Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich den Auftrag, nur zu dem besonderen Problem des Konzernrechts zu sprechen. Nachdem aber der Herr Kollege Dr. Heinemann vorhin auf die Fragen meiner Kollegen Dr. Barzel und Dr. Burgbacher nur eine sehr kurze und meines Erachtens nicht ganz befriedigende Antwort gegeben hat und er darüber hinaus einiges über das Unternehmensrecht gesagt hat, möchte ich meinen Ausführungen ein paar allgemeine Bemerkungen voranschicken.
In der Literatur zu dem Referentenentwurf ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob nicht das Aktienrecht ein neutrales Organisationsrecht sei, das von allen wirtschaftspolitischen, rechtspolitischen und anderen Zielsetzungen unabhängig sei. Natürlich ist das Aktienrecht zunächst das Recht der Ordnung bestimmter Unternehmen. Aber jeder
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Rechtsordnung liegt schließlich eine bestimmte Wertordnung zugrunde. Das zeigt ganz deutlich die heutige Debatte, das zeigt sogar die These von dem angeblich so neutralen Organisationsrecht, denn auch dieser These liegt eine bestimmte Wertordnung zugrunde.
Die Entscheidung des Gesetzgebers über das Aktienrecht wird daher nicht nur eine fachlich-juristische Entscheidung über die zweckmäßigste Gestaltung der Unternehmensform der Aktiengesellschaft sein, sondern zugleich ein Werturteil und eine klare politische Willensentscheidung darüber, wie bestimmte Bereiche der Wirtschaft organisiert werden sollen, welche Möglichkeiten der Gestaltung die Wirtschaft erhalten soll und welche Fehlentwicklungen und Mißbräuche der Gesetzgeber verhindern
will.
Unsere bestehende Rechts- und Wirtschaftsordnung hat mindestens seit dem Bürgerlichen Gesetzbuch vom vorigen Jahrhundert zwei tragende Säulen: das Privateigentum und die Vertragsfreiheit; das Privateigentum als Grundlage der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des einzelnen und die Vertragsfreiheit als das Recht des einzelnen — nun lassen Sie es mich gleich auf unser Gebiet anwenden —, über die Verwendung seines Eigentums im Rahmen der Gesetze zu entscheiden.
Die Aktienrechtsreform wird daher nicht die Aufgabe haben, bestimmte wirtschaftspolitische Tagesziele zu verfolgen. Aber sie soll natürlich verhindern, daß das Aktienrecht als Mittel zur Beeinträchtigung von Eigentum und Vertragsfreiheit benutzt wird.
Im übrigen ist das an sich kein neues Problem für den Gesetzgeber. In dem bekannten Kommentar zum Aktienrecht von Baumbach-Hueck steht in der Einleitung schon folgendes, das ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung ist die Rechtsform der AG immer wieder mißbraucht worden. Immer wieder sah sich der Staat genötigt, dagegen einzuschreiten. Deshalb ist die ganze Geschichte des Aktienrechts gekennzeichnet durch sich ständig wiederholende Perioden, in denen solche Mißstände hervortraten, und darauf folgende Versuche des Gesetzgebers, das Publikum durch verschärfte Schutzvorschriften zu sichern.
Das Aktienrecht soll deshalb — um es gleich auf unseren konkreten Fall anzuwenden — kein Antikonzentrations- oder Konzentrationsverhinderungsrecht sein. Konzentration ist in der modernen Industrie im gewissen Umfange nötig. Ich möchte mich da z. B. auf die Ausführungen beziehen, die der Kollege Professor Dr. Baade meines Wissens auf letzten wissenschaftlichen Tagungen in Bad Kissingen und anderswo gemacht hat. Aber selbstverständlich soll das Aktienrecht nicht zu unerwünschter Konzentration benutzt oder mißbraucht werden. Wenn man das Problem so stellt, ist es natürlich nicht ganz leicht zu lösen; denn die Aktiengesellschaft ist wahrscheinlich die höchstentwickelte Organisationsform der Unternehmen und recht kompliziert und empfindlich. Infolgedessen ist das Recht der Aktiengesellschaften kein Experimentierfeld, insbesondere wenn wir daran denken, daß die deutsche Wirtschaft in den Gemeinsamen Markt und in die Weltwirtschaft eintritt. Wir müssen vielmehr sehr sorgfältig die Fehlentwicklungen .in dem bisherigen Recht festzustellen versuchen und dann allerdings die Bestimmungen des bisherigen Rechts entsprechend ändern.
Um Mißverständnisse, insbesondere bei Kollegen der SPD, zu vermeiden, möchte ich einschalten, daß ich mir durchaus darüber klar bin, daß ich mich bei meinen folgenden Ausführungen auf einem sehr schmalen Grat bewege. Auf der einen Seite sehe ich genauso wie manche anderen, daß die derzeitige Entwicklung gewisse Gefahren und vielleicht sogar Mißbräuche enthält. Ich leugne nicht, daß etwa bei der Anwendung des Umwandlungsgesetzes manches vorgekommen ist, was auch wir nicht zu billigen und zu verteidigen gedenken. Auf der anderen Seite möchte ich deutlich sagen, daß die Diagnose, die die Kollegen von der Fraktion der SPD, insbesondere Herr Dr. Deist und heute Herr Dr. Heinemann, stellen, nach meiner Auffassung weit übertrieben ist. Die von diesen Kollegen vorgeschagene Therapie ist nach meiner Auffassung deswegen falsch, weil sie im Ansatzpunkt falsch ist. Herr Kollege Dr. Deist, der leider im Augenblick nicht da ist, hat in der Debatte über die Wirtschaftskonzentration im Herbst vorigen Jahres gesagt, man solle sich überlegen, ob man nicht für Großunternehmungen eine neue Unternehmensverfassung schaffen müsse, die echte Kontrolle des Managements ermögliche, welche es heute nicht gebe. Herr Kollege Dr. Heinemann hat in seinem Beitrag vorhin das Wort von dem neuen Unternehmensrecht wiederholt angeführt, ohne daß ich mir allerdings bisher ein rechtes Bild davon habe machen können, wie nun dieses Unternehmensrecht gestaltet sein soll.
