Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Deringer zum Unternehmensverfassungsrecht. Der Regierungsentwurf zeichnet sich dadurch aus, daß er das Unternehmensverfassungsrecht einfach ausspart und so tut, als sei die Frage der Unternehmensverfassung keine entscheidende Frage der Aktienrechtsreform. Ja, der Herr Bundesjustizminister ist sogar so weit gegangen, alle jene Versuche, die Struktur der modernen Wirtschaft und ihrer Großunternehmungen zu untersuchen und aus der Strukturveränderung Konsequenzen für das Aktienrecht zu ziehen, zu bagatellisieren, indem er davon sprach, daß da viel über das „Unternehmen an sich" geredet werde.
Dabei sollte man sich doch darüber klar sein, daß sich die gesamte Rechts- und Staatswissenschaft aller modernen Industriestaaten mit diesem Problem der modernen Unternehmen befaßt und einmütig zu der Auffassung kommt, daß die heutige aktienrechtliche Verfassung keine angemessene Unternehmensverfassung ist, sondern darüber hinwegsieht, daß das Unternehmen moderner Art ein ganz besonderes soziologisches Phänomen ist, dem auch das Recht Rechnung tragen muß. Sie, meine Herren von der CDU, und die Bundesregierung sind eigentlich die einzigen, die so tun, als brauchten Sie das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aber ich habe nicht die Absicht, mich mit all den Einzelheiten, die in eine Auschußberatung und nicht in die erste Lesung gehören, hier zu befassen. Wir werden uns mit Ihnen in den Ausschüssen darüber unterhalten, wie Sie zu dem Problem der modernen Unternehmensverfassung stehen, und dann werden wir eine recht gründliche Untersuchung verlangen und uns nicht mit einigen nach unserer Auffassung oberflächlichen Bemerkungen, wie sie heute gemacht worden sind, begnügen.
Meine Damen und Herren, ich möchte gegen einen Vergleich Verwahrung einlegen. Bei der Stellung, die der Mittel- und Kleinaktionär — Herr Kollege Deringer, ich hoffe, es geht uns beiden um diesen und nicht darum, die Stellung des Großaktionärs zu festigen — in der Publikumsgesellschaft heute hat, scheint es mir höchst unangemessen, einen Vergleich zwischen der Ohnmachtstellung dieses Aktionärs und der Stellung des Staatsbürgers im demokratischen Staat zu ziehen, wie das der Herr Kollege Barzel getan hat.
Über alle diese Dinge werden wir uns im Ausschuß unterhalten müssen.
Ich sehe mich aber veranlaßt, zu einigen anderen Dingen, die Herr Kollege Barzel als besondere Bonbons empfunden hat, etwas zu sagen. Ich werde mich nicht darauf einlassen — auch er hat das nicht getan —, diese Debatte zu einer breiten Debatte über Eigentumsfragen zu machen; eine solche Debatte können wir an anderer Stelle führen. Aber einige Punkte, die er hier dargelegt hat, bedürfen einer Stellungnahme.
Zunächst, meine Damen und Herren, geht unser Vorschlag davon aus, daß die riesigen Gewinne der Großwirtschaft steuerlich erfaßt werden sollten. Dabei handelt es sich um die überhöhten Gewinne, die marktbeherrschenden Unternehmungen auf ,dem Wege über überhöhte Preise auf Grund ihrer Machtstellung zufließen und im Vermögenszuwachs ihren Niederschlag finden. Es erscheint mir sehr fragwürdig, ob es gut ist, die steuerliche Erfassung dieser Gewinne in Beziehung zu der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes zu setzen, und so zu tun, als ob die steuerliche Erfassung solcher Übergewinne eine Form von Enteignung wäre. Herr Kollege Barzel, Sie wissen, daß der Vermögenszuwachs auf Grund stehengebliebener Gewinne, auf Grund der Gewinnlage und der Eigenfinanzierung der Unternehmungen in den letzten zehn bis zwölf Jahren nahezu 150 Milliarden DM betragen hat. Ungeachtet aller Versuche, dieser Entwicklung entgegenzutreten, zeigen z. B. die neuesten Veröffentlichungen über das Jahr 1959, daß in diesem Jahr besonders hohe Gewinne, eine besonders hohe Selbstfinanzierungsrate und damit ein besonders hoher Vermögenszuwachs in der Großwirtschaft zu verzeichnen sind. Und, Herr Kollege Barzel, Sie wissen, daß sich diese Gewinnlage und diese Anreicherung der Vermögen auf eine verhältnismäßig geringe Zahl ganz großer, marktbeherrschender Unternehmungen beschränkt. Wir haben die Körperschaftsteuer-Statistik des Jahres 1957 vor uns liegen. Von 16 400 Aktiengesellschaften und GmbHs waren es nur 1200 — das sind etwa 7 % der Gesellschaften —, die jeweils Gewinne über 100 Millionen DM hatten, aber insgesamt 83 % des gesamten Gewinns aller 16 000 Gesellschaften auf sich vereinigten.
