Rede von
Lisa
Korspeter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion beantragt unter Ziffer 5 des Umdrucks 724 eine Verbesserung der Witwenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach dem ersten Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, das am 1. Januar 1957 in Kraft getreten ist, erhält die Witwe eines verunglückten Ehemannes eine Witwenrente von einem Fünftel des Jahrearbeitsverdienstes und eine Rente von zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes, wenn die Witwe entweder das 45. Lebensjahr vollendet oder wenn sie durch Krankheit wenigstens die Hälfte ihrer Erwerbsfähigkeit verloren hat. Bei der Bemessung der Witwenrente wird also — ich bitte, das genau zu beachten — keine Rücksicht darauf genommen, ob die Witwe Kinder zu betreuen hat oder nicht. Wir halten diese Regelung nicht für richtig, ja, wir halten sie eigentlich für familienfeindlich.
In vielen Fällen ist es als sicher anzunehmen, daß die Mutter auf Grund dieser ungünstigen Regelung gezwungen ist, einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, um für ihre Kind oder für ihre Kinder in einigermaßen ausreichender Weise überhaupt sorgen zu können. Mit der jetzigen schlechten Regelung der Bemessung der Witwenrente honorieren wir also in keiner Weise die Leistung, die die Witwe als Mutter vollbringt, sondern wir zwingen sie, trotz ihrer Aufgabe, die sie als Mutter zu leisten hat, in die außerhäusliche Erwerbsarbeit. Die Kinder müssen in diesen Fällen Vater und Mutter entbehren, den Vater durch den tödlichen Unfall, die Mutter durch die außerhäusliche Erwerbsarbeit. Es ist aber eines der Grundprinzipien unserer Familienpolitik, daß keine Mutter gezwun-
7688 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1960
Frau Korspeter
gen sein darf, aus wirtschaftlichen Gründen einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Die jetzige schlechte Regelung der Witwenrente verlangt aber geradezu zwangsläufig eine Erwerbsarbeit der Mutter.
Aus der Grundhaltung in dieser Frage ist unser Antrag zu verstehen. Wir schlagen vor, die Sätze 2 und 3 des § 588 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung wie folgt zu fassen:
Die Witwenrente beträgt zwei Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes, wenn die Witwe das fünfundvierzigste Lebensjahr vollendet hat oder solange sie mindestens ein nach § 591 waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder berufsunfähig ... oder erwerbsunfähig ... ist. ...
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß derselbe Vorschlag, den wir Ihnen heute unterbreiten, bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung enthalten war, und zwar des Gesetzentwurfs, den wir leider nicht bis zu Ende beraten haben und an dessen Stelle der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf mit einigen dringenden Fragen vorab verabschiedet werden soll. Wir halten diese Regelung für dringend genug, um sie heute in dieses Gesetz einzubeziehen.
Die Bundesregierung hat bei der Begründung des soeben erwähnten Gesetzentwurfs auch zu dieser Frage auf die Regelung in der Rentenversicherung hingewiesen, und wir schließen uns dieser Begründung an. Auch hiernach erhält eine Witwe, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet hat oder wenn sie mindestens für ein waisenrentenberechtigtes Kind zu sorgen hat, eine erhöhte Witwenrente. Ich glaube, jeder, der sich mit dieser Frage befaßt, muß diese Regelung als gerecht und angemessen anerkennen. Ich darf wohl mit Recht sagen: es ist allerhöchste Zeit, daß wir die Witwe eines tödlich Verunglückten bei der Bemessung der Witwenrente nach den gleichen Prinzipien behandeln, wie das in der Rentenversicherung geschieht.
Sie haben, meine Herren und Damen von der CDU, leider im Ausschuß unseren Antrag abgelehnt, genauso, wie Sie alle übrigen Anträge von uns abgelehnt haben, und zwar mit der formellen Begründung, daß die Überschrift Ihres Gesetzentwurfs „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung" Ihre Zustimmung zu unseren Anträgen nicht zulasse, da Sie sich an die Überschrift Ihres Gesetzes halten wollten.
Sie haben diesen unseren Antrag im Ausschuß zwar abgelehnt, meine Herren und Damen von der CDU; aber Sie haben trotz der Ablehnung erklärt, daß Sie sich Ihre Haltung noch einmal überlegen wollten. Ich glaube, es ist einfach unmöglich, daß Sie auch heute wieder diesen Antrag auf eine Verbesserung
der Witwenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung mit dieser formellen Begründung ablehnen.
Ich halte es auch für unmöglich, die Witwen darauf zu vertrösten, daß Sie es vielleicht 1962, oder wann es ist, regeln wollen. Bei der Erhöhung der Witwenrente, die wir beantragen, handelt es sich vielmehr um eine dringend notwendige Verbesserung von Geldleistungen, und zwar für Witwen, die Kinder zu versorgen haben und die durch den tödlichen Unfall ihres Mannes wohl am stärksten betroffen sind. Wir hoffen deshalb sehr, daß Ihre Überlegungen, meine Herren und Damen, dazu geführt haben, daß Sie heute unserem Antrag zustimmen werden, damit wir auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zu einer gerechten Regelung für die Witwenrenten kommen. Wir dürfen nicht weiterhin eine Regelung dulden, die man nur als familienfeindlich bezeichnen kann.