Ich habe, da mich diese Frage auch persönlich sehr interessiert, in den letzten Wochen versucht, aus den wenigen Äußerungen in der einschlägigen Literatur in etwa zu ermitteln, weiches denn diese Gesamtkonzeption des Unternehmensrechts sein soll. Leider findet sich dazu nicht sehr viel. Es gibt einen Vortrag von Herrn Rechtsanwalt Dr. Kunze vom Deutschen Gewerkschaftsbund bei den Europäischen Gesprächen in Recklinghausen im Jahre 1958, es gibt einen weiteren Vortrag von Herrn Dr. Kunze in Düsseldorf im November dieses Jahres, und es gibt schließlich einen Aufsatz von Herrn Dr. Deist in der „Neuen Gesellschaft", ich glaube im September oder Oktober vorigen Jahres.
Die Ausgangsthese aller dieser Aufsätze ist die,
daß wir in der heutigen Gesellschaft und insbesondere bei den Aktiengesellschaften eine deutliche
Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht
halben. Der Eigentümer als Aktionär, als Kapitalbesitzer, sei funktionslos und habe keinerlei Einfluß
mehr auf die Führung der Unternehmen, während
Verfügungsnacht in Wahrheit beim Management und vielleicht beim Großaktionär liege. Darum
wird, wie es uns Herr Kollege Dr. Heinemann vorhin nun wiederholt vorgetragen hat, für gemein-
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wichtige Unternehmen eine neue Unternehmensverfassung vorgeschlagen.
Wie soll denn diese nun aussehen? Das einzige, was ich bisher an Vorschlägen dazu gefunden habe, ist, daß in diesen gemeinwichtigen Unternehmen an die Stelle der Hauptversammlung eine sogenannte, nun, nennen wir as mal: Vertreterversammlung treten soll, 'die sich zu etwa gleichen Teilen aus Vertretern 'der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des sogenannten öffentlichen Interesses zusammensetzen soll. Herr Rechtsanwalt Dr. Kunze sagt in seinem Vortrag sogar, daß das Unternehmen rechtlich sogar erst ,existent sein solle, wenn 'der Vertrag zwischen diesen drei Gruppen geschlossen sei. Es soll also nicht mehr auf den Gesellschaftsvertrag im bisherigen Sinne ankommen, sondern auf einen Unternehmensvertrag zwischen den drei Gruppen Aktionäre, Arbeitnehmer und Vertreter des öffentlichen Interesses.
Wenn Herr Dr. Deist hier ware
— er kommt; Idas ist aber liebenswürdig von ihm —, dann würde er mir vielleicht sagen, .daß dieser Vorschlag schon in dem Bericht Ides Studienausschusses des Deutschen Juristentages aus dem Jahre 1955 enthalten ist; Herr Kollege Dr. Heinemann hat das vorhin ebenfalls kurz erwähnt. Ich möchte aber dazu gleich sagen, daß erstens in diesem Studien-ausschuß, der aus fünf Personen bestand, Herr Rechtsanwalt Dr. Kunze Mitglied war und es infolgedessen durchaus nahelag, daß erseine Gedanken dort zur Diskussion ,stellte, und daß zweitens der Studienausschuß des Deutschen Juristentages diese Vorschläge ganz bewußt ohne politische Stellungnahme behandelt hat. Es heißt in dem Bericht ausdrücklich, diese Versuche würden Modelle genannt, um schon in idieser Bezeichnung ihren hypothetischen Charakter hervorzuheben. Man kann ,sich also, wenn Idiese Vorschläge weiter erörtert werden, jedenfalls 'auf 'den Deutschen Juristentag nicht als politischen Kronzeugen berufen. Man mag sagen, daß die Kommission des Deutschen Juristentages ein Modell ,entworfen hat, wie so etwas, falls es geschaffen werden sollte, konsequenterweise aussehen müßte.
Nun, meine Damen und Herren, nach dem, was ich so bisher aus den wenigen Unterlagen in der Literatur habe entnehmen können, ergeben sich eine ganze Reihe von Fragen zu dieser Unternehmensverfassung, über die uns auch Herr Dr. Heinemann heute noch nichts Näheres gesagt hat. Welche Rechte soll denn diese Vertreterversammlung dann haben? Feststellung der Bilanz? Gut, darüber mag man vielleicht reden. Erhöhung des Grundkapitals, Herabsetzung, Gestaltung der Aktien? Oder etwa gar Entscheidung über die Verwendung des Reingewinns und die Verteilung der Dividenden, d. h. über den Anspruch, der eigentlich den Aktionären als Eigentümern allein zusteht?
Eine nächste Frage: Was ist denn im Sinne dieser ganzen Vorschläge ein gemeinwichtiges Unternehmen? Die Kommission des Deutschen Juristentages sagt dazu ganz eindeutig:
Der Versuch, den Begriff des gemeinwichtigen Unternehmens in einer für gesetzgeberische Maßnahmen brauchbaren Weise näher zu bestimmen, endete mit einem negativen Ergebnis.
Herr Dr. Kunze hat in seinem Vortrag in Düsseldorf noch vor kurzer Zeit drei Elemente angegeben: die Beschäftigtenzahl, die Bilanzsumme und den Umsatz. Das sind immerhin konkrete Vorschläge, aber doch nach meiner Auffassung sehr grobe Anhaltspunkte. Denn ich glaube kaum, daß man die Entscheidung über die Gemeinwichtigkeit, über die Bedeutung eines Unternehmens, etwa eines Spezialunternehmens, allein an diesen drei Zahlen messen kann.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sind vor wenigen Tagen, ich glaube, am vergangenen Samstag, alle größten Unternehmen veröffentlicht worden. Wenn man diese Liste durchgeht, zeigt sich deutlich, daß diese Maßstäbe allein nicht ausreichen. Ganz abgesehen von der anderen Frage, die, glaube ich, Herr Dr. Atzenroth vorhin schon anschnitt: wie soll sich etwa die Unternehmensform ändern, wenn ein Unternehmen von der niedrigeren in die höhere Stufe hinaufwächst?