Das ist das Problem, Herr Kollege Barzel!
Wir haben weiterhin einer neueren Veröffentlichung im Septemberheft von „Statistik und Wirtschaft" entnehmen können, wie sich die Einkommenssteigerung bei den großen Aktiengesellschaften entwickelt hat. Bei den Aktiengesellschaften mit Einkommen zwischen 500 000 DM und 1 Million DM stieg das Einkommen seit 1954 um etwa 120 %; bei den Aktiengesellschaften mit Einkommen über 20 Millionen DM stieg es um 315 %. Diese gewaltige Ansammlung von Gewinnen, von Vermögen muß doch steuerlich irgendwie berücksichtigt werden!
Es war der Bundeskanzler, der diese unerhörten
Gewinne kritisiert und gemeint hat, so könne es
nicht weitergehen. Es war die Bundesbank und es
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7667
Dr. Deist
war der Bundeswirtschaftsminister, die dargelegt haben, daß die Großunternehmungen die Marktchancen in unerhörter Weise ausnutzten, anstatt die ihnen zukommenden Kostenvorteile in Preissenkungen weiterzugeben. Und es war Herr Abs, der vor der Industrie- und Handelskammer in Essen erklärte, diese Gewinne seien so groß, daß sie nicht nur erhebliche Preissenkungen, sondern darüber hinaus auch erhebliche Lohnerhöhungen erlaubten.
Die Frage ist, ob wir diesen ungeheuren Vermögenszuwachs, der sich immer stärker auf einige wenige Großunternehmungen konzentriert, hinnehmen können oder ob es nicht richtig ist, ihn mit normalen steuerlichen Mitteln zu erfassen. Der auch von Ihnen zitierte und auch von mir hochverehrte Professor von Nell-Breuning hat ebenso wie Professor Jostock diese Entwicklung unumwunden als einen Skandal bezeichnet.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie, ob Sie das einfach hinnehmen und Versuche, an diese ungeheuren Gewinne auf normalem Weg heranzugehen, als Enteignung diffamieren wollen?
Sie haben gemeint, unser Vorschlag, die Abgeltung einer solchen Steuer in Form von Wertpapieren zu begünstigen, liefe auf eine Zwangsabgabe hinaus. Nun, wenn man breite Vermögensstreuung haben möchte, ist es doch wohl wichtig, daß dieser Vermögenszuwachs, diese sich in der Großwirtschaft anhäufenden Gewinne nicht nur der sehr dünnen Schicht der bisherigen — Sie pflegen es so
zu nennen — „Eigentümer" der Aktiengesellschaften zufließen, sondern breiteren Schichten. Und welche anderen Methoden soll man anwenden, um zu erreichen, daß breite Bevölkerungsschichten an dem Vermögen der Großwirtschaft beteiligt werden, als ihnen die Möglichkeit zu geben, über Anteilspapiere an dem Kapital dieser Gesellschaften teilzuhaben?!
— Darauf komme ich noch, Herr Deringer. Ich kann nicht alles auf einmal behandeln. Gestatten Sie, daß ich meinen Gedankengang zu Ende führe.
Wir haben in unseren Vorschlägen mit Absicht einen Zwang zur Abgeltung in Wertpapieren nicht vorgesehen, weil das unseren grundsätzlichen Auffassungen widerspräche. Wir möchten vielmehr, daß durch das Aktienrecht und andere gesetzliche Regelungen ein gewisser Anreiz geschaffen wird, der es auch dem Unternehmen zweckmäßig erscheinen läßt, eine Abgeltung in Wertpapieren vorzunehmen.
Daß es möglich ist, solche angehäuften Gewinne, einen solchen Vermögenszuwachs auf ganz normale Weise zu mobilisieren, das hat die Wirtschaft z. B. bei der Durchführung des Gesetzes über die Gratisaktien gezeigt. Da ist in ganz großem Umfang der Vermögenszuwachs der vergangenen Jahre mobilisiert worden, um ihn jenen zufließen zu lassen, die schon bisher an diesen Großunternehmungen beteiligt waren.
