Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich im Namen des Hauses und in meinem eigenen Namen einigen Kollegen zu ihrem Geburtstag Glück zu wünschen. Am 19. November ist der Abgeordnete Kinat 72 Jahre alt geworden,
am 24. November der Abgeordnete Maier — ein junger Mann — 60 Jahre
und am 1. Dezember — ein Mann mittleren Alters — der Abgeordnete Dr. Krone 65 Jahre.
Wir wünschen ihnen allen Glück zum Eintritt in das neue Lebensjahr.
Mit Wirkung vom 28. November 1960 hat der Abgeordnete Brüns sein Mandat niedergelegt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Zusammenstellungen der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Inzwischen ist die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im vierten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1959 Drucksache 2249 — eingegangen. Ich unterstelle, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 2. Dezember 1960 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag ge-maß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Drittes Gesetz über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1960
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 18. Mai 1956 über die Besteuerung von Straßenfahrzeugen zum privaten Gebrauch im internationalen Verkehr
Gesetz über eine Gewerbesteuerstatistik für das Kalenderjahr 1953
Gesetz über die Bildung von Rückstellungen in der Umstellungsrechnung dei Geldinstitute, Versicherungsunternehmen
und Bausparkassen und in der Altbankenrechnung der Berliner Altbanken
Gesetz gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel
Viertes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts
Gesetz zu dem Neunten Protokoll vom 22. November 1958 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen
Gesetz zur Einführung des Geschäftsraummietengesetzes im Land Berlin
Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft.
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zum
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes verlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drecksache 2267 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 17. November 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Ausländische Arbeitskräfte in Deutschland beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2236 v erteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 22. November 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Verbesserung der Flugsicherung und der Luftverkehrslenkung beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2242 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 22. November 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Weihnachtsgeld für Beamte beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2244 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 22. November 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Herausgabe der Namen von Wehrpflichtigen an den Verband der Kriegsdienstverweigerer e. V. beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2245 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 29. November 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. deutsches Vermögen in den USA beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2257 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 1. Dezember 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP belt. Verwendung polnischer Namen für deutsche Orte im „TimesWeltatlas" beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2264 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 24. November 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Stecker, Müller-Hermann, Höcherl, Drechsler, Leicht und Genossen betr. Leistungen aus dem Bundesfernstraßenhaushalt an kommunale Baulastträger beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2250 verteilt.
Die Herren Bundesminister der Finanzen, für Verteidigung und für wirtschaftlichen Besitz des Bundes haben unter dem 15. November 1960 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 5. Dezember 1956 über Art und Umfang der Landbeschaffungsvorhaben berichtet. Der Bericht ist als Drucksache 2227 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen hat unter dem 22. November 1960 gemäß § 46 Absatz 2 des Deutschen Auslieferungsgesetzes vom 23. Dezember 1929 mitgeteilt, daß die Bekanntmachung der dem Generalsekretär des Rates fur die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens seit dem 18. Juni 1958 zugegangenen Antworten der Mitgliedstaaten zur Empfehlung des Rates über gegenseitige Verwaltungshilfe im Bundesgesetzblatt 1960 Teil II S. 2358 veröffentlicht wurde.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen hat unter dem 24. November 1960 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 25. Februar 1959 über die Bemühungen der Bundesregierung zur Freimachung des Rasthauses am Chiemsee berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2251 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen hat unter dem 17. November 1960 über die Überlassung weiterer junger Anteile der Gewobag im Nennwert von 1 Mio DM gemäß § 47 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 RHO an das Land Berlin berichtet. Sein Schreibete ist als Anlage 2 diesem Sitzungsbericht beigefügt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 25. November 1960 auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 8. April 1959 über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bet den Bundesdienststellen berichtet. Die Ubersicht wird als Drucksache 2270 verteilt.
7616 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Vizepräsident Dr. Schmid
Wir treten in die Tagesordnung ein.
Punkt 1:
Fragestunde .
Zunächst zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung: Herr Minister Wuermeling ist am Freitag verhindert und möchte die Frage, die ihn betrifft, heute beantworten. Ich werde diese Frage vorziehen und sie etwa nach der Beantwortung der Fragen unter IV aufrufen.
Frage 1 — des Abgeordneten Müller-Hermann — aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts:
Kann der Herr Bundesaußenminister eine Zusage geben, daß die Bundesregierung beim Besuch der amerikanischen Staatssekretäre Anderson und Dillon auch die ungelöste Frage der in den USA beschlagnahmten deutschen Privatvermögen angeschnitten und auf eine schnelle und befriedigende Lösung dieses Problems im Geiste echter Partnerschaft hingewirkt hat?
Herr Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Frage des Herrn Kollegen Müller-Hermann möchte ich antworten, daß bei den Besprechungen mit Staatssekretär Anderson und mit Unterstaatssekretär Dillon auch die Frage des beschlagnahmten deutschen Vermögens und ihre Regelung diskutiert wurden.
Zusatzfrage?
Können Sie, Herr Minister, auch bestätigen, daß de amerikanische Seite bereit ist, diese seit langem anstehende Frage in der nächsten Zeit befriedigend zu regeln?
Ich kann, Herr Kollege Müller-Hermann, sagen, daß die amerikanische Verwaltung und Regierung nach wie vor zu den Erklärungen stehen, die der Präsident Eisenhower abgegeben hat.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, wird die Bundesregierung wegen dieser Frage weiterhin bei der amerikanischen Regierung vorstellig bleiben?
Dr. von Brentano, Bundesminster des Auswärtigen: Das ist selbstverständlich.
Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Seuffert —:
Wie beurteilt die Bundesregierung jetzt die Aussichten der Forderung auf Freigabe des deutschen Privatvermögens in den Vereinigten Staaten von Amerika, und welche Schritte gedenkt sie in dieser Beziehung nunmehr zu unternehmen?
Ist Herr Abgeordneter Seuffert nicht anwesend? — Herr Abgeordneter Erler übernimmt die Frage.
Ich glaube, daß ich die Frage, die Herr Kollege Seuffert stellen wollte, praktisch soeben beantwortet habe mit der Antwort, die ich Herrn Müller-Hermann gegeben habe.
Ja, es fehlt lediglich noch der eine Punkt, wie Sie die Aussichten beurteilen, Herr Minister.
Herr Kollege Erler, ich glaube, ich hätte nicht gesagt, daß wir die Verhandlungen weiterführen werden, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß die Verhandlungen zu einem Ergebnis führen.
Danke!
Frage I/3 — des Herrn Abgeordneten Rehs —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesrepublik, über die bisherige Beteiligung der Bundesrepublik hinaus die Hilfe für die über zehntausend ölvergifteten Menschen in Marokko darunter besonders viele Kinder, zu verstärken?
Dem Herrn Kollegen Rehs antworte ich folgendes. Nach dem Bericht des Deutschen Roten Kreuzes ist bereits die Hälfte der etwa 10 000 01-vergifteten in Marokko geheilt, und man rechnet damit, daß bis zum Frühjahr 1961 bei mindestens 65 % der Kranken die Lähmungserscheinungen verschwunden sind. Es ist aber beabsichtigt, den Einsatz des bereits in Marokko befindlichen Personals zunächst bis zum 30. Juni 1961 zu verlängern. Außerdem wird das Deutsche Rote Kreuz für die gleiche Zeit einen deutschen Arzt nach Marokko entsenden.
Eine Zusatzfrage?
Können Sie Angaben darüber machen, in welcher Größenordnung etwa sich bisher die finanziellen Leistungen der Bundesrepublik bewegen?
Ich kann diese ungefähren Angaben machen. Das Deutsche Rote Kreuz hat 400 Betten mit dem gesamten Zubehör in einem Wert von etwa 100 000 DM zur Verfügung gestellt. Die Bundeswehr hat es damals übernommen, diese Dinge nach Marokko einzufliegen, schon um den Transport zu beschleunigen. Das Gesamtspendenaufkommen zugunsten der Vergifteten belief sich auf insgesamt etwa 400 000 DM. Im Dezember 1959 hat das Deutsche Rote Kreuz zwei Krankenschwestern zur Verfügung gestellt. Es hat, als eine Reihe neuer Anforderungen kam, zwei weitere Krankenschwestern herangezogen. Ende 1960 waren vier deutsche Rote-Kreuz-Schwestern in Marokko tätig. Seit dem Frühjahr befinden sich zwei Fachärzte der Orthopädie in Marokko, die dort je ein Behandlungszentrum leiten.
Auf Bitten der Liga wurden zwei Krankengymnastinnen durch das Deutsche Rote Kreuz verpflichtet und nach Marokko entsandt, und im April dieses Jahres hat der deutsche Botschafter in Rabat dem marokkanischen König im Auftrag der Bundesregierung ein Unterwasser-Massagegerät und einen elektrotherapeutischen Apparat übergeben. Auch diese Gegenstände dienen der Heilung der Erkrankten.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7617
i Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Frage?
Ja! — Ist die Medikamentenversorgung, soweit hier Medikamente benötigt werden, in vollem Umfange gesichert?
Sie war bisher bestimmt gesichert. Aber ich bin gerne bereit, das nachzuprüfen, Herr Kollege, und Ihnen darüber Auskunft zu geben.
Die Frage ist beantwortet. Frage I/4 — des Abgeordneten Bauer —.
Trifft es zu, daß der von französischer Seite aufgebrachte Frachter LAS PALMAS Gerd te an Bord hatte, die als Schädlingsbekmpfungsmittel deklariert, aber in Wirklichkeit als Flammenwerfer bzw. Einnebelungsmillel für kriegerische Zwecke verwendbar waren en, und war der verantwortliche Karlsruher Händler von amtlichen Stellen überprüft und registriert worden?
Herr Minister!
Die Nachprüfung des Sachverhalts hat folgendes ergeben. Die Firma Dimex in Karlsruhe hatte einen Flammenwerfer konstruiert, der von der Bundesregierung nicht abgenommen wurde. Einen Teil der zu diesem Gerät gehörenden Druckbehälter hat die Firma Dimex nach einem dem Auswärtigen Amt inzwischen in Abschrift vorgelegten Kaufvertrag vorn 15. Februar 1960 an eine Firma Zenatia in Rabat zur Verwendung als Gerät für Schädlings- und Brandbekämpfung verkauft und auf der LAS PALMAS nach Marokko verschifft. Die Firma Dimex ist beim Handelsregister in Karlsruhe eingetragen. Eine Überprüfung von Firmen — der Herr Abgeordnete hat danach gefragt — ist nach dem in der Bundesrepublik bestehenden Grundsatz der Gewerbefreiheit bekanntlich nicht möglich.
Um für die Zukunft von vornherein jeden Verdacht auszuschließen, halte ich es für wünschenswert, daß die bestehenden Kontrollmaßnahmen auf dem Gebiete der Waffenausfuhr durch die baldige Inkraftsetzung der in den Entwürfen eines Kriegswaffengesetzes und eines Außenwirtschaftsgesetzes enthaltenen Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen, insbesondere durch Inkraftsetzung des § 39 des Außenwirtschaftsgesetzes über die Kontrollbefugnisse der Zollbehörden, wirksam ergänzt werden.
Zusatzfrage?
Halten Sie, Herr Bundesaußenminister, es nicht für seltsam und die deutsch-französischen Beziehungen vielleicht etwas gefährdend, daß jetzt bereits der dritte Frachter unter deutscher Flagge aufgebracht worden ist und daß zumindest der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, es handele sich um die Lieferung von Material, das im Algerien-Krieg verwandt werden kann?
Herr Kollege, ich möchte zwei Antworten
geben. Ich möchte zunächst sagen: Die Bundesregierung bedauert es, daß wiederholt Schiffe auf hoher See aufgebracht worden sind, wozu nach dem Völkerrecht keine Möglichkeit bestand. Auf der anderen Seite möchte ich unterstreichen, was hier gesagt wurde. Wir bedauern es selbstverständlich, daß — wie in diesem Falle eine Ladung festgestellt wird, die auch nur den Anlaß zu einem berechtigten Verdacht geben kann. Die Bundesregierung hat sich inzwischen auch mit dem Reederverband in Verbindung gesetzt, und ich möchte feststellen, daß wir dort sehr großes Verständnis und eine sehr offene Bereitschaft gefunden haben, solange die gesetzlichen Bestimmungen fehlen, in der Zusammenarbeit zwischen dem Reederverband und der Bundesregierung dafür zu sorgen, daß Vorfälle dieser Art sich nicht wiederholen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage?
Darf ich bei dieser Gelegenheit, Herr Bundesaußenminister, die Frage an Sie richten, ob die Bundesregierung bereits eine Überprüfung des Falles eingeleitet hat, der gestern durch die Presse gegangen ist, also des Falles der neuerlichen Aufbringung eines deutschen Frachters?
Ich kann Ihnen den letzten Tatbestand noch nicht geben. Gestern abend erhielt ich die Nachricht, daß dieses Schiff angehalten und für wenige Stunden festgelegt worden war, daß es aber in den Abendstunden den Hafen wieder verlassen hat, weil auf dem Schiff nichts festgestellt wurde, was zu beanstanden war. Ich gebe diese Nachricht unter Vorbehalt; sie bedarf noch der Bestätigung durch unsere Botschaft in Paris. Diese Nachricht kommt von unserem, Konsulat in Tanger.
Es folgen die Fragen unter II, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zunächst Frage II/1 — des Abgeordneten Schmidt —:
Kann durch die beabsichtigte Errichtung eines Wasserübungsplatzes für eine technische Abteilung des Bundesgrenzschutzes am Ufer der Oberelbe bei Haufelde eine Gefährdung der Geheimhaltung dadurch eintreten, daß die dort vor sich gehenden Übungen mühelos von passierenden sowjetzonalen Schiffen aus beobachtet und fotografiert werden können?
Wird die Frage übernommen? — Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, Sie übernehmen die Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Frage II/1 kann .ich folgendes bekanntgeben: Bei der auf dem Wasserübungsplatz Haufelde an der Elbe, 4 km nördlich von Winsen an der Luhe, betriebenen Ausbildung handelt es sich um die pioniertechnische Ausbildung einer Polizeitruppe des Bundesgrenzschutzes. Sie ist nicht geheimhaltungsbedürftig. Es ist daher unbedenklich, daß die Anlage von sowjetzonalen Schiffen aus eingesehen werden kann.
Schmitt-Vockenhausen . Danke.
7618 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Die Frage ist beantwortet. Frage II/2 — des Abgeordneten Dr. Friedensburg
Hält es die Bundesregierung angesichts der zunehmenden und von allen Seiten immer schärfer betonten Bedeutung des Entwicklungsproblems in großen Teilen der Welt für angebracht, daß die geographische Ausbildung auf den höheren Schulen zugunsten anderer Fächer immer weiter zurückgedrängt wird, und was glaubt sie ungeachtet der Beschränkung der Bundeszuständigkeiten tun zu können, um diesem lebensnotwendigen Zweig der allgemeinen Bildung starker als bisher Geltung zu verschaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Frage Herr Abgeordneter, darf ich wie folgt beantworten: Die Fülle der Bildungsprobleme, deren Lösung der Oberstufe unserer höheren Schulen aufgetragen ist, kann nicht durch eine Ausdehnung des Unterrichts in bereits eingeführten Fächern oder durch Einführung weiterer Fächer gelöst werden. Notwendig ist vielmehr eine Konzentration des Bildungsstoffes und eine Vertiefung der Bildungswirkung, um bei unseren Abiturienten die geistige Selbständigkeit und Verantwortung so weit zu fördern, daß ein echtes wissenschaftliches Studium möglich wird.
Diese Überzeugung hat die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder zu ihrem Beschluß vom 29. 9, 1960 über die Rahmenvereinbarung zur Ordnung des Unterrichts auf der Oberstufe der Gymnasien geführt.
Das Thema „Probleme der Entwicklungsländer" ist kein rein geographisches; es gehört vielmehr in den Bereich der politischen Bildung, bei der mehrere Fächer angesprochen sind. Politische Bildung ist von den Kultusministern der Länder unter der Bezeichnung „Gemeinschaftskunde" zu einem Unterrichtsschwerpunkt gemacht worden. Es wird abzuwarten sein, wie sich diese Schwerpunktbildung auswirkt.
Frage II/3 — des Abgeordneten Dr. Friedensburg —:
Hält es die Bundesregierung zur Wahrung der sittlichen Grundgedanken unserer Rechtsordung nicht für geboten, mit gesetzgeberischen Maßnahmen zuverlässig sicherzustellen, daß die für unser Unglück und unsere Schande maßgebend mitverantwortlichen Personen — wie unter vielen anderen der frühere Staatssekretär Schlegelberger — vom deutschen Volke nicht Unterhaltsbeträge erhalten, deren unverhältnismäßige Höhe sie lediglich ihrer Beförderung auf Grund ihrer Mitwirkung an verbrecherischem Unrecht verdanken, Unterhaltsbeträge, die vielfach das Zehn- und Zwanzigfache der Hilfe für die unschuldigen Opfer dieses Unrechts erreichen?
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet: Gesetzgeberische Maßnahmen zum Ausschluß des in Ihrer Anfrage angesprochenen Personenkreises von Versorgungszahlungen sind bereits getroffen. Durch die 2. Novelle zum Gesetz zu Art. 131 ist 1957 § 3 Satz 1 Nr. 3 a in das Gesetz eingefügt worden. Danach haben diejenigen Personen keine Rechte, die durch ihr Verhalten während ,der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen ,die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Auf Grund dieser Vorschrift hat nach Benehmen mit meinem Hause der Herr Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein als zuständige oberste Dienstbehörde festgestellt, daß ,dem ehemaligen, 1931 ernannten Staatssekretär Dr. Schlegelberger Rechte nach Kapitel I des erwähnten Gesetzes nicht zustehen. Gegen das diesen Bescheid aufhebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Kiel hat ,der Herr Finanzminister gemäß Absprache mit meinem Hause Berufung eingelegt und ,die Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ides Urteils beantragt. Der Ausgang ,des gerichtlichen Verfahrens dürfte ,abzuwarten sein.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung überhaupt für erträglich, daß ein Mann sich des Verwaltungsstreitverfahrens bedient, um sich vom deutschen Volke einen luxuriösen Lebensabend zu sichern, ein Mann, der selber vor zwanzig Jahren durch eine sogenannte Rechtsverordnung — Lex Schlegelberger — den jüdischen Mitbürgern das Recht abgesprochen hat, sich des Verwaltungsstreitverfahrens zu bedienen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Stellungnahme der Bundesregierung wird, glaube ich, daraus deutlich sichtbar, daß — ich sagte es schon — nach Benehmen mit uns der Herr Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein die Bezüge aberkannt und gegen das Urteil erster Instanz, das zugunsten des Betroffenen ergangen ist, Berufung eingelegt hat. Das sind die Rechtsbehelfe, die wir in diesem Verfahren ergreifen können.
Eine zweite Zusatzfrage!
Ist die Bundesregierung 'bei ihrem sehr dankenswerten und von mir gern anerkannten Bemühen um eine Regelung dieses Falles bereit, die schleswig-holsteinische Regierung darauf aufmerksam zu machen, daß neben den Gesichtspunkten, die nach Pressemeldungen bei dem Gerichtsurteil entscheidend gewesen sind, auch berücksichtigt wird, daß Herr Schlegelberger maßgebend mitgewirkt hat bei idem Erlaß des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, durch das Tausende von pflichttreuen Berufsbeamten nicht nur ihr Amt verloren haben, sondern auch noch ihrer Pension ganz oder teilweise beraubt worden sind? Ist sie ferner bereit, zu berücksichtigen, daß Herr Schlegelberger maßgebend mitgewirkt hat an einem sogenannten Gesetz, durch das die Hunderte von Morden im Juli und August 1934 — u. a. an dem Leiter der Katholischen Aktion, Herrn Ministerialdirektor Klausener, der in seinem Dienstzimmer ermordet worden ist, an dem Ehepaar von Schleicher, das in seiner Häuslichkeit ermordet worden ist, an Herrn Dr. Lejeune-Jung, der als Sekretär von Herrn von Papen hingemordet worden ist, der sich allerdings nachher nicht darum gekümmert hat — für Rechtens erklärt worden sind? Ist sie der Auffassung, daß ein Mann dieser Art überhaupt idas Recht hat, vom deutschen Volk ernährt zu werden?
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7619
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese und andere Dinge sind Gegenstand des Verfahrens. Ich sagte bereits, daß wir seinerzeit, ehe der Bescheid des Finanzministers ergangen ist, die Dinge genau durchgesprochen haben. Alle diese Punkte sind Gegenstand des Verfahrens und werden darin erörtert werden. Ich kann Ihre Fragen deswegen durchaus mit Ja beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ich darf also entnehmen, daß die Bundesregierung bereit ist, der schleswig-holsteinischen Regierung nahezulegen, die Prozeßbegründung auch auf diese Punkte zu erstrecken? Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten meine Frage von vorhin etwas ergänzen; ich habe leider einen Satz ausgelassen. Die Morde, von denen ich gesprochen habe, sind ja von anderen Leuten begangen worden. Aber Herr Staatssekretär Schlegelberger hat mitgewirkt an dem Gesetz, durch das diese Morde für Rechtens erklärt worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe diese Frage, glaube ich, schon mit Ja beantwortet.
Es ist schrecklich, daß von solchen Dingen noch geredet werden muß. Aber es muß davon geredet werden.
Ich rufe auf die Frage I1/4 — des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Wie weit sind die Vorarbeiten der Bundesregierung, um festzustellen. ob und in welchem Umfange gesetzliche Vorschriften wie Vorschriften des Besoldungsgesetzes, der Steuergesetzgebung, der Rentengesetzgebung usw., geändert werden müssen, um eine weitere Automatisierung in der Verwaltung und in der Wirtschaft zu ermöglichen?
Dr. Hölzl, Staatssekretär ;im Bundesministerium des Innern: Herr Abgeordneter, mit den Problemen der Automatisierung befassen sich außer meinem Hause besonders auch der Herr Bundesminister der Finanzen, der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Nachdem ich mich mit diesen Stellen ins Benehmen gesetzt habe, beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Gesetzesänderungen der von Ihnen erwähnten Art setzen die Beantwortung der Vorfrage voraus, wie weit eine Automatisierung in Verwaltung und Wirtschaft technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir befinden uns hier bei einer seit einigen Jahren sprunghaften Entwicklung noch in einem Versuchsstadium. Über die rationellen Möglichkeiten der Automation läßt sich Abschließendes, jedenfalls für den öffentlichen Dienst, noch nicht sagen. Dies gilt vor allem für den Einsatz elektronischer datenverarbeitender Anlagen, mit denen die eigentliche Automatisierung beginnt. Es gilt bei vielen
Aufgabenbereichen auch für andere technische Verfahren wie die besser bekannten Lochkartenverfahren.
Die bisherigen Versuche mit der Automatisierung haben bereits gezeigt, daß bestimmte Änderungen der Gesetzgebung notwendig sind, um den technischen Erfordernissen der Apparatur Rechnung zu tragen.
Erstmalig ist die Automatisierung in § 9 a des Einkommensteuergesetzes von 1958 durch das Steueränderungsgesetz vom 18. Juli 1958 berücksichtigt worden. Ich darf hierzu erklärend sagen: Damals wurde die Zahl 562 für die Pauschalbeträge in 564 geändert, weil diese Zahl durch 12 teilbar ist.
Es ist weiter beabsichtigt, dem Bundestag demnächst den Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Steuersäumnisgesetz vorzulegen. In diesem Fall wäre natürlich der Finanzminister zuständig. Dieser Entwurf sieht eine Ermächtigung vor, von den vorgesehenen Zuschlägen für eine gewisse Zeit abweichen zu können, soweit das Gesetz probeweise bei einigen Finanzämtern im Lochkartenverfahren durchgeführt wird.
Soweit die Bezüge von Beamten, Soldaten, Angestellten und Versorgungsempfängern ganz oder teilweise automatisiert gezahlt werden, wie z. B. bei der zentralen Besoldungsstelle in Mehlem und im Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung, zeichnet sich das Bedürfnis ab, durch gewisse Änderungen der Gesetze die technischen Möglichkeiten für die Personalbezüge und die Steuern besser zu nutzen.
Zur Erklärung darf ich sagen, daß die vielen Zahlen in den Steuerstaffeln alle irgendwie eine Abrundung enthalten. Für die Automatisierung sind aber exakte Teilerzahlen nötig. Hier müßte also eine durchgreifende Änderung erfolgen.
Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wird in Zusammenarbeit mit den ausführenden Stellen geprüft, welche Änderungen der Gesetzgebung nötig sein würden, um eine Vollautomatisierung der Rentenversicherung mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsmaschinen zu ermöglichen. Ein größeres Gutachten hierüber soll im Frühjahr 1961 abgeschlossen werden.
Der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat damit begonnen, im Benehmen mit dem Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung im Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft sowie mit der Verwaltung des Bundes, der Länder und der Gemeinden zunächst auf dem Gebiet der Besoldungsautomation etwaige einheitliche Wünsche an den Gesetzgeber zu erarbeiten. Die anschließende Bearbeitung weiterer Verwaltungsgebiete ist vorgesehen.
Zusammenfassend ist zu sagen: Die Bundesregierung ist bereit, bei entsprechendem Fortschritt der laufenden Untersuchungen jeweils an den Gesetzgeber mit Änderungsvorschlägen heranzutreten. Es ist jedoch noch nicht zu übersehen, wie weit sich bestimmte Aufgabengebiete wirtschaftlich rentabel automatisieren lassen.
7620 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Vizepräsident. Dr. Schmid: Ich rufe auf die Frage I1/5 — des Abgeordneten Dürr —:
Ist die Bundesregierung bereit, aus dem zugunsten der Bundesrepublik zu gemeinnützigen Zwecken eingezogenen Vermögen der ehemaligen KPD in höhe von rund 4,5 Mio DM die Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger im Hinblick auf deren Gemeinnützigkeit zu befriedigen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Hölzl vom 5. Dezember 1960 lautet:
Sie haben die Bundesregierung gefragt, ob sie bereit sei, aus dem zugunsten der Bundesrepublik zu gemeinnützigen Zwecken eingezogenen Vermögen der ehem. KPD in Höhe von rd. 4,5 Mio DM die Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger im Hinbike auf deren Gemeinnützigkeit zu befriedigen. Diese Anfrage kann sich nur auf solche Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger beziehen, die auf Grund der Beschäftigung von Arbeitnehmern bei Parteistellen und wirtschaftlichen Einrichtungen der verbotenen KPD entstanden sind.
Die Bundesregierung ist bereit, zu prüfen, ob diese Forderungen aus dem eingezogenen KPD-Vermögen befriedigt werden können, wobei zunächst geklärt werden muß, ob die Sozialversicherungsträger als gemeinnützig im Sinne des Verbotsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 8. 1956 angesehen weiden können. Die Prüfung dieser Frage ist bereits eingeleitet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf, zunächst die Frage III/I — des Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Welche Formulare sind beim zollfreien Austausch der Montangüter innerhalb der Gemeinschaft an den Grenzen noch erforderlich?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Austausch der Montangüter, also Erz, Kohle, Stahl und Schrott, innerhalb der Gemeinschaft ist zollfrei und frei von mengenmäßigen Beschränkungen. Die Grundlage für die Zollfreischreibung ist die von den Mitgliedstaaten vereinbarte Freiverkehrsbescheinigung, die die Ware über ,die Grenze begleitet. Diese Bescheinigung entfällt bei Waren, die auch bei der Einfuhr .aus Nichtmitgliedstaaten zollfrei sind. Für Kohle ist ein vereinfachtes Verfahren mit einem Ursprungszeugnis vorgesehen. Andere Einfuhrabgaben als Zölle werden für Montangüter in der gleichen Weise erhoben wie bei ,der Einfuhr aus Nichtmitgliedstaaten.
Im übrigen sind in der Bundesrepublik für den Austausch der Montangüter die allgemein für den Warenverkehr geltenden Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechts und der Außenhandelsstatistik noch anzuwenden. Aus der Notwendigkeit der Verwendung dieser zusätzlichen Dokumente entsteht in der Tat .ein zusätzlicher Anfall an Papier. Ich will Ihnen nicht aufzählen, welche einzelnen Papiere bei der Einfuhr notwendig sind, um die .außenwirtschaftlichen und außenwirtschaftsstatistischen Bestimmungen zu erfüllen. Bei Massengütern gibt es Vereinfachungen, indem nur eine Urkunde darüber ausgestellt wird.
Seit etwa 1955 bestehen Verhandlungen mit den EWG-Staaten darüber, ob und wie diese mehrfachen Papiere — Zollpapiere, Außenwirtschaftspapiere und Papiere für die Außenhandelsstatistik — vereinfacht und zusammengefaßt werden können. Wegen der großen Unterschiede der nationalen Gesetzgebung sind diese Bemühungen noch nicht sehr weit gediehen.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Hohe Behörde der Regierung eine diesbezügliche Formularsammlung im Gewicht von mehreren Pfund vorgelegt hat, wie die Presse behauptet hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ¡derartige Zusendungen haben bisher weder den Bundesfinanzminister noch den Bundeswirtschaftsminister erreicht.
Sind tatsächlich heute weniger Formulare erforderlich, als es vor der Herstellung des Gemeinsamen Marktes der Fall war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wahrscheinlich nicht, Herr Abgeordneter, weil ja trotz der Zollfreiheit ein Zollbegleitpapier, nämlich der Freistellungsschein, der die Ware begleitet, und in den übrigen Bereichen die Papiere, die die Ware begleiten, unverändert geblieben sind.
Lassen sich die Vereinfachungsmaßnahmen nunmehr beschleunigen, nachdem sie schon seit 1955 im Gange sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind sehr darum bemüht.
Frage II1/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Wird die im Finanzbericht der Bundesregierung 1961, S. 93, angestellte Erwägung, „die Verantwortung zur Aufrechterhaltung der Währungsstabilität und des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts in einem besonderen Gesetz herauszustellen und darin die Grundsätze einer konjunkturgerechten Finanzpolitik rechtlich zu verankern", alsbald zu einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung an den Bundestag fuhren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Zitat, das Sie aus dem Finanzbericht 1961 anführen, findet sich am Ende einer längeren Betrachtung über Möglichkeiten und Grenzen antizyklischer Finanzpolitik. Dieser Absatz beginnt mit der zusammenfassenden Feststellung, daß die haushaltsrechtlichen Möglichkeiten für eine aktive Konjunkturpolitik an sich genügen, wenn auch gewisse Vollmachten in Betracht zu ziehen wären, um unvorhergesehenen Konjunkturschwankungen rechtzeitig begegnen zu können. Dieser Absatz schließt mit dem Hinweis, daß es entscheidend auf die Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge und auf das darauf beruhende verantwortungsbewußte Handeln ankommt.
Das Bundesfinanzministerium kann Ihnen, Herr Abgeordneter, nur dankbar dafür sein, daß Sie diesen Finanzbericht so kritisch gelesen haben. Der Gedanke einer umfassenderen konjunkturpolitischen
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7621
Staatssekretär Dr. Hettlage
Gesetzgebung, die auch die Finanzpolitik zu erfassen hätte, ist nach unserer Meinung zu einer gesetzgeberischen Initiative noch nicht reif; aber wir sind mit Ihnen der Meinung, daß er weiter vertieft und wissenschaftlich wie auch politisch weiter verfolgt werden sollte.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die ausgezeichneten Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — heute zitiert im Bulletin — über Strategie und Taktik in der Wirtschaftspolitik die Grundlage der Überlegungen der Bundesregierung sind und daß Maßnahmen ergriffen werden, um Grundlagen für eine solche Strategie der Volkswirtschaftspolitik zu schaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für unseren Geschäftsbereich, d. h. das Finanzministerium, dürfen Sie davon ausgehen, Herr Abgeordneter.
Frage III/3 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Ist es richtig, daß der Herr Präsident des Bundesrechnungsholes von seiner Aufgabe als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung entbunden weiden sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist ständig darum bemüht, die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu verbessern. Vor einiger Zeit haben wir uns einmal die Frage gestellt, ob die bestehenden Einrichtungen zu diesem Zwecke nicht verbessert und in ihrer Wirksamkeit vertieft werden können. Diese Prüfung, die noch nicht abgeschlossen ist, umfaßt ein ganzes Bündel von Maßnahmen, beispielsweise auch, ob und inwieweit die Initiative aus der Verwaltung selbst durch Verbesserungsvorschläge und ähnliches mehr angeregt werden kann, als es bisher geschehen ist. Wir sind der Meinung, daß die Formen, in denen wir in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Verwaltungsprobleme des modernen Sozial- und Industriestaates lösen, zu einem überwiegenden Teil noch auf Voraussetzungen und Überlegungen beruhen, die die Zeit verändert hat. Wir sind insbesondere der Meinung, daß die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung als sehr viel umfassenderes Problem gesehen werden muß und die gesamte Organisation, den Arbeitsablauf bis zu technischen Fragen mit umfassen soll.
Im Rahmen dieser Überlegungen ist unter anderem auch die Frage aufgeworfen worden, ob sich die ständige Verbindung des Amtes des Beauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung mit dem Amt des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Dauereinrichtung bewährt hat und in Zukunft bewähren würde. Darüber liegt eine Meinungsäußerung der Bundesregierung bisher noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Bedeutet das, daß der Präsident des Rechnungshofes in dieser Aufgabe nun zu tüchtig oder zu wenig tüchtig war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte hier keine Bemerkung über die Tätigkeit des Beauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung machen. Der Beauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung ist an die gesetzlichen Grundlagen und an einen besonderen Kabinettsbeschluß aus dem Jahre 1953 gebunden, der seinen Geschäftsbereich bezeichnet. Ich bin sicher, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes in seiner Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung aus diesen gegebenen Möglichkeiten das Bestmögliche gemacht hat.
Eine Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß z. B. im Bundesinnenministerium ohnehin Überlegungen angestellt werden, wie man die Tätigkeit des Rechnungshofes durch gewisse Änderungen von Gesetzen einengen könne?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das trifft nicht zu.
Halten Sie die verschiedenen diesbezüglichen Pressemitteilungen bzw. Kommentare für völlig frei erfunden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kenne keine diesbezüglichen Pressemitteilungen. Sie müßten gegebenenfalls auf Irrtümern oder auf falschen Informationen beruhen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Ritzel.
Herr Staatssekretär, würde das Bundesfinanzministerium bereit sein, vor der Anordnung endgültiger Maßnahmen auf dem Gebiete dieser Neuorganisation dem Haushaltsausschuß darüber zu berichten, 'der ja wohl am meisten mit dem Bundesbeauftragten bzw. dem Bundesrechnungshof zu arbeiten hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe keine Bedenken, Ihrem Wunsche zu entsprechen.
Ich danke.
Frage III/4 — des Abgeordneten Baier —.
Welche Gründe sind nach Meinung des Bundesfinanzministeriums dafür maßgebend. daß — nach Pressemeldungen — jeder zweite Kraftfahrer beim Überschreiten der Grenze zum „Schmuggler" wird?
7622 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie fragen, ob es richtig sei, ,daß jeder zweite Kraftfahrer beim Überschreiten der Grenze zum „Schmuggler" wird.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß jeder zweite Kraftfahrer beim Grenzüberschreiten ein „Schmuggler" ist. Bei dem überaus starken Kraftfahrzeugverkehr über die Grenze, insbesondere während der Reisezeit, können nur sehr wenige Kraftfahrzeuge einer Zollkontrolle unterzogen werden. Bei den kontrollierten Fahrzeugen werden allerdings verhältnismäßig oft verheimlichte Waren entdeckt. Dies rührt aber daher, daß die Zollbeamten in der Regel ein besonderes Gespür für solche Kraftfahrer haben
und sie entsprechend auswählen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß jeder zweite Kraftfahrer ein „Schmuggler" ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ungeachtet der Feststellung, die ich der Presse entnahm, ob es nun jeder zweite oder jeder weitere Kraftfahrer ist, der beim Überschreiten der Grenze zum „Schmuggler" wird — glauben Sie nicht, daß das Verhalten der Kraftfahrer vielleicht auch auf die bisher sehr strengen Zollvorschriften zurückzuführen ist, weil Verbote eben oftmals einen starken Reiz ausüben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir, d. h. die Mitarbeiter des Bundesfinanzministers, meinen, daß die geltenden Zollvorschriften verhältnismäßig großzügig, jedenfalls nicht eng sind. Es ist jedem Reisenden gestattet, Nahrungs- und Genußmittel zum Reiseverbrauch aus dem Ausland mitzunehmen. Bei der Bemessung des Reisebedarfs wird keineswegs kleinlich verfahren. Auch Reiseandenken und Reisegeschenke können abgabenfrei eingebracht werden, soweit der Zollwert insgesamt 50 DM nicht übersteigt und es sich nicht um Nahrungs- und Genußmittel handelt. Es besteht mitunter der Eindruck, daß trotz dieser nicht kleinlichen Zollvorschriften die Reisenden sich eine Art Sport daraus machen, die aus dem Ausland mitgebrachten Waren möglichst zollfrei einzuführen.
Danke.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß bei der Behandlung dieser Frage festgestellt werden sollte, daß die deutschen Zollbeamten sich durchweg bei der Ausübung ihrer Dienstpflicht besonderer Höflichkeit befleißigen.
Ich rufe auf die Frage III/5 — des Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Trifft es zu, daß in unseren Partnerländern der EWG die Trinkmilch im Einzelhandel keiner Umsatzbesteuerung unterliegt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie fragen nach der umsatzsteuerlichen Belastung des Einzelhandels mit Trinkmilch in anderen Ländern. Die Umsätze von Trinkmilch im Einzelhandel sind umsatzsteuerfrei in Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden sind auch alle Vorumsätze bei Trinkmilch steuerfrei. In Italien unterliegen diese Vorumsätze einer kumulativen Umsatzsteuer von 3 v. H. Auch in Luxemburg wird für die Umsätze von Trinkmilch im Einzelhandel keine Umsatzsteuer erhoben. Dafür ist hier aber den Molkereien eine Pauschalabgabe in Höhe von 1 v. H. auferlegt, durch welche die Umsatzsteuer für alle Umsatzphasen abgegolten wird.
Zum Vergleich darf ich erwähnen, daß bei uns die Milchlieferungen beim Landwirt und im Großhandel von der Umsatzsteuer ganz befreit sind und daß für die Milchlieferungen im Einzelhandel eine Umsatzsteuer von 11/2 % zu entrichten ist.
Herr Staatssekretär, ist das Finanzministerium bereit, zum Zwecke der Angleichung auch in der Bundesrepublik auf die Umsatzbesteuerung für Trinkmilch im Einzelhandel zu verzichten und eine entsprechende Vorlage zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine solche Vorlage ist vom Bundesminister der Finanzen nicht beabsichtigt.
Frage III/6 — des Abgeordneten Rimmelspacher —:
Warm gedenkt das Bundesfinanzministerium den Beschluß der Pensionskasse Deutscher Eisenbahner und Straßenbahner in Köln zu genehmigen, nach dem die Pensionskasse die Kassenleistungen zum 1. Juni 1960 anheben wollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Erhöhung des Bundeszuschusses für die Pensionskasse Deutscher Eisenbahner und Straßenbahner ist gerade in den letzten Tagen mehrfach erörtert worden. Es wird eine interfraktionelle Initiative vorbereitet, durch die im Wege einer Gesetzesänderung eine Anpassung der Altbestandsrenten an die erhöhten Bezüge im öffentlichen Dienst, insbesondere im Vergleich zur Bundesbahn, gesichert werden soll.
Danke schön!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Möller :
Triff+ es zu, daß der RBV Mannheim die Kontingentierung der Braunkohlenbriketts entsprechend den Sommerbezügen plant, und wenn ja, welche Gründe sind dafür maßgebend gewesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf die Anfrage des Herrn Ab. geordneten Müller darf ich folgendermaßen antworten:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7623
Staatssekretär Dr. Westrick
Im Winter 1959/60 waren in der Versorgung mit rheinischen Braunkohlenbriketts Schwierigkeiten aufgetreten, die sich daraus ergaben, daß der Handel im Sommer 1959 keine ausreichende Vorsorge für den erhöhten Bedarf in der winterlichen Hauptverbrauchsperiode getroffen hatte. Die geringe Sommerabnahme hatte bewirkt, daß die Brikettproduktion des rheinischen Reviers vorübergehend sogar eingeschränkt werden mußte. Die hierdurch ausgefallene Menge fehlte aber dann im Winter. Sie konnte auch nicht zusätzlich zu den normalen Brikettiieferungen zur Verfügung gestellt werden, weil bei voller Auslastung der Kapazität eine Ausweitung der Brikettproduktion technisch nicht möglich ist und auch eine Lagerhaltung bei den Werken nur in begrenztem Umfange vorgenommen werden kann.
Um zu erreichen, daß im laufenden Kohlenwirtschaftsjahr die Brikettproduktion möglichst voll und gleichmäßig abgenommen und dadurch eine Einschränkung der Produktion vermieden wird, hat sich die Rheinische Braunkohlenbrikett-Verkauf GmbH als Verkaufsorganisation des rheinischen Braunkohlenbergbaus, die eine Zweigstelle in Mannheim besitzt, bemüht, die Sommerabnahme durch verschiedene Maßnahmen zu steigern, so z. B. durch Händler- und Verbraucherwerbung, durch Gewährung einer Abnahmeprämie, aber eben auch durch die im April 1960 erfolgte Ankündigung, daß die Abnahmen in den Monaten April bis September für die Lieferungen in den Wintermonaten zugrunde gelegt werden. Hierdurch wurde auch erreicht, daß von April bis September 1960 rund 300 000 t gleich 7 % mehr Braunkohlenbriketts als im Vorjahre abgenommen wurden.
Der Rheinische Braunkohlenverkauf hat, seiner Ankündigung entsprechend, den Lieferungen bzw. Bereitstellungen für den Zeitraum Oktober 1960 bis März 1961 die tatsächlichen Braunkohlenbrikett-Abnahmen in den Monaten April bis September 1960 zugrunde gelegt und hiervon den Großhandel erster Hand im gesamten Bundesgebiet unterrichtet. Diese Regelung gilt in Verbindung mit den bestehenden Jahresverträgen zwischen dem Rheinischen Braunkohlenverkauf und dem Großhandel erster Hand. Sie wird in vielen Fällen auch zwischen Großhandel und Einzelhandel angewendet.
Herr Staatssekretär, treffen Ihre Ausführungen auch auf die Ostzonenbriketts zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist zu bejahen.
Danke schön!
Die Frage ist beantwortet.
Der Ankündigung vor Eintritt in die Tagesordnung zufolge rufe ich nunmehr die Frage der Frau Abgeordneten Döhring aus dem Geschäftsbereich
1 des Bundesministers für Familien- und Jugendfra- gen auf Drucksache 2275 auf:
Warum ist die vom Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen erstellte Denkschrift über die wirtschaftliche Situation der Familien in der Bundesrepublik immer noch nicht veroffentlicht worden?
Die Denkschrift über die wirtschaftliche Lage der Familien in der Bundesrepublik ist noch nicht veröffentlicht worden, weil die interministeriellen Beratungen der zuständigen Ressorts noch nicht abgeschlossen sind.
Herr Minister, nachdem Sie schon im Januar hier dem Hause auf meine seinerzeitige Frage erklärten, daß das Bundesministerium mit diesen Beratungen noch befaßt sei, möchte ich mir doch die Frage erlauben, ob es heute nicht vorauszusehen ist, wann die Beratungen innerhalb der Bundesregierung über die Denkschrift abgeschlossen sein werden und welche besonderen Schwierigkeiten einem baldigen Abschluß der Beratungen entgegenstehen.
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen dazu gern einige Erläuterungen. Die Ausarbeitung befaßt sich mit Überlegungen zur Ausdehnung des Kindergeldes auf Zweitkinder, Überlegungen, die sich bekanntlich in den Ressorts inzwischen durchgesetzt haben. Seit einigen Wochen wird ja ein Gesetzentwurf zur Ausdehnung des Kindergeldes auf Zweitkinder ausgearbeitet, für den die Denkschrift als Material diente. Da dieser Entwurf auch eine grundsätzliche Umstellung des Kindergeldsystems bringen muß, erfordert er zur Zeit die ganze Kraft der beteiligten Beamten der zuständigen Ministerien. In der letzten Ressortbesprechung über die Denkschrift am 21. Oktober ist deshalb vereinbart worden, jetzt zunächst einmal den Gesetzentwurf fertigzustellen. Über ihn kann und wird deshalb noch in dieser Woche eine Ministerbesprechung stattfinden.
Es ist mir jetzt wirklich wichtiger, daß unseren Familien so schnell wie irgend möglich Zweitkindergeld gezahlt wird, als daß jetzt Fragen der Formulierung der Denkschrift beraten werden und dadurch die Einbringung ,der gewiß sehr eiligen Gesetzesvorlage verzögert wird. Unsere Familien warten jetzt nicht mehr auf Denkschriften, die ihren Zweck bereits erfüllt haben, sondern auf Kindergeld für die Zweitkinder.
Eine zweite Zusatzfrage bitte. Herr Familienminister, wenn ich Sie eben recht verstanden habe, sollen die bis jetzt in Ihrem Ministerium weiterhin erarbeiteten Unterlagen dem Gesetzentwurf über die Gewährung von Kindergeld ab dem zweiten Kind dienen. Ich hätte gern die Frage beantwortet, ob in der überarbeiteten Fassung dieser Unterlagen, ,die dem neuen Gesetz dienen sollen, noch die in der ersten Denkschrift auf Seite 21 getroffene Feststellung enthalten ist, daß im Jahre 1958 laut Lohnsteuerstatistik
7624 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Frau Döhring
des Bundesministeriums der Finanzen die Ernährer von einem Viertel der Familien mit zwei Kindern weniger als 400 DM brutto im Monat verdient haben und sich daher diese Familien mit den Verdiensten ihrer Ernährer im Bereich der Fürsorgeleistungen befunden haben.
Frau Kollegin, mir ist im Augenblick nicht jeder einzelne Passus der Denkschrift genau im Kopf. Ich kann jetzt hier nur erklären, daß das Kabinett über den Inhalt der Denkschrift noch Beschluß fassen muß.
Die Frage ist beantwortet.
Abschnitt V wird am Freitag aufgerufen.
Frage VI—des Abgeordneten Freiherrr von Müh-
len —:
Hält es die Bundesregierung nicht für gerecht, auch den Kriegsopfern eine ähnliche Steigerung wie die 8%ige der Beamtengehälter zukommen zu lassen?
Herr Kollege, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Frage ist beantwortet.
Frage VII/4 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
Welche Antwort hat die Bundesregierung auf ihre Frage an den belgischen Verbindungsstab erhalten, ob und welche Maßnahmen von belgischer Seite getroffen worden sind, um Unfälle auf dem Schießplatz Bruchhausen in Zukunft zu vermeiden?
Nach Mitteilung des Verbindungsstabes der belgischen Stationierungsstreitkräfte finden Scharfschießen auf dem Schieß- und Übungsgelände bei Bruchhausen nicht mehr statt.
Zusatzfrage?
Herr Minister, ist das eine tatsächliche Feststellung oder ist das eine Aussage darüber, daß auch in Zukunft keine Scharfschießen mehr stattfinden werden?
Die Formulierung der Mitteilung des Verbindungsstabes kann nur so verstanden werden, daß eine Zusage gegeben wird, in diesem Gelind r keine Scharfschießen mehr abzuhalten. Es ist also nicht nur die Darstellung eines faktischen Zustandes, sondern die Festlegung der Praxis in der Zukunft.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7625
Abschnitt VIII wird am Freitag aufgerufen, ebenso Abschnitt IX.
Wir kommen zu Abschnitt X, Geschätfsbereich des Bundesministers für Atomenergie und Wasserwirtschaft. Ich rufe auf die Frage X/1 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
welche Verhandlungen hat die Bundesregierung geführt oder welche Vorbereitungen für Verhandlungen hat sie getroffen, um ein internationales Abkommen über die Beseitigung des Atommülls herbeizuführen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist an den internationalen Bemühungen, die Fragen der Beseitigung des Atommülls zu klären, in dreifacher Weise beteiligt: 1. hei der IAEO in Wien, 2. bei der OEEC und 3. durch den Euratom-Vertrag.
Die IAEO in Wien, die Unterorganisation der Vereinten Nationen, hat sich vor einiger Zeit in einer großen Konferenz in Monako mit diesem Problem befaßt und die Ergebnisse inzwischen veröffentlicht. Für Anfang nächsten Jahres wird diese Organisation eine Gruppe von Rechtsexperten einberufen, die prüfen soll, ob auf diesem Gebiet schon Rechtsnormen ausgearbeitet werden können oder ob zuvor noch wissenschaftliche Untersuchungen notwendig sind. Ein Handbuch über die Beseitigung radioaktiver Abfallstoffe von geringer Aktivität — um solche handelt es sich meistens beim Atommüll — wird vorbereitet.
Die Europäische Kernenergie-Agentur der OEEC wird demnächst eine Studiengruppe zur Untersuchung aller der Fragen einsetzen, die mit der Beseitigung radioaktiver Abfälle in der Nordsee zusammenhängen.
Sowohl die IAEO wie die Europäische Kernenergie-Agentur führen diese Arbeiten im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgaben durch, wonach sie verpflichtet sind, Vorarbeiten für Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz zu leisten.
Bei unserer Zusammenarbeit mit Euratom handelt es sich um eine Auswirkung des Euratom-Vertrages. Nach Art. 37 dieses Vertrages ist eder Mitgliedsstaat verpflichtet, der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben zu übermitteln, auf Grund deren festgestellt werden kann, ob die Durchführung dieses Planes eine radioaktive Verseuchung des Wassers, des Bodens oder des Luftraumes eines anderen Mitgliedsstaates verursachen könnte. Es besteht hierzu eine Kommission von 12 unabhängigen Sachverständigen, die sich innerhalb von sechs Monaten zu einer solchen Meldung äußern. Die Bundesregierung hat der Kommission in Vollzug des Vertrages auch die Pläne zur Ableitung radioaktiver Stoffe von deutschen Atomanlagen mitgeteilt. Diese Meldung wird zur Zeit von der Sachverständigengruppe im Benehmen mit der Bundesregierung bearbeitet.
Zusatzfrage?
Herr Minister, was ist vorbereitet und veranlaßt, um Atommüll in der Bundesrepublik möglichst gefahrlos zu lagern? Ich möchte dabei darauf hinweisen, daß mir natürlich die Bestimmungen der Ersten Strahlenschutzverordnung bekannt sind.
Es ist richtig, daß die Erste Strahlenschutzverordnung dieses Arbeitsgebiet nicht berührt. Wir bereiten deshalb eine besondere Verordnung über die Beseitigung des radioaktiven Abfalls vor. Es handelt sich hier bekanntlich um verhältnismäßig geringe Aktivitäten und bei uns in der Bundesrepublik zur Zeit um noch ganz geringe Mengen. Aber nach der Ersten Strahlenschutzverordnung ist schon das Abführen solcher Stoffe als gasförmige und flüssige radioaktive Abfälle in die Atmosphäre bzw. in das Abwasser nur gestattet, wenn die nach strengsten biologischen Maßstäben festgesetzten maximal zulässigen Konzentrationen an radioaktiven Stoffen nicht überschritten werden. Alle anderen radioaktiven Abfälle, die dieser Bestimmung nicht entsprechen, sind zu sammeln und an eine von der zuständigen Landesbehörde bestimmte Sammelstelle abzuliefern. Wir haben eine solche Sammelstelle z. B. in Karlsruhe eingerichtet.
Zusatzfrage!
Herr Minister, Ihre Antwort veranlaßt mich zu einer weiteren Frage. Sie sprachen eben davon, daß, wenn die Aktivität des Atommülls gewisse Grenzen überschreite, dies und dies zu tun sein werde. Ich frage: Welche Kontrollmaßnahmen sind wirklich in der näheren und weiteren Umgebung von Lagerplätzen von Atommüll vorgesehen, um sicherzustellen, daß das Wasser, die Lebensmittel und die Umwelt nicht unzulässig radioaktiv kontaminiert werden? Ich darf dabei noch auf folgendes hinweisen: in der kleinen Broschüre über den Umgang mit radioaktiven Isotopen, die wir vor wenigen Tagen als ein Heft der Schriftenreihe des Atomministeriums in die Fächer gelegt bekamen, wird das Vergraben von Atomabfällen in einer Tiefe von einem Meter als eine unter Umständen ganz unbedenkliche Maßnahme hingestellt. Ich halte das für eine nicht zulässige Verharmlosung.
Herr Kollege Bechert, es ist uns allen bekannt, daß die wissenschaftlichen Grundlagen für eine wirklich gefahrlose Beseitigung des Atommülls, sofern er Aktivitäten enthält, die bedenklich sind, noch nicht völlig geklärt sind. Das hat auch die Konferenz der Vereinten Nationen in Monako ergeben. Die Darstellung in der Broschüre beruht auf dem derzeitigen Stand der Kenntnisse und der heutigen Handhabung. Wir überlegen uns natürlich sehr, ob wir das für die deutschen Verhältnisse akzeptieren können. Die Kontrollmaßnahmen sind aber schon mit dem System der Überwachung möglich, das wir aus anderen Gründen — Überwachung der Atmosphäre, des Bodens und des Wassers — schon heute betreiben. Ich glaube zu-
7626 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Bundesminister Dr.-Ing. Balke
versichtlich, daß mit diesen Meßmethoden auch jede zusätzliche Radioaktivität, die aus Atommüll auftreten sollte, sofort erfaßt werden kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Bundesminister — damit kein falscher Eindruck im Volk entsteht —, ist es Ihnen möglich, zu sagen, in welchen Größenverhältnissen sich der deutsche Atommüll bewegt, also ob das Güterzüge voll sind oder mehrere Tonnen?
Herr Kollege Memmel, man mißt im allgemeinen die Menge dieses Abfalls nicht nach Gewicht, sondern nach Radioaktivität, also nach Curie. Denn hier geht es um die Stärke der Radioaktivität. Bei den derzeitigen Verhältnissen in der Bundesrepublik haben wir jeweils nur einige Millicurie zu erwarten. Die Schwierigkeiten, die der Herr Kollege Bechert in seiner Frage angedeutet hat, liegen vor allem im medizinischen Bereich, d. h. in der Benutzung von radioaktiven Präparaten zu ,diagnostischen und therapeutischen Zwecken.
Danke.
Frage X/2 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
Ist die Bundesregierung bereits in internationale Verhandlungen und in Verhandlungen mit den Bundesländern eingetreten, um die Rechtsfragen zu klären, die mit der Erzeugung künstlichen Regens zusammenhängen?
Herr Kollege Bechert, ich darf vorweg bemerken, ,daß uns in diesem Jahr die Natur ,der Notwendigkeit, künstlichen Regen zu erzeugen, einigermaßen enthoben hat. Das bedeutet nicht, daß die Frage nicht nach wie vor wichtig ist.
Die Antwort auf die Anfrage lautet kurz: Nein. Voraussetzung für solche Verhandlungen ist die Klarstellung, ob und inwieweit Versuche zur künstlichen Beeinflussung von Niederschlägen für das Gebiet der Bundesrepublik nützlich und technischdurchführbar sind. Mit diesen Überlegungen sind wir noch beschäftigt.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, Sie erwähnten eben nur die Verhältnisse in der Bundesrepublik und nicht auch die internationalen Rechtsfragen, die da entstehen können. Ich darf doch annehmen, daß Ihnen bekannt ist, daß im trockenen Sommer 1959 in verschiedenen Bundesländern solche Versuche gemacht worden sind. Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß eine rechtliche Regelung nicht nötig sei, daß vielmehr auf diesem Gebiet der Grundsatz zu gelten habe: Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst, d. h. wer zuerst die Wolken anzapft, der bekommt den Regen?
Herr Kollege Bechert, als Nichtjurist kann ich die Frage nicht erschöpfend beantworten. Zur Zeit scheint mir der Rechtszustand tatsächlich dadurch charakterisiert zu sein, daß, wer die Wolken anzapft, den Regen bekommt, — wenn er es kann. Wir sind zur Zeit damit beschäftigt, zunächst die technischen Voraussetzungen zu prüfen. Ich bin überzeugt, daß die Völkerrechtssachverständigen hinterher auch die entsprechende rechtliche Regelung finden werden. Ich glaube aber, im Notfall wird es darauf ankommen, den Regen herunterzuholen und die Paragraphen etwas später zu fabrizieren.
