Rede von
Dr.
Rainer
Barzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Bevor ich zu dem Entwurf der Regierung spreche, wenige Worte zu den Gesetzentwürfen, die Herr Kollege Dr. Heinemann soeben für die sozialdemokratische Fraktion begründet hat.
Herr Kollege Heinemann, Sie haben die Verzögerung in dieser Materie beklagt. Ich meine, der beste Beweis dafür, wie schwierig die Fragen sind, um die es geht, ergibt sich doch auch daraus, daß Sie bei Ihrem Gesetzentwurf weitgehend von der Regierungsvorlage abgeschrieben haben. Sie hätten es uns wenigstens dadurch erleichtern sollen, daß Sie im Druck durch Hervorhebung die wenigen Änderungen — die allerdings entscheidend und aus gewerkschaftlichen Voten übernommen worden sind — uns etwas deutlicher gemacht hätten.
Ein zweites, Herr Kollege Dr. Heinemann, das zeigt, wie schwierig diese Dinge sind; ich trage es vor, damit wir sachlich darüber diskutieren können. Vielleicht sehen Sie einmal in das Programm der schwedischen Sozialistischen Partei, die sich ja auch in diesem Jahr ein neues Programm gegeben hat. In Schweden sind die Sozialisten seit 28 Jahren an der Regierung, und in diesem Parteiprogramm wird über die Konzentration wirtschaftlicher Macht Klage geführt. Offensichtlich sind also diese Probleme auf alle Staaten in gleicher Weise verteilt, und offensichtlich wird auch der Sozialismus damit nicht so leicht fertig.
Ein drittes vorweg, Herr Kollege Dr. Heinemann! Ich bin ein wenig darüber überrascht, daß Sie nur diese Entwürfe angekündigt haben. Denn auf Ihrem Parteitag in Hannover hatten Sie doch ein Papier vorliegen, in dem es wörtlich hieß — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich daraus verlesen —:
Die Gesetzgebung, insbesondere das Aktienrecht, soll eine Abgeltung dieser Vermögensabgaben durch Anteilsrechte, Aktien usw. in den betroffenen Unternehmungen fördern.
Wir hätten eigentlich erwartet, daß diese Anträge
uns jetzt schon auf den Tisch gelegt worden wären.
— Nur hier auf den Tisch gelegt worden wären, Herr Kollege Erler!
Zu Ihrem ersten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Publizität, Herr Kollege Dr. Heinemann, möchte ich nur soviel sagen: Sie hätten fairerweise darauf hinweisen sollen, daß wir diese Fragen in der Kleinen Aktienrechtsreform doch schon sehr entscheidend vorangebracht und auch geklärt haben.
Ich möchte Ihnen zu Ihren generellen Bemerkungen folgendes sagen: Wir werden nicht bereit sein, am Aktienrecht in irgendwelchen Einzelfragen noch einmal herumzuflicken. Entweder, Herr Kollege Dr. Heinemann, wir machen die ganze Aktienreform — daran sind wir sehr interessiert, und dann können
wir Ihre Vorschläge bei den einzelnen Positionen oder Paragraphen mit erörtern —, oder wir lassen es in dieser Wahlperiode bei der Kleinen Aktienrechtsreform. Nochmals herumflicken, das wollen wir weder diesem Hause noch der Wirtschaft zumuten.
Zur Sache dieses Gesetzentwurfs haben wir uns schon in der Kleinen Aktienrechtsreform auseinandergesetzt. Wir treffen ja hier wieder manche „alte Bekannte". Wir haben damals gesagt, daß einige der Vorschläge zur Publizität, die über das hinausgehen, was wir auch für richtig gehalten haben, sich doch nur als Instrumente „öffentlicher Kontrolle", so wie sie der Sozialismus versteht, verstehenlassen. Hierzu können wir unsere grundsatzliche Zustimmung nicht in Aussicht stellen. Unsere Parole ist nicht „Mehr Kontrolle!", sondern unsere Parole ist „Mehr Eigentum!".
Nun zu dem Gesetzentwurf über den Schutz von Minderheiten in Kapitalgesellschaften. Auch das ist uns soeben erst bekanntgeworden. Ich kann also im Moment nur ganz wenig dazu sagen. Das erste ist dies: Das Umwandlungssteuergesetz, Herr Kollege Dr. Heinemann, das ja den wesentlichen Anlaß zu der öffentlichen Diskussion und zu manchen Mißbräuchen vielleicht gegeben hat, ist, wie wir alle wissen, seit dem 31. Dezember 1959 nicht mehr wirksam. Der Vorschlag, nun auch das materielle Umwandlungsrecht außer Kraft zu setzen, wie es der Art. 1 Ihres Gesetzentwurfs vorsieht, ist ein neuer Vorschlag, der grundsätzlicher und, wie ich glaube, auch sehr kritischer Überlegungen bedarf.
Denn wir unterscheiden uns ja auch im Grundsatz. Wir glauben nach wie vor, der Wirtschaft, auch der Großwirtschaft, verschiedene Unternehmensformen zur Wahl durch Gesetz anbieten zu sollen. Dazu muß es natürlich auch die Möglichkeit des Wechsels dieser Rechtsformen und der Veränderung dieser Firmen geben. Deshalb kann ich nur eine sehr kritische Prüfung durch uns in diesem Augenblick — wir haben das soeben erst bekommen — in Aussicht stellen.
