Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist im Prinzip zu begrüßen, daß wir Gelegenheit haben, in einer für Europa entscheidenden Frage vom Bundestag her zu den Dingen Stellung zu nehmen, die auch über unser Schicksal entscheiden werden. Nur, so einfach, meine Damen und Herren, darf sich das Parlament die Sache nicht machen, daß es sich mit der Entgegennahme einer Erklärung, die in manchen Punkten durchaus auch unsere Billigung findet, begnügt. Ich glaube, es müßte noch einiges gesagt werden, was wir dem Herrn Bundesaußenminister für seinen schweren Gang am Montag und Dienstag noch mit auf den Weg geben möchten.
Das geschieht nicht, meine Damen und Herren, um eine Kluft innerhalb der Regierung oder zwischen den Parteien aufzureißen. Das geschieht auch nicht etwa aus Scharfmacherei, sondern das geschieht, um der Sorge darüber Ausdruck zu geben, daß das, was heute nicht geschieht, morgen un-wiederholbar vorbei sein kann.
Die Vorgeschichte, wie es zu dieser Debatte im Bundestag gekommen ist, ist Ihnen bekannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Dieses Ersuchen hat eine Parallele in der Frage, die meine Partei gestellt hatte. Unsere Frage ist dadurch, daß das Thema auf die Tagesordnung gekommen ist, erledigt. Das Ersuchen, daß die Bundesregierung im Ministerrat eine vertragsgemäße Entscheidung herbeiführen solle, erschöpft sich nicht nur mit dem Eintritt Großbritanniens in die EWG. Es bedeutet weitaus mehr; es ist kein Einzelproblem. Denn nach Lage der Dinge handelt es sich im Grundsatz um die Entscheidung, wie es in Europa, wie es um Europa weitergehen kann und wie es weitergehen soll. Das ist keine Frage der Methodik; damit würden wir es uns zu leicht machen. Ich fürchte, es handelt sich um einen echten Zielkonflikt innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft besteht aus sechs Ländern. Wir haben uns daran gewöhnt, zu denken, es seien jetzt fünf plus eins. Ich meine, wir sollten die Augen nicht vor der Gefahr verschließen, daß es sehr wohl auch sechs minus eins werden kann, wenn wir nicht aufpassen. Meine Damen und Herren, es scheint uns zu billig zu sein, wenn wir etwa Herrn de Gaulle unterstellen wollten, er wolle nur nicht oder er handle aus einer irgendwie motivierten Aversion gegen die USA oder gegen England, oder er erstrebe etwa die Vorherrschaft Frankreichs, oder er habe visionäre Illusionen. Ich fürchte vielmehr, so wie die Dinge erkennbar werden, handelt Herr de Gaulle sehr konsequent. Wenn er auf seinem Kurs bestehenbleibt, so wie wir ihn sehen, kann er gar nicht anders handeln. Daß wir diese Erkenntnis erst heute finden, meine Damen und Herren, daran tragen auch wir ein gerüttelt Maß Schuld mit.
-- Sie werden es hören, Herr Kollege Majonica.
Ich teile nicht die Ansicht des Herrn Bundesaußenministers. Ich verweise vielmehr auf die Beurteilung der Situation, die der Herr Bundeskanzler gegeben hat. Er ist es nämlich, der gesagt hat, wir in der Bundesrepublik tragen die Schuld mit. Er sagte am 26. Oktober von diesem Platz aus: „ ... die französische Politik war und ist durchaus kalkulierbar." Es sei ein Fehler gewesen, so sagte er, in den vergangenen Jahren den ganz entschiedenen französischen Willen, der entschieden und klar einer völlig anderen europäischen Konzeption entstammt, nicht ernst genug genommen zu haben. Das sind die Worte des Herrn Bundeskanzlers. In der Tat, wir können diese Dinge nicht ernst genug nehmen. Wenn wir uns jetzt der Illusion hingeben wollten, wir könnten in diesem einen Fall irgend etwas begradigen oder etwas weiterkommen: morgen wird es ein anderes sein, wenn wir nicht grundsätzliche Entscheidungen herbeiführen.
