Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt — es ist gestern vergessen worden —, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die heutige Tagesordnung um den Punkt erweitert wird, den wir gestern abend nicht mehr erledigt haben: den Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zu den Europäischen Versammlungen . Wenn ich mich recht erinnere, ist im Ältestenrat vereinbart worden, daß eine Debatte dazu nicht stattfindet.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 12. Februar 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Rückführung von Evakuierten beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 197 verteilt.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe Punkt 1 auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Beseitigung der Mängel der Rentenneuregelung .
Wer möchte das Wort zur Begründung? — Bitte sehr, Frau Abgeordnete Korspeter zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Schon als der 2. Bundestag Anfang des vorigen Jahres die Gesetze zur Neuregelung des Rechtes der Arbeiter-, der Angestellten- und der Knappschaftsversicherung verabschiedet hatte, sind in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen sehr bald Stimmen lautgeworden, die eine Reform dieser Gesetze forderten. Schon damals wurde von vielen Seiten auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine Reihe von Härten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen oder sie durch andere Gesetze wieder auszugleichen. Es wurde auf gewisse Auslegungsschwierigkeiten aufmerksam gemacht — auf Bestimmungen, die den Willen des Gesetzgebers nicht deutlich genug erkennen lassen —, die zur Erleichterung der Arbeit der Versicherungsträger und der Sozialgerichtsbarkeit, aber auch vor allen Dingen im Interesse der Rentner und Antragsteller behoben werden müßten. Darüber hinaus wurde vor allem eine Vereinfachung der Rentenberechnung gefordert. Diese Vereinfachung sollte eine schnellere Abwicklung der Rentenanträge sicherstellen.Ich glaube, über die mangelnde Sorgfalt der Bundesregierung bei der Vorbereitung der Gesetzentwürfe kann kein Zweifel bestehen. Ich darf die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses daran erinnern, wieviel Änderungsanträge die Regierungskoalition selber zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß eingebracht hat. Auch der Zeitdruck, unter dem die Beratung und die Verabschiedung der Gesetze standen, hat wesentlich dazu beigetragen, daß eine Reihe von Unklarheiten in diesen Gesetzen belassen worden sind. Sicher ist auch die Bundesregierung über das Ausmaß der Beanstandungen, die sowohl von den Betroffenen, aber auch von den Versicherungsträgern ausgingen, weitgehend unterrichtet. Nicht nur die Sozialdemokraten haben eine Verbesserung dieser Gesetze gefordert, auch der damals noch amtierende Bundesarbeitsminister, Herr Kollege Storch, hat in seinen Wahlreden gesagt, daß sich eine Überprüfung der Gesetze als notwendig erwiesen habe. Schließlich hat sich auch der Herr Bundeskanzler selber zu den Fragen der durch die Rentengesetze benachteiligten Rentner geäußert, und er hat im Wahlkampf eine erneute Überprüfung und auch eine Beseitigung der bekanntgewordenen Mängel versprochen.
Natürlich ist uns nicht bekannt, ob die Uberprüfung im Bundesarbeitsministerium noch nicht abgeschlossen ist, wir wissen auch nicht einmal, ob Überprüfungen mit dem Ziel von Verbesserungen stattfinden; aber wir sind der Meinung, daß die Betroffenen sehr bald von der Bundesregierung darüber etwas hätten hören sollen, ob sie bereit ist, dem Bundestag Änderungsvorschläge zur Beseitigung von Härten und Ungerechtigkeiten und auch der Schwierigkeiten bei der Rentenberechnung vorzulegen, und nach welchen Vorstellungen sie dabei verfahren will.Schließlich sind — ich bitte das zu bedenken — schon mehrere recht erfahrungsreiche Monate ins Land gegangen, ja es ist ein ganzes Jahr vergangen, in dem Erfahrungen hätten gesammelt werden können. Das Schweigen der Bundesregierung war die Veranlassung zu unserer Großen Anfrage. Wir meinen, daß die betroffenen Rentner das Recht
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Frau Korspeterhaben, endlich zu erfahren, wann und wie das vor der Wahl abgegebene Versprechen der Bundesregierung, insbesondere des Herrn Bundeskanzlers, eingelöst werden soll.Es ist dem Hause und auch der breiten Öffentlichkeit bekannt, daß wir Sozialdemokraten die Verabschiedung dieser Gesetze im Interesse der Alten, der Arbeitsunfähigen, der Witwen und Waisen begrüßt und diesen Gesetzen zugestimmt haben. Ja, es ist bekannt, daß wir — ich bitte, daß jetzt nicht ein Sturm der Entrüstung von der anderen Seite kommt — die eigentliche Initiative zu dieser Gesetzgebung gegeben haben.
Wir haben nicht auf die Vorlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung gewartet, sondern wir haben mit einem eigenen Gesetzentwurf einen entscheidenden Anstoß zur Neuregelung auf diesem Gebiet gegeben.
Wir haben allerdings auch niemals Zweifel daran gelassen, daß wir in einer Reihe von Regelungen, die durch die Mehrheit der Regierungskoalition durchgesetzt worden sind, Härten und Ungerechtigkeiten sähen, um deren Beseitigung wir uns ständig bemühen würden. Wir hoffen sehr, daß unsere Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung zu einer Klärung des Sachverhalts führen und auch die Voraussetzung für notwendige Verbesserungen schaffen werden.Dabei nehmen wir nicht in Anspruch, daß der in unserer Großen Anfrage aufgeführte Katalog von Fragen erschöpfend ist. Wir meinen aber, daß bei einer Gesetzesänderung die von uns angeführten Gesichtspunkte vor allen Dingen berücksichtigt werden müssen.Da sind es insbesondere die leidigen Anrechnungsbestimmungen, die so viel Unruhe hervorgerufen haben, so stark, daß die Klagen anscheinend auch dem Herrn Bundeskanzler auf seinen Wahlreisen zu Ohren gekommen sind. Wenn ich mich recht erinnere, hat er sich vier Tage vor der Wahl in einem Brief an den Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Dr. Krone, für eine Verbesserung der Anrechnungsbestimmungen eingesetzt. Wir waren von diesem Vorgehen — ich kann es ganz offen sagen — zwar einigermaßen überrascht; denn soweit ich mich erinnere, hat auch der Herr Bundeskanzler gegen unseren Antrag gestimmt, die Bestimmungen über die gegenseitige Anrechnung nicht anzuwenden. Er befand sich bei der Verabschiedung der Gesetze ja hier im Hause. Aber wir waren über sein Versprechen auch im Interesse der Rentner erfreut. Sie wissen, die Bestimmungen über die gegenseitige Anrechnung fanden von jeher unsere Ablehnung. Nun aber ist es ganz selbstverständlich, daß wir nach dem Brief des Herrn Bundeskanzlers auch gerne Taten sehen würden; denn wir nehmen nicht an, daß diese Anregungen nur etwas mit Wahltaktik zu tun gehabt haben sollen.Wir haben eine weitere Frage aufgeworfen; sie betrifft die Rentner, die jetzt neben ihrerRente noch Fürsorgeunterstützung beziehen. Wir möchten deshalb gern wissen, ob durch eine neue gesetzliche Regelung dafür gesorgt werden soll, daß Rentenempfänger nach einem Arbeitsleben nicht mehr auf eine laufende Unterstützung durch die öffentliche Fürsorge angewiesen sind. Entgegen den optimistischen Angaben der Bundesregierung, daß sich durch die Rentengesetze die Zahl der Rentner, die neben ihrer niedrigen Rente noch auf Fürsorgeunterstützung angewiesen seien, wesentlich verringern werde, ist diese Entwicklung nicht eingetreten.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich vorweg sagen, daß nach unserer grundsätzlichen Auffassung die Rente in Zusammenhang mit den gezahlten Beiträgen und damit dem früheren Arbeitseinkommen stehen soll.
— Es ist aber ein unmöglicher Zustand, Herr Kollege Horn, daß Menschen nach einem Arbeitsleben und langjähriger, wenn auch ihrem Einkommen entsprechend leider niedriger Beitragszahlung — da gibt es eine ganze Reihe von Berufsgruppen, und sie sind dem Hause bekannt — weiter auf die Unterstützung aus der Fürsorge angewiesen bleiben sollen. Man soll sich sehr genau überlegen, in welcher Weise ein ausreichender sozialer Ausgleich geschaffen werden kann, damit man auch dem sozialen Charakter der Sozialversicherung gerecht wird.Wir wollen weiterhin wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, eine Änderung herbeizuführen, damit Zeiten des Militärdienstes, der Arbeitslosigkeit, der Krankheit sowie der Schul- und Berufsausbildung bei allen Rentnern als voll rentensteigernd berücksichtigt werden können. Da die Höhe des Ruhegeldes nach der neuen Gesetzgebung ausschließlich von der Höhe und der Dauer der Beitragszahlung abhängt, ist das Schließen der Beitragslücken von ausschlaggebender Bedeutung. Wir haben zwar bei den Rentengesetzen — es ist dem Haus bekannt, daß meine Fraktion um diese Frage ganz besonders gerungen hat — einen großen Teil der Beitragslücken schließen können. Aber es ist uns leider nicht gelungen, hierbei die volle Gerechtigkeit zu erreichen. Das hat die Praxis der letzten Monate sehr deutlich bewiesen. Da sind einmal die vielen alten Rentner, deren Beitragslücken nur pauschal angerechnet werden und die bei überdurchschnittlichen Ausfallzeiten eine ganz erhebliche Einbuße erleiden. Bedenken Sie bitte, daß solche überdurchschnittlichen Ausfallzeiten bei der Generation, die von der neuen Regelung betroffen ist, nicht etwa nur einzelne Ausnahmen sind. Das Schicksal des Krieges, der Massenarbeitslosigkeit und der Inflation hat sie hart, sehr hart getroffen.Ferner hat sich in der Praxis der neuen Rentenberechnung bei der Neufestsetzung ungerecht ausgewirkt, daß Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit nicht schon von der ersten Woche an rentensteigernd berücksichtigt werden. Wir sind deshalb der Meinung, daß auch hier eine Überprü-
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Frau Korspeterfung stattfinden muß. Wir bitten um Auskunft, ob die Regierung bereit ist, auch hier dem Hause Änderungsvorschläge zu unterbreiten.Ein weiterer Mißstand besteht darin, daß die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen nicht immer zu einer entsprechenden Rentenleistung führt. Diese Ungerechtigkeit wirkt sich ganz besonders zum Nachteil der Angestellten aus; sie können trotz erheblicher Beitragszahlung infolge der Höchstbegrenzung der Renten in vielen Fällen keine entsprechende Gegenleistung erzielen. Es ist grotesk, aber Tatsache: in zahlreichen Fällen führt die Entrichtung weiterer Beiträge sogar zu einer Verminderung des Rentenanspruchs, weil sich, insbesondere bei Versicherten mit Zeiten längerer Arbeitslosigkeit oder Kriegsdienst oder Krankheit, die individuelle Bemessungsgrundlage entsprechend vermindert.Der Umstand, daß sich durch eine weitere Beitragszahlung die Höhe der Rente sogar vermindern kann, widerspricht nicht nur allen versicherungstechnischen Grundsätzen, sondern ist unserer Ansicht nach als geradezu unmoralisch zu bezeichnen. Wir fragen deshalb die Bundesregierung, ob sie bereit ist, diesen Zustand zu beseitigen und eine gerechte Lösung vorzuschlagen.Nun, meine Herren und Damen, komme ich zu einem Punkt, der die breite Öffentlichkeit in zunehmendem Maße beschäftigt und beunruhigt; das ist die Tatsache, daß die Antragsteller im Durchschnitt neun Monate auf die Festsetzung ihrer Rente warten müssen.Ich muß vorweg bemerken, daß all die schönen Propagandareden der Bundesregierung nicht stimmen, die Rentenberechnung sei nach den neuen Rentengesetzen sehr einfach, könne schnell durchgeführt werden, jeder könne die Rente mit Leichtigkeit selber berechnen. Es ging so weit, daß sogar einmal gesagt wurde — ich glaube, es war vom Kollegen Storch —, der Junge, der noch auf der Schulbank sitze, sei in der Lage, die Rente seines Vaters zu berechnen.Diese schönen Propagandareden stimmen nicht, sie sind falsch. Es hat sich inzwischen herausgestellt, daß nicht die Propagandaformel der Bundesregierung zutreffend war, sondern daß die Warnungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eingetroffen sind.
Meine Damen und Herren, wegen der Kompliziertheit der Rentenberechnung warten heute noch ungefähr 500 000 Rentner auf die Neufestsetzung ihrer Rente. Ich glaube, das ist ein Mißstand, an dem das Parlament auf gar keinen Fall achtlos vorübergehen darf, denn viele Rentner — das wissen wir alle aus unseren Sprechstunden und aus den Briefen, die uns erreichen — konnten die ihnen zustehenden Rentenerhöhungen bis heute nicht erhalten.
Nach den Rentengesetzen sollte die Umstellung der laufenden Renten auf das neue Recht — das galt insbesondere für die Fälle der sogenannten Wanderversicherung — spätestens bis Ende Dezember 1957 abgeschlossen sein. Tausende von Rentnern warten heute noch vergeblich. Ich frage deshalb: Welche Pläne hat die Bundesregierung, um die Berechnung der Renten zu vereinfachen, welche Überlegungen hat sie im Interesse der Antragsteller und der Rentner in dieser Hinsicht angestellt? Aber die neuen Überlegungen sind auch notwendig, um den Angestellten und den Beamten in den Rentenversicherungsträgern bessere Arbeitsvoraussetzungen zu schaffen. Sie sind leider trotz größter persönlicher Anstrengungen und Überstunden, trotz Inanspruchnahme aller technischen Hilfsmittel wegen der Kompliziertheit der Berechnung bis jetzt nicht imstande gewesen, allen Anforderungen gerecht zu werden. Die Angestellten und Beamten der Versicherungsträger trifft leider die Unzufriedenheit der Rentner zuerst, allerdings, wie ich meine, völlig zu Unrecht.Die Unzufriedenheit war auch deshalb besonders groß, weil die Rentner vor der schmerzlichen Tatsache standen, vor Weihnachten keine erhöhte Rentenzahlung mehr erhalten zu können. Hinzu kommt schließlich auch, daß dieser Personenkreis unter den erhöhten Ausgaben des Winters ganz besonders zu leiden hatte und daß man darauf überhaupt keine Rücksicht genommen hat.Wir fragen deshalb die Bundesregierung: Ist sie bereit, den immer noch wartenden Rentenempfängern als erste Sofortmaßnahme angemessene Vorschüsse auf die endgültige Rentenleistung zu zahlen?Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zu Punkt 5 unserer Großen Anfrage. Dieser Punkt bietet uns allerdings Anlaß zu besonderer Beanstandung. Die Bundesregierung hat nämlich mit der Behandlung, oder ich möchte besser sagen: mit der Nichtbehandlung dieser Materie ein Versäumnis auf sich genommen, über das wir uns als Parlament, d. h. also wir alle, auch die Regierungskoalition, mit der Bundesregierung auseinanderzusetzen haben. Es handelt sich dabei um die Verwirklichung der sozialen Rechte der Heimatvertriebenen, der Flüchtlinge und der Einheimischen, bei denen die Versicherungsunterlagen durch die Kriegseinwirkungen verlorengegangen sind.Es ist dem Hause bekannt, daß die Renten dieses Personenkreises nach den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes berechnet werden. Für alle, die keine Nachweise für die geleisteten Beiträge beibringen können — und das ist sicher die Mehrzahl der Vertriebenen und der Flüchtlinge —, werden Tabellen der ersten Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz angewandt, deren Berechnungsgrundlagen leider im Endresultat zu ungerechten Rentenleistungen führen. Sie gehen von zu niedrig angenommenen Arbeitsverdiensten aus. Nach dieser ersten Verordnung zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz wird beispielsweise für Arbeiter ein Monatsverdienst von 240 Mark und für Arbeiterinnen lediglich ein Monatsverdienst von 140 Mark zugrunde gelegt. Aus der
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Frau KorspeterZugrundelegung dieses niedrigen Arbeitseinkommens ergeben sich außerordentlich niedrige Steigerungsbeträge für die Rentner, und weil nach den Rentenneuregelungsgesetzen nunmehr ausschließlich die Steigerungsbeiträge die Höhe der Renten bestimmen, kommen die betreffenden Rentner eben zu kurz.Um die Rechte der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nicht weiterhin zu schmälern, stellte meine Fraktion damals bei der Beratung der Neuregelungsgesetze den Antrag, diese Renten sofort mit den Renten der Nichtgeschädigten gleichzustellen. Dieser Antrag wurde von der Regierungskoalition abgelehnt, wahrscheinlich deshalb, weil man die Mittel nicht sofort zur Verfügung stellen wollte. Dem Arbeitsministerium wurde aber die Verpflichtung auferlegt — und zwar auch wieder auf Drängen meiner Fraktion —, diese Ungerechtigkeiten durch eine Rechtsverordnung aus der Welt zu schaffen. Das sollte sie — so steht es deutlich im Gesetz — bis zum 30. Juni 1957 tun. Leider kam die Bundesregierung dem Auftrage des Bundestages nicht nach.Unsere Kleine Anfrage in dieser Sache vom 29. August 1957, in der wir um Auskunft darüber ersuchten, warum es noch nicht geschehen sei, wurde von der Bundesregierung unbefriedigend und unzureichend beantwortet. Eine Regelung steht immer noch aus.
Das bedeutet nicht nur eine ausgesprochene Ungerechtigkeit, Härte und Verständnislosigkeit gegenüber den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, das bedeutet auch eine doppelte Belastung der Rentenversicherungsträger. Sie sind gezwungen, alle diese Renten nach dem Erlaß der vorgesehenen Rechtsverordnung erneut umzurechnen.
Schließlich ist es aber — lassen Sie mich auch das noch sagen — auch für das Parlament völlig unzumutbar, daß Gesetze mit einem klaren Auftrag an die Bundesregierung so behandelt werden, wie das hier geschieht. Das ist eine Mißachtung des Parlaments, das geht uns alle etwas an. Wir fragen deshalb die Bundesregierung: Weshalb hat sie den eindeutigen, klaren Willen des Bundestages mißachtet und wann kann mit einer Regelung gerechnet werden?
Zum Schluß möchte ich unserem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß unsere Große Anfrage nicht schon vor Weihnachten von der Bundesregierung beantwortet worden ist. Die SPD-Fraktion hatte sie bereits am 28. November eingereicht. Wir hätten deshalb eigentlich annehmen können, daß sich die Bundesregierung trotz der Kompliziertheit der Materie zu einer Beantwortung unserer Großen Anfrage noch vor Weihnachten entschließen würde. Die Mißstände, auf die ich hingewiesen habe, betreffen das soziale Schicksal von Millionen Alter und Arbeitsunfähiger. Jeder von uns, der sich mit dem Los der Rentner befaßt, weiß, daß es sich bei den von uns vorgetragenen Fragen um entscheidende Angelegenheiten für Millionen von Rentnern handelt. Wir wollen heute — diese Bitte möchte ich sehr herzlich an den Herrn Bundesarbeitsminister richten — von der Bundesregierung nicht etwa einen Erfolgsbericht über die Rentengesetze hören. Wir wissen selbst — denn wir sind daran ja nicht ganz unbeteiligt —, daß die Rentengesetze eine Reihe von Verbesserungen gebracht haben. Aber wir wissen ebensogut, daß sie Mängel und Ungerechtigkeiten beinhalten, die beseitigt werden müssen. Über diese Mängel, Ungerechtigkeiten und Härten wollen wir uns heute unterhalten.Im übrigen, meine Damen und Herren von der CDU, wollen Sie doch den Herrn Bundeskanzler nicht in Verlegenheit bringen. Ich beziehe mich deshalb noch einmal auf den Brief, den der Herr Bundeskanzler vier Tage vor der Wahl an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Dr. Krone, gerichtet hat. In diesem Brief schrieb er wortwörtlich:Es wird im nächsten Bundestag eine unserer dringendsten Aufgaben sein, sämtliche noch vorhandenen Unstimmigkeiten auf diesem Gebiet zu beseitigen, damit die Rentner auch wirklich in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsbestimmungen in vielen Fällen kaum zur Auswirkung gelangen.So wortwörtlich der Herr Bundeskanzler.Und nun ein Wort an den Herrn Bundesarbeitsminister: Wir erwarten nicht nur, daß die Bundesregierung unsere Große Anfrage ausführlich beantwortet, sondern wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie auch im Interesse der betroffenen Menschen so schnell wie möglich handelt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit zur Beantwortung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Korspeter bemängelte, daß die Bundesregierung erst so spät die Große Anfrage der SPD-Fraktion beantwortet. Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, schon im vergangenen Monat die Große Anfrage zu beantworten. Daß die Geschäftslage dieses Hohen Hauses erst heute zuläßt, daß wir uns mit der Materie beschäftigen, hat die Bundesregierung billigerweise nicht zu vertreten.Und nun darf ich die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage geben. Zum allgemeinen Teil der Frage 1:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Härten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die bei der Neuregelung des Rechts der Rentenversicherungen der Arbeiter, der Angestellten und der Knappschaft aufgetreten sind?gebe ich folgende Antwort.
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Bundesarbeitsminister BlankEin Teil der Erörterungen über die Ergebnisse der Rentenreform und auch der Inhalt dieser von mir zu beantwortenden Anfrage könnten in der Öffentlichkeit bei unzureichend unterrichteten Personen den Eindruck erwecken, die Ergebnisse der Rentenreform seien unbefriedigend. Demgegenüber kann und muß mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die Rentenreform in ihrer ersten Durchführung das Ziel erreicht hat, das bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze erstrebt wurde. Es sollte eine fühlbare Aufbesserung der bereits laufenden Renten erfolgen. Das Ausmaß der Aufbesserung sollte in der Arbeiterrentenversicherung und in der Angestelltenrentenversicherung im Durchschnitt zwischen 60 und 70 % der bisherigen Rentenzahlbeträge liegen.Nach der Umstellung der laufenden Renten in der Arbeiterrentenversicherung und in der Angestelltenrentenversicherung hat sich ergeben, daß die tatsächlichen Rentenerhöhungen dieser Plansetzung entsprechen. Sie betragen im Durchschnitt bei der Arbeiterrentenversicherung rund 62 % und bei der Angestelltenversicherung rund 69 %. Für die knappschaftliche Rentenversicherung liegen verwertbare Zahlenergebnisse noch nicht vor, da bei diesem Versicherungszweig die Umstellung der Renten — die ja alle individuell umgestellt werden — noch nicht abgeschlossen ist.Die Durchschnittsrenten haben sich in folgendem Umfang erhöht: In der Arbeiterrentenversicherung stiegen die Versichertenrenten von 90,24 DM auf 143,20 DM, die Witwenrenten von 55,28 DM auf 96,60 DM und die Waisenrenten von 32,40 DM auf 50,30 DM. In der Angestelltenversicherung haben sich die Versichertenrenten von 137,52 DM auf 227,20 DM, die Witwenrenten von 73,70 DM auf 139,10 DM und die Waisenrenten von 38,40 DM auf 53,90 DM erhöht.Durchschnittsrente bedeutet in diesem Zusammenhang die Rente, die sich ergibt, wenn der Gesamtaufwand für eine bestimmte Rentenart durch die Anzahl der Bezieher dieser Art von Rente geteilt wird. Sie bezeichnet nicht die absolute Häufigkeit ihres Vorkommens. Infolge der Unterschiedlichkeit der Versicherungsdauer und der Höhe der Versichertenentgelte, insbesondere durch den Einfluß der nur zeitweise und meist niedrig versicherten freiwillig Versicherten liegen die tatsächlichen Renten unter oder über den Durchschnittswerten. Die Männerrenten liegen sehr oft erheblich über dem Durchschnitt und die Frauenrenten vielfach wegen der kürzeren Versicherungsdauer und des geringeren Arbeitsentgelts nur beim Durchschnitt oder darunter.Die Gesamtaufwendungen für die Renten der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung sind nach Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze am 1. 1. 1957 erheblich gestiegen, obwohl im Jahre 1957 noch nicht alle Zahlungen bewirkt werden konnten, die in diesem Jahre zu leisten gewesen wären. Die Ist-Ausgaben für Rentenleistungen im Jahre 1957 werden in der Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung zusammen mindestens 10,8 Milliarden DM betragen.Die in der Erledigung noch rückständigen Rentenanträge und die noch nachkommenden Neuanträge auf Renten, die zum größten Teil rückwirkend ab 1. 1. 1957 zu Rentenleistungen führen, werden noch einen Betrag von rund 800 Millionen DM als weitere Rentenbelastung für 1957 vermutlich zur Folge haben.Es wird der für 1957 in der für die dritte Lesung der Rentenneuregelungsgesetze aufgestellten Berechnung des Rentenaufwands angegebene Betrag von 11,57 Milliarden DM mit größter Wahrscheinlichkeit erreicht, wenn nicht überschritten werden. Damit würde der Mehraufwand der Arbeiter- und der Angestelltenrentenversicherung allein bei den Rentenausgaben im Jahre 1957 gegenüber 1956 insgesamt 5,1 Milliarden DM, und wenn man die für 1956 auf die Rentenreform bereits gezahlten einmaligen Vorschußleistungen abzieht, 4,3 Milliarden DM betragen.In diesem gewaltigen Ausmaß sind die Leistungen der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung verbessert worden. Diejenigen Rentner, für die die Rentenreform sozialpolitisch gerechtfertigt war, haben eine gerechte Aufbesserung erhalten.In der Kritik an den Ergebnissen der Rentenreform werden Meinungen geäußert, denen widersprochen werden muß. Es war nicht das Ziel der Rentenreform, jedem Versicherten, der in der Vergangenheit einen Rentenanspruch erworben hat, aus der Versicherung einen Leistungsanspruch in solcher Höhe zu geben, daß damit sein Lebensunterhalt in der Zukunft in vollem Umfange sichergestellt sei.
Das war nur für diejenigen als Ziel gesetzt, die ein volles Arbeitsleben als Versicherte hinter sich haben.
Die Rentenversicherung ist eine Versicherung, aufgebaut auf der Solidarität der in ihr zusammengeschlossenen Versicherten. Sie hat nicht die Aufgabe und kann sie auch nicht übernehmen, persönliche Schicksale ihrer Mitglieder auszugleichen, soweit sie nicht, wie bei vorzeitiger Invalidität, in das Versicherungsrisiko eingeschlossen sind. Die Rentenversicherung kann nicht einem Mitglied, das nur einige Jahre Mitglied war und nur kurze Zeit Beiträge gezahlt hat, eine Leistung gewähren, als ob es Zeit seines Lebens Mitglied gewesen wäre. Sie kann auch nicht für Personen, die erst nachträglich auf Grund von besonderen Ereignissen, wie Krieg, Vertreibung, Währungsumstellung, in die Versicherung eingetreten sind und auf Grund der allgemeinen Vorschriften nur eine geringe Rentenleistung aus der Rentenversicherung zu erwarten haben, einen Ausgleich aus der Versicherung auf Kosten der während ihres ganzen Arbeitslebens versicherten Mitglieder gewähren. In solchen Fällen einzutreten, ist Sache anderer Hilfseinrichtungen: der Kriegsopferversorgung, des Lastenausgleichs und der Fürsorge. Man kann ruhig sagen, daß in dieser Beziehung den Rentenversicherungen schon
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Bundesarbeitsminister Blanksehr viel an Belastung aufgebürdet worden ist. Ein Mehr ist untragbar. Überlegt man diese Zusammenhänge richtig, so wird man erkennen, daß sehr viele der angeblichen Härten und Ungerechtigkeiten der Rentenreform keine Härten und Ungerechtigkeiten dieser Reform sind, sondern Folgen von Tatbeständen, für die nicht die Rentenversicherung, sondern die Allgemeinheit der Bevölkerung durch anderweitige Hilfseinrichtungen einzustehen hat.