Nun zu dem Art. 2 hinsichtlich des Minderheitenschutzes. Meine Damen und Herren, wir glauben, daß man das nicht nur an dieser Stelle sehen kann. Nehmen wir den ganzen Entwurf, wie ihn Herr Minister Schäffer hier vorgelegt hat. Dort finden sich viele Vorschriften über den Minderheitenschutz. Diesen Schutz wollen wir generell im Aktienrecht verbessern. Es scheint mir aber doch eine Frage zu sein, die auch Sie ernsthaft prüfen sollten, ob wir diese Dreiviertelmehrheit als ein besonders schweres Erfordernis der Qualifikation bei den Mehrheitsentscheidungen, die ja auch sonst in der Rechtsordnung eine große Rolle spielen, durch Gesetz ändern sollten, wo die Satzungen jetzt schon die Möglichkeit geben, hier den Spielraum einzuengen. Wir dürfen ja bei alien beachtenswerten Interessen des Minderheitenschutzes nicht etwa zur Funktionsunfähigkeit des Ganzen oder zum Veto oder gar zum Diktat eines Zehntels über die große Mehrheit kommen!
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7645
Dr. Barzel
Nun, meine Damen und Herren, darf ich mich dem Entwurf der Bundesregierung zuwenden. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt diese Debatte über einen Gesetzentwurf, dem wesentliche Bedeutung für unsere freiheitliche Wirtschaftsverfassung zukommt. Wir sagen grundsätzlich ja zu dem Entwurf der Regierung. Dieser Entwurf ist für uns nicht nur eine brauchbare Diskussionsgrundlage. Er ist sehr viel mehr. Er ist eine vorzügliche Arbeit, deren Details nur aus dem Guß der einen großen und in sich wohlabgewogenen Konzeption verständlich werden. Zu dieser gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeption des Entwurfs sagen wir nicht nur gern und grundsätzlich ja, sondern wir danken der Regierung und vor allem dem federführenden Minister ausdrücklich für diesen Entwurf.
Hier sind, wie wir glauben, Sachkenntnis und Kleinarbeit sowie die Vorzüge öffentlicher Diskussion, die natürlich ein wenig verzögernd wirkt, eine treffliche Verbindung mit dem Blick auf die großen Gesichtspunkte eingegangen.
Am 2. Dezember des vergangenen Jahres, Herr Kollege Dr. Heinemann, hatten wir von allen Seiten dieses Hauses die Bundesregierung ersucht, uns baldmöglichst das große Reformwerk vorzulegen. Nun ist es da, und wir haben heute die erste Lesung. Wenn wir von der Schwierigkeit der Probleme ausgehen, sollte man nicht so sehr von Verzögerung. sprechen.
Dieses Gesetzeswerk ist für uns von der CDU/CSU keine Ansammlung formalistischer Ordnungsnormen, sondern wir sehen diese Reform bewußt im Zusammenhang mit unserer Gesellschaftspolitik, die im Menschen, in der Familie und im Eigentum ihre Säulen hat. Das Aktienrecht ist für uns mehr als ein formelles Ordnungsgesetz. Es wird für uns zum Ausdruck gesellschaftspolitischer Prinzipien.
Auch wir meinen, daß die Reform des Aktienrechts nottut, allerdings nicht nur in den Punkten, die die Sozialdemokratie in die Debatte gebracht hat, sondern auch in anderen. Wir haben in der Kleinen Aktienrechtsreform schon einige wesentliche Schritte getan. Wir glauben aber nicht, daß das genügt.
Im geltenden Recht und auch nach der Kleinen Aktienrechtsreform ist, um nur zwei Mängel zu nennen, der Aktionär ein wenig zu schlecht informiert, und vor allem hat er doch auch viel zu wenig zu sagen. Man traut oftmals, wenn ich das so sagen darf, dem Aktionär zwar den Sachverstand zu, sein Geld herzugeben, nicht aber den Sachverstand für die Gewährung und Ausübung wesentlicher Mitgliedschaftsrechte.
Außerdem — und das meinen wir am Beginn dieser Reform betonen zu müssen — müssen wir sehen, daß die Aktiengesellschaft alter Art ihren Charakter doch verändert hat, verändert z. B. durch Mitbestimmung, durch Verflechtung und, wie ich meine, auch dadurch, daß der Dauerbesitz an Aktien ein Ausmaß angenommen hat, das die Aktie mehr zum Mittel der Beherrschung als der Kapitalbeschaffung
macht. Die Aktiengesellschaft mit einem breitgestreuten Aktienbesitz, die Aktiengesellschaft mit starker Fluktuation der Aktionäre ist heute die Ausnahme. Mehr als zwei Drittel des Nominalkapitals der Aktiengesellschaften sind heute wohl, wenn ich nicht irre, in Dauerbesitz.
Das alles zwingt uns zu einer großen Reform. Dabei wird sich aber, wie wir glauben, die Gesetzgebung nur sinnvoll auswirken können, wenn Wirtschafts- und Steuerpolitik dazu kommen, den Kapitalmarkt voll in Funktion zu bringen und dabei die Aktie auch wieder zum Mittel der Kapitalbeschaffung in breiter Streuung zu machen.
Auch folgenden generellen Hinweis möchte ich nicht versäumen: Wir sind in der EWG, und wir sollten nicht so tun, als ob wir es uns erlauben könnten, eine Gesetzgebung von dieser Bedeutung in die Wege zu leiten, ohne zu vergleichen, was in den Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet gilt und, wenn ich so sagen darf, in Arbeit ist.
