert hat.
Es ist für einen Biologen geradezu ein trauriges Kapitel, wenn man nachliest, was Professor Bröker festgestellt hat —er ist Biochemiker in Köln —: Ganze Bienenvölker gehen ein, weil Pflanzenschutzmittel zur falschen Zeit auf blühende Pflanzen gebracht wurden. Es genügen 10 oder 20 Bienen, einen ganzen Bienenstamm, ein ganzes Bienenvolk inklusive Königin umzubringen.
Ich darf darauf hinweisen, daß es Professor Schuphan war, der Aldrin in Salat, der aus Holland kam, nachgewiesen hat. Gott sei Dank haben wir inzwischen seit einem Jahr die Höchstmengenverordnung, nach der Aldrin verboten ist. In keinem Lebensmittel darf Aldrin vorhanden sein.
Der amerikanische Innenminister Udall hat sich dafür ausgesprochen, daß man das Problem des Pflanzenschutzes nicht mehr als eine Einzelmaßnahme sieht, sondern endlich so, wie es gesehen werden muß, als eine ökologische Frage des gesamten Naturhaushalts. Ich glaube, die Pflanzenschützer haben unseren ökologischen Naturhaushalt ganz erheblich durcheinander gebracht, und, Herr Sander, weil er nun einmal nicht mehr in Ordnung ist, muß immer mehr Gift gebraucht werden. Sie hatten vollkommen recht: mit den Monokulturen fing es an.
Ich könnte ein weiteres Beispiel bezüglich DDT in der Milch anführen. Man kann sogar fragen: Trinkt man Milch in Amerika oder trinkt man man Gift? Sie wissen, daß hier ein weiteres Problem anzuführen ist, nämlich das des Kumulierens, d. h. das Gift DDT wird im menschlichen Körper nicht abgebaut, sondern wird immer mehr angereichert, bis es dann zu einer Grenze kommt, deren Überschreitung zu Schädigungen der Leber, der Milz und des Rückenmarks führen kann. All dies muß man sehen, muß man wissen, wenn man über ein so wichtiges Gesetz entscheidet. Ich meine, man muß einmal diese kritischen Akzente setzen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7487
Eine Zwischenfrage von Frau Griesinger.
Bitte schön, gnädige Frau!
Herr Kollege Dr. Hammans, sind Sie bereit, diese Kritik, die Sie gerade in bezug auf die Milch angebracht haben, auf die USA zu beschränken und zu bestätigen, daß unsere deutsche und europäische Milch durchaus genießbar ist und sogar geeignet wäre, zum Wohle und zur Gewohnheit der Menschen mehr konsumiert zu werden?
Gnädige Frau, ich bin bereit, dies zuzugestehen, weil in Deutschland weniger DDT-Mittel gebraucht werden, sondern mehr Phosphorsäureester, und diese werden abgebaut und kumulieren nicht, sind aber dafür in ihrer toxikologischen Eigenschaft giftiger als DDT.
Ein weiteres Beispiel, das auch zu denken geben müßte. Es gab in den USA einen Fabrikanten von Pflanzenschutzmitteln, Mr. Tompson in Los Angeles. der 1957 seinen Betrieb aus Gewissensgründen geschlossen hat, weil er es nicht mehr verantworten konnte, Pflanzenschutzmittel auf den Markt zu bringen.
Meine Damen und Herren, schließlich ein letztes Beispiel aus der Höchstmengenverordnung. In § 19 der Höchstmengenverordnung heißt es, daß für alle diätischen Lebensmittel, zu denen vor allem Säuglings- und Kleinkindernahrung gehören, die weitergehende Vorschrift besteht, daß in diesen Lebensmitteln keinerlei Rückstände irgendwelcher chemischer Mittel vorhanden sein dürfen. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß es so gut wie keine Lebensmittel gibt, in denen keine chemischen Rückstände sind.
