Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7469
Bundesminister Brandt
Antrag der Fraktionen soll die Bundesregierung ersucht werden, im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften eine vertragsgemäße Entscheidung über die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit den Regierungen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens herbeizuführen.
Ich darf dazu erklären: Die Bundesregierung ist bemüht, eine solche vertragsgemäße Entscheidung herbeizuführen. Das Thema steht auf der Tagesordnung ,des Ministerrats am Montag und Dienstag der kommenden Woche. Wir hoffen, daß es zu einer positiven Lösung kommen wird; denn es ist die Politik dieser Regierung, aus deutschem und europäischem Interesse für eine Erweiterung des Gemeinsamen Marktes einzutreten.
Ich möchte den Versuch machen, drei Fragen zu beantworten, die sich in diesem Zusammenhang stellen:
Erstens. Wo stehen wir in der Behandlung der vier Anträge, d. h. der Anträge Großbritanniens, Irlands, Dänemarks, Norwegens, vom Frühsommer dieses Jahres und des Schreibens, das die schwedische Regierung im gleichen Zusammenhang an die Europäische Gemeinschaft gerichtet hat?
Zweitens. Was ist eine vertragsgemäße Entscheidung?
Drittens. Welche Möglichkeiten, Gefahren und Chancen sehen wir in diesem Zusammenhang für uns selbst und für die Europäische Gemeinschaft?
Zum ersten Punkt. Es ist unstreitig, daß das Verfahren über die genannten Beitrittsanträge im Gange ist. Es wurde eingeleitet im Sommer durch den Auftrag des Ministerrats an die Europäische Kommission, über die Fragen, die sich durch diese Anträge stellen, zu berichten. Ein solcher umfassender Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften liegt unter dem Datum des 29. September vor. Der Ministerrat hat sich in mehreren Sitzungen mit diesem Bericht befaßt, und über das bisherige Ergebnis dieser Diskussion kann ich folgendes sagen.
Erstens. Die Antragsteller, erfüllen ohne Zweifel die Vorbedingungen für eine Mitgliedschaft. Es handelt sich um europäische Staaten, . es handelt sich um demokratisch regierte Staaten, und es handelt sich um Staaten, deren ökonomisches Niveau sich nicht wesentlich von dem der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterscheidet.
Zweitens. Die sechs Regierungen, die im Ministerrat vertreten sind, sind sich darin einig, daß ein Beitritt der genannten Staaten nur auf der Basis der Römischen Verträge erfolgen kann und dann zweifellos auch unter Inanspruchnahme von Übergangsregelungen, wie sie in den Römischen Verträgen vorgesehen sind. Weiterhin besteht auch Einigkeit darin, daß bei einem Beitritt auch das gültig bleiben muß, was bisher. seit Inkrafttreten der Römischen Verträge ordnungsgemäß beschlossen ist und für die Gemeinschaft gilt.
Drittens. Nicht oder noch nicht einig sind sich die sechs Regierungen darin, ob der Charakter der Gemeinschaft durch die hier in Frage stehende Erweiterung, die zahlenmäßige und auch gebietliche Ausweitung, grundlegend verändert werden würde. Fünf Regierungen beantworten die hier gestellte Frage mit Nein. Sie glauben, eine grundlegende Veränderung des. Charakters nicht vermuten zu müssen. Die französische Regierung vermutet bzw. befürchtet eine solche Veränderung des Charakters der Gemeinschaft.
Viertens. Nicht umstritten scheint demgegenüber zu sein, daß das Ziel der Erweiterung der Gemeinschaft von allen sechs Regierungen der Mitgliedstaaten bejaht wird. Dies schließt, wovon ich mich gestern noch einmal überzeugen konnte, was diese Zielsetzung angeht, auch ein prinzipielles Ja der französischen Regierung ein.
Fünftens. Noch nicht abgeschlossen ist im Ministerrat, d. h. im Kreise der Sechs, die Aussprache über die Teile des Berichts der Kommission, die sich auf die ökonomischen und monetären Fragen beziehen. Dazu gehören die Fragen der Zahlungsbilanz und des Kapitalverkehrs, die Stellung des Pfundes als Reservewährung, die Landwirtschaftspolitik und die Agrarfinanzierung, schließlich auch einige Commonwealth-Probleme: Zuckerabkommen und neuseeländische Butter, um die beiden Hauptfragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, zu erwähnen.