Soll das auf einmal eine verbotene Methode sein, wenn es 'darum geht, eine breite Eigentumsstreuung herbeizuführen?! Wir meinen, ,das ist eine angemessene Form, über die man zumindest sachlich diskutieren sollte.
Der Kollege Burgbacher hat gefragt, wann je es in der Geschichte der zivilisierten Gesellschaft üblich gewesen sei, das, was durch Steuern abgeschöpft werde, zu verkaufen. Herr Kollege Burgbacher, ich würde fragen: Wann in der Geschichte der zivilisierten Gesellschaft haben wir je vor der großen Aufgabe gestanden, einer solch ungeheuren Vermögenskonzentration in der Großwirtschaft zu begegnen und eine breite Vermögensstreuung herbeizuführen?!
Man muß in neuen Situationen — unsere Zeit bringt
dauernd neue Probleme — neue Wege beschreiten.
Herr Kollege Burgbacher, früher war man allerdings der Auffassung, daß das, was an Steuern eingenommen wird, im allgemeinen nur für staatskonsumtive, für öffentliche konsumtive Zwecke zu verwenden ist. Darüber sind wir längst hinaus. Aus dem Ertrag von Steuern werden z. B. auch Unternehmungen wie Bundesbahn, Bundespost und dergl. mehr geschaffen und gestärkt. So werden öffentMittel verwendet, um täglich in den Wirtschaftsablauf einzugreifen. Da wird dauernd gekauft und verkauft.
Meine Damen und Herren, warum ist es so abwegig, dieses Mittel zu benutzen, wenn es um eine I nach Ihrer wie nach unserer Auffassung so wichtige Aufgabe einer breiten Vermögensstreuung geht? Warum soll es verboten sein, dieses normale Mittel der Staatsführung anzuwenden, um diesen großen nationalen politischen Zweck zu erreichen?
Wenn Sie meinen, das dürfe nicht geschehen, dann darf ich Sie daran erinnern, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister im August 1957 in Wolfsburg — das war allerdings vor den Wahlen des September 1957 — ausgeführt hat, die Volksaktie dürfe nicht nur der Privatisierung von Bundesvermögen dienen, sondern müsse eine allgemeine neue Form der Beteiligung werden.
Der Herr Bundeskanzler hat noch in seiner Regierungserklärung im Oktober 1957 diese Version aufgenommen und davon gesprochen, Volksaktien sollten nicht nur für Betriebe des Bundes, sondern auch für die übrige Wirtschaft gegeben werden.
Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Meine Damen und Herren, wo sind Ihre Vorschläge für die Anwendung dieses Grundgedankens auf die private Wirtschaft?
Ich meine, Sie sollten es sich nicht so billig machen,
dann, wenn sich andere die Mühe geben, diesen
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Dr. Deist
Grundgedanken in fruchtbarer Weise auf das Großvermögen der Wirtschaft anzuwenden, dies von vornherein zu diffamieren.
— Herr Kollege Barzel, was Sie gesagt haben, ging jedenfalls hart an die Grenze des Diffamierens, um mich vorsichtig auszudrücken.
— Herr Kollege Barzel, da ich mich gerade mit Ihnen unterhalte, lassen Sie mich folgendes sagen: Sie haben einige jedenfalls nicht sehr freundliche Worte darüber gebraucht, daß wir, die Sozialdemokratie, den Begriff „Deutsche Volksaktie" für das Wertpapier verwenden, das wir der breiten Eigentumsstreuung nutzbar machen wollen.
Das Problem — ich will es jetzt nicht weiter behandeln — ist tatsächlich die Stellung des Aktionärs in der heutigen Industriegesellschaft. insbesondere in den Publikumsgesellschaften. Mein Freund Heinemann hat dazu das Erforderliche gesagt. Es hilft Ihnen wenig, Herr Kollege Deringer, wenn Sie sagen: Diese Theorie akzeptieren wir nicht. Die Tatsachen werden keine Rücksicht darauf nehmen, welche Theorien Sie zu akzeptieren beabsichtigen. Die Tatsachen sind nun einmal so, daß der mittlere und der kleine Aktionär in ihren Unternehmungen praktisch aber auch gar nichts zu bestimmen haben.