Es ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Ergebnisse der Rentenreform zu beachten. In der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung waren 61,/2 Millionen laufende Renten auf das neue Rentensystem umzustellen, und die Umstellung sollte im Interesse der Rentner sofort erfolgen. Diese gewaltige Aufgabe war nur mit besonderen Verfahren zu bewältigen, die eine pauschale Berücksichtigung bestimmter Tatbestände und die Verwendung von Tabellen ermöglichten. Bei solchen Verfahren können die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles nicht in gleicher Weise berücksichtigt werden, wie dies bei der Neufestsetzung einer Rente beim Vorhandensein aller Unterlagen aus der Vergangenheit möglich ist, ohne daß man deshalb grundsätzlich von Ungerechtigkeit oder Härte in bezug auf das Ergebnis sprechen kann.Die Ergebnisse der Umstellung der laufenden Renten der Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung können zur Zeit zutreffend überhaupt nur in ihrem vorhin angeführten Gesamtergebnis gewertet werden, weil die Umstellung der laufenden Renten gerade jetzt zum Abschluß kommt und Einzeluntersuchungen bisher noch nicht durchgeführt werden konnten. Es ist heute noch verfrüht, über die tatsächlichen Auswirkungen der Neuregelungsbestimmungen zu urteilen
— ich komme auf diesen Tatbestand später noch einmal zurück —, weil eine entsprechende Auswertung der Ergebnisse noch nicht vorliegt und auch noch nicht vorliegen kann. Wenn die weiteren Erfahrungen und die vorzunehmenden Untersuchungen wirkliche Mängel und Ungerechtigkeiten der Rentenneuregelung ergeben sollten, so wird die Bundesregierung Vorschläge zu ihrer Beseitigung machen.Auf die Einzelfragen der Großen Anfrage gebe ich folgende Antwort.Die Frage 1 a lautet:Ist die Bundesregierung bereit, Entwürfe für eine Gesetzesänderung vorzulegen, die vor allem gewährleisten, daß die Härten, die sich aus der Anrechnung der Renten auf andere Sozial- und Versorgungsleistungen ergeben haben, beseitigt werden?Ich möchte darauf wie folgt antworten. Die Anrechnung von Renten aus der Rentenversicherung auf andere Sozial- und Versorgungsleistungen ist kein Problem der Rentenversicherung. Diese gewährt ihre Leistungen einschließlich der durch die Neuregelungsgesetze bestimmten Erhöhungen ohne jeden Abzug, wenn man von den Fällen absieht, in denen Renten aus der Rentenversicherung mit Renten aus der Unfallversicherung zusammentreffen und die besonders geregelt sind. Andere Gesetze dagegen, wie das Bundesversorgungsgesetz, das Lastenausgleichsgesetz, das Bundesentschädigungsgesetz, das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und die Bestimmungen über die öffentliche Fürsorge schreiben die Anrechnung von Einkünften, zu denen auch die Renten aus der Rentenversicherung gehören, auf die sonstigen Sozial- oder Versorgungsleistungen in bestimmten Fällen vor. In den Verhandlungen in den gesetzgebenden Körperschaften wurde von der Bundesregierung und von der Mehrzahl der Abgeordneten des Bundestags die Auffassung vertreten, daß, abgesehen von einer Übergangszeit von Januar bis April 1957, die entsprechenden Regelungen über die Anrechnung nur in den genannten anderen Gesetzen zu treffen seien und daß diese Regelungen grundsätzlich nach Ablauf der erwähnten Übergangszeit auch für die Fälle des Zusammentreffens mit Renten Geltung behalten müßten. Die Bundesregierung ist nach wie vor dieser Auffassung.Die Bundesregierung hat aber inzwischen aus den Ergebnissen der Durchführung der Rentenneuregelungsgesetze festgestellt, daß sich bei der Anrechnung der Rentenleistungen auf die anderen sozialen Leistungen in gewissen Fällen Härten ergeben haben, die weder im Sinne der Rentenneuregelungsgesetze noch in dem der anderen sozialen Gesetze liegen. Es haben sich Fälle ergeben, in denen Kriegerwitwen durch die Erhöhung der Rente aus einem Zweig der Rentenversicherungen nicht nur die Ausgleichsrente, sondern auch das vom Bezug der Ausgleichsrente abhängige Kindergeld verloren.
Unter Umständen konnte dies dazu führen, daß die Gesamteinkünfte niedriger wurden als vor der Rentenerhöhung durch die Rentenneuregelungsgesetze. Auch bei einem Teil der Pflegezulageempfänger ergeben sich durch die besondere Behandlung der Kinderzuschläge aus der gesetzlichen Rentenversicherung vereinzelt Unstimmigkeiten. Zur Beseitigung dieser Härten habe ich gemäß § 89 des Bundesversorgungsgesetzes allgemein einen Ausgleich zugelassen.Im übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Anrechnungsbestimmungen verschiedener Gesetze wegen ihrer Anwendbarkeit auf die Rentenerhöhung nach den Rentenneuregelungsgesetzen nicht grundsätzlich als Härten betrachtet werden können, weil sie auch auf die Bezieher anderer Einkommen, die nicht aus Renten bestehen, Anwendung finden.
Die Tatsache, daß der Bundestag in Kenntnis der Auswirkung der Rentenneuregelungsgesetze in der Sechsten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz keine Änderung der Anrechnungsbestimmungen vorgenommen hat, sondern die Leistungsverbesse-
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Bundesarbeitsminister Blankrungen der Kriegsopferversorgung grundsätzlich durch eine Erhöhung der keiner Anrechnung unterliegenden Grundrenten durchgeführt hat, ist für die Bundesregierung Anlaß, ihre Beurteilung des gesamten Problems der Anrechnung bestimmter Sozialleistungen auf andere Sozialleistungen zurückzustellen, bis über die künftige Gestaltung derjenigen sozialen Leistungen, deren Neuordnung noch bevorsteht, insbesondere über die Neuordnung der Kriegsopferversorgung, entschieden wird.Für die Beurteilung des erörterten Problems sind nach Auffassung der Bundesregierung zudem zwei Tatsachen entscheidend zu berücksichtigen. Der größte Teil der Rentner, die mit ihrer Rentenerhöhung unter die Anrechnungsbestimmungen fielen, hat durch die nach der Rentenreform verabschiedeten Novellen zum Bundesversorgungsgesetz und zum Lastenausgleichsgesetz Aufbesserung auch dieser Bezüge erhalten, die die erfolgte Anrechnung der Rentenleistung ganz oder teilweise wettmacht, während den Fürsorgeempfängern bereits die Rentenneuregelungsgesetze die Mindesterhöhungen anrechnungsfrei gelassen haben.Außerdem ist von besonderer Wichtigkeit, daß die sich aus den Anrechnungen ergebenden Beträge nicht zugunsten des Bundeshaushalts eingespart worden sind, sondern, wenn auch unter Anwendung eines anderen Verteilungsschlüssels, unter erheblicher Erhöhung der Gesamtsumme zu Leistungsverbesserungen für die Kriegsopfer und Lastenausgleichsberechtigten verwendet worden sind.
Bei Berücksichtigung dieses Sachverhalts wird man nach Durchführung des von mir zugesagten Härteausgleichs in den erwähnten Fällen von einer ungerechten Benachteiligung der Rentenempfänger nicht sprechen können.
Die Frage 1 b lautet:
Ist die Bundesregierung bereit, einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorzulegen, die gewährleistet, daß Rentenempfänger nach einem Arbeitsleben nicht mehr auf laufende Unterstützungen der öffentlichen Fürsorge angewiesen sind?Ich darf die Frage wie folgt beantworten.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine Bindung der Höhe der Renten aus den Rentenversicherungen an die Fürsorgerichtsätze — darauf läuft der Sinn der gestellten Frage hinaus — nicht vorgenommen werden sollte.
— Hören Sie bitte meine Begründung. Nach den Neuregelungsgesetzen errrechnet sich die Rente nach der Dauer der Versicherung und den Arbeitsentgelten des Versicherten, von denen Beiträge entrichtet wurden. Kurze Versicherungsdauer bringt nur eine entsprechend geringe Rente. Ebenso führen niedrige Arbeitsentgelte, von denen auch nurniedrige Beiträge entrichtet sind, zu einer niedrigen Rente. Nach einem vollen Arbeitsleben als Versicherter, von dem man sprechen kann, wenn der Versicherte — unter Berücksichtigung der sehr großzügig geregelten Anrechnung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten — eine Versicherungsdauer von etwa 40 Jahren aufzuweisen hat, erhält der Versicherte als Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente 60 % der nach seinem Arbeitsentgelt zu berechnenden Rentenbemessungsgrundlage. Für den Durchschnittsversicherten, der während seines Arbeitslebens immer den Durchschnitt aller Versicherten verdient hat, beträgt diese Rente im Jahre 1958 60 % der Bemessungsgrundlage von 378,50 DM, also 227,10 DM monatlich.
— Das ist keine Theorie, das können Sie ja selber nachrechnen.Diese monatliche Rente liegt wesentlich über den durchschnittlichen Fürsorgerichtsätzen des Bundesgebiets. Im Durchschnitt des Bundesgebietes beträgt der Fürsorgerichtsatz für eine aus zwei Personen bestehende Haushaltsgemeinschaft einschließlich eines Mietzuschlags von 35 DM und eines Sonderzuschlages für alte oder in der Erwerbsfähigkeit geminderte Personen in Höhe von 20 % des einfachen Richtsatzes insgesamt 161 DM monatlich. Wohlgemerkt: der Durchschnittsrichtsatz; es gibt Gebiete in Deutschland, die darunter liegen. Diesen Betrag überschreiten mit ihrer Rente nach einem vollen Arbeitsleben nicht nur alle Versicherten, die mit ihrem Entgelt im Durchschnitt ihres Arbeitslebens den Durchschnitt aller Versicherten aufweisen oder darüber liegen, sondern auch ein großer Teil der Versicherten, die mit ihrem Entgelt unter diesem Durchschnitt liegen. Noch der Versicherte, der mit seinem Entgelt immer 25 % unter dem Durchschnitt aller Versicherten lag, erhält heute nach einem vollen Arbeitsleben eine Rente, die über dem vorhin genannten Fürsorgerichtsatz liegt. Es kann nicht befürwortet werden, die grundsätzliche, als richtig anerkannte Regelung der Rentenreform auch nur für eine Übergangszeit durch eine dem System widersprechende Bindung der Renten an die Fürsorgerichtsätze zu durchbrechen und damit — denn darauf läuft eine solche Bindung hinaus — die durch die Neuregelungsgesetze bewußt beseitigte Mindestrente wieder einzuführen.Neben den Erfahrungen der Vergangenheit über die ungerechtfertigten Auswirkungen der früheren Mindestrente sprechen folgende Gesichtspunkte gegen jede Art von Mindestrente.Erstens. Die Konstruktion der freiwilligen Versicherung, die den Versicherten die Wahl von Zahl und Höhe der Beiträge freistellt, schließt die Einführung einer Mindestrente für diesen Personenkreis aus.Zweitens. Aber auch für den Kreis der Pflichtversicherten widerspricht eine Mindestrente dem durch die Rentenreform mit guten Gründen wieder verstärkt zur Geltung gebrachten Versicherungsprinzip und der Gerechtigkeit im Verhältnis zwi-
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Bundesarbeitsminister Blankschen den Versicherten untereinander. Es ist nicht als Aufgabe der Rentenversicherungen zu betrachten, auf Kosten eines Teils der Versicherten durch die Rentengestaltung rückwirkend Unzulänglichkeiten der früheren Lohngestaltung in bestimmten Erwerbszweigen auszugleichen.Drittens. Aber selbst, wenn man sich etwas Derartiges zum Ziele nähme, würde eine gerechte und befriedigende Lösung praktisch nicht durchführbar sein. Niedrige Entgelte können auf niedrigen Tarifsätzen, aber auch auf einer — gemessen an der üblichen — kürzeren Arbeitszeit wie Halbtagsarbeit, Stundenbeschäftigung und dergleichen beruhen. Es ist bekannt, daß das letzte für einen ins Gewicht fallenden Teil der Versicherten, insbesondere der weiblichen Versicherten, zutrifft. Verkürzte Arbeitszeit in der Rente durch eine Mindestrente auszugleichen, wäre ungerechtfertigt. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß die Versicherungsunterlagen weder bezüglich der Vergangenheit noch in der Zukunft Aufschluß über solche Verhältnisse geben können. Es würde verwaltungsmäßig praktisch unmöglich sein, beim Eintritt des Versicherungsfalles auf Jahrzehnte zurück — es kommen bis zu 50 Jahren und mehr in Frage — entsprechende Feststellungen zu treffen.Die Beibehaltung einer irgendwie gearteten Mindestrente ist deshalb vom Bundestag bei der Rentenreform mit guten Gründen abgelehnt worden. Die Sonderbestimmungen, die damals für solche Versicherte Vergünstigungen brachten, die bisher in ihrer Rentenhöhe durch zu niedrige Bewertung des freien Unterhalts und von Sachbezügen benachteiligt waren — nämlich die in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft und in Heimen und Krankenanstalten Beschäftigten —, stellen die Grenze dar, die in diesem Zusammenhang verantwortet werden kann.Die Frage 1 c lautet:Ist die Bundesregierung bereit, einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorzulegen, die gewährleistet, daß die Zeiten des Militärdienstes, der Arbeitslosigkeit, der Krankheit sowie der Schul- und Berufsausbildung bei allen Rentnern voll rentensteigernd berücksichtigt werden?Da die Neuregelungsgesetze die rentensteigernde Anrechnung der genannten Ersatz- und Ausfallzeiten für Neuzugänge vorschreiben, hat die Bundesregierung die gestellte Frage auf den am 1. Januar 1957 vorhanden gewesenen Bestand an Renten bezogen, also auf die rund 6,5 Millionen umgestellten Renten. Ich betone noch einmal: Die Frage ist für die Zukunft durch das Neuregelungsgesetz ein für allemal geregelt. Ich kann sie daher nur auf die umgestellten Renten beziehen. Die Umstellung dieser Renten erfolgte aber unter Gewährung eines Sonderzuschlages von 15 % als Berücksichtigung noch nicht angerechneter Ersatz- und Ausfallzeiten, und zwar pauschal nach Tabellen. Dabei wurde in die Umstellungsfaktoren neben dem erwähnten 15%igen Zuschlag auch die Berücksichtigung der Inflationszeit nach dem ersten Weltkrieg, die bisher nicht rentensteigernd angerechnet wurde, eingebaut. Die Anfrage zielt darauf ab, die pauschale Umstellung durch eine individuelle, die genauen Verhältnisse des Einzelfalles berücksichtigende Umrechnung zu ersetzen.Die pauschale Berücksichtigung der genannten Zeiten bei laufenden Renten hatte zur Folge, daß— wie das bei jeder Pauschalregelung der Fall ist— ein Teil der Versicherten weniger, ein Teil mehr bekommt, als ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zukäme. Dieser Umstand ist bei der Verabschiedung der Gesetze durchaus gesehen worden. Die Pauschalregelung wurde vom Bundestag gewählt — ich sage mit Bedacht: gewählt —, weila) nur auf diese Weise eine schnelle Umstellung der 6,5 Millionen laufender Renten möglich war, während eine individuelle Umrechnung der Renten mehrere Jahre in Anspruch genommen hätte, weilb) nicht damit gerechnet werden konnte, daß in sehr vielen Fällen Nachweise über Ersatz- und Ausfallzeiten bis zu 50 Jahren zurück überhaupt noch erbracht werden können, und weil c) man nicht vertreten wollte, daß die Berücksichtigung vom Zufall der Nachweisbarkeit abhängig gemacht wurde, wodurch besonders Vertriebene, Flüchtlinge, Evakuierte, Ausgebombte und in ähnlicher Lage befindliche Personen ungünstig betroffen worden wären.In den bisherigen Rentenbeträgen der laufenden Renten waren Steigerungsbeträge für einen Teil der Ersatzzeiten wie Wehrdienst nach 1935, Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft, Zeiten der NS-Verfolgung und ähnliches bereits enthalten. Diese haben mit zu einer entsprechenden Rentenerhöhung geführt. Der zu den laufenden Renten gewährte Zuschlag von 15 % wirkt sich, berechnet auf die durchschnittliche Versicherungszeit der Bezieher von laufenden Renten, so aus, als ob viereinhalb Jahre Versicherungsdauer zusätzlich angerechnet würden. Einschließlich der zusätzlichen Berücksichtigung der Inflationszeit mit durchschnittlich rund eineinhalb Jahren ist damit den Rentnern des Bestandes durchschnittlich eine Vergünstigung zugekommen, die einer Versicherungsdauer von sechs Jahren entspricht. Nach den bisherigen Erfahrungen der Versicherungsträger bei Neufestsetzung von Renten kann dieses Ergebnis nicht als ungerecht bezeichnet werden.Als Folgen einer etwaigen nachträglichen individuellen Umrechnung der laufenden Renten würden zu bedenken sein.a) Dem Teil der Rentner, der durch die pauschale Umstellung zuviel erhalten hat, wird das Zuviel belassen bleiben müssen, da eine nachträgliche Kürzung dieser Renten wohl kaum vertretbar wäre. Dadurch würde die finanzielle Auswirkung einer individuellen Umrechnung sehr erheblich sein.b) Die nachträgliche individuelle Umrechnung der laufenden Renten würde eine außergewöhnliche, durch die Schwierigkeiten der Beweiserhebung besonders erschwerte Verwaltungsarbeit für die Versicherungsträger zur Folge haben. Eine solche Arbeit würde vorerst überhaupt nicht durchgeführt werden können, weil zunächst die sozialpolitisch wichtigere Aufarbeitung der unerledigten neuen
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Bundesarbeitsminister BlankRentenanträge zu leisten ist, für die die Versicherungsträger noch mindestens das ganze Jahr 1958 benötigen.Die individuelle Umrechnung der laufenden Renten würde, selbst wenn man sie von einem Antrag unabhängig machte, vermutlich nahezu den gesamten Bestand der Versicherten- und Witwenrenten betreffen und zeitlich drei bis vier Jahre und vielleicht noch mehr neben der Erledigung der laufenden Neuanträge benötigen.c) Die pauschale Umstellung der laufenden Renten mit Hilfe von nur vier Daten — Geburtsjahr des Versicherten, Rentenbeginn, bisheriger Steigerungsbetrag und Umstellungsfaktor laut Tabelle — hatte zur Folge, daß nicht nur die Berücksichtigung der zusätzlichen Ersatz- und Ausfallzeiten, sondern auch die Bewertung anderer Umstände pauschal erfolgten. Dadurch ist es in sehr vielen Fällen dazu gekommen, daß ein Rentner zwar bei der Berücksichtigung der Ersatz- und Ausfallzeiten schlechter weggekommen ist, als es seinen Verhältnissen entspricht, dafür aber durch die Festlegung der übrigen Elemente des Umrechnungsfaktors einen ungerechtfertigten Vorteil erfahren hat, z. B. weil sich seine Beitragsleistung nicht gleichmäßig auf die Versicherungsdauer verteilt, sondern im wesentlichen am Ende der Versicherungszeit liegt oder weil er noch nicht erwerbsunfähig ist und trotzdem den für die Umstellung maßgeblichen Steigerungssatz von 1,3 % statt 1 % erhalten hat. Wenn die laufenden Renten individuell umgerechnet werden müßten, würde man nicht den berechtigten Vorteil der Berücksichtigung von zusätzlichen Ersatz- und Ausfallzeiten gewähren dürfen und dabei die unberechtigten Vorteile der sonstigen pauschalen Umstellung bestehen lassen können. Das bedeutet, daß die laufenden Renten in vollem Umfange nach den neuen Bestimmungen neu berechnet werden müßten, und das wird in sehr vielen Fällen zur Folge haben, daß überhaupt keine höhere Leistung gerechtfertigt ist, oft sogar eine geringere Leistung festgesetzt werden müßte.Für die Beurteilung sind demnach folgende Gesichtspunkte entscheidend.1. Das Abgehen von der pauschalen Umstellung der laufenden Renten hätte unverantwortbare finanzielle und verwaltungsmäßige Folgen.2. Die individuelle Umrechnung würde mit Rücksicht auf die Beweisschwierigkeiten für einen Großteil der Betroffenen nur in sehr beschränktem Maße zu einer gerechten Regelung führen und gerade die auch in sonstiger Hinsicht schwer betroffenen Personenkreise wie Vertriebene, Flüchtlinge, Evakuierte, Häftlinge und Ausgebombte besonders benachteiligen. Sie würde überdies für einen weiteren großen Teil der Rentenbezieher durch den Ausgleich zwischen der Benachteiligung durch die nur pauschale Berücksichtigung zusätzlicher Ersatz- und Ausfallzeiten und den Vorteilen, die sonst in der pauschalen Umstellung für den Bezieher liegen, zu keinem günstigeren Endergebnis führen.
Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß es bei der Pauschalumstellung der Renten sein Bewenden haben muß und daß eine individuelle Umstellung der Renten oder eine nachträgliche zusätzliche Berücksichtigung individueller Ersatz- und Ausfallzeiten bei diesen Renten nicht vertretbar ist.Die Frage 1 d lautet:Ist die Bundesregierung bereit, einen Entwurffür eine Gesetzesänderung vorzulegen, die gewährleistet, daß die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen bei keinem Versicherten eine Verminderung bereits erworbener Rentenansprüche, sondern stets eine entsprechende Steigerung der Leistung bewirkt?Die Frage zeigt schon, daß hier ein Problem nicht richtig erkannt wird. Ein Rechtsanspruch entsteht natürlich erst im Versicherungsfall. Der Rechtsanspruch ist noch nicht in der Zeit gegeben, in der der Betreffende noch Beiträge leistet. Ich will versuchen, durch meine Antwort diese Unklarheit, die bei den Fragestellern offenbar vorliegt, ein für allemal zu beseitigen.
— Herr Professor Schellenberg, vielleicht wird Sie meine Antwort befriedigen; noch schmeichele ich mich dessen.Kommen für die Vorausberechnung der zukünftigen Rente aus der Vergangenheit nur Beitragszeiten, d. h. Zeiten, für die Beiträge tatsächlich entrichtet sind, in Frage, so kann es sich nicht ergeben, daß zusätzliche Beiträge — und mögen sie, gemessen an den bislang entrichteten Beiträgen, auch noch so niedrig sein — zu einer Verminderung der Höhe der zukünftigen Rente führen, die der Betreffende erhalten hätte, wenn er seit dem Zeitpunkt, von dem an er niedrigere Beiträge bezahlt, überhaupt keine Beiträge mehr bezahlt hätte. — Es ist ein einfaches Rechenexempel, Herr Professor; ich zeige Ihnen demnächst einmal den Schnittpunkt beider Kurven.Zu einem anderen Ergebnis kann es führen, wenn in der Vergangenheit neben Beitragszeiten auch Ersatz- oder Ausfallzeiten zurückgelegt sind, die bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden müssen. Die Ersatz- und Ausfallzeiten werden bei der Rentenberechnung nur bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, also der Versicherungsdauer, berücksichtigt. Sie werden daher praktisch so angerechnet, als hätte der Versicherte in diesen Zeiten ein Entgelt erzielt, das dem Durchschnitt seines gesamten Arbeitslebens entspricht. Diese Regelung wurde als die richtige um deswillen angesehen, weil sie Zufallsergebnisse ausschließt, d. h. die Anrechnung der Zeiten nicht davon abhängig macht, was der Versicherte gerade unmittelbar vorher oder gerade unmittelbar nachher verdient hat, und weil sie außerdem angemessen berücksichtigt, daß innerhalb eines solchen Zeitraums, wenn er von längerer Dauer ist, die Verhältnisse sich sehr wohl hätten ändern können, und zwar sowohl zugunsten als auch zuungunsten des
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Bundesarbeitsminister BlankVersicherten. Deshalb erfolgt die Berücksichtigung dieser Zeiten nach dem Durchschnitt des Arbeitslebens. Diese Regelung wirkt sich in der Mehrzahl der Fälle zugunsten der Versicherten aus, weil die hauptsächlichsten und ihrer Dauer nach ins Gewicht fallenden Zeiten dieser Art — Ausbildungszeiten, Militärdienstzeiten, Kriegsdienstzeiten und gleichgestellte Zeiten — zumeist in den Lebensabschnitt eines Versicherten fallen, in dem er noch ein niedrigeres Entgelt verdient hat als in den Jahren nach diesen Zeiten.
— Herr Dr. Schellenberg, vielleicht ist es klar, wenn ich jetzt sage: Wenn jemand sehr hohe Beiträge geklebt hat, keine Ersatz- und Ausfallzeiten hat, kann er, wenn er als freiwillig Versicherter auch nur die geringstmöglichen Beiträge zahlt, niemals eine niedrigere Rente bekommen, als er sie ohne diese zusätzliche Zahlung erhalten hätte. Anders aber liegt das Problem, wenn in seinen Zeiten große Ersatz- und Ausfallzeiten sind. Da diese Ausfallzeiten so behandelt werden, als hätte er Beiträge gezahlt, die dem Durchschnitt seiner Beitragsleistungen im ganzen Leben entsprechen, tritt natürlich eine Minderung des Gesamtdurchschnitts ein.Sie wollen mich etwas fragen, Herr Professor. Bitte schön!
Kann nicht die gleiche Wirkung eintreten, gleichgültig ob der Versicherte nun den Mindestbeitrag von 14 DM im Monat oder einen solchen von 105 DM zahlt? Ist eine solche Regelung, bei der man mit einem unterschiedlichen Beitrag die gleiche Rentenleistung erhalten kann, nicht ungerecht?
Nein, Herr Professor, sie ist nicht ungerecht, weil wir nämlich dem freiwillig Weiterversicherten mit voller Absicht die Möglichkeit eröffnen wollten, seine eigene Rente nach seinen Möglichkeiten zu regulieren und die Beiträge selber zu wählen.
— Moment, Herr Professor! Niemals kann dadurch hei richtiger Beitragswahl diese seine Rente geringer werden, als sie gewesen wäre, wenn er sich zu der freiwilligen Beitragszahlung nicht entschlossen hätte. Das und nur das galt es zu beweisen. Das ist das Falsche an Ihrer Behauptung.Diese Regelung, die der Bundestag getroffen hat, wurde als richtig angesehen, weil sie, wie ich eben schon sagte, Zufallsergebnisse ausschließen sollte und weil sie die Anrechnung der Zeiten nicht davon abhängig machen sollte, was der Versicherte gerade unmittelbar vor oder nach solchen Zeiten verdient und dementsprechend an Beiträgen geleistet hat. Die Zeiten sollten vielmehr so behandelt werden, als wären sie mit Beiträgen belegt, wie er sie im Durchschnitt erbracht hat.Die in den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen getroffene Regelung kann nun allerdings beim Zusammentreffen besonderer Umstände dazu führen, daß sich die Aussicht des Versicherten in bezug auf die Höhe der zukünftigen Rente verschlechtert. Dias ist dann der Fall, wenn er nach solchen Ersatz- und Ausfallzeiten Beiträge entrichtet, die wesentlich niedriger sind, als es seinem bisherigen Durchschnitt entspricht.
Das habe ich doch eben schon dargetan. Er hat es ja in der Hand, das selber zu berechnen. Halten Sie denn einen Zustand, wo ein Versicherter, vor allen Dingen ein freiwillig Versicherter, auch genötigt ist, sich von Zeit zu Zeit einmal mit seiner Versicherung, mit seinen erworbenen Ansprüchen und mit seinen noch zu erbringenden Leistungen auseinanderzusetzen, für falsch? Ich halte das für richtig, auch damit die Rentenversicherung einmal nicht nur als etwas von Vater Staat angesehen wird, das eines Tages eine Rente bringt, sondern als eine Einrichtung, die den Versicherten selber gehört, über die man sich auch einmal den Kopf zerbrechen muß.
— Herr Professor, ich bin gerne bereit, wenn es Ihre Zeit erlaubt und Sie mir oder ich Ihnen einen Besuch machen kann, Ihnen diese Berechnung in weniger als einer Viertelstunde so zu erklären, daß bei Ihnen keine Schwierigkeiten mehr auftreten.