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Was will nun de Gaulle? Auch seine Handlungen sind nur im Zusammenhang zu begreifen. Was bedeutet die Rundum-Verteidigung, welche General Ailleret jetzt als für Frankreich notwendig herausgestellt hat? Offenbar soll ein Frankreich gesichert werden, das sich allseitig ungebunden, frei von Blockbildungen, nach allen Seiten neutral, auch militärisch verteidigen kann.
Meine Damen und Herren, jeder Staatsmann braucht einen Popanz. Jeder Staatsmann braucht etwas, an dem er sich reiben kann und an dem er seine Kräfte messen kann. Das sind für de Gaulle unzweifelhaft die USA. Hier will er zeigen, wohin er will. Er will die Gemeinschaft mit den USA, die er in der NATO eingegangen ist und welche die EWG selbstverständlich ihrer Zielsetzung nach für notwendig hält, schwächen, wenn nicht aufheben. De Gaulle will die enge Zusammenarbeit in der EWG dazu benutzen, um eine europäische Entente, die in sich selbst zufrieden ist, mit der Spitze gegen die USA und mit der Spitze gegen ein England zu schaffen, das dieser seiner Konzeption nicht zu folgen bereit ist.
Wir würden uns irren, wenn wir meinten, daß es ihm sein visionärer Starrsinn gestatten würde, sein Ziel aufzugeben, ohne daß er ständig insonderheit von uns darauf hingewiesen wird, daß wir andere Zielsetzungen und andere Wege haben. Jedes Mittel benutzt er. Unzweifelhaft handelt der General de Gaulle gegen den Vertrag.
Ich habe es begrüßt, daß der Herr Bundesaußenminister die politische Bedeutung des EWG-Vertrages hervorgekehrt hat. Wir sind mit ihm der Meinung, daß uns juristische Auslegungen nur wenig helfen, weil es um politische Grundentscheidungen geht. Ich darf wiederholen, was der Herr Außenminister als Gefahren aufgezeigt hat. Er hat gesagt, das Gemeinschaftsdenken würde Schaden leiden, wenn nur einer bestimmen wollte. Er hat ferner gesagt, es drohe dadurch eine Stagnation. Die ungeklärte Beitrittsfrage der Vier und die Nichterledigung des Schreibens von Schweden blockiere den Fortgang innerhalb der EWG. Dem ist wenig hinzuzufügen.
Das anzuführen, ist aber nur dann sinnvoll, wenn man erkennt, daß Herr de Gaulle von dem Zeitpunkt an, als er merkte, daß die EWG nicht mitziehen würde, jenen Weg eingeschlagen hat, der jetzt wieder einmal an einen kritischen Punkt geführt hat. Herr de Gaulle ist in einer Beziehung kein Phantast: er rechnet mit den Realitäten, und er respektiert nichts weiter als entschlossenen Willen, der dann für ihn Realität wird. Für uns bedeutet das folgendes: unsere Realität hat unser Wille nach vertraglicher Ausweitung der EWG zu sein. Nicht nur Großbritannien, auch die anderen Partner der EWG haben einen verbrieften Anspruch darauf, daß in die Verhandlungen eingetreten wird, denn ohne Verhandlungen ist der Beitritt einfach nicht zu erzielen.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Ausführungen meines Freundes, Herrn von Kühlmann, die er in der
Debatte am 23. Oktober gemacht hat, sich als voll berechtigt erwiesen haben.