Wir freuen uns, daß der Entwurf der Bundesregierung von der Aktie als einem privaten Eigentumstitel ausgeht. Die vielen juristischen Spitzfindigkeiten, die gerade auf diesem Gebiet — und sicher oftmals gut dotiert — ins Kraut schießen, lenken oft von diesem grundsätzlichen Ausgangspunkt im Eigentum ab. Da wird dann vom „Unternehmen an sich" gesprochen, von den Interessen der Gesellschaft, die man auch gegen die Eigentümer und die Gesellschafter wahren müsse, vom bloß vorhandenen Mitgliedsrecht, aber nicht auch vom Eigentumsrecht der Aktionäre usf. Wir glauben, daß es gut ist, daß der Entwurf der Regierung gegenüber allen diesen Theorien wieder die Aktie als privaten Eigentumstitel in den Vordergrund gerückt hat.
Wir meinen aber, daß man bei dieser Reform behutsam und sorgsam vorgehen muß; denn schon ganz wenige Zahlen machen deutlich, daß wir nicht etwa ein Gesetz im luftleeren Raum machen können. Wir müssen daran denken, wie die wirtschaftliche Auswirkung dieser Sache ist. Ende 1959 gab es nach einer Mitteilung des Statistischen Jahrbuches in der Bundesrepublik 2379 Aktiengesellschaften mit einem Grundkapital von rund 27 Milliarden DM. Hiervon befanden sich 23 Milliarden Grundkapital in nur 353 Aktiengesellschaften. Nach Mitteilung des Statistischen Jahrbuches von 1958 ergab eine frühere Zählung — ich glaube, daß das sehr interessant ist —, daß im Steinkohlenbergbau von rund 450 000 etwa 330 000 Beschäftigte in Aktiengesellschaften tätig waren, beim Braunkohlenbergbau von 43 000 rund 35 000, bei der eisenschaffenden Industrie von 335 000 rund 225 000. Sie ersehen allein aus diesen Zahlen die Bedeutung der Aktiengesellschaft. Ein Großteil des Gesamtumsatzes unserer Wirtschaft entfällt auf Unternehmen, die Aktiengesellschaften sind. Ich habe hier nur eine Zahl von 1954. Da waren es beinahe 18%. Auch ein Großteil der ganzen Produktion — im Jahre 1955 rund 64 % des Bergbaus — geht in Aktiengesellschaften vor sich.
Warum sage ich das, meine Damen, meine Herren? Die Aktiengesellschaft ist also weniger anzutreffen im Handel oder in der Landwirtschaft; sie ist
7646 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
vorwiegend eine Rechtsform unserer Grundstoffindustrie, also eines Wirtschaftszweiges, dem von der Wirtschaftstätigkeit und von der Beschäftigungslage her unser aller sorgsames Augenmerk zugewendet sein sollte. Ich meine, wenn man diese Größenordnungen sieht, dann wird man hier behutsam und — falls Sie das Wort noch hören können — ohne Experimente an die Arbeit zu gehen haben.
Natürlich müssen wir hier gleich anmerken, daß die Aktiengesellschaft, so wie wir sie gegenwärtig haben, ein Kleid ist, wie ein Wissenschaftler sagt, „hinter dem sich ganz verschiedene wirtschaftliche Tatbestände verbergen". Diese reichen etwa von öffentlichen Unternehmen bis zur privaten Einmanngesellschaft. Trotzdem haben, wie wir glauben, die Rechtsvorschriften, die die Masse dieses Kleides normieren, ihre große Bedeutung. Es wird sicher einer der Zwecke dieser Reform sein, dieses Kleid passender, konkreter, inhaltlich bestimmter und auch mißbrauchsicherer zu machen.
Meine Damen, meine Herren, wir legen aber auch Wert auf folgende Feststellung. Bei allen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, von denen her wir die einzelnen Paragraphen gestalten werden, müssen wir auch dies bedenken: Die Aktiengesellschaft ist eine der möglichen Rechtsformen von Unternehmen, die zum Zwecke des Erwerbs gegründet werden. Würde man das vergessen und diese Gesetzgebung etwa zum Tummelplatz von erwerbsfeindlichen Theorien und Ideologien machen, so würde niemand mehr diese Rechtsreform wählen. Das wäre, glaube ich, sehr schlecht und bedauerlich; denn diese Rechtsreform ist auch heute noch gut geeignet, den großen industriellen Aufgaben dieser Zeit ebenso gerecht zu werden wie Ansätzen zu der notwendigen breiteren Streuung des Eigentums. Diese „Kapitalpumpe", wie Schmalenbach sie einmal genannt hat, ist auch heute noch, wenn wir den Kapitalmarkt wieder in Ordnung bekommen, ein gutes Mittel der Wirtschaftspolitik und sicher auch eine geeignete Form der Unternehmensverfassung.
In diesem Punkt möchte ich betonen — ich tue das auch ein wenig im Hinblick auf den Antrag, den Herr Kollege Dr. Heinemann zur Ausdehnung der Publizitätsvorschriften auf die GmbH hier gestellt hat —, daß wir nach wie vor nicht dafür sind, für alle Großunternehmen ein einheitliches Unternehmensrecht mit nur einer Rechtsform einzuführen. Wir wollen daran festhalten, der Wirtschaft durch Gesetz mehrere unterschiedlich gestaltete Rechts-und Organisationsformen für die Unternehmen anzubieten. Hierbei müssen wir daran denken, daß die Grundsätze der Vertrags- und der Gestaltungsfreiheit es uns gar nicht erlauben, alles und jedes durch Perfektionismus bis zum letzten zu regeln.