Als nächste Frage an Herrn Kollegen Dr. Deist — ich bin überzeugt, nachdem er seine Zettel schon sortiert, daß wir ihn nachher noch hören werden —: was ist denn „öffentliches Interesse", und wer soll es vertreten? Bei den Europäischen Gesprächen in Recklinghausen hat der bekannte Professor Dr. Baiser dazu gesagt, daß das, was man gemeinhin das öffentliche Interesse nennt, sich „weder inhaltlich genau präzisieren noch bestimmten personellen Trägern zur ausschließlichen Wahrnehmung zuweisen läßt". Herr Dr. Kunze kommt dann auch dazu, zu sagen, daß man unter dem öffentlichen Interesse die große, unübersehbare, genau genommen: die unendliche Fülle aller möglichen Interessen verstehen muß, die bei unternehmerischen Entscheidungen neben dem Interesse der Aktionäre und der Belegschaft berücksichtigt werden müssen. An anderer Stelle sagt er: Das ist die Sammelbezeichnung für die Summe aller übrigen Interessen, außer denen der Aktionäre und der Belegschaft. Ja, meine Damen und Herren, wenn man natürlich so weit definiert, dann sind wir praktisch an einer Stelle, an der ich jedenfalls als Jurist nicht weiß, wie man das in eine für den Gesetzgeber und insbesondere für den anwendenden Juristen, für den Richter, nachher brauchbare Form bringen soll.
Trotz dieser nach meiner Auffassung doch sehr deutlichen Unklarheit in der bisherigen Begriffsbildung hat Herr Dr. Kunze dann in seinem Vortrag gesagt, es herrsche heute weitgehend die Einigkeit darüber, daß sogenannte Vertreter des öffentlichen Interesses in den Unternehmen unerläßlich seien. Nun, wer soll sie denn bestimmen? Der Deutsche Juristentag — um wieder darauf zurückzukommen — hat in seinem Ausschußbericht erklärt — wenn ich das wieder mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf —:
Der Gedanke, die Wahrung des Gemeinwohls
einem für Unternehmen bestimmter Größe oder
Wirtschaftsmacht zu bestellenden Staatskom-
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missar zu übertragen, fand im Ausschuß eine einmiitige Ablehnung.
Ich bin der Meinung, daß das Problem des modernen Aktienunternehmensrechts in Wahrheit eben nicht die zweifellos bis zu einem gewissen Grade vorhandene Trennung von Eigentum und Entscheidungsmacht ist. Das ist kein Spezialproblem der Aktiengesellschaft, sondern das ist das Problem jeder Organisation mit einer unübersehbaren Zahl von Mitgliedern. Es ist ganz einfach ,das Problem der Willensbildung in großen Gemeinschaften, das Problem der Integration der Einzelwillen zu einem Gesamtwillen und die Schaffung eines handlungsfähigen Gesamtwillens durch Repräsentation.
Darf ich dazu zwei Beispiele nennen! Die Genossenschaften waren früher durchaus kleine, übersehbare Selbsthilfegemeinschaften. Jeder Kenner der Materie weiß, daß es heute Genossenschaften mit Tausenden von Mitgliedern gibt, deren Gesellschaftsversammlung — die Genossenschaftsversammlung — sich eigentlich in nichts von der Charakterisierung unterscheidet, die Herr Kollege Dr. Heinemann für die Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften zitiert hat.
Um ein zweites Beispiel zu nennen: glauben Sie, meine Damen und Herren, glauben Sie, Herr Kollege Dr. Deist, daß die Willensbildung bei 150 000 Aktionären der Badischen Anilin- und Sodafabrik schwerer ist als bei 650 000 Mitgliedern einer Partei?
Nach meiner Auffassung ist das Problem der Integration der Einzelwillen der Mitglieder zum Gesamtwillen in beiden Fällen das gleiche.
Hier liegt nach meiner Meinung der entscheidende Unterschied zwischen unseren Auffassungen. Hier können Sie eben nicht durch einen Staatskommissar oder durch öffentliche Kontrolle helfen, wobei wir ja bis heute aus Ihrem Munde weder wissen, wer die Kontrolleure bestimmen soll, noch, wer sie sein sollen. Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ich bin mir durchaus über die Schwierigkeiten dieses Problems klar; aber hier kann man nur helfen, indem man die Mitgliedschaftsrechte des einzelnen Aktionärs genauso wie die Mitgliedschaftsrechte des einzelnen Genossen in der Genossenschaft oder in anderen großen Verbänden stärkt und wieder belebt. Ich sehe deshalb in der Hebung des Interesses und der Mitarbeit der Aktionäre durch verstärkte Publizität und durch andere Maßnahmen, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, den einzigen Weg, jenem bis zu einem gewissen Grade zweifellos vorhandenen Übel abzuhelfen.
Mir scheint die Tatsache, daß z. B. bei der vorletzten Hauptversammlung der Mannesmann AG im Jahre 1958 immerhin über tausend Aktionäre anwesend waren, die einen Aktienbesitz zwischen 100 DM und 5000 DM hatten, die also wegen eines Besitzes von höchstens 5000 DM durchaus daran interessiert waren, die Kosten für einen Besuch der Hauptversammlung aufzubringen, immerhin eine
durchaus angenehme und sympathische Entwicklung anzudeuten.