Übrigens darf ich bei dieser Gelegenheit erwähnen: Der Ministerrat hat am Dienstag dieser Woche einen ergänzenden Bericht von Herrn Präsidenten Rey bzw. dem zuständigen Kommissionsmitglied, Herrn Barre, entgegengenommen. Es handelt sich um einen ergänzenden Bericht, der sich auf die Auswirkungen der Pfundabwertung bezieht. Ich möchte, daß das Hohe Haus weiß — weil es für die Erörterungen der kommenden Woche wichtig ist —, daß die Kommission in diesem ergänzenden Bericht die britische Pfundabwertung als einen wesentlichen Schritt zur Wiederherstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts Großbritanniens im Inneren und nach außen bezeichnet. Die Kommission steht durch diesen ergänzenden Bericht zu ihrer Beurteilung vom 29. September und hebt damit die Notwendigkeit hervor, bald in Verhandlungen mit Großbritannien einzutreten.
Wir sind im übrigen der Ansicht — sie mag in einem Punkt eine Kleinigkeit von der Meinung abweichen, die in dem Bericht' der Kommission vertreten wird, aber sie weicht, wie ich mich gestern vergewissern konnte, nicht von der Meinung des französischen Außenministers zu dieser Sachfrage ab —, daß die Probleme der Reservewährung in einem weiteren Rahmen behandelt werden müssen und nicht nur in dem engen Rahmen der Beitrittsverhandlungen der Sechs über den Beitritt Großbritanniens gelöst werden können.
Ich darf bei der Beantwortung der Frage, wo wir jetzt in der Behandlung der Anträge stehen, als sechsten Punkt folgendes hinzufügen. Wenn am Montag und Dienstag die erwähnten materiellen, d. h. ökonomischen und monetären Fragen durchberaten sind, dann wird der Ministerrat zu dem letzten Punkt im Bericht. der Kommission Stellung zu nehmen haben.
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Bundesminister Brandt
In diesem letzten Punkt empfiehlt die Kommission, in Regierungsverhandlungen einzutreten. Darum geht es also am 19. Dezember, und ich meine, daß darüber am 19. Dezember entschieden werden muß. Dieser Meinung sind auch meine Kollegen aus Italien und den Benelux-Ländern. Ich selber bin darauf vorbereitet, es am 19. Dezember spät werden zu lassen oder auch die Nacht zu Hilfe zu nehmen, damit man weiß, woran man ist und wie es weitergehen soll.
Zu der zweiten Frage: Was ist eine vertragsgemäße Entscheidung?, darf ich folgendes vortragen. Wir müssen hier — das wissen die eigentlichen Europapolitiker in diesem Hause natürlich ganz genau, manche wissen es so genau sogar schon etwas länger als ich, aber ich darf es des Zusammenhangs wegen hier noch einmal darstellen — zwei Artikel des Römischen Vertrags heranziehen.
Art. 237 Abs. 1 lautet:
Jeder europäische Staat kann beantragen, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig, nachdem er die Stellungnahme der Kommission eingeholt hat.
Art. 148 Abs. 1 desselben Vertrages, des EWG- Vertrages, lautet:
Soweit in 'diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, beschließt der Rat mit der Mehrheit seiner Mitglieder.
In den meisten Fällen schreibt der EWG-Vertrag vor, mit welcher Mehrheit ,der Rat seine Beschlüsse zu fassen hat, so daß in der Praxis mit einfacher Mehrheit gefaßte Beschlüsse Verfahrensbeschlüsse sind. So ist unbestritten der Beschluß des Rates gemäß Art. 237 Abs. 1, die Stellungnahme der Kommission zu den vorliegenden Beitrittsanträgen einzuholen, ein Verfahrensbeschluß, der gemäß Art. 148 Abs. 1 mit einfacher Mehrheit gefaßt werden kann.