In einer gewerkschaftlichen Stellungnahme, die uns in den dicken Akten, die hierzu inzwischen entstanden sind, vorliegt, wird gefordert, daß die Wahl der Art der Unternehmensverfassung nicht dem Eigentümer überlassen werden dürfe. Das findet grundsätzlich nicht unsere Zustimmung. Wir glauben, daß Eigentum nicht nur verpflichten sollte, sondern daß es auch berechtigen muß. Eigentum
darf nicht zu einer formalen Farce, zu einem leeren Mantel ohne Einfluß, ohne Verfügungsgewalt werden. Wenn es je dahin käme, müßten wir ja wohl einen Gesetzentwurf einbringen, um dann wenigstens ein Minimum an Mitbestimmung für die Eigentümer zu sichern.
Die Verteilung des Eigentums in unserer Gesellschaft läßt noch sehr viel zu wünschen übrig. Man sollte ,aber anerkennen, was auf diesem Gebiet geschehen ist, was geplant ist, um eine bessere Verteilung zu erreichen. Keinesfalls werden wir die Hand dazu reichen, wegen schlechter Verteilung des Eigentums dieses nun bis zur praktischen Aushöhlung, zunächst im industriellen Bereich, abzuschaffen. Wer Eigentum immer breiter streuen will, wie wir das tun und wie es auch im Programm der SPD heißt, der muß es ungeschmälert als eines der fundamentalen Ordnungselemente der Gesellschaft erhalten und pflegen. So wie wir die Familie entgegen allen Entartungen erhalten und fördern, so wollen wir es auch beim Eigentum halten.
Auch bei diesem Gesetzesvorhaben werden wir sorgfältig prüfen, ob und wie hier Ansatzpunkte gefunden werden können, um einmal die Ordnungsfunktion des Eigentums zu stärken und zum anderen seine breite Streuung unid bessere Verteilung fortschreitend zu bewirken.
Herr Professor von Nell-Breuning — inzwischen auch von ,der Sozialdemokratischen Partei ides öfteren gern zitiert — hat von den zwei Wegen gesprochen: Entweder mache man alle zu Proletariern oder alle zu Kapitalisten, und dann sei keiner mehr Kapitalist. Ich darf Ihnen sagen, daß unsere Politik dem zweiten Ziele folgt.
Herr Minister Schäffer hat in seiner Rede bereits die Grundkonzeption dieses Entwurfs umrissen. Ich kann mich daher jetzt auf einige wenige Fragen beschränken. Ich möchte nochmals betonen, ,daß wir zur Grundkonzeption ,des Entwurfs gerne ja sagen, die entsprechend unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung von dem wirtschaftlichen Eigentum der Aktionäre an dem ,auf ihren Kapitalbeiträgen beruhenden Unternehmen ,ausgeht, wie es in der Begründung heißt.
Das ist der Ausgangspunkt. Daraus folgt der Grundsatz, daß dem Aktionär weitgehend Entscheidungsrechte zukommen. Diese Entscheidungsrechte können nur zugunsten der Funktionsfähigkeit des Ganzen eingeschränkt werden. Das muß allerdings dann auch geschehen. Die Aktionäre, also die Eigentümer, begegnen sich in der Hauptversammlung. Daher muß dieses Organ, wenn man eine Gesetzgebung vom Eigentum her gestalten will, .den Einfluß erhalten, der der Eigentümerstellung der Aktionäre entspricht.
Damit die Aktionäre diese Rechte möglichst sachverständig .ausüben können, müssen sie, ebenso wie auch die künftigen Kaufinteressenten der Aktien, gut informiert sein. Darum bejahen wir grundsätzlich — wie schon bei der kleinen Aktienrechtsreform — die verstärkte Publizität, grundsätzlich ,die Mitteilungspflicht — § 19 —, die Vorschrift über den Geschäftsbericht — § 148 —, das Depotstimmrecht
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7647
Dr. Barzel
— § 129 — und das verbesserte Auskunftsrecht des Aktionärs — § 125 —. Auch die Vorschriften über die offenen und stillen Rücklagen — Sie, Herr Minister Schäffer, haben sie {dankenswerterweise besonders betont — finden aus der Gesamtkonzeption des Entwurfs grundsätzlich unsere Zustimmung. Wir werden allerdings alles noch einmal prüfen müssen, insbesondere einige Details.
Wir freuen uns, daß in dem Entwurf auch Vorschriften über den verstärkten Schutz der Minderheiten zu finden sind. Herr Kollege Dr. Heinemann, wenn Sie den Schutz der Minderheiten generell wollen, dann setzen Sie sich mit uns an einen Tisch und bemühen Sie sich mit uns, die ganze Aktienrechtsreform zu verabschieden und nicht nur den von Ihnen vorgelegten Teilausschnitt!
Wir begrüßen insbesondere, daß der Entwurf die Fragen des Konzernrechts neu regelt. Ich will dazu nicht sprechen; das wird mein verehrter Kollege Deringer tun.
Die Verstärkung der Rechte der Hauptversammlung, z. B. beim Jahresabschluß, bei der Rücklagenpolitik oder auch bei der Gewinnverwendung, ist für uns ein wesentliches Element der Reform; denndiese Vorschriften setzen den Eigentümer mehr in die ihm zukommende Funktion. Wir dürfen nie vergessen, daß der Vorstand „Verwalter fremden, den Aktionären gehörenden Eigentums" ist, wie es in der Begründung des Regierungsentwurfs zutreffend heißt. Wir verstehen, daß die Vertreter der Nichteigentümer das ungern sehen und lieber eine noch stärkere Position der Verwaltung hätten. Dem können wir aber nicht folgen, wenn der Ausgangspunkt der Reform — das private Eigentum — gewahrt und betont bleiben soll.