Selbstverständlich werden wir uns überlegen müssen, ob wir mit dem Gesetzentwurf die Willensbildung in den großen Publikums-Aktiengesellschaften noch mehr erleichtern und fördern können. Ich könnte mir z. B. denken — aber das ist im Augenblick auch nur als Frage aufgeworfen —, daß die Stellung des Aufsichtsrates zu verändern wäre. Der Aufsichtsrat hat ja ursprünglich die Aufgabe, als Vertreter der Aktionäre den Vorstand zu kontrollieren, und er erfüllt diese Aufgabe heute in vielen Fällen zweifellos in dieser Form nicht mehr. Ob man nun den Aufsichtsrat wieder zurückentwickeln oder ob man an seiner Stelle oder zusätzlich etwas Ähnliches schaffen soll, wie wir es in Amerika mit den Aktionärausschüssen oder den Aktionärvereinen und ähnlichen Dingen kennen, das bliebe der Diskussion überlassen.
Ich glaube, daß der einzige Weg der ist, die großen Aktionärgruppen aufzugliedern, genauso wie es der einzige Weg in unseren Parteien ist, die Willensbildung durch Aufgliederung nach unten zu beleben und zu aktivieren. Ich bin sogar so optimistisch, zu sagen, daß die neueste Entwicklung in den Hauptversammlungen mancher großen Gesellschaften hier durchaus hoffen laßt. Daß mir gelegentlich Leute aus der Industrie gesagt haben, ihnen sei bei der Neuordnung des Aktienrechts noch ein bißchen mehr Mitbestimmung beinahe lieber — weil die in
den Aufsichtsräten und Vorständen leichter zu verdauen sei — als so viel Opposition in den Hauptversammlungen, zeigt eigentlich, wo die wirklichen Möglichkeiten der Kontrolle liegen, und die sollte man fördern.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß der ganze Vorschlag der Umgestaltung des Unternehmensrechts in irgendeiner Weise die eigentliche Rolle der Aktie als Finanzierungsmittel durch Heranziehung kleiner und kleinster Beträge übersieht. Ich gebe zu, daß schon heute diese Funktion der Aktie durch die mangelnde Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Vermögens- und Ertragslage beeinträchtigt ist, aber ich bin der Meinung, daß durch diese Vorschläge für ein neues Unternehmensrecht allerdings — wie ich mir erlaubt habe, es jetzt aus gewissen Äußerungen in der Literatur ein wenig zu konkretisieren — der Aktionär nicht gestärkt, sondern weiter entmachtet wird.
Die Industrie- und Handelskammer Hamburg hat schon im Jahre 1937 gegenüber den damaligen Reformplänen mit Recht gesagt: „Es wird kaum ein Sparer bereit sein, seine Ersparnisse einem Unternehmen zur Verfügung zu stellen, um sich gleichzeitig auf unabsehbare Zeit entmündigen zu lassen." Das gilt nach meiner Auffassung noch viel mehr für diese Vorschläge einer neuen Unternehmensverfassung. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß auch die jetzt von Ihnen in Hannover vorgeschlagene Vermögensabgabe der Großunternehmen für eine Nationalstiftung im gleichen Sinne wirkt und gerade die Kleinaktionäre der Publikumsgesellschaften trifft. — In jener Aufstellung in der „Frank-
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furter Allgemeinen Zeitung" neulich — es waren zwei; die eine bezog sich auf das Grundkapital — sind gleich die vier ersten Gesellschaften nach meiner Kenntnis ausgesprochene Publikums-Aktiengesellschaften: die Badische Anilin, die Farbenfabriken Bayer, Mannesmann und die Farbwerke Hoechst. Noch eindrucksvoller erscheint mir ein Aktionärsbrief der Badischen Anilin- und Sodafabrik, der mir dieser Tage ins Haus flatterte. In ihm ist eine genaue Aufstellung über die Verteilung der Aktien enthalten. Aus dieser Aufstellung ergibt sich eindeutig, daß kein Aktionär mehr als 1 % der Aktien in Besitz hat, daß im Gegenteil von den über 150 000 Aktionären allein 23 % Hausfrauen, 14 % selbständige Kaufleute, 13 % Gehalts- und Lohnempfänger sind. Auch die übrigen Aktien sind im wesentlichen auf Einzelpersonen verteilt.
Bei der von Ihnen vorgeschlagenen Vermögensabgabe müssen Sie auch an die Auswirkung auf diese Publikums-Aktiengesellschaften denken, meine Damen und Herren, wo ja die Abgabe letzten Endes eben diejenigen Aktionäre, die Kleinaktionäre, treffen würde, die zu fördern Sie auf der anderen Seite die Absicht haben.
Darüber hinaus noch eins: Wir sind uns, glaube ich — so nehme ich nach unseren früheren Gesprächen an —, an sich darüber einig, daß die erste und stärkste Kontrolle der Marktmacht die Kontrolle durch den Markt ist. Das bedeutet aber, daß man in den Industrien, wo marktmächtige Unternehmen vorhanden sind, die Möglichkeit zum Entstehen neuer Unternehmen erleichtern sollte. Das Gegenteil geschieht aber durch die Vermögensabgabe, durch die ja durch den Verkauf der Zertifikate an das Volk dem Kapitalmarkt eben die flüssigen Mittel entzogen werden, die vielleicht eine Voraussetzung dafür sein können, daß in den Industrien neue Unternehmen entstehen.
— Das ist nicht ganz theoretisch; es ist eine Voraussetzung. Ohne die Möglichkeit des Kapitalmarktes ist es sicher nicht der Fall, und ich meine, daß man diese Möglichkeit mindestens nicht abschneiden sollte.
