Rede von
Dr.
Hans
Furler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle können den Herrn Bundesaußenminister zu der Erklärung beglückwünschen, die er gerade abgegeben hat.
Er kommt unmittelbar von Kontaktnahmen in England und mit den EWG-Staaten zurück. Er hat eindeutig zum Ausdruck gebracht, was unsere Politik hier — des Bundestages und der heutigen Regierung und der vorhergehenden Regierungen — immer war: Wir sind für die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, wir sind für den Beitritt Großbritanniens und anderer Staaten, die diesen Beitritt wünschen, und wir sind selbstverständlich — daraus folgend — auch für die Aufnahme der zu diesem Ziele führenden Verhandlungen, die in sich natürlich noch keine endgültige Verpflichtung darstellen.
Nun hat sich eine eigentümliche Situation ergeben. In Vorwirkung Ihrer Erklärung, Herr Bundesaußenminister, haben die Antragsteller diesen Antrag, der hier zur Debatte vorliegt, schon für erledigt erklärt. Sie haben ihn nicht deswegen für ,erledigt erklärt, weil sie ihn für unrichtig hielten, sondern weil er schon erfüllt ist, nämlich dadurch, daß die Regierung sagt, sie habe sich bemüht. Sie wird sich auch am 18. und 19. an diesen entscheidenden Tagen im Ministerrat bemühen und dafür eintreten, daß die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen erfolgt. Unsere Debatte ergänzt jetzt eigentlich das, was Sie gesagt haben, und bestärkt das, was die Antragsteller ursprünglich von der Regierung wollten und was die Regierung inzwischen erfüllt bzw. bindend versprochen hat.
Zunächst geht es um eine Verfahrensfrage, aber um eine außerordentlich wichtige Verfahrensfrage. Ich will auf die Probleme, die der Beitritt Englands aufwirft, nicht eingehen. Das haben wir hier schon in Debatten getan; das hat die Kommission getan. Ich will nur sagen, daß zur Lösung dieser Probleme eben Verhandlungen notwendig sind, und ich will ganz deutlich sagen, daß wir auch nach den Ausführungen des Herrn Außenministers mit einer sehr schwierigen Situation am 18. und 19. Dezember in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7473
Dr. Furler
Brüssel rechnen müssen, weil offenbar- die Fünf für Eröffnung der Verhandlungen sind, aber Frankreich sich bis heute noch nicht zu einer Zustimmung entschließen konnte. Es geht auch heute wieder um das Bemühen, Frankreich zu bewegen, doch diesen ersten vorläufigen und nicht bindenden Schritt zu tun. Es geht um den Antrag der Kommission, die ausdrücklich gesagt hat: Wir sind der Meinung, daß Verhandlungen nötig sind, und sie sollen auf Grund eines Beschlusses des Ministerrats eingeleitet werden. Die Kommission hat durch ihren Vorsitzenden, Herrn Rey, ausdrücklich erklären lassen: Wir haben in unseren Bericht nach Art. 237 nicht hineingeschrieben: Gespräche mit England anfangen, nein, wir haben „Verhandlungen" hineingeschrieben, weil nur diese Verhandlungen dazu führen können, daß die notwendigen Positionen klargestellt werden, daß deutlich wird, welche Konzession England macht, ob .es möglich ist, zu einer Einigung zu gelangen, was wir fordern und was die anderen konzedieren müssen. Ich kann Ihnen sagen, daß der Präsident der Kommission am letzten Dienstag, unmittelbar von England zurückkommend, im Politischen Ausschuß des Europäischen Parlaments erklärt hat — er hat das auch dem Ministerrat gesagt —: Ich bin mir darüber klar, daß viele Probleme, zum Teil schwierige Probleme vorliegen; aber kein Problem ist unlösbar. Das ist eine sehr wichtige Erklärung, die der Präsident der Kommission abgegeben hat. Also sind auch wir dafür — und das hat die Regierung versprochen —, daß dem Vorschlag der europäischen Kommission gefolgt und in Verhandlungen eingetreten wird. Das hat auch das Europäische Parlament immer konsequent verlangt. Erst am letzten Dienstag hat der Politische Ausschuß in Brüssel eine Resolution gefaßt und publiziert, in der er ausdrücklich verlangt, daß durch einen Beschluß, der in der nächsten Ministerratstagung zu fassen wäre, in Verhandlungen eingetreten wird.
Diese Verhandlungen sind auch deshalb so wichtig, damit nicht plötzlich alles blockiert wird. Schon durch Verhandlungen, schon durch Auseinandersetzungen wird verhindert, daß sich dieser Graben wirtschaftspolitischer Art in Europa vertieft. Wir haben auch die günstige Situation, daß keine Fristen die Verhandlungen, ich möchte einmal sagen, unter Druck setzen können. Die Verhandlungen können in aller Ruhe und ber eine lange Zeit hinweg geführt werden, wenn sie nur überhaupt geführt werden, um zu einer Annäherung zu gelangen. Das müßte den Beschluß doch wirklich erleichtern, auch für Frankreich. Die Verhandlungsposition ist ja eine ausgezeichnete, auch für Frankreich.
Etwas ganz Entscheidendes: Dieser Beschluß, Verhandlungen aufzunehmen, bindet ja nicht hinsichtlich des endgültigen .Ergebnisses. Selbstverständlich ist jede Regierung frei, in freier, souveräner Beurteilung des Ergebnisses dieser Verhandlungen dann ja oder nein zu sagen. Man kann also nicht sagen, man würde jetzt die französische Regierung auf etwas festlegen, wozu sie heute noch nicht entschlossen sei. Im übrigen gibt es vielfältige Formen dieser Verhandlungen. Auch da besteht ein großer Spielraum.