Wir wissen aber — das möchte ich mit genauso großem Nachdruck betonen —, daß in und gegenüber Unternehmen dieser Art auch andere Interessen berechtigt geltend gemacht werden. Dem haben wir z. B. durch die Mitbestimmungsgesetze entsprochen. Wir werden auch bereit sein, bei der Beratung des § 73 Abs. 1 erneut zu prüfen, ob nicht die an sich doch wohl selbstverständliche Berücksichtigung der Belange der Allgemeinheit und der Arbeitnehmer bei der Arbeit des Vorstandes wie bisher im Gesetz ausdrücklich stipuliert bleiben sollte.
Ich möchte aber an dieser Stelle ein grundsätzliches Wort an die Adresse all derer sagen, die nur ein süffisant-mitleidiges Lächeln aufbringen, wenn wir die verbesserte Stellung des Aktionärs als einen wirtschafts- und gesellschaftspolitisch zentralen Punkt dieser Reform bezeichnen. All unser Bemühen, das hierauf gerichtet ist, sei naiv und illusionär, so wird uns gesagt, weil die Menschen, die nach unseren Vorstellungen nun auch noch. Aktionäre werden sollen, weder willens noch imstande seien, diese Rechte sachgerecht auszuüben. Herr Professor Salin hat nach einer Zeitungsmeldung diese Kritik unlängst auf eine sehr kurze, sehr harte — bei der Prägnanz seiner Ausdrücke gewohnte — Formulierung gebracht, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen
möchte. Er sagt: „Hunderttausend, eine Million Aktionäre sind ,Stimmvieh', sind eine Fassade für die faschistische Macht' der Leitungsstäbe." Dem vermag ich nicht zu folgen. Wenn Menschen, die politisch !autoritären Formen anhängen — was Herr Professor Salin mit Sicherheit nicht tut —, das sagen, so ist das erklärlich. Wie aber ist es eigentlich mit den Demokraten, die so sprechen, ja, wie mit denen, deren Programmatik von Wirtschaftsdemokratie nur so trieft? Nein, meine Damen und Herren, wer dem Menschen generell das gleiche Wahlrecht gibt, der muß auch hier seinen Glauben an den Menschen, seine Einsicht, seine Sachkunde und seine Verantwortungsbereitschaft beweisen. Oder haben etwa die Erfahrungen mit Belegschafts- und Volksaktien, mit Investment-Zertifikaten Anlaß zu diesem Pessimismus gegeben? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, daß diese Erfahrungen ermutigend sind.
Entgegen all diesem Demokratiepessimismus und entgegen einer gewissen menschenverachtenden Überheblichkeit gegenüber den Neu- und Nochnicht-Aktionären werden wir fortfahren, neue Schichten auch für die Aktie — nicht allein für die Aktie — zu interessieren und den Aktionären eine gute, eine bessere, eine einflußreichere Stellung zu geben.
Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle ein Wort des Herrn Staatssekretärs des Bundesjustizministeriums zitieren, dem ich voll zustimmen möchte. Er hat in einem Vortrag unlängst hierzu gesagt — wenn ich es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf —:
Die Entscheidung des Aktionärs darüber, ob er dem Unternehmen Gewinn belassen will, ist um nichts mehr unternehmerisch als seine ursprüngliche Entscheidung, sein Kapital in das Unternehmen hineinzugeben. Wenn er Verstand genug hatte, eine Aktie zu kaufen, muß ihm auch der Verstand zugebilligt werden, über die Verwendung des Ertrags seiner Aktie zu entscheiden.
So weit dieses vorzügliche Zitat!
Natürlich wissen wir — ich betonte es bereits —, daß die Aktiengesellschaft ein Erwerbsunternehmen ist. Von da her ergeben sich natürlich Notwendigkeiten der Beschränkung der Mitgliedschaftsrechte der Eigentümer. Diesen Zweck des Erwerbs wird die Aktiengesellschaft nur erreichen, wenn die Verwaltung der Aktiengesellschaft genügend Vollmachten hat, um schnell handeln zu können. Aber alle diese Handlungen sollen eben der Kontrolle und dem angemessenen Mitspracherecht der Gesellschaft unterliegen. Die Verstärkung der Rechte des Aktionärs hat ihren Platz im grundsätzlichen Bereich; sie darf aber niemals die Handlungsfähigkeit der Verwaltung etwa zum Erliegen bringen. Diese soll vielmehr, recht verstanden, gefördert werden durch bessere Information und daraus sich ergebendes stärkeres Vertrauensverhältnis.
7648 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
Zu den Grundüberzeugungen unserer Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren, gehört der Gedanke der Partnerschaft. Dieses Denken — jenseits des Klassenkampfes wie jenseits des Herr-imHause-Standpunktes — war und ist einer der Antriebskräfte unseres Wiederaufbaus. Das muß so bleiben, das wollen wir erhalten.
In der betrieblichen Mitbestimmung haben wir einen Anwendungsfall dieses Denkens. Auch unter diesen Aspekten werden wir den Gesetzentwurf sorgfältig überprüfen. Zahlreiche Streit- und Zweifelsfragen, die in der Praxis auf Grund der Mitbestimmungsgesetze entstanden sind, werden im Entwurf geklärt. Dadurch tritt eine größere Rechtssicherheit, also eine Verfestigung der Mitbestimmung ein.