Unbestritten ist ferner, daß um Ende der Beitrittsverhandlungen parallel zu dem in den Mitgliedstaaten durchgeführten parlamentarischen Zustimmungsverfahren als letzter Akt des gemeinschaftlichen Verfahrens der Rat den Beitritt eines dritten Staates zur Gemeinschaft einstimmig billigen, ihm zustimmen muß.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Beschluß des Rates zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen ein Verfahrensbeschluß ist, der gemäß Art. 148 Abs. 1 mit einfacher Mehrheit gefaßt werden kann, oder von der in Art. 237 Abs. 1 vorgesehenen Einstimmigkeit im Rat über den Beitrittsantrag mit umfaßt wird. Der Wortlaut des Vertrages wird unterschiedlich ausgelegt. Aus der früheren Praxis bei den ersten Aufnahmegesuchen Großbritanniens und Dänemarks im Jahre 1961 ergeben sich Anhaltspunkte, wenn man will, aber keine zwingenden Schlüsse. Damals, 1961, hat der damals amtierende Ratspräsident in seinem Schreiben an den britischen Premierminister und an den dänischen Außenminister seine Freude zum Ausdruck gebracht, daß der Rat der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen einstimmig seine Zustimmung gegeben habe. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, daß der Rat diesen Beschluß auch mit einfacher Mehrheit hätte fassen können. Der französische Text des Art. 237 Abs. 1, der der Gesamtredaktion ,des Artikels zugrunde gelegen hat, spricht allgemein davon, daß der Rat sich über den Antrag einstimmig ausspricht, „se prononce à lunanimité". Dies würde schon dem Wortlaut, diesem französischen Wortlaut nach, nicht nur den abschließenden Beschluß des Rates umfassen, sondern auch die vom Rat vorher hinsichtlich des Antrages zu treffenden Maßnahmen, insbesondere also die Eröffnung formeller Beitrittsverhandlungen.
Für die gleiche Auffassung wird die Entstehungsgeschichte herangezogen. Bei Abfassung des Art. 148 Abs. 1 hat man an die sich in Verträgen über internationale Organisationen befindende Vorschrift gedacht, wonach Verfahrensentscheidungen, im Gegensatz zu der sonst vorgeschriebenen Einstimmigkeit, mit Mehrheit getroffen werden können. Daß ,außer diesen internen Verfahrensentscheidungen auch Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Außenbeziehungen von der Vorschrift gedeckt sein sollten, ist damals nicht ins Auge gefaßt worden. In diesem Sinne ist auch geltend gemacht worden, daß der Beschluß, formelle Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, die endgültige Entscheidung über den Beitritt, die zweifellos einstimmig erfolgen muß, teilweise präjudiziere, indem er festlege, daß kein Hindernis bestehe, das von vornherein unter den gegebenen Umständen den Beitritt ausschließe. Jedenfalls haben die Autoren, die früher diese Frage geprüft haben, durchweg die Notwendigkeit einer einstimmigen Entscheidung bejaht.
Wenn man hiervon ausgeht, entfällt die Prüfung der Frage, ob es sich um ein für einen Mitgliedstaat sehr wichtiges, ein vitales Interesse handelt, worüber nach dem Beschluß des EWG-Ministerrats vom 29. Januar 1966 in Luxemburg — Luxemburger Kompromiß — nur unter erschwerten Umständen entschieden werden kann. Dieser sogenannte Luxemburger Kompromiß kommt der Natur der Sache nach nur bei Mehrheitsentscheidungen zum Zuge.
Wenn man sich andererseits die Rechtsansicht zu eigen macht — wozu ich selbst seit langem neige; aber ich bin nicht Jurist —, der Rat könne auch mit Mehrheit den Beschluß zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen fassen, dann stellt sich im Sinne des Luxemburger Kompromisses vom Januar 1966 die Frage, ob die Bemühungen um eine einstimmige Entscheidung lange genug fortgesetzt wurden.
Soweit aus dem Munde eines Laien die rechtliche Seite der Frage. Meine Gespräche dieser Tage mit den Kollegen der anderen Länder haben übereinstimmend ergeben, daß Vertragsauslegung in dieser Lage nicht weiterhilft.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1967 7471
Bundesminister Brandt
Die Frage, die ich erwähnt habe, ist umstritten. Sie würde verbindlich nur durch dien Europäischen Gerichtshof entschieden werden können. Aber es bestand unter uns sowohl gestern bei dem, was man das „kontinentale Frühstück" genannt hat, wie auch bei anderen Zusammenkünften die Meinung, daß nicht dazu geraten werden könnte, in dieser Frage auf einen Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof zu marschieren. Politisch, meine Damen und Herren, wird man davon auszugehen haben, daß die positive Mitwirkung aller Regierungen erforderlich ist, wenn man die Erweiterung der Gemeinschaft erreichen will.
Damit komme ich zu dem dritten Fragenkomplex: Welche Möglichkeiten, Gefahren und Chancen stehen hier jetzt — und wenn ich „hier" sage, meine ich damit auch das Werk der europäischen Einigung, dem wir so große Bedeutung beimessen — gegenüber?