— Ich rechne Sie zu den Versicherten.Meine Damen und Herren, nicht die niedrigen Beiträge als solche sind es, die dieses Ergebnis herbeiführen, sondern die Tatsache, daß die Ersatz-und Ausfallzeiten, weil sie nach dem Durchschnitt der Beiträge im gesamten Arbeitsleben angerechnet werden, nicht in der Höhe berücksichtigt werden, wie es bei der Außerachtlassung der nach diesen Zeiten entrichteten niedrigen Beiträge der Fall wäre. Das Ergebnis einer Minderung der zukünftigen Rente kann allerdings nur dann eintreten, wenn sich, wie eben schon gesagt, an eine lange Ersatz- und Ausfallzeit eine längere sehr niedrige Beitragsleistung anschließt, die wesentlich unter dem Durchschnitt der bisherigen Beitragsleistung liegt. Es ist verständlich, daß die sich aus der derzeitigen Rechtslage in gewissen Fällen ergebenden Folgen, vom Standpunkt des betroffenen Versicherten betrachtet, nicht als befriedigend empfunden werden. Das wurde bereits in den Verhandlungen über die Rentenneuregelungsgesetze gesehen und führte damals zu der die Auswirkungen teilweise mildernden Vorschrift des § 1253 Abs. 2 letzter Halbsatz der Reichsversicherungsordnung.Eine technisch einfache Lösung des Problems wäre es, die Ersatz- und Ausfallzeiten bei der Ren-
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Bundesarbeitsminister Blanktenberechnung nicht nach dem Durchschnitt der gesamten Beitragszeiten zu werten, sondern so zu berücksichtigen, als wenn in diesen Zeiten Beiträge in der gleichen Höhe wie in der Zeit vorher entrichtet wären.Eine solche Lösung würde zwar verhindern, daß die nach den Ersatz- und Ausfallzeiten entrichteten niedrigen Beiträge die bisher erwartete Höhe der Rente herabmindern würden, dafür aber in sehr vielen anderen Fällen zu einer sehr viel niedrigeren Rente führen als bei der gegenwärtigen Regelung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen eine sehr gute Regelung getroffen hat; denn er hat damit den ganzen Streit aus der Welt geschafft, ob während dieser Ersatz- und Ausfallzeiten vermutlich geringeres oder höheres Einkommen erzielt worden wäre; er behandelt sie nach dem Einkommen im gesamten Durchschnitt. Ich halte eine solche Regelung für die gerechteste, die hier gefunden werden kann.Ich darf mich nunmehr der Frage 2 zuwenden:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Neufestsetzung und Umrechnung der Renten zu beschleunigen?Neben verschiedenen, bei der Beantwortung der Frage 4 zu behandelnden Maßnahmen für eine Vereinfachung der Rentenberechnung wird die Bundesregierung im Zusammenwirken mit den Aufsichtsbehörden der Versicherungsträger jede ihr gebotene Möglichkeit wahrnehmen, auf die Beseitigung der Bearbeitungsrückstände hinzuwirken. Die Bundesregierung ist sich dabei der schweren Aufgabe bewußt, dieses Ziel zu erreichen. Die Arbeiten können wegen der Schwierigkeit der Materie, die in der Umstellung auf ein völlig neues Rentensystem liegt, nur von gut eingearbeiteten Fachkräften bewältigt werden.Die Versicherungsträger mußten neben der laufenden Bearbeitung der Neuanträge in den Monaten Februar bis April 1957 zusätzlich die Vorarbeiten für die von der Bundespost vorgenommene Umstellung der rund 6 Millionen Renten durchführen und anschließend außerdem rund 600 000 Sonderrenten durch Einzelberechnung umstellen.Daneben ist zu berücksichtigen, daß die Rentenneuregelungsgesetze einen Mehreingang an Neuanträgen zur Folge hatten. Am Ende des Jahres 1956 waren die Versicherungsträger, nachdem sie Ende 1955 und während des größten Teils des Jahres 1956 die Mehrbelastung durch Neuzugänge aus dem Gesetz vom 3. Oktober 1955 — Ausdehnung der Berechtigung für die Witwenrenten in der Arbeiterrentenversicherung — bewältigt hatten, auf einem Bearbeitungsstand angekommen, der als normal zu bezeichnen war. Die Rentenbearbeitungsfrist betrug damals im Durchschnitt drei Monate.Aus dem derzeitigen Bearbeitungsrückstand ergibt sich für den Augenblick eine Rentenbearbeitungsfrist von durchschnittlich 6 Monaten. Die Versicherungsträger haben sich bemüht, durch Ableistung von Überstunden in beträchtlichem Ausmaße, durchGewinnung von zusätzlichen Arbeitskräften und durch Einführung arbeitssparender maschineller Verfahren dem Arbeitsanfall Herr zu werden. Alle diese Maßnahmen beginnen sich erst jetzt voll auszuwirken, nachdem die neuen Arbeitskräfte entsprechend geschult und die maschinellen Verfahren praktisch erprobt sind. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Maßnahmen in den kommenden Monaten zu einem ständigen Sinken der Bearbeitungsrückstände führen werden. Die Versicherungsträger rechnen damit, daß, wenn ihnen nicht erneut zusätzliche Verwaltungsarbeit aufgebürdet wird, am Ende des Jahres 1958 im wesentlichen wieder ein normaler Arbeitsstand erreicht sein wird.Bei dieser Gelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich zum Ausdruck bringen, daß, wenn auch mancher Unmut bei Versicherten über die Verzögerung einer Rentenbearbeitung verständlich ist, den Bediensteten der Versicherungsträger, die schon länger als ein Jahr mit erheblichen Überstunden arbeiten, Anerkennung und Dank gebührt.
Sie haben sich bei der ihnen gestellten schwierigen Aufgabe der Überleitung auf ein ganz neues Rentensystem gut bewährt. Ihre Arbeit berechtigt zu der Überzeugung, daß die bestehenden Schwierigkeiten gemeistert werden.Hier sei mir noch ein Wort gestattet. Ich habe mit den Versicherungsträgern häufig über dieses Problem gesprochen. Ich habe auch gesprochen über die zusätzliche Entlohnung für die unglaublich viele Mehrarbeit, die die Bediensteten bei den Versicherungsträgern zu leisten haben. Ich kann nur Worte der Anerkennung für diese Leistungen finden. Aber ich wehre mich dagegen, wenn durch eine Anfrage der Eindruck erweckt werden soll, als sei durch eine Schuld der Bundesregierung die Bearbeitung der Anträge auf Neufestsetzung der Renten so langfristig. Wir wissen doch zunächst einmal genau, meine Herren Fragesteller, daß die Rentenversicherungsträger Selbstverwaltungskörperschaften sind. Sie wissen doch des weiteren, daß, wenn man nicht pauschale Umstellungen — über diese beschweren Sie sich —, sondern individuelle Umstellungen vorsieht — und diese fordern Sie damit eigentlich implizite —, die Rentner auf Jahre hinaus nicht mit der Umstellung und mit der Bearbeitung ihrer neuen Anträge zu rechnen hätten.
Die Bundesregierung wird die Entwicklung des Bearbeitungsrückstandes bei den Versicherungsträgern laufend beobachten und jede ihr mögliche Hilfe zur Überwindung noch bestehender Schwierigkeiten geben. Dabei ist insbesondere an die verwaltungsmäßige Beratung einzelner Versicherungsträger im Zusammenwirken mit den Aufsichtsbehörden und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger gedacht.Hier muß ich noch eins erwähnen. Wenn ich mit den Versicherungsträgern über diese Rückstände spreche, erheben sie alle nur eine Bitte. Diese BitteBundesarbeitsminister Blanklautet: Lassen Sie uns um Gottes willen doch einmal für einige Zeit mit Änderungen dieses Gesetzes in Ruhe!
Denn wenn auch die noch dazukämen, würden wir überhaupt nicht in der Lage sein, mit der Arbeit fertig zu werden. Sie sehen, wie das eine Vorbringen das andere sehr häufig ausschließt.Und nun die Frage 3:Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß für die Zeit, in der aus verwaltungstechnischen Gründen eine rechtzeitige Bescheiderteilung nicht erfolgt, als Sofortmaßnahme an wartende Rentenberechtigte angemessene Vorschüsse auf die endgültige Rentenleistung gezahlt werden?Die Bundesregierung wird sich in Verfolg der schon bisher von ihr in dieser Frage vertretenen Auffassung in verstärktem Maße im Zusammenwirken mit den Aufsichtsbehörden der Versicherungsträger dafür einsetzen, daß trotz und gerade wegen der Bearbeitungsrückstände bei den Versicherungsträgern angemessene Vorschüsse auf betragsmäßig noch nicht genau feststellbare Rentenleistungen in all den Fällen gewährt werden, in denen die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach dargetan ist, auch wenn Einzelnachweisungen zur Feststellung der endgültigen Rentenhöhe noch fehlen. Besonderen Wert legt die Bundesregierung auf die Vorschußanweisung und beschleunigte, wenn auch vorläufige Rentenfestsetzung bei den Witwenrenten, insbesondere den Leistungen an Witwen während der ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten. In dieser Hinsicht schweben Verhandlungen zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, den Versicherungsträgern und der Deutschen Bundespost, die eine befriedigende Regelung erwarten lassen. Eine Reihe von Versicherungsträgern, darunter auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, haben bereits Grundsätze für Vorschußzahlungen in ihrem Geschäftsbereich festgelegt. Auf Anregung der Bundesregierung sind die Versicherungsträger damit beschäftigt, gemeinsame Richtlinien für die Vorschußzahlungen auszuarbeiten, damit eine gleichmäßig für das Bundesgebiet geltende Regelung erfolgt. Die Bundesregierung wird auf einen der besonderen Gegenwartslage gerecht werdenden Inhalt der Richtlinien hinwirken und in Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden der Versicherungsträger die Durchführung der Richtlinien sicherstellen.Nun zur Frage 4, welche Pläne die Bundesregierung habe, um die Berechnung der Renten zu vereinfachen. Die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze sind grundsätzlich auf eine Geltung in der Zukunft abgestellt. Für die Versicherungszeiten ab Inkrafttreten des Gesetzes enthält die Rentenberechnung keine besonderen Schwierigkeiten. Anders ist dies bezüglich der Herübernahme vergangener Versicherungszeiten und ihrer besonderen Umstände in die nach neuen Gedanken ausgerichtete Rentenberechnung. Dies gilt in besonderem Maße in bezug auf verschiedene vom Deutschen Bundestag in Änderung oder Ergänzung der Regierungsvorlage geforderte und beschlossene Berechnungsvorschriften, die einer dem Einzelfall gerechter werdenden Berechnung dienen sollen, aber durch den Zwang zu mehrfachen Vergleichen der Berechnung zu einer erheblichen Komplizierung der Rentenberechnung führen.Die Bundesregierung hat bisher schon durch ihre Rechtsverordnung nach § 1256 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung und § 33 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes, die eine Berechnung nach Tabellen für den schwierigsten Teil der Rentenberechnung ermöglicht, dazu beigetragen, die Berechnungsarbeit für die Versicherungsträger erheblich zu vereinfachen. Sie wird diesen Weg weiterverfolgen. Außerdem wird sie durch eine besondere Rechtsverordnung nach § 1256 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung und § 33 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes vereinfachende Berechnungsvorschriften erlassen für alle die Fälle, in denen die für die Berechnung maßgebenden Tatbestände der Vergangenheit aus den Versicherungsunterlagen nicht erkennbar sind oder die Versicherungsunterlagen der Vergangenheit nicht mehr verfügbar sind. Die entsprechende Rechtsverordnung wird zur Zeit ausgearbeitet; sie wird die Verwaltungsarbeit der Versicherungsträger sehr erleichtern. Die Bundesregierung prüft ferner zur Zeit die Möglichkeit, die in den Neuregelungsgesetzen vorgeschriebenen Vergleichsberechnungen durch Aufstellung von Tabellen für Rentenwerte nach früherem Recht zu vereinfachen.Nun zur Frage 5:Wann wird die Bundesregierung endlich diezwingend vorgeschriebene Rechtsverordnungzum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz— deren Fehlen die Frau Kollegin Korspeter bei der Begründung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion besonders bemängelt hat —erlassen, damit die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge die ihnen zustehenden Renten erhalten?Die mit der Frage gemeinte, in den Neuregelungsgesetzen vorgeschriebene Anpassung der Tabellen der Anlagen 2 bis 6 zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz ist aus folgenden Gründen innerhalb der in den Gesetzen bestimmten Frist nicht erfolgt: Die Anpassung der Tabellen sollte bis zum 30. Juni 1957 erfolgen. In dem zwischen der Verkündung der Renten-Neuregelungsgesetze, Ende Februar 1957, und diesem Termin liegenden Zeitraum war das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit der Erstellung der Rechnungsgrundlagen und Textfassungen für die Anpassung des saarländischen Rentenrechts an die Neuregelungsgesetze im Bundesgebiet befaßt, von denen ursprünglich angenommen worden war, sie würden von der Regierung des Saarlandes erstellt werden. Mit Rücksicht auf die Sommerpause des saarländischen Landtages, vor deren Beginn das saarlän-
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Bundesarbeitsminister Blankdische Einführungsgesetz verabschiedet werden sollte, mußten diese Arbeiten ebenfalls bis zum 30. Juni 1957 abgeschlossen sein. Deshalb wurde die Anpassung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts zurückgestellt, weil die hierfür erforderlichen Arbeiten nicht neben der Erstellung der sehr schwierigen und sachlich komplizierten Rechnungsgrundlagen und der Gesetzestexte für die Anpassung des saarländischen Rechts abgeschlossen werden konnten. Diese Entscheidung hatte die Tatsache zur Grundlage, daß die Regelung für das Saarland Voraussetzung war, den dortigen Rentnern überhaupt erst die Vorteile der Rentenreform zu gewähren, während es bei den Fremdrentnern — die durch Umstellung ihrer Renten grundsätzlich diese Vorteile bereits erhalten hatten — nur um eine zusätzliche Verbesserung ging.Die Fassung der Vorschrift über die Anpassung der Tabellen des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes, die in der dritten Lesung in die Neuregelungsgesetze eingefügt wurde — Sie erinnern sich noch dieses Umstandes —, läßt rechtliche Zweifel offen, was unter „Anpassung" an die Vorschriften des Neuregelungsgesetzes zu verstehen ist und wie weit die Ermächtigung zu einer Rechtsverordnung geht. Die Tabellenwerte an die Werte der Durchschnittsentgelte der Neuregelungsgesetze anzupassen kann nicht angehen, weil es sich bei den Tabellenwerten der Neuregelungsgesetze um die Durchschnittsverdienste sämtlicher Versicherten, bei den Werten der Tabellen zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz dagegen um Werte handelt, die den Individuallohn eines bestimmten Versicherten und seine Versicherungsdauer repräsentieren. Sie sind nach Berufsgruppen gegliedert und variieren deshalb, obwohl auch sie Durchschnittswerte darstellen, erheblich im Verhältnis zueinander und zu den Durchschnittsentgelten sämtlicher Versicherten. Die Anpassung könnte deshalb auf keinen Fall schematisch erfolgen; für eine sachgemäße völlige Umgestaltung der Tabellen würde aber die Ermächtigung des Gesetzes nicht ausreichen. Es würde vielmehr eine Gesetzesänderung erforderlich sein.Aus diesem Grunde schien es gerechtfertigt und geboten, die Anpassung der Tabellen mit der grundsätzlichen Neufassung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes zu verbinden. Dadurch wird zugleich eine zweimalige Neuberechnung der in Frage kommenden Renten vermieden. Die Neufassung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes, die die Angleichung an die Rentenversicherungsneuregelungsgesetze bringen soll, ist in Bearbeitung. Sie wird eher abgeschlossen sein, als eine auf die Tabellenrenten beschränkte Umrechnung durchgeführt werden könnte.Damit, meine Damen und Herren, habe ich die Große Anfrage der sozialdemokratischen Regierung, Verzeihung: Fraktion — —
— Sehen Sie, ich bin so höflich, auch Ihnen einmaldiese Chance einzuräumen. Denn ich weiß, daß Siedann kein besseres Rentengesetz zustande brächten,als es die vergangene Regierung und die Regierungsmehrheit mit Ihrer Zustimmung hier in diesem Parlament erreicht haben.
Und nun, Herr Professor Schellenberg und meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein paar kurze Schlußbemerkungen, obwohl ich Ihre Geduld schon über Gebühr in Anspruch genommen habe.Abschließend darf nochmals festgestellt werden, daß die Rentenreform ein voller Erfolg war.
Es sind 4,3 Milliarden DM mehr verausgabt worden, und wenn man die Sonderzulagen als Vorgriff auf die Rentenreform betrachtet, sogar 5,1 Milliarden DM. Diese Mehrausgaben sind vornehmlich solchen Rentnern zugute gekommen, die ein normales Arbeitsleben hinter sich haben. Wenn es daneben Fälle gibt, in denen die Verbesserungen nicht den gehegten Erwartungen entsprochen haben, so müssen auch einmal die Erwartungen auf ihre Berechtigung hin überprüft werden. Man wird sich stets vergegenwärtigen müssen, daß die Rentenreform ein Stück Gesellschaftsreform sein sollte. Sicherung des Arbeitnehmers in den Wechselfällen des Lebens war das Ziel. Es ist erreicht worden, daß die Rente nach einem normalen Arbeitsleben den Lebensunterhalt sicherstellt, und es ist ferner erreicht worden, daß der Rentner entsprechend seiner früheren Stellung im Arbeitsleben am wirtschaftlichen Fortschritt teilhat. Solche Ziele können nur erreicht werden, wenn man sich von Regelungen mit versorgungsähnlichem Charakter fernhält, denn dies würde zwangsläufig Tendenzen der Nivellierung und der persönlichen Inaktivität Vorschub leisten.Wenn man den Selbsthilfecharakter unserer vom Gedanken der Solidarität getragenen Sozialversicherung erhalten will, muß man es in Kauf nehmen, daß durch den Ausbau von Leistungen in diesem Bereich andere Leistungen entbehrlich werden, auf die bisher im Hinblick auf akute Notzustände leider nicht verzichtet werden konnte. Es ist nicht richtig, dabei von Härten zu sprechen; man könnte im Gegenteil sagen, daß Härten beseitigt worden sind, indem an die Stelle von Leistungen nach dem Bedürftigkeitsprinzip Leistungen mit gesichertem Rechtsanspruch getreten sind.Dies soll nicht heißen, daß die Arbeit am System der Rentenversicherung ein für allemal abgeschlossen wäre. Auf einige mögliche Verbesserungen in technischer Hinsicht wurde hingewiesen; an ihnen wird weiter gearbeitet. Im ganzen jedoch waren die grundsätzlichen Entscheidungen bei der Rentenreform richtig und die sozialpolitischen Auswirkungen dieser Entscheidung segensreich. Dies ist nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch in Kreisen der Wissenschaft und auch von ausländischen Fachleuten anerkannt worden. Bei der weiteren Diskussion von Einzelfragen sollte dies, meine Damen und Herren, nicht in Vergessenheit geraten.
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494 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze ist über ein Jahr vergangen. Deshalb war es sicher angebracht, daß der Herr Arbeitsminister im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der Sozialdemokraten einen Bericht über die Auswirkungen der Rentenneuregelungsgesetze gegeben hat, so wie sie sich nach Meinung der Bundesregierung darstellen. Aber das war nicht das zentrale Anliegen unserer Großen Anfrage, zumal der Bericht des Herrn Bundesarbeitsministers in einer ganzen Reihe von Punkten Dinge enthält, die der Öffentlichkeit bereits bekannt sind.In unserer Großen Anfrage haben wir die Bundesregierung gefragt, welche Maßnahmen sie ergreifen will, um eine Reihe von Ungerechtigkeiten und Härten, die sich bei der Neuregelung ergeben haben, zu beseitigen. Leider hat der Herr Minister dazu wenig Konkretes gesagt. Er hat — und das muß ich sehr bedauern — gelegentlich sogar von angeblichen Härten gesprochen.
— Aber, meine Damen und Herren, auch Sie werden doch Stapel von Briefen aus Kreisen der Rentner erhalten, die sich über Ungerechtigkeiten beklagen. Vielleicht darf ich Sie zur Beantwortung meiner umfangreichen Post mit einsetzen, Herr Kollege Horn.Ich möchte aus dem weiten Bereich der Fragen, die der Herr Minister hier angeschnitten hat, einige sozialpolitisch wichtige ansprechen, und zwar erstens die Höhe der Renten, zweitens die Anrechnung, drittens die Komplizierung des Rechts, viertens sonstige Mängel bei der Rentenberechnung — darüber werden wir uns mit dem Herrn Minister noch in einiger Hinsicht aussprechen müssen — und schließlich die Fragen der Finanzierung.Zum ersten: Höhe der Renten. Meine Kollegin Frau Korspeter hat namens der Sozialdemokraten erklärt, daß wir durchaus anerkennen, daß die Rentenneuregelung die Lebenslage vieler Rentner verbessert hat. Wir Sozialdemokraten sind darauf stolz; denn wir haben einen wesentlichen Anteil daran.
Aber, meine Damen und Herren, wenn man auch diesen Tatbestand voll würdigt, so kann man doch nicht der Auffassung des Herrn Ministers zustimmen, der ein Bild der Rentenneuregelung entwikkelt hat, das dem vollen Sachverhalt nicht entspricht. Der Herr Bundesarbeitsminister ist hierbei leider in einen Fehler verfallen, den wir bereits bei Herrn Kollegen Storch und bei dem Herrn Bundeskanzler haben beanstanden müssen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat nämlich zu Beginn seiner Ausführungen Zahlenmaterial über die durchschnittliche Höhe der Renten angegeben, und zwar sowohl nach Prozentsätzen wie in absoluten Zahlen. Bei diesem Vergleich hat er einen Teil der Rentenleistungen, die 1956, also vor der Rentenneuregelung, bereits gewährt wurden, so dargestellt, als ob sie ein Ergebnis der Rentenneuregelung gewesen seien.
— Meine Damen und Herren, es handelt sich um eine Größenordnung von fast 1 Milliarde DM, und daraus ergeben sich Vergleiche, die nicht ganz der Sachlage entsprechen.
— Ich weiß das ganz genau. Der Herr Bundesarbeitsminister hat das indirekt am Schluß seiner Ausführungen sogar zugegeben. Er hat nämlich berichtet, der Mehraufwand betrage 4,3 Milliarden DM. Und was erklärte der Herr Bundeskanzler an dem Tage, an dem wir die Gesetze verabschiedet haben? Er erklärte — ich zitiere wörtlich —: „Das bedeutet eine Mehrleistung zugunsten der Rentner von 5,5 Milliarden DM." Also der Herr Bundesarbeitsminister geht in der Größenordnung gegenüber dem Herrn Bundeskanzler um 1,2 Milliarden DM zurück. Wir nehmen das mit Interesse zur Kenntnis. Dabei hat der Herr Bundesarbeitsminister bei dieser Angabe von 4,3 Milliarden DM noch nicht einmal die Einsparungen durch Anrechnung auf sonstige Versicherungszweige berücksichtigt.Wenn man heute versucht, ein vorläufiges Ergebnis der Rentenneuregelung zu erhalten, so stellt sich die Sachlage nicht so dar, daß sich im Durchschnitt eine Erhöhung der Renten von 60 bis 70% für die einzelnen Versicherungszweige ergibt, sondern so, daß sich die Mehrleistung in einer Größenordnung von 40 bis 50 % bewegt, wenn man das Sonderzulagegesetz 1956 berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, gewiß ist das eine beachtliche Erhöhung; das bestreiten wir nicht. Aber der Herr Minister hätte einen besseren Start gehabt, wenn er die Dinge in dieser richtigen Größenordnung dargestellt hätte.Der Herr Minister hat gesagt — und das ist richtig —, es handle sich bei all dem, was er an Zahlen anführte, um Durchschnittswerte. Aber — und das ist wieder ein wichtiger Punkt — bei diesen Durchschnittswerten ergeben sich außerordentlich große Unterschiede in der Höhe der einzelnen Renten.
— Natürlich. Ich werde Ihnen sagen, was wir dazu zu erklären haben, Herr Kollege Ruf. Wenn man jetzt eine erste Zwischenbilanz ziehen will, kann man im großen und ganzen sagen, daß sich für die Hälfte der rund 7 Millionen Rentner — einschließlich Knappschaftsversicherung — eine Erhöhung ergeben hat, die man als sozialpolitisch einigermaßen sinnvoll und vernünftig bezeichnen kann.
Aber für den anderen Teil, für rund 31/2 Millionen Rentner ergeben sich Härten und Unstimmigkeiten. Für diese Rentner hat die Neuregelung zu einer Enttäuschung geführt
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Dr. Schellenberg— ich werde Ihnen das im einzelnen noch darlegen —, und von diesen Menschen sprechen wir in unserer Großen Anfrage.Nun hat der Minister in seiner Antwort auf unsere Große Anfrage erklärt, das hänge mit der Beitragsrente zusammen, und wo sich nur eine unzureichende Rentenerhöhung ergeben habe, handle es sich um freiwillig Versicherte, die nur gelegentlich Beiträge geleistet hätten. Richtig, für einen Teil trifft das zu. Wir sprechen aber in unserer Großen Anfrage von denjenigen, die ein volles Arbeitsleben hinter sich haben. Diese Personen sollen und müssen eine ausreichende Rente erhalten, und das ist leider nicht immer gewährleistet.Der Herr Minister hat in Beantwortung unserer Anfrage darauf hingewiesen, daß nun die Zeiten des Krieges und der Arbeitslosigkeit in geradezu idealer Weise berücksichtigt würden. Er hat erklärt, daß ein Zuschlag über die Tabellen gewährt werde usw. Aber was ist denn das praktische Ergebnis? Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen. Es müssen doch — darin werden wir der gleichen Auffassung sein — zwei Versicherte mit gleichem Alter, gleichem Beruf und gleichem Arbeitseinkommen
— mit gleichem Arbeitseinkommen, gleichem Beruf, gleichen Beiträgen, also unter in allem gleichen Voraussetzungen —, wenn es gerecht zugeht, eine gleiche Rente erhalten. Bei der Umstellung für 7 Millionen Rentner haben sich aber sehr unterschiedliche Renten ergeben, je nachdem, ob der eine das Glück hatte, in seinem Leben niemals Soldat zu sein, oder ob der andere eingezogen war.
Das ist ein unerfreuliches Ergebnis. Wenn Sie die Dinge durchrechnen, ergibt sich mit diesen „wundervollen" Pauschalzuschlägen, daß für denjenigen, der niemals arbeitslos und Soldat war, praktisch eine Rente über Tabelle errechnet wird, als ob er mit den Zuschlägen 55 Jahre gearbeitet und geklebt hätte, also mehr, als er im Arbeitsleben tatsächlich erreichen kann. Aber derjenige, der Soldat war, erhält einen um so niedrigeren Zuschlag, je länger er Soldat war. Wenn er noch das Unglück hatte, arbeitslos zu sein, wird bei dieser Pauschalmethode seine Rente durch den Pauschalzuschlag immer niedriger, je länger er Soldat und je länger er arbeitslos war. Das scheint uns das Gegenteil einer sinnvollen Regelung zu sein. Auf diese wenig sinnvolle Regelung ist es in erheblichem Maße zurückzuführen, daß auch Menschen, die ein normales Arbeitsleben hinter sich haben, die aber lange eingezogen oder arbeitslos waren, eine Rente erhalten, die um 50, ja um 100 DM niedriger ist als die desjenigen, der niemals eingezogen war. Wir halten ein solches Ergebnis für sehr unbefriedigend.Wir bedauern sehr, daß der Herr Bundesarbeitsminister nichts darüber gesagt hat, wie man dieser Ungerechtigkeit begegnen kann. Er hat gesagt: Wir wollen alles so lassen, wie es ist. Das bedeutet: so lassen bis zum Lebensende dieser Menschen, die heute Rentner sind. Das wird leider das harte Ergebnis sein. Wir Sozialdemokraten erklären Ihnen: wir können in dieser Sache keine Ruhe geben.