Ich bin daher der Meinung: Wenn die Diagnose, von der Herr Kollege Dr. Deist und die anderen Kollegen von der SPD bei ihren Vorschlägen für ein neues Unternehmensrecht ausgehen, richtig ist, nämlich die von der Spaltung zwischen Eigentums-und Verfügungsmacht bei den modernen Großunternehmungen, dann gilt das höchstens für ,die Publikumsgesellschaften, die wir ja eigentlich gerade fördern wollten, aber jedenfalls nicht für Konzerne und Großaktionäre; denn da liegt die Macht ja auch beim Eigentümer und Großaktionär. Da ist die Diagnose als Voraussetzung für die vorgeschlagene Therapie nicht richtig, ganz abgesehen davon, daß nach allgemeinen menschlichen Erfahrungen damit zu rechnen ist, daß die öffentlichen Kontrolleure, wie ich sie einmal bezeichnen will, sich auf die Dauer vielleicht mehr mit den Interessen etwa des herrschenden Unternehmens identifizieren werden, als etwa die Interessen der Minderheitsaktionäre
des abhängigen Unternehmens wahrnehmen, worauf es uns aber bei der Neugestaltung des Konzernrechts gerade ankommt.
Wenn ich aber nach dem, was Herr Kollege Dr. Heinemann heute morgen sagte, davon ausgehen darf, daß es auf die Größe der Unternehmen allein ankommt, dann ist ja nicht dieses Problem der Spaltung von Eigentum und Verfügungsmacht der Ausgangspunkt, sondern dann sind es andere Gesichtspunkte, die Gesichtspunkte der öffentlichen Kontrolle, und es ist durchaus konsequent, wenn Herr Dr. Heinemann heute morgen davon sprach, daß Sie eben diese Unternehmensform auf alle Unternehmen eine bestimmten Größe ausdehnen wollen. Die Konsequenz ist dann die Formulierung, wie sie Herr Dr. Kunze neulich traf und wie sie heute morgen in ähnlicher Form Herr Dr. Heinemann brachte, daß die Art der Unternehmensverfassung dann nicht mehr von der Willkür des Eigentümers abhängig sein darf, sondern sich allein nach der Natur der Sache, der Art und Größe des Unternehmens und seiner volkswirtschaftlichen Funktionen richten muß.
Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist das Problem des Eigentums eindeutig gestellt. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß nach unserem Grundgesetz auch das Eigentum einer sozialen Bindung unterliegt. Das bedeutet aber nicht, daß man das Eigentum insbesondere dort, wo es die Kleinaktionäre in den Publikumsgesellschaften sind, nun durch die Weiterentwicklung weiter entmachten und entziehen sollte. Ich möchte noch einmal sagen, daß wir diese These und diese Entwicklung ablehnen werden. Ich meine, daß hier, wenn auch gewisse Mißstände durchaus richtig erkannt sind, versucht wird, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Es mag sein — vielleicht irre ich mich da – , daß ganz im Unterbewußtsein noch die alte These zugrunde liegt, daß private Macht zwar bose, aber staatliche Macht gut ist. Jedenfalls glaube ich, daß die zweifellos bis zu einem gewissen Grade gefahrvolle Macht des Management und der Großaktionäre nicht durch Staatskommissare und Superkonzern, möge er heißen, wie er wolle, gebändigt werden kann. Ich glaube sogar sagen zu können. Mit öffentlichen Kontrolleuren und mit Behörden kann man sich notfalls arrangieren, mit dem Publikum, mit dem Aktionär, der Rechte hat, und noch viel mehr mit den Herren der Presse nicht.
Deshalb scheint mir eine Verstärkung der Rechte des Aktionärs und der Publizität, auf die ich nachher noch eingehe, durchaus der viel richtigere Weg.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, ehe ich auf das Konzernrecht des Entwurfs eingehe, einen ganz kleinen Ausflug in die Literatur. Ich möchte meine Kollegen von der SPD von vornherein für dieses Zitat um Entschuldigung bitten. Bei Kurt Tucholsky gibt es die kostliche Figur des Gemüsehändlers Anton, der zeit seines Lebens als guter Mittelständler bürgerliche Parteien gewählt hat, der aber dann im Jahre 1930 ausnahmsweise die SPD wählt und dies vor sich und seinem Gewissen mit folgenden Sätzen entschuldigt•
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Et is een so beruhjendes Jefiehl. Man tut wat für de Revoluzjon. Aber man weeß et janz jenau: Mit diese Pachtei kommt so eich. Und det is sehr wichtig fier eenen selbständigen Jemieseladen.
— Jawohl! Herr Kollege Lange, es war vielleicht nicht sehr gut zitiert. Aber ich möchte bemerken, ich habe lange genug in Berlin studiert, um wenigstens „een janz kleen wenig" den Jargon zu kennen.
Herr Kollege Deist, was ich da: aus folgern will: Sie haben in Hannover den Antrag Ihres Bezirksvorstandes Frankfurt abgelehnt, große Bereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum überzuführen. Sie selber haben sich in Ihrem Refera gegen den Vorwurf gewehrt, daß die Deutsche Nationalstiftung verschleierte Sozialisierung bedeute. Es sei — darf ich Sie weiter zitieren — grotesk, daß dieser Vorwurf gegenüber einem Vorschlag erhoben werde, in dem die deutsche Sozialdemokratie zum ersten Male -- ich zitiere: zum ersten Male — konkrete Maßnahmen
verlange, um möglichst vielen Menschen die Schaffung privaten Eigentums zu ermöglichen.
Herr Kollege Dr. Deist, ich bin gerne bereit, Ihnen soweit entgegenzukommen, daß ich sage: Ich anerkenne, daß Sie sich mit diesen Überlegungen von Ihren revolutionären Ursprüngen zu entfernen suchen und vielleicht schon recht weit entfernt haben.