Nicht die bösen Sozialdemokraten sind es gewesen, die ihn enteignet haben, sondern es ist die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft gewesen, die zu dieser Ohnmachtstellung jener kleinen und mittleren Aktionäre geführt hat.
Wir verändern sie nicht im mindesten dadurch, daß wir die Stellung des Aktionärs romantisieren und in der Preußag, mit Militär- und Marschmusik beginnen und so tun, als sei das die Ausdrucksform demokratischer Willensbildung in der modernen Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, selbst sind Sie aber nicht so bange gewesen. Als Sie seinerzeit Ihre Volksaktie, die Privatisierungsaktie schufen, sprachen Sie davon, daß Sie ein Wertpapier eigener Art schaffen wollten. Da hieß es, hier solle ein ganz neuer, revolutionärer Typ einer Aktie geschaffen werden. Da sprachen Sie von vinkulierter Namensaktie, von Erwerbsbeschränkungen — viele Dinge, um diesen neuen Typ herauszubilden —, um darzustellen: Das hat mit der normalen Aktie nichts zu tun. Damals haben Sie, die Sie diese Auffassung noch unter Führung des verstorbenen Herrn Ministerpräsidenten Arnold vertraten, ebenfalls Angriffe
aus der Öffentlichkeit und vor allen Dingen aus der Industrie bekommen, daß Sie hier mit dem Namen Volksaktie etwas belegten, was in Wirklichkeit keine Aktie sei. Aber das hat Sie damals nicht gestört. Erst Ihr Kollege Lindrath hat als Bundesschatzminister die Träume vom Tisch gefegt, daß Sie hier wirklich ein neues soziales Instrument schüfen. Er hat dafür gesorgt, daß das, was heute existiert, nichts Besonderes mehr gegenüber der normalen Kleinaktie ist. — So Ihre Entwicklung, die Entwicklung Ihrer Privatisierungsaktie.
Nun einiges zu der „Deutschen Volksaktie". Hier ist gefragt worden: Ist das nicht in Wirklichkeit ein Investmentzertifikat? Nun, meine Damen und Herren, ganz sachlich und nüchtern darauf die Antwort: Nach ihrer juristischen Konstruktion kommt die „Deutsche. Volksaktie" dem Typ des Investmentzertifikats jedenfalls näher als anderen Typen von Wertpapieren, insbesondere von Aktien, was ich Ihnen gern konzedieren werde. Aber es kommt nicht auf die juristische Konstruktion an, sondern auf das, was tatsächlich geschieht, auf die soziologische Situation in der heutigen Wrtschaft.
Bei der Untersuchung dieses Sachverhalts muß man zu dem Ergebnis kommen: Die „Deutsche Volksaktie" hat mit der normalen Aktie zunächst einmal zwei Dinge gemeinsam, nämlich daß sie eine Beteiligung an der veränderlichen Gewinnlage der Wirtschaft wie bei Investmentzertifikaten und eine Beteiligung am Wertzuwachs der Wirtschaft gewährleistet. Sachlich stimmt sie darüber hinaus mit der Aktie auch darin überein, daß die Inhaber genauso wie die Inhaber von Kleinaktien faktisch im Unternehmen nichts zu sagen haben. Alles andere ist juristische Konstruktion, alles andere ist irreführend.
Darum haben wir keinen Anstand genommen, für diese neue Form von Wertpapieren den Begriff „Deutsche Volksaktie" zu verwenden, für ein Wertpapier, auf das dieser Begriff jedenfalls wesentlich besser paßt als auf Ihre Privatisierungsaktie.
Dazu hat mein Freund Heinemann das Erforderliche gesagt.
Noch eines. Investmentzertifikat ist ein technischer Begriff. Sie werden kein einziges sogenanntes Investmentzertifikat finden, das den Ausdruck Investmentzertifikat trägt. Jeder weiß, daß das kein Begriff ist, den man auf ein Papier drucken kann. Darum steht da „Deka-Anteil" und dergleichen mehr. Niemand schreibt, um „ehrlich" zu sein, wie Sie meinen, „Investmentzertifikat" drauf. Jeder weiß, daß solch ein technischer Begriff nur irreführend wirken kann. Darum verwenden wir einen besseren und, wie wir meinen, brauchbareren Begriff.