— Aber Herr Kollege Arndgen, die Sozialdemokraten haben konkrete Vorschläge zur Behebung dieser Mißstände gemacht. Wir können uns im Laufe dieser Legislaturperiode vielleicht darüber unterhalten, welche konkreten Vorschläge wir dazu haben.
Warten Sie mal ab.Von diesen Ungerechtigkeiten werden auch alle Heimarbeiter und alle Landarbeiter betroffen, deren Arbeitsverdienste außerordentlich niedrig sind. Auch Menschen, die ein Leben lang etwa als Krankenschwester oder in der Fürsorge tätig waren, erhalten — das ist ein bedauerliches Ergebnis — oft Renten, die gegenwärtig unter den Fürsorgesätzen liegen. Deshalb unsere Anfrage, was mit den Renten der Menschen geschehen soll, die ein Arbeitsleben hinter sich haben und deren Rente nicht zur Sicherung einer Existenz ausreicht, die dem Stand unserer Wirtschaft und Kultur entspricht. Das ist unser Anliegen.
Wir bedauern sehr, daß der Herr Minister darauf nur eine formale Antwort gegeben hat. Ich war erstaunt darüber, daß der Herr Minister sehr viel mit technischen und juristischen Begriffen operiert hat. Gut, das muß man auch tun. Aber hier geht es um ein soziales und menschliches Anliegen, und das muß im Vordergrund stehen.
Es liegen noch keine abschließenden Rechnungsergebnisse vor; das wissen auch wir. Aber man weiß schon heute, daß eineinhalb bis zwei Millionen Menschen bisher nur die Mindestzulagen von 14 bis 21 DM erhalten haben und daß das nicht immer nur freiwillig Versicherte sind, sondern daß sich darunter Menschen befinden, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Der Herr Minister hat erklärt, man müsse Versicherung und Fürsorge und Versorgung trennen. Dem stimmen wir zu. Aber muß nicht unsere Sozialversicherung so gestaltet sein, daß ein Mensch, der ein Leben lang im Arbeitsprozeß gestanden hat, eine Rente erhält, die ihn von der Fürsorge frei macht?Die Durchschnittsberechnungen, die der Herr Minister für 40 Arbeitsjahre und einen durchschnittlichen Arbeitsverdienst von etwa 350 Mark aufgestellt hat, treffen für eine große Anzahl von Versicherten zu. Diese Berechnungen lassen sich aber nicht auf die Fälle von Härten und Ungerechtigkeiten anwenden, von denen wir in unserer Anfrage sprechen. Wir bedauern, daß sich der Herr Minister nicht konkret mit diesen Härten und Ungerechtigkeiten auseinandergesetzt hat.
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Dr. SchellenbergDer Herr Bundeskanzler hat im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung in dem Flugblatt „An alle Rentner" wörtlich erklärt — ich möchte es Ihnen vorlesen —: „Die Ungerechtigkeiten der bisherigen Rentenberechnung sind nun beseitigt."Meine Damen und Herren, Tatsache ist — und an dieser Tatsache kann auch der Minister durch Beantwortung der Großen Anfrage nicht vorübergehen —, daß alle Rentner, die Kriegsdienstzeiten, Zeiten der Arbeitslosigkeit hinter sich haben, die Berufen angehören, in denen vor Jahren und Jahrzehnten ganz niedrige Arbeitsverdienste gewährt wurden, noch heute auf die zusätzliche Leistung der Fürsorge und Hilfe ihrer Angehörigen angewiesen sind. Das ist ein Tatbestand, mit dem wir uns nicht abfinden können. Deshalb sind wir der Auffassung, daß die Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers, es seien nun alle Ungerechtigkeiten beseitigt, nicht mit der Wirklichkeit in Einklang steht.Nun zu der zweiten Frage, der Anrechnung der neuen Renten auf andere Sozialleistungen! Frau Kollegin Korspeter hat bereits zitiert, was der Herr Bundeskanzler interessanterweise am 11. September — wenige Tage vor der Bundestagswahl — hat mitteilen lassen. Wir sind erstaunt darüber, daß, nachdem der Herr Bundeskanzler eine derart konkrete Zusage gegeben hat, der Herr Bundesarbeitsminister auf unsere Anfrage, wie diese Härten beseitigt werden können, dem Hause und der Öffentlichkeit keine klare Antwort gegeben hat.
Auch in dieser Hinsicht hat der Herr Bundesarbeitsminister eine, ich möchte sagen, juristische Begründung gewählt. Er hat gesagt, diese Dinge könnten in den Rentenversicherungsgesetzen nicht geregelt werden; dafür seien andere Gesetze zuständig, und diese Frage der Anrechnung müsse bei den anderen Gesetzen geregelt werden. Aber, meine Damen und Herren, für die Menschen, die davon betroffen werden, geht es um das finanzielle Ergebnis. Das stellt sich leider so dar, daß anderthalb Millionen Menschen im Zusammenhang mit der Rentenneuregelung praktisch keine Mehrleistung — wenn man den Schlußstrich zieht und das Ergebnis berücksichtigterhalten. Das ist ein unbefriedigender Tatbestand.Im übrigen, Herr Minister, selbst Ihre juristische Begründung war nicht überzeugend; denn in den Gesetzen selbst — in Artikel 2 §§ 35 und 36 — sind Vorschriften über Anrechnungsfreiheit enthalten. Die Mehrheit hat unsere entsprechenden Anträge, diese Nichtanrechnung über den Mai 1957 hinaus auszudehnen, abgelehnt. Man hätte also die Nichtanrechnung durchaus auch im Gesetz regeln können.Ich möchte Ihnen einmal für eine Gruppe von Menschen verdeutlichen, was sich als Ergebnis der Anrechnung ergibt. Diejenigen, die in der zweiten Legislaturperiode dem Bundestag angehörten, wissen, daß wir beantragt haben, die Gewährung von Elternrenten in das Gesetz aufzunehmen. Das haben Sie abgelehnt. Was ist praktisch das Ergebnis? Das praktische Ergebnis ist, daß im Zusammenhang mit der Anrechnung 40 000 Elternrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz auf Grund der Rentenneuregelung eingestellt worden sind,
nicht etwa nur gekürzt und reduziert, sondern völlig fortgefallen sind. Das ist doch ein trauriges Ergebnis der Rentenneuregelung.
— Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Kollege.
— Aber, meine Damen und Herren! Wenn vor Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze nach den „Arbeits- und sozialstatistischen Mitteilungen" an 152 000 Elternpaare Renten der Kriegsopferversorgung gezahlt wurden und nach Mai 1957, nach Durchführung auch der 6. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz nur an 112 000 Elternpaare Renten gezahlt werden, so bedeutet das, daß 40 000 Elternrenten in Fortfall gekommen sind.
Das ist das Ergebnis, das wir bedauern.
Meine Damen und Herren, Sie meinen die 6. Novelle, und der Herr Minister hat auch davon gesprochen. Was haben Sie dem Hause und der Öffentlichkeit mitgeteilt? Im Zusammenhang mit der 6. Novelle zum BVG habe sich eine Mehrleistung von 542 Millionen DM ergeben, erklärten Sie in der Öffentlichkeit. Haben Sie denn keine Kenntnis von dem Bericht der Bundesbank von Juni 1957, in dem die Bundesbank erklärt, es habe sich in der Kriegsopferversorgung, wenn man finanziell einen Strich ziehe, überhaupt keine Mehraufwendung im Zusammenhang mit der 6. Novelle wegen der Anrechnung und des Fortfalls der Renten ergeben!?
Das sind die Tatbestände, an denen man nicht vorübergehen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
im Zusammenhang mit diesen Gesetzen werden sich 400 Millionen DM Einsparungen in anderen Bereichen des Bundeshaushalts ergeben. Jetzt hat man einen ersten Überblick, und ein vorsichtiger Überblick zeigt u. a., daß die Einsparungen mindestens um 200 Millionen höher sein und 600 Millionen DM betragen werden. Es ist bedauerlich, daß der Herr Bundesarbeitsminister zu der Auswirkung einer Einsparung von dieser Größenordnung nicht Stellung genommen hat.Ich muß noch einmal zitieren, was der Herr Bundeskanzler sagte: „Es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß die vorgesehenen Verbesserungen durch eingehende Anrechnungsbestimmungen in vielen Fällen kaum zur Auswirkung gelangen." Ich frage nochmals die Regierung: was gedenkt sie zu tun, um diese Zusage des Herrn Bundeskanzlers zu verwirklichen?
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Dr. SchellenbergDrittens: Die Komplizierung des Rechtes durch die Neuregelung. Es ist sehr interessant, sich heute im Zusammenhang einmal zu vergegenwärtigen, was die Bundesregierung vor Inkrafttreten der Gesetze erklärt hat. Herr Kollege Storch erklärte laut Bulletin am 17. März 1956:Das neue Gesetz wird eine wesentliche Vereinfachung und übersichtlichere Gestaltung des Rechtes der Rentenversicherung bringen.Soweit die Erklärung des damals verantwortlichen Ministers.
Und was erklärt heute die Spitzenorganisation der Rentenversicherung? Ich zitiere wörtlich:Die Berechnung einer Rente nach der neuen Rentenformel ist zeitraubend und beansprucht trotz weitgehender Benutzung moderner Büro- und Rechenmaschinen den dreifachen Zeitaufwand gegenüber dem früheren.
— Das ist jetzt der Tatbestand; woraus er sich ergibt, können wir im einzelnen erörtern.
Aber wir haben Vorschläge gemacht, es einfacher zu gestalten.
Ich kann Ihnen aus meinem Material vorlesen, was die Experten der Spitzenorganisation der Rentenversicherung erklärt haben. Sie haben gesagt, der sozialdemokratische Gesetzentwurf sei wesentlich einfacher als die Regelung der Bundesregierung. Das ist nicht zu bestreiten.
In Zusammenhang mit der Komplizierung der Rentenberechnung hat sich die Zahl der Rückstände, .die Zahl der Menschen, die auf Rente warten, wesentlich erhöht. Frau Kollegin Korspeter hat vorhin von 500 000 Wartenden gesprochen. Das war das Ergebnis, das letzte Woche bekannt war. Heute liegen die letzten „Arbeits- und sozialstatistischen Mitteilungen" vor, und heute wissen wir, daß es schon 606 000 Menschen sind, die auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. Wenn der Herr Minister sagt, die durchschnittliche Bearbeitungsdauer betrage sechs Monate, so ist das reichlich optimistisch. Das trifft für einen Teil der Fälle zu, aber bei einem größeren Teil dauert die Bearbeitung leider neun Monate und manchmal noch länger. Es ist nicht richtig, wenn der Herr Minister vorgetragen hat, das liege daran, daß die Zahl der Neuanträge so gewaltig gestiegen sei. Ein Vergleich der Zahl der Neuanträge für die ersten drei Quartale von 1956 und die ersten drei Quartale von 1957 — nur das Material liegt heute vor — zeigt, daß 1957 genausoviel Neuanträge wie 1956 gestellt worden sind.Die lange Bearbeitungsdauer der Rentenanträge hat also andere Ursachen. Es gibt viele Ursachen dafür. Wir haben nur die zu erörtern, für die dieBundesregierung und die Regierungsparteien die Verantwortung tragen.Der eine Grund ist die Komplizierung des Rentenrechts. Frau Kollegin Korspeter hat dargelegt, wie während der Beratung von den Regierungsparteien immer neue Änderungsanträge eingebracht wurden, weil in Kreisen der Regierungsparteien noch keine klare Konzeption vorlag.Eine weitere Ursache ist die, daß die verantwortlichen Männer innerhalb des Bundesarbeitsministeriums die Probleme, die in Zusammenhang mit dem neuen Recht auftauchen, verniedlicht haben. Ich möchte Ihnen auch in dieser Hinsicht ein Zitat vorlesen. Der Herr Generalsekretär für die Sozialreform erklärte wörtlich:Die neue Rentenformel ist so einfach, daß man sich seine Rente selbst ausrechnen kann. Das läßt sich durch tabellarische Übersichten ohne weiteres für den Handgebrauch jedes einzelnen Arbeiters, Angestellten und Rentners ermöglichen.Die Regierung hielt diese Erklärung für so bedeutsam, daß sie sie im Bulletin veröffentlichen ließ.Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin erklärt, er könne mir die neue Rentenberechnung in einer Viertelstunde klarmachen. Demgegenüber, Herr Bundesarbeitsminister, muß ich noch einmal wiederholen, was ich Ihnen in meinem Zwischenruf sagte: machen Sie es nicht mir klar, sondern machen Sie es den Millionen Angestellten, Arbeitern und Rentnern klar! Das ist eine wichtige Aufgabe.
Es hat — und das ist der politische Vorwurf, den wir erheben müssen — im Bundesarbeitsministerium eine Fehlbeurteilung der Lage vorgelegen. Deshalb hat man nicht rechtzeitig auch die verwaltungstechnischen Voraussetzungen getroffen, um die Sache zu meistern. Jetzt wird einiges getan. Wir haben mit Interesse und Dankbarkeit die Mitteilung des Herrn Ministers zur Kenntnis genommen, er habe Besprechungen geführt, und es solle dies und jenes getan werden. Aber diese Besprechungen hätten vor Erlaß der Gesetze vorbereitend geführt werden müssen, damit die Voraussetzungen geschaffen wurden, daß die Sache mit Inkrafttreten der Gesetze klappte. Das ist leider nicht geschehen.Der Herr Minister hat — und wir haben ihm zugestimmt — den Dank an die Angestellten und Beamten, die in der Sozialverwaltung tätig sind, ausgesprochen.Aber, meine Damen und Herren, wir müssen in dieser Hinsicht klar sehen, damit dem begegnet wird, was aus Kreisen Ihrer Partei in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Gewisse Kreise wollten die Verantwortung auf die Verwaltungsstellen schieben. — Ja, Herr Kollege Ruf, Sie müssen doch den Deutschland-Union-Dienst lesen. Daraus will ich Ihnen etwas zitieren. Da heißt es folgendermaßen:Was die Fehlerquellen — seien sie nur technischer Art oder auf menschliche Unzulänglich-
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Dr. Schellenbergkeit bei der einzelnen für die Feststellung der Rentenhöhe zuständigen Verwaltung zurückzuführen — angeht, so handelt es sich hierbei nicht um Mängel, die dem Gesetzgeber zur Last gelegt werden können.
Das heißt also praktisch: die Verwaltung ist schuld.
— Was die technischen Mängel und menschlichen Unzulänglichkeiten angeht, so ist nicht der Gesetzgeber daran schuld, heißt es hier. Aber die Bundesregierung trägt die Verantwortung dafür, daß eine solche Komplizierung des Sozialrechts geschaffen wurde und daß 600 000 Menschen, die pünktlich ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen mußten, sechs Monate und länger auf die ihnen zustehende, durch Beitragsleistung begründete Rente warten müssen. Das ist der Sachverhalt.
Wir bedauern, daß der Herr Minister wenig konkrete Vorschläge zur Überwindung der Schwierigkeiten gemacht hat. Wir begrüßen es aber sehr, daß der Herr Minister unsere Anregung, mehr und beschleunigter Vorschußzahlungen leisten zu lassen, aufgegriffen hat.
— Bitte schön, Frau Kollegin!
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege, daß die Selbstverwaltungsorgane der Versicherungsträger schon vorher angeregt hatten, soweit wie möglich Vorschüsse für Witwenrenten und für alle die Renten zu zahlen, bei denen die Unterlagen übersichtlich wären? Wenn es Sie interessiert, will ich Ihnen gerne die Vorlagen und die Beschlüsse zur Verfügung stellen.
Frau Kollegin Kalinke, ich kenne Mitteilungen der Organisation der Rentenversicherungsträger, die drei Wochen, nachdem wir die Große Anfrage gestellt hatten, herausgegeben worden sind. Ich muß also der Auffassung sein, daß unsere Große Anfrage — was auch ihr Sinn ist — jetzt das Verfahren beschleunigt. Wir hoffen, daß auch die heutige Aussprache wenigstens in dieser Hinsicht segensreich sein wird.
— Aber lieber Kollege Ruf, nun kommen Sie doch nicht immer wieder mit der gleichen Methode! Erst verzögert die Regierung.
— Die Rentenneuregelung hat die Regierung verzögert. Erst verzögert die Regierung, dann schafft sie ein kompliziertes Recht, und dann sagt man: Die Verantwortung trägt die Selbstverwaltung, sie wird das schon in Ordnung bringen. In dieser Weisekann man die Dinge nicht abtun, Das ist gerade das, was wir nicht wollen, eine Verantwortung, die hier das Haus und die Regierung zu tragen haben, nun auf die Selbstverwaltung abzuschieben.Der Herr Minister hat zwar nicht direkt gesagt, aber es ging aus seinen Ausführungen indirekt hervor, daß die hohe Zahl der Rückstände sich gewissermaßen zwangsläufig aus der Neuregelung ergebe. Ich bin mit dieser Antwort in keiner Weise zufrieden.Die Komplizierung des Rechts wirkt sich selbs bei den engsten Mitarbeitern des Herrn Ministers bzw. seines Vorgängers — und der Herr Minister muß jetzt nachträglich eine Verantwortung für Dinge tragen, die er selbst nicht mitgestaltet hat — unerfreulich aus. Ich möchte Ihnen ein Schreiben aus dem Bundesarbeitsministerium an einen Versicherten vorlesen:Ich bitte um Verständnis, wenn ich von einer eingehenden Stellungnahme zu Ihrem Fall absehe und nicht auf Einzelheiten Ihres Schreibens eingehe. Meine starke Inanspruchnahme durch dringende gesetzgeberische Arbeiten sowie die Fülle der an mich gerichteten Anfragen, Anregungen und Beschwerden gestatten mir es nicht, jedes einzelne Schreiben ausführlich zu beantworten.
Wenn das Arbeitsministerium auf Beschwerden aus dem Volk so antwortet: Wir haben keine Zeit, wil haben größere Aufgaben — wahrscheinlich dachte man an den Entwurf der Durchführungsverordnung zum Fremdrentengesetz, auf die wir schon seit dem 30. Juni 1957 warten! —,
ist das ein unerfreulicher, ein unhaltbarer Zustand.Die Komplizierung hat auch dazu geführt, daß das Bundesarbeitsministerium mit den Aufgaben, die ihm der Gesetzgeber auferlegt hat, leider nicht fertiggeworden ist. Ich denke hier an die Regelung für die Heimatvertriebenen, an das Fremdrentengesetz, denke aber auch an den Erlaß von Durchführungsbestimmungen für die Fälle derjenigen, die ihre Unterlagen durch Kriegseinwirkung verloren haben; das ist ein großer Teil unserer Versicherten. Dazu hat die Bundesregierung noch nicht die erforderlichen Durchführungsvorschriften erlassen.Oder ein anderes Beispiel: Im Gesetz ist festgelegt, daß Versicherte, die in West-Berlin gearbeitet und Beiträge gezahlt haben und im Osten wohnen, einen Zuschlag zu ihrer Ost-Rente erhalten, und zwar auf der Grundlage der Beiträge, die sie bei uns in West-Mark gezahlt haben. Die gesetzliche Regelung kann nicht durchgeführt werden, weil das Bundesarbeitsministerium bisher die entsprechenden Richtlinien nicht zustande gebracht hat Praktisches Ergebnis: 7000 Menschen, die im Ost-Sektor Berlins wohnen und früher im Westen ge arbeitet haben, warten noch auf den Zuschlag zi ihrer Ost-Rente. Das ist ein Versäumnis, dessen
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Dr. SchellenbergBedeutung weit über den Bereich der Sozialversicherung hinausgeht, das ist ein Versäumnis in bezug auf Gesamtdeutschland.
Der Erlaß von Rechtsverordnungen ist nur ein Teil der Aufgaben. Das zentrale Anliegen ist die Vereinfachung des Sozialrechts. Der Herr Minister hat dazu einiges gesagt; aber Sie werden nicht den Eindruck gewonnen haben, daß uns eine neue Konzeption zur Vereinfachung des Sozialrechts geboten wurde. Namens der Sozialdemokraten erkläre ich: Wir werden uns mit dieser Sachlage nicht abfinden. Wir werden die Regierung und die Regierungsparteien mit allen parlamentarischen Mitteln immer wieder an ihre Pflicht erinnern, für eine Vereinfachung des Sozialrechts Sorge zu tragen.
Nun zu den sonstigen Mängeln in bezug auf die Rentenberechnung ! Wir wissen aus offiziellen Erklärungen, daß im Jahre 1957 der Kauf der Beitragsmarken zur freiwilligen Versicherung so gering war wie niemals seit der Währungsreform. Wir sind uns alle darin einig, daß es eine sinnvolle Regelung ist, wenn dem Versicherten die Möglichkeit gegeben wird, durch freiwillige Beiträge seine Altersversorgung zu verbessern. Es ist doch ein bedenkliches Zeichen, wenn das Ausmaß der freiwilligen Versicherung in so erschreckender Weise geringer geworden ist. Dafür gibt es viele Gründe; wir können sie im einzelnen untersuchen. Ich will hier keine versicherungstechnische Vorlesung halten. Aber zweifellos liegt einer der Gründe in der Tatsache, daß das Recht so kompliziert ist.
— Aber, Herr Kollege, haben Sie denn niemals eine Zuschrift von Versicherten erhalten, die sich am Schluß des vergangenen Jahres überlegt haben, was sie nun an freiwilligen Beiträgen entrichten sollten?Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen, daß sich selbst Kollegen dieses Hauses, nicht nur Kollegen meiner Fraktion, darüber zu informieren versucht haben, wie sie denn die Weiterversicherung regeln könnten. Ich verweise auf die Klagen der Damen und Herren der Presse. Auch sie haben die größten Schwierigkeiten gehabt, eine Entscheidung zu treffen. Ich hatte die große Freude, mit meinem bescheidenen Wissen dem und jenem in dieser komplizierten Materie einen kleinen Rat zu geben. Aber die Weiterversicherung ist so kompliziert, daß der einzelne oft nicht weiß, was er zweckmäßigerweise an Beiträgen entrichten soll. Hierzu muß nämlich seine individuelle Bemessungsgrundlage festgestellt werden; und das herauszubekommen ist eine schwierige Sache. Das weiß doch jeder von uns mit Ausnahme derjenigen Kollegen, die nichts mit der Sozialversicherung zu tun haben. Es ist eine bedauerliche Folge dieser Komplizierung, daß Hunderttausende von Menschen es unterlassen haben, nun Marken der freiwilligen Versicherung zu kaufen und so zusätzlich etwas für ihre Alterssicherung zu tun.Aber nun zu den sonstigen Mängeln. Da muß ich mich ein wenig mit dem Herrn Minister in bezug auf die Versicherungstechnik auseinandersetzen. Wir werden sicher irgendwann Gelegenheit haben, das im Ausschuß genauer zu tun. Herr Minister, es ist nicht zu bestreiten, und Sie haben es auch nicht bestritten, daß es nach dem gegenwärtigen Recht möglich ist, eine gleiche Steigerung der Rentenleistung zu erhalten, gleichgültig ob der geringste Beitrag von 14 DM oder der höchste Beitrag von 105 DM gezahlt wird. Eine solche Wirkung ist doch unbefriedigend und ungerecht. Wie kann der Minister von „angeblichen Ungerechtigkeiten" sprechen, wenn man die gleiche Leistung erreichen kann; ob man nun im Monat 14 oder 105 DM zahlt? Ein solches Prinzip hat mit dem Grundsatz einer beitragsgerechten Rente wenig zu tun.Es ist falsch, was der Herr Minister gesagt hat: das treffe den freiwillig Versicherten und der solle sich um seine Sozialversicherung kümmern und sich den günstigsten Beitrag ausrechnen lassen. Die Sache trifft aber leider nicht nur den freiwillig Versicherten, sondern es trifft in dem gleichen Ausmaße auch den Pflichtversicherten. Dieser hat aber keine Möglichkeit, zu erklären: Ich zahle nur 14 DM Beitrag statt einen Beitrag entsprechend meinem Arbeitseinkommen. Der Pflichtversicherte ist nach dem Gesetz verpflichtet, Beiträge zu zahlen, von denen er nicht weiß, ob er durch sie seine Rente entsprechend steigert. Das halten wir für einen unmöglichen Zustand, und ich bedaure sehr, daß der Herr Minister nichts darüber gesagt hat, wie man diesem Übelstand beseitigen kann.Herr Minister, Sie haben sich dann weiter mit der Frage auseinandergesetzt, daß sich bei Ersatzzeiten de facto eine Senkung der Bemessungsgrundlage ergeben kann. Sie haben gesagt, die Sozialdemokraten hätten das juristisch falsch formuliert; wenn sie erklärten, ein Rentenanspruch könne sich vermindern, müsse dieser Anspruch doch zunächst einmal gegeben sein. — Herr Minister, wir wollen hier sozialpolitisch sprechen. Der Inhalt dessen, was gemeint ist, ist klar, und dieser Inhalt ist bedenklich. Er trifft die Menschen, die lange Kriegsdienstzeiten haben, und er trifft vor allen Dingen die älteren Menschen, die früher in einer höheren Gehaltsgruppe waren und später eine geringer bezahlte Tätigkeit angenommen haben. Frau Kollegin Kalinke, Sie wollen das noch erläutern? Ich bin Ihnen dankbar!
Nein, nicht erläutern, nur fragen! Ich beklage ja mit Ihnen die Zustände. Nur, Herr Kollege Schellenberg, sind Sie nicht der Meinung, daß diese Zustände, die wir gemeinsam beklagen, doch die Folge der Konzeption sind, deren Sie sich rühmen, nämlich der Bindung der Rentenformel an den Lohn? Daß das solche Folgen haben mußte für Leute mit geringerem Einkommen, für ältere Angestellte, für Frauen usw., ist eines der Probleme. Auf die anderen werde ich noch eingehen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal sagen würden, ob bei dieser Rentenformel eine andere Lösung möglich gewesen wäre.
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500 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958
Frau Kollegin Kalinke, Sie verfolgen doch die Fachpresse und die Tagespresse genau, und Sie haben — das ergab sich aus der zweiten Lesung — besondere Aufmerksamkeit den Ausführungen von Dr. Heubeck geschenkt.
Sie hatten doch auch vorgeschlagen, daß Dr. Heubeck als Sachverständiger in den Ausschuß kommt.