Lassen Sie mich schließen. Wir begrüßen es sehr, daß in § 7 der Abs. 3 wieder eingefügt ist, und zwar aus einem Grund, den man aus dem Arzneimittelgesetz als Beispiel anführen kann. Auch in der Regierungsvorlage des Arzneimittelgesetzes war dieser Passus ursprünglich enthalten. Er ist gestrichen worden. Dann passierte das Contergan-Unglück, und danach wurde diese Verordnung wieder hineingenommen. Ich bin sehr dankbar, daß sich alle Fraktionen damit einverstanden erklärt haben, diesen Passus wieder hineinzunehmen. Sie werden es mir gestatten, daß ich während der Beratung zu dem einen oder anderen Punkt des Gesetzes noch ein paar kurze Bemerkungen mache, die dazu gehören.
Zum. Schluß : Höchstmengenverordnung bedeutet nicht, daß die Nahrungsmittel diese Substanzen in der Höchstmenge enthalten müssen, sondern daß das wirklich oberste Grenzen sind. Möge das Pflanzenschutzgesetz, das wir heute verabschieden wollen, mit dazu beitragen, daß immer weniger Pflanzenschutzmittel gebraucht werden müssen.
Sind noch Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache? — Zur allgemeinen Aussprache hat Herr Staatssekretär Hüttebräuker das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Hohe Haus berät das modernste und umfassendste Pflanzenschutzgesetz. Ich möchte im Namen meines Hauses sagen, daß, damit dieses Gesetz modern bleibt, es richtiger wäre, § 7 Abs. 3 zu streichen. Wir zementieren mit diesem Absatz die Bedingungen, die für die Anmeldung erforderlich sind. Die Nr. 8, die von dem Abgeordneten Dr. Ritgen vorgeschlagen wurde, umfaßt nicht das, was wir meinen. Die Entwicklung auf den Gebieten des Pflanzenschutzes, der Züchtung und der Konservierung verläuft so schnell, daß man nicht voraussehen kann, was in Zukunft auf uns zukommt. Wir sind der Meinung, daß unter Umständen bei den Bedingungen z. B. Wartezeiten angegeben werden müssen, d. h. Verbotszeiten zwischen der Anwendung eines Pflanzenschutzmittels und dem Verbrauch eines behandelten Lebensmittels. Es könnte weiterhin sein, wie es früher schon einmal üblich war, daß bestimmte Pflanzenschutzmittel nur durch Techniker angewendet werden dürfen. Ich erinnere an die Yellow-Krankheit bei Zuckerrüben, wo es so gehandhabt wurde. Es wäre ferner möglich, den Einsatz u. a. von Flugzeugen für bestimmte Kulturen zu untersagen.
Mein Haus ist bezüglich des Tätigwerdens der Behörden angesprochen worden. Es mag sinnvoll sein, bereits vorweg die Bedingungen vorzuschreiben; ich vertrete jedoch die Ansicht, daß diese Bedingungen besser durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erlassen werden und nicht zementiert werden. Hierdurch laufen wir Gefahr, daß das, modernste Gesetz in Kürze wegen dieser Zementierung unmodern wird.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns noch in der Beratung des Änderungsantrags Umdruck 348 *). Dazu hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert das Wort.
Ich möchte dazu folgendes sagen. Sollte es sich als notwendig erweisen, daß solche Pflanzenschutzmittel etwa nur durch Techniker angewandt werden dürfen — ein Gedanke, den wir auch in den Ausschüssen beraten haben —, so ist das durch § 7 Abs. 3 ohnehin nicht zu erreichen; denn in dieser Bestimmung steht, was der Antrag enthalten muß, den jemand einreicht. Hier steht auch nur „muß enthalten", d. h. das sind die Mindestanforderungen, die erfüllt werden müssen, wenn jemand ein Mittel anzuwenden wünscht.
Wir haben, wie auch schon Herr Kollege Hammans sagte, die Erfahrung beim Arzneimittelgesetz
*) Siehe Anlage 2
7488 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967
Frau Dr. Hubert
gemacht. Zunächst hieß es, man könne nicht verlangen, daß Unterlagen, also Protokolle, der Firmen zur Beurteilung- eingereicht werden. Als wir dann das Contergan-Unglück hatten, waren plötzlich alle Industrien der Meinung, sie könnten diese Unterlagen sehr gut beibringen. Wir meinen, diese Mindestanforderungen, die ja auch in sieben Punkten in der Regierungsvorlage enthalten sind, können und müssen eingehalten werden. Das ist das mindeste.