Herr Minister, es ist — ich hoffe, daß es nicht zu komisch gefunden wird — allen Ernstes diskutiert worden, das Anzapfen von Wolken auch zur Kriegführung zu verwenden. Das geht natürlich nur in solchen Gegenden, in denen die Windströmungen überwiegend aus einer Richtung kommen, so daß man damit rechnen kann — wenn man den Regen zur Erde herabzwingt —, daß man das, was dahinter liegt, trockenlegen kann. Ich möchte nur, wenn auch das Kriegerische nicht ernstgenommen wird, darauf aufmerksam machen,
daß man doch tatsächlich — in den Vereinigten Staaten ist das ja ausprobiert worden — andere Gebiete damit der Feuchtigkeit berauben kann, auf die sie angewiesen sind. Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sie bereit ist, auch internationale Verhandlungen dieser Art anzustreben.
Herr Kollege Bechert, ich fürchte, mit der Beantwortung dieser Frage würde ich den Zuständigkeitsbereich meines Ministeriums endgültig und irreparabel überschreiten.
Wir können die Frage weiterhin über uns hängen lassen wie eine Regenwolke.
Was die weitere Geschäftsbehandlung betrifft, so haben ,die Herren Fraktionsgeschäftsführer folgende Vereinbarung getroffen, der wir uns wohl zu unterwerfen haben werden. Zunächst sollen Punkt 2, die Petitionen, und Punkt 4, die zweite Besoldungserhöhung, behandelt werden, dann in der Zeit bis 11 Uhr die weniger umstrittenen Punkte 6 bis 8. Um 11 Uhr soll auf jeden Fall Punkt 13, Aktienrecht, aufgerufen werden. Besteht Einverständnis? — Ich stelle das fest.
Ich rufe Punkt 2 auf:
Beratung der Sammelübersicht 27 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 2239).
Frau Wessel ,als Vorsitzende hat auch die Berichterstattung. Wird ,auf Berichterstattung verzichtet? — Ist ,das Haus mit den Empfehlungen einverstanden?
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7627
Vizepräsident Dr. Schmid
— Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus stimmt den Empfehlungen des Petitionsausschusses zu.
Punkt 4:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen (Drucksache 2218) ;
Schriftlicher Bericht ides Ausschusses für Inneres (Drucksache 2262) (Erste Beratung 133. Sitzung).
Ich rufe in zweiter Beratung den Gesetzentwurf Drucksache 2218 auf.
Zunächst hat der Herr Berichterstatter das Wort.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um ein klein wenig Ruhe. Es ist kaum ein Wort zu verstehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf Drucksache 2218 wurde dem Innenausschuß am 17. November zur Federführung und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen. Da die Angelegenheit eilbedürftig war und ,die Regierung die Absicht hat, die erhöhten Januargehälter bereits am 20. Dezember 1960 auszuzahlen, trat der Innenausschuß einen Tag später zur Beratung zusammen.
§ 1 Abs. 1 sieht eine 8%ige Erhöhung der Beamtengehälter vor. Diese Vorschrift wunde einstimmig angenommen.
§ 1 Abs. 2 regelt die Ortszuschläge. Hierzu lagen zwei Anträge — ein Antrag der SPD-Fraktion und ein Antrag der FDP-Fraktion — vor. Der Antrag der SPD-Fraktion verlangte, eine Erhöhung der Ortszuschläge um durchschnittlich 11 DM bei der Tarifklasse IV und geringere Erhöhungen bei den andederen Tarifklassen vorzunehmen. Seitens der Bundesregierung wurde gegen ,diesen Antrag eingewandt, damit werde praktisch der Wegfall der Tarifklasse IV erreicht, und darüber hinaus würden für den Bund Mehrkosten im Betrag von 164 Millionen DM entstehen.
Im Laufe der Beratungen wurden Bedenken geäußert, ob die in der Regierungsvorlage vorgesehene Erhöhung im Hinblick auf die bereits durchgeführten und noch zu erwartenden Mietpreiserhöhungen ,ausreiche. Die Regierung war der Meinung, daß sich Mietpreiserhöhungen ja nur auf Altbauwohnungen bezögen und daß darüber hinaus die Mietpreiserhöhungen von durchschnittlich 10% durch die allgemeine Senkung der Ernährungskosten ausgeglichen seien. Ähnliche Argumente wurden seitens ,der Regierung zu dem Antrag der FDP vorgebracht.
Der Antrag der I- DP erstrebt, daß die Tarifklasse I a bestehenbleibt, aber alle anderen Gruppen in die Tarifklassen I b bis III aufgegliedert werden, so daß die Tarifklasse IV in Wegfall kommt.
Beide Anträge, der Antrag der SPD-Fraktion und der Antrag der FDP-Fraktion, wurden abgelehnt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— Das müssen Sie mir beweisen.
— Bitte, Herr Kollege!
Darf ich, Herr Präsident, eine Frage an den Kollegen Kühlthau richten? — Herr Kollege Kühlthau, erinnern Sie sich, daß wir vor der Beschlußfassung über die Vorlage, nachdem sie aus dem Haushaltsausschuß zurückgekommen war, ausdrücklich erklärt haben, daß wir darauf verzichten, die in der ersten Lesung im Innenausschuß gestellten Anträge zu wiederholen, da ohnehin in der zweiten Lesung hier die Möglichkeit bestehe, über die Probleme zu sprechen, und die Sachanträge in der ersten Lesung von Ihnen beschieden worden waren? Ihre Überraschung ist mir daher unverständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bestreite nicht, Herr Kollege Schmitt, daß Sie das gesagt haben. Aber konsequenterweise hätten Sie nach meinem Dafürhalten der Vorlage bei der endgültigen Abstimmung nicht zustimmen dürfen. So wäre ich verfahren.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen?
Bitte.
Herr Kollege Kühlthau, wissen Sie nicht, daß wir in all den Fällen, in denen an sich eine Regelung vorliegt, die wir begrüßen, auch wenn nicht alle unsere Wünsche erfüllt wurden — wie beim Versorgungsgesetz und anderen Gesetzen —, immer zustimmen und daß wir das auch bei der letzten Besoldungserhöhung zum Ausdruck gebracht haben?
Sicher, Herr Kollege Schmitt, das haben Sie vor der Schlußabstimmung getan. Hier dreht es sich um ,die Schlußabstimmung im Innenausschuß. Vielleicht bin ich an die parlamentarischen Gepflogenheiten noch nicht so gewöhnt, aber ich muß sagen, daß ich nach einer solchen Einwendung in der Schlußabstimmung des Innenausschusses nicht zugestimmt hätte, um mir damit die Hand freizuhalten, das Problem bei der letzten Abstimmung im Plenum noch einmal aufzugreifen.
Wenden wir uns nun dem sachlichen Inhalt zu. Der Antrag der SPD, die Anlage mit der Ortszuschlagtabelle neuzufassen, hat bereits dem Innenausschuß vorgelegen. Das geht aus dem Schriftlichen Bericht hervor, in dem ,die vorgelegte Tabelle abgedruckt ist. Es lag noch ein weitergehender Antrag vor, die Tarifklasse IV überhaupt zu streichen, ein Antrag, der ebenfalls abgelehnt und heute nicht von den damaligen Antragstellern erneuert worden ist.
Herr Kollege Wilhelm hat den Ortszuschlag als einen sozialen Bestandteil des Gehalts bezeichnet. Hier muß doch einmal klargestellt werden, was der Ortszuschlag eigentlich ist. Bis 1957 trug er die Bezeichnung „Wohnungsgeldzuschuß" und verleitete immer wieder in der Öffentlichkeit dazu, Beziehungen zwischen diesem Zuschlag und der Miete des Beamten herzustellen. Damals ist aus wohlerwogenen Gründen die Bezeichnung einmütig in „Ortszuschlag" geändert worden. Dieser Ortszuschlag hat heute den Sinn, sowohl die sich aus dem Familienstand ergebenden Unterschiede als auch die Unterschiede auszugleichen, die in der Höhe der Lebenshaltung in den einzelnen Orten nun einmal einfach vorhanden sind. Das ist der Sinn des Ortszuschlags.
Zu dem Antrag, die Ortszuschlagtabelle in der vorliegenden Form in das Gesetz aufzunehmen, darf ich zunächst darauf hinweisen, daß es sich wenn Sie dem Antrag zustimmen, um eine Haushaltsvorlage handelt, die nach § 96 der Geschäftsordnung zunächst einmal P den Haushaltsausschuß zurückzuüberweisen wäre, und damit würden wir die rechtzeitige Inkraftsetzung des Besoldungsänderungsgesetzes zum 1. .Januar 1961 überhaupt gefährden. Das muß zunächst festgestellt werden.
Ein Wort zum Antrag selbst. Er ist damit begründet worden, daß im einfachen und mittleren Dienst eine zusätzliche Aufbesserung der Gehälter notwendig sei, und dafür biete sich der Ortszuschlag in besonderem Maße an. Ich habe dafür Verständnis, aber dazu ist zunächst zu sagen, daß die Verbesserungen, die für den einfachen und mittleren Dienst vorgeschlagen werden, bis zur Besoldungsgruppe A 6, d. h. bis zum Verwaltungssekretär, 12 DM pro Monat betragen sollen, daß aber auch die anschließenden Zuschläge bis zum Oberinspektor um 9 DM aufgebessert werden sollen und daß sogar in den Besoldungsgruppen bis zum Oberregierungsrat von A 11 bis A 14 noch ein Zuschlag von 4 DM vorgenommen werden soll. Die haushaltsmäßigen Auswirkungen würden uns also zu-
7630 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Kühlthau
nächst zwingen, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zurückzugeben.
Meine Damen und Herren! Wenn auf die Besoldungsverhältnisse im einfachen Dienst in besonderem Maße hingewiesen wird, so darf ich sagen, daß sich auch unsere Fraktion der Bedeutung des einfachen und des mittleren Dienstes voll bewußt ist und daß wir wissen, daß das Funktionieren des Staatsapparates auch davon abhängig ist, daß genügend Bedienstete des einfachen und des mittleren Dienstes zur Verfügung stehen. Wir wissen zum anderen auch, daß besonders die Bezüge im einfachen Dienst, d. h. vor allem beim Schaffnerpersonal von Bundesbahn und Bundespost, zumal wenn wir sie mit den Verdienstmöglichkeiten in der gewerblichen Wirtschaft vergleichen, relativ unbefriedigend erscheinen. Aber es wird eine Frage einer grundlegenden Überprüfung des Besoldungssystems sein, ob und wie man grundlegende Verbesserungen im einfachen Dienst und entsprechende Verbesserungen im mittleren Dienst für notwendig und möglich hält.
Ich möchte aber, meine Damen und Herren, doch einmal auf etwas anderes hinweisen Ich habe die Besorgnis, daß das, was im Laufe der letzten drei Jahre hier im Hause dankenswerterweise für die Angehörigen des einfachen und des mittleren Dienstes getan worden ist, längst in Vergessenheit geraten ist. Wir haben im Jahre 1957 zunächst die Tarifklasse V beim Ortszuschlag abgebaut und haben andere Verbesserungen beim Ortszuschlag vorgenommen. Sie wissen, daß wir im Frühjahr dieses Jahres den Unterschied zwischen der Tarifklasse IV und der Tarifklasse III halbiert haben. Das macht in Geld ausgedrückt pro Monat 45 DM aus. Das muß hier einmal festgestellt werden. Und ich darf die Kollegen aus dem früheren Beamtenrechtsausschuß daran erinnern, daß wir seinerzeit gewissermaßen hinten herum — der Nichtfachmann konnte es gar nicht erkennen — eine Reihe von zusätzlichen Verbesserungen getroffen haben. Der Herr Bundesfinanzminister hat sie hier wiederholt als „Rankenwerk" zum Besoldungsrecht bezeichnet. Damals, im Jahre 1957, wurden die Beamtengehälter allgemein auf 165 % der Gehälter von 1927 angehoben. Die zusätzlichen Verbesserungen, die ich andeutete, haben dazu geführt, daß die Gehälter im einfachen Dienst bis zu 224 % oer Gehälter von 1927 angehoben wurden, gegenüber der allgemeinen Anhebung von nur 165 %. Die Bezüge dazwischen staffeln sich selbstverständlich Das muß hier doch einmal hervorgehoben werden.
Nachdem vorhin von Herrn Kollegen Wilhelm gesagt worden ist, daß man darauf verzichte, Änderungsanträge zu der allgemeinen Anhebung um 8 % zu stellen, obgleich man weiter gehende Vorstellungen gehabt habe, möchte ich auch dazu noch ein Wort sagen. Meine Damen und Herren, wir haben mit Wirkung vom 1. Juni, bei den Landes-beamten im wesentlichen mit Wirkung vom 1. April, eine Anhebung der Beamtengehälter um 7% zu verzeichnen gehabt. Ich habe mehrfach hier zum Ausdruck gebracht, daß ich Verständnis dafür habe, daß die Beamten damals über diesen Beschluß etwas enttäuscht waren, wobei ich allerdings der Meinung bin, daß sich die Enttäuschung sogar mehr auf die Art der Behandlung des Besoldungsproblems als auf die Höhe der Zulage bezog.
Wir haben diese 7 % mit Wirkung vom 1. Juni für die Bundesbediensteten zugeschlagen, und auf die sich danach ergebenden Bezüge von 107%, gemessen an dem Stande vor dem 1. Juni, sind die 8 % aufgeschlagen worden, so daß heute, bezogen auf den 31. Mai, die Beamtengehälter auf 115,56 % gebracht werden. Die durchschnittliche Anhebung —das alles ist ja im Frühjahr diskutiert worden — betrug 8,8 %. Wenn Sie darauf, auf diese Bruttobezüge, jetzt die 8% beziehen, dann kommen Sie zu einem Vom-Hundert-Satz von 117,5%o der Bezüge vor dem 1. Juni. Damals ist ferner dargelegt worden, daß die Verbesserungen im einfachen Dienst bis zu 11 % betrügen. Wenn Sie auf die 11% die neue Verbesserung beziehen, dann kommen Sie für diese Besoldungsgruppen sogar auf einen Satz von 119,8 % gegenüber dem Stande vom 31. Mai.
Meine Damen und Herren! Die Beamtengewerkschaften haben im Frühjahr übereinstimmend eine Anhebung von 12% gefordert. Wir haben mit Einschluß dieser Anhebung ab 1. Januar nunmehr bei der allgemeinen Anhebung einen Vom-Hundert-Satz von 115,56 % erreicht, bei allen Gruppen eine durchschnittliche Anhebung auf 117,5 % und bei den Spitzenanhebungen im einfachen Dienst auf 119,8%
gegenüber 12%, die im Frühjahr gewünscht wurden. Wäre — und das ist eine Frage, die ich allen Gewerkschaftsvertretern vorgelegt habe —, wenn man die 12 % im Frühjahr zugelegt hätte, heute überhaupt noch Raum dafür, über eine weitere Anhebung der Beamtengehälter zu sprechen?
Herr Kollege Hansing, ich selber habe in den letzten Tagen in einer Beamtenzeitschrift geschrieben, das sei nach meinem Dafürhalten wieder einmal der Beweis dafür, daß alles das, was man bei der Besoldung zu spät tue. doppelt teuer sei; und eine Beamtenkorrespondenz hier aus der Gegend schrieb in den letzten Tagen über diesen Beitrag von mir, wenn man es einmal so rückschauend betrachte, könne man eigentlich vom Beamtenstandpunkt aus nur begrüßen, daß es im Frühjahr danebengegangen sei, denn die Beamten ständen sich nunmehr besser, als es im anderen Falle gewesen wäre. — Das wollte ich im Hinblick auf die Ausführungen, die Herr Kollege Wilhelm gemacht hat, hier einschalten.
Ich darf Sie im Namen unserer Fraktion bitten, den Antrag der SPD-Fraktion, die Ortszuschlagtabelle neu zu fassen, abzulehnen.
Wir stehen zu einer Diskussion des Problems, ob man überhaupt noch vier Tarifklassen, ob man noch drei Ortsklassen im Ortsklassensystem benötigt, in der Zukunft durchaus freimütig zur Verfügung. Heute dreht es sich darum, daß das Besoldungsgesetz so rechtzeitig verabschiedet werden kann, daß es am 1. Januar in Kraft tritt. Ich glaube auch, daß wir uns bei dem Ausmaß der allgemeinen Anhebung der Bezüge mit voller Berechtigung auf das
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7631
Kühlthau
beschränken können, was hier von seiten der Bundesregierung vorgeschlagen und im Bundestagsausschuß für Inneres einstimmig angenommen worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich zu der formellen Seite Ihnen, Herr Kühlthau, sagen, daß es wohl nicht richtig ist, wie Sie hier verfahren zu können glauben.
Herr Kühlthau, Sie haben idas auch anläßlich der Verabschiedung der Besoldungserhöhung zum 1. Juni dieses Jahres in ähnlicher Weise getan. Sie haben die These aufgestellt: Wenn eine Fraktion oder wenn ein Abgeordneter im Ausschuß oder im Plenum dem Gesetz in der Ganzheit zustimmt, dann kann die Fraktion oder der Abgeordnete sich nachher nicht mehr darauf berufen, daß er in irgendwelchen Einzelpunkten anderer Meinung war.
— Herr Kühlthau, Sie haben das in ähnlicher Weise auch damals verbreitet.
— Sie haben damals gesagt, nachdem die SPD und FDP in der Schlußabstimmung dem Gesetz zugestimmt hätten, seien damit sozusagen alle früheren Anträge dieser Parteien von ihnen selbst zurückgezogen. So etwa haben Sie dem Sinne nach sich in der Öffentlichkeit erklärt.
Jetzt verfahren Sie hier in ähnlicher Weise. Das ist doch nicht zumutbar für uns, die wir etwas länger als Sie in diesem Bundestag sind.
— Meine Kollegen, wenn 'das bei Herrn Kühlthau früher im Landtag von Nordrhein-Westfalen anders war, dann vermag ich dazu nichts zu sagen. —
Wenn eine Fraktion im Ausschuß irgendeinen Antrag gestellt hat und damit als Opposition nicht durchkommt — es ist ja nicht so verwunderlich, daß man im Ausschuß gegen die Mehrheit nicht durchkommt —, dann aber im Ausschuß der Gesamtvorlage zustimmt, weil man idas Gesetz im Grundsatz für eine Verbesserung hält, dann kann man doch jetzt nicht hier im Plenum sagen: „Ich bin verwundert, ,daß ihr einen Antrag, den ihr im Ausschuß gestellt habt und der dort abgelehnt worden ist, jetzt wiederholt". Herr Kühlthau, das ist eine völlig unmögliche Deduktion.
— Sie können ja bei Ihrer Meinung 'bleiben. Ich werde Ihnen jedenfalls immer wieder 'entgegentreten, sowohl hier wie in ,der Öffentlichkeit.
— So etwas hat es ja überhaupt noch nicht gegeben, meine verehrten Kollegen. Das würde nämlich bedeuten, daß Sie der Opposition, wenn sie im vorbereitenden Ausschuß dem Gesetz in der Gesamtheit zustimmt, das Recht abschneiden, Einzelanträge im Plenum zu wiederholen! Selbst wenn die Oppositionsparteien in der zweiten Lesung im Plenum mit einem Antrag nicht durchgekommen sind, können sie sehr wohl aus ,allgemeinen Gründen dem Gesetz in der Schlußabstimmung zustimmen, ohne daß sie damit im einzelnen ihre Auffassung aufgegeben haben. Herr Kühlthau, das wollte und mußte ich Ihnen, glaube ich, einmal sehr ,deutlich sagen.
Eine Zwischenfrage!
Herr Miessner, darf ich einmal fragen, wo Ihre und der SPD Anträge im Haushaltsausschuß geblieben sind? Dort wären sie wegen der finanziellen Voraussetzungen doch sicher am richtigsten gewesen.
Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe nur die Beratungen im Innenausschuß mitgemacht, und im Innenausschuß sind die Anträge gestellt und von beiden Fraktionen ausführlich begründet worden. Daher kann man nicht davon überrascht sein, daß diese Anträge noch einmal gestellt werden. Sie können sich nachher, wenn mein Kollege Kühn den anderen Antrag hinsichtlich des Termins des Inkrafttretens begründet, von ihm übrigens noch einmal dasselbe sagen lassen, was ich Ihnen soeben gesagt habe.
Nun haben Sie, Herr Kühltau, es für richtig befunden, noch einmal mit einem Schlenker auf die allgemeine Besoldungssituation hinzuweisen. Das hatten wir an sich nicht vor. Darüber muß nunmehr ich meine Verwunderung äußern. Da Sie es aber getan und die Situation so dargestellt haben, als bekämen die Beamten heute mehr, als ihnen überhaupt zusteht,
muß ich Ihnen jetzt folgendes sagen. Die Beamtenbesoldung hat sich nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958 nach der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse zu richten. Die letzte Änderung der Beamtenbesoldung erfolgte im Frühjahr 1957. Das ist der klare Ausgangspunkt. Seit dem Jahre 1957 hat sich das durchschnittliche Volkseinkommen — Herr Kühlthau, hören Sie mir bitte zu! — um genau 18,7 % erhöht. Nachdem die Beamten im Juni dieses Jahres 7 % — bzw. im einfachen und im mittleren Dienst im Durchschnitt 9 % — Erhöhung bekommen hatten, standen noch etwa 10% offen. Das ist die Situation heute. Diese 10% sind die Forderung des Deutschen Beamtenbundes, und diese Forderung wird durch die jetzige allgemeine Anhebung um 8% in etwa auch erfüllt, da diese Erhöhung per Saldo — ich glaube, da sind wir mit Ihnen einig — durch ge-
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Dr. Miessner
wisse Zurechnungen etwas mehr als 8% ausmacht. Damit haben also — damit, Herr Kühlthau, darf ich nun auch meinerseits dieses Thema abschließen — die Beamten tatsächlich das bekommen, was der durchschnittlichen Einkommensverbesserung in unserem Volke seit 1957 entspricht. Wir hatten an sich nicht die Absicht, die Dinge noch einmal zu behandeln. Ich habe es in dieser kurzen Form auch nur getan, weil auch Sie mit ein paar Sätzen darauf zu sprechen gekommen sind.
Jetzt geht es hier aber um den Antrag der SPD-Fraktion, der darauf hinausläuft, im einfachen und im mittleren Dienst, nämlich bis zum Sekretär —d. h. bei 80 % der Beamtenschaft —, den Ortszuschlag, also das, was man früher als Wohnungsgeld bezeichnete, etwas mehr anzuheben. Die FDP-Fraktion hat im Innenausschuß einen im Ergebnis ähnlichen Antrag gestellt. Dies geht auch aus dem Schriftlichen Bericht des Berichterstatters hervor.
Im Ausschuß wurde von dem Vertreter der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Anders, gesagt, daß man gegen die Verbesserung des Ortszuschlages, insbesondere in den Tarifklassen III und IV, Bedenken habe, weil sie in etwa einer Nivellierung gleichkäme. Wir haben uns mit dieser Frage sehr ausführlich und sachlich auseinandergesetzt. Ich glaube, es ist notwendig, daß ich hier den Gedankengang wiederhole, den ich dort zum Ausdruck gebracht habe.
Auch wir sind der Meinung, daß man bei allgemeinen Besoldungsaktionen grundsätzlich nicht einer Nivellierung das Wort reden soll. Aber wir meinen, daß der Ortszuschlag ebenso wie das Kindergeld gewissermaßen der „Sozialteil" des Gehalts ist. Wenn man hierbei anders verfährt als bei dem Grundgehalt, so glauben wir nicht, daß man dann schon sorgenvoll auf eine gefährliche Nivellierung hinweisen muß. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 11. Juni 1958 festgelegt, daß den Beamten entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards ein angemessener Lebensunterhalt zu gewähren ist.
Nunmehr erhebt sich die Frage: Wie sieht ein Vergleich der Beamten von den unteren Dienstgraden an bis zum Sekretär einschließlich mit den entsprechenden wirtschaftlich schwächeren Teilen der übrigen Bevölkerung aus? Besoldungsmäßig spricht man hier von dem sogenannten „Spannungsverhältnis" zwischen dem einfachen und dem höheren Dienst. Meine Damen und Herren, wir müssen uns bei ,der Behandlung dieses Problems fragen, wie dieses „Spannungsverhältnis" in der privaten Wirtschaft aussieht. Da glaube ich aus der Beobachtung des Lebens feststellen zu dürfen, daß sich auch in der freien Wirtschaft als eine normale Folge des höheren Lebensstandards eines Volkes die wirtschaftlich schwächeren Teile stärker verbessern als die oberen Schichten eines Volkes. Das ist doch ,das ganze Problem. Daß ,das so ist, ist eben, ich möchte sagen, eine erfreuliche Folge eines allgemein gehobenen Lebensstandards. Das heißt
— ich glaube das ganz objektiv feststellen zu dürfen —, daß infolge eines allgemein gehobenen Lebensstandards in den letzten zehn Jahren der wirtschaftliche Unterschied zwischen den Schichten mit unterem Einkommen und denjenigen mit höherem Einkommen kleiner geworden ist, ,daß sich also diese Differenz in der breiten Masse unseres Volkes zusammengeschoben hat. Man muß diese Feinheiten der wirtschaftlichen Entwicklung einmal erkennen und aussprechen.
Wenn man nun mit einer allgemeinen prozentualen Anhebung arbeitet, dann ist damit in diesem „Spannungsverhältnis" nichts verändert. Wir sind aber der Meinung, daß man bei der Festsetzung des sogenannten Sozialteils ides Gehalts, wie es der Ortszuschlag ist, der auch sonst eingetretenen Entwicklung, die ich eben schilderte, Rechnung tragen sollte. Dann muß man eben für die sozial schwächsten Teile der Beamtenschaft, also für den ,einfachen und mittleren Dienst, etwas mehr tun als für die darüberstehenden Beamten. Dann erreicht man dasselbe Ergebnis wie in der freien Wirtschaft, daß nämlich — besoldungsrechtlich ausgedrückt — ,das Spannungsverhältnis etwas zusammenschrumpft. Das ist nicht eine verwerfliche Nivellierung, sondern eine Angleichung an die Verhältnisse der Einkommensentwicklung in den übrigen Teilen unseres Volkes und entspricht damit den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts.
Nachdem diese Grundsätze seit dem 11. Juni 1958 so deutlich vor uns stehen und diese Gedanken des Bundesverfassungsgerichtes auch von der Bundesregierung in ihrer schriftlichen Begründung ausdrücklich anerkannt worden sind, vermögen wir nicht einzusehen, welche sachlichen Gründe einer stärkeren Anhebung im Sozialteil des Gehalts bei den Tarifklassen III und IV des Ortszuschlages ernsthaft entgegenstehen sollten. Wir haben unseren im Ausschuß gestellten Antrag auf volle Beseitigung der Tarifklasse IV hier nicht wiederholt. Wir stimmen aber dem Antrag der SPD zu, weil er im Ergebnis auf dasselbe herauskommt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Miessner hat den Herrn Kollegen Kühlthau schon über die Sach- und Rechtslage der Arbeit hier im Hause unterrichtet; ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Ich glaube, daß niemand zu solchen Schlußfolgerungen kommen kann, wie sie der Kollege Kühlthau gezogen hat.
Es war ein weiter Weg von dem Tage, an dein Herr Kollege Kühlthau hier mit erhobener Stimme gesagt hat, er werde überall den Beschluß über die 7 % in jeder Weise vertreten, bis zu seiner heutigen Erklärung, in der er verschämt davon abgerückt ist und sogar mit einem Hinweis auf eine Art Balkanmethoden die verschiedenen Beschlüsse der Regierung und seiner Fraktion zu rechtfertigen ver-
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Schmitt-Vockenhausen
sucht hat. Meine Damen und Herren, hier helfen auch keine geschichtlichen Überblicke über die Entwicklung der Beamtenbesoldung. Hier geht es um ganz konkrete Tatsachen; das hat der Herr Kollege Miessner mit Recht gesagt. Wenn man zum Vergleich heranzieht, wie schlecht in den 20er Jahren oder etwa noch vor dem 1. Weltkrieg einmal die Beamten des einfachen Dienstes besoldet worden sind, könnte man einfach sagen, den Beamten des einfachen, mittleren, gehobenen und höheren Dienstes gehe es ,so gut, daß man ihnen überhaupt nichts zu geben brauche. Auf eine solche Diskussionsbasis sollten wir uns nicht begeben; das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden.
Ich habe keinen Zweifel, daß sich der Ortszuschlag für eine derartige Lösung anbietet. Herr Kollege Miessner hat das hier noch einmal unterstrichen, und, Herr Kollege Kühlthau, sachliche Argumente gegen unseren Vorschlag haben Sie gar nicht vorgebracht.
Der Ausweg, den § 96 der Geschäftsordnung über die Finanzvorlagen heranzuziehen, wird immer dann gewählt — das wissen die Herren von der Regierungspartei ganz genau —, wenn sie einen für sie unbequemen Antrag abwürgen wollen.
Meine Damen und Herren, Sie können hier beweisen, ob Sie die Bedeutung des einfachen und mittleren Dienstes für den Staat und für die öffentliche Verwaltung erkannt haben. Vertrösten Sie die Beamten nicht immer auf die ferne Zukunft!
Das Wort hat der Abgeordnete Matzner.
Keine weiteren Wortmeldungen zu dem Änderungsantrag?— Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 723 Ziffer 1 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über § 1 und § 2 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Auf Umdruck 723 wird unter Ziffer 2 beantragt, einen § 2 a einzufügen. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Hansing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe den Antrag selbst auf die Gefahr hin, daß der Redner der CDU sagen wird: Das haben wir ja bereits im Innenausschuß abgelehnt; Sie haben in der Gesamtkonzeption zugestimmt.
Ich möchte sagen: Sie müssen sich schon an die parlamentarischen Gepflogenheiten dieses Hauses gewöhnen.
Ich glaube, es ist notwendig, daß das einmal mit aller Deutlichkeit gesagt wird. Herr Kollege Kühlthau, ,den ich persönlich sehr hoch schätze, hat hier die Gesamtsituation bei der Beratung des Innenausschusses geschildert und gesagt: Bitte, im Innenausschuß hatten Sie ja zugestimmt. Nun, letzten Endes bestimmen über Anträge die Fraktionen und nicht die Abgeordneten innerhalb des Innenausschusses. Darüber sind wir uns wohl einig. Ich freue mich, daß Sie mir hierin zustimmen.
Nun zu dem Antrag auf Umdruck 723. Mit diesem Antrag wollen wir erreichen, daß den Beamten und Versorgungsempfängern eine Weihnachtszuwendung gegeben wird. Damit man uns aber nicht von vornherein mit dem Einwand kommt, das sei finanziell nicht tragbar, sagen wir in unserem Antrag im letzten Satz des einzufügenden § 21 a:
Die Höhe der Weihnachtszuwendungen wird
jährlich durch den Haushaltsplan bestimmt.
Sie können also jetzt nicht mit dem Einwand kommen, daß die Zahlung von Weihnachtszuwendungen finanziell nicht tragbar sei.
Im Innenausschuß hat, wie ich es in meinem Bericht bereits herausgestellt habe, die Bundesregierung damit argumentiert, daß Weihnachtszuwendungen an Beamte im Widerspruch zu den bisher geltenden Grundsätzen des Berufsbeamtentums stünden. Ich möchte hier die Frage stellen: Ist die Weihnachtszuwendung ein Teil der Besoldung
oder eine Fürsorgemaßnahme des Dienstherrn?
— Wir können es eine Sozialmaßnahme des Dienstherrn nennen. Wir meinen, daß es eine solche Maßnahme ist und sie daher durchaus mit dem Prinzip des Berufsbeamtentums im Einklang steht.
Die These, die Zahlung von Weihnachtszuwendungen stünde im Widerspruch zum Berufsbeamtentum, ist auch nicht mehr stichhaltig. Auf eine Kleine Anfrage .der SPD-Fraktion betreffend Weihnachtsgeld für Beamte antwortet die Bundesregierung — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — unter 2:
Die Bundesregierung wird die Frage einer Gewährung von Weihnachtszuwendungen an den genannten Personenkreis im Zusammenhang mit den Vorarbeiten für eine Novelle zum Bundesbesoldungsgesetz erneut prüfen.
Diese Mitteilung hat in der Öffentlichkeit falsche Hoffnungen erweckt. Aber schon mit der Formulierung, daß man sich bei der Novelle mit den Weihnachtszuwendungen befassen wolle, gibt die Regierung ihren alten Grundsatz auf. Sie hat sich in ihrer Antwort an die SPD-Fraktion eine Tür offengelassen. Im ersten Teil der Antwort stellt sie nicht die ablehnende Haltung von sich aus heraus, sondern erklärt, daß der Innenausschuß die Zahlung von Weihnachtszuwendungen abgelehnt habe. Damit schiebt die Bundesregierung den Schwarzen Peter von sich auf die Mehrheit dieses Hauses, also zur
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Hansing
CDU. Wie die CDU damit fertig wird, ist ihre Angelegenheit.
— S i e bestimmt, davon bin ich überzeugt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Problem ist nach meiner Ansicht für 1960 dadurch gelöst, daß die erhöhten Januarbezüge noch vor Weihnachten ausgezahlt werden. Will man es noch deutlicher haben? Hier gibt man indirekt zu, daß durchaus eine Sozialverpflichtung für die Bundesregierung besteht. Herr Staatssekretär, alle Hochachtung; aber hier wird mit einer Vorauszahlung der erhöhten Januarbeträge ein schlechtes Spiel mit den Beamten getrieben. Ich meine hier besonders die kleinen und mittleren Beamten. Sie zahlen erhöhte Januarbeträge schon vor Weihnachten und täuschen damit etwas vor, was überhaupt nicht da ist. Darüber hinaus verleiten Sie die kleinen und mittleren Beamten zu zwar notwendigen, aber finanziell nicht tragbaren Ausgaben, und wir erleben dann, daß sie Mitte Januar ohne Geld dastehen. Das ist meines Erachtens keine gute, sondern eine sehr, sehr schlechte Weihnachtszuwendung.
— Sie haben die Möglichkeit, sofort hier zu sprechen.
Meine Damen und Herren, wir sind der Ansicht, daß den Beamten das gleiche gegeben werden sollte, was den Arbeitern und den Angestellten im öffentlichen Dienst durch Tarifvertrag gesichert ist. Wir glauben darüber hinaus, daß die Bundesbeamten genau das an Weihnachtszuwendungen haben sollten, was die Beamten in den Ländern Hamburg, Bremen und Berlin bereits erhalten. Eine Weihnachtszuwendung ist nach meiner Ansicht durchaus mit dem Prinzip des Berufsbeamtentums in Einklang zu bringen.
Ich darf Sie bitten, dem Antrag der Sozialdemokraten zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühlthau.
Kühlthau CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der CDU/CSU-Fraktion bitten, auch diesen Antrag abzulehnen. Wir sind der Auffassung, daß die Gewährung einer Weihnachtsvergütung an die Beamten nicht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums entspricht. Wir wollen uns damit aber nicht generell auf den Standpunkt stellen, daß eine gesunde Fortentwicklung dieser Grundsätze nicht möglich wäre. Wir glauben nur, daß eine solche Frage gründlich und im Zusammenhang mit einer Gesamtüberprüfung des Besoldungssystems geprüft werden sollte. Aus diesem Grund empfehlen wir, den Antrag abzu- lehnen.
Ich darf dabei ausdrücklich klarstellen, daß die vorliegende Formulierung die Zahlung einer Weihnachtsvergütung in diesem Jahr nicht möglich machen würde,
da ausdrücklich gesagt wird, daß im Haushaltsplan entsprechende Mittel bereitgestellt sein müssen; und sie stehen im Haushaltsplan 1960 nicht zur Verfügung.
Ich möchte aber wirklich bitten, für den Standpunkt Verständnis zu haben, daß man eine solche doch wesentliche Änderung des gesamten Besoldungssystems bis zu einer gründlichen Überprüfung dieses Systems zurückzustellen muß. Der Herr Bundesinnenminister hat in der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD von sich aus darauf hingewiesen, daß bei Überlegungen zu einer Novellierung des Bundesbesoldungsgesetzes, die mit den Ländern angestellt würden, diese Frage gemeinsam überprüft werde. Dazu hat Herr Ministerialdirektor Bauch im Innenausschuß klargestellt, daß allerdings diesem Bundestag eine solche Novelle nicht mehr vorgelegt werden kann.
Ich darf hier einmal ein persönliches Wort, das meine Fraktion nicht angeht, anschließen. Diejenigen Kollegen unter uns, die sich im nächsten Bundestag mit Beamten- und Besoldungsangelegenheiten befassen werden, sollten sich nach meiner persönlichen Meinung einmal gründlich Gedanken darüber machen, ob es nicht ratsam ist, das ganze Besoldungssystem mit dem Ziel einer auch hier möglichen durchgreifenden Vereinfachung zu überprüfen. Ich selbst habe einmal in einer Publikation gesagt, ich hielte es für besser, die ganze Besoldung unserer Beamten insofern zu vereinfachen, als man von dein bisherigen Ortszuschlagssystem überhaupt abkommen und ein alle Bestandteile des Gehalts umfassendes Gesamtgehalt schaffen sollte. Dazu müßte man durch echte Familienzuschläge — Kindergeld und was weiß ich — den sozialen Belangen des einzelnen Beamten Rechnung tragen und möglicherweise auch noch durch eine vereinfachte Zulage für bestimmte Wirtschaftsgebiete, in denen die Lebenshaltungskosten teurer als im Gesamtdurchschnitt sind, diese Unterschiede ausgleichen.
Ich meine, dieser Gedanke wäre wirklich einmal der Überlegung wert. Es ist, wie gesagt, mein eigener Gedanke — ich möchte das mit allem Nachdruck betonen —; ich belaste damit kein einziges Mitglied meiner Fraktion. Aber diese Überlegung, Herr Kollege Miessner, kommt aus einer nunmehr zehnjährigen parlamentarischen Beschäftigung mit Besoldungsdingen. Ganz so neu, wie Sie meinen, bin ich nicht in ,diesem Hause; ich gehöre dem Hohen Hause immerhin seit 1953 an und hatte ,das Glück, mich schon einige Jahre vorher im Landtag Nordrhein-Westfalen mit diesen Problemen befassen zu müssen.
Ich darf Sie also bitten, aus ,den angeführten Gründen der Aufnahme des § 21 a in das Bundesbesol-
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Kühlthau
dungsgesetz nicht zuzustimmen. Wir werden aber bei einer grundlegenden Überprüfung des gesamten Besoldungssystems einer Erörterung dieser Frage nicht im Wege stehen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse ,abstimmen über den Antrag Umdruck 723 Ziffer 2 — der Fraktion der SPD —auf Einfügung eines neuen § 2 a. Wer ,diesem Antrag zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich um ein Handzeichen.
Ich beabsichtige zu dem Antrag Umdruck 725 zu sprechen, der zum Inhalt hat, daß in § 4 die Worte „ 1. Januar 1961" durch die Worte „1. Dezember 1960" ersetzt werden.
Zuvor möchte ich aber im Namen meiner Fraktion, der Fraktion der Freien Demokraten, sagen, daß wir der Bundesregierung wirklich 'dankbar dafür sind, daß sie so schnell reagiert hat, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die 7 % — zuerst waren es ja nur 4 % — -seit idem 1. Juni 1960 eine Lösung waren, die in keiner Weise ausreichen konnte. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang 'dem Hohen Hause etwas zur Kenntnis bringen, was vielfach übersehen wird. Eine sehr schlechte Lösung war es, daß hinsichtlich des Zeitpunktes ,der Inkraftsetzung der Gehaltserhöhung um 7 % Bund und Länder so weit auseinanderklafften. Ich habe mir eine Zusammenstellung darüber machen lassen. Sie wissen, daß der Bund die 7% erst für den 1. Juni 1960 bewilligt hat, daß ,aber einige Länder völlig andere Termine hatten. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland haben 'das Gesetz am 1. April in Kraft treten lassen, Bremen am 1. Januar 1960, Hamburg am 1. März 1960. Darin liegt eine Buntscheckigkeit, die als ,außerordentlich mißlich angesehen werden muß. Das gibt doch Differenzen zwischen den einzelnen Beamten im Bund und in den Ländern, die höchst unerfreulich sind und die sich, das wollen wir nicht vergessen, auch auf das Klima draußen
auswirken. Dadurch entstehen Schwierigkeiten, die wir sehr wenig schätzen.
Meine Damen und Herren, noch etwas anderes in diesem Zusammenhang. Das Land Niedersachsen, das das Gesetz betreffend die Erhöhung um 7% auch am 1. Juni 1960 hat in Kraft treten lassen, hat seinen Beamten eine Vorschußzahlung in Höhe von 20 % gegeben. Diese Vorschußzahlung ist als einmalige Zuwendung belassen worden. Das Land Schleswig-Holstein, dessen Gesetz auch am 1. Juni 1960 in Kraft getreten ist, hat diesen Vorschuß, den es in Höhe von 15 % gezahlt hat, ebenfalls als einmalige Ausgleichszahlung ohne Anrechnung belassen. Das ist eine höchst unerfreuliche Situation, in der wir uns hier befinden.
Ich möchte hierbei einmal ausdrücklich betonen, daß sich der Beamtenrechtsausschuß des ersten und des zweiten Bundestages bei der Beratung gerade der grundlegenden Gesetze immer darum bemüht hat, eine gleiche Behandlung der Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden, soweit das irgendwie möglich war, durchzusetzen, weil man der Meinung sein muß, daß schließlich ein Oberinspektor beim Landesfinanzamt, sagen wir, in Schleswig-Holstein dasselbe tut wie der Oberinspektor beim Landesfinanzamt etwa in München. Wir befinden uns also in einer höchst unerfreulichen Situation, und es sollte alles getan werden, um — Herr Staatssekretär, da darf ich mich auch an Sie wenden — in dieser Beziehung einmal zu einer Gleichbehandlung in größerem Umfang zu kommen — ich gebe zu, daß das schwierig ist —, als das bisher möglich war.
Nun, meine Damen und Herren, zur Begründung des Antrages Umdruck 725. Ich habe es mit einer gewissen Freude entgegengenommen, daß der Herr Bundesminister des Innern vor kurzem auf eine Kleine Anfrage hin gesagt hat, die Angelegenheit eines Weihnachtsgeldes — ich will nicht von Weihnachtsgratifikation sprechen — für die Beamten solle bei der nächsten Novelle zum Besoldungsgesetz überprüft und dann vielleicht in einem entgegenkommenden Sinn entschieden werden. Das ist eine ganz erfreuliche Nachricht. Sie bedeutet immerhin, daß man die Entwicklung der Dinge, von denen auch Herr Kollege Kühlthau gesprochen hat, irgendwie berücksichtigen will. Diese In-Aussicht-Stellung begrüßen wir. Wir werden uns natürlich an der Beratung dieser Dinge intensiv beteiligen.
Im Augenblick aber ist die Sache doch recht schwierig. Gegen die 8 % ist gar nichts zu sagen. Wir wollen sie zunächst einmal hinnehmen, ohne etwas hinsichtlich der Höhe zu sagen. Wir wollen im Augenblick dieses Gesetz verabschieden, und zwar im Weihnachtsmonat. Diese Tatsache ist doch nun einmal nicht zu leugnen: im Weihnachtsmonat. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, nachdem die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gerechterweise eine gegenüber dem Vorjahr erheblich erhöhte Weihnachtszulage bekommen, in dieser Beziehung eine unerfreuliche, vielleicht sogar ungerechte Divergenz zwischen den Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes auf der einen und den Beamten auf der anderen Seite entstanden ist.
7636 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Kühn
Meine Damen und Herren, da können Sie mit Begründungen kommen, wie Sie wollen. Das kann der kleine Sekretär oder der Assistent oder gar der Amtsgehilfe, und das geht hinauf bis in den gehobenen Dienst, nun einmal nicht verstehen, daß der Kollege im Angestelltenverhältnis mit dem er in einem Büro sitzt und der manchmal dieselbe Arbeit macht wie er, diese Gratifikation, wie sie dort heißt, bekommt und er nicht. Das ist etwas, was auch — und das wollen wir nicht vergessen — das Arbeitsklima in den Behörden erheblich bedroht.
Deshalb sind wir der Meinung, daß in dieser Beziehung etwas geschehen sollte.
Natürlich sprechen juristische Gründe dagegen. Die Rechtslage läßt es im Augenblicke: nicht zu, weil nun einmal die Dinge, die für die Beamten festgelegt werden sollen, durch Gesetz festgelegt werden müssen. Die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes erledigen diese Dinge im Wege der Tarifverhandlungen. Das geht viel schneller und viel einfacher vor sich. Aber hier ist es so, daß ein Gesetz dasein muß. Diese Möglichkeit besteht zur Zeit noch nicht. Die SPD hatte einen sachlichen Antrag gestellt, um gerade diese Möglichkeit zu schaffen. Aber ich nehme an, daß wir, nachdem, wie ich soeben sagte, der Herr Bundesminister des Innern eine Überprüfung der ganzen Frage in Aussicht gestellt hat, hier zu Ergebnissen kommen, die uns zufriedenstellen können.
Wenn wir aber keine juristischen und auch keine finanziellen Schwierigkeiten hinsichtlich des Weihnachtsgeldes haben wollen, sollten wir wenigstens den Antrag annehmen, den die FDP auf Umdruck 725 gestellt hat, und den Antrag, der zum Inhalt hat, daß die Gesetzgebung bezüglich der 8% schon vom 1. Dezember 1960 an gilt. Wir würden damit gerade in diesem Monat — ohne daß ich von Weihnachtsgeld rede — eine zufriedenstellende Atmosphäre schaffen. Ich glaube, man braucht dazu nicht mehr große Begründungen zu geben. Sie sollten sich dafür entscheiden, diesen in jeder Beziehung vertretbaren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühlthau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kühn sprach gerade davon, daß wir im Weihnachtsmonat Dezember seien. Trotz des Weihnachtsmonats muß ich Sie namens meiner Fraktion bitten, auch diesen Antrag abzulehnen, und zwar erstens aus Gründen der Geschäftsordnung. Ich muß noch einmal sagen: Wenn dieser Vorschlag auf Vorverlegung des Inkrafttretens des Gesetzes um einen Monat angenommen würde, könnten wir jetzt nicht abschließend entscheiden, da es sich um eine echte Haushaltsvorlage nach § 96 der Geschäftsordnung handeln würde. Wir müßten die Sache erst an den Haushaltsausschuß zurückverweisen. Dann wäre das Inkrafttreten des Gesetzes gefährdet. Ich muß das noch einmal unterstreichen.
Zweitens: Ich glaube, wir können das Vorverlegen auch sachlich vermeiden. Man darf wohl feststellen, daß unsere Beamten insbesondere über das diesmal so schnelle und bald wirksam werdende Handeln der Bundesregierung überrascht waren.
— Mich bringen meine täglichen Berufsarbeiten vielleicht mehr in Verbindung mit Beamten als manchen von Ihnen. — Die Beamten haben nach der ganzen bisherigen Praxis nicht vor dem 1. April mit einer Erhöhung gerechnet; denn zum 1. April waren die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst kündbar, und die Beamten waren sich darüber im klaren, daß, wenn zum 1. April eine Aufbesserung ,der Bezüge der Tarifangestellten im öffentlichen Dienst erfolgen würde, 'Rückwirkungen bei den Beamtengehältern nicht zu vermeiden sein würden. Daher haben sie zum 1. April mit einer Verbesserung gerechnet, und sie waren dankbar und froh — und ich darf mich dabei letztlich doch auf alle Erklärungen sämtlicher Gewerkschaftsorganisationen in diesem Punkt berufen —, daß die Bundesregierung sich schnell entschieden hat und daß sie sich für einen möglichst frühen Zeitpunkt entschieden hat, nämlich den ersten Januar, für den Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Bundeshaushaltsplans.
Ein drittes: Der Hinweis auf das Auseinanderklaffen der Gehaltsentwicklung in Bund und Ländern ist natürlich nicht unberechtigt, Herr Kollege Kühn. Aber ich habe bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes hier gesagt, meine Fraktion begrüße es gerade aus diesem Grunde, daß die Bundesregierung diesmal zeitig gehandelt hat. Denn es bestand doch die Gefahr, daß die Länder erneut vorpreschten. Dort war der gleiche Druck der Beamtengewerkschaften wirksam, und man konnte einer solchen möglichen Entwicklung in den Ländern nur durch ein rechtzeitiges Handeln im Bund entgegentreten. Damit ist jedenfalls sichergestellt — ich bestätige Ihnen, es war wenig erfreulich, daß im Frühjahr die Tage des Inkrafttretens auseinandergingen —, daß diese Erschwerungen nunmehr aus der Welt geschafft worden sind.
Ich bitte Sie daher, diesem Antrag nicht zuzustimmen.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 725, Änderungsantrag der Abgeordneten Kühn und Genossen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist ,abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über § 4 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — § 4 ist angenommen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7637
Vizepräsident Dr. Jaeger
Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die Erhöhung der Beamtengehälter im Frühjahr dieses Jahres auf der Tagesordnung stand, hat die Bundesregierung unter Hinweis auf das Blessing-Gutachten eine Erhöhung von 4 % für das Äußerste gehalten, was sie tun könne. Die von uns im Innenausschuß beantragte Erhöhung der Beamtengehälter um 10 % ist auf dem Wege über die verschiedensten Stationen der Gesetzgebung schließlich auf 7 % herabgedrückt worden. Damals sagte die Bundesregierung, das sei das Äußerste des Zumutbaren. Noch nicht ein halbes Jahr später hat dieselbe Bundesregierung eine weitere Gehaltserhöhung von zusätzlich 8 % vorgeschlagen, womit innerhalb eines Jahres die Beamtengehälter um insgesamt 15 % mit der entsprechenden Modifizierung gegenüber dem Stand von 1957 erhöht worden sind. Im Hinblick auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Entwicklung der Löhne und Gehälter und die Gesamtentwicklung unserer Volkswirtschaft halten wir diese Verbesserung der Beamtenbezüge für gerechtfertigt, nicht zuletzt auch wegen der scharfen Wettbewerbsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, die besonders die fähigen Beamten bestimmter Gruppen, wie die Steuerbeamten und verschiedene andere, in die Versuchung bringen, vom Staatsdienst in die Wirtschaft überzuwechseln. Wir wünschen, vor allem auch als Steuerzahler, daß der öffentliche Dienst auch in dieser Hinsicht mit der übrigen Entwicklung Schritt hält und daß unsere Beamten sich im öffentlichen Dienst wohl fühlen.
Wir bedauern aber, daß unsere Anträge auf Verbesserung der Ortszuschläge in der zweiten Lesung abgelehnt worden sind und daß Sie auf die klare Argumentation hier keine andere Antwort als einen Wechsel auf die Zukunft gegeben haben. Dies gilt auch für das Weihnachtsgeld und Ihre letzten Bemerkungen wegen des Inkrafttretens des Gesetzes. Die schlechte Praxis der Regierung, unumgängliche soziale Verbesserungen möglichst nahe an den Wahltermin heranzuschieben, an die sich die Beamten schon gewöhnt haben, können Sie doch nicht als Indiz dafür nehmen, daß Sie jetzt etwas Gutes tun, wenn Sie nicht zum 1. April, sondern mit Beginn des Haushaltsjahres die Gehälter erhöhen.
Meine Damen und Herren, aus all dem ist auch zu folgern — und das muß ich hier mit aller Deutlichkeit sagen —, daß die Angaben der Bundesregierung über das, was für den Haushalt noch erträglich und verträglich ist und was über seine Grenzen hinausgeht, für die Zukunft nur noch schwer glaubhaft sind. Diese Bundesregierung hat sich bereits mit ihrem früheren Finanzminister Schäffer, der ständig vom Defizit geredet und gleichzeitig einen
Juliusturm angelegt hat, vor der Öffentlichkeit blamiert. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß auch der Herr Bundesfinanzminister Etzel, was die Glaubwürdigkeit seiner Zahlen anlangt, seinem Vorgänger im Amt nach Kräften nacheifert.
Der verstorbene Herr Kollege Gülich hat in seiner netten und witzigen Art hier einmal gesagt: Die Tatsache, daß eine Zahl aus dem Bundesfinanzministerium stammt, ist noch kein Beweis für ihre Unrichtigkeit.
Meine Damen und Herren, das galt zu Schäffers Zeiten, und unter Etzel ist es nicht anders geworden.
Noch ein letztes Wort! Sie wissen selbst, wie die wirtschaftliche Entwicklung aussieht. Ich zitiere hier aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
Aber nur dem flüchtigen Betrachter bleibt es verborgen, daß sich hinter dieser Stabilität niedrigere Lebensmittelpreise und kräftig steigende Preise für industrielle und gewerbliche Güter kompensieren. ... Danach wird eintreten, was die Mehrzahl der Konjunkturpolitiker schon für diesen Herbst erwartet hat: ein kräftiger Preisauftrieb, der sich auch beim letzten Verbraucher bemerkbar macht.
Meine Damen und Herren, dem haben Sie gerade mit Ihrer Ablehnung unserer Anträge zugunsten der Beamten des einfachen und mittleren Dienstes nicht Rechnung getragen. Wir bedauern das außerordentlich. Hier und heute hätten Sie die Möglichkeit gehabt, sozial zu handeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten möchte ich zur dritten Lesung die Erklärung abgeben, daß wir dem Gesetz zustimmen, weil es eine große Anzahl von Verbesserungen gegenüber der bisherigen Rechtslage mit sich bringt. Ich möchte dabei aber ausdrücklich betonen, daß wir unsere Auffassungen, die mein Kollege Miessner und ich vorhin vorgetragen haben, für die Zukunft und die weitere Beratung selbstverständlich aufrechterhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühlthau.
Kühlthau CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU darf ich erklären, daß wir der vorgesehenen 8%igen Erhöhung der Beamtengehälter freudig zustimmen. Die Fragen, die ungelöst blieben, haben wir uns vorgemerkt. Sie sollen —das habe ich vorhin angedeutet — bei einer Gesamtüberlegung des Besoldungssystems durchgreifend geprüft werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schranz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe der Deutschen Partei stimmt dem Gesetz zu. Sie begrüßt es, daß die Bundesregierung von sich aus rechtzeitig Maßnahmen ergriffen hat, die die spürbare Beunruhigung in den Kreisen der Beamten weitgehend behoben haben.
Mit der Neuregelung der Besoldung sind aber zwei in letzter Zeit immer dringender vorgetragene Wünsche der Beamtenschaft noch nicht erfüllt. Es handelt sich dabei um das Weihnachtsgeld und um die Frage eines 13. Gehalts.
Die Gruppe der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß im Hinblick auf den besonderen Status des Berufsbeamtentums die Erfüllung dieser Forderungen zu einer weiteren Aushöhlung des Beamtentums führen würde. Sie ist der Meinung, daß diese Wünsche dann verstummen werden, wenn eine Besoldungsregelung gefunden wird, die sie gegenstandslos macht. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es notwendig sein, die Besoldungsordnung zu überprüfen und insbesondere bei den einfachen und mittleren Laufbahnen zu Anhebungen zu kommen, die über die jetzt vorgenommene lineare hinausgehen. Das scheint insbesondere auch deshalb notwendig zu sein, weil die Abwanderung aus dein öffentlichen Dienst neben den Angestellten und Arbeitern nunmehr auch die Beamten zu erfassen beginnt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Aktiengesetzes sowie des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Publizität von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung ;
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Minderheiten in Kapitalgesellschaften .
Zur Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung hat der Herr Bundesminister der Justiz das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 ihre Absicht angekündigt, dem Hohen Hause während der gegenwärtigen Wahlperiode den Entwurf eines Aktiengesetzes zur Beschlußfassung vorzulegen. Da die Lage auf dem Kapitalmarkt es notwendig machte, eilige Teilfragen vorab zu regeln, hat sie bereits 1958 den Entwurf eines Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung eingebracht. Der Entwurf ist inzwischen verabschiedet und als Gesetz verkündet worden.
Der Ihnen nunmehr vorliegende Entwurf eines Aktiengesetzes hat die Neugestaltung des gesamten Aktienrechts zum Inhalt. Der sachlich damit zusammenhängende Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz enthält die notwendigen Übergangsvorschriften sowie die Änderungen, die die Neugestaltung des Aktienrechts in anderen Gesetzen erfordert. Mit diesen beiden Entwürfen erfüllt die Bundesregierung nicht nur ihr in der Regierungserklärung aufgestelltes Programm, sondern kommt auch dem Beschluß des Hohen Hauses vom 2. Dezember 1959 nach, in dem sie ersucht worden ist, den Entwurf eines Aktiengesetzes baldmöglichst vorzulegen.