Herr Dr. Heubeck hat in der „Zeit" — ich kann Ihnen das Zitat vorlesen — erklärt, und mit Recht erklärt, daß es nicht sehr schwierig gewesen wäre, im Rahmen des geltenden Systems diesen Mißstand der Senkung der Leistung bei weiterer Beitragszahlung zu beseitigen. Man kann ihn beseitigen. Ich möchte hier nicht eine versicherungstechnische Vorlesung halten. Ich sage, man kann den Mißstand beseitigen, indem man eine besondere Berechnung für die Ersatzzeiten vornimmt. Das kann man technisch regeln. Wir beanstanden, daß der Minister zu all diesen Mängeln noch gesagt hat, sie seien geringfügig und träfen nur einen kleinen Personenkreis; die Behebung der Mängel sei zu schwierig, und man solle besser die Hände davon lassen. Damit kritisiert der Herr Minister doch das System des Gesetzes, denn er sagt: Das System ist jetzt schon so kompliziert! Wenn man daran noch etwas zur Beseitigung von Mängeln ändert, klappt das ganze System nicht! — Das ist gerade Gegenstand unserer Kritik.Es ist nach unserer Auffassung ein sehr unerfreulicher Zustand, wenn jemand, der nach einer langen Arbeitslosigkeit wieder mit einem geringeren Arbeitseinkommen arbeitet als vorher — weil er auf Grund seiner sozialen Lage dazu genötigt ist —, dafür später durch eine niedrigere Rente bestraft wird. Das ist eine unmögliche Sachlage, die beseitigt werden muß. Das hängt unter anderem mit der Höchstbegrenzung zusammen. Ich will darauf im einzelnen nicht eingehen. Ich bedaure nur, daß der Herr Minister diese Tatbestände vor dem Hause bagatellisiert hat und daß er vor allen Dingen keine Vorstellungen entwickelt hat, wie man diese Mißstände und Schwierigkeiten beseitigen kann. Wenn der Herr Minister schon keine konstruktiven Vorschläge dafür entwickeln konnte, dann hätte er zumindest ein Wort dazu sagen sollen, was man tun kann, um die Betroffenen besser zu beraten. Wir Sozialdemokraten haben bei der Beratung des Gesetzes den Antrag gestellt, eine Beratungspflicht in der sozialen Rentenversicherung einzuführen; ob nun der Rentenversicherungsträger oder das Versicherungsamt damit befaßt wird, ist egal. Meine Damen und Herren, Sie haben es abgelehnt. Sie überlassen die Menschen ihren Schwierigkeiten, und das ist eine bedauerliche Sache.Es gibt noch viele andere Unerfreulichkeiten. Vor einigen Wochen stand in der Presse die Mitteilung, die Rentenbemessungsgrundlage für 1958 sei um 6 % erhöht worden. Auf Grund dieser Mitteilung mußten Millionen von Menschen annehmen, sie würden in den nächsten Wochen und Monaten eine entsprechende Erhöhung der Rente erhalten. Tatsächlich entspricht das nicht der Gesetzeslage; frühestens im September können Regelungen durch Gesetz getroffen werden. Ich bitte die Bundesregierung doch sehr, wenn sie der Öffentlichkeit entsprechende Mitteilungen macht, ganz deutlich zu sagen, worum es sich handelt. Wenn es nämlich heißt: „Die Bemessungsgrundlage für 1958 wird verändert", dann erweckt man dadurch den Eindruck — jedenfalls hat es die Presse so verstanden —, daß jetzt auch die laufenden Renten erhöht werden, während es praktisch den Neuzugang betrifft; über die unerfreulichen Auswirkungen beim Zugang wird hier noch ein anderer Kollege etwas zu sagen haben.Ich komme nun zur finanziellen Situation und nähere mich damit dem Ende meiner Ausführungen. Wir alle wissen, daß bei der Beratung der Rentenneuregelungsgesetze der Bundestag und die Öffentlichkeit mit sehr kritischen Stellungnahmen zu dem Grundsatz der Dynamisierung überschüttet wurden und daß erklärt wurde, die Neuregelung der Renten würde zu einer Beeinträchtigung der Währung, der Wirtschaft und des Preisgefüges führen. Es verdient festgehalten zu werden, daß auch Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere der Herr Bundeswirtschaftsminister und der frühere Finanzminister, Herr Schäffer, durch diese Kritik nicht unwesentlich beeinflußt worden sind und daß auch Mitglieder der Regierungsparteien auf Grund dieser Kritik die Gesetze abgelehnt haben. Heute steht fest, daß die Spareinlagen seit der Währungsreform in keinem Jahr so hoch gewesen sind wie im Jahre 1957.
— Wenn man eine Diskussion über die Rentenneuordnung führt, muß man sich daran erinnern. Herr Kollege Ruf, auch Sie gehörten zu denjenigen im Ausschuß, die anfällig gegenüber der Kritik an der Neuordnung waren.
— Herr Kollege Ruf, wir wollen nicht in alten Protokollen blättern; da gibt es böse Dinge in bezug auf das Auseinanderfallen in der CDU bei der Rentenneuordnung. Es gab sehr bedeutsame Strömungen, deren Vertreter gesagt haben: Wir wollen doch lieber den Vorschlag von Herrn Schäffer übernehmen und jetzt nur eine einmalige Zulage gewähren, usw. Nur der Tatbestand, daß die Sozialdemokraten einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten,
und der Umstand, daß der 15. September an die Tür klopfte, haben dann Ihre Arbeiten beschleunigt.
— Meine Damen und Herren, darüber soll man freimütig sprechen. Ich habe eine dicke Mappe da,
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Dr. Schellenbergund ich kann Ihnen die Zitate Ihrer eigenen Minister gern vorlesen, wenn Sie das wünschen.
— Sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende? Hier im Bundestag?
— Herr Kollege Schütz, wir können uns gern weiter darüber unterhalten. Es gab auch einige Sozialdemokraten — Sie können sie an den Fingern abzählen —, die nicht diesem Bundestag angehören, die jene Kritik an der Dynamik zur Kenntnis genommen haben.
— Herr Kollege Schütz, ich spreche von den Beratungen in diesem Hause, von den Beratungen im Plenum und im Ausschuß und von der Stellungnahme der Bundesregierung.In finanzieller Hinsicht kommt noch etwas anderes hinzu. Vor einem Jahr wurden die Anträge der Sozialdemokraten, den Härten und Unzulänglichkeiten zu begegnen, von Ihnen unter Hinweis auf die finanzielle Lage größtenteils abgelehnt. Als Unterlage diente ein Voranschlag der Bundesregierung. Aus diesem Voranschlag ging hervor, daß sich für 1957 ein Überschuß von nur 189 Millionen DM ergeben würde, und dann wurde erklärt, es sei kein Fettpolster mehr vorhanden, die Härten und Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Was stellt sich jetzt heraus? Den Abschluß für 1957 habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen, aber eine Veröffentlichung der Bundesbank. In dieser wird erklärt, 1957 betrage der Überschuß 1 750 Millionen DM. Meine Damen und Herren, der Überschuß soll nach der Meinung der Bundesbank also das Zehnfache dessen betragen, womit die Bundesregierung gerechnet hat. Das ist doch eine Fehlschätzung in einer Größenordnung, die die Grenze des Vertretbaren übersteigt.Selbstverständlich freuen wir Sozialdemokraten uns über die günstige Finanzentwicklung; das ist selbstverständlich. Aber wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, daß damals eine Reduzierung der voraussichtlichen Überschüsse mit dem Hintergedanken erfolgte, die Anträge auf Leistungsverbesserung als finanziell unmöglich darzustellen. Das muß festgehalten werden. Die Sachlage ist heute so, daß die Rentenversicherung Ende 1957 wieder über ein Vermögen von rund 11 Milliarden DM verfügt.
— Ich habe gesagt: wir freuen uns darüber. Aber wir sind der Meinung, daß diese Überschüsse die Möglichkeit geben, eine Reihe der schwersten Härten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Das ist unser Anliegen, und diesem Ziele dient auch unsere Große Anfrage.Ich komme jetzt zum Schluß. Der Herr Bundesarbeitsminister bemüht sich — das möchte ich auch hier in aller Öffentlichkeit erklären —, im sozialpolitischen Bereich für eine gute Atmosphäre zu sorgen. Ich habe ebenso wie meine Freunde am Schluß des Jahres mit großem Interesse gelesen, daß der Herr Bundesarbeitsminister aus Anlaß des Jahreswechsels erklärte:Ich pflichte der Kritik bei, die sagt, daß die Verteilung des wachsenden Wohlstands sozial unbefriedigend ist.Diese Auffassung des Herrn Ministers können wir voll und ganz unterstützen. Aber ich bedaure, daß bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage die Vorstellungen über eine gerechtere Verteilung im sozialen Bereich nicht voll zum Ausdruck gekommen sind. Der Herr Minister hat ein hartes Wort gesprochen. Er hat von „angeblichen Härten" gesprochen. Wer die Sorgen der über drei Millionen Menschen kennt, die bei der Rentenneuregelung zu kurz gekommen sind, muß diese Erklärung des Ministers als eine schwere Kränkung dieser Menschen empfinden.Ein letztes Wort! Wir Sozialdemokraten erklären jetzt bei dem ersten Überblick über die Rentenneuregelungsgesetze, daß wir auf der einen Seite anerkennen, daß die Leistungen für einen Teil der Rentner beachtlich, zum Teil sehr beachtlich verbessert worden sind. Aber wir müssen auf der andern Seite feststellen, daß unsere Befürchtungen in bezug auf eine Reihe von Mängeln und Fehlern der Gesetzgebung traurige Wirklichkeit geworden sind. Die Aufgabe der Zukunft muß sein, diese Härten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen und eine Reform der sogenannten Rentenreform durchzuführen, damit wir zu einer umfassenden sozialen Neuordnung kommen, die ein Vorbild für Gesamtdeutschland sein kann.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, an sehr erfreuliche Worte von Herrn Kollegen Schellenberg anknüpfen zu können. Er hat ja als Fazit seiner Erörterung en erklärt, die sozialdemokratische Fraktion erkenne an, daß das Gesetz über die Neuregelung der Renten eine große Leistung sei.
— Natürlich. Er hat gesagt, daß er absolut nicht, auch wenn er hier Mängel aufgezeigt habe, den Eindruck erwecken wolle, als ob dieses Gesetz nichts bedeute. Nun, genau das ist es, was ich als erstes feststellen will. Ich will als erstes feststellen, daß man draußen im Lande nicht von den Mängeln und Härten, sondern von der Großtat der Rentenreform spricht.
Und wenn Sie sagen, die Sozialdemokraten seien stolz darauf, an diesem Gesetz mitgearbeitet zu haben, so kann ich sagen: wir danken es Ihnen. Aber wir sind stolz darauf, daß dieses Rentenneu-502 Deutscher Bundestag— 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958Stinglregelungsgesetz die Handschrift der Christlichen Demokraten trägt und von uns geprägt ist.
Was soll das Vortragen von Überlegungen, die wir alle schon in der ersten, in der zweiten und in der dritten Lesung gehört haben, als es immer wieder hieß: Wir haben erst ein Gesetz vorgelegt! Bei uns wäre es besser gewesen! Maßgebend ist einzig und allein, was gestaltet wird, was gestaltet werden kann und was auch verantwortet werden kann. Da glauben wir, daß wir mit den Rentenneuregelungsgesetzen eine wirklich große Tat vollbracht haben. Wir haben das Ziel erreicht, das wir erreichen wollten: den Rentner entsprechend dem Verlauf seines Arbeitslebens in die Lage zu versetzen, dann, wenn er Rentner wird, entsprechend der von ihm geleisteten abhängigen Arbeit aus der Rente seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.Ich finde es eigentlich erfreulich, wenn die SPD in einer Großen Anfrage, in der Begründung der Großen Anfrage und in der Diskussionsrede zur Antwort des Herrn Bundesministers nicht mehr vorbringen kann als Erscheinungen, die tatsächlich am Rande liegen, die teilweise nur mit Auslegungsschwierigkeiten zusammenhängen und die letzten Endes, soweit es eben nicht solche Auslegungsschwierigkeiten oder Randerscheinungen sind, alle im Ausschuß und im Plenum schon einmal diskutiert worden sind. Wenn sie nichts anderes vorzubringen hat, dann gesteht sie damit doch wohl ein, daß auch sie der Meinung ist — Herr Schellenberg hat es ja ausgeführt —, daß das Gesetz im Grundsatz und in der Anlage gut ist.
Es ist ganz merkwürdig, daß der erste Teil der Großen Anfrage der SPD Verfeinerungen verlangt, die eine Arbeitsbelastung der Rentenversicherungsträger von mindestens zwei bis drei Jahren für die Umrechnung des jetzigen Bestandes bedeuten. Die gleiche Fraktion verlangt in der gleichen Großen Anfrage, daß alle Renten schneller umgestellt würden. Meine Damen und Herren, das kann man einfach nicht. Man kann nicht jede Rente individuell berechnen und zugleich sagen: sie muß schon umgestellt sein. Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang auch einmal auf das hinweisen, was Sie im Verlauf Ihrer Ausführungen sagten. Sie kritisierten die Mehrheitspartei, sie habe mit den Umstellungsfaktoren Ungerechtigkeiten und ähnliches eingeführt.
Ich habe inzwischen noch einmal den § 120 Ihres Entwurfs nachgelesen. Auch Sie haben Umstellungsfaktoren drin. Sie wollen in diesen Umstellungsfaktoren genau die gleichen Grundsätze berücksichtigt wissen, wie wir sie in den Umstellungsfaktoren berücksichtigt haben.Hinzu kommt noch, Herr Kollege Schellenberg, daß in Ihren Umrechnungsfaktoren die zusätzlichen 15 % gar nicht drinstecken. Sie können mir natürlich entgegenhalten, Herr Kollege Schellenberg, dafür stehe in § 121 — oder 122, so genau weiß ich es nicht mehr — bei Ihnen, daß jeder das Recht habe, individuell die Umrechnung zu beantragen. Sie würden also, Herr Kollege Schellenberg, denjenigen, der weniger vom Schicksal betroffen ist, wesentlich begünstigen gegenüber dem anderen. Sie würden ihm die Möglichkeit geben, alle Zeiten nachzurechnen, während derjenige, der ausgebombt oder heimatvertrieben ist, eben doch auf eine Pauschalierung, eben doch auf einen Faktor angewiesen bleibt und angewiesen bleiben muß.Tatsächlich ist es so — und Sie haben es ja anerkannt —, daß die Leistungen in der Rentenversicherung erheblich gestiegen sind. Die Rentenausgaben sind auf 11,6 Milliarden DM im Jahr gestiegen, wenn auch vielleicht noch die 0,8 Milliarden DM Nachzahlungen nicht schon auf die einzelne Mark festgelegt werden können.Sie haben bestritten, daß die Mehrleistung über 5 Milliarden DM betrage, indem Sie immer wieder sagten, das sei ja nicht die richtige Ausgangsbasis; wir hätten da völlig vergessen, daß auch im Jahre 1956 Sonderzulagen gezahlt worden seien. Herr Kollege Schellenberg, eben gerade diese Sonderzulagen waren kein Bestandteil der Rente. Wir hatten das ausdrücklich in das Gesetz hineingeschrieben. Infolgedessen müssen wir doch einmal bei der Neuumstellung sehen, wie sich die Renten geändert haben.
— Nein, Sie kommen doch immer damit! Wir bestreiten doch gar nicht, daß die Rentenausgaben von 1956 bis 1957 nicht um 5,5 Milliarden DM gestiegen sind, sondern wir sagen: sie sind um 4,3 Milliarden DM gestiegen.
— Nein, ich berichtige den Herrn Bundeskanzler nicht; denn der Herr Bundeskanzler hat sich darauf bezogen, daß. die Rentenleistungen, die laufende Renten sind, um 5,5 Milliarden DM steigen, und das stimmt weiterhin, wenn es auch vielleicht 5,3 Milliarden DM sind. Bis jetzt wissen weder Sie noch ich die genaue Zahl.Sie sprechen dann davon, daß wir keine Erhöhung von 60 % hätten. Dafür gilt doch wiederum genau das gleiche, Herr Kollege Schellenberg. Sie können die Sonderzulagen, die nach anderen Grundsätzen gegeben waren, die nicht den Umrechnungsbestimmungen, welche individueller Natur sind, unterlagen, die auch modifiziert waren, aber nicht gleich ausgefeilten modifizierten Bestimmungen unterlagen, nicht einfach als früheren Rentenbestandteil ansehen. Sie müssen von der früher festgestellten, nach dem Mehrbetragsgesetz gebildeten Rente ausgehen. Auch Sie haben ja bei der Umstellung Ihrer Rente den Steigerungsbetrag heranziehen müssen. Es geht ja gar nicht anders. Sie müssen also auch den ursprünglichen Rentenbestand, entkleidet seiner Grundrente, seines Beiwerks, ins-
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Stinglbesondere natürlich entkleidet einer Sonderzulage, die nur für eine Überbrückung gelten soll, darstellen.Sie haben dann noch davon gesprochen, daß der Geldüberschuß bei den Rentenversicherungsträgern wesentlich höher sei, als es vorausgesehen war. Ich stimme Ihnen zu. Sie haben die Zahl — mir sind die Unterlagen bekannt — richtig angegeben. Wir haben 1,7 Milliarden DM Überschuß. Aber ich darf dagegenhalten, Herr Kollege Schellenberg: wir müssen damit rechnen, daß die neuen Anträge auf Grund des Rechtes auf Rente, das wir erst durch unser Gesetz gegeben haben, noch einen Betrag von etwa 800 Millionen DM beanspruchen werden.Wir müssen dabei auch berücksichtigen, daß neu hinzukommende Renten gerade durch die von Ihnen vorhin angesprochene Erhöhung der Bemessungsgrundlage höher gezahlt werden müssen. Wir müssen bedenken, daß die Anpassung der laufenden Renten — wenn auch nicht ab 1. Januar — immerhin Geld in Anspruch nehmen wird, so daß also der Überschuß nicht in Höhe von 1,7 Milliarden bestehenbleiben wird. Er wird aber Gott sei Dank höher sein, als er vorausberechnet war. Gott sei Dank sagen wir auch deshalb, weil das ein Zeichen dafür ist, daß es uns gelungen ist, durch unsere Wirtschaftspolitik einen Aufschwung beizubehalten. Wir zählen diese Dinge immer insgesamt als den Erfolg unserer politischen Arbeit. Man muß das Wirtschaftsgeschehen und das sozialpolitische Geschehen nebeneinander sehen.
Wir werden in Zukunft wahrscheinlich auch einen Ausbau der Heilverfahren erwarten können. Die Bestimmungen der neuen Gesetze sind ja noch nicht so weit ausgeschöpft, daß schon alles perfektioniert ist. Auch deshalb werden wir überlegen müssen, wie die Finanzierung der Rentenversicherung gesichert wird. Wir werden immer wieder mit sehr wachsamem Auge darauf schauen müssen.Sie bezweifelten, daß durch die Neuregelungsgesetze Mehrarbeit bei den Rentenversicherungsträgern entstanden sei. Sie haben Zahlen genannt, aus denen hervorgehen soll, daß die Eingänge gegenüber früher nicht gestiegen seien. Sie bezogen sich dabei auf die Arbeiterrentenversicherung, die frühere Invalidenversicherung. Man darf aber nicht die Zahlen der Invalidenversicherung von 1956 den Zahlen von 1957 gegenüberstellen; denn die Eingänge in der Invalidenversicherung von 1956 sind keine Normaleingänge gewesen. Die Mehreingänge in der Arbeiterrentenversicherung in diesem Jahre sind darauf zurückzuführen, daß das Gesetz über die Witwen, um das sich unser Kollege Schüttler besonders verdient gemacht hat, mehr Anträge gebracht hat.Ich darf Ihnen die Zahlen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nennen; sie allein können ein klarer Maßstab sein. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat im Jahre 1953 monatlich einen Eingang von 13 000 Rentenanträgen gehabt. Ich möchte meinen, 1953 sollte kein Vergleichsjahr sein, weil wir wissen, daß die Bundesversicherungsanstalt knapp zuvor errichtet wurde. Aber die Gegenüberstellung der Zahlen von 1956 mit den Zahlen von 1957 gibt schon ein sehr anschauliches Bild. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat im Jahre 1956 einen monatlichen Durchschnittseingang von 17 960 Rentenanträgen gehabt. Sie hat im Jahre 1957 einen Durchschnittseingang von 23 813 Rentenanträgen gehabt. Das sind im Monatsdurchschnitt immerhin 6000 Anträge mehr als in dem voraufgegangenen Jahr.Daß diese Mehreingänge an Rentenanträgen eine große Mehrbelastung bringen, ist doch wohl nicht zu bezweifeln. Der Rückstand in der Bearbeitung von Rentenanträgen ist in der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte höher geworden; er beträgt jetzt 159 000 Rentenanträge. Das ergibt immer noch einen Durchschnitt von sechs Monaten Bearbeitungszeit. Sie können einfach nicht bestreiten, daß das eine wahre Zahl ist.
— Natürlich, Herr Kollege Schellenberg.
Natürlich, Herr Kollege Schellenberg, gibt es solche Anträge. Ich gestehe ganz offen, daß ich selber eine Reihe, eine Vielzahl von Briefen — namentlich von Landsleuten von mir — in dieser Richtung bekommen habe. Es gibt eine Unzahl von Fällen, bei denen die Bearbeitung länger dauert, aber auch eine große Anzahl, die schneller bearbeitet werden. Wenn wir 23 800 oder rund 24 000 Eingänge pro Monat haben und der Rückstand rund 160 000 beträgt, so bedeutet das, daß wir einen Rückstand von 61/2 Monaten haben. Das kann sich jeder nach Adam Riese ausrechnen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte war, bevor wir die Rentenversicherungsneuregelungsgesetze beschlossen haben, auf einen Rückstand von drei Monaten gekommen. Dabei bedeutet diese Angabe — drei Monate — nicht, daß jeder, der einen Rentenantrag stellt, innerhalb von drei Monaten den Rentenbescheid in Händen hat.Hier ist ein sehr ernstes Kapitel anzuschneiden. Gerade die vielen, die ihre Unterlagen verloren haben, sind natürlich in einer schwierigen Lage. Die Beweisnot verursacht, daß die Bearbeitung ihrer Anträge länger dauert. Ich bin aber sicher, daß es uns gelingen wird, ein Verfahren zu finden, das insbesondere eine Regelung für diese und für die Wanderversicherten treffen wird. Bei diesem Personenkreis sind immer wieder Nachfragen bei den Landesversicherungsanstalten notwendig. Es muß also ein Verfahren ausgearbeitet werden, wonach Vorschüsse gezahlt werden können, damit, sobald die Erfüllung der Wartezeit nachgewiesen ist, eine Zahlung einsetzen kann, die natürlich nicht der endgültig zu erwartenden Rente oder dem Ruhegeld entsprechen kann. Jedenfalls haben wir in der Bundesversicherungsanstalt jetzt einen Rentenbestand von 1 620 000 gegenüber 1 442 000 im Jahre
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Stingl1954. Ich glaube, diese Zahl zeigt, daß schon einiges getan und erreicht worden ist.Nun wird gesagt — der Herr Kollege Schellenberg hat es immer wieder besonders betont —, die Enttäuschung über die Erhöhung der Renten sei im ganzen Lande allgemein. Entweder, Herr Kollege Schellenberg, nur Sie reisen durch die Lande, oder uns wird überall Falsches erzählt!
Gewiß haben wir Fälle, in denen Enttäuschte zu uns kommen. Aber diese Menschen sind enttäuscht, weil sie den Gedanken, den Gehalt, den die Rentenneuregelungsgesetze haben, nicht entsprechend auf ihren Fall angewendet haben. Darum gibt es natürlich auch Enttäuschte. Für meinen Teil kann ich aber nur feststellen — und ich habe das im Süden und Norden, in Berlin und anderswo feststellen können —, daß die Rentner von der Erhöhung ihrer Renten befriedigt sind.Das geht so weit — lassen Sie mich diese Story erzählen —, daß ich mit einem meiner Bekannten gewettet habe. Dieser Bekannte sagte, er glaube nicht, daß seine Rente 300 Mark betragen werde. Wir wetteten also, und nach vierzehn Tagen schrieb er mir strahlend, er habe die Wette verloren.
— Ich komme noch darauf zurück, Herr Kollege Schellenberg. — Die Renten sind so weit erhöht worden, daß die allgemeine Meinung nicht einer Enttäuschung gleichkommt, sondern die Meinung dahin geht: Wir sind angenehm überrascht worden!
Nun aber jetzt in diesem Zusammenhang gleich ein sehr deutliches Wort, Herr Kollege Schellenberg und wen es sonst im Hause angeht! Wenn Sie in die Angestellten- oder Arbeiter- oder Knappschaftsversicherung, überhaupt in irgendeine Versicherung Mindestrenten einfügen wollen, dann kann ich für mich persönlich — und ich glaube, auch für meine Fraktion — sagen: Wir werden uns unter allen Umständen mit Nachdruck und immer jeder Art von Mindestrenten widersetzen, weil wir der Meinung sind, daß es die Versicherungsprinzipien — —
Herr Abgeordneter Stingl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte!
Herr Abgeordneter Stingl, Sie waren so freundlich, vorhin den Gesetzentwurf der Sozialdemokraten zu zitieren. Ist Ihnen bekannt, daß die Sozialdemokraten keine Mindestrenten in diesem Sinn, wie Sie sie hier kritisieren, gefordert haben, sondern daß die Sozialdemokraten gefordert haben, daß von Mindestarbeitsverdiensten der Pflichtversicherten ausgegangen wird? Das ist etwas ganz anderes.
Herr Kollege Schellenberg, Sie geben mir eine willkommene Gelegenheit, Ihnen etwas Grundsätzliches zu sagen. Die Rentenversicherung ist kein Ausgleich, kein Äquivalent für irgendwelche unterschiedlichen Lohn- oder Gehaltsverhältnisse in der Bundesrepublik oder sonstwo.
Die Rentenversicherung ist eine Gemeinschaft von Versicherten. Sie hat unter gar keinen Umständen die Aufgabe, den Ablauf eines Versicherungslebens irgendwie auszugleichen.Ich komme da gleich auf etwas anderes. Sie führten den Fall an, daß jemand nach langer Arbeitslosigkeit einen Beruf ergreifen muß, in dem er weniger verdient, als er vorher verdient hat. Meine Damen und Herren, das ist kein Risiko, das die Versichertengemeinschaft zu tragen hat. Das ist selbstverständlich ein Risiko, das auf den einzelnen zukommt. Wenn dieses Risiko ausgebügelt werden müßte, weil andere äußere Verhältnisse — etwa die Vertreibung — eingetreten sind, ist es etwas anderes. Dieser Ausgleich ist aber keine Aufgabe der Versichertengemeinschaft. Dann müßten andere Hilfen einsetzen.
— Ja!
— Nein, das ist nicht die Konsequenz, Herr Kollege Schellenberg. Daß wir die Kriegsdienstzeit und die Zeit der Vertreibung als Ersatzzeiten, daß wir die Arbeitslosigkeit, die Krankheit als Ausfallzeiten in das Gesetz eingeführt haben, hat eine völlig andere Bedeutung. Der Mann ist vorher und ist hinterher in der Versichertengemeinschaft und hat einen Versicherungsverlauf, in dem ohne sein eigenes Verschulden eine Lücke ist, die er nicht ausfüllen konnte. Hier füllen wir ihm diese Lücke — und darin unterscheiden wir uns im übrigen ja auch — mit dem durchschnittlichen Lebensstandard aus, der sich aus seinem gesamten Leben ergibt. Was Sie verlangen, ist ja, daß Sie praktisch, wenn jemand fünfmal arbeitslos gewesen ist, fünf verschiedene Ersatzzeiten bewerten müßten.
— Das ist die Vereinfachung, jawohl, Herr Kollege Schütz. — Oder wir müßten für jeden Rentenfall, den wir ausrechnen — das können Sie nicht bestreiten, Herr Kollege Schellenberg —, erst zwanzig oder dreißig Berechnungen — wenn er keine Ausfallzeiten hat, eine, aber sonst entsprechend viele— anstellen, um zu berechnen, was das Günstigste ist. Ja, meine Damen und Herren, man kann nur
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Stingleines: man kann nur entweder eine möglichst getreue, dem Lebensstandard entsprechende Berechnungen bringen oder man kann eine Komplizierung bringen; dann kann man aber nicht im selben Zusammenhang eine schnellere Berechnung fordern.
Herr Kollege Stingl, es ist Ihnen doch bekannt, daß die strittige Frage die ist, daß für 7 Millionen Rentner die tatsächlichen Zeiten des Kriegsdienstes und der Arbeitslosigkeit jetzt nicht berücksichtigt werden und daß praktisch derjenige, der nicht eingezogen war, den gleichen Zuschlag erhält, ja einen höheren, wie derjenige, der 5 oder 10 Jahre eingezogen war. Was wollen Sie tun, so frage ich, um diese Ungerechtigkeit für Millionen Menschen, die jetzt Rentner sind, zu beseitigen?
Ich kann Ihnen sofort antworten: nichts! Herr Kollege Schellenberg, Sie können natürlich nicht erwarten, daß ich auf Dinge, die Sie in einer Stunde vorgetragen haben, innerhalb von fünf Minuten antworte. Ich hatte mir vorgenommen, darauf noch einzugehen; ich kann es jetzt oder nachher. Ich behalte mir vor, es nachher noch zu tun.Ich sagte vorhin — Sie hatten mich durch eine Frage unterbrochen —: wir werden uns — ich für meinen Teil, und ich kann es mit Nachdruck auch für meine Fraktion sagen — unter allen Umständen gegen jede Art der Mindestrente wehren. Die Mindestrenten, die auf jeden Fall den Lebensunterhalt sichern sollen, sind versicherungsfremd. Sie können das gar nicht bestreiten.