Ich würde es begrüßen, wenn dem nicht so wäre. Aber die Gerechtigkeit gebietet, festzustellen, daß .das, was er mahnend gesagt hat, heute seine Bestätigung findet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen ein Wort vortragen, das unser Freund Dr. Starke am 30. November 1967 im Europäischen Parlament gesprochen hat. Er sagte sinngemäß: „Alle Nachgiebigkeit, alle Bereitschaft hat eine Krise nicht verhindern können; sie kommt doch, und zwar dann, wann sie gewollt ist, und sie kommt so, wie sie gewollt ist." Was anderes wäre nun das Verhalten des Herrn de Gaulle in der EWG-Agrardebatte mit seiner Politik des leeren Stuhls gewesen, was anderes wäre sein Verhalten zur NATO und auch außerhalb des Rahmens der EWG, außerhalb des Rahmens Europas, in Kanada, gewesen, was anderes bedeutet sein Nein zur politischen Integration? Die Regierung, die die schwierigen Verhandlungen zu führen hat, darf das nicht vergessen, sonst kommt sie zu Fehlentscheidungen. Und in der heutigen kritischen Konstellation könnten solche . Fehlentscheidungen schwerwiegende Folgen heraufbeschwören.
Meine Damen und Herren! Der deutschfranzösische Vertrag, dessen Präambel und auch dessen Inhalt wir uns immer wieder ansehen sollten, ist für Herrn de Gaulle stets ein Mittel gewesen, unser Verständnis dafür zu gewinnen, daß er sich in dieser oder jener Situation wieder einmal querlegt. Wir — das dürfen wir befriedigt feststellen — erfüllen diesen Vertrag bis an die Grenze der Loyalität. Aber dadurch, daß wir die Interessen unseres eigenen Volkes und auch die Interessen der Gemeinschaft wahrzunehmen haben, sind uns Grenzen gezogen. Wenn wir diese Grenzen überschreiten, geraten wir in die Gefahr, falsche Wege zu gehen und eine falsche Konzeption zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen. Wir wären dankbar, wenn wir noch aus dem Munde der Regierung hören könnten, ob der Herr Bundeskanzler bei seinem Gespräch mit Herrn General de Gaulle und der Herr Bundesaußenminister bei den Gesprächen mit seinem Kollegen Couve de Murville unzweideutig und klar unsere Situation gekennzeichnet haben und wie die Reaktion darauf gewesen ist.
Nun wird sehr viel von Einstimmigkeit unbestriten in der letzten Phase — wann immer sie einzutreten hat — gesprochen. Es wird davon gesprochen, daß dieser Zwang zur Einstimmigkeit — das beweisen die Tatsachen — zur Blockierung des Fortschreitens der Verhandlungen geführt hat. Meine Damen und Herren, so macht man keine Politik, daß man seine Partner vor die Entscheidung stellt, entweder zu kapitulieren oder ständige Krisen in Kauf zu nehmen.
Wir wiederholen — und wir freuen uns, daß wir in diesem Punkte hier im Hause alle einer Meinung sind —, wir und auch die restlichen Vier in der
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EWG sehen in dieser nicht ein Gebilde zum Selbstzweck. Es ist für uns die Keimzelle einer Ausweitung. Ich darf Herrn Kollegen Furler zustimmend zitieren, der am 26 Oktober — ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten zu zitieren — gesagt hat:
Die EWG wurde nicht gegründet, um Europa zu spalten, sondern als ein Anfang auf die Einheit hin.
Und am gleichen Tage sagte der Herr Bundesaußenminister:
Wir sind nicht etwa frei; der Vertrag wünscht die Erweiterung der Gemeinschaft.
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, nicht frei sind und wenn die EWG gegründet worden ist, um sie offenzuhalten für alle europäischen Staaten und als Basis, auf der man einst vielleicht mit dem Osten reden kann, müssen wir auch alles tun, um Gefahren für ihre Fortentwicklung abzuwenden. Wir wollen deswegen die Ausweitung nicht nur verbal — das wäre billig und sehr einfach —, vielmehr muß der Wille zur Ausweitung glaubhaft werden durch praktische Taten, und das bedeutet in der heutigen Phase den Zwang zur Verhandlung mit den Antragstellern, die vor der Tür stehen.