Die Aktienrechtsreform bezweckt, das zur Zeit geltende aus dem Jahre 1937 stammende Aktiengesetz an die Grundsätze unserer heutigen Wirtschaftsverfassung anzupassen. Das Aktiengesetz ist das Gesetz, nach dem unsere Großunternehmen leben. Wir haben zwar nur etwas mehr als 2500 Aktiengesellschaften, eine Zahl, die neben den etwa 34 000 GmbHs gering erscheinen mag. In den Aktiengesellschaften ist jedoch ein Kapital von mehr als 29 Milliarden DM gebunden, während die mehr als zehnfache Zahl der GmbHs nur über ein gebundenes Kapital von etwas mehr als 10 Milliarden DM verfügt. Die Zahl von 29 Milliarden DM zeigt eindrucksvoll die wirtschaftspolitische Bedeutung des vorliegenden Entwurfs. In den Aktiengesellschaften vollzieht sich ein wesentlicher Teil des volkswirtschaftlichen Geschehens. Sie üben einen bedeutenden Einfluß auf den Kapitalmarkt, den Arbeitsmarkt, die Produktion und die Verteilung aus. Jede Regelung des Rechts der Aktiengesellschaft, mag sie aussehen, wie sie will, hat deshalb zwangsläufig wirtschaftspolitische Auswirkungen. Insofern trifft der gegen die Reformbestrebungen der Bundesregierung schon mehrfach erhobene Einwand, das Aktiengesetz sei ein reines Organisationsgesetz und müsse sich deshalb auf gewisse wirtschaftspolitisch neutrale Regeln über die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Organen beschränken, nicht den Kern der Sache. Die Aktiengesellschaften stehen nicht außerhalb unserer Wirtschaftsverfassung, sie sind keine wertfreien Gebilde. Das Aktienrecht einer sozialen Marktwirtschaft muß notwendig anders aussehen als das einer staatlich gelenkten Befehlswirtschaft. Nur soviel scheint mir an dem Einwand richtig zu sein, daß das Aktiengesetz kein Experimentierfeld zur Lösung wirtschaftlicher Tagesfragen sein sollte. Das Aktiengesetz ist ein
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Bundesminister Schäffer
Dauergesetz. Es verträgt seiner Natur nach keine fortgesetzten Änderungen. Es darf nicht in den Dienst vorübergehender wirtschaftspolitischer Ziele gestellt werden.
Aus diesem Grunde hütet sich der Regierungsentwurf vor Lösungen, die schon nach wenigen Jahren überholt sein können. Sein Ziel ist es vielmehr, den Änderungen der Verhältnisse Rechnung zu tragen, die seit 1937 auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet eingetreten sind, und die Aktiengesellschaften in den Stand zu versetzen, daß sie im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ihrer Aufgabe gerecht werden, Kapitalsammelbecken für wirtschaftliche Großvorhaben zu sein.
Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf dem Privateigentum. Das Eigentum ist durch Art. 14 des Grundgesetzes als Institution gesichert. Wirtschaftliche Eigentümer der Aktiengesellschaft sind die Aktionäre. Wenn das Aktienrecht unserer Wirtschaftsverfassung entsprechen soll, muß es deshalb vom Eigentum der Aktionäre ausgehen. Die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Aktionäre dürfen nur soweit eingeschränkt werden, wie dies notwendig ist, um .die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft als erwerbswirtschaftliches Großunternehmen zu sichern. Jede darüber hinausgehende Einschränkung würde dazu führen, daß die Aktiengesellschaften ihrer Aufgabe, Kapitalsammelbecken zu sein, nicht mehr gerecht werden könnten, weil von niemand zu erwarten ist, daß er sein Kapital zur Verfügung stellt, wenn er gleichzeitig hinsichtlich dieses Kapitals entmündigt wird.
Die Aktienrechtsreform muß auch deshalb das Eigentum der Aktionäre in den Vordergrund stellen, weil es nur so gelingen wird, die breite Bevölkerung am Erwerb von Aktien zu interessieren und der Ballung des Kapitals in den Händen weniger entgegenzuwirken. Insofern stellt die Aktienrechtsreform einen bedeutsamen Beitrag für die von der Bundesregierung angestrebte breite Eigentumsstreuung dar.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch um etwas Aufmerksamkeit für ,die Begründung bitten.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß außer den Aktionären auch die Arbeitnehmer wesentliche Interessen an dem gesellschaftlichen Unternehmen haben. Der Schutz dieser Interessen war bisher nicht Gegenstand des Aktiengesetzes, sondern in besonderen Gesetzen, vor allem im Mitbestimmungsgesetz und im Betriebsverfassungsgesetz, geregelt. Der Regierungsentwurf ändert diese Rechtslage nicht. Er tastet namentlich nicht die nach diesen Gesetzen bestehenden Rechte der Arbeitnehmer auf Beteiligung am Aufsichtsrat und Vorstand an. Um auch die gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrem Unternehmen zu fördern, sieht der Regierungsentwurf — und insoweit geht er über das geltende Recht hinaus — gewisse Erleichterungen für die Ausgabe von Aktien an Arbeitnehmer vor.
Die Betonung der Rechtsstellung der Aktionäre durch den Regierungsentwurf zeigt sich vor allem in den Regelungen des Entwurfs über die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Verwendung des Gewinns. Bisher entscheidet die Verwaltung als das Organ, das regelmäßig den Jahresabschluß feststellt, nicht nur über die Gewinnermittlung, d. h. über die Wertansätze, Abschreibungen und Rückstellungen, sondern auch darüber, ob und inwieweit der ermittelte Gewinn einbehalten oder den Aktionären zur Verfügung gestellt werden soll. Den Aktionären bleibt regelmäßig nur die Beschlußfassung über die Verwendung des Teiles des Gewinns, dessen Einbehaltung die Verwaltung nicht für erforderlich hält.
Die Bundesregierung hat bereits in der Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 erkennen lassen, daß sie diese Regelung für unbefriedigend hält und einen verstärkten Einfluß der Aktionäre auf die Gewinnverwendung anstrebt. Das geltende Recht wird nicht der Tatsache gerecht, daß die Aktionäre die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens sind und damit anteilig das Unternehmensrisiko tragen. Die Verwendung des erzielten Gewinns berührt die Aktionäre in stärkstem Maße,
weil die Einstellung des Gewinns in Rücklagen praktisch bedeutet, daß sie ihrem Unternehmen über ihre Kapitaleinlage hinaus zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, und zwar zinslos. Die Regelung des geltenden Rechts hat auch zu Auswüchsen in der Selbstfinanzierung geführt und zu unerwünschten Konzentrationen beigetragen.
Deshalb soll nach dem Regierungsentwurf die Entscheidung über die Verwendung des Gewinns grundsätzlich der Hauptversammlung zustehen. Um aber zu verhindern, daß in jeder Hauptversammlung von neuem auch über die im Interesse des Unternehmens notwendigste Rücklagenbildung gestritten wird, und um der Verwaltung eine langfristige Geschäftsplanung zu ermöglichen, gestattet es der Entwurf, daß die Hauptversammlung mit satzungändernder Mehrheit die Verwaltung zur Bildung offener Rücklagen ermächtigt. Auf diese Weise kann jede Gesellschaft die zur Erhaltung ihres Bestandes und ihrer Wettbewerbsfähigkeit nötigen Rücklagen ansammeln.
Das Recht der Verwaltung zur Bildung offener Rücklagen auf Grund solcher Satzungsbestimmungen kann aber nicht schrankenlos sein. Sobald die freien Rücklagen die Hälfte des Grundkapitals erreicht haben, erlischt die Befugnis der Verwaltung. Dann kann nur mehr die Hauptversammlung beschließen, daß weitere offene Rücklagen gebildet werden. Damit dürfte ein angemessener Ausgleich zwischen den beiden Forderungen gefunden sein, die sich hier überschneiden: der Forderung, daß demjenigen, der das unternehmerische Risiko trägt, auch der Gewinn gebührt, und der anderen Forderung, daß jedem Unternehmen die Rücklagen zugebilligt werden müssen, die es braucht, um sich am Markt behaupten zu können.
Das Gewinnrecht der Aktionäre kann nicht nur durch die Bildung offener, sondern auch durch die
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Bundesminister Schäffer
Bildung stiller Rücklagen beschränkt werden. Hier ist zunächst die wirtschaftspolitische Vorfrage zu entscheiden, ob neben den offenen Rücklagen überhaupt noch stille Rücklagen zugelassen werden sollen. Der Regierungsentwurf bejaht sie grundsätzlich, hält jedoch ihre Begrenzung für erforderlich. Stille Rücklagen sollen nicht mehr gebildet werden können, um eine Expansion der Gesellschaft zu finanzieren oder die Ausschüttung einer gleichmäßigen Dividende zu sichern, wohl aber, um die Substanz der Gesellschaft zu erhalten und um sie in der nächsten Zukunft gegen etwaige Rückschläge zu sichern. Übersteigen die stillen Rücklagen das für diese Zwecke notwendige Maß, so ergeben sich Gefahren, die sich nicht nur auf die einzelne Gesellschaft, sondern auch auf die Volkswirtschaft verhängnisvoll auswirken können. Übermäßige stille Rücklagen führen dazu, daß im Jahresabschluß die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft in beträchtlichem Maße entstellt und ein Einblick in die Lage der Gesellschaft unmöglich wird. Da stille Rücklagen die unangenehme Eigenschaft haben, sich auch still verflüchtigen zu können, ohne daß selbst die Verwaltung dies zu bemerken braucht, kann die Geschäftsleitung zu Fehlentscheidungen veranlaßt werden. Schließlich begünstigt die übermäßige Bildung stiller Rücklagen auch die Ballung des Aktienbesitzes in den Händen weniger Personen. Sie ermöglicht es den „insiders", denen die Höhe der stillen Rücklagen bekannt ist, die Aktien der nicht unterrichteten Aktionäre unter ihrem wahren Wert aufzukaufen.
Der Regierungsentwurf sieht im einzelnen folgende Regelung vor: Er läßt die Bildung stiller Rücklagen im Anlagevermögen zu, soweit sie nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig sind, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft für die nächste Zukunft zu sichern. Der Bundesrat hat hierfür eine etwas andere Fassung vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat ihr zugestimmt, weil sie im großen und ganzen dasselbe besagen dürfte.
Hinsichtlich des Umlaufvermögens ist der Regierungsentwurf strenger. Hier sind stille Rücklagen gefährlicher als im Anlagevermögen. Sie sollen deshalb nur so weit gebildet werden dürfen, wie sie nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig sind, um zu verhindern, daß in der nächsten Zukunft die Wertansätze wegen Wertschwankungen geändert werden müssen.
Bei den Rückstellungen sollen schließlich überhaupt keine stillen Rücklagen gebildet werden dürfen. Die Entscheidung darüber, ob in diesem Rahmen stille Rücklagen gebildet werden, liegt bei dem Organ, das den Jahresabschluß feststellt, also regelmäßig bei Vorstand und Aufsichtsrat. Den Einfluß der Aktionäre auf diese Entscheidung sichert der Regierungsentwurf dadurch, daß er ein besonderes gerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Bildung stiller Rücklagen vorsieht. Die Aktionäre können durch dieses Verfahren erreichen, daß etwaige unzulässige stille Rücklagen im nächsten Jahresabschluß aufzulösen und auszuschütten sind.
Die Vorschriften über die stillen Rücklagen müssen auch unter dem Gesichtspunkt einer verstärkten Unterrichtung der Aktionäre gesehen werden. Die Verstärkung der Publizität war bereits für die Einführung des neuen Gliederungsschemas für die Gewinn- und Verlustrechnung im vergangenen Jahr maßgebend. Der Regierungsentwurf setzt diese Bestrebungen fort. Die Jahresbilanz soll aussagekräftiger gestaltet werden, namentlich hinsichtlich der Liquidität. Im Geschäftsbericht werden die Angaben über Konzernverbindungen und über die Bezüge der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder erweitert. Das Auskunftsrecht des Aktionärs wird dadurch verbessert, daß eine etwaige Auskunftsverweigerung in vollem Umfang gerichtlich nachgeprüft werden kann. Die Auskunftsverweigerungsgründe werden abschließend geregelt und schärfer gefaßt.
Andererseits tritt der Entwurf einem Mißbrauch des Auskunftsrechts dadurch entgegen, daß die Auskunft nur verlangt werden kann, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist.
Der vermehrten Unterrichtung der Aktionäre dient es auch, daß der Regierungsentwurf nunmehr die Aufstellung von Konzernabschlüssen zwingend vorschreibt. Damit die Aktionäre aus dem Konzernabschluß die Vermögens- und Ertragslage des Konzerns möglichst klar ersehen können, müssen in dem Konzernabschluß die Gewinne aus Lieferungen und Leistungen zwischen den einzelnen Konzernunternehmen ausgeschieden werden.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Neuregelung des Depotstimmrechts. Wie die Bundesregierung bereits in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU und der DP betreffend Wirtschaftskonzentration erklärt hat, bejaht sie das Depotstimmrecht. Es ist unter den bei uns gegebenen Verhältnissen die einzige Institution, die es den vielen Aktionären, die nicht zur Hauptversammlung kommen können oder wollen, ermöglicht, ihre Stimmen bei der Beschlußfassung zur Geltung zu bringen. Allerdings ist es nicht ausreichend, daß der Gesetzgeber nur dafür sorgt, daß die Stimme des kleinen Aktionärs in der Hauptversammlung nicht ausfällt. Nicht nur seine Stimme muß in der Hauptversammlung zur Geltung kommen, sondern auch seine Ansicht zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung. Es muß deshalb sichergestellt werden, daß die Banken als weisungsgebundene Beauftragte das Stimmrecht so ausüben, wie es dem Willen des Aktionärs entspricht.
Das geltende Recht gewährleistet dies nicht in ausreichendem Maße. Wenn nichts besonders Bedeutsames zu entscheiden ist, erfährt der Aktionär noch nicht einmal von seiner Bank, daß eine Hauptversammlung bevorsteht, in der sie oder eine befreundete Bank für ihn das Stimmrecht ausüben wird.
Der Regierungsentwurf sieht deshalb eine Neuregelung vor, die zum Teil bereits in das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse des Volkswagenwerks Eingang gefunden hat. Danach dürfen Banken sowie alle Personen, die sich geschäftsmäßig
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Bundesminister Schäffer
gegenüber Aktionären zur Ausübung des Stimmrechts erbieten, das Stimmrecht nicht mehr im eigenen Namen, sondern nur noch im fremden Namen ausüben. Damit tritt klar hervor, daß sie kein eigenes Stimmrecht, sondern nur das Stimmrecht des Aktionärs ausüben.
Der Regierungsentwurf verlangt als Voraussetzung für die Stimmrechtsausübung außerdem eine ausdrückliche Willensäußerung des Aktionärs. Da sich dieser erst dann eine Meinung zu den Gegenständen der Tagesordnung bilden kann, wenn er die Tagesordnung und die dazu gemachten Vorschläge kennt, ist die Bank nur dann zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt, wenn ihr der Aktionär seinen Willen nach Einberufung der Hauptversammlung und in Kenntnis der Tagesordnung erklärt hat.
Eine Neuregelung des Aktienrechts muß sich auch mit den Unternehmensverflechtungen befassen. Die rechtlich zwar selbständige, wirtschaftlich jedoch abhängige Aktiengesellschaft ist eine derart verbreitete Erscheinung geworden, daß eine Aktienrechtsreform diesen Namen nicht verdienen würde, wenn sie sich in bezug lauf das Konzernrecht wie das geltende Recht auf wenige gesetzestechnische Bestimmungen und auf einige eng begrenzte Publizitätsvorschriften über die Konzerne beschränkte.
Allerdings kann das Aktiengesetz das vielschichtige Problem der Konzentrationen, der Konzernverflechtung nicht abschließend lösen. Wie die Bundesregierung bereits in der Antwort auf die Große Anfrage betreffend Wirtschaftskonzentration ausgeführt hat, kann der Beitrag 'des Gesellschaftsrechts zur Bekämpfung unerwünschter Konzentrationen nur darin bestehen, das Gesellschaftsrecht so zu gestalten, daß es keine Anreize zur Konzentration bietet. Das Gesellschaftsrecht kann dagegen nicht dazu benutzt werden, unerwünschte Konzernverbindungen zu beseitigen oder zu verhindern, weil für die Unterscheidung zwischen wirtschafts-und gesellschaftspolitisch erwünschten und unerwünschten Konzentrationen Maßstäbe gelten, die ,außerhalb +des Gesellschaftsrechts liegen.
Im Mittelpunkt des gesamten Konzernrechts steht die Frage, wann das Konzerninteresse vor den Interessen der einzelnen Konzerngesellschaften den Vorrang hat, wann eine Beeinträchtigung dieser Gesellschaften im Konzerninteresse gestattet sein soll. Der Regierungsentwurf erlaubt eine Ausübung der Konzernmacht zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft nur, wenn durch den Abschluß eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags die vorgesehenen Sicherungen zum Schutz der außenstehenden Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft eingreifen oder wenn Qs sich um eine in die Hauptgesellschaft eingegliederte Gesellschaft handelt, bei der keine außenstehenden Aktionäre vorhanden sind. Nur unter 'diesen Voraussetzungen darf die Konzernspitze Idas Konzerninteresse über das Interesse der einzelnen abhängigen Gesellschaft stellen. Gegen die sich daraus ergebenden Gefahren schützt der Entwurf die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft dadurch, daß das herrschende Unternehmen zur Übernahme etwaiger Verluste der abhängigen Gesellschaft verpflichtet wird.
Bei der Eingliederung ist eine echte Mithaftung des herrschenden Unternehmens vorgesehen. Die außenstehenden Aktionäre werden dadurch geschützt, daß der Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag für sie eine angemessene wiederkehrende Ausgleichszahlung Dividendengarantie — sowie das Angebot enthalten muß, den Aktionären, die ausscheiden wollen, eine angemessene Abfindung zu zahlen, deren Höhe im Streitfall das Gericht festsetzt.
Wird dagegen kein Beherschungs- oder Gewinnabführungsvertrag und auch keine Eingliederung beschlossen, so kann das Konzerninteresse nicht den Vorrang vor dem Interesse des ,abhängigen Unternehmens beanspruchen. Das Konzerninteresse darf dann nur insoweit durchgesetzt werden, als es mit dem Interesse der abhängigen Gesellschaft vereinbar ist. Sonst machen sich das herrschende Unternehmen und die Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft schadensersatzpflichtig. Die Begründung von Schadensersatzpflichten genügt jedoch noch nicht, um eine Überschreitung der begrenzten Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens 'zu verhindern. Es muß auch dafür gesorgt werden, daß die Entstehung von Ersatzansprüchen den zur Geltendmachung befugten Aktionären bekannt wird.
Der Regierungsentwurf verpflichtet deshalb den Vorstand der abhängigen Gesellschaft, jährlich einen Rechenschaftsbericht, den sogenannten Abhängigkeitsbericht, über ,die geschäftlichen Beziehungen zum herrschenden Unternehmen aufzustellen und darin zu erklären, ob die Geschäfte zwischen den Gesellschaften zu angemessenen Bedingungen getätigt worden sind. Der Bericht ist vom Aufsichtsrat und von den Abschlußprüfern zu prüfen. Über das Ergebnis des Abhängigkeitsberichts und der Prüfungen sind die Aktionäre der abhängigen Gesellschaft zu unterrichten. Ergeben sich aus den Erklärungen Anhaltspunkte dafür, daß nachteilige Geschäfte vorgekommen sind, so kann jeder Aktionär eine Sonderprüfung beantragen und sich auf diese Weise die Unterlagen für eine Schadenersatzklage gegen den Vorstand seiner Gesellschaft und gegen das herrschende Unternehmen verschaffen.
Während sich die Meinungen über die bisher von mir hervorgehobenen Punkte im Laufe der öffentDiskussion wesentlich angenähert haben, gehen die Ansichten über die sogenannte Mitteilungspflicht nach wie vor wesentlich auseinander. Es handelt sich dabei um die Vorschrift, daß künftig Aktiengesellschaften ihre Beteiligung an anderen Kapitalgesellschaften, andere Kapitalgesellschaften ihre Beteiligung an einer Aktiengesellschaft dem Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, mitteilen müssen, wenn die Beteiligung ein Viertel des Grundkapitals übersteigt oder zu einer Mehrheitsbeteiligung geworden ist. Die Bundesregierung hat bereits in der von mir mehrfach erwähnten Antwort auf die Große Anfrage betreffend Wirtschaftskonzentration erklärt, daß sie diese Mitteilungspflicht für erforderlich hält, damit Aktionäre, Gläubiger und Öffentlichkeit über geplante und bestehende Konzernverbin-
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dungen besser als bisher unterrichtet werden. Der Schutz der außenstehenden Aktionäre gegen die Gefahren der Konzernbildung muß so rechtzeitig einsetzen, daß schon die Entstehung solcher Verbindungen ihnen bekannt wird.
Es ist eingewandt worden, daß dadurch die Anonymität der Aktie zum Teil beseitigt würde. Die Anonymität kann jdoch nur der beanspruchen, der Aktien erwirbt, um sein Kapital breit gestreut anzulegen. Wer dagegen einen ausschlaggebenden Einfluß ausüben will, muß hervortreten und die mit jeder Machtausübung notwendig verbundene Verantwortung übernehmen.
Die Bundesregierung halt es nach wie vor für erforderlich, daß die Aktienrechtsreform noch bis zum Ende der gegenwärtigen Wahlperiode verabschiedet wird. Sie legt besonderes Gewicht auf ein schnelles Inkrafttreten der konzernrechtlichen Vorschriften des Entwurfs, damit die Rechtsunsicherheit beseitigt wird, die zur Zeit auf diesem gesetzlich kaum geregelten Gebiet zum Schaden der Aktionäre und nicht zuletzt auch der Gesellschaften besteht. Eine möglichst baldige Verabschiedung der Aktienrechtsreform ist aber vor allem deshalb notwendig, weil sie einen wesentlichen Bestandteil der von der Bundesregierung verfolgten Politik der breiten Eigentumsstreuung bildet. Die Bemühungen der Bundesregierung, breiten Volksschichten einen Zugang zur Aktie zu verschaffen und die Aktie volkstümlicher zu machen, werden auf die Dauer gesehen nur erfolgreich sein, wenn die Rechte der Aktionäre in dem von mir dargelegten Sinne erweitert werden.
Das Wort zur Begründung der Gesetzentwürfe unter Punkt 13 b und c der Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben die Vorlage der Bundesregierung, die auf eine vollständige Neuordnung und Neufassung des Aktienrechts abzielt, legen wir zwei Vorschläge auf der Grundlage des alten Rechtes, mit dem Ziel, daran beschleunigt einige Änderungen vorzunehmen. Wir tun das nicht, weil wir gegen eine Neuordnung des gesamten Aktienrechts, gegen eine Totalreform wären, sondern weil wir gewisse Stücke für so dringlich halten, daß wir deren Erledigung nicht mit dem ungewissen Schicksal der totalen Aktienrechtsreform verknüpfen möchten.
Seit Jahren stehen die Rufe auf der Tagesordnung, daß man endlich die Publizität verbessern und der Konzentrationsbewegung in der Wirtschaft begegnen möge. Groß war die Erregung über den Mißbrauch von Mehrheitspositionen bei der Umwandlung von Gesellschaften. Über diese und andere Dinge ist geredet worden, geschrieben worden, man hat proklamiert usw. Wir wollen durch unsere Vorlagen die Gelegenheit schaffen, daß in der restlichen Zeit, in der der 3. Bundestag noch arbeitsfähig ist, endlich etwas für die dringlichsten 1 gesetzlichen Maßnahmen getan werden kann.
Wie sind denn die Dinge gelaufen? Herr Bundesjustizminister Schäffer hat soeben daran erinnert, daß es zum Inhalt der Regierungserklärung vom Oktober 1957 gehört habe, in diesem 3. Bundestag ein neues Aktienrecht zu schaffen. Ich erlaube mir, wörtlich zu zitieren, was der Herr Bundeskanzler damals gesagt hat:
Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Klasse von Abhängigen besteht.
Es hat dann über ein Jahr gedauert, bis ein Referentenentwurf entstand. Er hat der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegen, bis im Oktober 1959 der Bundestag durch die Sprecher aller seiner Fraktionen gemahnt hat, nun endlich eine parlamentsfähige Regierungsvorlage zu schaffen. Sie ist dann endlich im Sommer 1960 unmittelbar vor der Sommerpause gekommen. Die erste Lesung sollte am 17. November sein; sie ist auf heute vertagt worden. Alle diese Verzögerungen beklagen wir.
Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, zu klären, was noch geschehen kann. Die Bundesregierung tritt für eine vollständige Neuordnung des Aktienrechts ein. Dem stimmen wir grundsätzlich zu. Auch wir wollen eine völlige Neuordnung und Neuformulierung und haben dazu auch unsere eigenen Vorschläge zu machen. Aber wir teilen die Bedenken und die Zweifel des Herrn Bundesjustizministers, ob das in diesem 3. Bundestag noch zu schaffen sein wird. Wegen dieser Zweifel und wegen der Dringlichkeit der Neuordnung gewisser Teile des Aktienrechts legen wir neben die Regierungsvorlage unsere beiden Vorschläge.
Der Vorschlag in Drucksache 2278 soll nun endlich die Publizitätsverbesserung bringen, von der so lange und so viel geredet worden ist. Verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, schlagen Sie bitte noch einmal die Düsseldorfer Leitsätze der Arbeitsgemeinschaft CDU/CSU vom Juli 1949 auf. Da steht unter der großen Überschrift „Zur Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft" auch, daß endlich „gesetzliche Maßnahmen zur Verschärfung der Publizität bei den Kapitalgesellschaften getroffen werden" müßten. So alt ist also dieses Thema! Sie konnten beispielsweise Ende November im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Appell an uns alle in diesem 3. Bundestag lesen, es möge nun endlich zu einer Besserung der Publizitätsvorschriften kommen, gerade angesichts der kürzlichen Vorgänge bei zwei großen Gesellschaften in der Bundesrepublik.
Darauf will jetzt unsere Vorlage hinzielen. Um die Arbeit zu erleichtern, haben wir inhaltlich weitgehend den Wortlaut der Regierungsvorlage übernommen. Auch wir wollen dazu beitragen, daß die Konzernbilanz baldigst ins Spiel kommt. Auch wir wollen, daß die erweiterte Berichtspflicht des Vorstandes an den Aufsichtsrat geschaffen wird. Auch wir wollen, daß Geschäftsberichte die Ausweitung
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A Dr. Dr. Heinemann
erfahren, die die Regierungsvorlage vorsieht. Nur in einigen Stücken wollen wir sogar noch darüber hinausgehen. Wir schlagen vor, daß auch die personellen Verflechtungen unter den verschiedenen Unternehmen im Geschäftsbericht deutlich gemacht werden sollen. Wir schlagen vor, daß auch die Beteiligung an Kartellabreden im Geschäftsbericht genannt werden soll. Bezüglich der Bilanzgliederung und der Bewertungsvorschriften machen wir uns den Text der Regierungsvorlage zunutze.
Wir gehen sogar so weit mit, Herr Bundesjustizminister, daß wir das, was Sie bezüglich der Bewertungen, der stillen Reserven, der Willkürrücklagen und Rückstellungen vorschlagen, in unserer Vorlage zunächst jedenfalls einmal akzeptieren, obwohl uns allen bekannt ist, welch ein riesiger Mißbrauch mit der Bewertungsfreiheit nach unten getrieben worden ist. Es hat sicherlich nicht von ungefähr ein Sachverständiger wie der Steuerrechtler Professor Bühler einmal gesagt, daß zwei Drittel aller Gewinne der Aktiengesellschaften überhaupt nicht öffentlich ausgewiesen werden. Angesichts der Mißbräuche fordern auch wir, daß nun endlich in bezug auf Bewertungen eine Grenze nach unten gezogen wird. Aus der völligen Bewertungsfreiheit nach unten jetzt radikal in ein totales Verbot freier Bewertungen nach unten überzuschwenken, ist nicht in unserem Sinne. Wir sind bereit, Herr Bundesjustizminister, auf der mittleren Linie Ihres Vorschlages mitzugehen, wenngleich wir hierzu sagen, daß wir skeptisch sind, ob die Wirtschaft diese von Ihnen als mittlere Linie einer Begrenzung nach unten gebrachten Formulierungen überhaupt ernstlich zur Kenntnis nehmen und respektieren wird. Aber wir wollen der Wirtschaft die Chance geben, daß sie diese Willkürrückstellungen und Bewertungen nach unten abbremst, also sich tatsächlich auf den Boden Ihrer Vorschläge begibt.
In unserer Vorlage Drucksache 2278 wünschen wir, daß diese Publizitätsvorschriften sofort auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ausgedehnt werden, und zwar insoweit, als in dieser Rechtsform größere Unternehmen betrieben werden. Die Abgrenzungen wollen Sie bitte aus unserer Vorlage entnehmen. Wir wollen damit erreichen, daß die Fluchtbewegung aus der Rechtsform der Aktiengesellschaft in die Rechtsform der GmbH aufhört, indem wir beide Rechtsformen unter die gleichen Publizitätsvorschriften gebracht wissen wollen.
Zu der Vorlage Drucksache 2279 nur ein kurzes Wort. Ich sprach davon, daß das Umwandlungsgesetz zu argen Mißbräuchen benutzt worden ist. Wir schlagen vor, es aufzuheben. Wir schlagen vor, in das geltende Aktienrecht einige Änderungen der Art hineinzubringen, daß die Sperrminorität gegenüber gewissen Umwandlungsbeschlüssen oder Konzentrationsbeschlüssen von 25 % auf 10 % herabgesetzt wird oder, anders ausgedrückt, daß derartige Beschlüsse nicht mehr schon mit einer Dreiviertelmehrheit gefaßt werden können, sondern erst mit einer Neunzehntelmehrheit; eben aus den Erfahrungen, die bei der Umwandelei gemacht worden sind, und mit dem Ziel, die Konzentrierungen abzubremsen.
Verehrte Damen und Herren, politisch, wirtschaftspolitisch gehört noch ein Stück hier hinzu. Wir haben eine Gesetzesvorlage eingebracht, die heute nicht zur Diskussion stehen wird — ich will sie nur nennen —, die darauf abzielt, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ebenfalls in einem wichtigen Stück zu novellieren. Wir fordern, den § 23 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dahin abzuwandeln, daß der Zusammenschluß zu marktbeherrschenden Unternehmen nicht mehr lediglich nachträglich einem Kartellamt zur Kenntnis zu bringen ist, sondern im voraus seiner Genehmigung unterstellt wird. Wir weisen nur auf den Jahresbericht des Kartellamts für das Jahr 1958 hin, in dem es ausgesprochen hat, daß seine Mittel gegenüber diesen Entwicklungen einfach nicht ausreichend seien. Das gehört also mit in das Kapitel dringlicher Änderungen von bestehenden Gesetzen, um noch aus diesem 3. Bundestag wenigstens etwas von der Erfüllung all ,der großen Worte und all der Versprechungen zu hinterlassen, die da eh und je und immer gemacht worden sind.
Ein letztes Wort noch zur Federführung. Alle Welt hat mit einigem Interesse den Streit in der CDU/ CSU-Fraktion darüber verfolgt, ob der Rechtsausschuß oder der Wirtschaftsausschuß federführend sein soll für das neue Aktienrecht und eventuell für die Novellen zu ,dem alten Recht, die wir vorschlagen. Ja, meine Damen und Herren, was sind die letzten Geheimnisse des Streites innerhalb Ihrer Fraktion? Will man ernstlich ein neues Aktienrecht jetzt in diesem Bundestag schaffen, oder geht es nur darum, noch schnell im letzten Augenblick so einen gewissen Nachweis, einen papierenen, dafür auf den Tisch zu legen, daß man sich an jene Regierungserklärung vom Oktober 1957 erinnert?
Das ist Ihre Sache. Unsere grundsätzliche Meinung, ist die, daß die völlige Neuordnung des Aktienrechts in den Rechtsausschuß gehört, weil es sich um ein Gesetz von fundamentalem wirtschaftsverfassungsrechtlichem Charakter handelt. Würde es dahin überwiesen, so würde wahrscheinlich eben dieser Rechtsausschuß nicht mehr in der Lage sein, die Beratung noch zu bewältigen. Vielleicht werden Sie also vorschlagen, den Gesetzentwurf an den Wirtschaftsausschuß zu bringen. Wir werden das mitmachen, damit nur ja nicht der Vorwurf, Verzögerungen hineingebracht zu haben, uns angelastet wird. Sie haben nun den Beweis zu erbringen, daß Sie wirklich noch etwas tun wollen. Deshalb mögen Sie sagen, welche Ausschüsse federführend und mitberatend sein sollen.
Selbstverständlich ist wohl, daß wir auf eine gründliche Beratung Wert legen, und der werden wir uns
stellen, vor und in welchem Ausschuß auch immer.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
7644 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Bevor ich zu dem Entwurf der Regierung spreche, wenige Worte zu den Gesetzentwürfen, die Herr Kollege Dr. Heinemann soeben für die sozialdemokratische Fraktion begründet hat.
Herr Kollege Heinemann, Sie haben die Verzögerung in dieser Materie beklagt. Ich meine, der beste Beweis dafür, wie schwierig die Fragen sind, um die es geht, ergibt sich doch auch daraus, daß Sie bei Ihrem Gesetzentwurf weitgehend von der Regierungsvorlage abgeschrieben haben. Sie hätten es uns wenigstens dadurch erleichtern sollen, daß Sie im Druck durch Hervorhebung die wenigen Änderungen — die allerdings entscheidend und aus gewerkschaftlichen Voten übernommen worden sind — uns etwas deutlicher gemacht hätten.
Ein zweites, Herr Kollege Dr. Heinemann, das zeigt, wie schwierig diese Dinge sind; ich trage es vor, damit wir sachlich darüber diskutieren können. Vielleicht sehen Sie einmal in das Programm der schwedischen Sozialistischen Partei, die sich ja auch in diesem Jahr ein neues Programm gegeben hat. In Schweden sind die Sozialisten seit 28 Jahren an der Regierung, und in diesem Parteiprogramm wird über die Konzentration wirtschaftlicher Macht Klage geführt. Offensichtlich sind also diese Probleme auf alle Staaten in gleicher Weise verteilt, und offensichtlich wird auch der Sozialismus damit nicht so leicht fertig.
Ein drittes vorweg, Herr Kollege Dr. Heinemann! Ich bin ein wenig darüber überrascht, daß Sie nur diese Entwürfe angekündigt haben. Denn auf Ihrem Parteitag in Hannover hatten Sie doch ein Papier vorliegen, in dem es wörtlich hieß — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich daraus verlesen —:
Die Gesetzgebung, insbesondere das Aktienrecht, soll eine Abgeltung dieser Vermögensabgaben durch Anteilsrechte, Aktien usw. in den betroffenen Unternehmungen fördern.
Wir hätten eigentlich erwartet, daß diese Anträge
uns jetzt schon auf den Tisch gelegt worden wären.
— Nur hier auf den Tisch gelegt worden wären, Herr Kollege Erler!
Zu Ihrem ersten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Publizität, Herr Kollege Dr. Heinemann, möchte ich nur soviel sagen: Sie hätten fairerweise darauf hinweisen sollen, daß wir diese Fragen in der Kleinen Aktienrechtsreform doch schon sehr entscheidend vorangebracht und auch geklärt haben.
Ich möchte Ihnen zu Ihren generellen Bemerkungen folgendes sagen: Wir werden nicht bereit sein, am Aktienrecht in irgendwelchen Einzelfragen noch einmal herumzuflicken. Entweder, Herr Kollege Dr. Heinemann, wir machen die ganze Aktienreform — daran sind wir sehr interessiert, und dann können
wir Ihre Vorschläge bei den einzelnen Positionen oder Paragraphen mit erörtern —, oder wir lassen es in dieser Wahlperiode bei der Kleinen Aktienrechtsreform. Nochmals herumflicken, das wollen wir weder diesem Hause noch der Wirtschaft zumuten.
Zur Sache dieses Gesetzentwurfs haben wir uns schon in der Kleinen Aktienrechtsreform auseinandergesetzt. Wir treffen ja hier wieder manche „alte Bekannte". Wir haben damals gesagt, daß einige der Vorschläge zur Publizität, die über das hinausgehen, was wir auch für richtig gehalten haben, sich doch nur als Instrumente „öffentlicher Kontrolle", so wie sie der Sozialismus versteht, verstehenlassen. Hierzu können wir unsere grundsatzliche Zustimmung nicht in Aussicht stellen. Unsere Parole ist nicht „Mehr Kontrolle!", sondern unsere Parole ist „Mehr Eigentum!".
Nun zu dem Gesetzentwurf über den Schutz von Minderheiten in Kapitalgesellschaften. Auch das ist uns soeben erst bekanntgeworden. Ich kann also im Moment nur ganz wenig dazu sagen. Das erste ist dies: Das Umwandlungssteuergesetz, Herr Kollege Dr. Heinemann, das ja den wesentlichen Anlaß zu der öffentlichen Diskussion und zu manchen Mißbräuchen vielleicht gegeben hat, ist, wie wir alle wissen, seit dem 31. Dezember 1959 nicht mehr wirksam. Der Vorschlag, nun auch das materielle Umwandlungsrecht außer Kraft zu setzen, wie es der Art. 1 Ihres Gesetzentwurfs vorsieht, ist ein neuer Vorschlag, der grundsätzlicher und, wie ich glaube, auch sehr kritischer Überlegungen bedarf.
Denn wir unterscheiden uns ja auch im Grundsatz. Wir glauben nach wie vor, der Wirtschaft, auch der Großwirtschaft, verschiedene Unternehmensformen zur Wahl durch Gesetz anbieten zu sollen. Dazu muß es natürlich auch die Möglichkeit des Wechsels dieser Rechtsformen und der Veränderung dieser Firmen geben. Deshalb kann ich nur eine sehr kritische Prüfung durch uns in diesem Augenblick — wir haben das soeben erst bekommen — in Aussicht stellen.
Nun zu dem Art. 2 hinsichtlich des Minderheitenschutzes. Meine Damen und Herren, wir glauben, daß man das nicht nur an dieser Stelle sehen kann. Nehmen wir den ganzen Entwurf, wie ihn Herr Minister Schäffer hier vorgelegt hat. Dort finden sich viele Vorschriften über den Minderheitenschutz. Diesen Schutz wollen wir generell im Aktienrecht verbessern. Es scheint mir aber doch eine Frage zu sein, die auch Sie ernsthaft prüfen sollten, ob wir diese Dreiviertelmehrheit als ein besonders schweres Erfordernis der Qualifikation bei den Mehrheitsentscheidungen, die ja auch sonst in der Rechtsordnung eine große Rolle spielen, durch Gesetz ändern sollten, wo die Satzungen jetzt schon die Möglichkeit geben, hier den Spielraum einzuengen. Wir dürfen ja bei alien beachtenswerten Interessen des Minderheitenschutzes nicht etwa zur Funktionsunfähigkeit des Ganzen oder zum Veto oder gar zum Diktat eines Zehntels über die große Mehrheit kommen!
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7645
Dr. Barzel
Nun, meine Damen und Herren, darf ich mich dem Entwurf der Bundesregierung zuwenden. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt diese Debatte über einen Gesetzentwurf, dem wesentliche Bedeutung für unsere freiheitliche Wirtschaftsverfassung zukommt. Wir sagen grundsätzlich ja zu dem Entwurf der Regierung. Dieser Entwurf ist für uns nicht nur eine brauchbare Diskussionsgrundlage. Er ist sehr viel mehr. Er ist eine vorzügliche Arbeit, deren Details nur aus dem Guß der einen großen und in sich wohlabgewogenen Konzeption verständlich werden. Zu dieser gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeption des Entwurfs sagen wir nicht nur gern und grundsätzlich ja, sondern wir danken der Regierung und vor allem dem federführenden Minister ausdrücklich für diesen Entwurf.
Hier sind, wie wir glauben, Sachkenntnis und Kleinarbeit sowie die Vorzüge öffentlicher Diskussion, die natürlich ein wenig verzögernd wirkt, eine treffliche Verbindung mit dem Blick auf die großen Gesichtspunkte eingegangen.
Am 2. Dezember des vergangenen Jahres, Herr Kollege Dr. Heinemann, hatten wir von allen Seiten dieses Hauses die Bundesregierung ersucht, uns baldmöglichst das große Reformwerk vorzulegen. Nun ist es da, und wir haben heute die erste Lesung. Wenn wir von der Schwierigkeit der Probleme ausgehen, sollte man nicht so sehr von Verzögerung. sprechen.
Dieses Gesetzeswerk ist für uns von der CDU/CSU keine Ansammlung formalistischer Ordnungsnormen, sondern wir sehen diese Reform bewußt im Zusammenhang mit unserer Gesellschaftspolitik, die im Menschen, in der Familie und im Eigentum ihre Säulen hat. Das Aktienrecht ist für uns mehr als ein formelles Ordnungsgesetz. Es wird für uns zum Ausdruck gesellschaftspolitischer Prinzipien.
Auch wir meinen, daß die Reform des Aktienrechts nottut, allerdings nicht nur in den Punkten, die die Sozialdemokratie in die Debatte gebracht hat, sondern auch in anderen. Wir haben in der Kleinen Aktienrechtsreform schon einige wesentliche Schritte getan. Wir glauben aber nicht, daß das genügt.
Im geltenden Recht und auch nach der Kleinen Aktienrechtsreform ist, um nur zwei Mängel zu nennen, der Aktionär ein wenig zu schlecht informiert, und vor allem hat er doch auch viel zu wenig zu sagen. Man traut oftmals, wenn ich das so sagen darf, dem Aktionär zwar den Sachverstand zu, sein Geld herzugeben, nicht aber den Sachverstand für die Gewährung und Ausübung wesentlicher Mitgliedschaftsrechte.
Außerdem — und das meinen wir am Beginn dieser Reform betonen zu müssen — müssen wir sehen, daß die Aktiengesellschaft alter Art ihren Charakter doch verändert hat, verändert z. B. durch Mitbestimmung, durch Verflechtung und, wie ich meine, auch dadurch, daß der Dauerbesitz an Aktien ein Ausmaß angenommen hat, das die Aktie mehr zum Mittel der Beherrschung als der Kapitalbeschaffung
macht. Die Aktiengesellschaft mit einem breitgestreuten Aktienbesitz, die Aktiengesellschaft mit starker Fluktuation der Aktionäre ist heute die Ausnahme. Mehr als zwei Drittel des Nominalkapitals der Aktiengesellschaften sind heute wohl, wenn ich nicht irre, in Dauerbesitz.
Das alles zwingt uns zu einer großen Reform. Dabei wird sich aber, wie wir glauben, die Gesetzgebung nur sinnvoll auswirken können, wenn Wirtschafts- und Steuerpolitik dazu kommen, den Kapitalmarkt voll in Funktion zu bringen und dabei die Aktie auch wieder zum Mittel der Kapitalbeschaffung in breiter Streuung zu machen.
Auch folgenden generellen Hinweis möchte ich nicht versäumen: Wir sind in der EWG, und wir sollten nicht so tun, als ob wir es uns erlauben könnten, eine Gesetzgebung von dieser Bedeutung in die Wege zu leiten, ohne zu vergleichen, was in den Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet gilt und, wenn ich so sagen darf, in Arbeit ist.
Wir freuen uns, daß der Entwurf der Bundesregierung von der Aktie als einem privaten Eigentumstitel ausgeht. Die vielen juristischen Spitzfindigkeiten, die gerade auf diesem Gebiet — und sicher oftmals gut dotiert — ins Kraut schießen, lenken oft von diesem grundsätzlichen Ausgangspunkt im Eigentum ab. Da wird dann vom „Unternehmen an sich" gesprochen, von den Interessen der Gesellschaft, die man auch gegen die Eigentümer und die Gesellschafter wahren müsse, vom bloß vorhandenen Mitgliedsrecht, aber nicht auch vom Eigentumsrecht der Aktionäre usf. Wir glauben, daß es gut ist, daß der Entwurf der Regierung gegenüber allen diesen Theorien wieder die Aktie als privaten Eigentumstitel in den Vordergrund gerückt hat.
Wir meinen aber, daß man bei dieser Reform behutsam und sorgsam vorgehen muß; denn schon ganz wenige Zahlen machen deutlich, daß wir nicht etwa ein Gesetz im luftleeren Raum machen können. Wir müssen daran denken, wie die wirtschaftliche Auswirkung dieser Sache ist. Ende 1959 gab es nach einer Mitteilung des Statistischen Jahrbuches in der Bundesrepublik 2379 Aktiengesellschaften mit einem Grundkapital von rund 27 Milliarden DM. Hiervon befanden sich 23 Milliarden Grundkapital in nur 353 Aktiengesellschaften. Nach Mitteilung des Statistischen Jahrbuches von 1958 ergab eine frühere Zählung — ich glaube, daß das sehr interessant ist —, daß im Steinkohlenbergbau von rund 450 000 etwa 330 000 Beschäftigte in Aktiengesellschaften tätig waren, beim Braunkohlenbergbau von 43 000 rund 35 000, bei der eisenschaffenden Industrie von 335 000 rund 225 000. Sie ersehen allein aus diesen Zahlen die Bedeutung der Aktiengesellschaft. Ein Großteil des Gesamtumsatzes unserer Wirtschaft entfällt auf Unternehmen, die Aktiengesellschaften sind. Ich habe hier nur eine Zahl von 1954. Da waren es beinahe 18%. Auch ein Großteil der ganzen Produktion — im Jahre 1955 rund 64 % des Bergbaus — geht in Aktiengesellschaften vor sich.
Warum sage ich das, meine Damen, meine Herren? Die Aktiengesellschaft ist also weniger anzutreffen im Handel oder in der Landwirtschaft; sie ist
7646 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
vorwiegend eine Rechtsform unserer Grundstoffindustrie, also eines Wirtschaftszweiges, dem von der Wirtschaftstätigkeit und von der Beschäftigungslage her unser aller sorgsames Augenmerk zugewendet sein sollte. Ich meine, wenn man diese Größenordnungen sieht, dann wird man hier behutsam und — falls Sie das Wort noch hören können — ohne Experimente an die Arbeit zu gehen haben.
Natürlich müssen wir hier gleich anmerken, daß die Aktiengesellschaft, so wie wir sie gegenwärtig haben, ein Kleid ist, wie ein Wissenschaftler sagt, „hinter dem sich ganz verschiedene wirtschaftliche Tatbestände verbergen". Diese reichen etwa von öffentlichen Unternehmen bis zur privaten Einmanngesellschaft. Trotzdem haben, wie wir glauben, die Rechtsvorschriften, die die Masse dieses Kleides normieren, ihre große Bedeutung. Es wird sicher einer der Zwecke dieser Reform sein, dieses Kleid passender, konkreter, inhaltlich bestimmter und auch mißbrauchsicherer zu machen.
Meine Damen, meine Herren, wir legen aber auch Wert auf folgende Feststellung. Bei allen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, von denen her wir die einzelnen Paragraphen gestalten werden, müssen wir auch dies bedenken: Die Aktiengesellschaft ist eine der möglichen Rechtsformen von Unternehmen, die zum Zwecke des Erwerbs gegründet werden. Würde man das vergessen und diese Gesetzgebung etwa zum Tummelplatz von erwerbsfeindlichen Theorien und Ideologien machen, so würde niemand mehr diese Rechtsreform wählen. Das wäre, glaube ich, sehr schlecht und bedauerlich; denn diese Rechtsreform ist auch heute noch gut geeignet, den großen industriellen Aufgaben dieser Zeit ebenso gerecht zu werden wie Ansätzen zu der notwendigen breiteren Streuung des Eigentums. Diese „Kapitalpumpe", wie Schmalenbach sie einmal genannt hat, ist auch heute noch, wenn wir den Kapitalmarkt wieder in Ordnung bekommen, ein gutes Mittel der Wirtschaftspolitik und sicher auch eine geeignete Form der Unternehmensverfassung.
In diesem Punkt möchte ich betonen — ich tue das auch ein wenig im Hinblick auf den Antrag, den Herr Kollege Dr. Heinemann zur Ausdehnung der Publizitätsvorschriften auf die GmbH hier gestellt hat —, daß wir nach wie vor nicht dafür sind, für alle Großunternehmen ein einheitliches Unternehmensrecht mit nur einer Rechtsform einzuführen. Wir wollen daran festhalten, der Wirtschaft durch Gesetz mehrere unterschiedlich gestaltete Rechts-und Organisationsformen für die Unternehmen anzubieten. Hierbei müssen wir daran denken, daß die Grundsätze der Vertrags- und der Gestaltungsfreiheit es uns gar nicht erlauben, alles und jedes durch Perfektionismus bis zum letzten zu regeln.
In einer gewerkschaftlichen Stellungnahme, die uns in den dicken Akten, die hierzu inzwischen entstanden sind, vorliegt, wird gefordert, daß die Wahl der Art der Unternehmensverfassung nicht dem Eigentümer überlassen werden dürfe. Das findet grundsätzlich nicht unsere Zustimmung. Wir glauben, daß Eigentum nicht nur verpflichten sollte, sondern daß es auch berechtigen muß. Eigentum
darf nicht zu einer formalen Farce, zu einem leeren Mantel ohne Einfluß, ohne Verfügungsgewalt werden. Wenn es je dahin käme, müßten wir ja wohl einen Gesetzentwurf einbringen, um dann wenigstens ein Minimum an Mitbestimmung für die Eigentümer zu sichern.
Die Verteilung des Eigentums in unserer Gesellschaft läßt noch sehr viel zu wünschen übrig. Man sollte ,aber anerkennen, was auf diesem Gebiet geschehen ist, was geplant ist, um eine bessere Verteilung zu erreichen. Keinesfalls werden wir die Hand dazu reichen, wegen schlechter Verteilung des Eigentums dieses nun bis zur praktischen Aushöhlung, zunächst im industriellen Bereich, abzuschaffen. Wer Eigentum immer breiter streuen will, wie wir das tun und wie es auch im Programm der SPD heißt, der muß es ungeschmälert als eines der fundamentalen Ordnungselemente der Gesellschaft erhalten und pflegen. So wie wir die Familie entgegen allen Entartungen erhalten und fördern, so wollen wir es auch beim Eigentum halten.
Auch bei diesem Gesetzesvorhaben werden wir sorgfältig prüfen, ob und wie hier Ansatzpunkte gefunden werden können, um einmal die Ordnungsfunktion des Eigentums zu stärken und zum anderen seine breite Streuung unid bessere Verteilung fortschreitend zu bewirken.
Herr Professor von Nell-Breuning — inzwischen auch von ,der Sozialdemokratischen Partei ides öfteren gern zitiert — hat von den zwei Wegen gesprochen: Entweder mache man alle zu Proletariern oder alle zu Kapitalisten, und dann sei keiner mehr Kapitalist. Ich darf Ihnen sagen, daß unsere Politik dem zweiten Ziele folgt.
Herr Minister Schäffer hat in seiner Rede bereits die Grundkonzeption dieses Entwurfs umrissen. Ich kann mich daher jetzt auf einige wenige Fragen beschränken. Ich möchte nochmals betonen, ,daß wir zur Grundkonzeption ,des Entwurfs gerne ja sagen, die entsprechend unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung von dem wirtschaftlichen Eigentum der Aktionäre an dem ,auf ihren Kapitalbeiträgen beruhenden Unternehmen ,ausgeht, wie es in der Begründung heißt.
Das ist der Ausgangspunkt. Daraus folgt der Grundsatz, daß dem Aktionär weitgehend Entscheidungsrechte zukommen. Diese Entscheidungsrechte können nur zugunsten der Funktionsfähigkeit des Ganzen eingeschränkt werden. Das muß allerdings dann auch geschehen. Die Aktionäre, also die Eigentümer, begegnen sich in der Hauptversammlung. Daher muß dieses Organ, wenn man eine Gesetzgebung vom Eigentum her gestalten will, .den Einfluß erhalten, der der Eigentümerstellung der Aktionäre entspricht.
Damit die Aktionäre diese Rechte möglichst sachverständig .ausüben können, müssen sie, ebenso wie auch die künftigen Kaufinteressenten der Aktien, gut informiert sein. Darum bejahen wir grundsätzlich — wie schon bei der kleinen Aktienrechtsreform — die verstärkte Publizität, grundsätzlich ,die Mitteilungspflicht — § 19 —, die Vorschrift über den Geschäftsbericht — § 148 —, das Depotstimmrecht
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7647
Dr. Barzel
— § 129 — und das verbesserte Auskunftsrecht des Aktionärs — § 125 —. Auch die Vorschriften über die offenen und stillen Rücklagen — Sie, Herr Minister Schäffer, haben sie {dankenswerterweise besonders betont — finden aus der Gesamtkonzeption des Entwurfs grundsätzlich unsere Zustimmung. Wir werden allerdings alles noch einmal prüfen müssen, insbesondere einige Details.
Wir freuen uns, daß in dem Entwurf auch Vorschriften über den verstärkten Schutz der Minderheiten zu finden sind. Herr Kollege Dr. Heinemann, wenn Sie den Schutz der Minderheiten generell wollen, dann setzen Sie sich mit uns an einen Tisch und bemühen Sie sich mit uns, die ganze Aktienrechtsreform zu verabschieden und nicht nur den von Ihnen vorgelegten Teilausschnitt!
Wir begrüßen insbesondere, daß der Entwurf die Fragen des Konzernrechts neu regelt. Ich will dazu nicht sprechen; das wird mein verehrter Kollege Deringer tun.
Die Verstärkung der Rechte der Hauptversammlung, z. B. beim Jahresabschluß, bei der Rücklagenpolitik oder auch bei der Gewinnverwendung, ist für uns ein wesentliches Element der Reform; denndiese Vorschriften setzen den Eigentümer mehr in die ihm zukommende Funktion. Wir dürfen nie vergessen, daß der Vorstand „Verwalter fremden, den Aktionären gehörenden Eigentums" ist, wie es in der Begründung des Regierungsentwurfs zutreffend heißt. Wir verstehen, daß die Vertreter der Nichteigentümer das ungern sehen und lieber eine noch stärkere Position der Verwaltung hätten. Dem können wir aber nicht folgen, wenn der Ausgangspunkt der Reform — das private Eigentum — gewahrt und betont bleiben soll.
Wir wissen aber — das möchte ich mit genauso großem Nachdruck betonen —, daß in und gegenüber Unternehmen dieser Art auch andere Interessen berechtigt geltend gemacht werden. Dem haben wir z. B. durch die Mitbestimmungsgesetze entsprochen. Wir werden auch bereit sein, bei der Beratung des § 73 Abs. 1 erneut zu prüfen, ob nicht die an sich doch wohl selbstverständliche Berücksichtigung der Belange der Allgemeinheit und der Arbeitnehmer bei der Arbeit des Vorstandes wie bisher im Gesetz ausdrücklich stipuliert bleiben sollte.
Ich möchte aber an dieser Stelle ein grundsätzliches Wort an die Adresse all derer sagen, die nur ein süffisant-mitleidiges Lächeln aufbringen, wenn wir die verbesserte Stellung des Aktionärs als einen wirtschafts- und gesellschaftspolitisch zentralen Punkt dieser Reform bezeichnen. All unser Bemühen, das hierauf gerichtet ist, sei naiv und illusionär, so wird uns gesagt, weil die Menschen, die nach unseren Vorstellungen nun auch noch. Aktionäre werden sollen, weder willens noch imstande seien, diese Rechte sachgerecht auszuüben. Herr Professor Salin hat nach einer Zeitungsmeldung diese Kritik unlängst auf eine sehr kurze, sehr harte — bei der Prägnanz seiner Ausdrücke gewohnte — Formulierung gebracht, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen
möchte. Er sagt: „Hunderttausend, eine Million Aktionäre sind ,Stimmvieh', sind eine Fassade für die faschistische Macht' der Leitungsstäbe." Dem vermag ich nicht zu folgen. Wenn Menschen, die politisch !autoritären Formen anhängen — was Herr Professor Salin mit Sicherheit nicht tut —, das sagen, so ist das erklärlich. Wie aber ist es eigentlich mit den Demokraten, die so sprechen, ja, wie mit denen, deren Programmatik von Wirtschaftsdemokratie nur so trieft? Nein, meine Damen und Herren, wer dem Menschen generell das gleiche Wahlrecht gibt, der muß auch hier seinen Glauben an den Menschen, seine Einsicht, seine Sachkunde und seine Verantwortungsbereitschaft beweisen. Oder haben etwa die Erfahrungen mit Belegschafts- und Volksaktien, mit Investment-Zertifikaten Anlaß zu diesem Pessimismus gegeben? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, daß diese Erfahrungen ermutigend sind.
Entgegen all diesem Demokratiepessimismus und entgegen einer gewissen menschenverachtenden Überheblichkeit gegenüber den Neu- und Nochnicht-Aktionären werden wir fortfahren, neue Schichten auch für die Aktie — nicht allein für die Aktie — zu interessieren und den Aktionären eine gute, eine bessere, eine einflußreichere Stellung zu geben.
Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle ein Wort des Herrn Staatssekretärs des Bundesjustizministeriums zitieren, dem ich voll zustimmen möchte. Er hat in einem Vortrag unlängst hierzu gesagt — wenn ich es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf —:
Die Entscheidung des Aktionärs darüber, ob er dem Unternehmen Gewinn belassen will, ist um nichts mehr unternehmerisch als seine ursprüngliche Entscheidung, sein Kapital in das Unternehmen hineinzugeben. Wenn er Verstand genug hatte, eine Aktie zu kaufen, muß ihm auch der Verstand zugebilligt werden, über die Verwendung des Ertrags seiner Aktie zu entscheiden.
So weit dieses vorzügliche Zitat!
Natürlich wissen wir — ich betonte es bereits —, daß die Aktiengesellschaft ein Erwerbsunternehmen ist. Von da her ergeben sich natürlich Notwendigkeiten der Beschränkung der Mitgliedschaftsrechte der Eigentümer. Diesen Zweck des Erwerbs wird die Aktiengesellschaft nur erreichen, wenn die Verwaltung der Aktiengesellschaft genügend Vollmachten hat, um schnell handeln zu können. Aber alle diese Handlungen sollen eben der Kontrolle und dem angemessenen Mitspracherecht der Gesellschaft unterliegen. Die Verstärkung der Rechte des Aktionärs hat ihren Platz im grundsätzlichen Bereich; sie darf aber niemals die Handlungsfähigkeit der Verwaltung etwa zum Erliegen bringen. Diese soll vielmehr, recht verstanden, gefördert werden durch bessere Information und daraus sich ergebendes stärkeres Vertrauensverhältnis.
7648 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
Zu den Grundüberzeugungen unserer Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren, gehört der Gedanke der Partnerschaft. Dieses Denken — jenseits des Klassenkampfes wie jenseits des Herr-imHause-Standpunktes — war und ist einer der Antriebskräfte unseres Wiederaufbaus. Das muß so bleiben, das wollen wir erhalten.
In der betrieblichen Mitbestimmung haben wir einen Anwendungsfall dieses Denkens. Auch unter diesen Aspekten werden wir den Gesetzentwurf sorgfältig überprüfen. Zahlreiche Streit- und Zweifelsfragen, die in der Praxis auf Grund der Mitbestimmungsgesetze entstanden sind, werden im Entwurf geklärt. Dadurch tritt eine größere Rechtssicherheit, also eine Verfestigung der Mitbestimmung ein.
Wir müssen aber auch, meine Damen und Herren, — und ich will es ganz kurz tun — noch diesen Merkposten für unsere Diskussion, für den Fortgang der Beratung festhalten: Wir haben durch Gesetz betriebliche Mitbestimmung normiert, die nicht aus dem Miteigentum, sondern aus partnerschaftlichem Denken erwächst. Es war und bleibt unser Ziel, auch diese Mitbestimmung eines Tages aus dem Miteigentum der Arbeitnehmer herzuleiten. Was aber — ich kann hier nur die Frage stellen —, wenn in absehbarer Zeit durch unsere Politik der breiten Streuung des Eigentums auch an den Produktionsmitteln sich Vertreter der Mitbestimmung ohne Miteigentum mit den Vertretern der Belegschaft treffen, die dort auf Grund Miteigentums auftreten, ja sich vielleicht zusammentun? Ich kann hier nur diese Frage stellen. Ich weiß selber noch keine Antwort. Aber es ist ein Problem, dem wir ganz sicher unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Wir müssen unsere Mitbestimmungspolitik zusammen sehen und ordnen mit der Miteigentumspolitik.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Belegschaftsaktie, zu der wir ja schon beim VW-Gesetz und auch bei der Kleinen Aktienrechtsreform ja gesagt haben. Wir begrüßen, daß der Regierungsentwurf diese Möglichkeiten eröffnet, auch die Möglichkeit unentgeltlicher Hergabe. Wir werden prüfen, ob und wie diese Möglichkeiten noch verbessert werden können. Die Bedeutung dieser Fragen auch für den Arbeitsmarkt wie für den Mittelstand ist uns bekannt; wir werden sie berücksichtigen.
Es wird dann auch in anderen Gesetzen, vor allem im Steuerrecht, aber auch im Gesetz über Ergebnisbeteiligung, geprüft werden müssen, wie wir weitere Anreize schaffen können, damit die Gesellschaften von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch machen, und, ich füge ausdrücklich hinzu: mehr Gebrauch machen, als sie es bisher getan haben.
Bei der Diskussion dieser Grundsätze und nur
darum handelt es sich in der ersten Lesung — möchten wir aber nicht nur über die gesellschafts-
und die wirtschaftspolitischen Aspekte sprechen, sondern auch ein kurzes Wort zur verfassungspolitischen Seite der Sache sagen. Ich denke dabei nicht nur an die Gewerbe- und Vereinigungsfreiheit, sondern auch den Artikel 14 des Grundgesetzes, der das Eigentum gewährleistet, Inhalt
und Schranken des Eigentums de Bestimmung durch Gesetz zuordnet, aber zugleich die Pflichten und die Sozialnatur des Eigentums betont. Meine Damen, meine Herren, nicht von einem willkürlich angenommenen Eigentumsbegriff, sondern von diesem Eigentumsbegriff des Grundgesetzes her ergibt sich der Maßstab für viele Paragraphen dieser Reform.
Ich möchte auch nicht versäumen, jetzt schon auf den Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes im Zusammenhang hinzuweisen. Nach dieser Vorschrift gelten die Grundrechte grundsätzlich auch für juristische Personen. Mir scheint, daß man diesen Gedanken von der Peripherie der Diskussion ins Zentrum rücken sollte. Denn durch diese Grundrechtsnorm gewinnen doch, wie ich meine, die Grundsätze von Treu und Glauben, von den guten Sitten, von Achtung des anderen und der Minderheit auch im Wirtschaftsleben einen noch stärkeren Rechtsgehalt. Diese Vorschrift enthält doch, wenn man ,sie recht interpretiert, auch eine Schranke des Rechts gegen positivistischen und formalistischer Mißbrauch einzelner Paragraphen, wie wir ihn gerade auf diesem Gebiet in der Vergangenheit doch leider haben erleben müssen.
Aber bei alledem wollen wir nicht vergessen: Die Aktiengesellschaft ist ein wichtiges, aber auch ein empfindliches Instrument des Wirtschaftslebens. Hüten wir uns vor einem Korsett des Perfektionismus und auch vor wesensfremden Auflagen.
Meine Damen, meine Herren! Wir, die Fraktion der CDU/CSU, sind sehr interessiert, diesen Gesetzentwurf bald zur Verabschiedung zu bringen. Wir sind gespannt auf die grundsätzlichen Ausführungen der Opposition hierzu. Denn auch die Sozialdemokraten haben ja inzwischen die Aktie im Zusammenhang mit ihrem Plan von Vermögensabgabe und „Nationalstiftung" entdeckt. Da dieser Plan nach dem geltenden Recht nicht durchführbar ist, nehme ich an, daß die Opposition uns jetzt hierzu einige Anträge ankündigen wird. Wenn dieser Plan ernst gemeint ist — und ich glaube, daß er, obwohl wir so kurz vor der Wahl stehen, ernst gemeint ist —, dann müßte doch die Opposition die Gelegenheit dieser Gesetzgebung beim Schopf packen, um ihre Vorstellungen zu entwickeln; dann müßte die SPD doch an einer schnellen Verabschiedung dieser Gesetzgebung mitzuwirken bereit sein.
Ich will an einigen Beispielen deutlich machen, was ich meine.
Das erste ist dieses. Nach den Mitteilungen in
der Presse sieht der sogenannte Deist-Plan, den der SPD-Parteitag verabschiedet haben soll,
vor, von den Großvermögen, insbesondere den Aktiengesellschaften, 20 % als Zwangsabgabe in eine „Nationalstiftung" abzuführen. Das solle möglichst in Aktien geschehen. Sie wissen. Herr Kollege Dr. Deist, daß das geltende Recht das verbietet. Darum erwarte ich hierzu die Ankündigung eines Antrages.
In der Kleinen Aktienrechtsreform haben wir doch den § 65 des Aktiengesetzes neu gefaßt, der
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bunn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7649
Dr. Barzel
den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft regelt. Nach diesem neu gefaßten § 65 ist der Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft grundsätzlich verboten; nur in den drei im Gesetz selbst genannten Fällen sind Ausnahmen zulässig. In keinem Falle aber darf die Gesellschaft mehr als 10 % des eigenen Grundkapitals besitzen. Nach Ihrer Auffassung soll sie aber — wenn wir die Presse und Ihre Pläne richtig verstehen 20 % abführen, obwohl sie das nicht darf. Das geltende Recht erlaubt also nicht, Herr Kollege Dr. Deist, was Ihr Plan vorsieht. Es müßte geändert werden, und Sie werden uns sicher hierzu einen Antrag ankündigen.
Unterstellt, man änderte das, — wie will dann eigentlich die Gesellschaft eigene Aktien erwerben, um dieser Zwangsabgabe zugunsten der „Nationalstiftung" entsprechen zu können? Womit soll sie das bezahlen? Würden dann nicht entweder Kursexzesse an der Börse passieren, die alles in den Schatten stellen, was wir bisher erlebt haben, oder eine völlige Unergiebigkeit der Börse?
Auch bin ich gespannt, Herr Kollege Dr. Deist — ich weiß nicht, wer von Ihnen dazu sprechen wird —, wie Sie diese ganze Aktion mit den Grundsätzen der Privatwirtschaft und mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes in Einklang bringen wollen.
Ich will noch einen zweiten Punkt dieser SPD-Planung hier zur Sprache bringen, weil er zu dieser Gesetzgebung gehört. Ich will die Debatte nicht ausweiten, sondern nur die Punkte nennen, die hierhergehören. Das Stimmrecht der „Nationalstiftung", die aus diesen Zwangsabgaben errichtet werden soll, soll, wie wir hören, auf 5 % beschränkt sein. Sicher werden wir deshalb auch hierzu gleich einen Antrag von Ihnen hören. Ich möchte hierzu auf folgendes hinweisen, und ich glaube, daß das nicht ohne Bedeutung ist. Nehmen wir eine Aktiengesellschaft, die Kohle oder Stahl erzeugt und die unter die erweiterte Mitbestimmung nach dem Gesetz vom Mai 1951 fällt. Diese Gesellschaft hat dann im Vorstand einen Arbeitsdirektor, und im Aufsichtsrat sitzen sich die Vertreter der Eigentümer und der Arbeitnehmer paritätisch gegenüber. Kommen nun zu den 50 % auf Grund des Mitbestimmungsrechts noch die „nur" 5% des Stimmrechts der Nationalstiftung hinzu, so haben — nach Durchführung Ihres Plans die Eigentümer nichts mehr zu sagen.
Dann regiert, vom Eigentum her gesehen, Herr Kollege Dr. Deist, eine kleine Minderheit. 50 0/o plus 5 % macht mehr als die absolute Minderheit. Das ist zwar genial, Herr Kollege Dr. Deist, aber für mein Gefühl ist das Sozialisierung, ist das auch Enteignung.
Sie lassen dem Eigentümer — wie Sie es auch in
den übrigen Formulierungen Ihres Grundsatzprogramms tun — zwar das formale Recht, Sie nehmen ihm aber die reale Verfügungsgewalt. Und diese reale Verfügungsgewalt gehört für uns essentiell
mit zum Privateigentum. Wir werden deshalb auch unter diesem Aspekt Ihren Plan sehr genau auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin überprüfen.
Und nun noch zu einem dritten und letzten Punkt, Herr Kollege Dr. Deist, der mit dieser Gesetzgebung und mit Ihren Plänen zusammenhängt! Die sogenannte „Volksaktie" des SPD-Plans soll, wie man hört wenn es falsch ist, berichtigen Sie mich bitte —, keinerlei Mitgliedschaftsrechte gewähren. Also erwarten wir hierzu einen Antrag auf Schaffung einer Aktie minderen Rechts, einer Aktie, die zwar zum Zahlen, nicht aber zum Mitreden ermächtigt. Oder meinen Sie in Wirklichkeit ein Investment-Zertifikat? Dann, Herr Kollege Dr. Deist, sollten Sie es so nennen. Sonst entsteht beim Publikum der Verdacht der Unredlichkeit und der Verwirrung.
Ihre Politik, unsere Worte zu übernehmen, sie aber dann mit anderem Inhalt zu versehen, wirkt — verzeihen Sie — auf die Dauer doch ein wenig peinlich.
Der Grundsatz der Firmenwahrheit und der Firmenklarheit sollte doch auch Politik und Programme der Parteien auszeichnen.
Vielleicht darf ich hier etwas anführen, was mir beim kritischen Prüfen ,dieser SPD-Pläne in die Erinnerung kam, und vielleicht, Herr Kollege Dr. Deist, lesen Sie das einmal in den Memoiren des früheren Reichskanzlers Fürst von Bülow nach. Dieser hat uns eine nette Anekdote übermittelt, die, glaube ich, hierher paßt.
Er berichtet dort — lassen Sie mich das einmal erzählen —, daß sich der Kaiser, der immer eine Vorliebe für Schiffe gehabt habe, für einen großartigen Schiffsbauer gehalten habe. Er habe deshalb eine Konstruktion für ein Kriegsschiff entworfen und sie an den damals ersten Schiffsbauer, einen italienischen Admiral, geschickt. Dieser soll der Majestät geantwortet haben: Majestät, ich bewundere diesen Plan; es ist das beste, ,das kräftigste, das schönste, das schnellste, das sicherste Schiff, dessen Plan ich je habe sehen dürfen; es hat nur einen Nachteil: es ist nicht seetüchtig und wird schon beim Stapellauf kentern. Ich glaube, Ihre Eigentumsvorstellungen, Herr Kollege Dr. Deist, werden ein ähnliches Schicksal haben.
— Vielleicht, Herr Kollege Kurlbaum, nehmen Sie die Bemerkungen Ihres Kollegen Seuffert über die inflationären Gefahren dieser Politik ernster als das, was ich sage.
— Herr Kollege Kurlbaum, ich habe hier — —
7650 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
— Herr Kollege Erler, dieser Zwischenruf ist etwas unter Ihrem Niveau.
— Herr Kollege Erler, vielleicht erlauben Sie mir, da Sie diese Bemerkung gemacht haben, daß ich Ihnen — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich es tun — einige Sätze laus dem unkorrigierten Protokoll, das gedruckt vorliegt, über den zweiten Tag des SPD-Parteitages vorlese, wo der Kollege Dr. Deist über diese Pläne ,gesprochen und folgendes gesagt hat:
Wir sollten auch nicht übersehen, daß ein solcher Vorschlag vielleicht auch andere Menschen ansprechen soll, die wir über eine Wahl mitberücksichtigen müssen. .. Wenn man der Meinung ist, wir brauchten nichts zu bieten, was ,der privaten Vermögensbildung dient, schön, dann gehen wir eben in diesen Wahlkampf ohne ein solches Projekt. . . Wir haben uns noch nicht recht daran gewöhnt, die Methoden der Meinungsforschung und Meinungsmanipulation und damit auch Meinungsverfälschung in einem richtigen Ausmaß anzuwenden. . .
diejenigen, die diese Dinge untersuchen, waren der Meinung, daß jedenfalls propagandistisch
— Herr Kollege Erler! —
diese Bezeichnung nicht falsch sei. Es gibt — ich zitiere den Kollegen Dr. Deist —
bei uns ein Übermaß an Redlichkeit und Perfektionismus. . . Natürlich ist ,das nicht eine Aktie alten Stils, sondern das ist das, was die Finanztechnik ein Zertifikat nennt. . .
Aber das Zertifikat ist nun wirklich kein Begriff, mit dem man irgend jemand hinter dem Ofen hervorlocken kann.
Auf Grund dieses Zitats werden Sie mir wohl meinen zarten Hinweis auf die Firmenwahrheit und Firmenklarheit in diesem Zusammenhang erlauben.
Meine Damen, meine Herren, die Fraktion der CDU/CSU wird im Fortgang der Beratung auch prüfen, ob in dieses Gesetz besondere Vorschriften über die Volksaktie aufgenommen werden sollten. Das Wort „Volksaktie" ist ja nun inzwischen Musik in den Ohren des ganzen Hauses, wie bei uns schon lange so nun auch auf der linken Seite. Ich möchte aber auch hierzu, damit wir das gleich klar haben, in Erinnerung rufen, wie wir im März über die Volkswagenaktie hier 'debattiert haben. Damals, Herr Kollege Dr. Deist — Sie eilinnern sich sicher —, habe ich Sie an dieser Stelle gefragt, wie Sie dieses generelle unid apodiktische Nein zur !sozialen Privatisierung durch !die Volksaktie im Hinblick auf
das SPD-Programm begründen wollen. Sie haben das dann ausweislich des Protokolls getan. Sie haben viele Passagen aus diesem Programm verlesen und dann erneut ein hartes Nein aus den Prinzipien dieses Programms herzuleiten versucht. Ich habe dann in der Debatte von dieser Stelle aus mit der Zustimmung der Kollegen Deist und Erler festgestellt, daß die Politik der Sozialen Privatisierung und der Volksaktie nicht zum Eigentumsprogramm der Sozialdemokraten gehöre.
Dann, Herr Kollege Dr. Deist, kam das Gesetz aus dem Vermittlungsausschuß. Unsere erstaunten Augen sahen, daß ein großer Teil Ihrer Fraktion dem Gesetz zustimmte, also ja sagte, obwohl doch von dieser Stelle aus das Nein durch den Kollegen Dr. Deist als nach den Prinzipien dieses Programms allein möglich dargestellt worden ist. Herr Kollege Dr. Deist, nun wollen Sie auf Grund derselben Prinzipien desselben Programms SPD-Volksaktien? Erst das Nein, jetzt das Ja, — was ist nun Ihr Prinzip, was ist Ihre Politik: ja oder nein zur Volksaktie? Oder wollen Sie vielleicht beides? Schlauheit ist gut; als alleiniges Prinzip — und diesen Eindruck erweckt Ihre Politik — ist sie aber weder politisch noch moralisch auf die Dauer erträglich.
Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit ist interfraktionell vereinbart worden, daß die Debatte zu diesem Punkt abgebrochen und um 15 Uhr fortgesetzt wird. Wir wollen jedoch bis zur Mittagspause noch einige Punkte der Tagesordnung erledigen.
Ich rufe auf Punkt 6:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrag vom 11. Mai 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kolumbien über den gegenseitigen Schutz von Werken der Wissenschaft, Literatur und Kunst ;
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 2259),
.
Es liegt ein Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, Drucksache 2259, vor, für den ich dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Deringer, danke.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Das 'Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Angenommen.
Dritte Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7651
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen ;
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 2260)
.
Ich danke wiederum dem Herrn Abgeordneten Deringer für den Schriftlichen Bericht.
Ich komme zur zweiten Beratung und rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die weitere Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt ;
Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 2243)
.
Das Wort als Berichterstatterin hat die Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt. Sie ist offenbar nicht im Saal. Verzichtet das Haus auf die mündliche Berichterstattung? — Das ist der Fall.
Dann komme ich zu den Einzelbestimmungen und rufe auf § 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht? — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —
Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren fort mit Punkt 13 der Tagesordnung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich mich der Erörterung der Regierungsvorlage zum Aktienrecht zuwende, gestatten Sie mir bitte einige Worte der Erwiderung an Herrn Kollegen B a r z e 1. Herr Barzel, wir sind nicht gewillt, aus der Erörterung der Regierungsvorlage jetzt eine Wahlkampfdiskussion über „Volksaktie so oder so" zu machen.
Ihre Ausführungen erwecken den Eindruck einer hochgradigen Nervosität angesichts dessen, was die SPD vorgeschlagen hat.
Anders ist nämlich, Herr Dr. Barzel, das Durcheinander nicht gut erklärlich, das Sie heute vormittag bei diesem Thema hier angestellt haben.
Zur Klarstellung folgendes: Sie nennen Volksaktie, was in Wahrheit Preußag-Aktie oder Volkswagenwerk-Aktie ist, jedenfalls eine Aktie, die des Ausgleichs einer Teilhabe an verschiedenen Unternehmungen entbehrt, vielmehr den Eigentümer mit all den Risiken belastet, die mit einer Beteiligung an einem einzelnen Werk naturgemäß verbunden sind. Wir nennen demgegenüber Volksaktie die mittelbare Beteiligung an einer Vielzahl von Unternehmungen. Wir nennen Volksaktie etwas, was in sich den Risikoausgleich durch die Beteiligung an verschiedenen Unternehmungen einschließt.
Ein Zweites. Sie schaffen sogenannte Volksaktien aus dem Ausverkauf von Bundesvermögen.
Dieser Verkauf wird in dem Augenblick zu Ende
sein, in dem das Schaufenster des Herrn Schatzministers Wilhelmi leer ist. Wir schließen demge-
7652 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Dr. Heinemann
genüber für die Eigentumsstreuung eine permanente Abgabe aus dem Vermögenszuwachs der Großwirtschaft und aus der Erbschaftsteuer auf Großvermögen auf. Dadurch zielen wir auf eine dauernde Möglichkeit der Eigentumsstreuung.
Ein Drittes. Sie berauben den Bund dadurch, daß Sie seine Beteiligungen an großen Gesellschaften verkaufen, wichtiger Steuerungsinstrumente, und zwar gerade in solchen Bereichen der Wirtschaft, welche ohnehin eine monopolistische Tendenz haben und in denen infolgedessen gerade durch ein bundeseigenes Unternehmen der Wettbewerb gefördert werden könnte. Wir wollen dem Bund diese Steuerungsinstrumente erhalten wissen. Darum haben wir nein gesagt zu Ihren Plänen in bezug auf Volksaktien, darum haben wir unsere anderen Vorschläge gemacht.
Herr Dr. Barzel, über die Auswirkungen unserer Vorschläge auf den Inhalt des regulären Aktiengesetzes werden wir uns gern zu gegebener Zeit mit Ihnen unterhalten. Zuerst mögen jetzt einmal die Wähler darüber entscheiden, welche Sorte von Volksaktie sie denn bevorzugen.
— Ich freue mich, daß wir wenigstens in diesem Punkt einig sind.
— Ich möchte Ihnen, Herr Dr. Barzel, zwei Empfehlungen mit auf den Weg geben. Erstens: Übertreiben Sie bitte nicht die Verwirrung, die Sie mit Ihrer Gegenüberstellung „Volksaktie so oder so" heute morgen hier angerichtet haben. Sie haben nämlich u. a. auch gesagt, daß die 5 % Stimmrecht, die wir der sogenannten Nationalstiftung zugedenken, zusätzlich zu der Mitbestimmung die Eigentümer einer Aktiengesellschaft in die Minderheit versetzen würden. Ich weiß nicht, ob ich in dieser Ihrer Ausführung die Ankündigung eines Antrags erkennen soll, mit dem Sie die Mitbestimmung bis in die Hauptversammlung der Aktiengesellschaften ausdehnen wollen; denn nur dann machen die 5 % Stimmrecht einer Nationalstiftung überhaupt etwas aus.
Eine zweite Empfehlung, — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Herr Kollege Dr. Heinemann, ist nicht der Vorschlag in Ihren Akten, daß künftig der Aufsichtsrat aus der Hauptversammlung nach dem D´Hondtschen System gewählt werden soll, was doch die Wirkungen hat, von denen ich sprach?
Das hat nur dann
die Wirkung, wenn diese Mitbestimmung bis in die
Hauptversammlung durchgezogen wird. Das war ja gerade meine Frage: ob Sie das vorhaben. Denn sonst können die 5% überhaupt nicht die Mehrheitsverhältnisse verändern. Im übrigen: wo steht denn eigentlich geschrieben, daß die 5 % Stimmenmacht der Nationalstiftung einseitig sich auf die Seite, sagen wir, der Arbeitnehmer schlagen müßten oder sollten?
Aber ich möchte noch eine zweite Empfehlung aussprechen. Sie haben heute morgen in einer uns alle sehr beeindruckenden Weise die Protokolle des Parteitages der SPD zitiert. Wer hat sie Ihnen zur Verfügung gestellt? Das hat die SPD dadurch getan, daß sie in aller Offenheit diese Dinge in Arbeitskreisen und in dem Plenum eines Parteitages diskutiert hat. Unsere Bitte und meine Empfehlung geht dahin, daß Sie es auf Ihren Parteitagen ähnlich halten mögen.
— Ja, Herr Pelster, ich kriege von Ihren Parteitagen — wie auch in der Vergangenheit — gedruckte Berichte Wochen später; ich habe einen hier und werde nachher noch einiges daraus zitieren. Bei uns haben Sie sie postwendend am anderen Tag, einschließlich der Diskussion in den Arbeitskreisen. Aber ich sage noch einmal: wir wollen uns gar nicht von Ihnen verlocken oder verleiten lassen, hier jetzt eine Wahlkampfdiskussion über Dinge zu führen, die mit der Regierungsvorlage keineswegs schon zur Entscheidung stehen.
Ich möchte jetzt zur Regierungsvorlage folgendes sagen. Auch die sozialdemokratische Fraktion anerkennt, daß die Regierungsvorlage, rein aktienrechtlich gesehen, eine gute Vorlage ist.
— Wollen Sie noch einmal zu dem anderen Thema zurückkehren? — Bitte!
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Burgbacher.
Ich hatte mich schon gemeldet, ehe Sie das andere Thema begonnen hatten. Erlauben Sie mir zwei kurze Fragen.
Erstens. Hat es schon einmal ein Beispiel in der Geschichte der zivilisierten Welt dafür gegeben, daß Steuereinnahmen als Vermögen an Bürger verkauft wurden?
Das zweite ist: sind Sie der Auffassung, daß nach herrschendem Recht das Papier, das nach dem Hannover-Plan ausgegeben werden soll, den Namen „Aktie" oder den Namen „Zertifikat" verdient?
Um mit dem letzten anzufangen, kann ich gleich wiederholen, was ich
Deutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7653
Dr. Dr. Heinemann
soeben sagte: daß unsere Volksaktie eine mittelbare Beteiligung an einer Mehrzahl oder an einer Vielzahl von Unternehmen darstellt.
Zu der zweiten Frage, ob das, was aus Steuern einkommt, vom Staat durch Verkauf nutzbar gemacht werden kann, kann ich nur sagen: Wenn Zweckbindungen im Gesetz getroffen werden, haben sie Gültigkeit. Genau so wie in anderen Fällen hier und da Zweckbindungen in Gesetze hineingeschrieben worden sind, kann es auch hier geschehen.
Aber ich möchte noch einmal sagen: ich will zurückkehren zur Regierungsvorlage, denn sie steht heute hier zur Debatte und nicht alles mögliche andere. Die SPD anerkennt, so sagte ich vorhin, daß die Regierungsvorlage in aktienrechtlicher Hinsicht eine gute Vorlage ist, was freilich nicht ausschließt, daß wir zu einigen Einzelheiten kritische Anmerkungen zu machen haben und daß wir uns auch vorbehalten, Ergänzungen vorzuschlagen. Wir vermissen aber an der Regierungsvorlage, daß sie einer Gesamtkonzeption des Unternehmensrechts entspringt. Damit meinen wir folgendes.
Wir haben sowohl in der schriftlichen Begründung der Vorlage als auch heute morgen in den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers und später von Herrn Dr. Barzel gehört, daß der Aktionär als Eigentümer des Unternehmens die entscheidende Figur für die Entwicklung aller Rechtsnormen abgebe. An dieser seiner Rechtsstellung als Eigentümer solle sich alles orientieren.
Verehrte Damen und Herren, hier setzt unsere Kritik ein. Für uns ist der Aktionär, ist sein Recht nicht die alleinige Norm, für uns ist vielmehr wichtig und steht mit im Blickfeld das Unternehmen als solches, sein jeweils sehr verschiedener Charakter, seine Bedürfnisse, die Bedürfnisse aller Beteiligten. Weil sich hinter dem Kleid, von dem Herr Barzel sprach, hinter dem Kleid der Aktiengesellschaft sehr verschiedene Inhalte verbergen können, wollen wir eine Abwandlung der Rechtsnormen je nach dem Inhalt, je nach dem Charakter des Unternehmens, dem die aktienrechtliche Form dienen soll.
Damit aber kein Zweifel sei, sage ich ausdrücklich: Wir anerkennen die Eigentumsstellung des Aktionärs hinsichtlich seiner Aktie. Es ist aber auch kein Zweifel, daß alles Eigentum der grundgesetzlichen Regelung des Art. 14 untersteht, also am Wohl der Allgemeinheit ausgerichtet sein muß. Es ist kein Zweifel, daß nur solches einer sozialen Marktwirtschaft entspricht. Indem aber die Regierungsvorlage das Aktionärsrecht absolut setzt, wird sie falsch. Wir wollen stärker hervortreten sehen, was sich jeweils hinter dem Kleid einer aktienrechtlichen Form verbirgt.
Was wir damit meinen, ist ganz einfach dieses: Es ist nicht Aktiengesellschaft gleich Aktiengesellschaft, so wenig Grundstück gleich Grundstück ist. Sosehr wir z. B. Bauland und Grünfläche als etwas Verschiedenes ansehen und behandeln, obwohl es sich immer um Grundstücke handelt, wollen wir auch z. B. eine Dortmunder Aktienbrauerei oder
auch eine Kleiderfabrik Müller-Wipperfürth rechtlich anders behandelt sehen als etwa die Deutsche Bank oder Bayer-Leverkusen. Die Gleichheit der aktienrechtlichen Rechtsform in all diesen Fällen kann nicht verdecken, daß die soziale Relevanz der Unternehmen völlig verschieden ist. Es gibt mit anderen Worten gemeinwichtige Unternehmen und andere, denen eine solche Gemeinwichtigkeit fehlt, obwohl beide Unternehmen sich der Rechtsform der Aktiengesellschaft bedienen.
Es gibt Unternehmen, um es noch einmal anders auszudrücken, die über das Objekt von Eigentumsrechten privatwirtschaftlich orientierter Aktionäre zu großen Leistungsgemeinschaften von volkswirtschaftlicher Bedeutung emporgewachsen sind, zu Leistungsgemeinschaften, an denen nicht nur die Kapitaleigner interessiert sind, sondern große Belegschaften, grolle Massen von Verbrauchern. Die Kommunen, in denen solche Unternehmungen existieren, ja, sogar der Staat können ein vitales Interesse an bestimmten Unternehmen haben. Eben deshalb sagen wir, daß die Gleichheit des aktienrechtlichen Kleides uns nicht davon ablenken kann, daß wir es mit sehr verschiedenen Tatbeständen zu tun haben.
Das Schicksal eines gemeinwichtigen Unternehmens kann nicht nur Privatsache von Eigentümern sein.
Von diesen offenkundigen Dingen
— so schrieb bereits vor 43 Jahren Walther Rathenau in einer Broschüre über „Das Aktienwesen" aus dem Jahre 1917
scheinen diejenigen Publizisten und Rechtslehrer nichts zu wissen, die das Großunternehmen mit der Elle messen, die dem Kramladen entnommen ist, und die in ihm nichts weiter sehen als die Vereinigung von Kaufleuten zu nutzbringenden Geschäften und die den privatrechtlichen Anspruch des Einzelaktionärs auf Ertrag und auf freie Verfügung als alleinige Richtlinie für Gesetz und Praxis gelten lassen.
Verehrte Damen und. Herren, diese Kritik an der falschen Richtlinie trifft genau diese Regierungsvorlage. Sie darf allerdings in diesem Fall nicht an Publizisten oder Rechtslehrer gerichtet werden, sondern sie mull an die Adresse der Bundesregierung gerichtet werden, die diese Vorlage präsentiert. Rechtslehrer sind ja längst über das hinaus, was die Vorlage bringt.
Ich darf noch einen Augenblick bei der vor 43 Jahren erschienenen Broschüre Walther Rathenaus bleiben. Daraus ist noch folgendes zu erheben:
Die Verwaltung einer Großunternehmung übertrifft an Arbeitsumfang, an Personalaufbau und an raschem Wechsel der Aufgaben die Regierung eines Kleinstaates von heute und die eines Großstaates vor 100 Jahren. . . . Die Großunternehmung ist heute überhaupt nicht mehr lediglich ein Gebilde privatrechtlicher Interessen, sie ist vielmehr sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtzahl ein nationalwirtschaftlicher, d. h. der Gesamtheit gehöriger Faktor, der zwar aus seiner Herkunft noch die privatrechtlichen Züge
7654 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1960
Dr. Dr. Heinemann
des reinen Erwerbsunternehmens trägt, während er längst und in steigendem Maße öffentlichen Interessen dienstbar geworden ist und sich dadurch ein neues Daseinsrecht geschaffen hat. Seine Fortbildung im gemeinwirtschaftlichen Sinn ist möglich; seine Rückbildung zur rein privatwirtschaftlichen Bindung ist undenkbar.
Walther Rathenau gebrauchte in dieser Broschüre von 1917 das Beispiel, daß die Aktionäre der Deutschen Bank ,angesichts der großen stillen Reserven ihres Unternehmens eines Tages auf die Idee kommen könnten, die Liquidation der Deutschen Bank zu beschließen, um sich die großen stillen Reserven nutzbar zu machen. Walther Rathenau sagte, daß in dem Augenblick, wo etwa solches passieren würde, jede Regierung gezwungen wäre, sofort mit einem Sondergesetz einzugreifen, weil einfach das Schicksal eines so überragenden Unternehmens, eines solchen Unternehmens von gemeinwirtschaftlicher Bedeutung nicht mehr allein der Verfügungsgewalt privater Aktionäre überlassen werden könne.
Wir haben wenige Jahre, nachdem Walther Rathenau dieses in literarischer Form ausführte, auch den praktischen Vorgang erlebt, als es nämlich 1930/31 darum ging, die Großbanken in ihrer damaligen Illiquidität von Staats wegen zu stützen und durchzuhalten, einfach weil es die Volkswirtschaft im ganzen nicht hätte ertragen können, daß ein solches der Form nach rein privates aktiengesellschaftliches Unternehmen Schiffbruch erlitt.
Meine Damen und Herren, wir bestreiten also, daß 'der Aktionär und sein Recht in jedem Fall alleiniger Orientierungspunkt für die Normung 'des Aktienrechts sein kann. Für gemeinwichtige Unternehmungen muß ein Zusätzliches gelten, und es kommt deshalb darauf ,an, daß wir endlich zu einem umfassenden Unternehmensrecht vorstoßen, das den Gegebenheiten entspricht.
Die Vorlage der Bundesregierung enthält Ansätze. Wir betrachten es insbesondere 'als einen beachtlichen Ansatz, daß die Vorlage der Bundesregierung erstmalig in unserer deutschen Rechtsgeschichte in umfassender Weise ein Konzernrecht anspricht, daß sie eine Unterscheidung zu treffen versucht zwischen verschiedenen Formen von Konzernierungen und daß sie diesen verschiedenen Formen Rechtsnormen geben will. Aber, verehrte Damen und Herren, es dürfte doch offen zutage liegen, daß das Problem der Konzernierung nicht begrenzt ist auf den Sektor der Wirtschaft, der sich in der Form von Aktiengesellschaften abspielt. Die Probleme der Konzernierung ergreifen doch weit darüber hinaus viele ,andere Unternehmen, die eine andere Form als die der Aktiengesellschaft haben. Deshalb sind wir gezwungen, endlich zu einem umfassenden Konzernrecht vorzustoßen, das sich von der Verwurzelung im reinen Aktienrecht löst.
Ein zweites ist hier zu nennen. Ich habe heute morgen bei der Begründung der von der SPD unterbreiteten Vorschläge davon gesprochen, ,daß 'es endlich gilt, die Publizität .der deutschen Unternehmen zu verbessern. Ich habe deshalb heute morgen bei der Begründung einer der Vorlagen der SPD insbesondere unterstrichen, daß wir die für das Aktienrecht vorgesehenen Publizitätsverbesserungen ausgedehnt sehen wollen auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Das ist ein erster Ansatz, die Publizitätsvorschriften überhaupt auszudehnen auf alle Unternehmen gleicher Art, sonderlich auf alle Großunternehmen.
Herr Dr. Barzel, Sie haben davon gesprochen, daß der Gesetzgeber der Wirtschaft verschiedene Rechtsformen zur Disposition zu stellen habe. Gut! Aber dieses Zur-Disposition-Stellen verschiedener Rechtsformen muß eine Grenze haben. Die Grenze muß da einsetzen, wo ,aus der Eigenartigkeit der Unternehmen, sonderlich aus ihrer Gemeinwichtigkeit, sich Anforderungen .der Gesamtheit ,an ihr Verhalten ergeben, insbesondere an ihr Verhalten bezüglich der Offenlegung ,dessen, was in ihnen umgeht.
Die Publizitätsprobleme sind nicht nur aktienrechtliche, nicht nur solche eventuell auch noch der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern betreffen auch Unternehmen in der Form von Einzelfirmen oder von personalen Gesellschaften. Wir wollen mit anderen Worten, daß für Unternehmen gleicher Art und Größe und Bedeutung ein gleiches Recht geschaffen werde, sonderlich im Hinblick auf Publizitätsvorschriften, damit die Fluchtbewegung der Umwandlung von einer Rechtsform in die andere aufhört, diese Umwandlung in t dem Ziel, den aktienrechtlichen Publizitätsanforderungen zu entgehen und eine Rechtsform zu finden oder anzunehmen, bei der die Publizitätsvorschriften viel milder sind oder unter Umständen überhaupt nicht existieren. Bei aller Bereitwilligkeit, der Wirtschaft verschiedene Rechtsformen von Gesetzes wegen anzubieten, darf doch die Unternehmensverfassung nicht eine willkürliche werden, sondern sie muß mit der Sache, d. h, mit dem Charakter des darin betriebenen Unternehmens, in Einklang bleiben.
Gemeinwichtige Unternehmen — ich sagte es schon — können nicht zur alleinigen Disposition ihrer Gesellschafter stehen. Die Disposition über gemeinwichtige Unternehmen muß ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft entsprechen. Meine Damen und Herren, die wirtschaftsrechtliche Literatur ist langst über die Regierungsvorlage zu diesem Blickfeld hinaus, und der Deutsche Juristentag hat Vorschläge ausgearbeitet, die hier zu bedenken wären und die wir mit in die Überlegung zu diesem Aktienrecht einbezogen wissen wollen.
Ich sagte: Gemeinwichtige Unternehmen können nicht zur alleinigen Verfügungsgewalt ihrer Gesellschafter stehen. Damit komme ich zugleich zu einigen Bemerkungen zum aktienrechilichen Inhalt der Vorlage überhaupt. Der Aktionär und sein Stimmrecht — ich denke, wir wissen es nachgerade alle — ist doch weithin zur Fiktion geworden. Wer übt denn an großen Unternehmen mit wehgestreuter Beteiligung das Stimmrecht der Aktionäre aus? Das sind doch faktisch die Banken. Sosehr die Vorlage einiges an dem Depotstimmrecht der Banken verbessert, kann sie doch nicht aufheben, daß sich das Stimmrecht der Aktionäre weithin in die Verfügungsmacht derer verlagert hat, die an der Spitze unserer wirtschaft-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7655
Dr. Dr. Heinemann
lichen Hierarchien stehen. Es ist eine Fiktion, daß diese Hierarchien des großen Managements in der Großwirtschaft aus einer Wahl der Aktionäre in den Hauptversammlungen hervorgingen. Dieses Management kooptiert sich. Das heißt, die Hauptversammlung der Aktiengesellschaften ist weithin nur ein Ritual mit kaltem Buffet und großen Zigarren auch für Nichtraucher.
Darum ist auch die Erweiterung der Rechte der Hauptversammlung und der Aktionäre, die die Regierungsvorlage vorsieht, bei den Großunternehmen praktisch noch einmal eine Erweiterung der Rechte derjenigen, von denen der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Oktober 1957 sagte, daß sie die kleine Schicht von Herrschern seien, die ohnehin schon diese große Macht ausübe.
Die Erweiterung ,der Rechte der Hauptversammlung und der Aktionäre, etwa in bezug auf Auskunftspflicht des Vorstandes, auch in bezug auf Anfechtungsmöglichkeit gewisser Beschlüsse, bejahen wir. Aber das alles verändert nichts an der soziologischen Situation, sondern verschärft sie nur, weil eben die Gesamtkonzeption, die Gesamtausrichtung auf ein Unternehmensrecht fehlt.
In der Regierungsvorlage kommt dieses Fehlen der letzten Sicht auf ein wirkliches Unternehmensrecht auch noch in etlichen anderen Stücken zum Ausdruck. Da wird z. B. in § 108 des Entwurfs vorgeschlagen, daß da, wo der Aufsichtsrat zustimmen muß, im Konfliktsfall zwischen Vorstand und Aufsichtsrat die Hauptversammlung entscheiden soll. Meine verehrten Damen und Herren, Herr Barzel, das bedeutet dann, daß die Mitbestimmung, die es in etlichen Aufsichtsräten gibt, sehr elegant ausgespielt wird, indem im Falle des Konfliktes zwischen dem mitbestimmenden Aufsichtsrat und dem Vorstand ein Organ entscheidet, nämlich die Hauptversammlung, in dem die Mitbestimmung nicht existiert. Allein dieses Beispiel zeigt eklatant, daß der Aktionär nicht die alleinige Richtlinie für den Aufbau des Aktienrechts sein kann.
Ein weiteres Beispiel: In § 73 des Entwurfs heißt es, daß der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten habe. In dem textlich entnazifizierten Referentenentwurf hieß es an der entsprechenden Stelle: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens, seiner Arbeitnehmer und der Aktionäre sowie der Allgemeinheit es erfordern." Dies alles ist auf einmal weggefallen. Es fehlt die Ausrichtung des Vorstandes auf das Wohl des Unternehmens im ganzen, seiner Arbeitnehmer und der Allgemeinheit. Warum ist das weggefallen?
Der Referentenentwurf sagt, es sei nicht nötig, das
im Gesetz auszusprechen. Nun, wir bitten sehr darum, diesen Orientierungsmaßstab für das Verhalten
des Vorstandes in seiner größeren Ausdrucksform zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
— Herr Barzel, ich freue mich, daß wir auch noch in manchem übereinstimmen. Seien Sie doch nicht so nervös!
Außerdem will ich hier anmerken, daß der Vorstand unseres Erachtens nicht die „Gesellschaft" leitet, sondern das „Unternehmen". Auch allein durch diesen Ausdruckswechsel ergeben sich Nuancierungen sachlicher Bedeutung.
Wir bemängeln, daß in den §§ 154 und 155 der Bestätigungsvermerk der Wirtschaftsprüfer sich nur noch auf die Feststellung beschränken soll, daß Buchführung, Jahresabschluß und Geschäftsbericht dem Gesetz entsprechen. Früher, im alten Aktienrecht, stand vor diesen Worten das Wort „besonders", die Wirtschaftsprüfer sollten „besonders" attestieren, ,daß Buchführung, Jahresabschluß und Geschäftsbericht dem Gesetz entsprachen. Sie sollten also ihr Augenmerk auch noch auf etwas anderes richten. Genau das wollen wir erhalten wissen. Wir wollen nicht eine bedenkliche Verflachung des Aufgabenkreises oder des Verantwortungsbereichs .der Wirtschaftsprüfer mitmachen, indem sie lediglich gesetzliche Mindestanforderungen attestieren sollen. Wir wollen ihnen aufgeschlossen erhalten, daß sie nach pflichtgemäßem Ermessen alles zur Sprache bringen, was sie zu sagen für notwendig oder geboten halten.
Mit diesen wenigen Einzelbemerkungen zur Regierungsvorlage werde ich es in dieser ersten plenaren Lesung bewenden lassen. Wir werden in der Ausschußberatung noch einiges hinzuzutragen haben.
Was wird werden? Wir erleben, daß die Konzentration rapide fortschreitet. Sie ist, wie es der Bericht des Kartellamtes für 1958 ausführt, geradezu die Sozialkrankheit unserer Zeit. Überall zeichnet sich eine fortschreitende Bedrohung der Mitte ab, der Selbständigen, der Kleinen. Dem wollen wir endlich gewehrt wissen, auch im Aktienrecht. Dem wollen wir nicht gewehrt wissen — ich sage es noch einmal, damit nicht so billige Verfälschungen Platz greifen können, wie sie mancherorten vorkommen —durch Sozialisierung. Unsere Antwort heißt nicht: Sozialisierung, sondern heißt: Verwirklichung des Godesberger Programms auch in diesem Rahmen.
Wir werden sehr gespannt sein, was sich nun in dem nächsten halben Jahr abspielen wird. Wir werden sehr gespannt sein, ob sich wiederholen wird, was wir beim Kartellgesetz erlebten,
was wir beim Lebensmittelgesetz erlebten (Sehr wahr! bei der SPD)
oder was wir alle miteinander bei der chronisch notleidenden Umsatzsteuerreform permanent erleben.
7656 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Dr. Heinemann
Werden wir wieder einmal den Ansturm der Interessenton erleben, so, wie er sich ja schon auf den Referentenentwurf des Aktiengesetzes ergeben hat? Werden wir ihn auch erleben, wenn es jetzt um die entscheidenden Beratungen über die Regierungsvorlage geht? Meine Herren, ich fürchte, daß die „Industrie-Kuriere" aller Art wieder auf lauten und leisen Sohlen daherkommen werden, um mit oder ohne Wahlgelder Einfluß auf das zu nehmen, was einmal deutsches Aktienrecht sein soll.
Ich frage im voraus, ob etwa, wenn das Aktienrecht abgeschlossen sein wird, denen, die es dann zu verantworten haben, ins Stammbuch geschrieben werden wird, was die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer im September dieses Jahres zu dem Stichwort „Umsatzsteuerreform" erklärte, nämlich:
Die Umsatzsteuerreform ist der Prüfstein, ob der Bonner Staat überhaupt noch die Fähigkeit und die Kraft aufbringt, eine notwendige Reform durchzuführen, oder ob die Interessenkräfte so stark sind, daß dieser Staat aus Wahloder Interessentenrücksichten innerlich erlahmt und in Lethargie erstarrt.
Verehrte Damen und Herren, das ist — ich sage es noch einmal — eine Äußerung nicht einer sozialdemokratischen Organisation, sondern der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer.
Sie stehen also vor der Frage, was Sie jetzt aus I den Erkenntnissen der ersten Nachkriegsjahre machen wollen, was diese Erkenntnisse eines Ahlener Programms, was diese Formulierungen der Düsseldorfer Leitsätze von 1949 heute noch wert sind. Auf dem CDU-Parteitag in Goslar 1950 sagte Ihr früheres Fraktionsmitglied, der jetzige Aufsichtsratsvertreter der Volksaktionäre bei der Preußag, Johann Albers:
Wir haben uns in der britischen Zone unter dem Vorsitz unseres Herrn Bundeskanzlers in Ahlen zusammengesetzt, um das Ahlener Programm zu entwickeln. Was wir im Ahlener Programm festgelegt haben, ist die Grundlage für die Neuordnung unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Davon lassen wir nicht ab. Und wenn dieser Parteitag ein Parteitag der Besinnung ist, dann bitte ich alle unsere Parteifreunde, daran zu denken, daß die Besinnung von Ahlen ausgehen muß.
Verehrte Damen und Herren! Große Worte, riesige Proklamationen sind jahrelang gesprochen worden. Jetzt handeln Sie bitte dementsprechend!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir freien Demokraten begrüßen diesen Gesetzentwurf. Auch wenn man nicht so vermessen ist, zu behaupten, man habe dieses große Stück Arbeit
schon in seinen letzten Auswirkungen studiert, so hat man doch das Gefühl, daß darin eine sehr verantwortungsbewußte und juristisch sehr sorgfältige Arbeit vorliegt.
Da eine Reihe wichtiger Fragen aus dem Gesamtkomplex hier in der Debatte schon sehr ausführlich erörtert worden sind, haben wir die Hoffnung, daß es trotz der Kürze der uns noch zur Verfügung stehenden Zeit gelingen wird, den Gesetzentwurf noch in diesem Bundestag zu verabschieden.
Trotzdem können wir der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, daß wir zu der ersten Lesung erst heute, im Dezember, kommen und dadurch die Zeit für die Arbeit, die uns bevorsteht, so stark verkürzt sehen. Denn schon im Mai lag doch eigentlich der große Entwurf, der sicherlich einer langen Zeit der Vorbereitung bedurft hat, in seinem wesentlichen Inhalt vor.
Auch wir sehen in diesem Gesetzentwurf in erster Linie eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Angelegenheit, und wir freuen uns besonders, daß nun auch der Herr Wirtschaftsminister, der gerade für diese Fragen zuständig ist, an den Beratungen teilnimmt.
Alle Parteien sind, soweit ich das jetzt übersehen kann, darin einig, daß ein Ausgangspunkt für die Vorlage dieses Gesetzes das leidige Problem der Machtkonzentration gewesen ist und noch heute ist. In der allmählich berühmt gewordenen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers aus dem Oktober 1957 wurde ja das Versprechen gegeben, auch die Frage des Aktienrechts als eines der Mittel, der Machtkonzentration entgegenzutreten, anzupacken, und wir freuen uns deswegen ganz besonders, daß es vielleicht doch noch gelingen wird, dieses Problem in diesem Bundestag zu lösen.
Meine Damen und Herren! Die Änderungen, die am deutschen Aktienrecht im Jahre 1937 vorgenommen worden sind, lagen ganz sicher nicht in den Vorstellungen der Freien Demokraten. Sie wurden von einem autoritären Staat aufgezwungen. Sie haben, wie wir fürchten, auch einen Teil unseres Gesellschaftsbildes in bezug auf die Aktiengesell-schaftgeformt und vielleicht zu ihrem Teil mit dazu beigetragen, daß die Zusammenfassung zu übergroßen Unternehmungen in den letzten zehn Jahren so starke Fortschritte gemacht hat. Deswegen ist es dringend notwendig, daß nun neue Maßstäbe an die Führung der Aktiengesellschaften gelegt werden.
Auch wir legen den Hauptwert auf die Eigentumsrechte der Aktionäre und treten dafür ein, daß ihre Stellung in der Hauptversammlung gegenüber der Verwaltung gestärkt wird. Dabei soll nicht das Streben nach höherer Dividende maßgebend sein, sondern, wie gesagt, das größere und bessere Kontrollrecht des Aktionärs.
Ich stimme mit dem Kollegen Barzel überein, wenn er der Lehre von der Aktiengesellschaft als einem selbständigen Unternehmen, losgelöst vom Eigentumsanspruch des Aktionärs, widerspricht. Ich sehe in den Ausführungen, die der Herr Kollege
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7657
Dr. Atzenroth
Heinemann eben zu dieser Frage gemacht hat —er hat bei den großen Gesellschaften den unbedingten Eigentumsanspruch des Aktionärs zumindest in Zweifel gezogen —, doch etwas, was in die alte Tendenz der Sozialdemokratie nach Vergesellschaftung zurückgeht. Das liegt hier ganz deutlich einbegriffen. Ich glaube, der Herr Kollege Heinemann selbst hat es in diesem Augenblick nicht gemerkt. Sonst hätte er es etwas vorsichtiger formuliert in einem Zeitpunkt, wo man sich bei der SPD auf Godesberg zu berufen pflegt. Wir lehnen also die künstlichen Definitionen, die Herr Heinemann dem Eigentumsbegriff für bestimmte Gesellschaften gibt, entschieden ab.
Trotz aller Einwände, die von draußen kommen, stimmen wir aber den neuen Bestimmungen über das Depotstimmrecht zu. Wir halten sie für richtig und zweckmäßig. Es soll eben der wirkliche Wille des Eigentümers zum Ausdruck gebracht werden. Manchmal wird auch von nichtsozialistischer Seite angezweifelt, daß ein solcher Wille überhaupt feststellbar sei. Wir sehen jedoch in dem Druck auf den Aktionär, in einer konkreten Frage eine Entscheidung zu treffen, eine Anregung, sich mit den Dingen seiner Gesellschaft näher zu beschäftigen. Wir glauben, daß der Aktionär sein Recht um so freudiger wahrnehmen wird, je größer es ist. Das ist eine Hoffnung. Vielleicht wird sie enttäuscht. Wir sollten aber diese Hoffnung unserer Haltung und unseren Handlungen zugrunde legen, und das geschieht nach unserer Meinung in diesem Gesetzentwurf in vollem Maße.
Bedeutungsvoll sind für uns die neuen Bestimmungen, durch die die Bildung freier Rücklagen in stärkerem Maße eine Angelegenheit der Gewinnverwendung wird und nicht mehr eine Sache der Gewinnermittlung bleibt. Die Vollmachten, die der Verwaltung gegeben werden, müssen beschränkt werden. Sie sollen da enden, wo die Investitionen nicht mehr aus den laufenden Abschreibungen vorgenommen werden können. Wir glauben, daß manche unzweckmäßige Vergrößerung und Betriebserweiterung durch diese neue Bestimmung des Gesetzes eventuell verhindert werden kann.
Zu dem Fragenkomplex, der in unseren Debatten über die Unternehmenskonzentration wiederholt angeschnitten worden ist, gehören auch die Bestimmungen über das Konzernrecht. Sie werden hier endlich einmal klarer gefaßt, ais das bisher der Fall war, so daß sich der Aktionär, aber auch die Öffentlichkeit ein Bild über die tatsächlichen Verflechtungen machen kann. Da, wo solche Verflechtungen aus technischen und betriebswirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt sind, braucht ja niemand die Öffentlichkeit zu scheuen. Wo es sich aber um Verflechtungen nur aus Machtgründen handelt, muß das eben offen bekannt werden.
Die meisten Einwände aus den Kreisen der Aktiengesellschaften selbst richten sich gegen die erhöhte Veröffentlichungspflicht. Dagegen wird eingewandt, daß sich ein Unternehmen dadurch zu stark der Konkurrenz offenbaren würde; besonders wird hierbei auf die ausländische Konkurrenz ver-
wiesen. Wir haben über diese Frage schon bei der kleinen Aktienrechtsreform ausführlich debattiert und damals bestimmte Milderungen in das Gesetz hineingebracht. Sie betrafen insbesondere die kleinen Aktiengesellschaften, deren Aktien nicht an der Börse gehandelt werden, und die im Familienbesitz befindlichen Unternehmungen.
Nach dem SPD-Entwurf, der hier vorgelegt worden ist, sollen in dieser Frage wieder Verschärfungen in das alte Gesetz gebracht werden. Nach ihm soll diese weite Veröffentlichungspflicht auf alle, also auch auf die kleinsten Gesellschaften erstreckt werden. Das lehnen wir entschieden ab. Für die großen Gesellschaften aber gilt es zu bedenken, daß die Öffentlichkeit aus gesellschaftspolitischen Gründen ein Anrecht darauf hat, klar zu sehen, was sich dort abspielt, wo entscheidende wirtschaftspolitische Maßnahmen getroffen werden.
Wir wenden uns gegen den Eingriff der öffentlichen Hand und auch gegen Kontrollen, wie sie in den Plänen von Herrn Dr. Deist immer wieder vorgeschlagen werden. Dafür müssen solche Unternehmen ihr Geschäftsgebaren offenlegen, wie es in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird.
Ich möchte es in der ersten Lesung bei diesen allgemeinen Bemerkungen zum Inhalt des Gesetzes selbst bewenden lassen. Wir werden in den Ausschüssen noch ein großes Maß an Arbeit leisten müssen. Das zeigt sich schon an der Zahl der Paragraphen, die wir im einzelnen überprüfen müssen, um alle Einzelheiten auf ihre Zweckmäßigkeit zu untersuchen.
Ich möchte aber wie mein Vorredner einige allgemeine Bemerkungen anknüpfen. Wir stimmen mit Herrn Barzel darin überein, daß man keine Einzelstücke des Gesetzes vorwegnehmen sollte. Insofern lehnen wir die Vorschaltgesetze der SPD ab,
die zudem auch einige, wie uns scheint, nicht ungefährliche Verschärfungen enthalten. Ich habe auf einen dieser Punkte schon hingewiesen.