Wenn jemand aus seiner Versicherung seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann oder nicht so bestreiten kann, wie wir es uns vorstellen, dann ist es Aufgabe nicht der Versichertengemeinschaft, sondern der Allgemeinheit, dies zu korrigieren und auszubügeln. Wir werden an dem Prinzip der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge festhalten.
Abgesehen davon: jede Einführung einer Mindestrente bei uns in der Rentenversicherung — Sie haben es im übrigen nicht gefordert, aber ich sage es vorbeugend —, —
— In der Form haben Sie es nicht gefordert.
— Ich halte es für notwendig, daß man manchmal auch etwas klarstellt, was nicht schon gesagt ist.
— Ich danke Ihnen das ja, Herr Kollege Schellenberg. Ich bin sehr einverstanden, daß Sie genausowie wir gegen die Ambitionen der FDP waren, eine Mindestbemessungsgrundlage einzuführen. Wir gehen einig. Sie gehen nur einen Schritt näher an die FDP heran. Nicht einmal diesen kleinen Schritt machen wir mit!
In der jetzigen Konstruktion der Rentenversicherung würde im übrigen die Gestaltung der freiwilligen Weiterversicherung jeder Mindestrente entgegenstehen. Sie ist einfach nicht möglich, weil der freiwillig Versicherte die Möglichkeit hat, so wenig Beiträge zu zahlen, wie es ihm beliebt. Wenn er dafür eine Mindestrente bekäme, wäre das schlechterdings nicht zu verantworten.
— Wir sind uns einig; aber ich darf das feststellen.Ich möchte noch einmal sagen: Wir werden die Forderungen — auch wenn sie noch so versteckt kommen —, fürsorgerische Elemente in die Versicherung hineinzunehmen, ablehnen. Wir werden aber überall mit allem Nachdruck und mit allem Freimut sagen, daß es keine Schande ist, von der Allgemeinheit fürsorgerische Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Hier müssen wir — das gebe ich zu — in manchen Bevölkerungskreisen auch noch ein Umdenken herbeiführen.Im Zusammenhang mit der Ablehnung der Mindestrenten ein Wort zu einem Problem, das zwar hier nicht expressis verbis angeschnitten wurde, das aber draußen häufig diskutiert wird: zum Rentenhöchstsatz, zur Beschneidung der Renten oberhalb einer bestimmten Maximalhöhe. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Rentenbestand und der Berechnung der zukünftigen Renten.Lassen Sie mich die Behandlung der Frage für die zukünftigen Renten vorwegnehmen. Hier ist natürlich vor allem der freiwillig Versicherte interessiert. Sie haben darzutun versucht, daß die Berechnung sehr schwierig sei, daß zunächst von einer Rentenbemessungsgrundlage von 200 % ausgegangen werde und dann am Schluß eine entsprechend beschnittene Rente herauskomme. Meine Damen und Herren, das liegt bei der freiwilligen Versicherung mit drin. Im allgemeinen sind die Leute, die aus der Versicherungspflicht herausfallen, auch nicht gerade die Dümmsten. Sie müssen sich anstrengen und eine genaue Berechnung anstellen, damit sich das tatsächliche Ergebnis nachher auch mit ihren Vorstellungen deckt.Wir wissen aber, daß bezüglich der Umstellung des Bestandes — so nachdrücklich wir auch die Auffassung vertreten, daß ,das angewandte Berechnungsverfahren berechtigt ist — noch Überlegungen insofern angestellt werden müssen, als die abgeschnittenen Rentenanteile zu einem Teil auf freiwilligen Leistungen beruhen, die wir, soweit sie in der Höherversicherung geleistet sind, herausgenommen haben, die wir aber in der sogenannten Überversicherung nicht berücksichtigen konnten. Es sollte angemessen sein, hier einmal Überlegungen anzustellen. Ich darf dabei aber bemerken: der Betroffene möge sich bei all seinen Überlegungen
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Stinglklar sein, daß er mit unserer Umstellung der Renten über die Währungsreform hinweggekommen ist, daß seine Rente dem heutigen Lohnniveau angeglichen ist und daß er, auch wenn er im Vergleich zu den anderen Rentenversicherten nicht soviel Vorteile hat, immer noch gegenüber der früheren Regelung bevorzugt ist. Wir wollen nicht leugnen, daß wir das Problem derer, die freiwillig zu dieser Gemeinschaft beigetragen haben oder die in der Gesamtentwicklung einen anderen Platz eingenommen haben, noch einmal überlegen müssen. Der Grundsatz muß aber bestehen bleiben, daß wir jemanden, der seinerzeit nominell weniger Beitrag gezahlt, aber auch prozentual von seinem Einkommen weniger in die gemeinsame Kasse der Versicherten abgeführt hat, nicht besserstellen können als den, der heute 14 % seines Einkommens und nominell — als freiwillig Versicherter im Höchstfall — 105 Mark als Beitrag zahlt. Wir werden diese Überlegungen sehr wohl gegeneinander abwägen müssen, und wie gesagt, wir sind bereit, uns damit noch einmal zu beschäftigen.Nun einiges zu der Frage, die den Herrn Kollegen Schellenberg besonders beschäftigt hat, zur Frage der individuellen Umstellung. Hier geht es ja insbesondere um die Zeiten, die nicht durch Beiträge belegt sind. Die Durchführung der individuellen Umstellung bedeutet, daß wir über 6 Millionen Rentenakten von vorn bis hinten durchprüfen müssen.
— Wieso?
Herr Kollege Stingl, um Ihnen eine Unterrichtung zu geben — —
Herr Abgeordneter Schellenberg, es sind hier nur Zwischenfragen möglich. Die Unterrichtung eines Redners können Sie erst nach seiner Rede vornehmen.
Ich frage Sie, Herr Kollege Stingl: Ist Ihnen nicht bekannt, daß man eine Berücksichtigung besonders langer Kriegsdienst- und Arbeitslosenzeiten auch in einer pauschalen Weise ermöglichen könnte? Man muß sich aber darüber Gedanken machen, und ich bitte Sie sehr herzlich, dazu Stellung zu nehmen.
Sie müssen sich mindestens darüber Gedanken machen, wo Sie erst einmal den Beweis hernehmen, daß der Betreffende lange Kriegsdienstzeiten, lange Arbeitslosenzeiten, lange Ausfallzeiten hat! Sie müssen bedenken, daß beim Rentenbestand der einzelne Rentenfall gar nicht mehr in seinem Verlauf vorhanden ist. Die Unterlagen sind ja verschwunden. Sie müssen also dann wieder die Arbeitsämter einschalten, die Krankenkassen, die Wehrersatzämter, das Krankenbuchlager in der Papestraße in Berlin, oder was es sonst ist, für jeden einzelnen Fall heranziehen. Ist es etwa eine ungerechte Regelung, wenn ich jedem 15 % seinerVersicherungszeit als Ersatzzeit pauschal dazugebe, wobei zu berücksichtigen ist, daß in seiner Zeit der zweite Weltkrieg sowieso schon enthalten ist, daß wir damit also etwa den ersten Weltkrieg bei den Arbeitern oder die Ausbildungsjahre der Angestellten ausgleichen und daß wir zusätzlich die Inflationsjahre dazugegeben haben? Ist es eine Ungerechtigkeit, wenn alle die Jahre berücksichtigt sind? Es müßte allenfalls gesagt werden — und da könnte man zitieren: Ist dein Auge neidisch, weil ich gut bin? —, daß diejenigen, die keine Ersatz-und Ausfallzeiten haben, hier einen Vorteil haben, indem sie nämlich 15 % mehr bekommen. Das ist richtig.Aber es geht uns darum, eine möglichst saubere, eine möglichst schnelle Umstellung zu erhalten. Wir nehmen es in Kauf, daß wir jemandem einmal etwas mehr geben, wenn wir nur die Gewißheit haben, daß wir im großen und ganzen — und das läßt sich nicht bestreiten — die Ausfall- und Ersatzzeiten entsprechend und günstig berücksichtigt haben.
Herr Kollege Schellenberg, man kann doch nicht jahrelang im zweiten Bundestag Zulagen prozentual zur Rente, die damals noch aus Grundrente und Steigerungsbeträgen bestand, Zulagen, die eine solche Ungerechtigkeit gewesen wären, fordern und heute prozentuale Umstellungen bekämpfen, wenn sie nicht ungerecht sind, sondern zur Bereinigung beitragen und denen zum Vorteil gereichen, die keine Ersatz- und Ausfallzeiten haben. Was hätte denn Ihre prozentuale Erhöhung damals jeweils für Ungerechtigkeiten hervorgerufen!Wir wissen aber andererseits, daß die Nachteile, die jemand einmal haben mag, weil er mehr als 15 % Ausfälle hat, bei weitem ausgeglichen sind. Es ist nicht zu bestreiten, daß die umgestellten Renten, soweit die Rentner noch nicht 65 Jahre alt sind, doch nicht nur Erwerbsunfähigkeitsrenten sind. Ein großer Teil sind Berufsunfähigkeitsrenten. Wir gewähren allen diesen Berufsunfähigkeitsrentnern jetzt schon einen Steigerungssatz von 1,3 %. Nun könnte auch jemand sagen, dann müsse man individuell umrechnen, etwa den Berufsunfähigen nicht so viel, sondern nur 1 % und den Erwerbsunfähigen 1,5 % geben.Das, was Sie mit Kompliziertheit und mit Ungerechtigkeit bezeichnet haben, hat alles seinen Grund darin, daß wir eine so gewaltige Umstellung des ganzen Rentenrechts herbeigeführt haben. Wir sind stolz darauf, daß es uns gelungen ist, den Übergang vom früheren Recht zum heutigen Recht so verhältnismäßig reibungslos zu gestalten, wie wir es getan haben.
Sie wissen ja selbst, daß wir den Steigerungssatz von 1,3 % dann auf 1,5 % erhöhen, wenn der Betreffende 65 Jahre alt wird und sein Altersruhegeld zu beanspruchen hätte. Sie wissen selbst, daß wir den prozentualen Zuschlag von 15 % als Ausgleich für die Mängel im früheren Recht gewähren. Meine Damen und Herren, wie können Sie eigentlich die Bereinigung vornehmen, wenn Sie die dafür not-
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Stinglwendigen Voraussetzungen einfach nicht haben? Es ist Ihnen doch bekannt, daß die Beitragssätze sowohl der nominellen wie auch der prozentualen Höhe nach unterschiedlich waren, daß sie zwischen Arbeitern und Angestellten und daß sie in den verschiedenen Jahrgängen der Angestellten und der Arbeiter unterschiedlich waren. Wir sind nicht ein deus ex machina, der mit einem Schlage nun plötzlich sagt: Es war alles anders, es war ein geordneter Versicherungsverlauf. In die Entwicklung sind eben verschiedene Elemente hineingekommen, verschiedene Denkweisen haben auf sie Einfluß genommen, und dies haben wir — ich bleibe dabei — gut überwunden.
Meine Damen und Herren, Sie können doch auch nicht die Richtigkeit unserer Erklärung bestreiten, daß das Recht für die Zukunft vereinfacht ist. Es wurde Herr Minister Storch zitiert, der einmal gesagt habe, ein Schulkind könne die Rente seines Vaters ausrechnen. Das wird es können, aber nicht heute, wo sein Vater im ersten Weltkrieg gewesen ist, die Inflation mitgemacht hat, vertrieben wurde und im zweiten Weltkrieg war.
— Nein, Herr Kollege Schellenberg, jedes Schulkind wird, wenn von 1957 an die Unterlagen aufgehoben werden, die Bemessungsgrundlage ausrechnen können. Natürlich kann es — Herr Kollege Schellenberg, hier sind wir uns einig, aber dafür ist uns vielleicht Frau Kalinke böse — die nominelle Höhe nicht ausrechnen, weil wir die Renten jeweils an die Entwicklung der Löhne und Gehälter angleichen. Kein Schulkind ist so hellseherisch, daß es wissen kann, wie die Lohnverhältnisse dann sein werden, wenn sein Vater 65 Jahre alt ist. Insoweit stimmen wir miteinander überein.
Wir wissen natürlich, Herr Kollege Schellenberg, daß die Umstellung der Faktoren auch Härten oder, wenn Sie es so nennen wollen, Ungerechtigkeiten insofern bringt, als es einen Unterschied ausmacht, ob man die kontinuierlich geballten Beiträge am Anfang des Versicherungslebens oder am Ende hat. Aber wir stellen den Versicherten so, als hätte er die Beiträge auf sein ganzes Leben verteilt. Das liegt in der Natur einer Pauschalierung. Wir glauben aber, daß diese Pauschalierung in Ordnung ist.Sie haben auch davon gesprochen, daß niedrige Löhne häufig die von Ihnen angesprochenen niedrigen Renten zur Folge hätten. Nun, Herr Kollege Schellenberg, wir haben uns gemeinsam mit Ihnen bemüht, das auszugleichen. Wir haben in die Umstellungsrenten einen Faktor eingebaut, durch den berücksichtigt wird, wenn jemand in der Hauswirtschaft oder in der Landwirtschaft tätig gewesen ist. Für die zukünftig zugehenden Renten haben wir entsprechende Zuschläge bei den nachgewiesenen Zeiten eingeführt. Ich meine, wir sollten das immerhin anerkennen. Wir, die wir es gemacht haben — und Sie selber haben es ja mit uns gemacht —, sollten uns nicht so hinstellen, als wäre das nicht geschehen, als gäbe es das überhaupt nicht. Ob es vielleicht noch zu wenig ist, mag überprüft werden. Aber können Sie ein Jahr, nachdem diese Gesetze in heißen Schlachten verabschiedet und jetzt noch nicht einmal alle Renten umgestellt sind — Sie wissen so gut wie ich, daß noch viele Fälle zu bereinigen sind, daß noch viel getan werden muß —, wirklich schon sagen: Das ist schlecht, das muß geändert werden? Jede Änderung, die wir jetzt einführen, hat zur Folge, daß von den Rentnern noch viel mehr Briefe an uns geschrieben werden, weil die Rentenberechnung noch länger dauert.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben gesagt, der Unterschied zwischen den neuen und den alten Renten sei sehr erheblich.
— Es gebe einen Unterschied zwischen alten und neuen Renten, so habe ich Sie verstanden.
— Nun, es ist gleich. Ganz gewiß gibt es einen Unterschied. Wir wissen sehr wohl, daß es manchmal vom Geburtstag abhängt, ob man eine Umstellungsrente mit einem Pfiff mehr bekommt. Der „Pfiff" ist übrigens gerade das, was Sie bekämpfen wollen. Ich denke nur daran — Sie werden die gleichen Briefe bekommen haben wie ich —, daß die Knappschaftsrentner, die nicht die 60 Monate Wartezeit in der Knappschaft erfüllen und zu der Bundesversicherungsanstalt zurückkommen und die Rente individuell umgerechnet bekommen, sich sehr darüber beklagen, daß auf ihre Rente nicht der Umstellungsfaktor angewendet wird. Das wissen Sie genausogut wie ich. Der Umstellungsfaktor scheint also seine gute und wohlabgewogene Seite zu haben.
Darauf sind die Unterschiede zwischen Neuzugängen und Altrentnern zurückzuführen. Aber kann sich ein Neurentner darüber beklagen, daß er die Rente nach dem neuen Recht genau richtig errechnet bekommt? Kann er sich darüber beklagen, daß er den Zuschlag nicht erhält — wie gesagt, „ist dein Auge neidisch, weil ich gut bin"! —, der in einer Pauschalierung eben gegeben werden muß?Wir wissen auch sehr wohl, daß es bei den Witwen Unterschiede gibt. Es ist uns bekannt, daß bei den Neuzugängen der jeweilige Steigerungssatz Anwendung findet, während auf den Bestand an Witwenrenten der Steigerungssatz von 1,5 angewendet wird. Aber, wir können es uns eben nicht herauslesen, und wir wollen es auch nicht, weil, wie gesagt, jede Verfeinerung, jede Gerechtigkeit — sie würde übrigens in diesen Fällen meistens nach unten gehen — sofort eine Verzögerung in der Gesamtbearbeitung bedeuten würde.Sie haben erklärt, Sie hätten es viel einfacher vorgeschlagen, unsere Berechnungsart sei viel zu kompliziert. Also ich kann das einfach nicht feststellen. Ihre Berechnungsmethode hätte vielleicht
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Stingleinmal im Jahre 1957 einige Vereinfachungen gebracht. Aber in der Folgezeit hätte sich eine Komplizierung ergeben, die bei uns eben gar nicht drin ist,
weil wir inzwischen die Entgelte verabsolutiert oder, sagen wir, aus dem nominellen Geldbetrag herausgehoben haben und hineingegangen sind in einen Wertbetrag, der sich am Durchschnittseinkommen des Versicherten mißt. Wir halten das für eine absolut saubere und nicht für eine komplizierte Methode. Ich darf wiederholen: die Kompliziertheit rührt nur daher, daß es früher eben ein anderes Recht gegeben hat.Sie sprechen dann davon, daß infolge der Neuregelung im Jahre 1957 erheblich weniger Marken für die freiwillige Versicherung gekauft worden seien. Herr Kollege Schellenberg, ich will nicht auf die versicherungstechnischen Fragen eingehen. Wir haben den Versicherten freigestellt, ob sie 10, 12 oder gar keine Marken kaufen wollen, wenn sie nur die Wartezeit erfüllt haben. Und da haben eben eine große Zahl von Versicherten von diesem Recht Gebrauch gemacht.
Sie haben sich gesagt: Ich habe meine Wartezeit; ich bin zufrieden mit dieser Rente. Das wird für sehr viele Ehefrauen zutreffen, die sich sagen: Mein Mann bekommt eine Rente; ich bin zufrieden, wenn ich eine kleine Rente bekomme; ich verwende das Geld lieber jetzt, kaufe mir etwas dafür; meinen Rentenanspruch verliere ich ja nicht mehr. Natürlich sind da weniger Marken für die freiwillige Versicherung gekauft worden als früher. Sicher sind auch eine Anzahl Marken mit niedrigerem Wert gekauft worden. Ich weiß sehr wohl, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sieht mit Sorge darauf, daß es nach dem Gesetz möglich ist, daß sich der freiwillig weiterversicherte Angestellte ausrechnet, wie er am besten von seiner 300-%-Bemessungsgrundlage auf die 200 % herunterkommt. Aber das ist eben die Kehrseite der Medaille. Diese Chance ist drin, und der Angestellte wäre unklug, wenn er das nicht für sich überlegte und berücksichtigte.Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe die Verkündung der Erhöhung der Rentenbemessungsgrundlage nicht exakt genug bekanntgemacht. Hierin möchte ich Ihnen zustimmen, Herr Kollege Schellenberg. Das ist mir aufgegangen, als Sie es sagten. Auch ich habe in der Presse Überschriften gelesen wie: „Renten erhöht". Hier mußte man, wenn man nicht Fachmann war — nehmen wir an, wir sind Fachleute —, den Eindruck gewinnen, daß sich das auch auf den Bestand beziehe. Ich schließe mich hier der Bitte des Kollegen Schellenberg an, daß bei den entsprechenden Veröffentlichungen der Presse eine klare Mitteilung gemacht wird, damit sie bei den Versicherten keine Irrtümer entstehen läßt.In einer kleinen Zwischenbemerkung haben Sie sehr kritisiert, daß das Arbeitsministerium die Rechtsverordnung für die Berliner Grenzgänger noch nicht erlassen habe. Herr Kollege Schellenberg, mir ist bekannt, daß da eine Abmachung zwischen dem Berliner Senat und dem Arbeitsministerium bestand, daß nämlich der Berliner Senat entsprechende Vorarbeiten leisten würde. Mir ist andererseits bekannt, daß diese Vorarbeiten vor kurzem abgeschlossen worden sind. Ich glaube, es liegt in unser beider Interesse — wir sind ja an diesem Problem etwas mehr interessiert als die sonstigen Kollegen —, daß diese Rechtsverordnung nun sehr bald kommt. Wir möchten in dieser Hinsicht aber auch den Berliner Senat mahnen, richten also unsere Mahnung nicht nur an die Bundesregierung.Eines aber, Herr Kollege Schellenberg, liegt mir noch besonders am Herzen. Sie haben immer wieder betont, es gebe noch Rentner, die zur Fürsorge gehen müßten. Sie haben selbst die Fälle ausgeklammert, in denen es kein normales Arbeitsleben gegeben hat. Sie sagen aber, daß die Mindestanhebung der Renten bestimmte Leute noch nicht aus der Fürsorge herausgebracht habe. Ja, Herr Kollege Schellenberg, das war aber der Wille des Gesetzgebers, exakt das! Eine große Anzahl von Rentnern — und wahrscheinlich ist es die überwiegende Anzahl derer, die die 21 oder die 14 DM bekommen hätten — wären andernfalls jetzt nicht mehr Fürsorgeempfänger. Aber der Gesetzgeber — wir alle miteinander — hat gesagt: Wegen dieser 21 und wegen dieser 14 DM sollen die Betreffenden nicht aus der Fürsorge herausfallen. Man zeichnet also ein falsches Bild, wenn man sagt: Ihr habt ja die Renten nicht. einmal so weit angehoben, daß die Leute nicht mehr zur Fürsorge gehen müssen. Genau das Gegenteil ist richtig! Wir haben die Renten angehoben und den Leuten gesagt: Obwohl ihr mehr bekommt, könnt ihr weiterhin die Fürsorge empfangen. Also genau das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben, ist der Fall. Wir glauben, daß wir damit etwas Gutes getan haben. Im übrigen dürfte die Zahl auch dadurch beeinflußt sein, daß die Bearbeitung solcher Fälle eine Weile dauert. Wenn es auch bei den negativen Anrechnungsbestimmungen immer sehr schnell geht, die positive Seite von Anrechnungsbestimmungen dauert meist etwas länger. Darauf ist auch das zurückzuführen.Man sprach von Härten und Mängeln der Rentenreform. In Wirklichkeit handelt es sich aber um gar keine Härten und Mängel der Rentenreform, sondern es war einfach noch nicht zur Auswirkung gekommen, daß es eine Rechtsverordnung gibt für Anrechnungsbestimmungen zwischen Unfallversicherung und Rentenversicherung. Es war auch bei den Landesversorgungsämtern oder wo es sonst sein mag noch nicht zur Auswirkung gekommen, daß die Kriegsopferversorgung verabschiedet worden war, und ebenso war noch nicht zur Auswirkung gekommen, daß die Lastenausgleichsleistungen angehoben worden sind. Es ist ja leider immer so: das Anheben dauert bei der Durcharbeitung wesentlich länger als das Verkürzen. So ist also das, was uns eine Zeitlang etwas bedrückte, eigentlich doch beseitigt worden.Aber lassen Sie mich zur Kriegsopferversorgung noch eine kurze Bemerkung machen. Die Einspa-
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Stinglrung, sagten Sie, sei um 200 Millionen höher, als sie uns von der Regierung genannt worden sei. Sie war von der Regierung, wenn ich mich recht erinnere, mit 275 Millionen angegeben worden. Sie beträgt in der Tat etwa 400 Millionen, ist insofern also größer geworden. Aber die Mehrbelastung durch die Anhebung der Kriegsopferversorgung beträgt ja auch ein erkleckliches Millionensümmchen; es sind 542 Millionen.
— Nun gut, sagen Sie 500 Millionen.
— Sicher, Herr Kollege Schellenberg, ein Mehraufwand. Der ist aber woanders hingegangen als dahin, wo die Anrechnungsbestimmungen Platz gegriffen haben. Im Lastenausgleichsgesetz haben wir eine Einsparung von 90 Millionen durch die Rentenversicherungsneuordnung, aber wir haben zugleich eine Anhebung der Leistungen in der Unterhaltshilfe um 250 Millionen. In der Fürsorge haben wir eine Einsparung von 66 Millionen, während wir eine Mehrbelastung nicht erkennen können, weil das bekanntlich nicht Leistungen des Bundes sind.Sie haben auch davon gesprochen, daß nun eine große Anzahl von Eltern betroffen seien, die durch die Anhebung der Renten nun plötzlich mit ihrer Elternrente aus der Kriegsopferversorgung völlig herausfielen. Das ist richtig und trifft sicher in vielen Fällen zu. Sie müssen aber dazusagen, daß wir dafür z. B. die Elternbeihilfe im Kriegsopferversorgungsgesetz eingeführt haben, daß also ein anderer Personenkreis Vorteile hat. Aber eines, Herr Kollege Schellenberg, will ich mit allem Nachdruck sagen: die Elternrente wird dann gewährt, wenn anzunehmen ist, daß der gefallene Sohn die Eltern unterhalten hätte. Reden wir uns doch nicht ein, daß der Sohn, wäre er nicht gefallen, seinen Eltern Geld schicken würde, wenn sie eine hohe Rente bekommen!
— Jawohl, das behaupte ich, und das ist in Wirklichkeit so. Machen wir uns doch nicht alle besser! Wer von uns zahlt denn den Eltern, wenn sie selber eine ausreichende Rente haben, noch etwas dazu?! Im Gegenteil, die Kinder gehen hin und kriegen jedes ihr Bonbon und ihre Sparbüchse. Ist es denn nicht in Wirklichkeit so?
Die Elternrente und die Ausgleichsrente haben doch die Funktion, das auszugleichen, was nicht vorhanden ist, weil eben die Rente nicht ausreicht oder weil der Sohn gestorben ist. Wenn aber die Rente einen Status erhält, der ausreicht, dann ist es eben nicht mehr notwendig auszugleichen. Dasselbe gilt auch für den Lastenausgleich. Wenn ich jemandem eine Unterhaltshilfe zahle, dann sage ich doch schon mit dem Namen, daß ich ihm helfen will, seinen Unterhalt zu bestreiten. Wenn inzwischen seine Rente erhöht wird, und zwar so, daß er sie voll für sich in Anspruch nehmen und seinen Unterhaltohne Not selber bestreiten kann, dann braucht er keine „Hilfe für den Unterhalt". Das sind doch die Grundgedanken, natürlich modifiziert, ich habe es jetzt selbstverständlich vereinfacht. Aber so muß man es doch einmal sehen! Mann kann doch nicht so tun, als seien wir alles böse Leute, und man müsse jetzt plötzlich eine doppelte Rente zahlen, möglichst auch noch eine doppelte Unterhaltshilfe und dazu noch möglichst eine doppelte Kriegsopferversorgung! Man muß doch das Sozialgefüge insgesamt sehen und die Beziehung des einen zum andern berücksichtigen. Im übrigen ist es in anderen Gesetzen jeweils Regel — —
Herr Kollege Stingl, ist Ihnen entgangen, daß es bei der Beratung des Gesetzes darum ging, in der Kriegsopferversorgung wenigstens 14 oder 21 Mark anrechnungsfrei zu lassen, und daß Ihre Fraktion diesen Antrag abgelehnt hat?
Ja, Herr Kollege Schellenberg, genau aus den Überlegungen, die ich eben dargetan habe, haben wir das abgelehnt. Wir wissen — und der Herr Minister hat vorhin nachdrücklich darauf hingewiesen —, daß diese Anrechnung in verschiedenen Fällen zu „Härten" — ich will Sie hier gern zitieren — geführt hat. Der Herr Minister hat auch gesagt, wie er sie beheben will. Es handelt sich um die Waisenrenten, wo die Ausgleichsrente für die Mutter wegfällt, und um Ähnliches. Aber, Herr Kollege Schellenberg, gerade weil wir nach wie vor der Meinung sind, daß es in den anderen Gesetzen geregelt werden muß, verharren wir auf dem Standpunkt, in den Rentengesetzen eine Anrechnung auf andere Leistungen gar nicht vorzusehen. Wir haben das nur in einem Punkt, nämlich bei den Fürsorgeleistungen, getan, weil diese auch einen anderen Charakter als etwa die Kriegsopferversorgung oder der Lastenausgleich haben.Sie haben in Ihrer Großen Anfrage auch etwas zu den Fremdrenten gesagt. Sie haben gerügt, daß die Rechtsverordnung nicht rechtzeitig eingebracht worden ist. Aber Sie sind dabei auf die Sache selber wenig eingegangen. Meine Damen und Herren, die Tabellen, die in dem Fremd- und Auslandsrentengesetz stehen, sind doch ganz anderer Natur als die Tabellen, die wir in den Rentenversicherungsgesetzen haben. Sie müssen das doch endlich auch einmal sagen und berücksichtigen; wissen tun Sie es ja.