Zu dem Begriff „Deutsche Volksaktie" darf ich allerdings eine berufliche Bemerkung machen. Sie wissen ja, ich bin Wettbewerbsrechtler. Es gibt da den Begriff der anlehnenden oder vergleichenden Werbung. Wenn also jemand eine Marke erfunden hat und diese Marke 'draußen gut ankommt, dann gibt es gelegentlich 'den Fall, daß ein anderer zwar nicht die gleiche, aber eine ähnlich klingende Marke nimmt und dann sagt: Das ist genauso gut oder noch besser als die erste Marke. Nun, wir wissen unter Kaufleuten: Im Wettbewerbsrecht ist das als unlautere Werbung verboten. In der Politik leider nicht!
Um auf den Gemüsehändler zurückzukehren: ich konzediere Ihnen gern, daß Sie sich von Ihren Anfängen schon bis zu einem gewissen Grade entfernt haben, Herr Kollege Dr. Deist, aber wenn Sie ernsthafte Aussichten haben wollen, einmal auf diesem Platz da zu sitzen, dann, fürchte ich, müssen Sie von dem Bart 'den letzten Rest ganz abschneiden.
— Nun, Herr Kollege Dr. Deist hat ja nachher noch Gelegenheit, 'darauf zu antworten.
Ich darf zu dem übergehen, was ich eigentlich zu sagen beauftragt bin, nämlich zu einer kurzen Stellungnahme zum Regierungsentwurf.
— Bitte, Herr Kollege Dr. Deist, 'das, was ich eingangs über die Unternehmensverfassung sagte, scheint mir für die Diskussion über das Aktienrecht durchaus von Bedeutung zu sein; denn wir müssen ja klären, von welchen Gesichtspunkten und auch in welcher Richtung wir das Aktienrecht aufbauen. Ich wäre deshalb sehr dankbar, wenn ich dazu — nicht zu dem kleinen Zwischenspiel — von Ihnen einige Erläuterungen bekäme.
Zurück zum Regierungsentwurf. Ich bejahe ihn und betrachte ihn als eine ausgezeichnete Arbeit. Insbesondere zum Konzernrecht ist zu sagen, daß hier der erste Versuch in der Welt unternommen wird, eine geschlossene Konzeption eines neuen Konzernrechts zu schaffen. Der Versuch war notwendig; denn es ist ohne Zweifel nicht in der Ordnung, wenn 80 % unserer bisherigen Aktiengesellschaften irgendwie in einem Konzernzusammenhang stehen. Das Kernproblem des Konzernrechts ist aber nicht die Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht, sondern gerade die übersteigerte Verfügungsmacht der Großaktionäre zu Lasten der Kleinaktionäre. Die Aktie ist im Konzern nicht nur Finanzierungsmittel, sondern, wie Herr Kollege Barzel heute morgen schon sagte, Mittel der Beherrschung, und hier liegt nach meiner Auffassung das Problem des Konzernrechts. Man kann eben mit Hilfe von Organvertrag und Schachtelbesitz bei einer Beteiligung von 51 % — in der Regel sogar noch mit weniger — an der Muttergesellschaft ein Vielfaches von Kapital in den 'darunter stehenden Tochtergesellschaften beherrschen und vielleicht auch zu seinen Gunsten ausnutzen. Das beschwört zweifellos die Gefahr des Mißbrauchs herauf, und gegen diese Gefahr hilft in meinen Augen nicht die öffentliche Aufsicht. Die öffentlichen Kontrolleure der Muttergesellschaft werden sich sehr schnell mit den Interessen der Muttergesellschaft zu Lasten der Töchter identifizieren.
Ich habe mir sagen lassen, daß selbst bei der Mitbestimmung manche Entwicklung schon in. diese Richtung gelaufen ist — nicht wahr, Herr Kollege Lenz? Hier hilft also nur der Schutz der Minderheit in den abhängigen Gesellschaften und eine weitgehende Offenlegung.
Demgegenüber ist gesagt worden — ich darf nun gewissen Bedenken begegnen, die vielleicht auch von seiten der Wirtschaft gegen den Entwurf vorgetragen worden sind —, daß ein zu starker Schutz der Minderheiten zu unerwünschter Fusion zwingen werde. Ichglaube das nicht; denn nach dem Entwurf setzt die Fusion oder Eingliederung immerhin eine Mehrheit von mindestens 75 oder gar von 95 % voraus, die häufig nicht vorhanden ist. Bei dem damit verbundenen Aktientausch wird unter Umständen die Mehrheit des Großaktionärs in der herrschenden Gesellschaft gefährdet. Deshalb kann eben der Minderheitenschutz nicht un-
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bedingt zu einer Fusion zwingen. Aus diesem Grunde halte ich einen sehr gut ausgebauten Minderheitenschutz im Konzernrecht, über das normale Aktienrecht hinaus, für unbedingt notwendig, um ,die Funktion der Aktie als Finanzierungsmittel durch viele kleine Beträge zu erhalten. Man kann nun einmal nicht jemanden auffordern, sein Geld in ein Unternehmen einzuzahlen, und ihn dann später seines Mitspracherechts völlig berauben. Darum scheint mir der richtige Weg zu sein, die Rechte aus der Aktie zu respektieren und nicht schrankenlos dem Vorbehalt der Mehrheitsentscheidung zu unterstellen. Das Problem, das wir im Konzernrecht zu lösen haben werden, ist die Kollision zwischen den Interessen der Mehrheit, das heißt des Konzerns, und der Minderheit in den abhängigen Gesellschaften.
Ich möchte mich, da wir in der ersten Lesung sind, nun nicht mit ,den Einzelheiten des Entwurfs befassen, sondern nur noch auf wenige Grundsatzfragen eingehen, die bisher schon in der Öffentlichkeit, in der Literatur, umstritten gewesen sind.