Aber ich glaube, es würde vor allem hier in Deutschland, von der öffentlichen Meinung, von unserem Parlament nicht verstanden werden, wenn man schon gar nicht anfinge, sich einmal mit denen an einem Tisch auszusprechen,
die unseren Wunsch, diese Gemeinschaft zu erweitern, erfüllen wollen, einen Wunsch, .den wir nicht erst heute haben, sondern den wir schon bei Abschluß der Verträge hatten.
Der Herr Außenminister hat ganz klar gesagt — und das steht in den Verträgen —, daß es ein Ziel ist, diese Gemeinschaften zu erweitern. Wir haben ja die EWG damals nicht geschaffen, um uns endgültig von den anderen ,abzuschließen. Im Gegenteil, wir wollten die vitale Kraft setzen, auf Grund deren dann die anderen bewogen würden, zu uns zu kommen.- Und sie sind so weit, daß man mit ihnen mindestens darüber verhandeln kann, wie es geht.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein paar kurze Worte. Ich will nicht in den völkerrechtlichen Streit eintreten: Ist Einstimmigkeit für die Aufnahme dieser Verhandlungen erforderlich oder nicht? Ich glaube, damit kommen wir nicht weiter. Niemand denkt ja daran, in dieser Frage ein Urteil des Gerichtshofs einzuholen. Das Ganze ist für mich in erster Linie eine politische Frage, die Frage nämlich: Kann man sich, auch von Frankreich aus, entschließen, diese Verhandlungen aufzunehmen?
Weiter ist dies für mich aber auch eine Frage der Arbeit, des Lebens und des Rechts innerhalb der Gemeinschaften. Es geht meiner Ansicht nach nicht um die völkerrechtliche Interpretationsfrage: Einstimmiger Beschluß, also einstimmiger Beschluß auch für Aufnahme der Verhandlungen. Nein, es geht um den Geist und die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaften.
Der Herr Außenminister hat mit Recht gesagt, es ergebe sich aus Art. 5 und aus anderen Artikeln sowie aus der Präambel, daß die Erweiterung der Gemeinschaften ein Ziel der Verträge sei und daß die Verträge ausdrücklich sagten, alle müßten mitwirken, festgelegte Ziele zu erreichen. Aber ich gehe hier noch weiter. Ich sage folgendes: in den Gemeinschaften gibt es eine besondere Verpflichtung, auch auf die Interessen anderer Rücksicht zu nehmen. Es geht einfach nicht, daß diese dauernde, diese enge paritätische Zusammenarbeit, zu der auf Grund der Römischen Verträge eine Verpflichtung besteht, die nach den Verträgen eine Selbstverständlichkeit ist, ignoriert und daß man aus eigenen oder anderen Interessen ohne Notwendigkeit einfach über das hinweggeht, was die anderen fordern und was deren Interesse ist. Das Gebot der Rücksichtnahme, das Gebot, alle Argumente zu erwägen, das Gebot der Zusammenarbeit verlangt auch eine Mitwirkung auf Ziele hin, vor allem dann, wenn ich dadurch nicht endgültig verpflichtet werde.
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Dr. Furler
Ich glaube, wir können es uns in der EWG einfach
nicht erlauben, diese Gemeinschaftshaltung in einer
solchen Weise zu übersehen. Das ist nicht tragbar.
Ich muß auch sagen, wenn man schon in Erklärungen so deutlich zum Ausdruck bringt, daß es sich hier nicht um eine Interessengemeinschaft, eine Freihandelszone oder irgend etwas Lockeres, sondern um eine Gemeinschaft handelt, muß man auch diese Konsequenzen ziehen, die in diesem Fall — besonders deutlich — zumutbar sind.
Meine Damen und Herren, wir wollten die Regierung stützen. Wir tun das auch jetzt. Wir brauchen die Resolution nicht mehr. Wir sind der Meinung, die Regierung hat bisher eine richtige Politik getrieben, sie hat im Sinne der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und der wiederholten Erklärung des Herrn Außenministers gehandelt. Unser Ziel ist klar: die Erweiterung. Das taktische Ziel ist die Aufnahme der Verhandlungen. Es geht nur um die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen können.
Wir wollen hier aber auch die Gelegenheit nehmen — drei Tage vor der sehr wesentlichen Entscheidung —, an die französische Regierung zu appellieren und sie zu bitten, die Dinge noch einmal zu erwägen, zu erwägen auch aus dem Geiste der Gemeinschaft heraus. Denn wir wollen ja die Gemeinschaft nicht auflösen, nicht schwächen oder denaturieren. Im Gegenteil, wir sind für eine Stärkung. Wir sind aber auch für die Vermeidung von Krisen; die können wir nicht gebrauchen. Die Gemeinschaft muß in sich erhalten werden, sie muß aber auch diese Stärkung nach außen haben.
Meine Freunde, die Resolution, die zu fassen wir vorhatten, ist zwar in sich erledigt. Aber wir haben etwas viel Besseres bekommen, wir haben diese Erklärung des Herrn Außenministers bekommen und wir haben die Gelegenheit, zwei Tage vor Beginn der Auseinandersetzung in Brüssel noch einmal ganz deutlich zu sagen, was wir wollen und was wir für unsere Freunde für zumutbar halten.