Diese Tabellen sollen doch einen nicht vorhandenen Nachweis des Verlaufs des individuellen Arbeitslebens ersetzen. Dazu muß man Aushilfen nehmen.Wir geben gern zu, daß, wie Frau Korspeter gesagt hat, die Arbeitsverdienste der Frauen da sehr gering angesetzt worden sind. Das hat aber mit den Vergleichszahlen in unseren Rentengesetzen überhaupt nichts zu tun.
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StinglDas hat nur etwas mit der Frage zu tun, wie wir den durchschnittlichen Versicherungsverlauf des Versicherten, der unter das Fremd- und Auslandsrentengesetz fällt, ansetzen, ob wir ihn als eine ununterbrochene Zeit, nämlich mit 52 Wochen im Jahr, oder ob wir ihn mit 46 oder 36 Wochen ansetzen. Es ist doch kein Geheimnis, daß der Versicherungsverlauf nicht immer 52 Wochen umschließt. Wir glauben, daß eine Änderung an diesen Tabellen wert ist, in einer Neuordnung des Gesetzes und nicht nur in einer Rechtsverordnung behandelt zu werden.Dabei gebe ich gern zu, daß auch wir bei der Debatte in der zweiten oder in der dritten Lesung nach der nächtlichen Schlacht hier glaubten, wir könnten das in diesem Rahmen regeln. Ich bekenne gern, daß auch wir uns da getäuscht haben. Wir meinen also, daß die Neuregelung nur in einer Novelle des Fremd- und Auslandsrentengesetzes gefunden werden kann, wobei man sicherlich auch noch etwas anderes, das Rentenversicherungsüberleitungsgesetz Berlins, wird einbeziehen müssen.Was uns bei dem Fremd- und Auslandsrentengesetz Sorge macht, ist nicht die Tabelle in diesem Gesetz, sondern die Beweisnot der Heimatvertriebenen und was damit zusammenhängt. Wir werden im Ausschuß sicher Gelegenheit haben, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten, die für alle, insbesondere natürlich für die Betroffenen, tragbar ist.Sie haben mehrfach auf die Dauer der Zeit angespielt, die die Berechnung einer Rente erfordert. Ich habe selber zugegeben, daß die durchschnittliche Bearbeitungsdauer Ende 1956 etwa 3 bis 4 Monate war, jetzt aber etwas über 6 oder 7 Monate ist. Nun, meine Damen und Herren, wir müssen doch der Gerechtigkeit halber feststellen, daß auch wir hier, dieser Bundestag, eine Verantwortung tragen. Sie haben ja nicht nur zugestimmt, sondern Sie sind in einigen Fällen auch der Initiator von Bestimmungen gewesen, die die Berechnung von Renten außerordentlich erschweren. Wenn nun fünf Jahre lang jede Rente zweimal berechnet werden muß, Herr Kollege Schellenberg, dann ist das eben eine Mehrbelastung. Eigentlich müßten wir, wenn jeder Eingang zweimal behandelt werden muß, die Zeit verdoppeln. Nun, sie hat sich nicht deswegen verdoppelt. Sie hat sich nur erhöht, weil wir im vorigen Jahr auch noch die Umstellung hatten.Ich bin dem Herrn Minister für den Hinweis in seinen Ausführungen sehr dankbar, daß er für diese Doppelberechnung, Herr Schellenberg, eine Möglichkeit für den Bearbeiter finden wird, auf einen Blick zu sagen: Hier ist der Versicherte mit der alten Berechnung und hier ist er mit der neuen Berechnung besser dran. Damit wird also dem Gesetz Genüge getan: beide Berechnungen werden verkürzt durchgeführt, aber der Versicherte kommt zu seinem Recht und erhält die Rente, die für ihn besser ist. Wir haben ja alle miteinander dem Anliegen eines unserer Kollegen — ich glaube, der Kollege Varelmann war es — Rechnung getragen, daß die ersten fünf Jahre eines Versicherungslebens, sofern sie vor dem 25. Lebensjahr liegen, in besonderer Weise berücksichitgt werden. Auch das bedarf natürlich einer Berechnung und muß dabei überprüft werden.Wir haben, wie wir wissen, die Einführung der Ersatz- und Ausfallzeiten auch mit Schwierigkeiten verbunden. Wir müssen doch die Beweise dafür haben und immer wieder verlangen, daß diese Zeiten nachgewiesen werden, abgesehen davon, daß wir die 10 % Pauschalzuschlag gewähren, wenn nicht die gesamte Zeit erfüllt ist, die übrigens in fast allen Fällen 50 Versicherungsjahre ergeben wird, weil wir ja mit der Schulzeit, mit dem 15. Lebensjahr, anfangen und weil wir jede Arbeitslosigkeit und jeden Kriegsdienst anrechnen. Wer wird denn dann, wenn er nicht selbständig geworden ist oder aus der Versicherungspflicht hinausgekommen und freiwillig Versicherter geworden ist, nicht die vollen Jahre erbringen können, zumal wir eben den fehlenden Rest bis zu 10 % ergänzen?Meine Damen und Herren, all dies, das wir aus richtiger Überlegung gewollt in die Rentengesetze hineingebracht haben, hat natürlich auch zu einer Erschwerung der Bearbeitung geführt. Man kann doch den Dank des Ministers an die Leute, die an den Schreibtischen sitzen und die Rentenanträge bearbeiten müssen, nur unterstützen. Sie müssen sich wirklich mit Mühe einarbeiten. Es ist doch ein Umdenken. Auch wir haben aus dem vorigen Verfahren in das jetzige Verfahren umdenken müssen. Wir müssen das doch auch denen konzedieren, die mit diesen Bestimmungen arbeiten müssen. Wir müssen den Rentenversicherungsträgern zubilligen, daß sie, wenn sie neue Kräfte einstellen, diese erst einarbeiten müssen. Was würde es denn für einen Kuddelmuddel geben, wenn man jeden einfach machen ließe, was er will! Ich meine, wie gesagt, wir sollten uns hier sehr nachdrücklich diesem Dank des Herrn Ministers anschließen. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: um dieser Weiterentwicklung, um der Bearbeitung willen, um dieser Menschen willen — lassen Sie denen Zeit, die das jetzige Recht einführen und befolgen! Fangen Sie nicht an, da eine Bestimmung zu ändern, dort eine Bestimmung zu ändern, die dann fast alle auf jede Rente Auswirkungen haben, mindestens aber erforderlich machen würden, bei jeder Rente zu prüfen, ob die Bestimmung Auswirkungen hat. Was für eine Bearbeitung erforderte das wieder! Lassen Sie eine Härte einmal ruhig bestehen, wenn Sie dafür die Härte ausschalten können, daß 6 Millionen Rentner oder die jeweiligen Neuzugänge entsprechend länger auf die Bereinigung ihrer Renten warten müßten.
Ich möchte noch eines sagen, etwas, in dem ich mit Herrn Kollegen Schellenberg wieder einig bin. Ich möchte den Rentnern einen Dank sagen. Meine Damen und Herren, wir haben viele skeptische Stimmen gehört, und ich stehe nicht an zu sagen, daß wir uns auch in unserer Fraktion mit verschiedenen Argumenten auseinandersetzen mußten. Wir können aber den Rentnern einen Dank sagen, die — Herr Kollege Schellenberg, Ihre Zahlen genommen — in diesem Jahr 4,3 Milliarden DM mehr bezogen haben als im Jahre vorher, die aber damit
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Stinglnicht etwa gerannt sind und durch überstürzten Verbrauch dieses Geldes Einbrüche in die Preisstabilität verursacht, sondern sehr sauber auf ihr Geld geachtet haben. Wir alle haben uns doch mit Sorge gefragt: Was wird denn daraus, wenn über 4 Milliarden DM an neuer Kaufkraft auf den Markt kommen? Ich glaube, der Bundestag hat allen Anlaß, den Rentnern zu danken, die so für- und vorsorglich mit ihrem Geld umgegangen sind.
— Wenn Sie auf die Sparkasse gehen, dann stellen Sie fest, daß die Einleger großenteils die Rentner sind, denen wir durch die Rentenreform die Möglichkeit dazu gegeben haben, die 20 und 30 und 50 Mark auf ein Sparkonto zu legen. Wir können diese Haltung nicht genug loben,
und wir können nicht nachdrücklich genug sagen, die Jüngeren möchten sich ein Beispiel daran nehmen.Wir können also gemeinsam feststellen, daß die Sorgen einiger, die Dynamisierung — die ja nicht so geworden ist, wie man sie sich einmal gedacht hatte —, die Angleichung der Renten an den aktuellen Lohn werde volkswirtschaftliche Folgen haben, die wir nicht übersehen, nicht verantworten könnten, sich als unbegründet erwiesen haben. Wir müssen zugeben, daß wir Modifizierungen angebracht haben, daß wir uns damit beschäftigt haben und daß uns manches, was wir an Bremsen eingebaut haben, schwergefallen ist. Eines aber bleibt: ) Wir haben die Volkswirtschaft nicht gefährdet; wir haben dem Rentner, sofern er ein kontinuierliches Arbeitsleben hinter sich hat, eine Rente gegeben, die seinem Lebensstandard entspricht. Wir können dabei bleiben und wir bleiben dabei: Die Rentenreform hat sich bewährt, sie ist eine Großtat gewesen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur eine ganz kurze Erklärung! Herr Kollege Schellenberg hat sich darüber beklagt, daß offenbar durch die Schuld des Arbeitsministeriums eine falsche Mitteilung in die Presse gekommen sei. Da auch mein Freund Stingl eine entsprechende Frage gestellt hat, nehme ich Gelegenheit, das gleich richtigzustellen. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bulletin vom 21. Dezember 1957 zur Hand nehmen, finden Sie den Sachverhalt. Am 20. Dezember verabschiedete nämlich der Bundesrat in seiner 186. Plenarsitzung die Erste Verordnung über Änderung der Bezugsgrößen für die Berechnung von Renten in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten sowie in der knappschaftlichen Rentenversicherung. Aus diesem Anlaß fand am gleichen Tage eine Pressekonferenz statt, und auf dieser
Pressekonferenz ist genau dasselbe vom Vertreter des Arbeitsministeriums — —
— Herr Kollege Stingl, ich will es ja nur klarstellen.
— Warten Sie mal, Herr Professor, bis ich den Satz zitiert habe!
Der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums hat in der Pressekonferenz genau dasselbe gesagt, was auch am nächsten Tag im Bulletin gestanden hat, nämlich folgendes: Die Vorschriften dieser Ersten Verordnung über Änderung der Bezugsgrößen gelten also nur für Versicherte, deren Renten im Jahre 1958 erstmals festgesetzt werden, nicht dagegen für Rentner, deren Versicherungsfall bereits vor dem 1. Januar 1958 eingetreten ist. Hier ist also ganz klar ausgesprochen, daß keine allgemeine Rentenerhöhung erfolgt ist.
Ich nehme nicht an, daß die Presse den Sachverhalt nicht kenne. Wenn aber in irgendeiner Zeitung die Dinge nicht so dargestellt worden sind, erwächst daraus für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung keine Schuld. Ich habe mich nur zu Wort gemeldet, um den Beamten, der auf der Pressekonferenz diese genau zutreffende Äußerung getan hat, zu verteidigen, da er selbst in diesem Hohen Hause ja nicht sprechen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Walpert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den temperamentvollen Ausführungen des Kollegen Stingl von der CDU komme ich bald in Versuchung, die Rentner aufzufordern, Fackelzüge vor dem Bundestag zu veranstalten.
Meine Damen und Herren, es sieht ja bald so aus, als ob die Rentner Geschenke aus diesem Hause erhalten hätten.
— Der Tenor war so; gestatten Sie mir, daß ich das begründe. Die arbeitende Bevölkerung hat in solidarischer Haltung innerhalb von zehn Jahren eine Verdopplung des Beitrags auf sich genommen, und ich glaube, deshalb war es möglich, die Renten zu erhöhen.
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WalpertDie Erhöhung der Beiträge von 5,6 auf 14 % ist immerhin eine Leistung, die man als Solidarität der arbeitenden Bevölkerung mit den Rentnern anerkennen muß. Ich möchte jedoch hinzufügen, daß die 14 % Beitrag, obwohl dieser Beitrag sich aus einem Arbeitgeber- und einem Arbeitnehmeranteil zusammensetzt, erst von den Arbeitnehmern verdient werden müssen.
— Der Bundeszuschuß? Selbstverständlich wird er anerkannt. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß die jetzt rentenberechtigte Bevölkerung zwei Kriege geführt und verloren hat und daß das Vermögen der Rentenversicherung ebenfalls verlorengegangen ist.
Das möchte ich zu diesem Sachverhalt sagen.Der Herr Minister für Arbeit hat nun eben noch die Selbstverwaltung angesprochen. Ich bin in der Selbstverwaltung tätig. Ich kann ihm nicht beipflichten, wenn er sagt, alle Rentenversicherungsträger seien der Meinung, es solle nichts geändert werden, es solle keine Vereinfachung stattfinden. Im Gegenteil, die Mitgliederversammlung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger in Augsburg hat einstimmig eine Entschließung angenommen, in der der Minister gebeten wird, dort, wo es möglich ist, die Rentenberechnung zu vereinfachen.
— Es geht doch nur darum — und das sollten wir leidenschaftslos behandeln —: Wo Mängel sind, sollten wir uns gemeinsam bemühen, sie zu beseitigen.
Und es gibt doch Mängel. Es ist nicht so, wie es Kollege Stingl eben darstellte, daß es sich um Dinge handle, die am Rande lägen. Für die 600 000 wartenden Rentner liegen die Dinge nicht am Rande. Mehr als 1 Million Menschen in der Bundesrepublik warten sehr lange auf die Festsetzung ihrer Rente.
— Es gibt durchaus eine Möglichkeit, Kollege Stingl, sich mit Experten zu beraten. Es liegen auch Erfahrungen vor. So hat beispielsweise Dr. Zumbansen von der Landesversicherungsanstalt Westfalen am 13. November 1957 dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung einen Vorschlag für die Berechnung von Renten für den Fall unterbreitet, daß die Beitragsunterlagen nicht mehr erkennen lassen, für welches Kalenderjahr Beiträge entrichtet wurden. In § 1256 Abs. 3 RVO geht es um die Rentenberechnung für Hinterbliebene von Rentnern. Der Laie und auch die Betroffenen nehmen ja fälschlicherweise an: Die Rente des Versicherten ist festgesetzt; sie beträgt meinetwegen 200 DM; die zurückbleibende Witwe bekommt 60 °/o, also 120 DM. So ist es aber nicht. Esmuß jetzt umgestellt werden, und die Witwe hat keine Unterlagen mehr. Deshalb ist der Vorschlag unterbreitet worden, daß man ebenfalls nach einer Tabelle umrechnet. Ich wäre dem Herrn Minister sehr dankbar, wenn er diese Anregung aufgriffe. Der Vorstand der genannten Landesversicherungsanstalt hat bereits die Genehmigung gegeben, so zu verfahren, in der Hoffnung, daß die Aufsichtsbehörde sich nicht dagegen wenden wird.Noch ein anderes Anliegen sollten wir behandeln. Meine Kollegin Frau Korspeter sprach davon — und in der Großen Anfrage ist es ja niedergelegt —, daß für jeden Beitrag auch eine Leistungserhöhung eintreten müsse. Ich habe nun einige Beispiele errechnet, bei denen ich die neue Rentenbemessungsgrundlage von 4542 DM bereits zugrunde gelegt habe. Bei derselben Beitragsleistung, bei demselben Geburtsdatum, bei denselben Fehlzeiten komme ich, wenn keine freiwilligen Beiträge gezahlt werden, im ersten Fall bei einem im Jahre 1910 geborenen Angestellten nach 371/2 Versicherungsjahren zu einer Erwerbsunfähigkeitsrente von 403,70 DM. Derselbe Fall: Der Versicherte zahlt zwölf Beiträge der Klasse A = 168 DM. Dann beträgt nach 38 1/2 Versicherungsjahren unter denselben Voraussetzungen die Rente nur noch 391,60 DM, also 12,10 DM monatlich weniger. In der Arbeiterrentenversicherung ist es ähnlich. Einem Arbeiter, der 1895 geboren ist, ist nach 46 Beitragsjahren bei einem guten Arbeitsverdienst eine Rente von 361,70 DM zu zahlen. Derselbe Arbeiter erhält dagegen, wenn er zwölf freiwillige Beiträge der Klasse A = 168,--- DM entrichtet, nur eine Rente von 358 DM und damit 3,70 DM weniger. Ich finde, wir sollten uns bemühen, dieses Unrecht — und das bezeichne ich als Unrecht — zu beseitigen; denn jeder muß für einen höheren Beitrag auch eine höhere Rente erhalten.Mich bewegt noch etwas anderes, das wir, meine ich, nicht so nebenher damit abtun sollten, daß wir sagen: Wir wollen keine Mindestrente. Ich bekenne mich zum Versicherungsprinzip und möchte für meine Person hier nicht der Mindestrente das Wort reden.Aber, Herr Minister für Arbeit, wie stellen Sie sich dazu, wenn beispielsweise bei einer Rentenversicherungsanstalt im zweiten Halbjahr 1957 127 Renten unter 10 DM festgesetzt worden sind — dabei Renten von monatlich 3,50 DM —, 184 Renten unter 20 DM, 429 Renten unter 30 DM und 210 Renten unter 40 DM? Ich bin nicht über 40 DM gegangen, weil wir in der Angestelltenversicherung früher einen Grundbetrag von 40 Mark monatlich hatten, der ermäßigt wurde und wieder einmal anders festgesetzt worden ist. Diese Grundbeträge nannten wir nicht Mindestrenten. Insgesamt wurden bei der genannten Anstalt 950 Renten unter 40 DM monatlich angewiesen; das sind 3,1 % der Gesamtrenten. Wenn ich diese Zahl — und das darf man — nach gewissen Erfahrungen auf die gesamte Rentenversicherung übertrage, sind rund 10 000 dieser Zwergrenten im zweiten Halbjahr 1957 festgesetzt worden.
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Walpert— Selbstverständlich sind da wenig Beiträge gezahlt worden. Aber wollen Sie denn die Sozialversicherung damit belasten, daß man Renten von 3,50 DM, 5,50 DM monatlich anweisen läßt? Diese kümmerlichen Beträge verdienen nicht das Wort „Rente".
Diese Kleinstrenten bergen aber auch andere Gefahren in sich. Die Versicherten verlieren das Vertrauen zur Sozialversicherung.
— Meine Damen und Herren, ich habe eine Meinung; Sie können eine andere haben. Ich trage hier diese Meinung vor: die Versicherten verlieren das Vertrauen zur sozialen Rentenversicherung,
wenn man ihnen diese Beträge anbietet. Es handelt sich noch nicht einmal um ein Taschengeld. Es werden Menschen betroffen, die früh berufs- oder erwerbsunfähig geworden sind.
Wir haben 1949 die Mindestrenten eingeführt. Viele Berechtigte haben im Vertrauen auf die Rentenversicherung die Beitragszahlung aufgenommen. Ich meine, man sollte dann auch eine gewisse Auslauffrist zulassen.
— Aber nicht für diese Fälle. Darum geht es.Ich finde, man sollte das nicht mit dem Satz: „Wir wollen keine Mindestrenten" abtun. Wir sollten uns bemühen, zu verhindern, daß diesen Menschen Unrecht geschieht. Sie fühlen sich tatsächlich ungerecht behandelt.Gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort. Herr Kollege Stingl, ich glaube nicht, daß Sie alles das, was Sie hier vorgetragen haben, in einer Rentnerversammlung oder in einer Versammlung von Arbeitern vortragen könnten.
Es ist doch irrig, zu glauben, daß der Arbeiter in der Lage wäre, sich seine Rente selber auszurechnen. Das trifft selbst für einen Teil der Angestellten nicht zu. Wenn wir nicht auch in Zukunft den Rentenberater haben wollen, sollten wir uns bemühen, das Gesetz zu vereinfachen. Die Beamten und Angestellten der Rentenversicherungsträger warten darauf. Sie wären dankbar, wenn wir ihnen helfen. Wenn es so einfach wäre, wie Herr Kollege Stingl es dargestellt hat, hätten wir nicht so viele Rückstände bei der Rentenumstellung. In Wirklichkeit brauchen wir die dreifache Zeit wie früher, obwohl der Personalbestand erheblich erhöht worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann den Optimismus des Kollegen Stingl nicht teilen, sowenig wie meine politischen Freunde von der Fraktion der FDP dies tun können. Ich glaube, darüber, ob sich das System der Rentenreform mit ihrer Berechnungsgrundlage wirklich bewährt hat und bewähren wird, können wir erst etwa nach einem Jahrzehnt ein grundsätzliches und sicheres Urteil fällen. Auch die Frage, wie die Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf das Leben im allgemeinen sein werden, kann man heute genauso wenig endgültig beantworten. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß unser Kollege, der Abgeordnete Dr. Jentzsch, bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze am 21. Januar des vorigen Jahres festgestellt hat:
Es ist uns heute bereits eindeutig klar, daß der kommende Bundestag die Reform einer reformbedürftigen Rentenreform als eine Hauptaufgabe zu bewältigen haben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun stehen wir vor dieser Aufgabe. Für meine politischen Freunde darf ich zu dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 28 folgendes erklären: Auch wir sind der Auffassung, daß die sich aus der Rentenreform ergebenden Härten beseitigt werden müssen. Insbesondere sind wir der Auffassung, daß damit auch den Nivellierungstendenzen, die vor allen Dingen auch zu Lasten der Angestelltenversicherten gingen, entgegengewirkt werden muß.
Zu Ziffer la der Großen Anfrage möchte ich folgendes sagen: Die Forderung auf Beseitigung des sozial unbilligen Rentenanredmungssystems entspricht auch unseren Forderungen und ist dem Grundsatz nach durchaus gerechtfertigt. Die Neuregelung des Rentenanrechnungssystems läßt sich jedoch nur im Zuge einer Reform der damit zusammenhängenden Rechte und Gesetze, also des Bundesversorgungsrechts, des Lastenausgleichsrechts und des Fürsorgerechts verwirklichen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an unsere einst vorgetragene Forderung auf Einführung einer Elternrente.
Die Forderung unter Ziffer I b ist, so fürchten wir — und das muß ich den Kollegen von der SPD mit aller Deutlichkeit sagen, auch wenn die Ausführungen des Kollegen Walpert etwas anders geklungen haben —, lediglich eine Wiederholung der schon früher aufgestellten Forderung der SPD nach einer Mindestrente.
— Eben in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Professor Schellenberg, möchte ich auch unsere Stellungnahme zu der Frage der Mindestrente bekanntgeben. Lesen Sie das Protokoll nach! Von unserer Seite wurde eine Zusatzrente immer nur gefordert für die Härtefälle, die nun einmal eintreten werden. Diese Zusatzrente entspricht aber nicht dem System der Mindestrente, sondern sie soll auf
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Weber
der Grundlage der Leistungen, der eigenen und einzelnen Leistungen, aufgebaut sein. Wir lehnen ein Mindestrentenprinzip, eine Nivellierung in dieser Hinsicht grundsätzlich ab.
— Herr Kollege, ich habe soeben den Unterschied aufgezeigt, habe erklärt, daß wir im Prinzip nicht die Mindestrente gefordert haben. Der Unterschied zwischen der Mindestrente und der von uns geforderten Zusatzrente besteht darin, daß diese Rente in Härtefällen gewährt werden soll.
Wir haben uns seinerzeit bemüht, diese Härtefälle zu vermeiden.
— Nein, in der Frage der Elternrente handelt es sich nicht um eine fürsorgerische Maßnahme, Herr Kollege Stingl. In verschiedenen Härtefällen, die in den vorhergehenden Ausführungen dargestellt wurden, hätte man vorbeugen können. Vor allen Dingen wollten wir nicht, daß obligatorisch ein Mindestrentenprinzip angewendet wird; vielmehr soll hier auch das sonstige Einkommen mit angerechnet werden.
Bezüglich der Frage 1 c: eine Rentensteigerung durch Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit möchte ich grundsätzlich ablehnen. Wir dürfen nicht aus der Not eine Tugend machen. Wenn die Zeit der Arbeitslosigkeit auf der Grundlage des Erreichten mitbewertet wird, darf nicht auch noch ein fiktiver Lohn dem Grundsatz der Rentensteigerung zugrunde gelegt werden. Sie werden verstehen, daß wir damit die Gefahr vermeiden wollen, daß ein Versicherter dann günstiger steht, als wenn er arbeitet.
Hinsichtlich der Militärdienstzeiten werden wir es in Zukunft, wenn bei der Bundeswehr der Bund die Beiträge zahlt, mit zwei Rechtsgrundlagen zu tun haben. Bei den heiklen Fragen der Heranziehung von Krankheitszeiten und der Zeit der Berufsausbildung ergibt sich immer wieder die Problematik des fiktiven Lohnes. Aber auf Härtefälle werden wir in Zukunft auch hier eingehen müssen. Vor allem möchten wir in diesem Zusammenhang empfehlen, die Bestimmungen des § 1259 Abs. 1 Ziffer 4 im Arbeiterversicherungs-Neuregelungsgesetz und des § 36 Abs. 1 Ziffer 4 im Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz zu berücksichtigen und zu prüfen, ob die Berechnung einer Karenzzeit von zwei Jahren für bestimmte Berufe nicht eine soziale Härte darstellt. Ich möchte es der Bundesregierung anheimstellen, diese Frage näher zu prüfen.
Der unter 1 d erhobenen Forderung können wir restlos zustimmen. Wir denken in diesem Zusammenhang daran, daß so auch unsere Forderung nach Beseitigung der Höchstrentenbestimmungen und Ersatz durch eine bessere und gerechtere Lösung erfüllt wird.
Zu Punkt 2 der Großen Anfrage: Für die im Zusammenhang mit der Rentenreform geleistete Arbeit müssen wir unsere Anerkennung auch den
Versicherungsträgern aussprechen. Ich glaube, es war von ihnen nicht mehr zu schaffen auf diesem Gebiet. In dieser Hinsicht gilt die Forderung nach dem besseren Gesetz. Wir haben unsere Ansicht dazu dargelegt.
Zu Punkt 3: Auch wir befürworten, daß den Rentenberechtigten, wenn ihr Rentenanspruch grundsätzlich gebilligt wird, ein angemessener Vorschuß auf die endgültige Rentenleistung gezahlt wird, damit hier keine Härten eintreten.
Zu Punkt 5 schließlich darf ich sagen, daß eine bessere Lösung nur im Rahmen einer Neufassung des Fremd- und Auslandsrentengesetzes gefunden werden kann.
Grundsätzlich möchte ich nochmals bemerken: ob die Rentenreform in ihrer jetzigen Form ihre Bewährungsprobe wirklich bestehen wird, können wir erst später beurteilen. Nachdem von der Bundesregierung und von verschiedenen Seiten der Regierungskoalition mit aller Deutlichkeit auf die Tendenz zum Versorgungsstaat hingewiesen worden ist, möchte ich gerade auch im Hinblick auf die optimistische Darstellung durch den Herrn Kollegen Stingl die Frage stellen: Wie wollen Sie diese Probleme anpacken, damit die Entwicklung nicht einseitig — und das befürchten Sie doch auch — in jener Richtung weitergeht?