Wir müssen aber auch, meine Damen und Herren, — und ich will es ganz kurz tun — noch diesen Merkposten für unsere Diskussion, für den Fortgang der Beratung festhalten: Wir haben durch Gesetz betriebliche Mitbestimmung normiert, die nicht aus dem Miteigentum, sondern aus partnerschaftlichem Denken erwächst. Es war und bleibt unser Ziel, auch diese Mitbestimmung eines Tages aus dem Miteigentum der Arbeitnehmer herzuleiten. Was aber — ich kann hier nur die Frage stellen —, wenn in absehbarer Zeit durch unsere Politik der breiten Streuung des Eigentums auch an den Produktionsmitteln sich Vertreter der Mitbestimmung ohne Miteigentum mit den Vertretern der Belegschaft treffen, die dort auf Grund Miteigentums auftreten, ja sich vielleicht zusammentun? Ich kann hier nur diese Frage stellen. Ich weiß selber noch keine Antwort. Aber es ist ein Problem, dem wir ganz sicher unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Wir müssen unsere Mitbestimmungspolitik zusammen sehen und ordnen mit der Miteigentumspolitik.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Belegschaftsaktie, zu der wir ja schon beim VW-Gesetz und auch bei der Kleinen Aktienrechtsreform ja gesagt haben. Wir begrüßen, daß der Regierungsentwurf diese Möglichkeiten eröffnet, auch die Möglichkeit unentgeltlicher Hergabe. Wir werden prüfen, ob und wie diese Möglichkeiten noch verbessert werden können. Die Bedeutung dieser Fragen auch für den Arbeitsmarkt wie für den Mittelstand ist uns bekannt; wir werden sie berücksichtigen.
Es wird dann auch in anderen Gesetzen, vor allem im Steuerrecht, aber auch im Gesetz über Ergebnisbeteiligung, geprüft werden müssen, wie wir weitere Anreize schaffen können, damit die Gesellschaften von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch machen, und, ich füge ausdrücklich hinzu: mehr Gebrauch machen, als sie es bisher getan haben.
Bei der Diskussion dieser Grundsätze und nur
darum handelt es sich in der ersten Lesung — möchten wir aber nicht nur über die gesellschafts-
und die wirtschaftspolitischen Aspekte sprechen, sondern auch ein kurzes Wort zur verfassungspolitischen Seite der Sache sagen. Ich denke dabei nicht nur an die Gewerbe- und Vereinigungsfreiheit, sondern auch den Artikel 14 des Grundgesetzes, der das Eigentum gewährleistet, Inhalt
und Schranken des Eigentums de Bestimmung durch Gesetz zuordnet, aber zugleich die Pflichten und die Sozialnatur des Eigentums betont. Meine Damen, meine Herren, nicht von einem willkürlich angenommenen Eigentumsbegriff, sondern von diesem Eigentumsbegriff des Grundgesetzes her ergibt sich der Maßstab für viele Paragraphen dieser Reform.
Ich möchte auch nicht versäumen, jetzt schon auf den Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes im Zusammenhang hinzuweisen. Nach dieser Vorschrift gelten die Grundrechte grundsätzlich auch für juristische Personen. Mir scheint, daß man diesen Gedanken von der Peripherie der Diskussion ins Zentrum rücken sollte. Denn durch diese Grundrechtsnorm gewinnen doch, wie ich meine, die Grundsätze von Treu und Glauben, von den guten Sitten, von Achtung des anderen und der Minderheit auch im Wirtschaftsleben einen noch stärkeren Rechtsgehalt. Diese Vorschrift enthält doch, wenn man ,sie recht interpretiert, auch eine Schranke des Rechts gegen positivistischen und formalistischer Mißbrauch einzelner Paragraphen, wie wir ihn gerade auf diesem Gebiet in der Vergangenheit doch leider haben erleben müssen.
Aber bei alledem wollen wir nicht vergessen: Die Aktiengesellschaft ist ein wichtiges, aber auch ein empfindliches Instrument des Wirtschaftslebens. Hüten wir uns vor einem Korsett des Perfektionismus und auch vor wesensfremden Auflagen.
Meine Damen, meine Herren! Wir, die Fraktion der CDU/CSU, sind sehr interessiert, diesen Gesetzentwurf bald zur Verabschiedung zu bringen. Wir sind gespannt auf die grundsätzlichen Ausführungen der Opposition hierzu. Denn auch die Sozialdemokraten haben ja inzwischen die Aktie im Zusammenhang mit ihrem Plan von Vermögensabgabe und „Nationalstiftung" entdeckt. Da dieser Plan nach dem geltenden Recht nicht durchführbar ist, nehme ich an, daß die Opposition uns jetzt hierzu einige Anträge ankündigen wird. Wenn dieser Plan ernst gemeint ist — und ich glaube, daß er, obwohl wir so kurz vor der Wahl stehen, ernst gemeint ist —, dann müßte doch die Opposition die Gelegenheit dieser Gesetzgebung beim Schopf packen, um ihre Vorstellungen zu entwickeln; dann müßte die SPD doch an einer schnellen Verabschiedung dieser Gesetzgebung mitzuwirken bereit sein.
Ich will an einigen Beispielen deutlich machen, was ich meine.
