Rede von
Dr.
Gustav W.
Heinemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben die Vorlage der Bundesregierung, die auf eine vollständige Neuordnung und Neufassung des Aktienrechts abzielt, legen wir zwei Vorschläge auf der Grundlage des alten Rechtes, mit dem Ziel, daran beschleunigt einige Änderungen vorzunehmen. Wir tun das nicht, weil wir gegen eine Neuordnung des gesamten Aktienrechts, gegen eine Totalreform wären, sondern weil wir gewisse Stücke für so dringlich halten, daß wir deren Erledigung nicht mit dem ungewissen Schicksal der totalen Aktienrechtsreform verknüpfen möchten.
Seit Jahren stehen die Rufe auf der Tagesordnung, daß man endlich die Publizität verbessern und der Konzentrationsbewegung in der Wirtschaft begegnen möge. Groß war die Erregung über den Mißbrauch von Mehrheitspositionen bei der Umwandlung von Gesellschaften. Über diese und andere Dinge ist geredet worden, geschrieben worden, man hat proklamiert usw. Wir wollen durch unsere Vorlagen die Gelegenheit schaffen, daß in der restlichen Zeit, in der der 3. Bundestag noch arbeitsfähig ist, endlich etwas für die dringlichsten 1 gesetzlichen Maßnahmen getan werden kann.
Wie sind denn die Dinge gelaufen? Herr Bundesjustizminister Schäffer hat soeben daran erinnert, daß es zum Inhalt der Regierungserklärung vom Oktober 1957 gehört habe, in diesem 3. Bundestag ein neues Aktienrecht zu schaffen. Ich erlaube mir, wörtlich zu zitieren, was der Herr Bundeskanzler damals gesagt hat:
Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Klasse von Abhängigen besteht.
Es hat dann über ein Jahr gedauert, bis ein Referentenentwurf entstand. Er hat der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegen, bis im Oktober 1959 der Bundestag durch die Sprecher aller seiner Fraktionen gemahnt hat, nun endlich eine parlamentsfähige Regierungsvorlage zu schaffen. Sie ist dann endlich im Sommer 1960 unmittelbar vor der Sommerpause gekommen. Die erste Lesung sollte am 17. November sein; sie ist auf heute vertagt worden. Alle diese Verzögerungen beklagen wir.
Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, zu klären, was noch geschehen kann. Die Bundesregierung tritt für eine vollständige Neuordnung des Aktienrechts ein. Dem stimmen wir grundsätzlich zu. Auch wir wollen eine völlige Neuordnung und Neuformulierung und haben dazu auch unsere eigenen Vorschläge zu machen. Aber wir teilen die Bedenken und die Zweifel des Herrn Bundesjustizministers, ob das in diesem 3. Bundestag noch zu schaffen sein wird. Wegen dieser Zweifel und wegen der Dringlichkeit der Neuordnung gewisser Teile des Aktienrechts legen wir neben die Regierungsvorlage unsere beiden Vorschläge.
Der Vorschlag in Drucksache 2278 soll nun endlich die Publizitätsverbesserung bringen, von der so lange und so viel geredet worden ist. Verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, schlagen Sie bitte noch einmal die Düsseldorfer Leitsätze der Arbeitsgemeinschaft CDU/CSU vom Juli 1949 auf. Da steht unter der großen Überschrift „Zur Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft" auch, daß endlich „gesetzliche Maßnahmen zur Verschärfung der Publizität bei den Kapitalgesellschaften getroffen werden" müßten. So alt ist also dieses Thema! Sie konnten beispielsweise Ende November im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Appell an uns alle in diesem 3. Bundestag lesen, es möge nun endlich zu einer Besserung der Publizitätsvorschriften kommen, gerade angesichts der kürzlichen Vorgänge bei zwei großen Gesellschaften in der Bundesrepublik.
Darauf will jetzt unsere Vorlage hinzielen. Um die Arbeit zu erleichtern, haben wir inhaltlich weitgehend den Wortlaut der Regierungsvorlage übernommen. Auch wir wollen dazu beitragen, daß die Konzernbilanz baldigst ins Spiel kommt. Auch wir wollen, daß die erweiterte Berichtspflicht des Vorstandes an den Aufsichtsrat geschaffen wird. Auch wir wollen, daß Geschäftsberichte die Ausweitung
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7643
A Dr. Dr. Heinemann
erfahren, die die Regierungsvorlage vorsieht. Nur in einigen Stücken wollen wir sogar noch darüber hinausgehen. Wir schlagen vor, daß auch die personellen Verflechtungen unter den verschiedenen Unternehmen im Geschäftsbericht deutlich gemacht werden sollen. Wir schlagen vor, daß auch die Beteiligung an Kartellabreden im Geschäftsbericht genannt werden soll. Bezüglich der Bilanzgliederung und der Bewertungsvorschriften machen wir uns den Text der Regierungsvorlage zunutze.