Herr Kollege Barzel hat in seinen Ausführungen mit beredten Worten das Eintreten seiner Fraktion für das Eigentum gepriesen. Ich gebe zu, daß der Gesetzentwurf eine Grundlage für eine solche Auffassung bildet. Aber einige Vorgänge aus der Vergangenheit und einige Bemerkungen von Ihnen, Herr Barzel, müssen uns doch dazu veranlassen, etwas wachsam zu sein. Die SPD will auch die größeren Gesellschaften mit beschränkter Haftung in das Gesetz hineinnehmen. Wir haben dagegen Bedenken. Bei der GmbH handelt es sich nicht wie bei der Aktiengesellschaft um den Schutz einer Vielzahl von Eigentümern. In ihr ist vielmehr eine verhältnismäßig kleine Zahl von Gesellschaftern mit dem Unternehmen fest verbunden. Sie können sich nicht so schnell von -dem Unternehmen lösen wie der Aktionär, der seine Aktien verkauft und für dessen Schutz wir besondere Bestimmungen in dem Gesetz wünschen. Trotzdem wollen wir nicht die Möglichkeit ausschließen, daß auch für manche GmbH eine beschränkte, aber vielleicht andersgeartete Veröffentlichungspflicht geschaffen wird. Nähere Einzel-
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Dr. Atzenroth
heiten werden wir aber erst bei der Ausschußberatung feststellen können. Die von der SPD erstrebte Wirkung bei der Übertragung des Gesetzes auf die GmbH wird sowieso nicht sehr groß sein; denn derjenige, der sich der Publizität entziehen will, wird dann die Form der Personalgesellschaft, also z. B. die der Kommanditgesellschaft, wählen und damit ausweichen. In dieser Form soll er — in diesem Punkt befinden wir uns im Gegensatz zur SPD — geschützt sein. Wenn er die Form der Personalgesellschaft gewählt hat, hat kein Staat und keine Gesellschaft ein Recht, ihn über das hinaus besonders zu überprüfen, was allgemein jedem Bürger zugemutet werden muß. Wenn er die persönliche Haftung für sein Unternehmen übernimmt, dann haben alle diese Forderungen nach Publizität keine Berechtigung mehr. Hier muß ich also wie Sie den Ausführungen des Herrn Kollegen Heinemann widersprechen.
Herr Barzel hat angekündigt, daß seine Fraktion eine einheitliche Unternehmensform für große Gesellschaften schaffen wolle.
— Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden.
— Desto besser; denn ich wollte Sie gerade fragen, wie eine solche Gesellschaftsart aussehen soll. Ich freue mich, daß wir darin einer Meinung sind; denn wir könnten ja kein Unternehmen verpflichten, eine bestimmte Unternehmensart zu wählen.
— Herr Heinemann — das ist richtig — ist in dieser Richtung natürlich wesentlich weitergegangen, einen Weg, auf dem wir ihm nicht folgen wollen.
Herr Barzel, Sie haben in Ihrer Kontroverse mit der SPD erklärt, daß Sie das Eigentum schützen wollen, und zwar das ungeschmälerte Eigentum. Wir hören das gern. Wenn Sie aber Vorwürfe gegen Herrn Deist wegen dessen Eigentumsvorschläge in Hannover erhoben haben, denen wir nicht zustimmen, dann dürfen Sie es nicht übelnehmen, daß wir uns auch mit Forderungen befassen, die in Ihrer Fraktion, in Ihrer Partei laut geworden sind und immer wieder laut werden. Auch wir halten die künstlichen Konstruktionen, die die SPD in Hannover zu dem Begriff „Eigentum -- Volkseigentum — Volksaktie" geschaffen hat, mit unseren Vorstellungen von Eigentum für nicht vereinbar. Aber auch Ihre Vorstellungen, meine Herren von der CDU, entbehren der Klarheit und Eindeutigkeit. Sie haben gesagt, Herr Barzel — ich wiederhole es —, Eigentum müsse unteilbar sein und als ein Ganzes gesehen werden. Wir glauben Ihnen das für Ihre Fraktion erst dann, wenn andere Kollegen, z. B. Ihr Kollege Katzer, diese Ansicht bestätigen. Ich darf hier auf Ihr berühmt-berüchtigtes Ahlener Programm zurückgreifen, aber in anderer Richtung als der Kollege Heinemann. Kollege Heinemann wollte Sie darauf festlegen: Ihr habt das damals beschlossen, und euer Herr Albers hat es kürzlich bei der Versammlung der Preußag-Aktionäre wieder bestätigt! Herr Heinemann wollte Ihnen sagen: Nun bleibt doch endlich dabei! Wir wollen Ihnen sagen: Nun erklärt endlich einmal, daß das nicht mehr die Ansicht der CDU und der CSU ist, versichert uns das mit aller Deutlichkeit, versichert uns, daß die Worte, die Herr Barzel zum Eigentumsbegriff gefunden hat, die Auffassung der ganzen CDU wiedergeben! Erst dann können wir Ihnen in vollem Umfang glauben.
— Nein, Herr Barzel, das habe ich nicht. Ich habe sie sogar als eine Einschränkung des Eigentumsbegriffs aufgefaßt, der wir eine Reihe von Vorbehalten gegenüberzusetzen haben. Aber Sie haben einmal gesagt, das Eigentum müsse unteilbar sein.
— Gut! In dieser Formulierung stimme ich mit Ihnen überein, und wenn diese Formulierung die Meinung der gesamten CDU wiedergibt, dann sind wir voll und ganz einig.
Ich darf zusammenfassen. Wir begrüßen das Gesetz, weil es unseren Anschauungen von Eigentum und Rechten des Eigentümers ebenso entspricht wie unseren Forderungen nach Verhinderung von unzulässigen und gefahrdrohenden Wirtschaftskonzentrationen. Wir werden deshalb in den Ausschüssen so intensiv mitarbeiten, daß das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Hier muß ich noch einmal den Worten des Kollegen Heinemann folgen: Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben die Verantwortung, Sie werden die Entscheidung treffen, welcher Ausschuß federführend sein soll, und von dieser Entscheidung, der wir uns ohne weiteres fügen, wird es abhängen, ob das Gesetz noch verabschiedet werden kann. Wir werden daran mitarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Deringer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich den Auftrag, nur zu dem besonderen Problem des Konzernrechts zu sprechen. Nachdem aber der Herr Kollege Dr. Heinemann vorhin auf die Fragen meiner Kollegen Dr. Barzel und Dr. Burgbacher nur eine sehr kurze und meines Erachtens nicht ganz befriedigende Antwort gegeben hat und er darüber hinaus einiges über das Unternehmensrecht gesagt hat, möchte ich meinen Ausführungen ein paar allgemeine Bemerkungen voranschicken.
In der Literatur zu dem Referentenentwurf ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob nicht das Aktienrecht ein neutrales Organisationsrecht sei, das von allen wirtschaftspolitischen, rechtspolitischen und anderen Zielsetzungen unabhängig sei. Natürlich ist das Aktienrecht zunächst das Recht der Ordnung bestimmter Unternehmen. Aber jeder
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7659
Deringer
Rechtsordnung liegt schließlich eine bestimmte Wertordnung zugrunde. Das zeigt ganz deutlich die heutige Debatte, das zeigt sogar die These von dem angeblich so neutralen Organisationsrecht, denn auch dieser These liegt eine bestimmte Wertordnung zugrunde.
Die Entscheidung des Gesetzgebers über das Aktienrecht wird daher nicht nur eine fachlich-juristische Entscheidung über die zweckmäßigste Gestaltung der Unternehmensform der Aktiengesellschaft sein, sondern zugleich ein Werturteil und eine klare politische Willensentscheidung darüber, wie bestimmte Bereiche der Wirtschaft organisiert werden sollen, welche Möglichkeiten der Gestaltung die Wirtschaft erhalten soll und welche Fehlentwicklungen und Mißbräuche der Gesetzgeber verhindern
will.
Unsere bestehende Rechts- und Wirtschaftsordnung hat mindestens seit dem Bürgerlichen Gesetzbuch vom vorigen Jahrhundert zwei tragende Säulen: das Privateigentum und die Vertragsfreiheit; das Privateigentum als Grundlage der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des einzelnen und die Vertragsfreiheit als das Recht des einzelnen — nun lassen Sie es mich gleich auf unser Gebiet anwenden —, über die Verwendung seines Eigentums im Rahmen der Gesetze zu entscheiden.
Die Aktienrechtsreform wird daher nicht die Aufgabe haben, bestimmte wirtschaftspolitische Tagesziele zu verfolgen. Aber sie soll natürlich verhindern, daß das Aktienrecht als Mittel zur Beeinträchtigung von Eigentum und Vertragsfreiheit benutzt wird.
Im übrigen ist das an sich kein neues Problem für den Gesetzgeber. In dem bekannten Kommentar zum Aktienrecht von Baumbach-Hueck steht in der Einleitung schon folgendes, das ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Rechtsform der AG immer wieder mißbraucht worden. Immer wieder sah sich der Staat genötigt, dagegen einzuschreiten. Deshalb ist die ganze Geschichte des Aktienrechts gekennzeichnet durch sich ständig wiederholende Perioden, in denen solche Mißstände hervortraten, und darauf folgende Versuche des Gesetzgebers, das Publikum durch verschärfte Schutzvorschriften zu sichern.
Das Aktienrecht soll deshalb — um es gleich auf unseren konkreten Fall anzuwenden — kein Antikonzentrations- oder Konzentrationsverhinderungsrecht sein. Konzentration ist in der modernen Industrie im gewissen Umfange nötig. Ich möchte mich da z. B. auf die Ausführungen beziehen, die der Kollege Professor Dr. Baade meines Wissens auf letzten wissenschaftlichen Tagungen in Bad Kissingen und anderswo gemacht hat. Aber selbstverständlich soll das Aktienrecht nicht zu unerwünschter Konzentration benutzt oder mißbraucht werden. Wenn man das Problem so stellt, ist es natürlich nicht ganz leicht zu lösen; denn die Aktiengesellschaft ist wahrscheinlich die höchstentwickelte Organisationsform der Unternehmen und recht kompliziert und empfindlich. Infolgedessen ist das Recht der Aktiengesellschaften kein Experimentierfeld, insbesondere wenn wir daran denken, daß die deutsche Wirtschaft in den Gemeinsamen Markt und in die Weltwirtschaft eintritt. Wir müssen vielmehr sehr sorgfältig die Fehlentwicklungen .in dem bisherigen Recht festzustellen versuchen und dann allerdings die Bestimmungen des bisherigen Rechts entsprechend ändern.
Um Mißverständnisse, insbesondere bei Kollegen der SPD, zu vermeiden, möchte ich einschalten, daß ich mir durchaus darüber klar bin, daß ich mich bei meinen folgenden Ausführungen auf einem sehr schmalen Grat bewege. Auf der einen Seite sehe ich genauso wie manche anderen, daß die derzeitige Entwicklung gewisse Gefahren und vielleicht sogar Mißbräuche enthält. Ich leugne nicht, daß etwa bei der Anwendung des Umwandlungsgesetzes manches vorgekommen ist, was auch wir nicht zu billigen und zu verteidigen gedenken. Auf der anderen Seite möchte ich deutlich sagen, daß die Diagnose, die die Kollegen von der Fraktion der SPD, insbesondere Herr Dr. Deist und heute Herr Dr. Heinemann, stellen, nach meiner Auffassung weit übertrieben ist. Die von diesen Kollegen vorgeschagene Therapie ist nach meiner Auffassung deswegen falsch, weil sie im Ansatzpunkt falsch ist. Herr Kollege Dr. Deist, der leider im Augenblick nicht da ist, hat in der Debatte über die Wirtschaftskonzentration im Herbst vorigen Jahres gesagt, man solle sich überlegen, ob man nicht für Großunternehmungen eine neue Unternehmensverfassung schaffen müsse, die echte Kontrolle des Managements ermögliche, welche es heute nicht gebe. Herr Kollege Dr. Heinemann hat in seinem Beitrag vorhin das Wort von dem neuen Unternehmensrecht wiederholt angeführt, ohne daß ich mir allerdings bisher ein rechtes Bild davon habe machen können, wie nun dieses Unternehmensrecht gestaltet sein soll.
Ich habe, da mich diese Frage auch persönlich sehr interessiert, in den letzten Wochen versucht, aus den wenigen Äußerungen in der einschlägigen Literatur in etwa zu ermitteln, weiches denn diese Gesamtkonzeption des Unternehmensrechts sein soll. Leider findet sich dazu nicht sehr viel. Es gibt einen Vortrag von Herrn Rechtsanwalt Dr. Kunze vom Deutschen Gewerkschaftsbund bei den Europäischen Gesprächen in Recklinghausen im Jahre 1958, es gibt einen weiteren Vortrag von Herrn Dr. Kunze in Düsseldorf im November dieses Jahres, und es gibt schließlich einen Aufsatz von Herrn Dr. Deist in der „Neuen Gesellschaft", ich glaube im September oder Oktober vorigen Jahres.
Die Ausgangsthese aller dieser Aufsätze ist die,
daß wir in der heutigen Gesellschaft und insbesondere bei den Aktiengesellschaften eine deutliche
Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht
halben. Der Eigentümer als Aktionär, als Kapitalbesitzer, sei funktionslos und habe keinerlei Einfluß
mehr auf die Führung der Unternehmen, während
Verfügungsnacht in Wahrheit beim Management und vielleicht beim Großaktionär liege. Darum
wird, wie es uns Herr Kollege Dr. Heinemann vorhin nun wiederholt vorgetragen hat, für gemein-
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Deringer
wichtige Unternehmen eine neue Unternehmensverfassung vorgeschlagen.
Wie soll denn diese nun aussehen? Das einzige, was ich bisher an Vorschlägen dazu gefunden habe, ist, daß in diesen gemeinwichtigen Unternehmen an die Stelle der Hauptversammlung eine sogenannte, nun, nennen wir as mal: Vertreterversammlung treten soll, 'die sich zu etwa gleichen Teilen aus Vertretern 'der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des sogenannten öffentlichen Interesses zusammensetzen soll. Herr Rechtsanwalt Dr. Kunze sagt in seinem Vortrag sogar, daß das Unternehmen rechtlich sogar erst ,existent sein solle, wenn 'der Vertrag zwischen diesen drei Gruppen geschlossen sei. Es soll also nicht mehr auf den Gesellschaftsvertrag im bisherigen Sinne ankommen, sondern auf einen Unternehmensvertrag zwischen den drei Gruppen Aktionäre, Arbeitnehmer und Vertreter des öffentlichen Interesses.
Wenn Herr Dr. Deist hier ware
— er kommt; Idas ist aber liebenswürdig von ihm —, dann würde er mir vielleicht sagen, .daß dieser Vorschlag schon in dem Bericht Ides Studienausschusses des Deutschen Juristentages aus dem Jahre 1955 enthalten ist; Herr Kollege Dr. Heinemann hat das vorhin ebenfalls kurz erwähnt. Ich möchte aber dazu gleich sagen, daß erstens in diesem Studien-ausschuß, der aus fünf Personen bestand, Herr Rechtsanwalt Dr. Kunze Mitglied war und es infolgedessen durchaus nahelag, daß erseine Gedanken dort zur Diskussion ,stellte, und daß zweitens der Studienausschuß des Deutschen Juristentages diese Vorschläge ganz bewußt ohne politische Stellungnahme behandelt hat. Es heißt in dem Bericht ausdrücklich, diese Versuche würden Modelle genannt, um schon in idieser Bezeichnung ihren hypothetischen Charakter hervorzuheben. Man kann ,sich also, wenn Idiese Vorschläge weiter erörtert werden, jedenfalls 'auf 'den Deutschen Juristentag nicht als politischen Kronzeugen berufen. Man mag sagen, daß die Kommission des Deutschen Juristentages ein Modell ,entworfen hat, wie so etwas, falls es geschaffen werden sollte, konsequenterweise aussehen müßte.
Nun, meine Damen und Herren, nach dem, was ich so bisher aus den wenigen Unterlagen in der Literatur habe entnehmen können, ergeben sich eine ganze Reihe von Fragen zu dieser Unternehmensverfassung, über die uns auch Herr Dr. Heinemann heute noch nichts Näheres gesagt hat. Welche Rechte soll denn diese Vertreterversammlung dann haben? Feststellung der Bilanz? Gut, darüber mag man vielleicht reden. Erhöhung des Grundkapitals, Herabsetzung, Gestaltung der Aktien? Oder etwa gar Entscheidung über die Verwendung des Reingewinns und die Verteilung der Dividenden, d. h. über den Anspruch, der eigentlich den Aktionären als Eigentümern allein zusteht?
Eine nächste Frage: Was ist denn im Sinne dieser ganzen Vorschläge ein gemeinwichtiges Unternehmen? Die Kommission des Deutschen Juristentages sagt dazu ganz eindeutig:
Der Versuch, den Begriff des gemeinwichtigen Unternehmens in einer für gesetzgeberische Maßnahmen brauchbaren Weise näher zu bestimmen, endete mit einem negativen Ergebnis.
Herr Dr. Kunze hat in seinem Vortrag in Düsseldorf noch vor kurzer Zeit drei Elemente angegeben: die Beschäftigtenzahl, die Bilanzsumme und den Umsatz. Das sind immerhin konkrete Vorschläge, aber doch nach meiner Auffassung sehr grobe Anhaltspunkte. Denn ich glaube kaum, daß man die Entscheidung über die Gemeinwichtigkeit, über die Bedeutung eines Unternehmens, etwa eines Spezialunternehmens, allein an diesen drei Zahlen messen kann.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sind vor wenigen Tagen, ich glaube, am vergangenen Samstag, alle größten Unternehmen veröffentlicht worden. Wenn man diese Liste durchgeht, zeigt sich deutlich, daß diese Maßstäbe allein nicht ausreichen. Ganz abgesehen von der anderen Frage, die, glaube ich, Herr Dr. Atzenroth vorhin schon anschnitt: wie soll sich etwa die Unternehmensform ändern, wenn ein Unternehmen von der niedrigeren in die höhere Stufe hinaufwächst?
Als nächste Frage an Herrn Kollegen Dr. Deist — ich bin überzeugt, nachdem er seine Zettel schon sortiert, daß wir ihn nachher noch hören werden —: was ist denn „öffentliches Interesse", und wer soll es vertreten? Bei den Europäischen Gesprächen in Recklinghausen hat der bekannte Professor Dr. Baiser dazu gesagt, daß das, was man gemeinhin das öffentliche Interesse nennt, sich „weder inhaltlich genau präzisieren noch bestimmten personellen Trägern zur ausschließlichen Wahrnehmung zuweisen läßt". Herr Dr. Kunze kommt dann auch dazu, zu sagen, daß man unter dem öffentlichen Interesse die große, unübersehbare, genau genommen: die unendliche Fülle aller möglichen Interessen verstehen muß, die bei unternehmerischen Entscheidungen neben dem Interesse der Aktionäre und der Belegschaft berücksichtigt werden müssen. An anderer Stelle sagt er: Das ist die Sammelbezeichnung für die Summe aller übrigen Interessen, außer denen der Aktionäre und der Belegschaft. Ja, meine Damen und Herren, wenn man natürlich so weit definiert, dann sind wir praktisch an einer Stelle, an der ich jedenfalls als Jurist nicht weiß, wie man das in eine für den Gesetzgeber und insbesondere für den anwendenden Juristen, für den Richter, nachher brauchbare Form bringen soll.
Trotz dieser nach meiner Auffassung doch sehr deutlichen Unklarheit in der bisherigen Begriffsbildung hat Herr Dr. Kunze dann in seinem Vortrag gesagt, es herrsche heute weitgehend die Einigkeit darüber, daß sogenannte Vertreter des öffentlichen Interesses in den Unternehmen unerläßlich seien. Nun, wer soll sie denn bestimmen? Der Deutsche Juristentag — um wieder darauf zurückzukommen — hat in seinem Ausschußbericht erklärt — wenn ich das wieder mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf —:
Der Gedanke, die Wahrung des Gemeinwohls
einem für Unternehmen bestimmter Größe oder
Wirtschaftsmacht zu bestellenden Staatskom-
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missar zu übertragen, fand im Ausschuß eine einmiitige Ablehnung.
Ich bin der Meinung, daß das Problem des modernen Aktienunternehmensrechts in Wahrheit eben nicht die zweifellos bis zu einem gewissen Grade vorhandene Trennung von Eigentum und Entscheidungsmacht ist. Das ist kein Spezialproblem der Aktiengesellschaft, sondern das ist das Problem jeder Organisation mit einer unübersehbaren Zahl von Mitgliedern. Es ist ganz einfach ,das Problem der Willensbildung in großen Gemeinschaften, das Problem der Integration der Einzelwillen zu einem Gesamtwillen und die Schaffung eines handlungsfähigen Gesamtwillens durch Repräsentation.
Darf ich dazu zwei Beispiele nennen! Die Genossenschaften waren früher durchaus kleine, übersehbare Selbsthilfegemeinschaften. Jeder Kenner der Materie weiß, daß es heute Genossenschaften mit Tausenden von Mitgliedern gibt, deren Gesellschaftsversammlung — die Genossenschaftsversammlung — sich eigentlich in nichts von der Charakterisierung unterscheidet, die Herr Kollege Dr. Heinemann für die Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften zitiert hat.
Um ein zweites Beispiel zu nennen: glauben Sie, meine Damen und Herren, glauben Sie, Herr Kollege Dr. Deist, daß die Willensbildung bei 150 000 Aktionären der Badischen Anilin- und Sodafabrik schwerer ist als bei 650 000 Mitgliedern einer Partei?
Nach meiner Auffassung ist das Problem der Integration der Einzelwillen der Mitglieder zum Gesamtwillen in beiden Fällen das gleiche.
Hier liegt nach meiner Meinung der entscheidende Unterschied zwischen unseren Auffassungen. Hier können Sie eben nicht durch einen Staatskommissar oder durch öffentliche Kontrolle helfen, wobei wir ja bis heute aus Ihrem Munde weder wissen, wer die Kontrolleure bestimmen soll, noch, wer sie sein sollen. Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ich bin mir durchaus über die Schwierigkeiten dieses Problems klar; aber hier kann man nur helfen, indem man die Mitgliedschaftsrechte des einzelnen Aktionärs genauso wie die Mitgliedschaftsrechte des einzelnen Genossen in der Genossenschaft oder in anderen großen Verbänden stärkt und wieder belebt. Ich sehe deshalb in der Hebung des Interesses und der Mitarbeit der Aktionäre durch verstärkte Publizität und durch andere Maßnahmen, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, den einzigen Weg, jenem bis zu einem gewissen Grade zweifellos vorhandenen Übel abzuhelfen.
Mir scheint die Tatsache, daß z. B. bei der vorletzten Hauptversammlung der Mannesmann AG im Jahre 1958 immerhin über tausend Aktionäre anwesend waren, die einen Aktienbesitz zwischen 100 DM und 5000 DM hatten, die also wegen eines Besitzes von höchstens 5000 DM durchaus daran interessiert waren, die Kosten für einen Besuch der Hauptversammlung aufzubringen, immerhin eine
durchaus angenehme und sympathische Entwicklung anzudeuten.
Selbstverständlich werden wir uns überlegen müssen, ob wir mit dem Gesetzentwurf die Willensbildung in den großen Publikums-Aktiengesellschaften noch mehr erleichtern und fördern können. Ich könnte mir z. B. denken — aber das ist im Augenblick auch nur als Frage aufgeworfen —, daß die Stellung des Aufsichtsrates zu verändern wäre. Der Aufsichtsrat hat ja ursprünglich die Aufgabe, als Vertreter der Aktionäre den Vorstand zu kontrollieren, und er erfüllt diese Aufgabe heute in vielen Fällen zweifellos in dieser Form nicht mehr. Ob man nun den Aufsichtsrat wieder zurückentwickeln oder ob man an seiner Stelle oder zusätzlich etwas Ähnliches schaffen soll, wie wir es in Amerika mit den Aktionärausschüssen oder den Aktionärvereinen und ähnlichen Dingen kennen, das bliebe der Diskussion überlassen.
Ich glaube, daß der einzige Weg der ist, die großen Aktionärgruppen aufzugliedern, genauso wie es der einzige Weg in unseren Parteien ist, die Willensbildung durch Aufgliederung nach unten zu beleben und zu aktivieren. Ich bin sogar so optimistisch, zu sagen, daß die neueste Entwicklung in den Hauptversammlungen mancher großen Gesellschaften hier durchaus hoffen laßt. Daß mir gelegentlich Leute aus der Industrie gesagt haben, ihnen sei bei der Neuordnung des Aktienrechts noch ein bißchen mehr Mitbestimmung beinahe lieber — weil die in
den Aufsichtsräten und Vorständen leichter zu verdauen sei — als so viel Opposition in den Hauptversammlungen, zeigt eigentlich, wo die wirklichen Möglichkeiten der Kontrolle liegen, und die sollte man fördern.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß der ganze Vorschlag der Umgestaltung des Unternehmensrechts in irgendeiner Weise die eigentliche Rolle der Aktie als Finanzierungsmittel durch Heranziehung kleiner und kleinster Beträge übersieht. Ich gebe zu, daß schon heute diese Funktion der Aktie durch die mangelnde Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Vermögens- und Ertragslage beeinträchtigt ist, aber ich bin der Meinung, daß durch diese Vorschläge für ein neues Unternehmensrecht allerdings — wie ich mir erlaubt habe, es jetzt aus gewissen Äußerungen in der Literatur ein wenig zu konkretisieren — der Aktionär nicht gestärkt, sondern weiter entmachtet wird.
Die Industrie- und Handelskammer Hamburg hat schon im Jahre 1937 gegenüber den damaligen Reformplänen mit Recht gesagt: „Es wird kaum ein Sparer bereit sein, seine Ersparnisse einem Unternehmen zur Verfügung zu stellen, um sich gleichzeitig auf unabsehbare Zeit entmündigen zu lassen." Das gilt nach meiner Auffassung noch viel mehr für diese Vorschläge einer neuen Unternehmensverfassung. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß auch die jetzt von Ihnen in Hannover vorgeschlagene Vermögensabgabe der Großunternehmen für eine Nationalstiftung im gleichen Sinne wirkt und gerade die Kleinaktionäre der Publikumsgesellschaften trifft. — In jener Aufstellung in der „Frank-
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Deringer
furter Allgemeinen Zeitung" neulich — es waren zwei; die eine bezog sich auf das Grundkapital — sind gleich die vier ersten Gesellschaften nach meiner Kenntnis ausgesprochene Publikums-Aktiengesellschaften: die Badische Anilin, die Farbenfabriken Bayer, Mannesmann und die Farbwerke Hoechst. Noch eindrucksvoller erscheint mir ein Aktionärsbrief der Badischen Anilin- und Sodafabrik, der mir dieser Tage ins Haus flatterte. In ihm ist eine genaue Aufstellung über die Verteilung der Aktien enthalten. Aus dieser Aufstellung ergibt sich eindeutig, daß kein Aktionär mehr als 1 % der Aktien in Besitz hat, daß im Gegenteil von den über 150 000 Aktionären allein 23 % Hausfrauen, 14 % selbständige Kaufleute, 13 % Gehalts- und Lohnempfänger sind. Auch die übrigen Aktien sind im wesentlichen auf Einzelpersonen verteilt.
Bei der von Ihnen vorgeschlagenen Vermögensabgabe müssen Sie auch an die Auswirkung auf diese Publikums-Aktiengesellschaften denken, meine Damen und Herren, wo ja die Abgabe letzten Endes eben diejenigen Aktionäre, die Kleinaktionäre, treffen würde, die zu fördern Sie auf der anderen Seite die Absicht haben.
Darüber hinaus noch eins: Wir sind uns, glaube ich — so nehme ich nach unseren früheren Gesprächen an —, an sich darüber einig, daß die erste und stärkste Kontrolle der Marktmacht die Kontrolle durch den Markt ist. Das bedeutet aber, daß man in den Industrien, wo marktmächtige Unternehmen vorhanden sind, die Möglichkeit zum Entstehen neuer Unternehmen erleichtern sollte. Das Gegenteil geschieht aber durch die Vermögensabgabe, durch die ja durch den Verkauf der Zertifikate an das Volk dem Kapitalmarkt eben die flüssigen Mittel entzogen werden, die vielleicht eine Voraussetzung dafür sein können, daß in den Industrien neue Unternehmen entstehen.
— Das ist nicht ganz theoretisch; es ist eine Voraussetzung. Ohne die Möglichkeit des Kapitalmarktes ist es sicher nicht der Fall, und ich meine, daß man diese Möglichkeit mindestens nicht abschneiden sollte.
Ich bin daher der Meinung: Wenn die Diagnose, von der Herr Kollege Dr. Deist und die anderen Kollegen von der SPD bei ihren Vorschlägen für ein neues Unternehmensrecht ausgehen, richtig ist, nämlich die von der Spaltung zwischen Eigentums-und Verfügungsmacht bei den modernen Großunternehmungen, dann gilt das höchstens für ,die Publikumsgesellschaften, die wir ja eigentlich gerade fördern wollten, aber jedenfalls nicht für Konzerne und Großaktionäre; denn da liegt die Macht ja auch beim Eigentümer und Großaktionär. Da ist die Diagnose als Voraussetzung für die vorgeschlagene Therapie nicht richtig, ganz abgesehen davon, daß nach allgemeinen menschlichen Erfahrungen damit zu rechnen ist, daß die öffentlichen Kontrolleure, wie ich sie einmal bezeichnen will, sich auf die Dauer vielleicht mehr mit den Interessen etwa des herrschenden Unternehmens identifizieren werden, als etwa die Interessen der Minderheitsaktionäre
des abhängigen Unternehmens wahrnehmen, worauf es uns aber bei der Neugestaltung des Konzernrechts gerade ankommt.
Wenn ich aber nach dem, was Herr Kollege Dr. Heinemann heute morgen sagte, davon ausgehen darf, daß es auf die Größe der Unternehmen allein ankommt, dann ist ja nicht dieses Problem der Spaltung von Eigentum und Verfügungsmacht der Ausgangspunkt, sondern dann sind es andere Gesichtspunkte, die Gesichtspunkte der öffentlichen Kontrolle, und es ist durchaus konsequent, wenn Herr Dr. Heinemann heute morgen davon sprach, daß Sie eben diese Unternehmensform auf alle Unternehmen eine bestimmten Größe ausdehnen wollen. Die Konsequenz ist dann die Formulierung, wie sie Herr Dr. Kunze neulich traf und wie sie heute morgen in ähnlicher Form Herr Dr. Heinemann brachte, daß die Art der Unternehmensverfassung dann nicht mehr von der Willkür des Eigentümers abhängig sein darf, sondern sich allein nach der Natur der Sache, der Art und Größe des Unternehmens und seiner volkswirtschaftlichen Funktionen richten muß.
Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist das Problem des Eigentums eindeutig gestellt. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß nach unserem Grundgesetz auch das Eigentum einer sozialen Bindung unterliegt. Das bedeutet aber nicht, daß man das Eigentum insbesondere dort, wo es die Kleinaktionäre in den Publikumsgesellschaften sind, nun durch die Weiterentwicklung weiter entmachten und entziehen sollte. Ich möchte noch einmal sagen, daß wir diese These und diese Entwicklung ablehnen werden. Ich meine, daß hier, wenn auch gewisse Mißstände durchaus richtig erkannt sind, versucht wird, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Es mag sein — vielleicht irre ich mich da – , daß ganz im Unterbewußtsein noch die alte These zugrunde liegt, daß private Macht zwar bose, aber staatliche Macht gut ist. Jedenfalls glaube ich, daß die zweifellos bis zu einem gewissen Grade gefahrvolle Macht des Management und der Großaktionäre nicht durch Staatskommissare und Superkonzern, möge er heißen, wie er wolle, gebändigt werden kann. Ich glaube sogar sagen zu können. Mit öffentlichen Kontrolleuren und mit Behörden kann man sich notfalls arrangieren, mit dem Publikum, mit dem Aktionär, der Rechte hat, und noch viel mehr mit den Herren der Presse nicht.
Deshalb scheint mir eine Verstärkung der Rechte des Aktionärs und der Publizität, auf die ich nachher noch eingehe, durchaus der viel richtigere Weg.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, ehe ich auf das Konzernrecht des Entwurfs eingehe, einen ganz kleinen Ausflug in die Literatur. Ich möchte meine Kollegen von der SPD von vornherein für dieses Zitat um Entschuldigung bitten. Bei Kurt Tucholsky gibt es die kostliche Figur des Gemüsehändlers Anton, der zeit seines Lebens als guter Mittelständler bürgerliche Parteien gewählt hat, der aber dann im Jahre 1930 ausnahmsweise die SPD wählt und dies vor sich und seinem Gewissen mit folgenden Sätzen entschuldigt•
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7663
Deringer
Et is een so beruhjendes Jefiehl. Man tut wat für de Revoluzjon. Aber man weeß et janz jenau: Mit diese Pachtei kommt so eich. Und det is sehr wichtig fier eenen selbständigen Jemieseladen.
— Jawohl! Herr Kollege Lange, es war vielleicht nicht sehr gut zitiert. Aber ich möchte bemerken, ich habe lange genug in Berlin studiert, um wenigstens „een janz kleen wenig" den Jargon zu kennen.
Herr Kollege Deist, was ich da: aus folgern will: Sie haben in Hannover den Antrag Ihres Bezirksvorstandes Frankfurt abgelehnt, große Bereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum überzuführen. Sie selber haben sich in Ihrem Refera gegen den Vorwurf gewehrt, daß die Deutsche Nationalstiftung verschleierte Sozialisierung bedeute. Es sei — darf ich Sie weiter zitieren — grotesk, daß dieser Vorwurf gegenüber einem Vorschlag erhoben werde, in dem die deutsche Sozialdemokratie zum ersten Male -- ich zitiere: zum ersten Male — konkrete Maßnahmen
verlange, um möglichst vielen Menschen die Schaffung privaten Eigentums zu ermöglichen.
Herr Kollege Dr. Deist, ich bin gerne bereit, Ihnen soweit entgegenzukommen, daß ich sage: Ich anerkenne, daß Sie sich mit diesen Überlegungen von Ihren revolutionären Ursprüngen zu entfernen suchen und vielleicht schon recht weit entfernt haben.
Zu dem Begriff „Deutsche Volksaktie" darf ich allerdings eine berufliche Bemerkung machen. Sie wissen ja, ich bin Wettbewerbsrechtler. Es gibt da den Begriff der anlehnenden oder vergleichenden Werbung. Wenn also jemand eine Marke erfunden hat und diese Marke 'draußen gut ankommt, dann gibt es gelegentlich 'den Fall, daß ein anderer zwar nicht die gleiche, aber eine ähnlich klingende Marke nimmt und dann sagt: Das ist genauso gut oder noch besser als die erste Marke. Nun, wir wissen unter Kaufleuten: Im Wettbewerbsrecht ist das als unlautere Werbung verboten. In der Politik leider nicht!
Um auf den Gemüsehändler zurückzukehren: ich konzediere Ihnen gern, daß Sie sich von Ihren Anfängen schon bis zu einem gewissen Grade entfernt haben, Herr Kollege Dr. Deist, aber wenn Sie ernsthafte Aussichten haben wollen, einmal auf diesem Platz da zu sitzen, dann, fürchte ich, müssen Sie von dem Bart 'den letzten Rest ganz abschneiden.
— Nun, Herr Kollege Dr. Deist hat ja nachher noch Gelegenheit, 'darauf zu antworten.
Ich darf zu dem übergehen, was ich eigentlich zu sagen beauftragt bin, nämlich zu einer kurzen Stellungnahme zum Regierungsentwurf.
— Bitte, Herr Kollege Dr. Deist, 'das, was ich eingangs über die Unternehmensverfassung sagte, scheint mir für die Diskussion über das Aktienrecht durchaus von Bedeutung zu sein; denn wir müssen ja klären, von welchen Gesichtspunkten und auch in welcher Richtung wir das Aktienrecht aufbauen. Ich wäre deshalb sehr dankbar, wenn ich dazu — nicht zu dem kleinen Zwischenspiel — von Ihnen einige Erläuterungen bekäme.
Zurück zum Regierungsentwurf. Ich bejahe ihn und betrachte ihn als eine ausgezeichnete Arbeit. Insbesondere zum Konzernrecht ist zu sagen, daß hier der erste Versuch in der Welt unternommen wird, eine geschlossene Konzeption eines neuen Konzernrechts zu schaffen. Der Versuch war notwendig; denn es ist ohne Zweifel nicht in der Ordnung, wenn 80 % unserer bisherigen Aktiengesellschaften irgendwie in einem Konzernzusammenhang stehen. Das Kernproblem des Konzernrechts ist aber nicht die Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht, sondern gerade die übersteigerte Verfügungsmacht der Großaktionäre zu Lasten der Kleinaktionäre. Die Aktie ist im Konzern nicht nur Finanzierungsmittel, sondern, wie Herr Kollege Barzel heute morgen schon sagte, Mittel der Beherrschung, und hier liegt nach meiner Auffassung das Problem des Konzernrechts. Man kann eben mit Hilfe von Organvertrag und Schachtelbesitz bei einer Beteiligung von 51 % — in der Regel sogar noch mit weniger — an der Muttergesellschaft ein Vielfaches von Kapital in den 'darunter stehenden Tochtergesellschaften beherrschen und vielleicht auch zu seinen Gunsten ausnutzen. Das beschwört zweifellos die Gefahr des Mißbrauchs herauf, und gegen diese Gefahr hilft in meinen Augen nicht die öffentliche Aufsicht. Die öffentlichen Kontrolleure der Muttergesellschaft werden sich sehr schnell mit den Interessen der Muttergesellschaft zu Lasten der Töchter identifizieren.
Ich habe mir sagen lassen, daß selbst bei der Mitbestimmung manche Entwicklung schon in. diese Richtung gelaufen ist — nicht wahr, Herr Kollege Lenz? Hier hilft also nur der Schutz der Minderheit in den abhängigen Gesellschaften und eine weitgehende Offenlegung.
Demgegenüber ist gesagt worden — ich darf nun gewissen Bedenken begegnen, die vielleicht auch von seiten der Wirtschaft gegen den Entwurf vorgetragen worden sind —, daß ein zu starker Schutz der Minderheiten zu unerwünschter Fusion zwingen werde. Ichglaube das nicht; denn nach dem Entwurf setzt die Fusion oder Eingliederung immerhin eine Mehrheit von mindestens 75 oder gar von 95 % voraus, die häufig nicht vorhanden ist. Bei dem damit verbundenen Aktientausch wird unter Umständen die Mehrheit des Großaktionärs in der herrschenden Gesellschaft gefährdet. Deshalb kann eben der Minderheitenschutz nicht un-
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bedingt zu einer Fusion zwingen. Aus diesem Grunde halte ich einen sehr gut ausgebauten Minderheitenschutz im Konzernrecht, über das normale Aktienrecht hinaus, für unbedingt notwendig, um ,die Funktion der Aktie als Finanzierungsmittel durch viele kleine Beträge zu erhalten. Man kann nun einmal nicht jemanden auffordern, sein Geld in ein Unternehmen einzuzahlen, und ihn dann später seines Mitspracherechts völlig berauben. Darum scheint mir der richtige Weg zu sein, die Rechte aus der Aktie zu respektieren und nicht schrankenlos dem Vorbehalt der Mehrheitsentscheidung zu unterstellen. Das Problem, das wir im Konzernrecht zu lösen haben werden, ist die Kollision zwischen den Interessen der Mehrheit, das heißt des Konzerns, und der Minderheit in den abhängigen Gesellschaften.
Ich möchte mich, da wir in der ersten Lesung sind, nun nicht mit ,den Einzelheiten des Entwurfs befassen, sondern nur noch auf wenige Grundsatzfragen eingehen, die bisher schon in der Öffentlichkeit, in der Literatur, umstritten gewesen sind.
Schon nach dem geltenden Recht ist es zweifelhaft, ob die Konzerninteressen schutzwürdige Interessen im Sinne des § 101 Abs. 3 des Aktiengesetzes sind, die den Vorrang vor den Interessen der abhängigen Gesellschaft haben. Die Regierungsbegründung des geltenden Gesetzes sagte zwar: „Auf Grund dieser Vorschrift können auch Konzerninteressen berücksichtigt werden." Aber ein so angesehener Kommentar wie der von Godin-Wilhelmi lehnt es ab, daß es „irgendwelche übergeordneten Konzernbelange gebe, welche nur deshalb, weil sie qantitativ größer sind, schutzwürdig genug wären, daß um ihretwillen eine Schädigung der Gliedgesellschaft gestattet werden könnte,"
und ein so hervorragender Aktienrechtler wie Rechtsanwalt Walter Schmidt hat jetzt in den Beiträgen zur Aktienrechtsreform gesagt, daß „von schutzwürdigen Belangen dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn ihre Wahrung andere, schädigen kann."
Damm begrüße ich von ganzem Herzen die Regelung der Unternehmensverträge in den §§ 280 bis 296 des Entwurfs, die auch schon deshalb notwendig war, weil die Rechtswirksamkeit der Organverträge im bisherigen Recht höchst zweifelhaft ist. Ich möchte auf die dafür angeführten Gründe nicht mehr im einzelnen eingehen, um die Diskussion nicht allzu lange hinauszuziehen, sondern möchte nur darauf verweisen, daß der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 8. Februar dieses Jahres Ausführungen gemacht hat, aus denen man entnehmen kann, daß er bei einer Entscheidung über einen solchen Organvertrag vermutlich dazu kommen würde, ihn als unzulässig und damit nichtig zu bezeichnen.
Wenn man schon die Frage, ob man überhaupt einen Minderheitsaktionär, gleich mit welcher Mehrheit, dazu zwingen kann, gegen seinen Wil-
len auf seine Mitgliedschaftsrechte zu verzichten, noch bejahen will, so halte ich es auf jeden Fall für richtig, daß der Entwurf für den Abschluß von Unternehmensverträgen eine satzungsändernde Mehrheit vorsieht, da es stets ein Eingriff in die Verfassung ist.
Besondere Bedenken sind in der Literatur gegen die Übergangsregelung des § 19 ides Einführungsgesetzes geäußert worden, wonach der Vorstand des abhängigen Unternehmens unter gewissen Voraussetzungen eine Kündigungspflicht hat. Ich sehe in dieser Vorschrift nicht, wie man es gesagt hat, eine Rückwirkung des Gesetzes, und ich weiß auch nicht, ob man darin einen Eingriff idas Eigentum der Konzerngesellschaft sehen kann. Mindestens müßte man dann gegeneinander abwägen das Recht des Eigentums der Konzerngesellschaft einerseits und das Recht des Eigentums der Minderheitsaktionäre in der abhängigen Gesellschaft andererseits. Im übrigen ist ja der Sinn dieser Übergangsvorschrift in erster Linie der, die Rechtswirksamkeit dieser Verträge wenigstens für die Zukunft sicherzustellen.
Ein besonders umstrittenes Problem beim Konzernrecht ist die vorhin auch vom Kollegen Barzel schon erwähnte Abfindung der ausscheidenden Aktionäre bzw. die Abfindung der Aktionäre der abhängigen Gesellschaft in Aktien. Der Entwurf sieht den Zwang zur Abfindung in Aktien vor. Ich gebe gern zu, daß idas praktisch oft Schwierigkeiten reit sich bringen wird. Auf der anderen Seite sehe ich im Augenblick noch nicht recht, wie man mit einer Barabfindung allein immer und in jedem Falle eine gerechte Abfindung herbeiführen kann. Ich darf dazu auf ein Beispiel verweisen, das in den letzten Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" berichtet wurde, daß nämlich bei der Umwandlung der Knorr AG der Vorstand einen Kurs von 500 ,angeboten hatte, während die eingeforderten Gutachten Kurse von 560, 640, 720 und 800 für richtig hielten. Hier wären die Minderheitsaktionäre zweifellos geschädigt worden, wenn sie zum Kurse von 500 abgefunden worden wären. Der Vorgang ist deshalb besonders interessant, weil im Zeitpunkt der Verhandlungen der Vorstand nach dem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte, der damalige Kurs von 660 sei überhöht, während er selber ein Paket für 800 aufkaufte. Ich glaube, daß mit diesem Beispiel, das sicherlich ein wenig extrem liegen mag, immerhin die Möglichkeiten des Mißbrauchs und die Gefahren gekennzeichnet sind. Es geht hier ja nicht um die Annahme, daß es stets so sei, .sondern es geht darum, möglichen Gefahren vorzubeugen.
Sosehr ich also auf der einen Seite einsehe, daß der Zwang zur Abfindung in Aktien praktische Schwierigkeiten mit sich bringt, so .sehe ich im Augenblick noch keinen Weg, darauf zu verzichten. Es kann sein, daß uns im Laufe der Beratung des Gesetzes dazu noch ein guter Weg einfällt.
Ebenso zu begrüßen ist die scharfe Regelung des faktischen Konzerns mit dem Abhängigkeitsbericht. Ich möchte hier nicht im einzelnen darauf eingehen.
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Ein besonderes Problem ist dabei die Frage des Vorteilsausgleichs und ,die Frage, wieweit Vorteile und Nachteile zusammenhängen müssen, Auch dazu werden wir im Laufe der Behandlung des Gesetzes eine Lösung suchen müssen, ,die der Forderung nach einer gerechten Sicherung der Minderheitsaktionäre einerseits und nach einem praktikablen Gesetz andererseits Rechnung trägt.
Einige Worte, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch zum Thema „Publizität" zu sagen. Die Publizität ist die logische Folge aus der öffentlichen Finanzierung bei Gründung und Kapitalerhöhung. Besonderen Sturm, kann man in diesem Falle wohl sagen, haben in der Öffentlichkeit oder in den beteiligten Kreisen die Vorschriften des § 19 und des § 148 des Entwurfs erregt, daß die über 25 oder 50 Prozent liegenden Beteiligungen an Aktiengesellschaften gemeldet und im Geschäftsbericht veröffentlicht werden müssen. Wir werden darüber im Laufe der Beratung sprechen müssen. Ich glaube, daß wir den Entwurf, so wie er ist, auf jeden Fall sehr sorgfältig werden prüfen und im Zweifel auch diesen Gedanken werden vertreten müssen.
Ich gebe zu, daß darüber hinaus die Frage zu stellen ist, die die SPD mit dem § 15 b ihres Entwurfs angeschnitten hat, ob man diese Mitteilungspflicht nicht auch auf die Beteiligung von Nichtunternehmen, also von Vereinen, Verbänden und Privatpersonen, ausdehnen soll. Ich persönlich fände es z. B. außerordentlich interessant zu wissen, an welchen Unternehmen, an welchen großen Aktiengesellschaften Verbände wie die Gewerkschaften mit größeren Aktienpaketen beteiligt sind. Es könnte sicher auch in bezug auf andere Gruppen interessant sein. Ich glaube — ohne daß ich dazu schon einen endgültigen Standpunkt vertreten möchte —, daß wir auch diesen Gedanken, der ja im übrigen nicht von den Kollegen von der SPD erfunden worden ist, sondern in der Literatur seit langem auch von hervorragenden Juristen und Bankfachleuten diskutiert wird, bei der Bearbeitung des Gesetzes werden berücksichtigen müssen. Problematisch wird dann die Frage werden, ob man diese mitgeteilten Beteiligungen nachher auch im Geschäftsbericht veröffentlichen soll.
Da wir gerade beim Thema „Publizität" sind, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine kleine Nebenbemerkung, die vielleicht den Kollegen Dr. Arndt interessieren wird. Wir haben uns bei dem Rundfunkstreit sehr viel darüber unterhalten, daß öffentlich-rechtliche Anstalten eine gewisse Gewähr für Publizität und „gemeinwichtige Politik" bieten. In diesem Zusammenhang finde ich es gerade auch im Hinblick auf das Aktienrecht sehr interessant, daß ausgerechnet die beiden Anstalten des Norddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks in den letzten Jahren keine Bilanzen veröffentlicht haben. Mir scheint, daß also auch die Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Unternehmens keine unbedingte Garantie für gemeinwichtiges Benehmen bietet.
Ich vermisse persönlich — ohne damit in irgendeiner Form die Meinung meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen — in dem Entwurf eine Bestimmung über die personelle Verflechtung. Ich glaube insofern, daß man den Vorschlag der SPD in ihrem Entwurf, daß über die personelle Verflechtung der Unternehmen etwas gesagt werden sollte, durchaus sachlich erörtern könnte.
Eine letzte Bemerkung noch zu dem Vorschlag in dem Entwurf der SPD, daß auch wettbewerbsbeschränkende Verträge in dem Konzernbericht aufgeführt werden sollen. Ich möchte dazu sagen, daß ich persönlich, soweit es sich um Verträge handelt, die dem Bundeskartellamt vorgelegt und von ihm im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sind, dagegen keine Bedenken habe. Weiter zu gehen, scheint mir allerdings sehr bedenklich. Denn ich sehe keinen Grund, alle Lizenzverträge, Ausschließlichkeitsvereinbarungen und ähnliche Verträge im Rahmen eines Geschäfts- oder Konzernberichts offenzulegen.
Ich habe damit schon kurz das Wort Konzernbericht erwähnt. Ich möchte darauf nicht näher eingehen. Ich halte gerade diese Vorschläge des Entwurfs, nach denen wir in Zukunft einen zusammenfassenden Bericht über den Konzern und eine zusammenfassende Bilanz erhalten sollen, für sehr gesund und für sehr zweckmäßig.
Abschließend darf ich folgendes sagen. Zu den Bedenken, die in der Wirtschaft erhoben worden sind, habe ich zum Teil eine durchaus kritische Meinung geäußert. Ich habe das nicht getan — ich möchte das ganz deutlich sagen — aus einem Mißtrauen gegen die Wirtschaft, sondern deshalb, weil ich meine, daß wir gerade durch Ausweiten der Rechte des Aktionärs und durch ausreichenden Schutz der Minderheiten die Gefahr, ich möchte sogar sagen: den Verdacht des Mißbrauchs der Rechtsform bei den Aktiengesellschaften verhüten wollen.
Wir wollen damit also nicht etwa die Unternehmen in der Freiheit ihres Handelns beschränken, sondern wir wollen diese Freiheit der Unternehmen, die Freiheit der Wirtschaft erhalten, indem wir mißbräuchliche Benutzung verhindern.
Ich glaube, daß mit dem Regierungsentwurf hier der richtigere Weg gegangen wird als etwa mit den vorhin zitierten Vorschlägen für ein neues Unternehmensrecht, die doch praktisch eine weitere Entmachtung des Aktionärs durch Vertreter des öffentlichen Interesses bedeuten.
Die Aktie wird für das Publikum nur interessant bleiben, wenn wir ihre Stellung stärken. Daß wir mit dieser Tendenz und gerade auch mit dem, was wir auf dem Gebiete der Volksaktie machen, durchaus auf dem richtigen Wege sind, haben uns ganz andere Kreise bestätigt. Klaus Mehnert berichtet in seinem Buch „Der Sowjetmensch" auf Seite 440, daß die russische Akademie der Nationalökonomie sich vor einigen Jahren etwa 14 Tage lang auf einem wissenschaftlichen Kongreß sehr eingehend mit dem amerikanischen Volkskapitalismus und mit den deutschen Ideen hinsichtlich der Volksaktie usw. beschäftigt hat.
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Zweifellos nicht, um es nachzumachen, sondern doch nur, weil man genau weiß, daß für die östlichen Ideen hinsichtlich des volkseigenen Betriebes die Chancen vorbei sind, wenn jede Hausfrau die Aktie im Küchenschrank hat!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Deringer zum Unternehmensverfassungsrecht. Der Regierungsentwurf zeichnet sich dadurch aus, daß er das Unternehmensverfassungsrecht einfach ausspart und so tut, als sei die Frage der Unternehmensverfassung keine entscheidende Frage der Aktienrechtsreform. Ja, der Herr Bundesjustizminister ist sogar so weit gegangen, alle jene Versuche, die Struktur der modernen Wirtschaft und ihrer Großunternehmungen zu untersuchen und aus der Strukturveränderung Konsequenzen für das Aktienrecht zu ziehen, zu bagatellisieren, indem er davon sprach, daß da viel über das „Unternehmen an sich" geredet werde.
Dabei sollte man sich doch darüber klar sein, daß sich die gesamte Rechts- und Staatswissenschaft aller modernen Industriestaaten mit diesem Problem der modernen Unternehmen befaßt und einmütig zu der Auffassung kommt, daß die heutige aktienrechtliche Verfassung keine angemessene Unternehmensverfassung ist, sondern darüber hinwegsieht, daß das Unternehmen moderner Art ein ganz besonderes soziologisches Phänomen ist, dem auch das Recht Rechnung tragen muß. Sie, meine Herren von der CDU, und die Bundesregierung sind eigentlich die einzigen, die so tun, als brauchten Sie das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aber ich habe nicht die Absicht, mich mit all den Einzelheiten, die in eine Auschußberatung und nicht in die erste Lesung gehören, hier zu befassen. Wir werden uns mit Ihnen in den Ausschüssen darüber unterhalten, wie Sie zu dem Problem der modernen Unternehmensverfassung stehen, und dann werden wir eine recht gründliche Untersuchung verlangen und uns nicht mit einigen nach unserer Auffassung oberflächlichen Bemerkungen, wie sie heute gemacht worden sind, begnügen.
Meine Damen und Herren, ich möchte gegen einen Vergleich Verwahrung einlegen. Bei der Stellung, die der Mittel- und Kleinaktionär — Herr Kollege Deringer, ich hoffe, es geht uns beiden um diesen und nicht darum, die Stellung des Großaktionärs zu festigen — in der Publikumsgesellschaft heute hat, scheint es mir höchst unangemessen, einen Vergleich zwischen der Ohnmachtstellung dieses Aktionärs und der Stellung des Staatsbürgers im demokratischen Staat zu ziehen, wie das der Herr Kollege Barzel getan hat.
Über alle diese Dinge werden wir uns im Ausschuß unterhalten müssen.
Ich sehe mich aber veranlaßt, zu einigen anderen Dingen, die Herr Kollege Barzel als besondere Bonbons empfunden hat, etwas zu sagen. Ich werde mich nicht darauf einlassen — auch er hat das nicht getan —, diese Debatte zu einer breiten Debatte über Eigentumsfragen zu machen; eine solche Debatte können wir an anderer Stelle führen. Aber einige Punkte, die er hier dargelegt hat, bedürfen einer Stellungnahme.
Zunächst, meine Damen und Herren, geht unser Vorschlag davon aus, daß die riesigen Gewinne der Großwirtschaft steuerlich erfaßt werden sollten. Dabei handelt es sich um die überhöhten Gewinne, die marktbeherrschenden Unternehmungen auf ,dem Wege über überhöhte Preise auf Grund ihrer Machtstellung zufließen und im Vermögenszuwachs ihren Niederschlag finden. Es erscheint mir sehr fragwürdig, ob es gut ist, die steuerliche Erfassung dieser Gewinne in Beziehung zu der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes zu setzen, und so zu tun, als ob die steuerliche Erfassung solcher Übergewinne eine Form von Enteignung wäre. Herr Kollege Barzel, Sie wissen, daß der Vermögenszuwachs auf Grund stehengebliebener Gewinne, auf Grund der Gewinnlage und der Eigenfinanzierung der Unternehmungen in den letzten zehn bis zwölf Jahren nahezu 150 Milliarden DM betragen hat. Ungeachtet aller Versuche, dieser Entwicklung entgegenzutreten, zeigen z. B. die neuesten Veröffentlichungen über das Jahr 1959, daß in diesem Jahr besonders hohe Gewinne, eine besonders hohe Selbstfinanzierungsrate und damit ein besonders hoher Vermögenszuwachs in der Großwirtschaft zu verzeichnen sind. Und, Herr Kollege Barzel, Sie wissen, daß sich diese Gewinnlage und diese Anreicherung der Vermögen auf eine verhältnismäßig geringe Zahl ganz großer, marktbeherrschender Unternehmungen beschränkt. Wir haben die Körperschaftsteuer-Statistik des Jahres 1957 vor uns liegen. Von 16 400 Aktiengesellschaften und GmbHs waren es nur 1200 — das sind etwa 7 % der Gesellschaften —, die jeweils Gewinne über 100 Millionen DM hatten, aber insgesamt 83 % des gesamten Gewinns aller 16 000 Gesellschaften auf sich vereinigten.
Das ist das Problem, Herr Kollege Barzel!
Wir haben weiterhin einer neueren Veröffentlichung im Septemberheft von „Statistik und Wirtschaft" entnehmen können, wie sich die Einkommenssteigerung bei den großen Aktiengesellschaften entwickelt hat. Bei den Aktiengesellschaften mit Einkommen zwischen 500 000 DM und 1 Million DM stieg das Einkommen seit 1954 um etwa 120 %; bei den Aktiengesellschaften mit Einkommen über 20 Millionen DM stieg es um 315 %. Diese gewaltige Ansammlung von Gewinnen, von Vermögen muß doch steuerlich irgendwie berücksichtigt werden!