Das erste ist dieses. Nach den Mitteilungen in
der Presse sieht der sogenannte Deist-Plan, den der SPD-Parteitag verabschiedet haben soll,
vor, von den Großvermögen, insbesondere den Aktiengesellschaften, 20 % als Zwangsabgabe in eine „Nationalstiftung" abzuführen. Das solle möglichst in Aktien geschehen. Sie wissen. Herr Kollege Dr. Deist, daß das geltende Recht das verbietet. Darum erwarte ich hierzu die Ankündigung eines Antrages.
In der Kleinen Aktienrechtsreform haben wir doch den § 65 des Aktiengesetzes neu gefaßt, der
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bunn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960 7649
Dr. Barzel
den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft regelt. Nach diesem neu gefaßten § 65 ist der Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft grundsätzlich verboten; nur in den drei im Gesetz selbst genannten Fällen sind Ausnahmen zulässig. In keinem Falle aber darf die Gesellschaft mehr als 10 % des eigenen Grundkapitals besitzen. Nach Ihrer Auffassung soll sie aber — wenn wir die Presse und Ihre Pläne richtig verstehen 20 % abführen, obwohl sie das nicht darf. Das geltende Recht erlaubt also nicht, Herr Kollege Dr. Deist, was Ihr Plan vorsieht. Es müßte geändert werden, und Sie werden uns sicher hierzu einen Antrag ankündigen.
Unterstellt, man änderte das, — wie will dann eigentlich die Gesellschaft eigene Aktien erwerben, um dieser Zwangsabgabe zugunsten der „Nationalstiftung" entsprechen zu können? Womit soll sie das bezahlen? Würden dann nicht entweder Kursexzesse an der Börse passieren, die alles in den Schatten stellen, was wir bisher erlebt haben, oder eine völlige Unergiebigkeit der Börse?
Auch bin ich gespannt, Herr Kollege Dr. Deist — ich weiß nicht, wer von Ihnen dazu sprechen wird —, wie Sie diese ganze Aktion mit den Grundsätzen der Privatwirtschaft und mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes in Einklang bringen wollen.
Ich will noch einen zweiten Punkt dieser SPD-Planung hier zur Sprache bringen, weil er zu dieser Gesetzgebung gehört. Ich will die Debatte nicht ausweiten, sondern nur die Punkte nennen, die hierhergehören. Das Stimmrecht der „Nationalstiftung", die aus diesen Zwangsabgaben errichtet werden soll, soll, wie wir hören, auf 5 % beschränkt sein. Sicher werden wir deshalb auch hierzu gleich einen Antrag von Ihnen hören. Ich möchte hierzu auf folgendes hinweisen, und ich glaube, daß das nicht ohne Bedeutung ist. Nehmen wir eine Aktiengesellschaft, die Kohle oder Stahl erzeugt und die unter die erweiterte Mitbestimmung nach dem Gesetz vom Mai 1951 fällt. Diese Gesellschaft hat dann im Vorstand einen Arbeitsdirektor, und im Aufsichtsrat sitzen sich die Vertreter der Eigentümer und der Arbeitnehmer paritätisch gegenüber. Kommen nun zu den 50 % auf Grund des Mitbestimmungsrechts noch die „nur" 5% des Stimmrechts der Nationalstiftung hinzu, so haben — nach Durchführung Ihres Plans die Eigentümer nichts mehr zu sagen.
Dann regiert, vom Eigentum her gesehen, Herr Kollege Dr. Deist, eine kleine Minderheit. 50 0/o plus 5 % macht mehr als die absolute Minderheit. Das ist zwar genial, Herr Kollege Dr. Deist, aber für mein Gefühl ist das Sozialisierung, ist das auch Enteignung.
Sie lassen dem Eigentümer — wie Sie es auch in
den übrigen Formulierungen Ihres Grundsatzprogramms tun — zwar das formale Recht, Sie nehmen ihm aber die reale Verfügungsgewalt. Und diese reale Verfügungsgewalt gehört für uns essentiell
mit zum Privateigentum. Wir werden deshalb auch unter diesem Aspekt Ihren Plan sehr genau auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin überprüfen.
Und nun noch zu einem dritten und letzten Punkt, Herr Kollege Dr. Deist, der mit dieser Gesetzgebung und mit Ihren Plänen zusammenhängt! Die sogenannte „Volksaktie" des SPD-Plans soll, wie man hört wenn es falsch ist, berichtigen Sie mich bitte —, keinerlei Mitgliedschaftsrechte gewähren. Also erwarten wir hierzu einen Antrag auf Schaffung einer Aktie minderen Rechts, einer Aktie, die zwar zum Zahlen, nicht aber zum Mitreden ermächtigt. Oder meinen Sie in Wirklichkeit ein Investment-Zertifikat? Dann, Herr Kollege Dr. Deist, sollten Sie es so nennen. Sonst entsteht beim Publikum der Verdacht der Unredlichkeit und der Verwirrung.
Ihre Politik, unsere Worte zu übernehmen, sie aber dann mit anderem Inhalt zu versehen, wirkt — verzeihen Sie — auf die Dauer doch ein wenig peinlich.
Der Grundsatz der Firmenwahrheit und der Firmenklarheit sollte doch auch Politik und Programme der Parteien auszeichnen.
Vielleicht darf ich hier etwas anführen, was mir beim kritischen Prüfen ,dieser SPD-Pläne in die Erinnerung kam, und vielleicht, Herr Kollege Dr. Deist, lesen Sie das einmal in den Memoiren des früheren Reichskanzlers Fürst von Bülow nach. Dieser hat uns eine nette Anekdote übermittelt, die, glaube ich, hierher paßt.