Die Aufgabe zwingt uns, jetzt eine Grundsatzentscheidung des Herrn Generals de Gaulle herbeizuführen. Es ist unmöglich, daß das von . uns gewünschte Europa bereits in seinen Anfangsstadien von Krise zu Krise hinundhergerissen wird.
Wir dürfen auch nicht außer acht lassen, welche Rückwirkungen die heutige Situation, wenn sie ausweglos würde oder wenn sie länger dauerte,, auf England haben müßte. Noch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Beitrittswille unserer englischen Freunde echt ist, trotz der früheren Abweisung durch ein kategorisches Nein aus Paris. Wir fragen uns aber, ob es immer so bleiben kann.
Natürlich hat England kaum eine brauchbare Alternative; das müssen wir feststellen. Es hat nur die Wahl zwischen dem Eintritt in die EWG und dem Marsch in die Neutralität. Die Fragen um Europa stehen an, und sie müssen gelöst werden, so oder so. Was ein Marsch Englands in die Neutralität — wenn es dazu gezwungen wäre — bedeuten würde, brauche ich nur anzudeuten. Uns Deutsche trifft es insonderheit: Die Auflösung der NATO, den Abzug der Rheinarmee und den Alleingang Englands nach Moskau, um dort auszuhandeln, was für England nötig ist. Infolgedessen ist für Großbritannien der Beitritt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch nötig und deswegen gewollt.
Wir dürfen aber nicht verkennen daß es auch in England erhebliche Gegenkräfte gibt. Lesen Sie einen Teil der englischen Presse, lesen Sie die Berichte über die Haltung des jetzigen Schatzkanzlers in London! Und Sie kennen alle die ewig Gestrigen, die sich nicht damit abfinden können, daß die Rolle Englands so, wie sie einmal war, nicht mehr möglich ist. Wir sollten uns entsinnen, was Lord Chalfont gesagt hat, zweimal gesagt hat. Er war hier in Bonn, und er beklagte sich in London auf dem Labour-
Parteitag sehr bitter darüber, daß er bei seinem Besuch nicht in vollem Umfang über die Meinung der Bundesrepublik in der Frage des Eintritts Englands in die EWG orientiert worden sei. Er verbarg seine Enttäuschung nicht. Und wer wollte leugnen, daß damit jene Äußerung zusammenhängt, die er kürzlich getan hat. Vielleicht war es eine Gedankenskizze; aber solche Dinge geschehen eben nicht ohne politischen Zweck, besonders nicht seitens der englischen Regierung. Wir sollten nicht sein Bild vergessen von der möglichen Haltung Englands für den Fall, daß der Eintritt Großbritanniens in die EWG durch General de Gaulle zum zweitenmal unmöglich gemacht wird. Auch er sagte es: Austritt aus der NATO, Neutralität, Abwendung von Europa.
Meine Damen und Herren, wir in erster Linie tragen die Verantwortung — und wir können uns ihr nicht entziehen — für ein kommendes Europa. Was hat nun also zu geschehen? Wir haben Verträge, die die Erweiterung der Gemeinschaft beinhalten, und nach ihnen müssen wir handeln. Europa muß entstehen, und nach unser aller Meinung ist die EWG das Instrument, mit dessen Hilfe und unter deren Vorantritt Europa zu entstehen hat. Diese EWG ist nun einmal nicht statisch, sie ist ihrer ganzen Anlage und ihrer Sinngebung nach dynamisch. Die EWG bestimmt nach unserer Meinung unseren Part, den wir zu spielen haben, wenn es um die friedliche Entwicklung nicht nur in Europa, sondern in der Welt geht.
Wenn dem so ist, ist es unerträglich, daß in Europa eine einzige Autorität sich anmaßen möchte, den Gang der Ereignisse so zu bestimmen, wie sie selbst es sieht und wie es ihren Interessen entspricht, um jeden Fortschritt zu blockieren, wenn es nicht ganz nach ihrem Willen geht. Dieses Europa, das entsteht, kann niemals ein Europa der Ultimaten sein oder ein Europa, in dem ein Veto wann immer und zu welchem Zweck jede Bewegung verhindern könnte.