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland tritt dafür ein, daß der Ministerrat am 19. Dezember mit einem, vom Ratspräsidenten festzustellenden, klaren Ergebnis abschließt.
Wir werden uns unsererseits für die Aufnahme von Regierungsverhandlungen aussprechen.
Andere Delegationen werden, wie wir wissen, das gleiche tun. Die Schlußffeststellung des Ratspräsidenten wird in erster Linie in einer Aussage darüber bestehen müssen, daß entweder hierüber, über die Aufnahme von Regierungsverhandlungen, Einigkeit erzielt wurde oder, wenn nicht, wie viele Delegationen sich dafür und wie viele sich dagegen ausgesprochen haben.
Wichtig wird dann noch eine zweite Feststellung sein, nämlich die Feststellung, wie die Angelegenheit weiter behandelt werden soll und was gegegebenenfalls in der Vorbereitung offizieller Regierungsverhandlungen geschehen kann. Wenn es jetzt nicht zum ersten Schritt im Sinne offizieller Regierungsverhandlungen unter Beteiligung aller kommen sollte, dann werden alle Beteiligten nach dem 19. Dezember, sehr rasch nach dem 19. Dezember, die so entstandene Lage zu prüfen haben, jede Regierung für sich, die Regierungen untereinander, alle untereinander oder einige untereinander, und gegenüber anderen in und/oder außerhalb der Gemeinschaft. Hierzu können aus unserer Sicht neben deutsch-französischen und deutsch-britischen Gesprächen auch Kontakte der Fünf gehören, Bemühungen der Fünf nicht an Stelle, aber im Interesse der europäischen Gemeinschaft
Man wird meiner Überzeugung nach schon jetzt erkennen müssen, meine Damen und Herren: Es geht jetzt nicht nur um Großbritannien und um Irland und Dänemark und Norwegen, sondern es geht jetzt auch um die Gemeinschaft selbst.
Eine Grundregel der Gemeinschaft ist, daß die
Meinungsbildung der Gemeinschaft auf Grund der
Meinungen aller Mitglieder zu erfolgen hat. Dazu darf ich, auf den konkreten Falle bezogen, aber auch noch einmal durch einen Rückgriff auf den Vertragstext, folgendes sagen.
Die Kommission führt in ihrem vorhin erwähnten Bericht vom 29. September eine Reihe von Fragen auf, die geklärt sein sollten, bevor der Beitritt Großbritanniens erfolgen kann. Die Kommission läßt offen, ob und wie diese Fragen geklärt werden können. Die französische Regierung glaubt nach dem bisherigen Stand der Erörterungen ihrerseits hierauf bereits eine Antwort zu wissen, und sie sagt sinngemäß: Erst wenn die materiellen Voraussetzungen geschaffen sind — ökonomisch und monetär —, wird in dann relativ kurzfristig anzusetzende und in relativ kurzer Zeit durchzuführende Regierungsverhandlungen einzutreten sein. Die fünf anderen Mitgliedstaaten sagen durch ihre Regierungen, sie seien -wie die Kommission der Auffassung, daß wir uns erst auf Grund einer Verhandlung mit Großbritannien — und wenn ich Großbritannien sage, meine ich die drei anderen immer mit — ein endgültiges Urteil bilden können. Wir meinen, daß Frankreich weder ein Interesse daran noch einen Anspruch darauf haben kann, dies zu verhindern, nämlich daß wir uns in Verhandlungen mit Großbritannien ein klares und endgültiges Urteil bilden können.
Wenn ich sage, ich muß hierbei noch einmal auf den Vertrag selbst zurückgreifen, dann meine ich damit folgendes. Art. 5 des Römischen Vertrags schreibt jedem Mitgliedstaat vor, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Die Erweiterung ist ein Vertragsziel. Der Vertrag schreibt hierfür Verhandlungen vor. Jedes Mitglied ist zwar in der letzten, materiellen Entscheidung frei, aber kein Mitglied darf den Weg verbauen, der nach dem Vertrag zur Entscheidung über die Aufnahme weiterer Mitglieder führt.
Dabei ist unbestritten, daß die Sechs in den Verhandlungen, worum es auch immer gehen mag, nur mit einer Stimme sprechen können.