Schon nach dem geltenden Recht ist es zweifelhaft, ob die Konzerninteressen schutzwürdige Interessen im Sinne des § 101 Abs. 3 des Aktiengesetzes sind, die den Vorrang vor den Interessen der abhängigen Gesellschaft haben. Die Regierungsbegründung des geltenden Gesetzes sagte zwar: „Auf Grund dieser Vorschrift können auch Konzerninteressen berücksichtigt werden." Aber ein so angesehener Kommentar wie der von Godin-Wilhelmi lehnt es ab, daß es „irgendwelche übergeordneten Konzernbelange gebe, welche nur deshalb, weil sie qantitativ größer sind, schutzwürdig genug wären, daß um ihretwillen eine Schädigung der Gliedgesellschaft gestattet werden könnte,"
und ein so hervorragender Aktienrechtler wie Rechtsanwalt Walter Schmidt hat jetzt in den Beiträgen zur Aktienrechtsreform gesagt, daß „von schutzwürdigen Belangen dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn ihre Wahrung andere, schädigen kann."
Damm begrüße ich von ganzem Herzen die Regelung der Unternehmensverträge in den §§ 280 bis 296 des Entwurfs, die auch schon deshalb notwendig war, weil die Rechtswirksamkeit der Organverträge im bisherigen Recht höchst zweifelhaft ist. Ich möchte auf die dafür angeführten Gründe nicht mehr im einzelnen eingehen, um die Diskussion nicht allzu lange hinauszuziehen, sondern möchte nur darauf verweisen, daß der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 8. Februar dieses Jahres Ausführungen gemacht hat, aus denen man entnehmen kann, daß er bei einer Entscheidung über einen solchen Organvertrag vermutlich dazu kommen würde, ihn als unzulässig und damit nichtig zu bezeichnen.
Wenn man schon die Frage, ob man überhaupt einen Minderheitsaktionär, gleich mit welcher Mehrheit, dazu zwingen kann, gegen seinen Wil-
len auf seine Mitgliedschaftsrechte zu verzichten, noch bejahen will, so halte ich es auf jeden Fall für richtig, daß der Entwurf für den Abschluß von Unternehmensverträgen eine satzungsändernde Mehrheit vorsieht, da es stets ein Eingriff in die Verfassung ist.
Besondere Bedenken sind in der Literatur gegen die Übergangsregelung des § 19 ides Einführungsgesetzes geäußert worden, wonach der Vorstand des abhängigen Unternehmens unter gewissen Voraussetzungen eine Kündigungspflicht hat. Ich sehe in dieser Vorschrift nicht, wie man es gesagt hat, eine Rückwirkung des Gesetzes, und ich weiß auch nicht, ob man darin einen Eingriff idas Eigentum der Konzerngesellschaft sehen kann. Mindestens müßte man dann gegeneinander abwägen das Recht des Eigentums der Konzerngesellschaft einerseits und das Recht des Eigentums der Minderheitsaktionäre in der abhängigen Gesellschaft andererseits. Im übrigen ist ja der Sinn dieser Übergangsvorschrift in erster Linie der, die Rechtswirksamkeit dieser Verträge wenigstens für die Zukunft sicherzustellen.
Ein besonders umstrittenes Problem beim Konzernrecht ist die vorhin auch vom Kollegen Barzel schon erwähnte Abfindung der ausscheidenden Aktionäre bzw. die Abfindung der Aktionäre der abhängigen Gesellschaft in Aktien. Der Entwurf sieht den Zwang zur Abfindung in Aktien vor. Ich gebe gern zu, daß idas praktisch oft Schwierigkeiten reit sich bringen wird. Auf der anderen Seite sehe ich im Augenblick noch nicht recht, wie man mit einer Barabfindung allein immer und in jedem Falle eine gerechte Abfindung herbeiführen kann. Ich darf dazu auf ein Beispiel verweisen, das in den letzten Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" berichtet wurde, daß nämlich bei der Umwandlung der Knorr AG der Vorstand einen Kurs von 500 ,angeboten hatte, während die eingeforderten Gutachten Kurse von 560, 640, 720 und 800 für richtig hielten. Hier wären die Minderheitsaktionäre zweifellos geschädigt worden, wenn sie zum Kurse von 500 abgefunden worden wären. Der Vorgang ist deshalb besonders interessant, weil im Zeitpunkt der Verhandlungen der Vorstand nach dem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte, der damalige Kurs von 660 sei überhöht, während er selber ein Paket für 800 aufkaufte. Ich glaube, daß mit diesem Beispiel, das sicherlich ein wenig extrem liegen mag, immerhin die Möglichkeiten des Mißbrauchs und die Gefahren gekennzeichnet sind. Es geht hier ja nicht um die Annahme, daß es stets so sei, .sondern es geht darum, möglichen Gefahren vorzubeugen.
Sosehr ich also auf der einen Seite einsehe, daß der Zwang zur Abfindung in Aktien praktische Schwierigkeiten mit sich bringt, so .sehe ich im Augenblick noch keinen Weg, darauf zu verzichten. Es kann sein, daß uns im Laufe der Beratung des Gesetzes dazu noch ein guter Weg einfällt.
Ebenso zu begrüßen ist die scharfe Regelung des faktischen Konzerns mit dem Abhängigkeitsbericht. Ich möchte hier nicht im einzelnen darauf eingehen.
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Ein besonderes Problem ist dabei die Frage des Vorteilsausgleichs und ,die Frage, wieweit Vorteile und Nachteile zusammenhängen müssen, Auch dazu werden wir im Laufe der Behandlung des Gesetzes eine Lösung suchen müssen, ,die der Forderung nach einer gerechten Sicherung der Minderheitsaktionäre einerseits und nach einem praktikablen Gesetz andererseits Rechnung trägt.
Einige Worte, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch zum Thema „Publizität" zu sagen. Die Publizität ist die logische Folge aus der öffentlichen Finanzierung bei Gründung und Kapitalerhöhung. Besonderen Sturm, kann man in diesem Falle wohl sagen, haben in der Öffentlichkeit oder in den beteiligten Kreisen die Vorschriften des § 19 und des § 148 des Entwurfs erregt, daß die über 25 oder 50 Prozent liegenden Beteiligungen an Aktiengesellschaften gemeldet und im Geschäftsbericht veröffentlicht werden müssen. Wir werden darüber im Laufe der Beratung sprechen müssen. Ich glaube, daß wir den Entwurf, so wie er ist, auf jeden Fall sehr sorgfältig werden prüfen und im Zweifel auch diesen Gedanken werden vertreten müssen.