Wenn wir diese Ultimaten und dieses Veto ablehnen, bedeutet das natürlich auch, daß wir dem Herrn General de Gaulle kein Ultimatum stellen dürfen. Der Weg, den wir ihm gegenüber und mit ihm zu gehen haben — hoffentlich mit ihm! —, ist der Weg des Rechts, unseres Rechtsanspruchs darauf, daß die EWG nicht so klein bleibt, wie sie ist, sondern erweitert wird.
Ich kann es mir ersparen, meine Damen und Herren, Ihnen die fünf Punkte vorzutragen, auf die sich der Ministerrat geeinigt hat; das hat in überzeugender Weise und mit der entsprechenden Begründung der Herr Bundesaußenminister getan. Die Folgerung daraus ist: Es müssen trotz allem gemeinsame Grundlagen gesucht werden, um Europa voranzutreiben. Denn eines wissen wir: ein Europa ohne England oder ein Europa ohne Frankreich muß ein Torso ohne sichere Zukunftsaussichten bleiben.
Nun müssen wir erkennen und zugeben, daß derzeit die Widerstände und die Widersprüche, die sich ergeben, einen antagonistischen Charakter haben und daß sie ohne große Anstrengungen und ohne Klarheit nicht überwunden werden können. Das läßt sich nicht hinwegdiskutieren.
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Welche Möglichkeiten haben wir? Die Linie der Fünf gestern in Brüssel — ich sprach bereits davon — zeigt deren Bestreben — leider sind es nur noch fünf, die sich einig sind —, zeigt, daß keine Tür zugeschlagen worden ist und daß sie nach äußerstem Willen für niemanden zugeschlagen werden soll. Das findet unseren ungeteilten Beifall. Aber wenn wir den Antagonismus überwinden wollen, verlangt das von uns Ehrlichkeit, es verlangt Klarheit; Klarheit nicht nur gegenüber Herrn de Gaulle, sondern Klarheit auch gegenüber England. Sonst sitzen gerade wir nach den Erfahrungen und nach dem Ruf, den wir nun einmal genießen, am Ende zwischen sämtlichen Stühlen.
Was bedeutet Klarheit gegenüber Frankreich? General de Gaulle muß wissen, daß wir in der augenblicklichen Krise keinen Einzelfall sehen, sondern sie hineinstellen in die Erfahrungen der Vergangenheit und daß wir seine Erklärung über ein Europa, wie er es sich vorstellt, nicht mehr ignorieren. Unsere Verantwortung für Europa und die Unterschrift, die wir unter ,die EWG-Verträge gesetzt haben, zwingen uns dazu, beharrlich, aber auch unnachgiebig darauf zu bestehen, daß England und alle jene, die der EWG beizutreten wünschen, diesen Beitritt auch ermöglicht bekommen.
Herr de Gaulle muß weiter wissen: wie immer die jetzige Krise ausgeht, die EWG wird nach dem Schluß dieser Krise so oder so nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Das kann negative Folgen haben, oder es kann sich positiv auswirken. Wir hoffen das letztere. Aber Hoffnung allein genügt nicht. Wir müssen etwas dafür tun. Im Ziel unnachgiebig, meine Damen und Herren, in der Methode flexibel, stufenweise — warum nicht —, aber konsequent.
Es darf auch keinen Versuch geben, Frankreich etwa zu überlisten oder langsam zu etwas zu ziehen, was es nicht will. Das merken die Leute in Paris. Das würde alles verderben. Kapitulation wollen wir nicht verlangen. Aber die Franzosen müssen wissen, Paris muß wissen, daß der Schlüssel zur europäischen Entwicklung, zur Stagnation oder zur segensreichen Weiterentwicklung jetzt in Paris liegt. Für den Nichterfolg, für das Versagen trägt allein Paris die Verantwortung. Wir müssen sehr klarmachen, daß Frankreich weder in ,der Gemeinschaft noch gar isoliert das Recht oder die Möglichkeit hat, allein seinen Willen als für die Entwicklung der europäischen Dinge maßgebend zu betrachten.