Herr Dr. Hammans, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde gesagt, daß es für die Pflanzenschutzindustrie möglicherweise eine Zumutung sei, den § 7 wieder einzufügen.
Ich möchte in Ergänzung dessen, was Frau Dr. Hubert gerade gesagt hat, noch erklären, daß durch die Einfügung der Nr. 8, die lautet: „die für die Beurteilung erforderlichen Unterlagen", wirklich die Voraussetzung dafür gegeben ist, daß nicht Unterlagen waggonweise herangeschafft werden müssen, Herr Staatssekretär, sondern daß tatsächlich nur das beigefügt und beschafft werden muß, was für eine Beurteilung notwendig ist. Ich glaube, damit ist dieser Passus in Ordnung.
Ich bitte Sie, zusammen mit Frau Dr. Hubert sehr herzlich, dafür zu stimmen, daß § 7 Abs. 3 mit den Nrn. 1 bis 8 wieder hineingenommen wird.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über die §§ 1 bis 7, einschließlich der Abs. 1 und 2. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag Umdruck 348 *) abstimmen. Wer den Ziffern 1 und 2 dieses Antrags zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Abs. 3 und 4 des § 7 in dieser neuen Fassung ab. Wer ihnen zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Zu den §§ 8 bis 30 liegen keine Änderungsanträge vor. Wer diesen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Einleitung und Überschrift schließe ich in das Votum ein.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
In der Aussprache wünscht Herr Dr. Hammans das Wort.
*) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie auf den § 15 aufmerksam machen und hier in aller Form erklären, daß ganz erhebliche Regreßansprüche auf den 'deutschen Staat zukommen können, wenn die Behörden nicht sehr sorgfältig im Sinne des § 3 verfahren, nämlich Regreßansprüche von Betrieben, die ihre Produkte in biologischer Weise erzeugen, welche einmal für Generationen geschädigt, möglicherweise nicht mehr für diese Produktionsart brauchbar sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Sander.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sorgen, die Herr Dr. Hammans vorgetragen hat, kann die Fraktion der Freien Demokratischen Partei nicht teilen. Wir bitten Sie, hier die Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Das ist erledigt. Wenn ich recht verstanden habe, hat Herr Sander zu dem Änderungsantrag gesprochen; der ist nicht mehr auf dem Tisch.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung über das Gesetz in der in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung, also einschließlich des angenommenen Änderungsantrages zu § 7. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2, den Entschließungsantrag, abzustimmen. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir haben dann noch über den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Schädlingsbekämpfungsmittel zu beschließen. Dieser Antrag soll für erledigt erklärt werden. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wir kommen jetzt zu den drei Punkten, die heute morgen zusätzlich auf die Tagesordnung 'gesetzt worden sind. Ich rufe auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die von der Bundesregierung beschlossene Neunzehnte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967 (Zollkontingent für Tabakerzeugnisse aus EWG-Ländern)
— Drucksachen V/2269, V/2391 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres
Wer dem Antrag des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen zustimmen will, gebe das
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7489
Vizepräsident Dr. Mommer
Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? —Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung der ehemaligen Wörth. Kaserne in Göttingen an die Stadt Göttingen
— Drucksachen V/2275, V/ 2394 —Berichterstatter: Abgeordneter Strohmayr
Das Haus stimmt dem Antrag betr. Veräußerung der ehemaligen Wörth-Kaserne in Göttingen zu.
Ich rufe auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten
Vorschlag der Kommission der EWG für eine
Verordnung ,des Rats zur Einführung einer
besonderen Einfuhrregelung für bestimmte Erzeugnisse aus bestimmten Drittländern
— Drucksachen V/2044, V/2396 —
Berichterstatter: Abgeordneter Lange
Das Haus stimmt auch diesem Ausschußantrag zu.
Meine Damen und Herren, ich habe eine gute Nachricht. Die Verhandlungen beim Bundesrat sind so gelaufen, daß der Vermittlungsausschuß nicht angerufen wird,
so daß wir am 21. Dezember nicht hierher zurückzukommen brauchen.
Es bleibt mir, Ihnen ein schönes Weihnachtsfest, einen guten Start ins neue Jahr und gute Erholung zu wünschen.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages findet statt am 17. Januar 1968, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.