Ich gebe zu, daß darüber hinaus die Frage zu stellen ist, die die SPD mit dem § 15 b ihres Entwurfs angeschnitten hat, ob man diese Mitteilungspflicht nicht auch auf die Beteiligung von Nichtunternehmen, also von Vereinen, Verbänden und Privatpersonen, ausdehnen soll. Ich persönlich fände es z. B. außerordentlich interessant zu wissen, an welchen Unternehmen, an welchen großen Aktiengesellschaften Verbände wie die Gewerkschaften mit größeren Aktienpaketen beteiligt sind. Es könnte sicher auch in bezug auf andere Gruppen interessant sein. Ich glaube — ohne daß ich dazu schon einen endgültigen Standpunkt vertreten möchte —, daß wir auch diesen Gedanken, der ja im übrigen nicht von den Kollegen von der SPD erfunden worden ist, sondern in der Literatur seit langem auch von hervorragenden Juristen und Bankfachleuten diskutiert wird, bei der Bearbeitung des Gesetzes werden berücksichtigen müssen. Problematisch wird dann die Frage werden, ob man diese mitgeteilten Beteiligungen nachher auch im Geschäftsbericht veröffentlichen soll.
Da wir gerade beim Thema „Publizität" sind, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine kleine Nebenbemerkung, die vielleicht den Kollegen Dr. Arndt interessieren wird. Wir haben uns bei dem Rundfunkstreit sehr viel darüber unterhalten, daß öffentlich-rechtliche Anstalten eine gewisse Gewähr für Publizität und „gemeinwichtige Politik" bieten. In diesem Zusammenhang finde ich es gerade auch im Hinblick auf das Aktienrecht sehr interessant, daß ausgerechnet die beiden Anstalten des Norddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks in den letzten Jahren keine Bilanzen veröffentlicht haben. Mir scheint, daß also auch die Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Unternehmens keine unbedingte Garantie für gemeinwichtiges Benehmen bietet.
Ich vermisse persönlich — ohne damit in irgendeiner Form die Meinung meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen — in dem Entwurf eine Bestimmung über die personelle Verflechtung. Ich glaube insofern, daß man den Vorschlag der SPD in ihrem Entwurf, daß über die personelle Verflechtung der Unternehmen etwas gesagt werden sollte, durchaus sachlich erörtern könnte.
Eine letzte Bemerkung noch zu dem Vorschlag in dem Entwurf der SPD, daß auch wettbewerbsbeschränkende Verträge in dem Konzernbericht aufgeführt werden sollen. Ich möchte dazu sagen, daß ich persönlich, soweit es sich um Verträge handelt, die dem Bundeskartellamt vorgelegt und von ihm im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sind, dagegen keine Bedenken habe. Weiter zu gehen, scheint mir allerdings sehr bedenklich. Denn ich sehe keinen Grund, alle Lizenzverträge, Ausschließlichkeitsvereinbarungen und ähnliche Verträge im Rahmen eines Geschäfts- oder Konzernberichts offenzulegen.
Ich habe damit schon kurz das Wort Konzernbericht erwähnt. Ich möchte darauf nicht näher eingehen. Ich halte gerade diese Vorschläge des Entwurfs, nach denen wir in Zukunft einen zusammenfassenden Bericht über den Konzern und eine zusammenfassende Bilanz erhalten sollen, für sehr gesund und für sehr zweckmäßig.
Abschließend darf ich folgendes sagen. Zu den Bedenken, die in der Wirtschaft erhoben worden sind, habe ich zum Teil eine durchaus kritische Meinung geäußert. Ich habe das nicht getan — ich möchte das ganz deutlich sagen — aus einem Mißtrauen gegen die Wirtschaft, sondern deshalb, weil ich meine, daß wir gerade durch Ausweiten der Rechte des Aktionärs und durch ausreichenden Schutz der Minderheiten die Gefahr, ich möchte sogar sagen: den Verdacht des Mißbrauchs der Rechtsform bei den Aktiengesellschaften verhüten wollen.
Wir wollen damit also nicht etwa die Unternehmen in der Freiheit ihres Handelns beschränken, sondern wir wollen diese Freiheit der Unternehmen, die Freiheit der Wirtschaft erhalten, indem wir mißbräuchliche Benutzung verhindern.
Ich glaube, daß mit dem Regierungsentwurf hier der richtigere Weg gegangen wird als etwa mit den vorhin zitierten Vorschlägen für ein neues Unternehmensrecht, die doch praktisch eine weitere Entmachtung des Aktionärs durch Vertreter des öffentlichen Interesses bedeuten.
Die Aktie wird für das Publikum nur interessant bleiben, wenn wir ihre Stellung stärken. Daß wir mit dieser Tendenz und gerade auch mit dem, was wir auf dem Gebiete der Volksaktie machen, durchaus auf dem richtigen Wege sind, haben uns ganz andere Kreise bestätigt. Klaus Mehnert berichtet in seinem Buch „Der Sowjetmensch" auf Seite 440, daß die russische Akademie der Nationalökonomie sich vor einigen Jahren etwa 14 Tage lang auf einem wissenschaftlichen Kongreß sehr eingehend mit dem amerikanischen Volkskapitalismus und mit den deutschen Ideen hinsichtlich der Volksaktie usw. beschäftigt hat.
7666 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Deringer
Zweifellos nicht, um es nachzumachen, sondern doch nur, weil man genau weiß, daß für die östlichen Ideen hinsichtlich des volkseigenen Betriebes die Chancen vorbei sind, wenn jede Hausfrau die Aktie im Küchenschrank hat!