Es war der Bundeskanzler, der diese unerhörten
Gewinne kritisiert und gemeint hat, so könne es
nicht weitergehen. Es war die Bundesbank und es
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war der Bundeswirtschaftsminister, die dargelegt haben, daß die Großunternehmungen die Marktchancen in unerhörter Weise ausnutzten, anstatt die ihnen zukommenden Kostenvorteile in Preissenkungen weiterzugeben. Und es war Herr Abs, der vor der Industrie- und Handelskammer in Essen erklärte, diese Gewinne seien so groß, daß sie nicht nur erhebliche Preissenkungen, sondern darüber hinaus auch erhebliche Lohnerhöhungen erlaubten.
Die Frage ist, ob wir diesen ungeheuren Vermögenszuwachs, der sich immer stärker auf einige wenige Großunternehmungen konzentriert, hinnehmen können oder ob es nicht richtig ist, ihn mit normalen steuerlichen Mitteln zu erfassen. Der auch von Ihnen zitierte und auch von mir hochverehrte Professor von Nell-Breuning hat ebenso wie Professor Jostock diese Entwicklung unumwunden als einen Skandal bezeichnet.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie, ob Sie das einfach hinnehmen und Versuche, an diese ungeheuren Gewinne auf normalem Weg heranzugehen, als Enteignung diffamieren wollen?
Sie haben gemeint, unser Vorschlag, die Abgeltung einer solchen Steuer in Form von Wertpapieren zu begünstigen, liefe auf eine Zwangsabgabe hinaus. Nun, wenn man breite Vermögensstreuung haben möchte, ist es doch wohl wichtig, daß dieser Vermögenszuwachs, diese sich in der Großwirtschaft anhäufenden Gewinne nicht nur der sehr dünnen Schicht der bisherigen — Sie pflegen es so
zu nennen — „Eigentümer" der Aktiengesellschaften zufließen, sondern breiteren Schichten. Und welche anderen Methoden soll man anwenden, um zu erreichen, daß breite Bevölkerungsschichten an dem Vermögen der Großwirtschaft beteiligt werden, als ihnen die Möglichkeit zu geben, über Anteilspapiere an dem Kapital dieser Gesellschaften teilzuhaben?!
— Darauf komme ich noch, Herr Deringer. Ich kann nicht alles auf einmal behandeln. Gestatten Sie, daß ich meinen Gedankengang zu Ende führe.
Wir haben in unseren Vorschlägen mit Absicht einen Zwang zur Abgeltung in Wertpapieren nicht vorgesehen, weil das unseren grundsätzlichen Auffassungen widerspräche. Wir möchten vielmehr, daß durch das Aktienrecht und andere gesetzliche Regelungen ein gewisser Anreiz geschaffen wird, der es auch dem Unternehmen zweckmäßig erscheinen läßt, eine Abgeltung in Wertpapieren vorzunehmen.
Daß es möglich ist, solche angehäuften Gewinne, einen solchen Vermögenszuwachs auf ganz normale Weise zu mobilisieren, das hat die Wirtschaft z. B. bei der Durchführung des Gesetzes über die Gratisaktien gezeigt. Da ist in ganz großem Umfang der Vermögenszuwachs der vergangenen Jahre mobilisiert worden, um ihn jenen zufließen zu lassen, die schon bisher an diesen Großunternehmungen beteiligt waren.
Soll das auf einmal eine verbotene Methode sein, wenn es 'darum geht, eine breite Eigentumsstreuung herbeizuführen?! Wir meinen, ,das ist eine angemessene Form, über die man zumindest sachlich diskutieren sollte.
Der Kollege Burgbacher hat gefragt, wann je es in der Geschichte der zivilisierten Gesellschaft üblich gewesen sei, das, was durch Steuern abgeschöpft werde, zu verkaufen. Herr Kollege Burgbacher, ich würde fragen: Wann in der Geschichte der zivilisierten Gesellschaft haben wir je vor der großen Aufgabe gestanden, einer solch ungeheuren Vermögenskonzentration in der Großwirtschaft zu begegnen und eine breite Vermögensstreuung herbeizuführen?!
Man muß in neuen Situationen — unsere Zeit bringt
dauernd neue Probleme — neue Wege beschreiten.
Herr Kollege Burgbacher, früher war man allerdings der Auffassung, daß das, was an Steuern eingenommen wird, im allgemeinen nur für staatskonsumtive, für öffentliche konsumtive Zwecke zu verwenden ist. Darüber sind wir längst hinaus. Aus dem Ertrag von Steuern werden z. B. auch Unternehmungen wie Bundesbahn, Bundespost und dergl. mehr geschaffen und gestärkt. So werden öffentMittel verwendet, um täglich in den Wirtschaftsablauf einzugreifen. Da wird dauernd gekauft und verkauft.
Meine Damen und Herren, warum ist es so abwegig, dieses Mittel zu benutzen, wenn es um eine I nach Ihrer wie nach unserer Auffassung so wichtige Aufgabe einer breiten Vermögensstreuung geht? Warum soll es verboten sein, dieses normale Mittel der Staatsführung anzuwenden, um diesen großen nationalen politischen Zweck zu erreichen?
Wenn Sie meinen, das dürfe nicht geschehen, dann darf ich Sie daran erinnern, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister im August 1957 in Wolfsburg — das war allerdings vor den Wahlen des September 1957 — ausgeführt hat, die Volksaktie dürfe nicht nur der Privatisierung von Bundesvermögen dienen, sondern müsse eine allgemeine neue Form der Beteiligung werden.
Der Herr Bundeskanzler hat noch in seiner Regierungserklärung im Oktober 1957 diese Version aufgenommen und davon gesprochen, Volksaktien sollten nicht nur für Betriebe des Bundes, sondern auch für die übrige Wirtschaft gegeben werden.
Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Meine Damen und Herren, wo sind Ihre Vorschläge für die Anwendung dieses Grundgedankens auf die private Wirtschaft?
Ich meine, Sie sollten es sich nicht so billig machen,
dann, wenn sich andere die Mühe geben, diesen
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Grundgedanken in fruchtbarer Weise auf das Großvermögen der Wirtschaft anzuwenden, dies von vornherein zu diffamieren.
— Herr Kollege Barzel, was Sie gesagt haben, ging jedenfalls hart an die Grenze des Diffamierens, um mich vorsichtig auszudrücken.
— Herr Kollege Barzel, da ich mich gerade mit Ihnen unterhalte, lassen Sie mich folgendes sagen: Sie haben einige jedenfalls nicht sehr freundliche Worte darüber gebraucht, daß wir, die Sozialdemokratie, den Begriff „Deutsche Volksaktie" für das Wertpapier verwenden, das wir der breiten Eigentumsstreuung nutzbar machen wollen.
Das Problem — ich will es jetzt nicht weiter behandeln — ist tatsächlich die Stellung des Aktionärs in der heutigen Industriegesellschaft. insbesondere in den Publikumsgesellschaften. Mein Freund Heinemann hat dazu das Erforderliche gesagt. Es hilft Ihnen wenig, Herr Kollege Deringer, wenn Sie sagen: Diese Theorie akzeptieren wir nicht. Die Tatsachen werden keine Rücksicht darauf nehmen, welche Theorien Sie zu akzeptieren beabsichtigen. Die Tatsachen sind nun einmal so, daß der mittlere und der kleine Aktionär in ihren Unternehmungen praktisch aber auch gar nichts zu bestimmen haben.
Nicht die bösen Sozialdemokraten sind es gewesen, die ihn enteignet haben, sondern es ist die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft gewesen, die zu dieser Ohnmachtstellung jener kleinen und mittleren Aktionäre geführt hat.
Wir verändern sie nicht im mindesten dadurch, daß wir die Stellung des Aktionärs romantisieren und in der Preußag, mit Militär- und Marschmusik beginnen und so tun, als sei das die Ausdrucksform demokratischer Willensbildung in der modernen Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, selbst sind Sie aber nicht so bange gewesen. Als Sie seinerzeit Ihre Volksaktie, die Privatisierungsaktie schufen, sprachen Sie davon, daß Sie ein Wertpapier eigener Art schaffen wollten. Da hieß es, hier solle ein ganz neuer, revolutionärer Typ einer Aktie geschaffen werden. Da sprachen Sie von vinkulierter Namensaktie, von Erwerbsbeschränkungen — viele Dinge, um diesen neuen Typ herauszubilden —, um darzustellen: Das hat mit der normalen Aktie nichts zu tun. Damals haben Sie, die Sie diese Auffassung noch unter Führung des verstorbenen Herrn Ministerpräsidenten Arnold vertraten, ebenfalls Angriffe
aus der Öffentlichkeit und vor allen Dingen aus der Industrie bekommen, daß Sie hier mit dem Namen Volksaktie etwas belegten, was in Wirklichkeit keine Aktie sei. Aber das hat Sie damals nicht gestört. Erst Ihr Kollege Lindrath hat als Bundesschatzminister die Träume vom Tisch gefegt, daß Sie hier wirklich ein neues soziales Instrument schüfen. Er hat dafür gesorgt, daß das, was heute existiert, nichts Besonderes mehr gegenüber der normalen Kleinaktie ist. — So Ihre Entwicklung, die Entwicklung Ihrer Privatisierungsaktie.
Nun einiges zu der „Deutschen Volksaktie". Hier ist gefragt worden: Ist das nicht in Wirklichkeit ein Investmentzertifikat? Nun, meine Damen und Herren, ganz sachlich und nüchtern darauf die Antwort: Nach ihrer juristischen Konstruktion kommt die „Deutsche. Volksaktie" dem Typ des Investmentzertifikats jedenfalls näher als anderen Typen von Wertpapieren, insbesondere von Aktien, was ich Ihnen gern konzedieren werde. Aber es kommt nicht auf die juristische Konstruktion an, sondern auf das, was tatsächlich geschieht, auf die soziologische Situation in der heutigen Wrtschaft.
Bei der Untersuchung dieses Sachverhalts muß man zu dem Ergebnis kommen: Die „Deutsche Volksaktie" hat mit der normalen Aktie zunächst einmal zwei Dinge gemeinsam, nämlich daß sie eine Beteiligung an der veränderlichen Gewinnlage der Wirtschaft wie bei Investmentzertifikaten und eine Beteiligung am Wertzuwachs der Wirtschaft gewährleistet. Sachlich stimmt sie darüber hinaus mit der Aktie auch darin überein, daß die Inhaber genauso wie die Inhaber von Kleinaktien faktisch im Unternehmen nichts zu sagen haben. Alles andere ist juristische Konstruktion, alles andere ist irreführend.
Darum haben wir keinen Anstand genommen, für diese neue Form von Wertpapieren den Begriff „Deutsche Volksaktie" zu verwenden, für ein Wertpapier, auf das dieser Begriff jedenfalls wesentlich besser paßt als auf Ihre Privatisierungsaktie.
Dazu hat mein Freund Heinemann das Erforderliche gesagt.
Noch eines. Investmentzertifikat ist ein technischer Begriff. Sie werden kein einziges sogenanntes Investmentzertifikat finden, das den Ausdruck Investmentzertifikat trägt. Jeder weiß, daß das kein Begriff ist, den man auf ein Papier drucken kann. Darum steht da „Deka-Anteil" und dergleichen mehr. Niemand schreibt, um „ehrlich" zu sein, wie Sie meinen, „Investmentzertifikat" drauf. Jeder weiß, daß solch ein technischer Begriff nur irreführend wirken kann. Darum verwenden wir einen besseren und, wie wir meinen, brauchbareren Begriff.
Ich möchte mir nicht den Vorwurf machen lassen, daß wir für eine Sache einen Begriff verwenden, der auf die Sache nicht paßt. Was kann denn „Volksaktie" — und da entsinne ich mich gern dessen, was der verstorbene Ministerpräsident Arnold dar-
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über gesagt hat — eigentlich bedeuten? „Volksaktie" kann doch in Wirklichkeit nur bedeuten, daß möglichst allen Menschen, praktisch allen Gliedern des Volkes, die Möglichkeit zu dieser Wertpapieranlage gegeben wird. Bei Ihren Privatisierungsaktien ist der Spaß binnen kurzer Frist, wie man sich ausrechnen kann, zu Ende. Eine Beteiligung breitester Schichten der Bevölkerung ist da nicht drin. Und zweitens kann „Volksaktie" nur bedeuten: daß nämlich diejenigen, die eine Volksaktie erwerben, sich praktisch am Vermögen der Volkswirtschaft beteiligen können, und das ist nicht nur die verhältnismäßig geringe Zahl von Bundesunternehmen, sondern das ist die große Wirtschaft des deutschen Volkes, insbesondere auch die Großwirtschaft mit ihrem erheblichen Vermögen. Das ist der Sinn einer Volksaktie. Sie darf nicht nur einer begrenzten Schicht, sondern muß wirklich breiten Schichten des Volkes zugute kommen, die damit an dem ständigen Zuwachs der Werte in der Wirtschaft und an der ständigen Gewinnentwicklung beteiligt werden. Darum sind wir wirklich der Auffassung, daß es berechtigt ist, ein Wertpapier, auf das diese Bezeichnung ernsthaft eigentlich erst zutrifft, als „Deutsche Volksaktie" zu bezeichnen.
Nun, meine Damen und Herren, Herr Kollege Barzel hat mich zitiert. Ich brauche über die Bedeutung solcher Protokolle, die wir als Mitglieder einer demokratischen Partei sehr hoch einschätzen, nichts mehr zu sagen nach dem, was mein Freund Heinemann gesagt hat. Ein „unkorrigiertes Protokoll"! Manchmal sind Zungenschläge darin, die entweder nicht gewollt, vielleicht auch nicht getan Sind; ich will darüber nicht rechten. Das Protokoll steht so, wie es steht. Aber, Herr Kollege Barzel, wenn Sie ein solches unkorrigiertes Wortprotokoll zitieren, bei dem Sie spüren müssen, daß darin ein Schnitzer enthalten ist, dann sollten Sie es wenigstens vollständig zitieren! Herr Kollege Barzel, und jetzt werde ich das vollständige Zitat einmal bringen. Da heißt es:
Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt
- jetzt kommt das, was Sie nicht gebracht haben
— und an sich ist das gut so, fortschrittliche Parteien gewöhnen sich schwer daran —,
— das haben Sie weggelassen —
die Methoden der Meinungsforschung und Meinungsmanipulation und damit auch Meinungsverfälschung in einem richtigen Ausmaß anzuwenden.
„Anzuwenden", das ist mein Schnitzer, das war nicht so gemeint. Aber, Herr Kollege Barzel, dann kommt ein Halbsatz, den Sie wieder nicht zitiert haben, und der heißt:
während das konservative Parteien ohne jede Rücksicht machen können.
Sehen Sie, Herr Kollege Barzel, das sollte man doch wenigstens mitzitieren. Was wird daraus klar, Herr Kollege Barzel? Daß wir diese Form der Meinungsbeeinflussung oder Meinungsverfälschung für eine ungeheure Gefahr für die Demokratie halten!
— Nach dieser Rede von Herrn Dr. Barzel werden
Sie mir doch wohl gestatten, daß ich darauf in entsprechender Form antworte!
Meine Damen und Herren, warum wenden wir uns gegen diese Methode, von der ich gesagt habe — was Herr Barzel nicht zitiert hat —, daß sie konservativen Parteien so leicht fällt? Wir wehren uns dagegen, weil wir wissen, daß die Demokratie auf der Überzeugung beruht, das Wesen des Menschen bestehe darin, daß er denken kann. Die Meinungsmanipulation schaltet das Denken des Menschen aus. Sie appelliert an das Unterbewußte, an Reflexe, an Gefühle und verhindert, daß der Mensch denkt. Bitte, das sollte zum Ausdruck gebracht werden und wurde zum Ausdruck gebracht und wurde von denen, die es gehört haben, auch genauso verstanden. Was wir wollen, ist, daß man der Methode der Meinungsmanipulation in adäquater Weise begegnet, damit sie nicht unser ganzes politisches, unser demokratisches Leben vergiftet.
Herr Kollege Barzel, dann haben Sie gemeint — und haben mich wieder unvollständig zitiert —, ich hätte deutlich gesagt, daß diese Auseinandersetzung nur im Hinblick auf den kommenden Wahlkampf und praktisch nur aus Taktik geführt worden sei. Jedenfalls war das die Tendenz Ihrer Ausführungen. Herr Kollege Barzel, Sie sollten die Protokolle genau studieren! Wir machen es Ihnen ja so furchtbar leicht, weil wir alles, was wir sagen, in der breitesten Öffentlichkeit sagen und uns gar nicht scheuen, das sofort zu veröffentlichen. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie vielleicht doch merken sollen, wie sehr es mein Anliegen war, darauf hinzuweisen, wie sich die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft verändert hat, wie sich die Struktur der modernen Unternehmungen, die Eigentumsverhältnisse in der modernen Wirtschaft, die Verfügungsverhältnisse in der modernen Wirtschaft, ja auch die Struktur der Arbeitnehmerschaft grundlegend verändert haben. Ich habe auf die großen Auseinandersetzungen hingewiesen, denen wir entgegengehen. Das sind weiß Gott nicht bloß die der nächsten zehn Monate, sondern wir stehen vor ganz anderen, riesigen Auseinandersetzungen in dem Kampf zwischen West und Ost. In der großen Auseinandersetzung ist es auch und insbesondere eine Aufgabe der Demokratie, dafür zu sorgen, daß möglichst viele Menschen privates Vermögen und privates Eigentum haben.
Das war ein sachliches Bekenntnis, meine Damen und Herren, und das war nicht reine Taktik. Sie tun ,den Männern innerhalb der Sozialdemokratie, ,die seit Jahren um diese Probleme ringen, bitter Unrecht, wenn Sie ihnen unterstellen, es handle sich hier um eine rein taktische Maßnahme.
Darum waren wir auch erfreut, daß in der Presse, insbesondere einem großen Teil der ernst zu nehmenden Zeitungen, dieser unser Vorschlag als ein ernsthafter Beitrag zu diesem Problem ,angesehen wurde.
7670 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Deist
)Meine Damen und Herren, wir sind es gewohnt: Wir können machen, was wir wollen. Auch wenn wir einen Vorschlag zu möglichst breiter privater Eigentumsbildung machen, schallt uns der Ausruf „kalte Sozialisierung!", „Enteignung!" entgegen. Ich möchte Ihnen, nachdem Herr Barzel mich zum Teil zitiert hat, nicht idas vorenthalten, was ich auch in Hannover gesagt habe. Da habe ich nämlich darauf hingewiesen, daß wir uns bei dem In-Empfang-Nehmen solcher Vorwürfe in Gesellschaft befinden. Es war nämlich ,die „Soziale Ordnung — Christlich-demokratische Blätter der Arbeit" die letzthin einen Artikel veröffentlichte mit der Überschrift „Eine Ohrfeige für die Bundesregierung". In diesem Artikel hieß es:
Wer 'einen Vorschlag zur Eigentumsbildung macht, muß sich regelmäßig von publizistischen Vertretern der Unternehmerinteressen den Vorwurf gefallen lassen, daß er den Eigentumsbegriff torpediere. . .
Nun, meine Damen und Herren, in der Situation derer, die Vorschläge machen, befindet sich im Augenblick einmal die Sozialdemokratie, und unter diejenigen, die die Unternehmerinteressen vertreten, scheint sich Herr Barzel eingereiht zu haben.
Auch wenn ich wiederhole, möchte ich doch, weil es wichtig ist, .das sagen, was Herr Deringer bereits zitiert hat. Es ist wirklich grotesk, der Sozialdemokrätie den Vorwurf der Sozialisierung und Enteignung in einem Augenblick zu machen, in dem sie zum ersten Mal ganz konkrete Vorschläge, viel
3) konkretere und weitergehende Vorschläge, als die CDU sie sich jemals hat träumen lassen, zu diesem Problem !der Eigentumsbildung macht.
Es ist wirklich recht bedenklich, daß Sie idas in einem Augenblick tun, in dem die Sozialdemokratie durch ihre Haltung, durch konkrete Vorschläge bestätigt, daß der Vorwurf der Eigentumsfeindlichkeit sie nicht trifft.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Abwicklung unserer Tagesordnung. Nach Punkt 13 soll Punkt 5, also Unfallversicherung, aufgerufen werden, dann Punkt 10 — Zolltarif —, dann Punkt 11 — Zollkontingent für Brennstoffe —, dann Punkt 14 — Reichsjugendwohlfahrtsgesetz —, dann die Punkte 15 Ibis 23 und Punkt 25. Das bedeutet also, daß Punkt 3 — Fünftes Gesetz zur Änderung des Getreidegesetzes —, das heute in zweiter Beratung behandelt werden sollte, heute nicht aufgerufen wird. Vielmehr sollen beide Lesungen ,am Freitag durchgeführt werden.
Wir fahren fort in der Beratung zu Punkt 13 der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dahlgrün.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Debatte zur Aktienrechtsreform seit heute vormittag mit Aufmerksamkeit verfolgt. Dabei ist mir vor allem eines aufgefallen. Das ist die Tatsache, daß während des ganzen Tages kein Redner das Wort „Risiko" gebraucht hat. Dabei ist doch wohl jedem in diesem Hohen Hause und auch draußen klar, daß die Aktie ihrer Natur nach ein Risikopapier ist. Ich halte es der breiten Bevölkerung gegenüber für fair und für richtig, nicht nur von den Vorzügen der Aktie als Anlagepapier zu reden, sie nicht nur in der einen oder anderen Form als „Deutsche Volksaktie" oder nur als „Volksaktie" zu bezeichnen oder mit ähnlichen Bezeichnungen zu versehen und sie nicht nur zu loben, sie nicht nur, wie es Herr Kollege Dr. Deist getan hat, im Zusammenhang mit überhöhten Riesengewinnen zu nennen, sondern demjenigen, der sich für eine Aktie interessiert, auch ganz offen und ehrlich zu sagen, daß er ein Risiko eingeht.
Ich meine nicht den Fall, daß eine Wirtschaftskrise großen Ausmaßes den inneren Wert der Aktien verzehren kann, sondern ich möchte nur als Beispiel für eine durchaus im Bereich des Möglichen liegende Entwicklung folgendes anführen: Nehmen Sie einmal an, daß — und viele Aktionäre haben das vor gar nicht zu langer Zeit, und zwar erst nach 1945, erlebt die Aktien über viele Jahre hin ohne Ertrag bleiben, weil auch „überhöhte Riesengewinne" nicht dazu ausreichen, den Platz im Wettbewerb zu behaupten, der technischen Entwicklung zu folgen. Es kann also durchaus auch einmal sein, daß der Aktionär mit seiner Gesellschaft zusammen über Jahre hin investiert, um der technischen Entwicklung zu folgen, und daß er in dieser Zeit auf Ertrag verzichten muß.
Nun meine ich, daß das noch nicht sehr schlimm ist; denn der innere Wert der Papiere steigt durch die Investitionen; aber ich glaube, daß viele Leute, die heute von allen Seiten her zur Aktie als Anlagepapier gedrängt werden, das vielleicht nicht sehen. Sie denken daran, daß sie jedes Jahr nette Dividenden bekommen, und sie denken vielleicht nicht daran, daß sie auch einmal Jahre hindurch zuwarten müssen. Man sollte also schon dabei bleiben, daß die Aktie ihrer Natur nach ein Risikopapier ist. Derjenige, auch der kleine Mann, der sich dafür interessiert, sollte das wissen, und es sollte ihm ganz ehrlich und offen gesagt werden.
Ich habe überhaupt den Eindruck, daß die ganze Diskussion über die Reform des Aktienrechts irgendwie eine Schlagseite bekommen hat, die ihr nicht guttut. Ich sehe das darin, daß man zu weit von der Funktion des Aktienrechts als eines Ordnungsfaktors abkommt und dazu übergeht, mit Hilfe des Aktienrechts vornehmlich Wirtschafts- oder Sozialpolitik betreiben zu wollen. Gerade wenn Herr Kollege Dr. Deist an die Auseinandersetzungen erinnert, denen wir im Laufe der nächsten Jahre entgegensehen müssen, halte ich es nicht für gut, wenn er bei seiner Erklärung, um was es sich bei der „Deutschen Volksaktie" handelt, den Satz prägt, daß es auf den juristischen Stand und auf die juristische Konstruktion gar nicht so sehr ankomme. Ich finde, es kommt außerordentlich darauf an, durch das Aktiengesetz eine vernünftige und richtige juristische Konstruktion zu haben, die die Aktien-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7671
Dr. Dahlgrün
gesellschaften ordnet und ihre Funktion als Kapitalsammelbecken sicherstellt.
Herr Abgeordneter Dr. Dahlgrün, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?
Bitte schön.
Herr Kollege Dahlgrün, habe ich mich so falsch ausgedrückt, daß Sie nicht verstanden haben: Ich halte es für falsch, wenn die juristische Konstruktion in einem eklatanten Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen steht? Nicht aber wollte ich etwa generell einen Unwert juristischer Begriffe und juristischer Konstruktionen behaupten.
Herr Kollege Dr. Deist, ich habe Sie so verstanden, wie ich es soeben vorgetragen habe. Wenn ich mir vor Augen halte, daß Herr Kollege Dr. Heinemann und Sie nun wirklich vergeblich versucht haben, mir klarzumachen, daß die „Deutsche Volksaktie", wie Herr Dr. Heinemann es gesagt hat, mittelbar eine Aktie sein soll, dann — ich muß es Ihnen offen sagen — komme ich als Jurist nicht mehr mit. Denn in meinen Augen ist die „Deutsche Volksaktie", so wie Sie es konstruiert haben, letzten Endes nichts weiter als ein Investmentzertifikat. Wenn Sie das nun Volksaktie nennen, will ich mich mit Ihnen nicht streiten.
Aber Sie haben nicht klar juristisch zum Ausdruck gebracht, daß Ihre Volksaktie, d. h. das Zertifikat der Beteiligung an der sogenannten Deutschen Nationalstiftung, eben keine Aktie ist; denn die Deutsche Nationalstiftung ist keine Aktiengesellschaft, an der man mit einer Aktie beteiligt sein könnte. Das sind, finde ich, auf Ihrer Seite unklare, verwaschene Darlegungen, die mich dazu gebracht haben, Sie so zu verstehen, daß es letzten Endes auf die juristische Konstruktion nicht ankomme. Ich finde, daß es sehr darauf ankommt!
Ich bin zum Beispiel auch der Meinung, daß die Entwicklung, die in der CDU zur „Volksaktie" hin stattgefunden hat, indem man letzten Endes entgegen den ursprünglichen Plänen darauf verzichtet hat, einen besonderen Volksaktientyp zu schaffen, im Sinne der juristischen Klarheit, im Sinne der Klarheit der Unternehmensverfassung der Aktiengesellschaft nur zu begrüßen ist.
Ich habe dann allerdings heute morgen von Herrn Kollegen Dr. Barzel eine Andeutung gehört, bei der ich gleich von vornherein sagen will: Es ist möglich, daß ich sie mißverstanden habe. Vielleicht sagt Herr Professor Burgbacher oder Herr Kollege Dr. Barzel nachher noch etwas Näheres dazu. Herr Kollege Dr. Barzel sagte nämlich, daß man sich überlegen müsse, ob man nicht bei den Ausschußberatungen doch vielleicht die Volskaktie in das Aktienrecht einbauen solle. Ich finde, das wäre
recht bedenklich und tendiert vielleicht in die Richtung, doch wieder einen besonderen Aktientyp als Volksaktie zu schaffen, wie es ursprünglich in der Anfangszeit geplant war.
Aber nach der Zwischenfrage von Herrn Dr. Deist war ich davon abgekommen. Die Diskussion hat insofern eine Schlagseite bekommen, die ich nicht für gut halte, als irgendwie an Neidgefühle, an Ressentiments appelliert wird. Ich glaube empfehlen zu sollen, ja ich möchte sogar darum bitten, die Reform des Aktienrechts wirklich ganz nüchtern, ruhig als juristische Angelegenheit durchzuführen und ihr nicht etwa diesen Trend zu geben: Dies ist ein Gesetz gegen die Großen und für die Kleinen und für den Mittelstand. So ist das gar nicht, wenn man auch vielleicht in weiten Kreisen der Bevölkerung zu solchen Auffassungen neigt.
Ein Konzern, ein ganz großes Unternehmen ist doch nicht böse per se. Es mißbraucht seine Macht nicht in jedem Falle. Jeder von uns ist sich doch darüber klar, daß wir im Zeitalter der Automation, im Zeitalter ,des Atoms ganz sicherlich große Unternehmungen brauchen werden, denen allein die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, diese technischen Entwicklungen voranzutreiben oder diesen technischen Entwicklungen zu folgen.
Was wir alle nicht wollen, ist der Mißbrauch der Macht, der Mißbrauch ,der Konzentration. Dagegen ist nichts zu sagen. Ich meine aber, daß auf anderen Rechtsgebieten das Entsprechende getan werden muß. Man kann mit Hilfe des Wettbewerbsgesetzes, mit Hilfe der Steuergesetze eingreifen, für Ordnung sorgen und die Dinge in die richtige Bahn lenken. Was ich befürchte bei den Plänen, die Herr Dr. Deist in Hannover vorgetragen hat, bei den Absichten, die man dem Godesberger Programm der SPD und letztlich auch auf dem Arbeitnehmersektor der CDU Aufsätzen in der „Sozialen Ordnung" — der Zeitschrift unseres Herrn Kollegen Katzer, die hier schon zitiert worden ist — entnehmen kann, ist, daß hief die Kräfte sitzen, die solche Mißbräuche über die Eigentumsordnung bekämpfen wollen. Das halte ich nun eben einmal für grundsätzlich falsch; das Eigentum ist nach Art. 14 und Art. 19 des Grundgesetzes geschützt, gleichgültig ob groß oder klein: wir können keinen Unterschied machen. Der Maßstab der Größe zieht beim Eigentum nicht. Wir sollten uns bemühen, auf den anderen Sektoren in dieser Richtung etwas zu tun. Dazu gehört natürlich auch eine vernünftige, ordentliche Fassung des Aktiengesetzes, um seine Funktion sicherzustellen, damit nicht etwa auch noch durch das Aktiengesetz ausdrücklich zu Konzentrationen angereizt wird.
Bei dem ganzen Konzernproblem kann man nicht einfach sagen: :der Konzern ist schlecht, weil er groß ist. Es gibt zufällige Konzernverbindungen, und es gibt Konzernverbindungen, die organisch geschaffen werden. Ich stehe auf dem Standpunkt: wenn jemand zufällig in zwei verschiedenen Unternehmungen Mehrheiten besitzt und wenn die beiden Unternehmungen keinen Kontakt miteinander haben, so ist eine ganz andere Behandlung am Platze, als wenn eine Firma auf der anderen aufbaut und beide sich zusammenschließen.
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Dr. Dahlgrün
Ein anderer Gesichtspunkt. Es ist hier von der Notwendigkeit gesprochen worden, die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ähnlichen Vorschriften zu unterwerfen. Gut, wenn jemand eine Aktiengesellschaft in eine GmbH umwandelt, nur um es leichter zu haben, so lasse ich mit mir darüber reden. Es gibt aber auch andere Fälle. Ich will Ihnen nur zeigen, daß es nicht immer das Bestreben ist, auszuweichen, Machtkonzentrationen zu bilden. Ich könnte Ihnen Produktionszweige nennen, in denen z. B. die Form der Aktiengesellschaft wegen der Bilanzierung einfach nicht tragbar ist, wo man historisch und aus sachlichen Gründen seit jeher die Form der GmbH gewählt hat, weil die Zollfragen und die Lagerhaltung, die in das Fachgebiet solcher GmbHs hineinspielen, gar keine andere Rechtsform zulassen.
Ich möchte noch die Frage der EWG erörtern, weil sie vielleicht nicht ganz klar herausgekommen ist. Herr Kollege Dr. Barzel hat sie bereits angesprochen. Nach meiner Überzeugung kommen wir — und das stützt meine These, daß die Aktienrechtsreform nüchtern, unabhängig von irgendwelchen Ressentiments durchgeführt werden sollte — im Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Sektor des Aktienrechts nicht zu Rande, wenn wir in den nationalen Aktiengesetzen irgendwelche besonderen nationalen Ziele verfolgen. Wir kommen nur zu einer einheitlichen europäischen Lösung — ganz langsam, es wird ein sehr schwieriger, weiter Weg sein —, wenn diese nationalen Aktiengesetze wirkliche Ordnungsgesetze sind, die man dann möglicherweise aufeinander abstimmen kann. Ich will es Ihnen nur an einem Beispiel klarzumachen versuchen, worin ich sachlich nichts gegen das Verbot der Bildung von Rücklagen in bestimmten Fällen, unter bestimmten Umständen sagen will. Aber ein solches Verbot in einem Aktiengesetz ist international überhaupt nicht unterzubringen, weil es anderswo nicht vorhanden ist. Wir werden uns also auch mit Rücksicht auf die Entwicklung im europäischen Wirtschaftsraum in den Ausschüssen sicherlich noch sehr genau und sehr sorgfältig über solche Fälle unterhalten müssen und darüber, wie dieses Aktiengesetz in Zukunft auszusehen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit einigen Argumenten der Kollegen der Opposition auseinandersetzen. Bevor ich das tue, will ich sozusagen den Degen senken und drei Dinge als höchst erfreulich bezeichnen. Das erste ist — in der Tat beachtlich —, daß uns allen die unkorrigierten Protokolle des SPD-Parteitages in Hannover zur Verfügung stehen, das zweite ist, daß wir es begrüßen, daß innerhalb der großen Oppositionspartei ernsthafte Überlegungen über eine Reform ihres politischen Programms im Gange sind, und das dritte ist — gleichzeitig auch eine Anerkennung für uns —, daß dabei Begriffe, die bisher in unserem
Vokabular standen und von Ihnen hart angegriffen! wurden, nämlich die Begriffe des breit gestreuten Personeneigentums und der Volksaktie, nunmehr von Ihnen der Ehre ihrer Erwähnung gewürdigt werden.
Herr Kollege Heinemann, ich habe in diesem Hause schon einmal gesagt, man solle uns mit solchen Fragen wie Ahlener Programm nicht unnötig reizen, wenn man, wie der Volksmund sagt, selbst im Glashaus sitzt. Denn sehen Sie, meine Damen und Herren, von unserem Ahlener Programm ist heute noch sehr viel mehr übrig als von dem Programm, das Sie zur Zeit der Geburt des Ahlener Programms vertreten haben, heute noch übrig ist.
Im übrigen möchte ich auf die Ausführungen meines Kollegen Katzer an dieser Stelle — ich glaube, es war bei der Konzentrationsdebatte — verweisen, in denen er gesagt hat, der tragende Grundsatz des Ahlener Programms, der Kampf um die Herbeiführung des machtverteilenden Prinzips, sei heute noch nach Auffassung der Fraktion gültig. Das möchte ich hier wiederholen, und unsere Bemühungen z. B. um die Frage der Konzentration mögen Ihnen das auch beweisen. Wie schwierig die Durchführung dieses Grundsatzes deis machtverteilenden Programms ist, wissen wir; aber wir haben noch diesen Grundsatz, während Sie doch — was ich teils kritisch, teils anerkennend bemerken möchte — dabei sind, Ihre Grundsätze zu revidieren.
Sie dürfen uns auch nicht übelnehmen, daß wir neben der Anerkennung dieser Bemühungen eine kritische Aufmerksamkeit behalten. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie nach der letzten Bundestagswahl, die Sie verloren haben, sozusagen in eine Erforschung Ihrer Erkenntnisse eingetreten wären und mit den neuen Erkenntnissen in diesem Bundestag gekämpft hätten, dann würden wir mit sehr viel weniger Kritik den neuen Erkenntnissen begegnen, als wir ihnen begegnen müssen, nachdem Sie erst ausgerechnet das Jahr vor der Bundestagswahl zur Reform Ihrer Überlegungen benutzt haben.
Es ist noch ein weiterer Unterschied zwischen den Programmfragen. Wir haben sicherlich nicht alle Begriffe des Ahlener Programms wortwörtlich realisiert. Ich habe gesagt, bei welchem Grundsatz wir alle bleiben. Wir haben aber in diesen Jahren erwiesenermaßen eine für das deutsche Volk erfolgreiche Politik gemacht, während erwießenermaßen die Ablehnung unserer Vorlagen durch Sie und Ihre eigenen Vorlagen keine produktive Folge für das deutsche Volk gehabt haben. Das ist ja wohl auch der tiefste Grund Ihrer Reformbemühungen.
Es ist gesagt worden, man solle diese unkorrigierten Protokolle nicht ohne weiteres benutzen oder nicht unnötig benutzen.
Ich gehe weitgehend mit dieser Auffassung einig.
Ich würde, wenn irgendein Delegierter redlicher
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7673
Dr. Burgbacher
Art aus seinem Bezirkshorizont etwas gesagt haben sollte, was uns von der CDU heute bei einer Vorlesung besondere Freude machen würde, es nicht für fair halten, das zu zitieren. Wenn aber bedeutende Männer Ihrer Partei wie der Professor Schiller und unser Kollege Seuffert uns in vielen Beziehungen hei ihrer Kritik auf Ihrem Parteitag aus dem Herzen gesprochen haben, dann ist es, glaube ich, nicht unfair, wenn man darauf auch hier von diesem Platze aus eingeht. Es würde mich reizen, speziell das, was der Professorenkollege Schiller gesagt hat, mehr oder weniger zu zitieren; aber ich will mich auf einiges wenige beschränken.
- Herr Kurlbaum, wir werden ja mit noch größerem Interesse als dem, womit wir das unkorrigierte Protokoll gelesen haben, das korrigierte lesen.
— Ja, Sie sehen, ich bin dabei, Herr Kollege. —Auf der einen Seite, sagt Schiller — ich bitte um Erlaubnis, zu verlesen, Herr Präsident — „wird ganz deutlich mit einer ganz normalen klassischen fiskalischen Maßnahme gearbeitet und wird schlicht und ergreifend eine Vermögensabgabe, eine Kapitalabgabe, eingerichtet; und dann soll nun diese große Investment-Gesellschaft, genannt ,,Nationalstiftung", auf der Grundlage dieser Papiere arbeiten. Das verstehe ich einfach nicht. Denn dann kommt eben der Verkauf von neuen Zertifikaten. Hier wird dieselbe Sache zweimal bezahlt."
,,Einmal hat es das Unternehmen unzweifelhaft bezahlt, indem es eine Steuer oder irgendetwas ähnliches, eine öffenliche Pflicht- oder Zwangsabgabe entrichtet hat, oder die andere Sache"
— sagt Schiller —, „man benutzt tatsächlich die Idee der Investment-Gesellschaft, die hier nur äußerlich benutzt worden ist. Dann ist es so, daß eine Investment-Gesellschaft Zertifikate ausgibt, dafür Beträge einnimmt und daraus Wertpapiere kauft, nicht auf dem Wege der öffentlichen Abgabe geschenkt bekommt, sondern Wertpapiere kauft und diese eben als Deckungsgrundlage benutzt."
Ich will das Programm der SPD übrigens nicht „Deist-Plan" nennen, ich will es „Hannover-Plan" nennen. Ich will Sie damit aber nicht kränken, Kollege Deist, sondern will damit nur meiner starken Vermutung, daß es sich bei dem Plan um ein Kompromißprodukt handelt, Ausdruck geben.
— Leider auch!
— Ja, jeder hätte seine Ideen gern in Reinkultur ausgeführt!
— Ja, es fragt sich nur, ob der Kompromiß die Geburt aus der Begegnung zweier normaler Menschen oder zweier ganz verschiedener Lebewesen ist, und Ihr Kompromiß sieht doch sehr danach aus, daß er die Geburt aus der Begegnung des Sozialismus, lies: Kollektivismus, mit unserer anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung ist und daß er deshalb die Gefahr in sich trägt, weder das eine noch das andere ganz zu sein.
— Ja, es gibt sehr viele schöne Worte.
Ich will von den Bedenken des Kollegen Seuffert hinsichtlich inflationärer Wirkung nichts sagen. Ich möchte nur sagen, er meint es so, daß eine inflationäre Wirkung eintreten kann, wenn etwas zweimal bezahlt wird. So ist sein Diskussionsbeitrag wenigstens aufgebaut.
Herr Kollege Deist, ich kann mich nicht ganz dem Vergnügen entziehen, auch Sie zu zitieren: „Aber, Genossinnen und Genossen,"
— ich zitiere, um mich keinem Verdacht auszusetzen, korrekt und vollständig —
wir sollten auch nicht übersehen, daß ein solcher Vorschlag auch andere Menschen ansprechen soll, die wir bei einer Wahl mitberücksichtigen müssen.
die wir, ich möchte das einschränken, nicht nur bei einer Wahl berücksichtigen müssen, sondern die eine Partei, wenn sie ein politisches Gesamtbild der Wirtschaftsordnung schaffen will, mitberücksichtigen muß.
— Ja, wir sind ganz damit einverstanden. Aber es hat furchtbar lange gedauert, bis Sie entdeckt haben, daß Sie unser Wirtschaftsbild mitberücksichtigen müssen.
Noch einmal sagt Kollege Deist bei der Überlegung über die Bezeichnung Volksaktie:
Aber verlaßt euch darauf, natürlich haben wir einige Feststellungen darüber getroffen, und gerade aus diesen Feststellungen sind wir zu der Überzeugung gekommen, jedenfalls diejenigen, die bei uns vorgeben, etwas davon zu verstehen, und dafür da sind — ich verstehe von Demoskopie zuwenig und will gar nicht allzuviel verstehen; aber diejenigen, die diese Dinge untersuchen, waren der Meinung —, daß jedenfalls propagandistisch diese Bezeichnung nicht falsch ist.
7674 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Burgbacher
Ja, davon sind wir überzeugt.
Ich trage das bewußt etwas freundlich vor. An der Sachlichkeit des Inhalts ändert sich aber dadurch nichts.
Lieber Kollege Deist, jetzt wird es aber ernster. Sie haben in Ihren Ausführungen gesagt:
Die deutsche Volksaktie verspricht eine gute, nachhaltige Rendite,
— in Ordnung! —
weil sie sich nämlich auf die Ertragslage der Großwirtschaft stützt,
— auch noch nach Ihrem Plan in Ordnung! —
und sie ist ein Anteilspapier, das für den Berechtigten eine Teilnahme am Vermögen der Gesamtwirtschaft darstellt."
Herr Kollege Deist, sehen Sie, hier scheiden .sich die Geister! Wir kennen keinen Eigentumsbegriff als Anteil am Gesamtvermögen einer Volkswirtschaft! Das ist nach unserer Auffassung realisierter Sozialismus.
Wir kennen nur ein Bach- und personenbezogenes Eigentum!
Wir kennen nur ein Eigentum, das nicht nur Chancen, sondern auch Risiken enthält!
Herr Abgeordneter Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Deist?
Bitte!
Herr Kollege Burgbacher, kennen Sie nicht jene Überlegungen und Vorschläge aus Kreisen Ihrer Partei und außerhalb Ihrer Partei, die sich gerade mit dem überbetrieblichen Miteigentum und der überbetrieblichen Beteiligung befaßt haben, und meinen Sie, daß Ihre juristischen Spielereien mit Eigentum oder Nicht-Eigentum den Kern der Sache treffen?
Ich kenne im Augenblick keine, aber ich bin überzeugt, daß es auch in unserer Partei Menschen gibt, die solche
— _Über den Investivlohn können Sie, wenn die Zeit gekommen ist, mit uns gern debattieren,
denn das ist etwas ganz anderes. Bei dem Investivlohn entsteht kein Kollektiveigentum. Was Ihrem Plan verwandt ist, ist der Gleitze-Plan, dessen Seelenverwandtschaft mit dem Hannover-Plan sich nicht bestreiten läßt. Aber ich wiederhole es, und zwar
in aller Schärfe der Formulierung: wir erkennen als Eigentum nicht einen sehr anonymen Anteilschein am Gesamtvermögen der Volkswirtschaft an, sondern wir wollen das Eigentum haben, das sich der Bürger für seine Person unter seiner Verantwortung aussucht.
Herr Abgeordneter Burgbacher, Herr Kurlbaum möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Burgbacher, ist nicht aus den Veröffentlichungen und aus der Diskussion völlig klar geworden, daß die von uns empfohlene Konstruktion technisch nichts anderes ist als ein Investmentanteil und daß von einem Anteil an der Volkswirtschaft im ganzen natürlich keine Rede ist?
Herr Kollege Kurlbaum, ich möchte Ihnen zunächst konzedieren, daß es sich juristisch, wenn man von der Quelle der Vermögensbildung absieht, um ein Investmentinstitut handelt, aber um ein Mammutinvestment. Meine Damen und Herren, Sie sind mit uns in der Form der Bekämpfung der Konzentration einig und schlagen uns gleichzeitig eine gigantische Konzentration vor.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth?
Natürlich!
Herr Kollege Burgbacher, gilt die Erklärung, die Sie vor der Frage des Herrn Kollegen Kurlbaum abgegeben haben, uneingeschränkt für alle Mitglieder Ihrer Fraktion?
Also, meine Damen und Herren, es wäre so billig, zu sagen: jawohl. Ich sage das nicht. Nicht nur auf Ihren Parteitagen, z. B. in Hannover, was wir gern anerkennen, herrscht die absolute Freiheit der Gedankenäußerung; die herrscht bei uns in der Fraktion auch.
Und die Frage des Kollegen Atzenroth möchte ich
dahin beantworten, daß dies die Auffassung der Mehrheit der Fraktion ist. Mit anderen Worten, zum Eigentum gehört die Personenbezogenheit und nicht die Anonymität. Daß wir in unserer modernen industrialisierten Wirtschaft bei wachsenden Märkten in bestimmten Branchen immer größere, opti-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7675
Dr. Burgbacher
male Unternehmensformen bekommen werden, das werden wir nicht ändern können. Das wollen wir im Interesse des Wettbewerbs unserer Volkswirtschaft auch nicht ändern. Davon scharf zu unterscheiden ist die unnötige Konzentration, die mit der optimalen Betriebsgröße nichts zu tun hat.
Daß wir auf diese Weise mit der Aktie schon in ein teilweise anonymes Eigentum hineingeraten sind, ist klar. Die Aktiengesellschaft heißt ja im französischen Sprachgebrauch „Société anonyme", wobei aber die Anonymität nicht auf das bezogen ist, was ich meine, sondern auf die mangelnde Personenidentität der Gesellschaft selbst. Bei den klassischen Eigentumsformen sieht man genau, was wir meinen: Beim landwirtschaftlichen Besitz, beim Eigenheim erkennt jedermann klar die Beziehung zwischen Mensch und Sache, die die moralische Basis des Eigentumsbegriffes ist. Nicht der Wert, sondern 'die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Sache ist es, die dem Eigentumsbegriff primär die moralische Basis gibt.
Wenn wir nicht nur landwirtschaftliches Eigentum, nicht nur Hauseigentum haben können, wenn wir in der modernen Wirtschaft auch Pfandbriefeigentum, auch Sparkasseneigentum — das übrigens gar nicht anonym ist, weil jeder jeden Tag damit machen kann, was er will — und auch Aktien haben müssen, dann ist das noch lange kein Grund, die Anonymität über die Grenze hinaus zu treiben, die durch die wirtschaftliche Entwicklung zwingend vorgeschrieben wird.
Nun sind hier wieder einmal die großen Gesellschaften kritisch behandelt worden. Auch auf die Gefahr hin, daß ich spätestens jetzt — wenn es nicht schon vorher geschehen sein sollte — wie der Kollege Barzel zu den Vertretern der Industrie gerechnet werde, möchte ich für die Großbetriebe auch einiges Positive sagen.
Zunächst einmal haben laut „Wirtschaft und Statistik" die vom Kollegen Deist zahlenmäßig richtig genannten Gewinne 14 % des Nennkapitals und 8% der offen ausgewiesenen Eigenmittel in 1959 betragen. Ich glaube sagen zu dürfen, daß eine Durchschnittsrendite von 8 % der offen ausgewiesenen Eigenkapitalien in einer Zeit der Hochkonjunktur nicht als sensationell angesehen werden kann.
Aber etwas anderes! Wie wäre heute unser Lohn-und Gehaltsniveau, wo stünde heute die Sozialpolitik ohne die beachtenswerte Tatsache, daß primär die von Ihnen so heftig kritisierten Großunternehmen -- die Kritik machen wir uns zum Teil, vor allem bei unsachgemäßer Konzentration, zu eigen, aber im übrigen halten wir sie für zu heftig oder zu einseitig — die Leistungen auf diesen Gebieten vorwärtsgetrieben haben?!
— Ich polemisiere gegen Ihre gegen die Großunternehmen gerichtete Politik.
— Nein, lieber Herr Kollege Carlo Schmid! Sollte es Ihnen bei Ihrer Intelligenz entgangen sein, daß die Mittelbetriebe in der Zeit der Großunternehmen zwar in manchen Branchen zum Tode verurteilt sind, in sehr vielen Branchen ,aber zu neuem Leben erwachen?
— Herr Kollege, auch auf die Gefahr hin, bei einigen einen schwarzen Punkt in Idas Tagebuch zu bekommen, kann ich nicht umhin, ,die teilweise Berechtigung Ihrer Frage anzuerkennen.
Ich darf Ihnen als meine persönliche Ansicht sagen: Eine Vermögensabgabe aus fiskalischen Gründen an sich ,durchaus diskutierbar; sie ist ein völlig legales Mittel und könnte auch einmal notwendig werden. Wir möchten auf jeden Fall scharf unterschieden wissen zwischen einer Vermögensabgabe, die aus nationalen oder volkswirtschaftlichen Gründen erforderlich sein kann, und Ihrem Plan, der eine Umverteilung des Vermögens darstellt. Es ist wirklich ein einmaliger Vorgang, daß man mit Mitteln des Steuerrechts Abgaben kassiert und den Erlös dann weiter verkauft. So ist nämlich der Vorgang bei dieser Deutschen Nationalstiftung.
— Verzeihung, Sie sagen Streuung. Das ist vielleicht das Ergebnis. Ich sage Verteilung; das ist der Tatbestand. — Der Jurist beachtet sehr den Tatbestand.
Herr Kollege Deist, Sie haben gefragt, wo jemals eine derartige Spannung zwischen Großvermögen und Kleinvermögen oder keinem Vermögen war. Herr Kollege Deist, das hätten Sie nicht sagen sollen. Ich verweise Sie auf die ganze Geschichte der Welt und der Menschheit. Ich verweise Sie sogar
7676 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 7. Dezembei 1960
Dr. Burgbacher
auf das heutige Problem in den Entwicklungsländern. Die Spannung zwischen arm und reich gehört zur Menschheitsgeschichte. Wer glaubt, er könne sie völlig beseitigen, lebt in einer utopischen Illusion.
Ich habe schon wiederholt von diesem Platz aus gesagt: Wir müssen die Menschen nehmen, wie sie sind. Wir müssen mit Ihnen arbeiten, wie sie sind. Wir müssen sie bitten, so zu sein, wie sie sein sollten, uns zuerst, im übrigen aber Realpolitik machen. Ihre Frage, Herr Kollege Deist, möchte ich damit beantworten, daß es kein Volk ,der Welt und kein Zeitalter der Geschichte ,gegeben hat, in dem nicht um eine gerechtere Vermögensverteilung gerungen wurde. Damit soll nicht gesagt werden, daß man nicht dafür ringen müßte. Bekanntlich besteht die Politik in dem ewigen Versuch, Gerechtigkeit mit Freiheit zu verbinden. Diesen Versuch wollen wir alle machen.
Die Volksaktie, unsere Volksaktie — —.
— Das war noch nicht einmal mit einer Spitze gegen die SPD, sondern weil wir darauf angesprochen worden sind. Es trifft zu, daß wir der Legislative noch keine Defination der Volksaktie vorgelegt haben. Es trifft zu, daß wir darum ringen. Das Problem ist — das können Sie alle ruhig wissen —, daß wir einmal für den Volksaktionär — lies: Kleinaktionär — besonderen Rechtsschutz für sein Eigentum, für sein Stimmrecht und für die praktische Wahrnehmung seines Stimmrechts haben wollen, daß wir aber andererseits am Ende der Entwicklung nicht zwei Klassen von Aktionären haben wollen.
Ob der Herr Flick — halten Sie sich fest, wenn ich den Namen nenne — eine Aktie besitzt oder Lieschen Müller, muß letzten Endes eigentumsrechtlich dasselbe sein.
— Weil es in einem Rechtsstaat nicht Eigentum zweierlei Rechts geben sollte!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Wollten Sie damit
— sinngemäß — bezüglich der faktischen Wirkung der Gleichheit aller vor dem Gesetz zum Ausdruck bringen, daß es nach dem Strafgesetzbuch sowohl Bettlern als Millionären gleichermaßen verboten ist, Brot zu stehlen?
Herr Professor Burgbacher, das stammt nicht von Carlo Schmid, sondern von Anatole France; das ist ein Professorenstreit.
Ja, ja, aber ich habe eigentlich weniger von Diebstahl als von Eigentum gesprochen!
Ja. Aber, Herr Schmid, ich glaube, daß die Gleichheit doch auch Ihr Anliegen ist. Ober sollte ich mich darin geirrt haben?
— Das ist gerade das Problem, das ich mit der Sicherung des Vertretungsrechts bei Kleinaktien gemeint habe.
Sie haben dem Kollegen Bar z e 1 vorgehalten, er sei Vertreter von Unternehmerinteressen. Ich bin nicht sein Advokat. Aber wer die Verhältnisse kennt, der kann diese Feststellung nur mit Schmunzeln hören. Ich möchte hoffen, daß diese Bemerkung dazu beiträgt, daß das ohnehin schon vorhandene Ansehen des Kollegen Barzel, objektiver Politiker zu sein, jetzt bei bestimmten Kreisen noch wächst.
Sie haben gefragt: Was haben Sie denn für die Bildung von Personeneigentum getan? Diese Frage ist eigentlich sehr kühn; sie ist dreist. Wir haben nämlich eine ganze Menge getan. Darf ich Sie daran erinnern, daß wir fünf Einkommensteuerreformen mit starker Entlastung der unteren und mittleren Einkommen vorgenommen haben? Darf ich Sie daran erinnern, daß das die Voraussetzung für die Ihnen bekannten Sparprozesse war? Darf ich Sie daran erinnern, daß wir das Sparen in jeder Form gefördert haben? Darf ich Sie an das Sparprämiengesetz, an das Bausparprämiengesetz und an die Eigenheimförderung erinnern?
— Ja, das ist eine glänzende Bemerkung. Durch die Reform des Körperschaftsteuergesetzes werden so viel Gewinne mehr ausgeschüttet, daß man daraus wieder Sparprozesse entwickeln kann.
Dann ist die Vermutung geäußert worden, wenn wir das geeignete Bundesvermögen — wir wollen gar nicht alles Bundesvermögen privatisieren —privatisiert haben würden, würden wir am Ende unseres Lateins sein. Glauben Sie das nur nicht! Bis dahin fällt uns bestimmt etwas Neues ein.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1960 7677
Dr. Burgbacher
— Ihrer Anregung, etwas zu erzählen, will ich in einem Punkt nachkommen; ob es Sie befriedigt, weiß ich nicht. Wenn wir nach der Privatisierung des dafür geeigneten Bundesvermögens einige Millionen Aktionäre mehr haben, dann wind sich die Neigung der gesamten deutschen Bürger, sich bei neuen Kapitalerhöhungen der normalen Wirtschaftsunternehmen zu beteiligen, so entwickeln, daß sich diese normalen Wirtschaftsunternehmen bei ihren Kapitalerhöhungen der Einführung der Kleinaktien bedienen werden.
— Sie werden sehen, ob es dürftig ist oder nicht. Das wird die Entwicklung bringen. Ich bin überzeugt, daß die Privatisierung der Bundesvermögen die Initialzündung dafür ist, um die deutschen Bürger auf diesen Weg zu führen.
— Ach, meine Herren, ich habe Verständnis für eine humorvolle Unterhaltung; aber machen Sie es sich doch nicht so billig!
— Ja, da fällt mir ein, daß irgendwann gesagt worden ist, der Mensch solle denken. Das möchte ich Ihnen in ,die Erinnerung zurückrufen. Das sollte wir auch hier tun. Einige tun es laut, einige tun es leise, einige mit Glück, andere mit weniger Glück; das ist so der Lauf ,der Dinge.
Wir beantragen die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß. Übrigens war darüber, ob Wirtschaftsausschuß oder Rechtsausschuß, eine Debatte, aber kein Streit. In der Tat ist es sehr schwer, zu entscheiden, ob das Gesetz primär dahin oder primär dahin gehört. Wir schlagen Ihnen aus praktischen Gründen vor, den Entwurf an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen, selbstverständlich unter Mitberatung durch den Rechtsausschuß.
Ich schließe die Beratung.