Die Tatsache, daß der Schlüssel bei Frankreich liegt, zwingt uns, das immer wieder auch vor der Welt zu wiederholen, damit wir nicht eines Tages mit dem Schwarzen Peter in der Tasche dastehen. Ich fürchte, daß seitens 'der Fünf noch nicht genug geschehen ist, die öffentliche Meinung Europas unzweideutig in Paris zu artikulieren. Auch dort liegen Möglichkeiten für uns.
Was bedeutet Klarheit gegenüber Großbritannien? Großbritannien muß über jede Nuance, über jede Phase der Entwicklung loyal und erschöpfend unterrichtet werden. Großbritannien muß überzeugt werden, daß es auch in seinem Interesse liegt, .da es nun einmal schnell nicht gehen kann, schrittweise vorzugehen. Großbritannien muß überzeugt werden, daß Ungeduld seinerseits sehr vieles verderben könnte. Auch Großbritannien kann kein Interesse haben, daß die EWG geschädigt wird oder gar ein 'Ende nimmt.
Ich glaube, es liegt auch eine Möglichkeit vor, unseren guten Willen dadurch zu beweisen, daß wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um die wirtschaftliche Sanierung, die die Vorbedingung für die Möglichkeit des Eintritts ist, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu fördern, auch wenn es uns manchmal finanziell oder sonst etwa schwerfällt. 'Großbritannien muß wissen: die Fünf, die übriggeblieben sind, sprechen eine Sprache, und diese Sprache ist auch die Sprache Großbritanniens.
Wir wollen natürlich nicht verkennen — das würde die Schwierigkeiten nicht beseitigen —, daß wir in unserer Lage nicht frei sind. Die Lage ist mißlich. Sie ist dadurch eingeengt, daß unser nationales Grundanliegen noch in der Schwebe ist. Das enthebt uns aber nicht des Zwanges zur Klarheit. Es gibt keine Einheit Deutschlands ohne Europa. Es gibt aber auch keine Einheit gegen de Gaulle.
Meine Damen und Herren, wie handelt de Gaulle, und wie handelt unsere Regierung? Gestatten Sie mir, Herr Präsident, aus der Präambel zum deutschfranzösischen Vertrag einige kurze Stellen zu zitieren. Da heißt es, dieser deutsch-französische Freundschaftsvertrag solle dazu beitragen, eine enge Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika herzustellen. Das ist der Wille des Hohen Hauses. Es heißt weiter, die gemeinsame Verteidigung im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses und die Integrierung der Streitkräfte der in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Staaten sei auch Sinn und Zweck dieses Vertrages. Weiter heißt es, unter Einbeziehung Großbritanniens und anderer zum Beitritt gewillter Staaten sei die weitere Stärkung dieser Gemeinschaften, der EWG und der NATO, anzustreben.
Das ist mehr als ein Wort, meine Damen und Herren. Sie wissen, daß die Präambel vor der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrages eine erhebliche Rolle gespielt hat. Dieses Gesetz ist die Richtschnur des Handelns der Regierung. Wenn sie etwas anderes will, mag sie vor den Bundestag treten und diese Bestimmungen aufheben lassen. Aber solange dieses bindende Gesetz für die Regierung besteht, hat sie alles zu tun, um im Rahmen der NATO und auch im Rahmen der EWG das durchzusetzen, was der erklärte Wille dieses Hohen Hauses ist.
Die anderen Staaten, die Beneluxstaaten und Italien, sind ohne nationale Probleme. Sie tun sich leichter, weil negative Rückwirkungen für sie nicht so lebensentscheidend sein würden wie für uns. Wir sollten sie auffordern, für uns Verständnis zu haben. Wir sollten sie bitten, ihre Stimme in demselben Sinne zu erheben, wie wir es tun. Wir täten gut daran, die Europafreundlichkeit der Holländer zur Grundlage und als Beispiel zu nehmen.