Er berichtet dort — lassen Sie mich das einmal erzählen —, daß sich der Kaiser, der immer eine Vorliebe für Schiffe gehabt habe, für einen großartigen Schiffsbauer gehalten habe. Er habe deshalb eine Konstruktion für ein Kriegsschiff entworfen und sie an den damals ersten Schiffsbauer, einen italienischen Admiral, geschickt. Dieser soll der Majestät geantwortet haben: Majestät, ich bewundere diesen Plan; es ist das beste, ,das kräftigste, das schönste, das schnellste, das sicherste Schiff, dessen Plan ich je habe sehen dürfen; es hat nur einen Nachteil: es ist nicht seetüchtig und wird schon beim Stapellauf kentern. Ich glaube, Ihre Eigentumsvorstellungen, Herr Kollege Dr. Deist, werden ein ähnliches Schicksal haben.
— Vielleicht, Herr Kollege Kurlbaum, nehmen Sie die Bemerkungen Ihres Kollegen Seuffert über die inflationären Gefahren dieser Politik ernster als das, was ich sage.
— Herr Kollege Kurlbaum, ich habe hier — —
7650 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Dr. Barzel
— Herr Kollege Erler, dieser Zwischenruf ist etwas unter Ihrem Niveau.
— Herr Kollege Erler, vielleicht erlauben Sie mir, da Sie diese Bemerkung gemacht haben, daß ich Ihnen — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich es tun — einige Sätze laus dem unkorrigierten Protokoll, das gedruckt vorliegt, über den zweiten Tag des SPD-Parteitages vorlese, wo der Kollege Dr. Deist über diese Pläne ,gesprochen und folgendes gesagt hat:
Wir sollten auch nicht übersehen, daß ein solcher Vorschlag vielleicht auch andere Menschen ansprechen soll, die wir über eine Wahl mitberücksichtigen müssen. .. Wenn man der Meinung ist, wir brauchten nichts zu bieten, was ,der privaten Vermögensbildung dient, schön, dann gehen wir eben in diesen Wahlkampf ohne ein solches Projekt. . . Wir haben uns noch nicht recht daran gewöhnt, die Methoden der Meinungsforschung und Meinungsmanipulation und damit auch Meinungsverfälschung in einem richtigen Ausmaß anzuwenden. . .
diejenigen, die diese Dinge untersuchen, waren der Meinung, daß jedenfalls propagandistisch
— Herr Kollege Erler! —
diese Bezeichnung nicht falsch sei. Es gibt — ich zitiere den Kollegen Dr. Deist —
bei uns ein Übermaß an Redlichkeit und Perfektionismus. . . Natürlich ist ,das nicht eine Aktie alten Stils, sondern das ist das, was die Finanztechnik ein Zertifikat nennt. . .
Aber das Zertifikat ist nun wirklich kein Begriff, mit dem man irgend jemand hinter dem Ofen hervorlocken kann.
Auf Grund dieses Zitats werden Sie mir wohl meinen zarten Hinweis auf die Firmenwahrheit und Firmenklarheit in diesem Zusammenhang erlauben.
Meine Damen, meine Herren, die Fraktion der CDU/CSU wird im Fortgang der Beratung auch prüfen, ob in dieses Gesetz besondere Vorschriften über die Volksaktie aufgenommen werden sollten. Das Wort „Volksaktie" ist ja nun inzwischen Musik in den Ohren des ganzen Hauses, wie bei uns schon lange so nun auch auf der linken Seite. Ich möchte aber auch hierzu, damit wir das gleich klar haben, in Erinnerung rufen, wie wir im März über die Volkswagenaktie hier 'debattiert haben. Damals, Herr Kollege Dr. Deist — Sie eilinnern sich sicher —, habe ich Sie an dieser Stelle gefragt, wie Sie dieses generelle unid apodiktische Nein zur !sozialen Privatisierung durch !die Volksaktie im Hinblick auf
das SPD-Programm begründen wollen. Sie haben das dann ausweislich des Protokolls getan. Sie haben viele Passagen aus diesem Programm verlesen und dann erneut ein hartes Nein aus den Prinzipien dieses Programms herzuleiten versucht. Ich habe dann in der Debatte von dieser Stelle aus mit der Zustimmung der Kollegen Deist und Erler festgestellt, daß die Politik der Sozialen Privatisierung und der Volksaktie nicht zum Eigentumsprogramm der Sozialdemokraten gehöre.
Dann, Herr Kollege Dr. Deist, kam das Gesetz aus dem Vermittlungsausschuß. Unsere erstaunten Augen sahen, daß ein großer Teil Ihrer Fraktion dem Gesetz zustimmte, also ja sagte, obwohl doch von dieser Stelle aus das Nein durch den Kollegen Dr. Deist als nach den Prinzipien dieses Programms allein möglich dargestellt worden ist. Herr Kollege Dr. Deist, nun wollen Sie auf Grund derselben Prinzipien desselben Programms SPD-Volksaktien? Erst das Nein, jetzt das Ja, — was ist nun Ihr Prinzip, was ist Ihre Politik: ja oder nein zur Volksaktie? Oder wollen Sie vielleicht beides? Schlauheit ist gut; als alleiniges Prinzip — und diesen Eindruck erweckt Ihre Politik — ist sie aber weder politisch noch moralisch auf die Dauer erträglich.