Es ist vorgeschlagen die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß. Ein abweichender Antrag ist nicht gestellt. Dann ist so beschlossen; die drei Vorlagen sind entsprechend überwiesen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 2228). (Erste Beratung 129. Sitzung)
Wird eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts verlangt? — Das ist nicht der Fall.
Wir treten dann in die Einzelberatung ein. Ich rufe § 1 auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist angenommen.
Zu § 2 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 724 — Ziffern 1 und 2 — vor. Herr Abgeordneter Börner zur Begründung des Änderungsantrages!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Ziffer 1 des Umdrucks 724 greift die sozialdemokratische Fraktion ein Problem wiederum hier im Plenum auf, das schon in unserer Drucksache 2096 als eines der Kernstücke des Gesetzes betrachtet wurde. Es handelt sich um die Anpassung der Renten der Unfallversicherung.
Bei der Behandlung dieses Punktes erscheint es mir wichtig, einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Problem der Rentenanpassung in der Unfallversicherung zu machen. Wir haben bei diesem Gesetz eine Materie vor uns, die in der deutschen Sozialversicherung schon fast ein Jahrzehnt lang als reformbedürftig betrachtet wird. Der Deutsche Bundestag hat sich in seiner zweiten Legislaturperiode nicht abschließend mit der Reform der Unfallversicherung beschäftigen können. So kam es im Jahre 1957 zu einer Erhöhung der Geldleistungen aus der Unfallversicherung. Der Wille des ganzen Hauses war es aber damals, recht bald eine grundlegende Reform dieses Zweiges der Sozialversicherung vorzunehmen. Aus diesem Grunde war es nach unserer Meinung bedauerlich, daß die Bundesregierung erst mit einer sehr großen Verspätung — in der dritten Wahlperiode des Parlaments — einen Gesetzentwurf zu dieser Materie vorgelegt hat.
Wir hatten damals die Meinung vertreten, daß es richtig und notwendig sei, baldmöglichst eine umfassende Reform der Unfallversicherung vorzunehmen. Daß wir heute mit einem sehr mageren Ergebnis vor das Plenum dieses Hauses treten müssen, daß dieses Ergebnis nach dem Willen der Mehrheit nur die Erhöhung der Geldleistungen der Unfallversicherung — und noch dazu in unzulänglicher Form — ist, hängt damit zusammen, daß die CDU im Sozialpolitischen Ausschuß die Beratungen der Krankenversicherungsreform der Verabschiedung der Unfallversicherungsreform vorgezogen hat. Das war eine Entscheidung, die uns jetzt immerhin durch das Jahr der Beratungen und des Hin und Her über die Krankenversicherungsreform praktisch zwölf Monate Beratungszeit bei dem Poblem der Unfallversicherung gekostet hat. Wir sagen heute ganz offen, wir bedauern es sehr, daß durch diese Entscheidung der Antrag Drucksache 758 heute nicht verabschiedet werden konnte, sondern nur dieses Gesetz.
Als im Sommer dieses Jahres klar wurde, daß die Verabschiedung der Unfallrentenversicherungsreform in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht mehr möglich ist, hat die sozialdemokratische Fraktion einen Initiativgesetzentwurf vorgelegt, der außer den Rentenerhöhungen noch andere Pro-
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Börner
bleme, deren Lösung wir als dringlich ansahen, enthielt. Leider ist dieses Gesetz durch die Mehrheit im Sozialpolitischen Ausschuß nicht in der von uns vorgelegten Form verwirklicht worden. Wir haben vielmehr auch hier nur relativ wenige Dinge in dem Ausschußbericht, die unseren Vorstellungen entsprechen.
Aber nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Zeit der Beratung dieser Materie im Sozialpolitischen Ausschuß ist nach dem Willen der Mehrheit relativ dürftig gewesen, und so sehen wir uns heute übend leider gezwungen, die Geduld des Hohen Hauses dadurch etwas in Anspruch zu nehmen, daß wir einige Anträge, die im Ausschuß abgelehnt wurden, nun wiederum zur Entscheidung stellen müssen.
Ich möchte mich jetzt auf das Problem konzentrieren, das sich in § 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs verbirgt. Wir waren der Meinung, daß es das politische Ziel einer Erhöhung der Geldleistungen in der Unfallversicherung sein müßte, die Unfallrentner den Rentnern aus der Arbeiter- und Angestellten-Rentenversicherung gleichzustellen. Wir bedauern sehr, daß die Beratungsergebnisse im Sozialpolitischen Ausschuß nunmehr ergeben haben, daß die Rentner des Jahres 1959, also alle Personen, die im Jahre 1959 einen Arbeitsunfall gehabt haben, von dieser Rentenerhöhung ausgenommen sind. Wir sind der Meinung, daß man, wenn man schon nach vierjähriger Verzögerung an dieses Problem herangeht und wenn man heute die Frage vor sich hat, ob man den Unfallrentner künftig dem Rentner aus der Arbeiter- und Angestellten-Rentenversicherung gleichzustellen hat, mit dem Ziel an das Problem herangehen sollte, in Zukunft kein Hinterherhinken der Unfallrenten hinter den Renten der Arbeiter- und Angestellten-Rentenversicherung zu bringen.
Wir meinen daß es berechtigt ist, angesichts der Steigerung der Lebenshaltungskosten in den letzten 18 Monaten auch die Rentner des Jahres 1959 mit in die Rentenerhöhung einzubeziehen. Wir Nahen deshalb in unserem Änderungsantrag vorgeschlagen, die Faktoren der Anpassung so zu ändern, daß das möglich ist.
Wir werden auch im Rahmen dieser Debatte noch einiges über die Fragen zu sagen haben, die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Es sind Fragen, die künftig von Bedeutung sind. Die Frage der Dynamisierung der Unfallrenten kann aber bei den folgenden Paragraphen behandelt werden.
Entscheidend ist also, daß sich der Deutsche Bundestag nach unserer Meinung noch einmal dazu äußern müßte, ob er wirklich so wie die Mehrheit der CDU im Sozialpolitischen Ausschuß in diesem Gesetz Tatbestände schaffen will, die uns dazu zwingen, auch in Zukunft immer wieder über die Erhöhung der Unfallrenten zu debattieren.
Angesichts der Tatsache, daß die Unfallrentner nun
drei Jahre lang auf die Erhöhung ihrer Bezüge warten mußten, sollte man heute eine Lösung schaffen,
die das in Zukunft verhindert, um den sozialen Frieden in diesem Bereich der Sozialversicherung wiederherzustellen.
Ich möchte Sie deshalb im Namen meiner politischen Freunde herzlich bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Wenn ich recht verstehe, soll Ziffer 2 des Änderungsantrags durch Herrn Abgeordneten Büttner begründet werden? — Herr Abgeordneter Büttner zur Begründung der Ziffer 2 des Antrags Umdruck 724!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, für meine Fraktion Ziffer 2 des Änderungsantrags vom 6. Dezember 1960 Umdruck 724 zu begründen. Nach unserem Antrag soll im § 2 Abs. 3 gestrichen werden. Wir beantragen diese Streichung, weil der vervielfältigte Jahresarbeitsverdienst die Summe von 9000 DM nicht überschreiten darf, es sei denn, daß die Satzung einen höheren Jahresarbeitsverdienst festgesetzt hat. Nach § 563 Abs. 3 kann die Satzung einen höheren Jahresarbeitsverdienst festsetzen. Aber warum soll es ausschließlich der Satzung überlassen bleiben, das zu regeln, wenn die Möglichkeit besteht, es von Gesetzes wegen zu tun, nachdem die veränderte Einkommenssituation es dringend erfordert? Dies ist ein Ausweichen vor der Verantwortung den Facharbeitern und Angestellten gegenüber, die auf Grund ihrer Leistungen ein Monatseinkommen von über 750 DM haben. Wenn auch eine beträchtliche Anzahl von Berufsgenossenschaften von dem Recht nach der Satzung Gebrauch gemacht und die Höchstgrenze heraufgesetzt hat und damit die Notwendigkeit einer Änderung der Höchstgrenze, die bisher auf 9000 DM festgesetzt ist, anerkannt und bestätigt worden ist, so gibt es doch noch eine Anzahl von Berufsgenossenschaften, die noch die Höchstgrenze von 9000 DM kennen.
Vielleicht darf ich für die Damen und Herren des Hohen Hauses, die mit der Sozialversicherungsgesetzgebung im einzelnen nicht so vertraut sind, die Auswirkungen beim Bestehenbleiben dieser Höchstgrenze von jährlich 9000 DM oder 750 DM monatlich an einem Beispiel kurz zu erläutern.
Ich glaube, meine Damen und Herren, was der Herr Kollege eben sagt, ist eine Aufforderung an Sie, ihm zuzuhören. Er will seinen Antrag begründen.
Ein Facharbeiter oder Angestellter verdient 1000 DM monatlich oder 12 000 DM jährlich. Er erleidet einen Unfall, der eine hundertprozentige Erwerbsminderung mit sich bringt. Nach der Vorstellung der Mehrheitspartei kann der Berechnung der Unfallrente aber nur ein Jahresarbeitsverdienst von höchstens 9000 DM zugrunde gelegt werden. Nach § 559 a der Reichsversicherungsord-
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Büttner
nung beträgt die Rente, solange der Verletzte infolge des Unfalls völlig erwerbsunfähig ist, zwei Drittel des nach den §§ 563 bis 572 berechneten Jahresarbeitsverdienstes als Vollrente. Solange er teilweise erwerbsunfähig ist, erhält er den Teil der Vollrente, der dem Maß der Einbuße an Erwerbsfähigkeit entspricht, als Teilrente. Im vorliegenden Fall würde also bei völliger Erwerbsunfähigkeit die Rente zwei Drittel von 9000 DM = 6000 DM jährlich oder 500 DM monatlich betragen. Wenn das wirkliche Einkommen zugrunde gelegt würde, würde die Rente zwei Drittel von 12 000 DM = 8000 DM jährlich oder 666,70 DM monatlich betragen. Sie würde bei einer 50%igen Erwerbsbehinderung statt 333,60 DM nur 250 DM betragen. Ein Arbeiter, der im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte die Arbeit aufgenommen und dann einen Unfall erlitten hat, erhält z. B. als Oberschenkelamputierter 250 DM Rente, obwohl er als gesunder Beschäftigter 1000 DM im Monat verdient hat.
Als wir uns bei der Verabschiedung des Dritten Rentenanpassungsgesetzes im vergangenen Monat leider vergeblich Mühe gaben, die Anpassung der Renten an das veränderte Preisgefüge in vollem Umfange zu erreichen — ich erinnere z. B. nur an die an der Anpassung nicht teilnehmenden Zuschußbeträge für Witwen in Höhe von 14 DM monatlich —, haben Sie uns gesagt: Die Renten müssen lohnbezogen sein. Nun, heute haben Sie Gelegenheit, bei den Opfern der Arbeit Ihrer bei der Beratung des Rentenanpassungsgesetzes bekanntgegebenen eigenen Konzeption zu folgen, indem Sie unserem Streichungsantrag zustimmen.
Wenn Sie mit dem Einwand kommen, die Unfallrentner erhielten auch noch eine Rente aus der allgemeinen Rentenversicherung, dann muß ich Ihnen erwidern, daß diese Renten auf Grund der Ruhensbestimmungen — nach unserer Auffassung ohne Berechtigung — ebenfalls eine beachtliche Einschränkung erfahren und es bei den Rentenanpassungen dann auch aus verschiedenen Gründen zu Ungerechtigkeiten kommt.
Mit unserem Antrag wollen wir also erreichen, daß die Unfallrentner durch die Festsetzung einer nicht gerechtfertigten Höchstgrenze nicht noch einen weiteren Schaden nehmen als den, den sie ohnehin schon erlitten haben und durch die Rentengesetzgebung auf anderen Gebieten auch noch erleiden. Ich bitte deshalb, unserem Streichungsantrage zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich nur mit dem Antrag, der Ihnen unter Ziffer 1 vorliegt, beschäftigen. Die sozialdemokratische Fraktion schlägt dabei vor, daß erstens die Zahlen geändert werden, die Sie in der Ihnen vom Ausschuß vorgelegten Drucksache finden, daß im übrigen auch die Rentenzugänge des Jahres 1959 in die Anpassung einbezogen werden.
Sie schlägt dann in Ziffer 6 vor — verzeihen Sie, daß ich das vorwegnehme; Herr Börner hat darauf ebenfalls Bezug genommen —, daß die Unfallrenten so wie die Renten der Arbeiterrentenversicherung, der Angestelltenrentenversicherung und des Knappschaftsgesetzes in eine „Dynamisierung" einbezogen werden.
Wir, meine Freunde und ich, sind der Meinung, daß ,diese Anträge abzulehnen sind. Ich darf dazu folgende Begründung geben.
Zunächst einmal handelt es sich — das hat Herr Börner selbst sehr richtig bemerkt — nicht um ein Gesetz zur Änderung des Unfallversicherungsgesetzes, sondern es geht hier darum, die Geldleistungen in der Unfallversicherung zu aktualisieren. Wenn aber eine Aktualisierung der Unfallrenten stattfinden soll, dann muß man davon ausgehen — und das ist der sozialdemokratischen Fraktion sicherlich sehr genau bekannt —, daß Unfallrenten eine völlig andere Basis der Berechnung haben als Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bauen auf der allgemeinen Bemessungsgrundlage auf. Sie können sagen, die allgemeine Bemessungsgrundlage sei falsch. Das Argument sei entgegengenommen, nur ist das eben Gesetz. Wenn aber für die Rente des Unfallrentners 1959 bereits der aktuelle, also nicht ein durch die allgemeine Lohnentwicklung abgeflachter, sondern sein eigener persönlicher Jahresarbeitsverdienst zugrunde gelegt worden ist, dann können Sie ihn nicht mit dem Rentner aus der gesetzlichen Rentenversicherung gleichsetzen, der als Grundlage eine abgeflachte Basis hat, die auf einem Niveau beruht, das etwa zwei Jahre zurückliegt. Sie haben also hier — verzeihen Sie, wenn ich es einmal ganz grob sage — Apfel mit Birnen durcheinandergemischt. Infolgedessen kann man bei der Anpassung von Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht die gleichen Maßstäbe anlegen, die man in der gesetzlichen Rentenversicherung hat. Das ist die Differenz, die zwischen uns besteht. Wir gehen von der Basis 1957 aus -- da haben wir nämlich die zugrunde liegenden Arbeitsverdienste aktualisiert — und heben die Sätze auf den heutigen Stand herauf. Wenn aber jemand 1959 bereits seinen aktuellen Stand erreicht hat, dann ist eine Anpassung ungerechtfertigt.
Man kann das Problem einmal behandeln, und hier komme ich zu Ziffer 6 des SPD-Antrages. Wenn man die gesamte Unfallversicherungs-Neuregelung betrachtet und dann eine andere Basis für die Berechnung der Renten beim Entstehen findet, kann man natürlich auch entsprechend die Basis für eine jeweilige Anpassung ändern. Aber das steht heute nicht zur Diskussion. Im übrigen haben wir auch nicht die Absicht, hier etwa den gleichen Maßstab anzulegen, den wir in der Rentenversicherung angelegt haben. Solange dies aber nicht ausdiskutiert ist, solange wir keine Reform durchgeführt haben, müssen wir auf dem bestehenden Rechtszustand aufbauen, und dann kann man nicht — ich wiederhole — Äpfel mit Birnen vermischen. Man muß als Basis den Jahresarbeitsverdienst nehmen, und die Ver-
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Stingl
änderung des Jahresarbeitsverdienstes ergibt sich aus den Faktoren.
Lassen Sie mich noch ein Wort gegen die Ziffer 6, nämlich die „Dynamisierung" sagen: Die Anpassung nach der Verwandlung der Jahresarbeitsverdienste im Durchschnitt hat — auch bei unserem Vorschlag — unter Umständen sogar unangenehme Folgen, weil in einem Zweig der Industrie oder der Wirtschaft allgemein die Löhne durchaus stärker gestiegen sein können, als der allgemeine Durchschnitt gestiegen ist. Dann hat derjenige, der in diesem Zweig tätig war, seine Rente schon auf einer höheren Basis berechnet bekommen als der Durchschnitt. Er wird sogar durch diese Anpassung — wie ich zugebe: auch durch unsere — mehr gehoben als der noch im aktiven Dienst unbeschädigt Tätige. Wir sehen diese Ungereimtheit. Wir wissen aber, daß wir das nach dem bestehenden Rechtszustand nicht beseitigen können.
Im Auftrag meiner Freunde bitte ich Sie, die sozialdemokratischen Anträge unter Ziffer 1 und 6 abzulehnen.
Herr Professor Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stingl, Sie haben so anschaulich davon gesprochen, daß man Äpfel und Birnen nicht zusammenzählen solle. Sie haben aber dabei nicht das Problem richtig geschildert, um das es eigentlich geht. Wie wird eine Rente in der allgemeinen Rentenversicherung festgesetzt? —Unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundlage, d. h. ganz allgemein gesagt: der frühere Arbeitsverdienst wird nach bestimmten Prinzipien den gegenwärtigen Arbeitsverdiensten angepaßt. In gleicher Weise findet die erstmalige Festsetzung der Rente der Unfallversicherung statt. Sie bezieht sich auf den tatsächlichen letzten Arbeitsverdienst. Bei § 2 handelt es sich darum, die laufenden Renten, die Renten des Bestandes der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen. Für die Renten der Rentenversicherung haben wir dafür die Vorschriften der Rentenversicherung-Neuregelungsgesetze, nach denen alljährlich bis zum 30. September eines jeden Jahres der Sozialbericht der Bundesregierung vorzulegen ist und dann dieses Haus über die Anpassung der laufenden Renten entscheidet. Dieses Recht soll auch für die alten Renten der Unfallversicherung verwirklicht werden.
— Das ist praktisch das gleiche, nämlich der Grundsatz, daß Renten, die seit Jahren laufen, der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden sollen.
Die Bundesregierung selbst hat in dem Gesetzentwurf, den wir voraussichtlich nicht mehr beraten können, diesen Grundsatz zum Gesetz erheben wollen. Wenn Sie jetzt bei dem Vorschaltgesetz die Anpassung der laufenden Unfallrenten nach den gleichen Grundsätzen, wie sie für die Rentenversicherung üblich sind, verweigern wollen, stellen Sie die Rentner der Unfallversicherung schlechter als die Rentner der allgemeinen Rentenversicherung.
Das, meine Damen und Herren, ist wirklich eine sehr schlechte Sache, besonders deshalb, weil seit dem Bestehen der deutschen Unfallversicherung, seit der Bismarckschen Ära, aus guten Gründen die Renten der Unfallversicherung, wenn ich so sagen darf, besonders qualifizierte Renten sind und sein sollen. Was Sie aber jetzt vollziehen wollen, ist, daß derjenige, der durch Arbeit in seiner Gesundheit geschädigt wird, schlechter gestellt wird als derjenige, der durch eine allgemeine Erkrankung den gleichen gesundheitlichen Schaden erleidet. Deshalb müssen wir im Interesse der gerechten Behandlung aller Rentner fordern, daß im § 2 der Grundsatz der Gleichbehandlung verwirklicht wird und die alten Rentner der Unfallversicherung die gleiche Anpassung erhalten, die wir hier gemeinsam — jetzt auch zusammen mit der FDP — beim Dritten Rentenanpassungsgesetz für die Rentner der allgemeinen Rentenversicherung beschlossen haben.
Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schellenberg weiß es sicher besser, als er es jetzt hier dargestellt hat. Herr Kollege Schellenberg, wer im Jahre 1959 in der allgemeinen Rentenversicherung Rentner wird, hat als Basis für die Festsetzung seiner Rente das Durchschnittsarbeitsentgelt aller Versicherten in den Jahren 1957, 1956, 1955.
Er hat also nicht als Basis alle inzwischen eingetretenen Lohnerhöhungen des Jahres 1958 und auch nicht die des Jahres 1959. Dagegen hat der Unfallrentner, dessen Rente im Jahre 1959 das erstemal festgesetzt wird, das für seinen Berufszweig, nämlich für ihn selber, zugrunde liegende Jahresarbeitsentgelt als Basis.
— Sie mögen das bedauern. — Während also nach dem heutigen gesetzlichen Stand der Renten der allgemeinen Rentenversicherung die Lohnerhöhungen der Jahre 1959 und in diesem Falle 1958 nicht einmal in einer auf alle Einkommensbezieher abgeflachten Basis erhält, erhält der Unfallrentner seinen vollen aktuellen Lohn als Basis. Das heißt, wenn in seiner Branche bis 1959 ständig Lohnerhöhungen über das durchschnittliche Maß hinaus erfolgt sind, so liegt er weit über dem Rentner der allgemeinen Rentenversicherung.
Es wäre ungerecht, rebus sic stantibus, wenn die
Dinge so sind, heute die Anpassung nach den
Grundsätzen der Rentenversicherung vorzunehmen.
Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7681
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Stingl, was macht der Unfallrentner dann, wenn Sie fünf Jahre lang keine Rentenanpassung vornehmen? Dann hat er zwar den Jahresarbeitsverdienst des Jahres 1956, aber keinerlei Berücksichtigung der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten von 1956 bis 1960.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter Geiger, das ist eine völlig andere Seite der Platte. Übrigens, daß wir hier Gesetzesmacherei ersparten, ist ja auch ein Irrtum. Auch in der allgemeinen Rentenversicherung müssen wir uns jedes Jahr damit beschäftigen. Ich sage gar nicht, daß am Ende unserer Überlegungen das gleiche stehen wird; aber es muß erst geprüft werden. Auch wenn die Bundesregierung es in ihrem Vorschlag so vorgesehen hat, ist es noch nicht Gesetz. Wir sind nicht der Meinung, daß wir alles unbesehen hinnehmen müssen, was uns die Regierung vorlegt. Wir werden das prüfen. Die Aktualisierung in der Unfallversicherung jedenfalls erfolgt, wenn wir die Erstberechnung so lassen, wie sie jetzt ist, nach anderen Maßstäben als in der allgemeinen Rentenversicherung.
Herr Kollege Stingl, darf ich Ihren letzten Satz so verstehen, daß die CDU-Fraktion damit von den Prinzipien der Regierungsvorlage in wesentlichen Teilen abrückt?
Nein, Sie dürfen mich nicht so verstehen. Sie dürfen mich nur so verstehen, daß die CDU/CSU-Fraktion nicht alles, was von der Regierung kommt, ohne es noch einmal zu prüfen, Gesetz werden läßt.
— Auch die meine ich, lieber Herr Kollege Schellenberg; jawohl. Das habe ich hier an dieser Stelle gerade zum Regierungsentwurf zur Krankenversicherung mehrfach und schon so stark betont, daß Sie sich daraus einen Jux machten, daß wir dieses Gesetz nach allen Richtungen prüfen müssen. Eben gerade deswegen und weil wir heute keine Gesamtreform der Unfallversicherung machen, verharren wir auf dem Standpunkt, und wir bitten Sie also — lassen Sie mich es noch einmal sagen —, nicht Apfel und Birnen durcheinanderzuwerfen.
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Nur noch einen Satz, Herr Kollege Stingl. Sie haben etwas sehr Richtiges
gesagt; Sie haben nämlich gesagt: „Wir müssen .uns in der allgemeinen Rentenversicherung jedes Jahr mit ,der Anpassung beschäftigen". Das gleiche wollen wir für die Renten der Unfallversicherung. Denn Ihr Beispiel geht fehl, da 'die Renten der Unfallversicherung nach dem, was Sie hier bestimmen wollen, statisch bleiben sollen; das heißt, sie werden nicht der wirtschaftlichen Entwicklung ,angepaßt, sie bleiben hinter ihr zurück.
Wir stimmen ab über die Ziffer 1 des Änderungsantrages Umdruck 724. Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich, ein Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Mehrheit war für Ablehnung.
Zu Ziffer 2 des Änderungsantrages Umdruck 724 hat Kollege Becker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Bemerkungen des Kollegen Büttner zur Ziffer 2 ,des Änderungsantrages darf ich doch einige Worte sagen. Sowohl Kollege Büttner wie Kollege Börner sind darüber ungehalten, daß wir uns in unserem Vorschaltgesetz sowohl bei ,der ersten Lesung wie auch bei der Ausschußberatung nur auf die Neuregelung von Geldleistungen festgelegt und nicht auch noch weitere Dinge in dieses Gesetz eingebaut haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zusätzlich zu dem, was soeben Kollege Stingl in seiner Kontroverse mit dem Kollegen Schellenberg gesagt hat, möchte ich wiederholen, was ich schon bei der ersten Lesung am 26. Oktober zu dem § 2 Abs. 3 gesagt habe: daß wir es bei der bisherigen Regelung ,der Höchstbegrenzung des Jahresarbeitsverdienstes belassen wollen bzw. den einzelnen Berufsgenossenschaften die Möglichkeit geben möchten, durch eigene Satzungen die Summe von 9000 DM Jahresarbeitsverdienst zu überschreiten. Ich darf wiederholen, was ich schon damals bei der ersten Lesung gesagt habe, daß ja bis heute schon 34 von den 40 gewerblichen Berufsgenossenschaften kraft Satzung die Jahresarbeitsverdienstgrenze ,auf über 9000 DM, ja bis zu 40 000 DM festgesetzt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht ausgeschlossen, ja ,es steht auch im Gesetzentwurf, daß bei der endgültigen Beratung des Reformgesetzes auch die Frage JahresarbeitsverdienstHöchstgrenze noch einmal beraten werden soll. Wir möchten, daß diese Frage heute nicht in der ganzen Problematik schon dem Gesetz vorweggenommen wird; wir wollen ,die endgültige Regelung dem Reformgesetz überlassen. — Dasselbe, ,das möchte ich schon jetzt sagen, gilt für die Ziffer 4 Ihres Antrages, den Sie ja nachher noch begründen wollen.
Ich darf bitten, den Antrag der SPD Umdruck 724 Ziffer 2 abzulehnen.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Becker, Sie haben erklärt, 34 der 40 Berufsgenossenschaften hätten die Jahresarbeitsverdienstgrenze erhöht. Um die Dinge in die richtige Ordnung zu bringen, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die Berufsgenossenschaften mit den höchsten Versichertenzahlen noch überwiegend die niedrige Jahresarbeitsverdienstgrenze von 9000 DM haben. Um es genau zu sagen: für über 5 Millionen Arbeiter und Angestellte gilt heute noch die Grenze von 9000 DM. Das bedeutet praktisch, daß sich die höchste Rente von Unfallverletzten, die bei diesen Berufsgenossenschaften versichert sind, auf 500 DM im Monat beläuft. Dies in einem Zeitpunkt, in dem wir die Renten der Rentenversicherung erfreulicherweise durch die Anpassung auf über 600 DM monatlich gebracht haben. Das bestätigt also das, was wir schon zum vorigen Punkt gesagt haben, daß nämlich die Rentner der Unfallversicherung schlechtere Renten erhalten als die Rentner der 'allgemeinen Rentenversicherung. Das ist nach unserer Auffassung ein unsozialer und untragbarer Zustand.
Herr Becker !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein kurzes Wort! Ich habe gesagt, daß von den 40 Berufsgenossenschaften 34 eine höhere Jahresarbeitsverdienstgrenze als 9000 DM haben. Ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß 9000 DM Jahresarbeitsverdienst immerhin schon eine Summe sind, auf die sich eine Rente aufbauen läßt.
Und dann noch etwas, Herr Kollege Schellenberg, und deswegen bin ich eigentlich hier heraufgekommen. Sie wissen — es steht im Gesetz —, daß die Selbstverwaltung die Möglichkeit hat, die Jahresarbeitsverdienstgrenze heraufzusetzen und daß in den meisten Fällen hiervon Gebrauch gemacht wird. Meine verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich verstehe eigentlich gar nicht, warum Sie so wenig Vertrauen zur Selbstverwaltung haben, die Sie doch selbst mit haben schaffen helfen.
Herr Abgeordneter Börner, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Auseinandersetzung über diesen Punkt beruht in erster Linie darauf, daß die Bundesregierung schon bei ihrer Gesetzesvorlage im Jahre 1958 die Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze für richtig gehalten hat. Bis heute hat die Selbstverwaltung, von der Sie eben so lobend sprachen, diese Möglichkeit nicht ausgeschöpft.
Wir sind der Meinung, daß das Parlament auf
Grund seiner Gesamtverantwortung diesen Schritt
für den von Herrn Professor Schellenberg umrissenen Personenkreis jetzt tun muß und diese Höchstbegrenzung der Renten in der Unfallversicherung auf 500 DM praktisch nicht noch bis 1962 aufrechterhalten darf. Wir halten es, wie gesagt, angesichts der Entwicklung in der Wirtschaft und auch des Lohnniveaus während der letzten Jahre für unvertretbar, diese Frage heute aus der Diskuission auszuklammern. Deshalb bitte ich Sie noch einmal, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Wir stimmen über den Antrag auf Streichung des Abs. 3 des § 2 ab. Wer die Streichung wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Darf ich annehmen, daß damit der § 2 in der vorliegenden Form angenommen ist? — Das ist der Fall.
Ich rufe auf § 3, — § 4, — § 5. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf den Änderungsantrag auf Umdruck 724 Ziffer 3. — Herr Abgeordneter Bärsch!
Meine Damen und Herren! Meine Freunde möchten anläßlich der Beratung dieses Gesetzentwurfs auch die Frage der Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten neu regeln, wie es die Bundesregierung ursprünglich mit ihrer Vorlage auf Drucksache 758 vorgehabt hat. Die CDU-Fraktion ist allerdings in den Ausschußberatungen von dieser Absicht der Regierung abgegangen und hat sich entschlossen, die Regelung bis auf weiteres zurückzustellen.
Lassen Sie mich zunächst zur Sache selbst einige ganz kurze Ausführungen machen, weil ich glaube, daß diese Frage dem Haus nicht sehr geläufig ist. Ursprünglich wurden von der Unfallversicherung nur die eigentlichen Arbeitsunfälle entschädigt, charakterisiert durch eine einmalige, plötzliche, schädigende Einwirkung, die zu einem Körperschaden geführt hat. Im Laufe der Zeit hat sich dann die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß der Arbeiter im Betrieb nicht nur durch einmalige, plötzliche Ereignisse, sondern auch durch die ständige, länger dauernde, chronische Einwirkung von gesundheitsschädigenden Substanzen gefährdet ist. Aus diesem Grunde wurde die Reichsregierung unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg zum ersten Male ermächtigt, auch für diese Berufsschäden, für Berufserkrankungen, die rechtlichen Voraussetzungen zur Entschädigung zu schaffen. Durch den ersten Weltkrieg hat sich das über viele Jahre verzögert. Erst im Jahre 1925 ist in einer Verordnung der Reichsregierung die versicherungsrechtliche Gleichstellung der Berufskrankheit mit dem Berufsunfall erfolgt. Methodisch ist man dabei so vorgegangen, daß man in dieser Verordnung erstmals eine Liste sogenannter
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7683
Dr. Bärsch
Berufskrankheiten veröffentlicht und die rechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung und Entschädigung der Berufskrankheiten festgelegt hat.
Die Liste, die im Jahre 1925 elf Berufserkrankungen enthielt, ist in den Jahren 1929, 1936, 1943 und 1952 novelliert worden. Die Anzahl der Berufserkrankungen ist wesentlich vergrößert worden, und auch hinsichtlich der Unternehmen ist zum Teil eine Ausweitung erfolgt, wobei neue Branchen einbezogen worden sind. Die gesetzliche Grundlage dieser Regierungsverordnungen ist allerdings bis zum heutigen Tage noch durchaus unzureichend. Es heißt im § 545 RVO:
Die Reichsregierung kann durch Verordnung bestimmte Krankheiten als Berufskrankheiten bezeichnen. Auf solche Krankheiten finden die Vorschriften der Unfallversicherung Anwendung ohne Rücksicht darauf, ob die Krankheit durch einen Unfall oder durch eine schädigende Einwirkung verursacht ist, ,die nicht den Tatbestand des Unfalls erfüllt.
Die Reichsregierung kann die Durchführung der Unfallversicherung bei Berufskrankheiten und Art und Voraussetzung ihrer Entschädigung regeln.
Es steht also nichts darüber drin, was eine Berufskrankheit überhaupt ist. Sicherlich aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung veranlaßt gesehen, in ihrer Regierungsvorlage, Drucksache 758, die gesetzliche Neuordnung im Sinne einer klareren, detaillierteren Regelung vorzuschlagen.
Im Ausschuß ist einer solchen Regelung von den Vertretern der CDU/CSU entgegengehalten worden, daß auf übernationaler Ebene, bei der Montanunion, bei EURATOM, in der Westeuropäischen Union, Verhandlungen im Gange seien mit dem Ziel, ein für alle zusammengeschlossenen Staaten einheitliches Recht der Berufskrankheiten zu entwickeln. Aus ,der Tatsache, daß solche Bestrebungen im Gange sind, kann man aber auch umgekehrt die Folgerung ziehen, daß wir angesichts des unzulänglichen heutigen Standes der Dinge nicht warten sollten, bis auf übernationaler Ebene eine einheitliche Regelung gefunden wird, sondern so schnell wie möglich unsere eigene nationale Regelung auf den bestmöglichen Stand heben sollten,
um sicherzustellen, daß sich die zweifellos erstrebenswerte übernationale Lösung im europäischen Rahmen an einer optimalen Regelung orientieren kann.
Wenn wir das nicht tun, laufen wir Gefahr, daß hier das Gesetz des langsamsten Schiffes, das bekanntlich das Tempo eines Geleitzugs bestimmt, mehr oder weniger zur Geltung kommt.
Zweitens wird gegen eine Regelung im jetzigen Zeitpunkt angeführt, die Sechste Novelle der Berufskrankheitenverordnung sei im Ministerium inzwischen so weit gediehen, daß mit ihrer Zuleitung an den Bundesrat und mit ihrer Verkündung in absehbarer Zeit gerechnet werden könne, und mit dieser Sechsten Novelle werde die Liste der Berufskrankheiten dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnis und der technisch-industriellen Entwicklung angepaßt. Auch dieses Argument reicht nicht aus, um uns von unserer Auffassung abzubringen, daß schon im gegenwärtigen Zeitpunkt eine umfassende Neuordnung vorgenommen werden sollte. Denn die von uns vorgeschlagene rechtliche Neuordnung besteht — in Anlehnung an die Absichten der Regierung — nicht nur darin, den Begriff der Berufskrankheit in der RVO klar zu definieren, sondern vor allem darin, neben der bisher bestehenden Liste, die für die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten der einzige Anhaltspunkt ist, eine Art Generalklausel vorzusehen, die es ermöglichen soll, auch solche Erkrankungen als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen, die nicht oder noch nicht auf der Liste der Berufserkrankungen stehen.
Warum wollen wir zusätzlich zur Liste eine solche Generalklausel in die RVO hineinbringen? Bei einem Vergleich der verschiedenen Novellierungen der Berufskrankheitenverordnung werden Sie feststellen, daß mit jeder Neufassung eine mehr oder weniger großer Anzahl von Erkrankungen neu in die Liste aufgenommen worden ist. Die erste Verordnung aus dem Jahre 1925 enthielt 11 Erkrankungen, die zweite aus dem Jahre 1929 schon 22 Erkrankungen, während die letzte Verordnung aus dem Jahre 1952 gegenüber der von 1943 bei einer Gesamtzahl von 40 Positionen insgesamt 15 neue oder wesentlich veränderte Positionen enthält.
Wir haben es also mit einer stürmischen Entwicklung zu tun. Eine Liste ist aber starr und führt dazu, daß in den vielen Einzelfällen große Härten in Kauf genommen werden müssen, in denen die eine Berufskrankheit nicht anerkannt werden kann, weil sie nicht in der Liste aufgeführt ist.
Um das zu demonstrieren, darf ich Ihnen noch einige andere Zahlen anführen. 1926, also kurz nach dem Erlaß der ersten Verordnung über Berufskrankheiten, machten die erstmaligen Fälle der Entschädigung für Bleischäden 90 % sämtlicher erstmalig entschädigten Fälle aus. 1929, drei Jahre später, war der Prozentsatz der Bleierkrankungen auf 21,4 % zurückgegangen. Hingegen betrug 1929 der Prozentsatz der erstmaligen Entschädigungen für die neu in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommene Silikose 61 %. Was beweisen diese Zahlen? Sie beweisen, daß wir es auf diesem Gebiet mit außerordentlich starken beständigen und unvermeidlichen Veränderungen zu tun haben. Hierin spiegelt sich das ungeheure Tempo unserer technisch-industriellen Entwicklung. Ganz neue Berufszweige entstehen, alte Berufszweige gehen unter. Mit den alten Berufszweigen verschwinden auch die alten Gefahren — Sie sehen das am Beispiel der früher vorkommenden Bleischäden —, und mit den neuen Berufszweigen ent-
7684 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1960
Dr. Bärsch
stehen neue Gefahren, neue Berufskrankheiten, die naturgemäß in einer Liste nicht enthalten sind, die vor 5 oder 10 Jahren erstellt worden ist.
Wir meinen also, um es kurz zu machen: die Methode, die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten ausschließlich davon abhängig zu machen, ob die Berufskrankheit auf der jeweiligen Liste steht, ist unzulänglich.
Denn sehr häufig — um nicht zu sagen, praktisch immer — ist die neueste Liste schon im Augenblick ihrer Veröffentlichung von der Entwicklung überholt. Das ist unvermeidlich, weil in der Natur der Sache begründet. Man kann auf eine solche Liste nur diejenigen Erkrankungen setzen, für die wissenschaftlich der uneingeschränkte Nachweis geführt wird, daß sie in jedem Falle eine Berufserkrankung sei. Man kann also nicht Erkrankungen draufsetzen, die in dem einen Fall wohl als Berufserkrankung angesehen werden müssen, im anderen Fall aber keine Berufserkrankung darstellen. Wenn Sie vermeiden wollen, daß jedes Jahr eine, wie ich glaube — und das bestätigen auch die Berufsgenossenschaften , ganze erhebliche Anzahl von Berufserkrankungen nicht anerkannt werden kann, müssen Sie eine solche elastische Generalklausel in die RVO einbauen. Dann müssen Sie sagen: Es besteht die Möglichkeit, auch dann einen Fall als Berufserkrankung anzuerkennen und zu entschädigen, wenn die Erkrankung nicht expressis verbis auf der Liste steht, aber unter Berücksichtigung aller Umstände an der beruflichen Schädigung und ihrer zentralen Bedeutung für die Entwicklung des Krankheitsbildes kein Zweifel besteht.
Daß wir hier nicht eine Entwicklung heraufbeschwören wollen, die völlig unkontrollierbar ist, beweist wohl am besten die Tatsache, daß sich auch die Regierung in ihrer Vorlage veranlaßt gesehen hat, eine solche Generalklausel für den Einbau in die RVO vorzuschlagen. Die Regierung begründet den Vorschlag für eine solche Generalklausel mit fast denselben Worten, wenn auch etwas kürzer, mit denen ich hier unseren Antrag begründet habe.
Wenn Sie sich das einmal näher überlegen, werden Sie unserem Antrag zustimmen können. Denn — das darf ich zum Schluß noch sagen — es ist auch nicht sehr befriedigend, daß die Berufsgenossenschaften heute in ihrer Praxis die Unzulänglichkeit der derzeitigen gesetzlichen Regelung durch einen mühsamen Umweg überwinden müssen. Die Berufsgenossenschaften versuchen heute, einen Teil derjenigen Berufserkrankungen, die nicht in der Liste stehen, dadurch anzuerkennen, daß sie die Berufskrankheit als letztes Glied einer Ursachenkette auffassen und als Unfall zur Anerkennung bringen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir als Gesetzgeber die Berufsgenossenschaften zu solchen Umwegen veranlassen.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese letzten so außergewöhnlich gründlichen Ausführungen — hier muß man wohl erklärend und entschuldigend dazu sagen: eines Arztes — beweisen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei noch mehr, wie übel es ist, wenn an Stelle eines nötigen Gesetzes nur ein Vorschaltgesetz behandelt wird. Das alles, was der Herr Kollege hier vorgebracht hat, wären gute und notwendige Argumente bei der Behandlung der endgültigen Unfallversicherungsreform.
Aber nach allem, was wir im Ausschuß über den Stand der Behandlung gerade dieser Materie gehört haben, ist im Augenblick durchaus nicht die Situation gegeben, die es gestattet, schon definitive Bestimmungen in das Gesetz einzubauen.
Das betrifft fast alle Änderungsanträge der Sozialdemokratischen Partei. Es sind Anträge, die berechtigt sind und denen wir zum Teil positiv gegenüberstehen, wenn sie bei der endgültigen Beratung des Gesetzes noch einmal anstehen. Aber man darf sie nicht vorwegnehmen.
Es reizt mich, zu sagen „Es war einmal"; es drängt sich mir heute auf. Es war einmal im zweiten Jahr dieser Legislaturperiode eine Gesetzesvorlage. Wenn wir dieses Gesetz zur Reform der Unfallversicherung als ganz notwendiges, dringendes Folgegesetz zur Rentenversicherung damals weiterberaten hätten, dann wären wir heute, im letzten Jahr vor der Wahl, nicht wieder gezwungen, ein Vorschaltgesetz zu machen. Es ist tief bedauerlich, daß wir uns dazu verleiten ließen,
mit der Krankenversicherungsreform anzufangen, und dann durch immerwährende Kontroversen und Abänderungen aus der Fraktion der Regierungspartei bis in das letzte Jahr vor der Wahl haben hinhalten lassen, um nun zu einem solchen Vorschaltgesetz gezwungen zu sein. Ich glaube, das Unbehagen geht durch alle Parteien. In unserer Partei ist es so groß, daß wir selbst zu Änderungsanträgen, denen man vielleicht positiv gegenüberstehen könnte, nein sagen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Silbe zur Krankenversicherung, wieder zurück zur Unfallversicherung, zu Herrn Kollegen Dr. Bärsch! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Bärsch muß man sich wahrhaftig
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7685
Ruf
fragen, warum wir im Ausschuß Sachverständige anhören und die Dinge eingehend miteinander beraten, wenn dann doch alle diese Dinge überhört und übergangen werden und alle Ausschußanträge der SPD hier im Plenum erneut zur Beratung anstehen.
Wir sind, Herr Kollege Dr. Bärsch und meine Damen und Herren von der Opposition, während der Ausschußberatung von der Bundesregierung eingehend darüber informiert worden, daß die 6. Berufskrankheitenverordnung kurz vor ihrer Fertigstellung steht. Sie haben die Grundzüge zu dieser Verordnung kennengelernt, und Sie haben gehört, daß dabei sämtliche Anregungen, Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Jahre auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin und der Berufskrankheiten bereits berücksichtigt worden sind. Herr Kollege Weber von der FDP hat als Berichterstatter in seinem Schriftlichen Bericht auf Seite 3 bereits darauf hingewiesen.
Im Ausschuß hat ein Sachverständiger — Herr Dr. Bärsch hat es erwähnt — unter anderem erklärt, man solle auch die Entwicklung des internationalen Rechtes berücksichtigen und die Dinge international, insbesondere im Rahmen der EWG, aufeinander abstimmen. Aber gerade das ist für uns ein Grund, in dieser Frage zuzuwarten und die Entwicklung zunächst einmal weiter zu beobachten. Haben Sie, meine Damen und Herren, doch keine Angst, daß wir in der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Sozialpolitik ins Hintertreffen kämen! Wir sind im Gegenteil auf den meisten Gebieten der Sozialpolitik im Verhältnis zu den übrigen Ländern die Spitzenreiter; daran besteht doch gar kein Zweifel. Diese Sorge brauchen Sie also keineswegs zu haben.
— Kindergeld? Ich will gern darauf eingehen. Damit meinen Sie unsere sogenannte „schlechteste Lösung"? Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß wir in sämtlichen Staaten der EWG die gleiche Regelung haben, nur mit dem Unterschied, daß wir Beiträge von im Durchschnitt 1 % verlangen und daß die anderen Beiträge von 5 %, 10 %, 14 % und noch mehr haben. Das ist der Unterschied.
Sie weisen darauf hin, daß dieser Ihr Vorschlag ja auch bereits in unserem Regierungsentwurf stehe. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß wir uns bei den kommenden Beratungen zu der Reform der Unfallversicherung wahrhaftig noch ernstlich Gedanken machen müssen; denn man darf den Einwand, daß durch eine solche Regelung eventuell unterschiedliche Regelungen bei den verschiedenen Berufsgenossenschaften entstehen und daß die Rechtsprechung zusätzlich erschwert wird, nicht ohne weiteres abweisen.
Außerdem muß man davor warnen, daß durch eine zu weitgehende Fassung dieser Bestimmungen Verschleiß- und Verbrauchskrankheiten als Berufskrankheiten anerkannt werden. Ich glaube, wir haben allen Grund, bis zur Reform der Unfallversicherung zuzuwarten und für heute den Antrag der Opposition abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Kollege Ruf, es liegt nahe, da Sie von den eingehenden Ausschußberatungen gesprochen haben, hier einige Details über die zeitlichen Dinge bei der Beratung gerade dieses Gesetzes zu erörtern.
Ich will mich aber auf Ihre Argumentation in der Sache beschränken. Herr Kollege Ruf, Sie haben gesagt: Wir haben im Ausschuß die Grundzüge der Sechsten Berufskrankheitenverordnung kennengelernt, und das sollte doch Anlaß geben, unseren Antrag abzulehnen.
Ich möchte Ihnen einmal etwas vorlesen, nämlich das, was die Bundesregierung in der zweiten Legislaturperiode erklärt hat. In der zweiten Legislaturperiode, und jetzt kommen wir zum Ende der dritten Legislaturperiode! Die Bundesregierung hat erklärt:
Die praktische Durchführung der bisher erschienenen fünf Verordnungen über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten hat gezeigt, daß die zum Bestandteil der Verordnungen gemachten Listen der entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten jeweils bei Erscheinen der Verordnung schon zum Teil überholt waren.
Das hat die Bundesregierung für die bisher erschienenen fünf Verordnungen erklärt, und das wird sie doch sicher auch auf die sechste beziehen, die sie jetzt bearbeitet. Die Bundesregierung hat dann weiter erklärt:
Bei der geradezu stürmischen Entwicklung industrieller und technischer Verfahren entstehen fortlaufend neue Gesundheitsgefährdungen für die Berufstätigen. Daher treten immer wieder Härtefälle dadurch auf, daß bei einer Reihe von Erkrankungen die Eigenart der Berufsarbeit als Ursache der Gesundheitsschädigung nachgewiesen wird; eine Anerkennung als Berufskrankheit ist aber nicht möglich, weil die betreffende Erkrankung nicht in der Berufskrankheitenliste enthalten ist.
Das hat die Bundesregierung 1957 gesagt und deshalb eine Generalklausel vorgeschlagen. Was Sie jetzt tun wollen, bedeutet praktisch nichts anderes, als das, was die Bundesregierung 1957 selbst gefordert hat, bis zum Jahre 1963 zu vertagen.
Keine weiteren Wortmeldungen?
— Dann kommen wir zur Abstimmung.
7686 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Vizepräsident Dr. Schmid
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 724 Ziffer 3. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
§§ 6, 7. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Unter Ziffer 4 des Umdrucks 724 finden Sie einen Zusatzantrag, einen § 7 a einzuführen, und unter Ziffer 5 einen Antrag, einen § 7 b einzuführen. Werden diese beiden Anträge gesondert begründet? - Gesondert. Zunächst also zu Ziffer 4 Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich den Antrag auf Einfügung eines § 7 a begründe, muß ich zu den Ausführungen, die in diesem Zusammenhang gemacht worden sind, einige wenige Bemerkungen machen. Herr Kollege Becker hat gesagt: 9000 DM Jahresverdienst ist doch etwas, das sind 750 DM im Monat, und zwei Drittel davon als Rente sind 500 DM. - Herr Kollege Becker, wir haben bei der Antragstellung den fleißigen Familienvater und den Facharbeiter vor Augen gehabt, der auf Grund seines Fleißes und seiner Arbeitsleistung ein Einkommen von 1000 DM hat, plötzlich durch einen Unfall erwerbsunfähig wird und nur eine Rente von 500 DM bekommt und dessen Einkommen so sehr wesentlich herabgesetzt wird. Das ist kein Einsatz für ein Opfer der Arbeit.
Frau Kollegin Friese-Korn, Sie haben hier bemerkt, daß Sie, obwohl Sie die sachliche Berechtigung der einzelnen Anträge anerkennen, aus grundsätzlichen Erwägungen, weil es sich um ein Vorschaltgesetz handelt, die Bestimmungen nicht annehmen könnten. Diese Einstellung bedauern wir deshalb außerordentlich, weil die Sozialdemokraten die allerletzten sind, die etwa aus purem Vergnügen zu einem solchen Vorschaltgesetz gekommen sind. Das ist aus der Sache heraus geschehen, weil es auf andere Weise unmöglich war, den Rückstand auf dem Gebiet der Unfallversicherung einzuholen, da eben andere Gesetze nach dem Willen der Regierungsmehrheit vordringlich behandelt werden mußten. In diese Sachlage sind wir gekommen, und deshalb können wir uns nicht damit einverstanden erklären, daß diese Angelegenheit hinausgeschoben wird, bis wir einen neuen Bundestag haben. Dieser Bundestag wird erst dann, wenn seine neuen Ausschüsse arbeiten, in der Lage sein, Gesetze herauszubringen, und so ergibt sich eine große Verzögerung. Wir können es einfach nicht verantworten, daß diese Maßnahmen, die vordringlich geregelt werden müssen, so weit hintangestellt und noch weiter verzögert werden.
Deshalb und aus keinem anderen Grunde haben wir das Vorschaltgesetz eingebracht. Wir sehen die Not in den einzelnen Familien und die wirtschaftliche Bedrängnis, in die sie durch diese Hinhaltungstaktik und die Behandlung anderer Gesetze gekommen sind.
Mit Ziffer 4 unseres Antrags schlagen wir vor, in § 563 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung die Worte „höchstens jedoch 9000 Deutsche Mark" durch die Worte „höchstens jedoch 12 000 Deutsche Mark" zu ersetzen. Herr Kollege Becker hat darauf hingewiesen, daß einzelne oder mehrere Berufsgenossenschaften von sich aus von der Möglichkeit, über die Satzung die Höchstgrenze heraufzusetzen, Gebrauch gemacht haben. Diese Tatsache ist, glaube ich, die beste Begründung für unseren Antrag. Weil eben einzelne Berufsgenossenschaften die Grenze schon heraufgesetzt haben, meinen wir, müßte es auch den anderen von Gesetzes wegen zur Pflicht gemacht werden, diese Höchstgrenze heraufzusetzen, damit wir auch in der Unfallversicherung zu gerechten Renten kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Debatte nicht unnötig verlängern. Bei meiner Stellungnahme zu Ziffer 2 des Antrags der SPD habe ich schon das gesagt, was hier zu Ziffer 4 zu sagen ist. Aber, Herr Kollege Büttner, ich darf darauf hinweisen — und das wissen Sie ja so gut, wie ich es weiß und wie wir alle es wissen —, daß in den weitaus meisten Fällen, in denen eine Unfallrente gewährt wird, die Invalidenrente oder die Angestelltenrente oder die Rente aus der Knappschaftsversicherung hinzukommen. Das wollen wir doch miteinander beachten.
Hier wird davon gesprochen, einige Berufsgenossenschaften hätten ,die Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes auf mehr als 9000 DM festgesetzt. Die Liste betreffend die Höchstgrenze der Jahresarbeitsverdienste ist Ihnen genauso bekannt, wie sie uns allen bekannt ist. Im ganzen sind es noch sechs Berufsgenossenschaften mit einer Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes von 9000 DM. Nehmen wir irgendeine Berufsgenossenschaft, etwa die Berufsgenossenschaft für den Gesundheitsdienst und die Wohlfahrtspflege mit einer Grenze von 9000 DM. Ich weiß nicht, ob gerade in diesem Wirtschaftszweig sehr viele Angehörige der Berufsgenossenschaft sind, die mehr als 9000 DM verdienen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Becker, kommt es auf die Anzahl der Berufsgenossenschaften an, die die Höchstgrenze heraufgesetzt haben, oder kommt es auf die Zahl der von den einzelnen Berufsgenossenschaften erfaßten Beschäftigten an? Ist Ihnen die
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Dezember 1960 7083
Büttner
Zahl entgangen, die Herr Professor Dr. Schellenberg hier gegeben hat, wie viele von dieser Höchstgrenze noch nicht erfaßt sind?
Herr Kollege Büttner, Sie haben gewiß recht, wenn Sie meinen, daß es nicht auf die Zahl der Berufsgenossenschaften ankommt, die über ,die Höchstgrenze hinausgegangen sind. Freilich habe ich gehört, was Herr Kollege Schellenberg hier gesagt hat. Ich weiß auch, was er meint. Er meint bestimmt die Berufsgenossenschaft der Textil- und Bekleidungsindustrie, die heute eine Höchstgrenze von 9000 DM hat.
— Ich glaube nicht, daß die Textilarbeiter weit mehr als 750 DM verdienen, so daß auch der Betrag von 9000 DM nicht so sehr überschritten wird.
Ich muß hier wiederholen, was ich zu Ziffer 2 gesagt habe. Die Selbstverwaltung hat die Möglichkeit, über diese Höchstgrenze hinauszugehen. Sie hat es in ,den weitaus meisten Fällen auch getan. Wir wollen über diese Fragen vielleicht bei der endgültigen Beratung des Gesetzes noch einmal sprechen. Aber im Vorschaltgesetz wollen wir in der Höchstgrenze der Jahresarbeitsverdienste durch die heutige Beschlußfassung keine Änderung eintreten lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Börner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Becker veranlassen uns, noch einmal in diese Thematik einzugreifen. Herr Kollege Becker, es ist nicht die entscheidende Frage, wie viele von den betreffenden Berufsgenossenschaften erfaßten Personen mehr als 750 DM verdienen. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob man es sozialpolitisch verantworten kann, daß auch nur einmal rdurch eine solche gesetzliche Fassung Unrecht geschieht.
Ich darf Ihre Ausführungen hinsichtlich des Personenkreises noch ergänzen. Es handelt sich nicht nur um die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, es handelt sich z. B. auch um die Berufsgenossenschaft des Einzelhandels, es handelt sich nach ,dieser Liste um die Berufsgenossenschaft der Verwaltungen, es handelt sich vor allem um die norddeutsche und um die süddeutsche Holzberufsgenossenschaft. Das sind immerhin Wirtschaftszweige — wenn ich nur den Einzelhandel ,als ein Problem herausgreife —, für die nach unserer Meinung die schon in der Vorlage der Bundesregierung vor ,drei Jahren gewünschte Fassung notwendig ist.
Für uns gilt das Argument, daß man es der Selbstverwaltung überlassen könne, nicht. Ich habe schon vorhin einmal gesagt: Es ist entscheidend, hier ,die Gesamtverantwortung des Parlaments für eine Frage klarzustellen.
Ich möchte noch einmal an die Anhörung der Sachverständigen erinnern. Sie werden doch zugeben, ,daß Herr Dr. Lauterbach in seinen Ausführungen vor dem Ausschuß ganz ,deutlich erklärt hat, daß sich auf der internationalen Ebene eine Verbindung von Liste und Generalklausel andeutet und daß man in der deutschen Rechtsetzung keinesfalls hinter ,diese Bestrebungen zurückgehen sollte. Ich meine: Wenn Sie sich heute nicht für den Änderungsantrag der SPD entscheiden, so ist das eine bedauerliche Rückentwicklung in einer sozialrechtlichen Frage, die schon 1957 von der Bundesregierung in klarer Sicht der kommenden Entwicklung angesprochen worden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 724 Ziffer 4 zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr ,den Änderungsantrag Umdruck 724 Ziffer 5 auf. Das Wort zur Begründung hat Frau Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion beantragt unter Ziffer 5 des Umdrucks 724 eine Verbesserung der Witwenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach dem ersten Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, das am 1. Januar 1957 in Kraft getreten ist, erhält die Witwe eines verunglückten Ehemannes eine Witwenrente von einem Fünftel des Jahrearbeitsverdienstes und eine Rente von zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes, wenn die Witwe entweder das 45. Lebensjahr vollendet oder wenn sie durch Krankheit wenigstens die Hälfte ihrer Erwerbsfähigkeit verloren hat. Bei der Bemessung der Witwenrente wird also — ich bitte, das genau zu beachten — keine Rücksicht darauf genommen, ob die Witwe Kinder zu betreuen hat oder nicht. Wir halten diese Regelung nicht für richtig, ja, wir halten sie eigentlich für familienfeindlich.