Ich möchte mir nicht den Vorwurf machen lassen, daß wir für eine Sache einen Begriff verwenden, der auf die Sache nicht paßt. Was kann denn „Volksaktie" — und da entsinne ich mich gern dessen, was der verstorbene Ministerpräsident Arnold dar-
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über gesagt hat — eigentlich bedeuten? „Volksaktie" kann doch in Wirklichkeit nur bedeuten, daß möglichst allen Menschen, praktisch allen Gliedern des Volkes, die Möglichkeit zu dieser Wertpapieranlage gegeben wird. Bei Ihren Privatisierungsaktien ist der Spaß binnen kurzer Frist, wie man sich ausrechnen kann, zu Ende. Eine Beteiligung breitester Schichten der Bevölkerung ist da nicht drin. Und zweitens kann „Volksaktie" nur bedeuten: daß nämlich diejenigen, die eine Volksaktie erwerben, sich praktisch am Vermögen der Volkswirtschaft beteiligen können, und das ist nicht nur die verhältnismäßig geringe Zahl von Bundesunternehmen, sondern das ist die große Wirtschaft des deutschen Volkes, insbesondere auch die Großwirtschaft mit ihrem erheblichen Vermögen. Das ist der Sinn einer Volksaktie. Sie darf nicht nur einer begrenzten Schicht, sondern muß wirklich breiten Schichten des Volkes zugute kommen, die damit an dem ständigen Zuwachs der Werte in der Wirtschaft und an der ständigen Gewinnentwicklung beteiligt werden. Darum sind wir wirklich der Auffassung, daß es berechtigt ist, ein Wertpapier, auf das diese Bezeichnung ernsthaft eigentlich erst zutrifft, als „Deutsche Volksaktie" zu bezeichnen.
Nun, meine Damen und Herren, Herr Kollege Barzel hat mich zitiert. Ich brauche über die Bedeutung solcher Protokolle, die wir als Mitglieder einer demokratischen Partei sehr hoch einschätzen, nichts mehr zu sagen nach dem, was mein Freund Heinemann gesagt hat. Ein „unkorrigiertes Protokoll"! Manchmal sind Zungenschläge darin, die entweder nicht gewollt, vielleicht auch nicht getan Sind; ich will darüber nicht rechten. Das Protokoll steht so, wie es steht. Aber, Herr Kollege Barzel, wenn Sie ein solches unkorrigiertes Wortprotokoll zitieren, bei dem Sie spüren müssen, daß darin ein Schnitzer enthalten ist, dann sollten Sie es wenigstens vollständig zitieren! Herr Kollege Barzel, und jetzt werde ich das vollständige Zitat einmal bringen. Da heißt es:
Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt
- jetzt kommt das, was Sie nicht gebracht haben
— und an sich ist das gut so, fortschrittliche Parteien gewöhnen sich schwer daran —,
— das haben Sie weggelassen —
die Methoden der Meinungsforschung und Meinungsmanipulation und damit auch Meinungsverfälschung in einem richtigen Ausmaß anzuwenden.
„Anzuwenden", das ist mein Schnitzer, das war nicht so gemeint. Aber, Herr Kollege Barzel, dann kommt ein Halbsatz, den Sie wieder nicht zitiert haben, und der heißt:
während das konservative Parteien ohne jede Rücksicht machen können.
Sehen Sie, Herr Kollege Barzel, das sollte man doch wenigstens mitzitieren. Was wird daraus klar, Herr Kollege Barzel? Daß wir diese Form der Meinungsbeeinflussung oder Meinungsverfälschung für eine ungeheure Gefahr für die Demokratie halten!
— Nach dieser Rede von Herrn Dr. Barzel werden
Sie mir doch wohl gestatten, daß ich darauf in entsprechender Form antworte!
Meine Damen und Herren, warum wenden wir uns gegen diese Methode, von der ich gesagt habe — was Herr Barzel nicht zitiert hat —, daß sie konservativen Parteien so leicht fällt? Wir wehren uns dagegen, weil wir wissen, daß die Demokratie auf der Überzeugung beruht, das Wesen des Menschen bestehe darin, daß er denken kann. Die Meinungsmanipulation schaltet das Denken des Menschen aus. Sie appelliert an das Unterbewußte, an Reflexe, an Gefühle und verhindert, daß der Mensch denkt. Bitte, das sollte zum Ausdruck gebracht werden und wurde zum Ausdruck gebracht und wurde von denen, die es gehört haben, auch genauso verstanden. Was wir wollen, ist, daß man der Methode der Meinungsmanipulation in adäquater Weise begegnet, damit sie nicht unser ganzes politisches, unser demokratisches Leben vergiftet.