Großbritannien hält daran fest, erst dann beitreten zu sollen — daran muß man sich auch noch einmal erinnern —, wenn dies ohne ernste Gefahr für sich selbst und für die Gemeinschaft möglich ist, und die britische Regierung weiß, daß dies noch einige Zeit dauern wird. Niemand wünscht also in Wirklichkeit vorschnelle 'Entscheidungen. Aber man muß dann auch hinzufügen, die Wirtschaft Großbritanniens und der drei anderen Länder ist nicht nur ein Interesse dieser Länder, sondern auch derer, die mit diesen Ländern in engem Wirtschaftsverkehr stehen, heute nicht in der Gemeinschaft, später in einer Gemeinschaft. Die Wirtschaft dieser Länder muß ja wohl auch wissen — und das hängt davon ab, ob verhandelt wird oder nicht —, auf welche europäischen Ziele hin sie sich bei ihren Maßnahmen und Schritten orientieren soll oder kann.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, es sei eine Grundregel der Gemeinschaft, daß die Mei-
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Bundesminister Brandt
nungsbildung der Gemeinschaft auf Grund der Meinung aller Mitglieder zu erfolgen habe. Ich darf hinzufügen, Überlegungen darüber, wie man zum Ziel kommen oder das Ziel übereinstimmend feststellen und inzwischen das Vernünftige tun kann, helfen in diesem Augenblick nicht weiter, zumal die britische Regierung — und davon habe ich mich am Wochenende in persönlichen Unterhaltungen überzeugen können — jetzt nichts anderes wissen möchte — und das ist ihr gutes Recht — als das, ob Verhandlungen aufgenommen werden können oder nicht.
Wir haben im übrigen auf seiten der Bundesregierung nicht nur über Verfahrensfragen nachgedacht — meine Ausführungen könnten diesen Verdacht aufkommen lassen —, sondern wir haben selbstverständlich über die Inhalte nachgedacht und hoffen, daß diese Überlegungen dann, wenn es aktuell sein wird, hilfreich sein können. Über die Chancen einer erweiterten Gemeinschaft braucht vor diesem Hohen Hause nichts über das hinaus gesagt zu werden, was am 13. Oktober von allen drei Fraktionen und der Regierung erklärt worden ist. Wir waren uns alle einig, wie wichtig es wäre, den Graben zwischen der EWG und den EFTA-Staaten zuzuschütten, wichtig für die europäische und internationale Entwicklung, wichtig für das ökonomische Wachstum, wichtig für die Verminderung und schließlich die Überwindung des technologischen Abstandes zwischen diesem unserem Kontinent und den Supermächten, wichtig in ,der weiteren Entwicklung auch für die Sicherung des Friedens.
Die Gefahren, die jetzt nicht zu verkennen sind, bestehen darin, daß das Communautaire, das Gemeinschaftsdenken und -handeln Schaden leiden könnte, nein,-mit einiger Sicherheit Schaden leiden würde, wenn der Eindruck entstünde, als bestimme die einseitige, in diesem Fall zu einem negativen Ergebnis kommende Überlegung einer Regierung das Gesetz des Handelns, und daß dann der Elan fehlen werde, um die in der Gemeinschaft vor uns liegenden großen Entscheidungen zu treffen.
Schon jetzt ist unverkennbar, daß von einer Blockierung des Beitritts Großbritanniens andere Erweiterungen betroffen sein werden. Es droht also eine Stagnation dessen, was als europäisches Gemeinschaftswerk zustande gekommen ist. Ich sage das gerade auf dem Hintergrund dessen, daß wir am 13. Oktober sinngemäß gesagt haben: Wir möchten die Erweiterung, und wir möchten sie am liebsten, ohne daß das Geschaffene gefährdet wird oder Schaden leidet.
Es wird schwer werden — um es, wie es dem Außenminister in diesem Augenblick geziemt, vorsichtig zu sagen —, zu einer Einigung über den Eintritt in die Endphase der Gemeinschaft zu kommen, solange .die Beitrittsfragen ungeklärt sind.
Es wäre nicht richtig, würde ich den Ernst der
Lage vor diesem Hohen Hause nicht ausdrücklich
und nachdrücklich unterstreichen. Dies ist auch in den Gesprächen der letzten Tage geschehen.
Die Regierung dieser unser Bundesrepublik bewegt sich nicht in den Kategorien von Machtansprüchen, Demonstrationen oder gar Drohungen. Aber unser eigenes Interesse — das haben wir zu vertreten — und unser Verständnis der europäischen Interessenlage zwingen uns, deutlich zu sprechen und gerade in diesem Augenblick auch unseren französischen Nachbarn dringend zu empfehlen, es sich selbst und anderen nicht zu schwer zu machen.