In vielen Fällen ist es als sicher anzunehmen, daß die Mutter auf Grund dieser ungünstigen Regelung gezwungen ist, einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, um für ihre Kind oder für ihre Kinder in einigermaßen ausreichender Weise überhaupt sorgen zu können. Mit der jetzigen schlechten Regelung der Bemessung der Witwenrente honorieren wir also in keiner Weise die Leistung, die die Witwe als Mutter vollbringt, sondern wir zwingen sie, trotz ihrer Aufgabe, die sie als Mutter zu leisten hat, in die außerhäusliche Erwerbsarbeit. Die Kinder müssen in diesen Fällen Vater und Mutter entbehren, den Vater durch den tödlichen Unfall, die Mutter durch die außerhäusliche Erwerbsarbeit. Es ist aber eines der Grundprinzipien unserer Familienpolitik, daß keine Mutter gezwun-
7688 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Frau Korspeter
gen sein darf, aus wirtschaftlichen Gründen einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Die jetzige schlechte Regelung der Witwenrente verlangt aber geradezu zwangsläufig eine Erwerbsarbeit der Mutter.
Aus der Grundhaltung in dieser Frage ist unser Antrag zu verstehen. Wir schlagen vor, die Sätze 2 und 3 des § 588 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung wie folgt zu fassen:
Die Witwenrente beträgt zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes, wenn die Witwe das fünfundvierzigste Lebensjahr vollendet hat oder solange sie mindestens ein nach § 591 waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder berufsunfähig ... oder erwerbsunfähig ... ist. ...
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß derselbe Vorschlag, den wir Ihnen heute unterbreiten, bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung enthalten war, und zwar des Gesetzentwurfs, den wir leider nicht bis zu Ende beraten haben und an dessen Stelle der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf mit einigen dringenden Fragen vorab verabschiedet werden soll. Wir halten diese Regelung für dringend genug, um sie heute in dieses Gesetz einzubeziehen.
Die Bundesregierung hat bei der Begründung des soeben erwähnten Gesetzentwurfs auch zu dieser Frage auf die Regelung in der Rentenversicherung hingewiesen, und wir schließen uns dieser Begründung an. Auch hiernach erhält eine Witwe, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet hat oder wenn sie mindestens für ein waisenrentenberechtigtes Kind zu sorgen hat, eine erhöhte Witwenrente. Ich glaube, jeder, der sich mit dieser Frage befaßt, muß diese Regelung als gerecht und angemessen anerkennen. Ich darf wohl mit Recht sagen: es ist allerhöchste Zeit, daß wir die Witwe eines tödlich Verunglückten bei der Bemessung der Witwenrente nach den gleichen Prinzipien behandeln, wie das in der Rentenversicherung geschieht.
Sie haben, meine Herren und Damen von der CDU, leider im Ausschuß unseren Antrag abgelehnt, genauso, wie Sie alle übrigen Anträge von uns abgelehnt haben, und zwar mit der formellen Begründung, daß die Überschrift Ihres Gesetzentwurfs „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung" Ihre Zustimmung zu unseren Anträgen nicht zulasse, da Sie sich an die Überschrift Ihres Gesetzes halten wollten.
Sie haben diesen unseren Antrag im Ausschuß zwar abgelehnt, meine Herren und Damen von der CDU; aber Sie haben trotz der Ablehnung erklärt, daß Sie sich Ihre Haltung noch einmal überlegen wollten. Ich glaube, es ist einfach unmöglich, daß Sie auch heute wieder diesen Antrag auf eine Verbesserung
der Witwenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung mit dieser formellen Begründung ablehnen.
Ich halte es auch für unmöglich, die Witwen darauf zu vertrösten, daß Sie es vielleicht 1962, oder wann es ist, regeln wollen. Bei der Erhöhung der Witwenrente, die wir beantragen, handelt es sich vielmehr um eine dringend notwendige Verbesserung von Geldleistungen, und zwar für Witwen, die Kinder zu versorgen haben und die durch den tödlichen Unfall ihres Mannes wohl am stärksten betroffen sind. Wir hoffen deshalb sehr, daß Ihre Überlegungen, meine Herren und Damen, dazu geführt haben, daß Sie heute unserem Antrag zustimmen werden, damit wir auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zu einer gerechten Regelung für die Witwenrenten kommen. Wir dürfen nicht weiterhin eine Regelung dulden, die man nur als familienfeindlich bezeichnen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion liebt es, uns von der CDU immer den Vorwurf zu machen, wir seien in unserer Sozialgesetzgebung zu rückständig, und der Herr Kollege Bärsch hat uns vorhin wieder das vorgetragen, was er uns schon einmal im Ausschuß gesagt hat: wir sollten Obacht geben, daß wir in unserem Lande nicht die langsamste Entwicklung in der Sozialpolitik hätten, weil bekanntlich das langsamste Schiff das Tempo eines Geleitzuges bestimme. Ich darf hier wohl sagen, daß die Bundesrepublik wirklich nicht das langsamste Schiff im Geleitzug der Sozialpolitik stellt.
Ich möchte glauben, daß die Sozialpolitik der Bundesrepublik die soziale Entwicklung in keiner Weise hindert.
Ich möchte sogar sagen, daß auf weiten Strecken der Sozialpolitik die Bundesrepublik das Linienschiff stellt, in dessen Kielwasser die anderen Schiffe — manchmal in recht erheblichem Abstand — folgen.
Meine Damen und Herren, ein kurzes Wort zu dem, was Frau Kollegin Korspeter hier vertreten hat. Es ist richtig, wir haben im Ausschuß oder schon in der ersten Lesung gesagt, daß wir uns dieses Problem der Witwenrente, das im Antrag der SPD angesprochen ist, noch einmal überlegen wollen. Wir wollen es auch nicht mit einer Handbewegung als ganz unberechtigt hier abtun. Wir sind aber der Auffassung, das Problem ist nicht so vordringlich, daß es in einem Vorschaltgesetz jetzt geregelt werden muß,
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7689
Becker
zumindest nicht so vordringlich wie die Anpassung der Renten, die Erhöhung der Kinderzulagen und die Erhöhung des Pflegegeldes.
Wir sind durchaus der Auffassung, daß bei der Beratung des eigentlichen Gesetzentwurfs sehr ruhig, und ich darf sogar sagen sehr wohlwollend über diese Dinge beraten werden kann. Man sollte aber wirklich nicht all die, wenn Sie so wollen, attraktiven Punkte aus einer Gesetzesvorlage herausnehmen, so daß nachher nur noch das Formale übrigbleibt und das Interesse an ihrer Verabschiedung dann, nun, sagen wir einmal, nicht mehr allzu groß ist.
Wir dürfen aber auch sagen, meine Damen und Herren, daß gerade bei der Regelung der Fragen der Witwenversorgung in den letzten Jahren doch manches geschehen ist; auch Frau Kollegin Korspeter hat darauf hingewiesen, ich darf es wiederholen. Das vorläufige Neuregelungsgesetz vom 27. Juli 1957 hat für die Witwen bereits eine Vergünstigung dadurch gebracht, daß die Lebensaltersgrenze für den Bezug der erhöhten Witwenrente von zwei Fünfteln des Jahresarbeitsverdienstes von 60 auf 45 Jahre herabgesetzt worden ist. Es kann durchaus zweifelhaft sein, ob die betroffenen Witwen in der Regel auch tatsächlich die Nutznießer dieser günstigeren Regelung geworden sind. Die Witwen von Arbeitnehmern erhalten, das habe ich vorhin in einem anderen Zusammenhang schon einmal gesagt, in der Regel neben der Rente aus der Unfallversicherung eine Rente aus der Rentenversicherung. Nach § 1279 RVO und den entsprechenden Bestimmungen in der Angestellten- und der Knappschaftsversicherung kann eine Witwe höchstens sechs Zehntel von 85 % des Jahresarbeitsverdienstes, nach dem die Rente aus der Unfallversicherung zu berechnen ist — das sind also etwa 51 % des Jahresarbeitsverdienstes —, erhalten, wenn eine Witwenrente aus der Unfallversicherung und eine Rente aus der Rentenversicherung nebeneinander zu zahlen sind. Wird nunmehr nach Ihrem Willen die Rente aus der Unfallversicherung auf 40 % des Jahresarbeitsverdienstes erhöht, dann könnte es dazu kommen, daß die Erhöhung der Witwenrente aus der Unfallversicherung nicht allen Witwen zugute käme, sondern daß nur die Rentenversicherung entlastet würde.
Da die Frage des Zusammentreffens von Renten aus der Rentenversicherung, der Unfallversicherung und der Sozialversicherung bei der Beratung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes eingehend geprüft werden muß, beantragen wir, Ihren heutigen Antrag abzulehnen und diese Frage endgültig beim Neuregelungsgesetz zu beraten und darin zu regeln.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nur wenige Worte. Ich
möchte meiner Verwunderung Ausdruck geben, Herr Kollege Becker, ,daß Sie namens der Fraktion auch diesen Antrag der SPD ablehnen wollen. Ich möchte kurz das wiederholen, was meine Kollegin Korspeter bereits gesagt hat. Es handelt sich hier doch wirklich um eine notwendige Sache. Wenn Sie auch diese Verbesserung der Leistungen für verwitwete Frauen, die ein waisenrentenberechtigtes Kind erziehen oder erwerbsunfähig oder berufsunfähig sind — nur um diese handelt es sich ja — ablehnen wollen, meine Herren und Damen von der CDU/ CSU, so muß ich Ihnen doch einmal in aller Offenheit sagen: Sie reden immer so viel von einer fortschrittlichen Familienpolitik, und hier, wo es einmal darum geht, durch die Tat zu beweisen, daß man für verwitwete Frauen eine Verbesserung vornehmen will, stellen Sie sich hin und sagen: Das können wir nicht tun, das muß warten, bis die große Reform der Unfallversicherung kommt.
Es tut mir leid, ich muß das hier aussprechen: es ist eine eigenartige und unerklärliche Zurückhaltung, die Sie sich hier auferlegen, wo es wirklich darum geht, eine Familienlastenausgleichsverbesserung vorzunehmen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 724 Ziffer 5 seine Zustimmung geben will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 8 und § 9. — Wer diesen Bestimmungen seine Zustimmung erteilen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -
Einstimmige Annahme!
Auf Umdruck 724 ist unter Ziffer 6 ein Antrag angekündigt, nach dem ein § 9 a eingefügt werden soll. — Das Wort. hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon eine Reihe von gut begründeten Anträgen zu diesem Unfallversicherungsneuregelungsgesetz gestellt. Leider haben Sie alle diese Anträge abgelehnt.
In Ihrer Begründung der Ablehnung unserer wohldurchdachten Anträge haben Sie allerdings — möchte ich fast zurückgeben — wider besseres Wissen Argumente angeführt, Herr Kollege Stingl, die Sie nicht vertreten können und die den wirklichen Verhältnissen nicht entsprechen.
Obwohl schon in der vorangegangenen Debatte die Frage der Dynamisierung der Unfallversicherungsrenten angesprochen worden ist, will ich dieses Problem noch einmal besonders behandeln, weil wir die Einfügung eines § 9 a in dieses Neuregelungsgesetz mit dem Ziel der Dynamisierung der Rente fordern. Wir bitten darum, daß künftig die
7690 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Geiger
Unfallversicherungsrenten ebenso behandelt werden wie die Renten der Angestellten- und der Invalidenversicherung. Ich darf mich dabei auf Zeugen aus Ihren Reihen berufen,
die ja immer wieder — Herr Kollege Ruf — herausstellen, daß Gerechtigkeit gegenüber jedermann geübt werden und daß eine Gleichbehandlung aller erfolgen muß. Das sollten wir, glaube ich, nicht nur beim Aktienrecht, sondern auch bei der Neugestaltung der Unfallversicherungsrenten tun.
Meine Damen und Herren, wenn wir, wie es der Sozialbeirat vorschlägt, in einem gemeinsamen Gesetz bestimmt haben, daß sowohl die Renten in der Angestellten- und in der Invalidenversicherung als auch die Renten in ¡der Unfallversicherung den veränderten Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten angepaßt werden,
wird dieses Recht — Herr Kollege Schütz — nicht mehr auseinanderklaffen, sondern ein einheitliches Recht sein. Es ist notwendig, daß auch die Renteneinkommen der unfallgeschädigten Menschen den veränderten Verdienstverhältnissen und den veränderten Lebenshaltungskosten angepaßt werden.
— Nein, Herr Kollege Ruf! Natürlich tun Sie das für eine zurückliegende Zeit von vier Jahren. Sie wollen sich das wieder bis zur nächsten Bundestagswahl aufsparen, damit Sie dann wieder einen neuen Ausgangspunkt haben.
— Nein, wir werden das noch mehr ausbauen. Sie brauchen keine solche Zurückhaltung zu üben, Herr Kollege Schütz.
Wir verlangen hier ja nicht etwas, was wir als Sozialdemokraten etwa aus irgendwelchen wahltaktischen oder sonstigen Gründen wollen.
— Aber nein, wir befinden uns heute in einer guten Gesellschaft. Sie machen es uns nur außerordentlich schwer, die Vorstellungen der Bundesregierung zu verwirklichen. In allen Fragen, die wir heute angesprochen haben, und mit allen Anträgen, die wir heute gestellt haben, bewegen wir uns auf der Linie der Vorschläge der Bundesregierung, die dem Hohen Hause seit dem Jahre 1957, also noch seit der Zeit des 2. Bundestages, vorliegen. Sie verhindern die Verabschiedung. Wenn Sie heute sagen, diese Probleme könnten nur in einem Reformgesetz gelöst werden, — ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hätten doch die Möglichkeit gehabt, das ganz allein zu beschließen! Seit dem Jahre 1957 haben Sie die absolute Mehrheit.
— Herr Kollege Schütz, wenn Sie ernstlich den Willen gehabt hätten, hätten Sie allein mit Ihrer Mehrheit diese Reformgesetzgebung verabschieden können. Sie wären dann heute nicht mehr in der unangenehmen Lage, immer wieder etwas vorschieben zu müssen, was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Ich weiß nicht, warum Sie sich nicht mehr zu den Vorschlägen der Bundesregierung bekennen; vielleicht, weil in der Zwischenzeit bei Ihnen das Wort vom „Stilwandel in der Sozialpolitik" die Runde gemacht hat. Vielleicht ist das der Grund, warum Sie nicht mehr zu den Vorschlägen der Bundesregierung stehen. Wir sollen also nach Ihrem Willen, wie das vorhin der Kollege Stingl vorgetragen hat, jedes Jahr im Bundestag oder in diesem Falle alle vier Jahre die Auseinandersetzung um die Anpassung der Unfallversicherungsrenten führen.
Meine Damen und Herren, wollen Sie das denn? Wollen Sie jedes Jahr eine solche Auseinandersetzung haben? Sie sind doch mit mir der Meinung, daß dieser Fragenkomplex genauso gut durch die Bestimmungen geregelt werden kann, die im Rentenversicherungsgesetz enthalten sind. Die Berechtigung auch für die Unfallversicherungsrentner ist gegeben, Herr Kollege Ruf! Sie sagen zwar, die Renten würden nach dem jeweiligen Jahresarbeitsverdienst berechnet. Das trifft zu. Sie werden nach dem jeweiligen Jahresarbeitsverdienst des vorhergehenden Jahres berechnet.
— Nein, Herr Kollege Ruf, wenn Sie die Frage so stellen, muß ich sagen, daß es sich darüber hinaus auch um die Schadensabgeltung handelt und daß jeder, der einen Schaden abzugelten hat, verpflichtet ist, den Geschädigten so zu entgelten, wie Zeit, Umstände und Entwicklung es mit sich bringen. Das trifft doch auch hier zu. Ich freue mich darüber; Herr Kollege Horn, Sie brauchen Herrn Kollegen Ruf gar nicht zu beschwichtigen!
— Um 9 Uhr wird sowieso Schluß gemacht; das wird nicht allzu gefährlich sein.
Die Renten, die wir heute auch nach Ihren Vorschlägen anheben, sind nach dem Jahresarbeitsverdienst des Jahres 1956 festgesetzt worden. Wollen Sie etwa behaupten, daß die Rentenfestsetzung aus idem Jahre 1956 und die damals erzielte Höhe der Renten noch die gleichen sind wie heute?
— Aber die vier Jahre, die zurückliegen, sind für die Rentenbezieher verlorengegangen. Ich will das an einem Beispiel klarmachen und Ihnen mit Erlaubns ,des Herrn Präsidenten aus dem Bulletin der Bundesregierung vorlesen, damit Sie von vornherein wissen, — —
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7691
Meine Damen und Herren, in dieser späten Abendstunde ein bißchen mehr Abendfriede!
Meine Damen und Herren, ich zitiere ,also aus dem Bulletin der Bundesregierung, und Sie werden nicht sagen, — —
— Ich will es trotzdem noch einmal vorlesen für ,diejenigen, die es nicht kennen:
Wenn ein Versicherter im Jahre 1958 ein Arbeitsentgelt von 5330 DM verdiente, so entsprach ,das genau dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten,
— das ist ein anderer Tatbestand, der ,aber zutrifft —
und seine Prozentzahl war folglich 100. Derselbe Einzelverdienst von 5330 DM ergab im Jahre 1959 nur noch eine Prozentzahl von etwa 95 v. H., . . .
Wenn ich jetzt gar bis auf das Jahr 1956 zurückgehe, sind es weitere 20 %, die noch von 'diesen 95 % wegkommen. Ich will Ihnen ,dazu sagen, das trifft nicht nur für die Rentenversicherung, sondern das trifft auch für ,die Unfallversicherung zu. Es kommt noch stärker zur Wirkung, weil die Verdienstgrenze des Jahres 1956 zugrunde gelegt wurde. Sie vergessen bei der Betrachtung ,dieser Dinge, daß der Unfallgeschädigte auch in seiner beruflichen Entwicklung gehindert ist. Hätte er noch im Arbeitsleben gestanden, hätte ,er heute einen wesentlich anderen Verdienst erzielt und wäre nicht auf der Basis des Jahres 1956 stehengeblieben. Ganz abgesehen davon unterliegt er im Privatleben einer erheblichen Behinderung.
Wir sind der Meinung, daß auch die Rente des Unfallbeschädigten an der allgemeinen Entwicklung der Löhne, der Einkommen und der Lebenshaltungskosten orientiert sein muß. Aus diesem Grunde wollen wir, daß auch dem Unfallbeschädigten eine, wenn Sie so wollen, automatisierte Rentenanpassung zugestanden wird. Denken Sie dabei daran, daß die Jahresarbeitsverdienste sowieso nur zu zwei Dritteln berücksichtigt werden; jedem Unfallbeschädigten wird von vornherein ein Drittel des Jahresarbeitsverdienstes in Abzug gebracht. Die Kollegen haben vorhin darauf hingewiesen, daß es noch eine ganze Anzahl von Berufsgenossenschaften gibt, die eine Jahresverdiensthöchstgrenze von 9000 DM haben und die nicht bereit sind, von dieser Grenze abzugehen. Es geht uns in erster Linie darum, die Renten nicht nur für die zurückliegende Zeit zu erhöhen — was Sie heute tun —, sondern den unfallbeschädigten Rentner an der allgemeinen Entwicklung teilhaben zu lassen.
Wir haben Ihnen zu diesem Zweck eine Vergrößerung des Sozialbeirats vorgeschlagen, derjenigen Körperschaft, die ermittelt, wie sich die allgemeine
Einkommensentwicklung vollzogen hat. Mit der von uns beantragten Regelung ist kein großer Aufwand verbunden.
Meine Damen und Herren, vertrösten Sie uns nicht auf die Verabschiedung der Reform! Hier geht es um die Anpassung der geldlichen Leistungen, und zu dieser Anpassung der geldlichen Leistungen gehört in erster Linie, auch die Unfallrentner an der allgemeinen Entwicklung teilhaben zu lassen. Ich möchte Sie bitten, meine Damen und Herren, das, was Sie mit Ihrer Mehrheit in den letzten vier Jahren versäumt haben, heute nachzuholen, indem Sie unserem Antrag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich könnte es mir leicht machen und Ihnen aus dem Protokoll, das ich soeben durchgesehen habe, meine Rede von vorhin vorlesen. Ich überlasse es Ihnen, meine Rede nachzulesen, wenn das Protokoll gedruckt ist.
Ich würde Ihnen dazu das Wort auch nicht erteilen, Herr Abgeordneter. Sie können die Reden anderer vorlesen, nicht Ihre eigenen.
Herr Präsident, trotzdem brauche ich nicht die gesamten Argumente zu wiederholen.
Wenn ein Redner eine Rede zum erstenmal vorliest, so gehe es hin. Aber eine Rede, die er schon einmal gehalten hat, noch einmal aus dem Protokoll vorzulesen, dazu gebe ich keine Gelegenheit.
So barmherzig bin ich auch wieder nicht.
Herr Präsident, ich bin mit Ihnen völlig einig. Ich habe auch gesagt, daß ich es nicht tun werde. Ich bitte also noch einmal - offenbar mit dem Einverständnis des Präsidenten —, nach Beendigung der Sitzung, morgen, den gedruckten Bericht nachzulesen und daraus zu entnehmen, was ich gesagt habe.
Ich darf nur eine kurze Ergänzung anbringen. Herr Kollege Geiger hat gesagt, auch der Unfallrentner solle an der Entwicklung von Löhnen und Gehältern teilhaben, und in seiner Rente solle ferner die Preisentwicklung berücksichtigt werden. Bitte, Herr Kollege Geiger, versäumen Sie nicht, dabei auch zu betonen, daß der Unfallrentner im allgemeinen nicht Vollrentner ist und insoweit, als er noch arbeitet, an jener Entwicklung teilnimmt.
7692 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Stingl
Im übrigen nehmen Sie bitte alles als noch einmal gesagt, was ich vorhin ausgeführt habe. Wir wollen heute nicht die Reform der Unfallversicherung behandeln. Solange aber eine Reform nicht behandelt ist, ist Ungleiches nicht gleich zu behandeln.
Ich bitte Sie, den Antrag der SPD abzulehnen.
Keine weiteren Wortmeldungen mehr? — Offenbar nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag au!' Umdruck 724 Ziffer 6 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die §§ 10, — 11, — 12, — 13, — 14, - 15, — 16, — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme! Damit ist die zweite Lesung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Lesung
und erteile das Wort zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An und für sich sollte ein. Tag der Verabschiedung von Gesetzen, die eine Leistungsverbesserung bringen, ein erfreulicher Tag sein. Aber die Verabschiedung dieses Gesetzes über die vorläufige Neuregelung von Geldleistungen in der Unfallversicherung ist doch eigentlich eine bedrückende Angelegenheit. Denn mit der Verabschiedung dieses Zweiten Gesetzes über die vorläufige Neuregelung wird gleichzeitig erklärt, daß ebenso wie in der vergangenen Legislaturperiode auch in dieser Legislaturperiode keine Reform der Unfallversicherung mehr verabschiedet werden kann, auch wenn Sie bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs etwas anderes gesagt haben. Nach Auffassung meiner politischen. Freunde ist das besonders bedauerlich, weil Sie durch die Ablehnung unserer Anträge auf gerechte Anpassung der Unfallrenten, auf bewegliche Entschädigung für Berufskrankheiten, auf Beseitigung der Härten bei den Witwenrenten diese wichtigen Fragen für mindestens zwei Jahre unerledigt lassen.
Herr Kollege Becker, Sie hielten es für ratsam, auf internationale Vergleiche hinzuweisen. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Becker, Sie haben sich sicher nicht — und das bedauere ich — mit den Erfahrungen in anderen Ländern in bezug auf die Unfallversicherung beschäftigen können. Was Sie da von vorbildlicher 'deutscher Regelung gesagt haben, bezieht sich auf die Zeit der Jahre um 1890. Da war in der Tat die deutsche Unfallversicherung einmal vorbildlich für alle Länder.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Schellenberg, ich glaube, Sie haben es doch auch wohl gehört: Ich habe bei meiner Argumentation nur von ,der deutschen Sozialpolitik in der Gesamtheit gesprochen und Rabe in diesem Augenblick nicht speziell die Unfallversicherung gemeint.
Heute behandeln wir Fragen der Unfallversicherung. Deshalb ist unser Hinweis, daß wir in dieser Hinsicht sinnvolle Beschlüsse fassen müssen, wohl angebracht.
— Meine Damen und Herren, wir könnten auch
durch Diskussionsbemerkungen eine Kindergelddebatte entfachen, wenn Sie Vergleiche wünschen.
Wir haben wirklich den Eindruck, daß Sie sich heute vorgenommen haben, grundsätzlich ohne Rücksicht auf Argumente nein zu sagen.
Das halten wir für eine schlechte Methode, besonders da Sie damit zu wesentlichen Vorschriften einer Regierungsvorlage nein sagen. Das halten wir für einen bedauerlichen Standpunkt, insbesondere da die — —
— Herr Kollege Stingl, wenn Sie von Rosinen und Kuchen sprechen, habe ich böse Befürchtungen. Dann habe ich nämlich die Befürchtung, daß Sie beispielsweise die bewegliche Gestaltung der Entschädigungen bei Berufskrankheiten mit Leistungsverschlechterungen koppeln wollen, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen ist. — —
Sie haben uns in der Sache nicht widerlegen können, daß die Anliegen, die wir heute vorgetragen haben, den sozialpolitischen Bedürfnissen entsprechen. Darüber diskutieren wir heute.
Dennoch werden wir dem Gesetz zustimmen.
— Auch wir haben eine wesentliche Initiative für dieses Vorschaltgesetz entfaltet. Wir werden diesem Gesetz zustimmen, weil es unbestreitbar gewisse Verbesserungen enthält. Mehr ist eben in dieser Legislaturperiode bei dieser Mehrheit nicht zu erreichen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7693
Dr. Schellenberg
Um das andere werden wir 1961 ringen; das ist wohl klar.
— Von welchem Gebiet wollen Sie sprechen? Wollen Sie von der Kindergeldgesetzgebung sprechen?
— Meine Damen und Herren, das werden wir sehen. Das wird noch lustige Auseinandersetzungen geben oder richtiger sehr ernsthafte über soziale Fragen geben.
Die Hinausschiebung einer Reform der Unfallversicherung praktisch bis zum Jahr 1963 — denn das liegt in der Entscheidung, die Sie getroffen haben — ist nicht nur wegen der Leistungsfragen so bedenklich, sondern auch deshalb, weil damit der Gesetzgeber für eine längere Periode auf eine Initiative im Bereich der Unfallverhütung verzichtet.
Dadurch, daß in dieser Legislaturperiode praktisch keine Unfallversicherungsneuregelung verabschiedet wird, Herr Dr. Atzenroth, verzichtet der Gesetzgeber auf eine Initiative auch in bezug auf die Unfallverhütung. Mit Recht hat die Öffentlichkeit in letzter Zeit Kritik daran geübt, daß die Verhütung von Unfällen keineswegs voll den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Gegenwart entspricht.
Diese Kritik ist in der Öffentlichkeit wiederholt geäußert worden. Vielleicht lesen Sie einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", den „Industriekurier" oder „Die Zeit", um Ihnen nur einige Pressestimmen aus den letzten Tagen zu nennen.
Ich will nicht untersuchen, wen für gewisse Versäumnisse die Verantwortung trifft, vielleicht verschiedene Stellen. Aber, meine Damen und Herren, wir als Gesetzgeber tragen doch eine besondere Verantwortung für die nichtbefriedigende Situation bei der Unfallverhütung. Deshalb stehen wir auf dem Standpunkt — und, Herr Dr. Atzenroth, vielleicht treffen wir uns auf diesem Standpunkt sogar —, daß in dieser Legislaturperiode alles getan werden sollte, um die Voraussetzungen für eine noch bessere Unfallverhütung und für eine sinnvollere Gestaltung der Unfallversicherung zu schaffen.
Diese Aufgabe kann bewältigt werden. Weshalb wird sie nicht bewältigt? Sie wird deshalb nicht bewältigt, weil die Mehrheit — das ist vorhin schon angeklungen, und ich muß es mit allem Nachdruck hier sagen — mit Gewalt die völlig unzureichende Reform der Krankenversicherung noch in dieser Legislaturperiode auf Biegen oder Brechen durchsetzen will. Meine Damen und Herren, Sie müssen den Vorwurf entgegennehmen, daß Sie das tun wollen, obwohl jeder Sachkenner weiß, daß aus einer Neuregelung der Krankenversicherung in dieser Legislaturperiode nichts Sinnvolles mehr herauskommen kann.
Deshalb appelliere ich an die Mehrheit: Nehmen Sie von dem unglückseligen Bemühen Abstand, die Krankenversicherungsneuregelung unbedingt noch durchpeitschen zu wollen! Lassen Sie sich nicht vom politischen Prestige, sondern vom Sachverstand bestimmen!
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam durch ein Vorschaltgesetz die dringendsten Fragen der Krankenversicherung regeln. Das dürfte um so leichter sein, als wir heute im Bereich der Unfallversicherung die Methode des Vorschaltgesetzes praktizieren. Dann lassen sich in dieser Legislaturperiode die Dinge der Unfallversicherung noch meistern. Dann können wir gemeinsam eine Neuregelung der Unfallversicherung in dieser Legislaturperiode noch verabschieden, die den Anforderungen unserer Zeit entspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten stimmen dem Gesetzentwurf zu. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß es sich mir um ein Provisorium, um eine Teillösung handelt. Es ist eben nur eine Vorwegziehung, eine Anpassung in der Höhe der Renten. Wir bedauern es, daß es zu 'dieser Lösung kommen mußte. Wir bedauern überhaupt die neue Methode, die sich in diesem Bundestag ,eingebürgert hat, die Methode der Vorschaltgesetze. Wir halten sie für eine schlechte Lösung. Man sollte sich in ,dem Aufgabenkreis, den man sich stellt, beschränken. Man sollte diesen Aufgabenkreis an ,die Möglichkeiten anpassen, die wir doch ,auch in diesem Bundestag langsam haben erkennen müssen. Es wäre besser gewesen, wir hätten dieses Gesetz in seiner Ganzheit verabschiedet und hätten dafür auf das Krankenkassengesetz verzichtet. Insofern stimmen wir der Sozialdemokratie zu. Wir sind der festen Überzeugung, daß auch bei der Krankenversicherung nur ein —wie es genannt worden ist — Wechselbalg herauskommen wird, sicherlich keine klare Lösung in ihrer Gesamtheit. Wir werden dieselben bedauernden Worte, die wir jetzt für dieses Gesetz zur Unfallversicherung finden, bei dem Gesetz über die Krankenversicherung wiederholen müssen.
Trotzdem kann ich mit Herrn Professor Schellenberg in vielen Punkten nicht einiggehen. In der Grundlage ist unsere deutsche Unfallversicherung immer noch richtunggebend und positiv zu beurteilen. In der Welt gibt es wenig Staaten, die uns darin gleichkämen oder etwa überträfen.
7694 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Atzenroth
Ich will gerade auf die Frage der Unfallverhütung kommen. Ich halte es für einen Fehler, daß Herr Professor Schellenberg meint, wir müßten gesetzgeberisch auf dem Gebiet ,der Unfallverhütung jetzt ganz eilig Maßnahmen treffen. Aus meiner Kenntnis — ich bin seit über 30 Jahren ehrenamtlich in ,der Unfallversicherung tätig — kann ich Ihnen die Versicherung abgeben, ,daß in der Unfallverhütung alles getan wird, was möglich ist. Die Gefahren, die heute für den Arbeitnehmer bestehen, liegen zum großen Teil auf .dem Gebiete des Verkehrs, und dort kann natürlich ,die Berufsgenossenschaft nicht tätig werden. Dort ist das Aufgabe des Staates.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Dr. Atzenroth, halten Sie es mit einer fortschrittlichen Entwicklung der Unfallversicherung für vereinbar, daß die Erforschung der Unfallursachen, statistisch gesehen, noch außerordentlich unzulänglich ist?
Die Erforschung kann man sicherlich noch weitertreiben, aber wir haben uns der Praxis zugewandt. Kommen Sie einmal in die Betriebe! Kommen Sie in die Gremien, die die Berufsgenossenschaften geschaffen haben, um Maschinen zu entwickeln, die der Unfallverhütung dienen, und dergleichen Dinge mehr! Gehen Sie in den Bergbau! Was wird dort alles an Maßnahmen für ,die Unfallverhütung ergriffen! Sie können dann die Behauptung, die deutsche Unfallverhütung sei rückständig, nicht aufrechterhalten.
Ich muß noch ein Wort an den Schluß meiner Ausführungen stellen. Der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung hat vor einiger Zeit — ich glaube aber zum wiederholten Male — die Erklärung abgegeben, nach seiner Meinung sei die Grenze der Belastungsfähigkeit des Arbeitsnehmers und des Arbeitgebers aus der sozialen Sicherung prozentual erreicht und dürfe nicht mehr weiter vorangetrieben werden. Wenn wir die Unfallrenten in einer Form, wie wir es hier gefordert haben, oder vielleicht später in einer anderen Form, der wir übrigens nicht unsere Zustimmung geben, die aber von Ihnen gefordert wird, an das Lohnniveau anpassen, müßte doch logischerweise der Zustand entstehen — da es sich um ein Umlageverfahren handelt —, daß der prozentuale Satz der Belastung nicht zu steigen brauchte, sondern konstant bleiben könnte, daß also bei einer steigenden Lohnsumme auch ein steigendes Aufkommen an Umlagebeträgen entstünde und dieses steigende Aufkommen an Umlagebeträgen ausreichte, um auch die Renten entsprechend anzuheben.
Das ist hier nicht der Fall. Die Mehrbelastung, die auf 200 bis 250 Millionen DM geschätzt wird, wird in einer Reihe von Berufsgenossenschaften dazu führen, daß der Umlagesatz wieder erhöht werden muß, also die prozentuale Belastung —
nicht die effektive Belastung, die steigt mit dem höheren Lohnaufkommen — wieder steigen muß. Wenn wir an das endgültige Gesetz herangehen, werden wir diese Tatsache auch berücksichtigen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Kollege Atzenroth, sind Sie nicht auch mit uns der Meinung, daß die Höhe der Umlage in kausalem Zusammenhang steht mit der Unfallhäufigkeit und daß durch die Senkung der Unfallhäufigkeit — sprich: durch eine bessere Unfallschutzmaßnahme — in den Betrieben zwangsläufig auch die Unkosten der Betriebe für Unfallversicherung gesenkt werden können?
Selbstverständlich hängt die Höhe der Umlage mit der Unfallhäufigkeit zusammen. Aber vielleicht lesen Sie, Herr Börner, einmal die Tageszeitungen, aber auch die Fachzeitungen. Sie werden dann feststellen, daß die Unfallhäufigkeit in letzter Zeit sinkt, daß die Zahl der Unfälle und ganz besonders der entschädigungspflichtigen Unfälle, der schweren Unfälle, ganz erheblich gesunken ist. Wir müßten also nach Ihrer eigenen Definition umgekehrt zu einer Senkung der Umlagesätze kommen, und das ist nicht der Fall.
Ich habe für dieses Gesetz nicht irgendwelche Folgerungen ziehen, sondern die Aufmerksamkeit der Bundesregierung und der Fachleute hier im Parlament etwas auf diesen nicht ganz geklärten Sachverhalt lenken wollen. Ich wiederhole noch einmal: Wir stimmen diesem Entwurf vorbehaltlos zu und würden es begrüßen, wenn wir nun sehr schnell zu einer Erhöhung der Renten in dem Rahmen, den dieses Gesetz gibt, kommen könnten.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Ausführungen in dieser Generaldebatte zur dritten Lesung. Herr Kollege Schellenberg hat an die Spitze seiner Ausführungen gestellt, daß ein solcher Tag, an dem Leistungsverbesserungen für einen wesentlichen Teil unserer Bevölkerung beschlossen würden, eigentlich ein Freudentag sein müsse,
aber für seine Freunde von der SPD sei es kein Freudentag. Ich will jetzt nicht mehr oder weniger groß von „Freudentag" reden; aber ich möchte Ihnen, Herr Kollege Geiger, sagen, daß wir diesen Tag, wenn wir die dritte Lesung beendet haben, zumindest mit hoher Befriedigung darüber abschließen, daß wir den unter den Unfallversicherungs-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7695
Horn
schutz fallenden Menschen heute diese Leistungsverbesserungen haben geben können.
Es ist immer davon gesprochen worden — auch der Kollege Schellenberg hat das eben in seinen Ausführungen getan —, daß, wir es abgelehnt hätten, dringende Fragen der Neuordnung der Unfallversicherung zu regeln, die selbst die Bundesregierung in ihren Entwurf über die Neuordnung der gesetzlichen Unfallversicherung hineingebracht habe, bei denen sie also wolle, daß sie mit Gesetzeskraft geregelt würden.
Dem Ausschuß haben zur Beratung und Verabschiedung zwei Anträge vorgelegen. Der Antrag der SPD trägt die Überschrift: „Gesetz über vordringliche Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Unfallversicherung". Unser Antrag trägt die Überschrift: „Zweites Gesetz über die vorläufige Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung". Wenn Sie den Ausschußbericht aufmerksam gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, daß dankenswerterweise im ersten allgemeinen Teil sehr deutlich gemacht worden ist, wodurch sich die beiden Gesetzesvorlagen unterscheiden. Über den CDU/CSU-Entwurf ist gesagt worden - und das ist auch hier wieder deutlich geworden —. daß wir uns im wesentlichen an das Eiste Gesetz über die Regelung von Geldleistungen aus dem Jahre 1957 gehalten haben und halten daß wir aber darüber hinaus auch noch einiges art Verbesserungen in diese Vorlage aufgenommen haben.
Dabei, meine verehrten Damen und Herren, möchten wir auch jetzt bei der Verabschiedung dieses Gesetzes bleiben. Es kann gar keine Rede davon sein, daß wir die Fragen, die hier angesprochen wurden und die Gegenstand und Inhalt jener Regierungsvorlage sind, einfach negieren wollten, daß wir die Dinge, die wirklich mit der Neuordnung zusammenhängen, nicht wollten. ,Jawohl, meine Damen und Herren, wir wollen sie, aber, wie es meine Freunde vorhin zu wiederholten Malen zum Ausdruck gebracht haben, wir wollen sie dann, wenn die Neuordnung als solche hier zur Entscheidung steht, und nicht vorher.
Es ist immer wieder davon gesprochen worden, daß die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung der neuzeitlichen Entwicklung einfach nicht entsprächen und daß wir uns im Kranze der sozialpolitischen Gesetze in dieser Beziehung gewissermaßen im Hintertreffen befänden. Ich darf immerhin auch einmal hier in der Öffentlichkeit deutlich machen, daß die Gesamtausgaben für die gesetzliche Unfallversicherung im Jahre 1949 — ich will gar nicht weiter zurückgehen — 468 Millionen DM betragen haben und daß dieser Aufwand im Jahre 1958 auf rund 1,5 Milliarden DM gestiegen ist. Das ist also das Dreifache. Wer da noch behaupten wollte, daß wir uns mit einer solchen Leistung auch auf dem Gebiet der Unfallversicherung nicht sehen lassen könnten, auch im Hinblick auf die Regelungen, die in anderen Staaten gelten, der muß entweder mit Blindheit geschlagen sein, oder er verschweigt diese Tatsachen mit Absicht. Ich glaube, auch das sollte hier einmal festgehalten werden.
Hier wird immer wieder von den Mängeln und von der ungenügenden Regelung gesprochen, die mit Bezug auf die Unfallverhütungsvorschriften usw. zu verzeichnen seien. Dazu darf ich wiederum eine Auslassung des Bundesarbeitsministeriums in der Zeitschrift „Arbeitsschutz" vom September dieses Jahres zitieren, worin es über die Unfallursachenstatistik heißt:
Gegenüber den Vorjahren hat sich das Gesamtbild der Unfallursachenstatistik nicht geändert. Der Anteil der durch sachliche Mängel verursachten Unfälle blieb mit 24 Prozent konstant. Die untersuchten Unfälle wurden durch persönliche Mängel und vermutbare Fehlhandlungen herbeigeführt immerhin in einem prozentualen Verhältnis von 76 Prozent aller Unfallursachen.
Meine Damen und Herren, das kann man doch sicherlich nicht auf eine mangelhafte gesetzliche Regelung zurückführen, sondern diese Tatsache kann nur eine Mahnung und Warnung sein, die man an alle Menschen, die in den Betrieben tätig sind und sonstwie unter die Unfallversicherungsgesetzgebung fallen, richten muß: im Hinblick auf eine solche Statistik die eigene persönliche Verantwortung und die eigene persönliche Wachsamkeit in diesen Dingen etwas mehr geltend zu machen, als das in diesen Zahlen der Statistik zum Ausdruck kommt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Börner?
Herr Kollege Horn, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Begriffsbestimmung des menschlichen Versagens oder der menschlichen Unzulänglichkeit eine völlig ungenaue Definition für einen Sachverhalt ist, bei dem es aus dem Produktionsprozeß heraus auch durch mangelnde Sicherheitsmaßnahmen oder eventuell auch durch neue Konstruktionsmethoden zu einem solchen Unfall gekommen sein könnte? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es gerade in diesem Zusammenhang notwendig wäre, durch eine Unfallursachenforschung den Dirigen einmal auf den Grund zu gehen?
Herr Kollege Börner, ich stimme mit Ihnen darin überein, daß man die Angabe „76 Prozent" noch kritisch durchleuchten kann und daß es dabei vielleicht auch einige Fälle gibt, die sehr wohl zumindest an der Grenze des Persönlichen und des Sachlichen liegen mögen. Aber Sie werden mir doch zweifellos auch darin beistimmen, daß ein derart krasser Unterschied zwischen 24 und 76 Prozent immerhin doch so wichtig und so enorm ist, daß eine Mahnung und eine Warnung, die ich soeben an die Adresse der Beteiligten ausgesprochen habe, sehr wohl am Platze bleibt, auch dann, wenn man an den 76 Prozent noch einige Ab-
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Horn
striche vornehmen möchte und vielleicht auch vornehmen könnte. Diese Klarstellungen sollten wir bei dieser Gelegenheit einmal treffen.
Ich wiederhole die Feststellung, daß wir uns auch mit unserer gesetzlichen Unfallversicherung sehr wohl vor den Menschen in unserer Bundesrepublik sehen lassen können und daß wir auch im Vergleich zu den Regelungen im Ausland sehr wohl bestehen können und zweifelsohne an der Spitze marschieren.
Ich habe mit Befriedigung registriert, daß Herr Kollege Dr. Schellenberg, obschon er diesen Tag nicht als einen Freudentag ansehen kann, immerhin erklärt hat: Die sozialdemokratische Fraktion wird trotz allem, was sie auszusetzen hat, der Gesetzesvorlage zustimmen. Das registrieren wir mit Befriedigung, Herr Kollege Schellenberg. Sie haben daran aber wieder sehr kritische Bemerkungen geknüpft, die an unsere Adresse, an die Regierungsmehrheit gerichtet sind, so daß ich mich verpflichtet fühle, wenigstens einiges darauf zu entgegnen.
Es ist richtig, daß wir seinerzeit im Ausschuß mit unserer Mehrheit dafür votiert haben, die Beratung über die Neuregelung der gesetzlichen Unfallversicherung zunächst nicht weiterzuführen, sondern zuerst die Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen. Wir haben damals erklärt, daß es trotzdem unsere Absicht bleibe, noch in dieser Legislaturperiode die Neuregelung der Unfallversicherung durchzuführen. Diese Absicht haben wir dem Grunde nach auch heute noch.
Sie haben uns beschworen, wir möchten doch nun endlich einsehen, daß sich die Neuregelung der Krankenversicherung nicht mehr anders als durch eine Akzeptierung etwa Ihres Vorschaltgesetzes durchführen ließe. Dazu muß ich an dieser Stelle einmal sagen — auch wenn die Opposition dagegen mehr oder weniger laut protestiert —: Wir könnten in der Beratung über die Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung schon ein erhebliches Stück weiter sein, wenn wir nicht bei den Ausschußberatungen zu jedem einzelnen Punkt und zu jedem einzelnen Paragraphen so endlose Debatten führen müßten, wie wir sie durch Ihre Art der Verhandlungen im Sozialpolitischen Ausschuß erleben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geiger ?
Nein, im Augenblick nicht.
Man könnte zu dieser Methode sagen: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
Der wirklich ernste Wille, die Gesetzesarbeit in einer zügigen Weise voranzubringen, kann unter Beweis gestellt werden, wenn sich auch die Opposition darauf einstellt.
Aber immer so zu tun, daß man die Dinge lanciert und hinauszögert, damit man am Ende zu seinem politischen Erfolg kommt — so wie er etwa mit dem Vorschaltgesetz angestrebt wird —, diese Absicht wird auch von uns durchschaut. Wir werden Sie nicht so leichten Kaufes in diese Situation bringen. Wir appellieren an Ihre Adresse, sich bei den Ausschußberatungen etwas auf die Tatsachen einzustellen und gemeinsam mit uns dahin zu wirken, daß wir sowohl eine vernünftige Neuregelung der Krankenversicherung unter Dach und Fach bringen als auch noch anschließend die Neuregelung der Unfallversicherung beraten können. Ich weiß, daß von der Sache her die Bemühungen schwierig sind. Das räume ich Ihnen ohne weiteres ein. Aber wenn wir gemeinsam wollen, können wir auch gemeinsam zu Erfolgen kommen.
Meine Fraktion stimmt selbstverständlich der Vorlage in dritter Lesung zu.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Meine Damen und Herren, Sie sprechen vom Programm. Nach dem Programm waren wir mit diesem Gesetz heute morgen um 10 Uhr dran. Die Sozialpolitiker tragen keine Verantwortung dafür, daß wir jetzt am Abend über diese Dinge sprechen. Es handelt sich aber um ein bedeutsames sozialpolitisches Gesetz.
Ich muß nur einige Bemerkungen zu dem machen, was Herr Kollege Horn und was Herr Kollege Dr. Atzenroth gesagt haben. Herr Kollege Atzenroth hat über die finanziellen Auswirkungen gesprochen und hat erklärt, sie müßten zu Erhöhungen der Beitragssätze der Berufsgenossenschaften führen. Meine Damen und Herren, es ist ein Tatbestand, daß im Jahre 1959 die Ausgaben der Unfallversicherung um 37 Millionen DM niedriger waren als im Jahre 1958; dies, obwohl das Lohn- und Gehaltsaufkommen um etwas über 7 % gestiegen ist. Die Sachverständigen haben uns im Ausschuß erklärt, daß die Erhöhungen durch dieses Gesetz aus den Überschüssen des letzten Jahres gedeckt werden könnten!
Dann muß ich aber doch noch ein Wort zu dem sagen, was hier hinsichtlich der Verhütung der Unfälle gesagt wurde. Sowohl der Kollege Dr. Atzenroth wie Herr Kollege Horn haben in bezug auf die deutsche Unfallversicherung und insbesondere die Unfallverhütung Worte gesprochen, die ein wenig überheblich klangen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten gemeinsam der Auffassung sein, daß man für die Unfallverhütung nicht genug tun kann, und sollten in dieser Hinsicht noch möglichst viel von möglichst vielen Ländern lernen.
Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7697
Dr. Schellenberg
Denn die Sicherheit am Arbeitsplatz ist eine Aufgabe, für die auch wir gegenüber den arbeitenden Menschen durch die Maßnahmen, die wir hier beschließen, Verantwortung zu tragen haben.
Noch ein letztes Wort, Herr Kollege Horn, zur Krankenversicherung! Sie haben gesagt, wir wären schon weiter, wenn wir zügiger gearbeitet hätten. Dazu muß ich fragen, meine Damen und Herren: Wo wären wir, wenn wir all das mitgemacht hätten, was Sie inzwischen durch Änderungsanträge selbst wieder ändern wollten?
Dann wären wir in einer bedauerlichen und schwierigen Situation. Meine Damen und Herren, wir werden auch die Neuordnung der Krankenversicherung mit der Sachlichkeit und Gründlichkeit beraten, die die Materie erfordert, und wir werden — dessen können Sie sicher sein - mit allem Nachdruck dafür sorgen, daß Sie noch viel mehr an dem schlechten Gesetzentwurf ändern müssen.
Keine weiteren Wortmeldungen! Ich schließe die allgemeine Aussprache.
— Der Dank ist nicht an mich gerichtet, wie ich höre.
Es liegt nur ein Änderungsantrag auf Umdruck 728 vor. Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Dr. Bärsch will ihn begründen. Ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich werde es kurz machen.
— Sicher! — Ich möchte keine Ausführungen abstellen auf das, was Herr Kollege Ruf gesagt hat. Er hat gesagt, die Sechste Verordnung werde in Kürze verkündet werden und damit seien die Dinge auf den letzten Stand gebracht. Meine Damen und Herren, mein Kollege Schellenberg hat Ihnen die Begründung der Bundesregierung zu ihrem eigenen Vorschlag vorgelesen, aus der Sie ohne weiteres und ohne alle Schwierigkeit ersehen können, daß mit einer neuen Liste allein das Problem nicht gelöst ist, sondern daß es zur Lösung des Problems nötig ist, zu der Liste eine elastische Generalklausel, wie wir sie vorschlagen, in die Reichsversicherungsordnung aufzunehmen.
Darf ich Ihnen das an einem Beispiel darlegen. Meine Damen und Herren, wenn Sie eine solche Liste haben und nur das, was auf der Liste steht, Berufserkrankung ist, bedeutet das für den Richter, der im Streitfalle zu entscheiden hat, daß Gutachter und Obergutachter mit überzeugendsten Argumenten nachweisen können, daß es sich um eine Erkrankung infolge beruflicher Schädigung
handelt, daß der Richter aber dennoch nicht in der Lage ist, die Erkrankung als Berufserkrankung anzuerkennen, weil eben die Krankheit nicht auf der Liste steht. Das bedeutet, meine Damen und Herren — wir wollen das nicht verkleinern! —, daß Jahr für Jahr nicht nur einige wenige, sondern Hunderte von Fällen — wenn das reicht —, bei denen auch die Berufsgenossenschaften überzeugt sind, daß es Berufserkrankungen sind, nicht anerkannt und deshalb nicht entschädigt werden können. Sie verbauen, wenn Sie eine solche Geralklausel nicht in die RVO aufnehmen, auch die Möglichkeit, daß eine wissenschaftliche Überzeugung sich durchsetzen kann und ihre Durchsetzung zu rechtlichen Konsequenzen führt. Mit Hilfe einer Neufassung der Liste ,alle fünf oder alle zehn Jahre sind Sie nur in der Lage — ich möchte sagen —, in großen Zeitabständen die Rechtsordnung an die veränderte Wirklichkeit anzupassen. Worauf es ankommt, wie wir glauben und wie die Regierung glaubt, ist, ,die Möglichkeit einer kontinuierlichen Anpassung des Rechts an die sich beständig und stürmisch verändernde Wirklichkeit zu schaffen.
Darauf will ich meine Ausführungen beschränken. Ich möchte glauben, Ihnen überzeugend dargelegt zu haben, daß mit einer Neufassung der Liste das Problem, um das es sich primär handelt, nicht gelöst wird.
Keine weiteren Wortmeldungen; wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 728. Wer zustimmen will, möge das Handzeichen geben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung im ganzen in dritter Lesung. Wer dem Gesetz in der nunmehrigen Fassung zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, ich habe noch einige Mitteilungen zu machen. Zunächst zu Punkt 12 der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften — Drucksache 2280 —. Hier muß auch der Haushaltsausschuß befaßt werden; es handelt sich um ein Finanzgesetz. — Das Haus ist damit einverstanden, daß der Entwurf auch an diesen Ausschuß überwiesen wird.
Zweitens. Die zweite und dritte Beratung können am Freitag nicht stattfinden, weil vorher ein Gesetz beschlossen sein muß, auf das dieses Gesetz sich bezieht. — Das ist nur eine Mitteilung, damit die Damen und Herren sich darauf einrichten können.
Eine weitere Mitteilung zu Punkt 14 der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes — Drucksache 2226 —. Es war ursprünglich vereinbart worden, diesen Gesetzentwurf heute aufzu-
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Vizepräsident Dr. Schmid
rufen, weil der Familienminister am Freitag verhindert war. Nun hat sich glücklicherweise ergeben, daß er seine Dispositionen ändern konnte und Freitag anwesend sein wird. Also wird das Gesetz am Freitag aufgerufen werden.
Nun haben wir noch einige Punkte zu erledigen. Wir haben bis 21 Uhr Zeit und können noch recht fleißig arbeiten.
Ich denke zunächst an Punkt 10 der Tagesordnung. Das Gesetz muß heute beschlossen werden, damit die Regierung es ausdrucken kann. Es scheint zu eilen. Ich rufe also auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zolltarifgesetzes und des Deutschen Zolltarifs 1961 ;
Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 2271).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Löhr.
— Es wird auf Berichterstattung verzichtet.
Ich rufe in zweiter Lesung den § 1 auf. Gleichzeitig muß ich die Ziffer 2 des Ausschußantrages aufrufen.
Wer dem § 1 in der Fassung der Ziffer 2 des Ausschußantrages zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme!
§§ 2, — 3, — 4, — 5, — 6, — Einleitung und Überschrift. -- Wer zustimmen will, möge die Hand erheben. -- Einstimmige Annahme! Schluß der zweiten Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer zustimmen will, möge sich erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist Punkt 10 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1961 und 1962 ;
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 2268, zu 2268)
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Dahlgrün. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich auf den Schriftlichen Bericht beziehen, in dem aber leider ein Druckfehler berichtigt werden muß. In der Vorlage Drucksache 2268 muß es auf der Rückseite in der
linken Spalte im vorletzten Absatz in der zweiten Zeile statt „1960 und 1961" „1961 und 1962" heißen.
Ich rufe auf die §§ 1, — 2, - 3, — 4 in der Fassung des Ausschußantrages auf Drucksache 2268 unter Ziffer 1, — 5, - 6 in der Fassung des Ausschußantrages unter Ziffer 2, — 7, — 8, — 9 in der Fassung des Ausschußantrages unter Ziffer 3, — 10, - 11, — 12, —13, — Einleitung und Überschrift. — Wer einverstanden ist, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme! Schluß der zweiten Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Die Mehrheit hat dem Gesetz zugestimmt.
Punkt 15 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung von Reichsmarkguthaben im Saarland .
Verzichtet das Haus auf eine mündliche Begründung? — Die Vorlage soll an den Wirtschaftsausschuß und den Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Punkt 15 der Tagesordnung ist erledigt. Federführend ist der Wirtschaftsausschuß.
Punkt 16 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes .
Auch hier verzichtet das Haus wohl auf eine mündliche Begründung durch die Regierung. Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Wiedergutmachung — federführend —, an den Ausschuß für Inneres und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 16 ist erledigt. Punkt 17:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Margulies, Jacobi, Dr. Elbrächter, Geiger (München) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beschaffenheit von Wasch-
und Reinigungsmitteln sowie dafür bestimmte Detergentien .
Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Dr. Schmidt , offenbar der Urheber, ist anwesend. Der Antrag kommt dann ohne Begründung an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft als federführenden Ausschuß
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und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend —. — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Punkt 17 ist erledigt.
Punkt 18:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern .
Auch hier verzichtet man wohl auf mündliche Begründung. Vorgesehen ist Überweisung an den Finanzausschuß. — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Punkt 19:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Abkommen vom 16. August 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über gewisse Angelegenheiten, die sich aus der Bereinigung deutscher Dollarbonds ergeben .
Auch hier vertrauen wir der Weisheit der Bundesregierung und erwarten keine mündliche Begründung. Vorgesehen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —. Einverstanden? — Dann ist so beschlossen. Punkt 19 ist erledigt.
Punkt 20:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Eignungsübungsgesetzes .
Auch hier keine mündliche Begründung. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Arbeit — mitberatend —. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 20 ist erledigt.
Punkt 21:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
eine Zählung der Bevölkerung und der nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstätten und Unternehmen im Jahre 1961 sowie über einen Verkehrszensus im Jahre 1962 (Drucksache 2255).
Auch hier keine mündliche Begründung.
Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Heimatvertriebene und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 22:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gaststättengesetzes .
Wird die Vorlage begründet? — Das ist nicht der Fall.
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß als federführenden und an den Ausschuß für Mittelstandsfragen als mitberatenden Ausschuß. Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 25:
Beratung des Entwurfs einer Fünfundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 2238) .
Auch hier keine besondere Begründung.
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß. Wer dem zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Die Überweisung ist einstimmig beschlossen.
Ich stelle noch einmal fest, daß wir beschlossen haben, den Gesetzentwurf unter Punkt 12 der Tagesordnung gemäß § 96 auch an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Die Beratung der übrigen Tagesordnungspunkte ist für Freitag vorgesehen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 9. Dezember 1960, 9 Uhr.
Ich schließe die Sitzung.