Wir gehen sogar so weit mit, Herr Bundesjustizminister, daß wir das, was Sie bezüglich der Bewertungen, der stillen Reserven, der Willkürrücklagen und Rückstellungen vorschlagen, in unserer Vorlage zunächst jedenfalls einmal akzeptieren, obwohl uns allen bekannt ist, welch ein riesiger Mißbrauch mit der Bewertungsfreiheit nach unten getrieben worden ist. Es hat sicherlich nicht von ungefähr ein Sachverständiger wie der Steuerrechtler Professor Bühler einmal gesagt, daß zwei Drittel aller Gewinne der Aktiengesellschaften überhaupt nicht öffentlich ausgewiesen werden. Angesichts der Mißbräuche fordern auch wir, daß nun endlich in bezug auf Bewertungen eine Grenze nach unten gezogen wird. Aus der völligen Bewertungsfreiheit nach unten jetzt radikal in ein totales Verbot freier Bewertungen nach unten überzuschwenken, ist nicht in unserem Sinne. Wir sind bereit, Herr Bundesjustizminister, auf der mittleren Linie Ihres Vorschlages mitzugehen, wenngleich wir hierzu sagen, daß wir skeptisch sind, ob die Wirtschaft diese von Ihnen als mittlere Linie einer Begrenzung nach unten gebrachten Formulierungen überhaupt ernstlich zur Kenntnis nehmen und respektieren wird. Aber wir wollen der Wirtschaft die Chance geben, daß sie diese Willkürrückstellungen und Bewertungen nach unten abbremst, also sich tatsächlich auf den Boden Ihrer Vorschläge begibt.
In unserer Vorlage Drucksache 2278 wünschen wir, daß diese Publizitätsvorschriften sofort auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ausgedehnt werden, und zwar insoweit, als in dieser Rechtsform größere Unternehmen betrieben werden. Die Abgrenzungen wollen Sie bitte aus unserer Vorlage entnehmen. Wir wollen damit erreichen, daß die Fluchtbewegung aus der Rechtsform der Aktiengesellschaft in die Rechtsform der GmbH aufhört, indem wir beide Rechtsformen unter die gleichen Publizitätsvorschriften gebracht wissen wollen.
Zu der Vorlage Drucksache 2279 nur ein kurzes Wort. Ich sprach davon, daß das Umwandlungsgesetz zu argen Mißbräuchen benutzt worden ist. Wir schlagen vor, es aufzuheben. Wir schlagen vor, in das geltende Aktienrecht einige Änderungen der Art hineinzubringen, daß die Sperrminorität gegenüber gewissen Umwandlungsbeschlüssen oder Konzentrationsbeschlüssen von 25 % auf 10 % herabgesetzt wird oder, anders ausgedrückt, daß derartige Beschlüsse nicht mehr schon mit einer Dreiviertelmehrheit gefaßt werden können, sondern erst mit einer Neunzehntelmehrheit; eben aus den Erfahrungen, die bei der Umwandelei gemacht worden sind, und mit dem Ziel, die Konzentrierungen abzubremsen.
Verehrte Damen und Herren, politisch, wirtschaftspolitisch gehört noch ein Stück hier hinzu. Wir haben eine Gesetzesvorlage eingebracht, die heute nicht zur Diskussion stehen wird — ich will sie nur nennen —, die darauf abzielt, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ebenfalls in einem wichtigen Stück zu novellieren. Wir fordern, den § 23 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dahin abzuwandeln, daß der Zusammenschluß zu marktbeherrschenden Unternehmen nicht mehr lediglich nachträglich einem Kartellamt zur Kenntnis zu bringen ist, sondern im voraus seiner Genehmigung unterstellt wird. Wir weisen nur auf den Jahresbericht des Kartellamts für das Jahr 1958 hin, in dem es ausgesprochen hat, daß seine Mittel gegenüber diesen Entwicklungen einfach nicht ausreichend seien. Das gehört also mit in das Kapitel dringlicher Änderungen von bestehenden Gesetzen, um noch aus diesem 3. Bundestag wenigstens etwas von der Erfüllung all ,der großen Worte und all der Versprechungen zu hinterlassen, die da eh und je und immer gemacht worden sind.
Ein letztes Wort noch zur Federführung. Alle Welt hat mit einigem Interesse den Streit in der CDU/ CSU-Fraktion darüber verfolgt, ob der Rechtsausschuß oder der Wirtschaftsausschuß federführend sein soll für das neue Aktienrecht und eventuell für die Novellen zu ,dem alten Recht, die wir vorschlagen. Ja, meine Damen und Herren, was sind die letzten Geheimnisse des Streites innerhalb Ihrer Fraktion? Will man ernstlich ein neues Aktienrecht jetzt in diesem Bundestag schaffen, oder geht es nur darum, noch schnell im letzten Augenblick so einen gewissen Nachweis, einen papierenen, dafür auf den Tisch zu legen, daß man sich an jene Regierungserklärung vom Oktober 1957 erinnert?
Das ist Ihre Sache. Unsere grundsätzliche Meinung, ist die, daß die völlige Neuordnung des Aktienrechts in den Rechtsausschuß gehört, weil es sich um ein Gesetz von fundamentalem wirtschaftsverfassungsrechtlichem Charakter handelt. Würde es dahin überwiesen, so würde wahrscheinlich eben dieser Rechtsausschuß nicht mehr in der Lage sein, die Beratung noch zu bewältigen. Vielleicht werden Sie also vorschlagen, den Gesetzentwurf an den Wirtschaftsausschuß zu bringen. Wir werden das mitmachen, damit nur ja nicht der Vorwurf, Verzögerungen hineingebracht zu haben, uns angelastet wird. Sie haben nun den Beweis zu erbringen, daß Sie wirklich noch etwas tun wollen. Deshalb mögen Sie sagen, welche Ausschüsse federführend und mitberatend sein sollen.
Selbstverständlich ist wohl, daß wir auf eine gründliche Beratung Wert legen, und der werden wir uns
stellen, vor und in welchem Ausschuß auch immer.