Herr Kollege Barzel, dann haben Sie gemeint — und haben mich wieder unvollständig zitiert —, ich hätte deutlich gesagt, daß diese Auseinandersetzung nur im Hinblick auf den kommenden Wahlkampf und praktisch nur aus Taktik geführt worden sei. Jedenfalls war das die Tendenz Ihrer Ausführungen. Herr Kollege Barzel, Sie sollten die Protokolle genau studieren! Wir machen es Ihnen ja so furchtbar leicht, weil wir alles, was wir sagen, in der breitesten Öffentlichkeit sagen und uns gar nicht scheuen, das sofort zu veröffentlichen. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie vielleicht doch merken sollen, wie sehr es mein Anliegen war, darauf hinzuweisen, wie sich die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft verändert hat, wie sich die Struktur der modernen Unternehmungen, die Eigentumsverhältnisse in der modernen Wirtschaft, die Verfügungsverhältnisse in der modernen Wirtschaft, ja auch die Struktur der Arbeitnehmerschaft grundlegend verändert haben. Ich habe auf die großen Auseinandersetzungen hingewiesen, denen wir entgegengehen. Das sind weiß Gott nicht bloß die der nächsten zehn Monate, sondern wir stehen vor ganz anderen, riesigen Auseinandersetzungen in dem Kampf zwischen West und Ost. In der großen Auseinandersetzung ist es auch und insbesondere eine Aufgabe der Demokratie, dafür zu sorgen, daß möglichst viele Menschen privates Vermögen und privates Eigentum haben.
Das war ein sachliches Bekenntnis, meine Damen und Herren, und das war nicht reine Taktik. Sie tun ,den Männern innerhalb der Sozialdemokratie, ,die seit Jahren um diese Probleme ringen, bitter Unrecht, wenn Sie ihnen unterstellen, es handle sich hier um eine rein taktische Maßnahme.
Darum waren wir auch erfreut, daß in der Presse, insbesondere einem großen Teil der ernst zu nehmenden Zeitungen, dieser unser Vorschlag als ein ernsthafter Beitrag zu diesem Problem ,angesehen wurde.
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Dr. Deist
)Meine Damen und Herren, wir sind es gewohnt: Wir können machen, was wir wollen. Auch wenn wir einen Vorschlag zu möglichst breiter privater Eigentumsbildung machen, schallt uns der Ausruf „kalte Sozialisierung!", „Enteignung!" entgegen. Ich möchte Ihnen, nachdem Herr Barzel mich zum Teil zitiert hat, nicht idas vorenthalten, was ich auch in Hannover gesagt habe. Da habe ich nämlich darauf hingewiesen, daß wir uns bei dem In-Empfang-Nehmen solcher Vorwürfe in Gesellschaft befinden. Es war nämlich ,die „Soziale Ordnung — Christlich-demokratische Blätter der Arbeit" die letzthin einen Artikel veröffentlichte mit der Überschrift „Eine Ohrfeige für die Bundesregierung". In diesem Artikel hieß es:
Wer 'einen Vorschlag zur Eigentumsbildung macht, muß sich regelmäßig von publizistischen Vertretern der Unternehmerinteressen den Vorwurf gefallen lassen, daß er den Eigentumsbegriff torpediere. . .
Nun, meine Damen und Herren, in der Situation derer, die Vorschläge machen, befindet sich im Augenblick einmal die Sozialdemokratie, und unter diejenigen, die die Unternehmerinteressen vertreten, scheint sich Herr Barzel eingereiht zu haben.
Auch wenn ich wiederhole, möchte ich doch, weil es wichtig ist, .das sagen, was Herr Deringer bereits zitiert hat. Es ist wirklich grotesk, der Sozialdemokrätie den Vorwurf der Sozialisierung und Enteignung in einem Augenblick zu machen, in dem sie zum ersten Mal ganz konkrete Vorschläge, viel
3) konkretere und weitergehende Vorschläge, als die CDU sie sich jemals hat träumen lassen, zu diesem Problem !der Eigentumsbildung macht.
Es ist wirklich recht bedenklich, daß Sie idas in einem Augenblick tun, in dem die Sozialdemokratie durch ihre Haltung, durch konkrete Vorschläge bestätigt, daß der Vorwurf der Eigentumsfeindlichkeit sie nicht trifft.