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Nun geht es nur um den Verhandlungsbeginn. Wenn schon hier jene Schwierigkeiten bestehen, was soll dann erst werden, wenn es zur letzten, zur endgültigen Entscheidung kommt? Wir wissen, die letzte Entscheidung kann nur einstimmig gefaßt werden. Es besteht ein Streit darüber — ich will das nicht wiederholen —, ob bereits die Aufnahme von Verhandlungen der Einstimmigkeit bedarf oder nicht. Sei dem, wie es sei. Der Bundesaußenminister hat dargelegt, daß er es für notwendig und vernünftig gehalten hat, die Notwendigkeit der Einstimmigkeit auch bei der Aufnahme von Verhandlungen zu respektieren.
Aber frei sind wir ohne Zweifel für informative Gespräche mit allen, die eintreten wollen, frei ist auch die Kommission in Brüssel. Frei sind die einzelnen EWG-Länder; denn diese sind es ja, die in der Endphase durch ihre Parlamente jedes für sich die Ratifizierung eventuell entstehender Verträge über den Beitritt dieser oder jener Länder zu beschließen haben.
Meine Damen und Herren, Europa kann nicht länger durch nur einen Mann seine Zukunft gefährden lassen. Der Punkt ist erreicht. Die Zurückweisung Englands würde eine gefährliche europäische Entwicklung in die Wege leiten, deren Konsequenzen wir heute nicht übersehen können und die wir nicht unter Kontrolle werden halten können. Hierzu dürfen wir niemals die Hand reichen. Das bedeutet: elastisch in der Methode, unnachgiebig im Ziel. Gibt de Gaulle nicht nach, muß England vor der Tür bleiben. Dann wäre die Vertrauensgrundlage innerhalb der EWG nicht mehr gegeben, mühsam würde sich die EWG dann als ein amorphes Gebilde hinschleppen und am Ende hinsiechen. Das wäre ein Schrekken ohne Ende.
Es gibt nur eine Lösungsmöglichkeit. Sie besteht in der Schaffung eines einigen, eines freien und eines zunächst in seinen freien Teilen starken Europas, einer mächtigen Wirtschaftsmacht als Partner für Osteuropa in friedlicher Entwicklung und für die Welt. Wer diese Möglichkeit, zu der es keine Alternative gibt, verbaut, blockiert, schließt sich selber aus. Die lachenden Dritten wären jene, die immer glauben, aus der Uneinigkeit der freien Welt ihre Vorteile ziehen zu können. Wohl kann de Gaulle Europa in tödliche Gefahren stürzen, aber wir dürfen nicht einem solchen Werk Vorschub leisten, um nicht mitschuldig zu werden.
Die Bundesregierung möge sich gesagt sein lassen: jetzt ist die Zeit des Taktierens vorbei. De Gaulle muß jetzt zu einer prinzipiellen Entscheidung gestellt werden. Stellen wir die Dinge doch nicht auf den Kopf. Nicht wir wollen die Römischen Verträge ändern oder etwas hineininterpretieren, was man Herrn de Gaulle nicht zumuten könnte. Wir verlangen weiter nichts als die Wahrung unseres Rechts. Wir legen die Römischen Verträge nach Buchstaben und Sinn aus. Wir lassen es uns aber auch nicht gefallen, wir dürfen es uns nicht gefallen lassen, daß diese Verträge ständig, wenn nicht gebrochen, so aber in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Das Verfahren ist vorgeschrieben. Art. 237, wir hörten es, regelt das Verfahren des Eintritts.
Hiervon dürfen wir nicht lassen. Verhandlungsverweigerung gegenüber einem Staat, wer immer es sei, dessen Sanierung wir verlangen, ist ein unfaires Spiel, das wir nicht mitmachen dürfen. Wir fordern die Regierung auf, unmißverständlich zu handeln. Das Recht steht auf unserer Seite. Die Zukunft Europas steht auf dem Spiel.