Das Wort hat der Abgeordnete Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Kollegin Korspeter hat in ihren einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß wir in einer Situation stehen, die noch nicht in allem zu übersehen ist. Frau Korspeter hat dabei für ihre Partei in Anspruch genommen, sie habe überhaupt erst die Initiative für diese ganze Gesetzgebung gegeben. Im Kreise der Sozialpolitiker, gleichgültig, in welchem politischen Lager sie stehen, hat man in der Nachkriegszeit einheitlich die Meinung vertreten, man müsse zu etwas anderem kommen, zu etwas, was den Lebensansprüchen der alten Rentner gerecht werde. Hier sollte keiner sagen, er habe die neue Gesetzgebung durch seine Initiative in Gang gebracht. Man sollte offen anerkennen, daß in Wirklichkeit alle gesunden Kräfte unseres Volkes dabei zusammengewirkt haben.Der Kollege Walpert hat zum Schluß gesagt, es handele sich gar nicht um eine Leistung der Regierung und nicht um eine Leistung des Volkes, sondern um Leistungen der Arbeiter. Ich gebe ihm darin insoweit recht, als ich sage, daß wir Gott sei Dank in unserer arbeitenden Bevölkerung auf der ganzen Linie Verständnis dafür gefunden haben, daß der arbeitende Mensch eine Verpflichtung gegenüber dem alten hat.
Diese Auffassung hat sich bei uns in DeutschlandGott sei Dank durchgesetzt. Alle die großen Befürchtungen, die vor der Verabschiedung der Ren-
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Storchtengesetze in bezug auf überhöhte Sozialbeiträge,auf ein Ausplündern der Arbeiter usw. vorgetragenworden sind, haben sich als unbegründet erwiesen.
Im Gegenteil, die Menschen haben es hingenommen und haben sich darüber gefreut, daß man die Alten, die vorhergehende Generation der Arbeiter, nun endlich von der Not und dem Elend befreit hat. Darüber muß man sich meines Erachtens klar sein.
Ich hätte geglaubt, daß man bei einer Diskussion über die Erfahrungen, die man in der kurzen Zeit seit Inkrafttreten der Gesetze gesammelt hat, viel weniger auf die Randgebiete, dafür aber mehr auf die grundsätzlichen Dinge eingegangen wäre. Es ist heute gesagt worden, die Vorausberechnungen der Finanzierung seien unzulänglich gewesen, es habe sich jetzt herausgestellt, daß die tatsächlichen Verhältnisse ganz anders lägen. Dazu muß ich zunächst feststellen: trotz der starken Angriffe aus den Kreisen der Versicherungsmathematiker gegen das Bundesarbeitsministerium, die schon für eine Zeit nach vier oder fünf Jahren die Notwendigkeit der Erhöhung der Beiträge auf 18 und 20 % voraussagten, haben wir uns ganz klar auf die Tatbestände gestützt, die wir für die Lohnhöhe und damit die Beitragshöhe in den Jahren 1955 und 1956 gehabt haben. Wir sind nicht hergegangen und haben „wahrscheinlich sich erhöhende Löhne" einkalkuliert. Gott sei Dank, sage ich, sind die Löhne und damit auch die Beiträge gestiegen und sind wir in eine viel bessere finanzelle Situation gekommen, als wir alle erwarten konnten. Aber das möchte ich Herrn Professor Schellenberg sagen: 1 3/4 Milliarden Kassenüberschüsse bei den Sozialversicherungsträgern werden bestimmt nicht erreicht werden.
— Auch die Bundesbank kann sich irren! Sie wissen ja, was der Präsident der Bank deutscher Länder damals bei der Sachverständigenanhörung im Sozialpolitischen Ausschuß gesagt hat. Gott sei Dank hat er sich damals auch vertan. Das können also keine Grundlagen für uns sein. Wenn wir uns mit den Sozialversicherungsträgern über die Jahresberechnungen unterhalten, kommen wir zu einem Überschuß, der etwa zwischen 1,5 und 1,6 Milliarden DM liegt. Der Kollege Stingl hat schon völlig richtig gesagt, daß wir für das vergangene Jahr mit Nachzahlungen in einer Höhe von ungefähr 800 Millionen DM rechnen müssen. Ich halte diese Zahl eher für zu niedrig als zu hoch. Berücksichtigen wir diese Nachzahlungen, dann ergeben sich tatsächlich zwischen den Vorausberechnungen von damals und den heutigen Tatbeständen gar nicht so große Klüfte, wie man teilweise hier darzustellen versucht.Wenn wir nun anerkennen, daß die Arbeitnehmer, die heute in der Arbeit stehen, ein wirklich großes Opfer auf sich nehmen und es ohne großesMurren tragen, dann muß die Rechtslage aber auch so gehalten werden, daß der Mann ein echtes Äquivalent in seiner späteren Rente erhält. Deshalb kann man in die Sozialversicherung nicht etwas einbauen, was, wie ebenfalls richtig gesagt wurde, in ganz andere Sektoren gehört.Ich hätte Verständnis dafür, wenn Herr Schellenberg gesagt hätte, die Kriegszeiten und die Arbeitslosenzeiten müßten voll rentensteigernd angerechnet werden. Wenn Sie, Herr Professor, gesagt hätten, der Staat solle nachträglich die Beiträge für diese Zeit zahlen und dann solle den Versicherten diese Leistung gegeben werden, dann hätte die ganze Sache Sinn und Verstand. Wenn Sie das aber auf Kosten derjenigen machen wollen, die heute die Beiträge zahlen, dann ist das einfach sozial ungerecht,
weil Sie damit die Arbeitnehmer zu Leistungen verpflichten, die an und für sich von der Gesamtheit des Volkes getragen werden müßten.Ich bin deshalb der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten den heutigen Tag so ausklingen lassen, daß wir allen denjenigen, die an dieser Gesetzgebung mit gutem Wollen mitgearbeitet haben, und denjenigen, die diese Gesetze nun in die Tat umsetzen, den herzlichen Dank des 3. Bundestages aussprechen. Tunwir das, dann hat auch die heutige Diskussion in diesem Hause einen guten Zweck gehabt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Abgeordnete Storch und der Herr Abgeordnete Walpert haben in ihren Ausführungen soeben untersucht, wen nun das Verdienst, wen der Erfolg und wen der Preis oder die Last für die Leistungen trifft, die das Ergebnis der Rentenreformgesetze sind. Beide sind darin einig gewesen, daß es Leistungen der Arbeiter seien. Ich freue mich, daß sie darin einig waren, daß es nicht Leistungen der einen oder der anderen Partei waren, auch nicht Leistungen des Parlaments. Das hatte wohl niemand behauptet. Ich habe meinen Kollegen Stingl jedenfalls nicht so verstanden. Diese Erörterung war deshalb ziemlich überflüssig. Jedem Denkenden muß inzwischen deutlich geworden sein, daß soziale Leistungen und soziale Lasten das ganze Volk zu tragen hat und daß der moderne Staat, in dem wir leben und dessen Probleme wir zu bewältigen haben, als Verteilerstaat eben nur das verteilen kann, was seine Bürger erarbeiten, was sie an Steuern und an Sozialversicherungsbeiträgen bezahlen.Haben Sie deshalb bitte Verständnis dafür, daß ich meine Darlegungen mit etwas realistischen Betrachtungen beginnen möchte. Der frühere Arbeitsminister und unser jetziger Kollege Storch hat darum gebeten, sich mehr den grundsätzlichen Fragen zuzuwenden. Ich würde dem mit großem Vergnü-
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Frau Kalinkegen folgen, wenn ich nicht wüßte, daß sehr viele seiner Freunde gerade den Betrachtungen über die grundsätzlichen Fragen abhold sind, und wenn mich nicht gerade Freunde aus der CDU gebeten hätten, doch ja nicht zu grundsätzlich zu sein.Meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei begrüßen die heutige Debatte aus Anlaß der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, weil sie uns Gelegenheit gibt, vom Grundsätzlichen her nach dem Standort und der Wirkung unserer Sozialpolitik und, wenn Sie wollen, der begonnenen Sozialreform zu fragen.Die Sozialpolitik im modernen Verteilerstaat als ein Mittel der Innenpolitik, aber auch als ein Mittel des friedlichen Wettbewerbs wie des sozialen Ausgleichs ist für uns inzwischen eine Schicksalsfrage geworden, vor allem auch als Mittel der Wiedervereinigungspolitik. Insofern sollten wir uns alle in der Verantwortung vereinigen, aus der wir sowohl die Erfolge als auch die Mängel der Sozialpolitik diskutieren.Ich begrüße als Anlaß zu einer ernsthaften Diskussion auch die Fragestellung des Kollegen Schellenberg. Er hat die Sache — ob diplomatisch oder verschämt — etwas umschrieben. Er hat nicht ganz offen die Frage gestellt: Totaler Versorgungsstaat mit Mindestrenten, Beratungsstellen und allem, was nun einmal dazu gehört: mit dem Modell der Fürsorgerichtsätze und des Vergleichs: der Rentner in der Nähe der Fürsorge? Er hat auch nicht offen die Frage gestellt: Modell „staatliche Versorgung für alle" mit steigenden staatlichen Zuschüssen? Er ist in seinem Diskussionsbeitrag nur nahe an die Weichenstellung in dieser Kernfrage unserer gegenwärtigen Auseinandersetzung um das Ziel der Sozialpolitik herangekommen.Das sollte uns heute nachdenklich stimmen. Die Ergebnisse der bisherigen Sozialpolitik sollten uns darüber nachdenken lassen, ob wir die Weichen neu stellen müssen, wenn infolge einer expansiven Lohnpolitik steigende Einkommen, laufend steigende Beitrags- und Steuerverpflichtungen und schließlich auch laufende Preissteigerungen dazu führen, daß am Ende Rentenerhöhungen in ihrem Wert, in der Kaufkraft für den Rentner auch fragwürdig werden.Wir haben in und nach dieser Diskussion Gelegenheit, über alles das nachzudenken und zu sprechen, was in Deutschland wie in keinem anderen Land Europas als tabu gilt, nämlich über den Preis der sozialen Wohltaten. Es wäre gut, wenn wir auf diesem Gebiet zu so etwas wie einer sozialpolitischen Moral kämen. Wir haben auch zu überlegen, ob es richtig ist, sich allein damit zu rühmen, daß wir 5,1 Milliarden DM Mehrausgaben für Renten haben, oder es gar als Erfolg zu sehen, wenn man noch mehr Ausgaben gefordert hat, die man nicht bewilligt bekommen hat. Wir haben zu überlegen, ob die Höhe des Sozialetats und die Höhe der verteilten Wohltaten in ihrer sozialen Wirkung wirklich genügen. Dann werden wir auch die richtige Antwort auf die Wünsche und Forderungen hinsichtlich weiterer Leistungen finden.Meine Herren von der Opposition, aber auch meine Freunde in der Koalition, ich muß auf Grund Ihrer Debatte feststellen, daß die SPD sich seltsamerweise veranlaßt gesehen hat, wegen der Konzeption, die sie als ihre eigene Erfindung rühmt und preist, nun ihre Freunde von der CDU, mit denen sie sie doch gemeinsam verteidigt hat — die beiden Konzeptionen unterscheiden sich doch nur graduell —, anzugreifen. Besonders seltsam ist es für mich, zu hören, daß einerseits Herr Stingl — wie mir scheint, mit Recht — behauptet, viele dieser Bestimmungen zeigten die Handschrift der CDU, und daß andererseits die SPD — wie mir scheint, mit gewissem Recht — rühmt, sie habe das Erstgeburtsrecht für eine Idee, die immerhin eine sozialistische Idee unseres Jahrhunderts ist. Diese Idee hat weitgehend bei der Rentenformel Pate gestanden, deren Auswirkungen Sie nun heute bedauern. Insofern, meine Herren von der SPD, sind Sie undankbar gegenüber meinen Freunden von der CDU, die Ihnen doch so weitgehend gefolgt sind.
Das Dilemma der Rentenreformdebatte und das Dilemma des Undanks gegenüber sozialen Wohltaten sind mir heute beim Anhören Ihrer gegenseitigen Vorwürfe so recht deutlich geworden.In einer solchen Stunde, in der man einmal haltmacht und über einen Abschnitt der Sozialpolitik nachdenkt, sollte man sich, glaube ich, auch klarmachen, daß man nicht allen verlockenden Vorstellungen, auch wenn sie innerhalb und außerhalb Europas immer wieder diskutiert werden, nachgeben kann und daß auch das Entgegenkommen bis zum halben Wege oder das Kompromisse-Machen nicht immer glücklich ist; denn das führt zu dem, was wir heute in der Debatte — ich sage: bedauerlicherweise — erleben mußten.Die Begründerin der Großen Anfrage der SPD, meine Kollegin Frau Korspeter, und Herr Professor Schellenberg haben immer wieder beklagt, daß das Sozialrecht nicht vereinfacht werde. Nun, ich stehe nicht an zu sagen: Ich habe nicht an den Storch geglaubt. Das stammt nicht von mir, sondern von Frau Korspeter. Sie hat im Wirtschaftsrat schon gesagt, daß sie nicht an den Storch glaube. Auch ich habe Herrn Storch nicht geglaubt,
daß diese Rentenformel so einfach sei, daß jeder Schulbube sie verstehe. Ich glaube, daß sehr viele Kollegen in diesem Hause ihre Rente nicht berechnen können. Ich finde, das ist auch gar kein Unglück. Es ist nur ein Unglück, wenn die gleichen Gruppen und Parteiungen, die immer neue Forderungen an den Staat stellen, die immer neue Anträge an das Parlament stellen, dann beklagen, daß nicht alle Einzelwünsche befriedigt werden. Diese Gruppen wehren sich einerseits gegen individuelle Versicherungsprinzipien, fordern dann aber andererseits — wie mir scheint, mit Recht — in den Fällen eine individuelle Berechnung, in denen die Pauschalierung immer zur Ungerechtigkeit führen muß.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958 517
Frau KalinkeIch gehöre zu den Menschen, die den Mut haben, zu bestätigen, daß sie aus Irrtümern lernen, Sie gehören zu denen, die selber einmal ihre eigenen Rententabellen verteidigt haben und nun — heute ist es wieder deutlich geworden — eingesehen haben, daß sie auf dem falschen Wege sind. Für die Sozialpolitik wie überhaupt für die Politik scheint es mir immer ein Fortschritt zu sein, wenn jemand einsieht, daß er auf dem falschen Wege war.Die Kernfrage, die uns heute gestellt ist, ist aber meiner Ansicht nach in der Debatte zu kurz gekommen. Ich meine die Frage des sozialen Effekts unseres Sozialetats, die Frage der Grenzen der Belastung und die Frage der Möglichkeit der Förderung der Eigenverantwortung. Ebenso habe ich in der Debatte einen Hinweis vermißt, der ja heute Mode ist, nämlich den Hinweis auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.Die Fragestellung der sozialdemokratischen Opposition nach der Nähe der Mindestrente am Fürsorgerichtsatz ist eindeutig falsch. Sie ist deshalb falsch, weil die Sozialdemokraten doch gerade auf die Bindung der Rentenformel an den Lohn Wert gelegt haben und nicht an den Fürsorgerichtsatz. Deshalb muß jetzt mit Recht gefragt werden, ob andere Bezugsgrößen gerechter gewesen wären. Sie haben damals diese anderen Bezugsgrößen abgelehnt und an dem Lohnindex festhalten wollen. Es ist sicherlich wertvoll, sich in solcher Stunde der Besinnung deutlich zu machen, daß es nicht auf soziale Parolen und nicht auf Schlagworte unserer Zeit ankommt, sondern darauf, deren Wert und Wahrheitsgehalt gründlich zu prüfen.Sie beklagen heute die sozialen Enttäuschungen. Sind nicht die sozialen Enttäuschungen die Folgen zu großer sozialer Versprechungen oder unwahrhaftiger sozialer Versprechungen? Wir sollten realistisch und nüchtern untersuchen, woher denn diese Forderungen kommen, was denn die Ursachen des übermäßigen Strebens nach staatlicher Sicherung sind. Hier sollten wir unsere Novellen zur Reform der Sozialgesetze ansetzen, nachdem wir diese Ursachen mit aller Verantwortung und Gründlichkeit untersucht und geprüft haben. Es ist so viel das Fehlen von Leitbildern, die veränderte gesellschaftliche oder Bevölkerungsstruktur, die Folgen zweier Kriege, die Inflation beklagt worden. Was nützt es, wenn wir darüber Klage führen, wenn wir die Sparmark anders behandeln als die Rentenmark? Was nützt es, wenn wir dem Beharrungsvermögen der Sozialversicherungsträger oder ihrer Organe oder wenn wir dem Sog nach immer größerer Ausdehnung nachgeben, wenn wir das Versorgungsprinzip auch durch staatliche Stellen überbetonen lassen? Brauchen wir uns dann zu wundern, wenn der Fluch der bösen Tat folgt und die von Herrn Kollegen Stingl dankenswerterweise deutlich gemachten Unterschiede zwischen den Versorgungs-, den Fürsorge- und den Versicherungsprinzipien, die die Fraktion der Deutschen Partei nicht aufgehört hat immer wieder klarzumachen, einfach nicht mehr beachtet werden? Was nützt es, wenn man darüber Klage führt, daß in diesem Zusammenhang die volkswirtschaftlichen und Währungsprobleme bagatellisiert werden, weil man einfach liest, was man gern lesen möchte, wie die Sparguthaben oder die Kassenbestände von 1957 sind — ich gehe auf diese Dinge noch ein —, aber verschweigt, daß die Last der Rentenversicherungsreform eine Last ist, die sich in die Zukunft hineinwälzt und für die wir die Verantwortung auf Jahrzehnte tragen müssen?Die sozialdemokratische Opposition hat heute sehr vieles beklagt, was sie besser nicht beklagt hätte. Sie sagen, Ihr Entwurf sei einfacher gewesen. Ich bestreite das nicht, er war wirklich in einzelnen Dingen einfacher. Er wäre noch einfacher, wenn er vollständig verwirklicht worden wäre und wenn nicht meine politischen Freunde innerhalb der Koalition Verständnis gefunden hätten für jene Bremsen, die notwendig waren, um dem Ansatz zum Umschwung auf die totale Versorgung hin von Anfang an jene Schwelle hemmend in den Weg zu legen, und Sie beklagen es nun, daß schwer darüber hinwegzukommen sei. Sie sagen, der einfachere Weg sei der bessere. Ich sage Ihnen, der totale Versorgungsstaat als Verteilerstaat — und das wäre der einfachste Weg -- ist weder billiger noch besser noch führt er zu einer gerechteren Lösung.Nun hat Herr Kollege Schellenberg sehr bitter darüber Klage geführt, daß die Mehrleistungen nur 40 bis 50 % und nicht 70 % der Durchschnittsleistungen ausmachen. Ich gebe Herrn Schellenberg recht: es sind keineswegs 70 %, sondern es sind in der Regel 40 bis 50 %. Ich finde es eigentlich unter seiner Würde, daß er mit Durchschnittszahlen operiert. Wenn andere das tun, Herr Kollege Schellenberg, w i r sollten es nicht tun, denn w i r wissen, wie eine solche Durchschnittsrente zustande kommt. Wenn einer 400 Mark bekommt und der andere 100 Mark, das sind 500 Mark, dann ist die Durchschnittsrente 250 Mark, und trotzdem hat einer 400 und der andere 100 Mark.
— Bitte, man soll das aber ganz deutlich sagen! Es gibt in unserem Volke sehr viele Gruppen der freien Berufe, der Selbständigen und derjenigen, die Steuern zahlen, die arbeiten und große Substanzverluste gehabt haben, die glücklich wären, wenn ihre Sparmark mit 40 oder 50 % aufgewertet worden wäre. Ich wollte auch das heute einmal ausgesprochen haben.Die Deutsche Partei hat im 1. und 2. Bundestag in sehr grundsätzlichen Stellungnahmen und Anträgen die Probleme der Rentenreform immer wieder vor Ihrer aller Gewissen gestellt. Sie hat die Wiederherstellung des Versicherungsprinzips begrüßt und begrüßt es auch, soweit es in diesen Gesetzen Verwirklichung gefunden hat. Wir bedauern, daß das Prinzip der Erhaltung der Kapitaldeckung mit dem neuen absoluten Umlagesystem — denn das ist auch die Abschnittsdeckung — verlassen worden ist. Wir halten es nicht für gut, daß das Angestelltenversicherungsrecht in seiner besonderen Art beseitigt worden ist. Wir glauben, daß auch die Regelung der Anrechnung zu Unrecht beanstandet worden ist, weil diese Frage nicht in diesem Gesetz,
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518 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958
Frau Kalinkesondern im Unfallversicherungsgesetz und in der Kriegsopferversorgungsnovelle geregelt werden müssen.Wir haben immer wieder auf die großen Zusammenhänge des sozialen Haushalts hingewiesen. Ich glaube, daß diese Zusammenhänge in der Betrachtung zu kurz gekommen sind und daß die Regierung und der Herr Arbeitsminister a. D. Storch — das betrifft nicht unseren neuen Arbeitsminister — zu lange gezögert und dann eben unter Zeitdruck Unvollkommenes getan haben. Zu dieser Unvollkommenheit sollten wir uns in aller Offenheit bekennen. Wenn wir aus ihr lernen, dann wird die Neigung, soziale Wohltaten im Schatten der Wahlen zu geben, geringer werden; und ich hoffe, wir haben alle daraus gelernt. Das, was an Fortschritt in diesen Gesetzen enthalten ist, wird von meinen politischen Freunden nicht kritisiert. Das, was fehlerhaft ist, wollen wir insofern offen dartun, als es einen Ansatzpunkt zu einer besseren Reform gibt.Frau Kollegin Korspeter hat zu Beginn den Zeitdruck und das Ausmaß der Beanstandungen beklagt und zugleich immer wieder gerühmt — auch Herr Schellenberg hat es fortgesetzt —, daß die SPD die eigentliche Initiative zu diesem Gesetz gegeben hat. Nun, ich glaube, gerade die Punkte dieser Gesetze, die auf der dynamischen Rentenformel beruhen, werden uns nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft noch manche Kopfschmerzen bereiten.Meine politischen Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei sind dem neuen Minister für Arbeit, Minister Blank, dankbar, weil er so eindeutig klargemacht hat, daß die Bundesregierung Fürsorgeprinzipien in der Rentenversicherung ablehnt und sie auch in Zukunft darin nicht verankert sehen möchte.Wir beklagen alle gemeinsam die Kompliziertheit der Verwaltung. Mein Kollege Stingl hat an dem Beispiel der Angestelltenversicherung schon einzelne Fragen beantwortet, die von der Frau Kollegin Korspeter hinsichtlich der Dauer der Bearbeitung der Rentenanträge gestellt worden sind. Frau Korspeter beklagte, daß die Berechnung neun Monate dauere. Sie dauert im Durchschnitt etwa sieben Monate. Sie dauert neun oder zehn Monate, wenn die Landesversicherungsanstalten bei Rückfragen, die sie in Wanderversicherungsfällen haben, nicht antworten können. Sie alle kennen dazu die Veröffentlichungen des Verbandes der Rentenversicherungsträger. Ich will Ihnen, die Sie so bitter darüber klagen, die Gründe dafür mit den überparteilichen Worten des Verbandes der Rentenversicherungsträger sagen. Er gibt in einer Pressenotiz folgende Gründe an:Der Kreis der Rentenberechtigten hat sich erheblich erweitert.— Das sind Ihre Anträge. Wir wollten keine Ausweitung des Kreises der Rentenberechtigten.Die neue Rentenformel ist zeitraubender. Sie erfordert die Benutzung moderner Rechenmaschinen und sehr lange und schwierige Berechnungen.— Das war Ihre Idee, meine Herren von der Opposition.Bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeit müssen ärztliche Gutachten eingeholt werden.Bei der Angestelltenversicherung betreffen 70 % der Anträge die Wanderversicherten, die noch Beiträge zur Knappschafts- oder Invalidenversicherung zahlen. Diejenigen von Ihnen, die wissen, wie es bei der Knappschaft aussieht — bei der es ja noch viel schlimmer ist als bei den Landesversicherungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte —, werden mir und in diesem Fall auch dem Arbeitsminister recht geben, daß jede sofortige Novellierung der Rentengesetze die Versicherungsträger in eine aussichtlose Lage bringen würde, in ein Dilemma und eine Auseinandersetzung, die auf dem Rücken der alten Rentner ausgetragen würde. Dafür sollten wir unsere Hand nicht geben.Der Kollege Stingl hat aus dem Bericht der Bundesversicherungsanstalt einiges über Geschäftsanfall und Arbeitserledigung zitiert. Ich will nicht hinzufügen, was in dieser Anstalt geleistet werden mußte und noch geleistet wird, um den Rentenbestand von 1,6 Millionen umzurechnen. Ich will auch nicht berichten, wie die Antragssituation in Wirklichkeit aussieht und wie sie sich immer verschlechtert. Ich meine, es ist nicht Sache dieser Debatte hier, von einzelnen Anstalten zu sprechen. Aber eines möchte ich sagen: die Kompliziertheit der Rentenformel, die nicht der Initiative der Fraktion der Deutschen Partei entsprach und die wir bekämpft haben, weil wir die daraus entstehenden Schwierigkeiten vorausgesehen haben — wir haben das hier sehr deutlich dargelegt —, hat dazu geführt, daß bei sämtlichen Versicherungsträgern der Bestand der Angestellten um 25 % erhöht werden mußte. Was das für den Etat bedeutet, wenn man statt 4000 Mitarbeitern 5000 haben muß, was das hinsichtlich der künftigen Belastungen der Versicherungsträger bedeutet, das zu beurteilen überlasse ich all denen, die etwas von Personalkosten und -verpflichtungen wissen. Jede weitere Komplizierung des Rechts würde eine weitere Erhöhung dieses Bestandes zwangsläufig zur Folge haben.Minister Blank hat auch meine Zustimmung, wenn er deutlich gemacht hat, daß es nicht das Ziel der Rentenreform war, allen eine ausreichende Sicherung auf Lebenszeit zu geben. Das kann niemals das Ziel der Rentenreform sein. Es ist bei den Debatten zu den Sozialversicherungsanpassungsgesetzen und den Anrechnungsbestimmungen von der Deutschen Partei immer wieder deutlich gemacht worden, daß mit dieser Ausgestaltung der Rentenversicherung eben nicht alle Probleme der Fürsorge und Versorgung gelöst werden können. Wir stimmen auch der Auffassung des Arbeitsministers und der Regierung zu, daß das Ziel keine Vollversorgung sein kann, sondern nur ein Höchstmaß an Sicherung nach individueller Leistung, die vorher erbracht werden muß. Wir sind mit den Sozialdemokraten, aber ich glaube, da besteht kein Gegensatz: auch mit der Koalition, mit allen hier im
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Frau KalinkeHause, einig, daß wir die Anrechnungsbestimmungen schleunigst überprüfen müssen. Die Unfallversicherungsreform wird uns dazu Gelegenheit geben, auch die nächste Novelle zum Bundesversorgungsgesetz, von der wir ja alle wissen, daß sie eines Tages kommen wird.
Es ist hier von der Pauschalumstellung gesprochen und gefordert worden, sie durch individuelle Umstellung zu ersetzen. Dieses Problem hat Kollege Stingl behandelt. Auch der Minister für Arbeit hat es getan. Ich möchte nur daran erinnern, daß es Herrn Schellenbergs Tabellenrenten bei der Versicherungsanstalt Berlin waren und daß dem gepriesenen SPD-Entwurf, der ja immer wieder angezogen worden ist, nach meiner Erinnerung die gleichen Pauschalrechnungen und Tabellenrenten zugrunde lagen.Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es auch und ist dem Arbeitsminister dankbar, daß er sich so deutlich von jedem Prinzip der Mindestrente abgesetzt hat, weil dieses ein Prinzip der Versorgung ist und im Gegensatz zum Prinzip der Versicherung steht. Es ist unbestritten, daß der Lebensstandard vieler Rentner erheblich angehoben wird. Aber wir geben auch zu: leider sind trotz aller Deklamationen für das Versicherungsprinzip — und hier bin ich in der Sache, nicht in der Form, mit Herrn Schellenberg einig — unendlich viele um die Früchte ihrer Beitragsleistung gebracht worden. Das Prinzip „Leistung und Gegenleistung" mit seinem ethischen Inhalt ist eines der grundlegenden Versicherungsprinzipien überhaupt. Es ist deshalb wichtig, daß wir es immer wieder deutlich machen.Herr Schellenberg und Herr Walpert haben beklagt, daß zwei Versicherte mit gleichem Einkommen und gleichen Beiträgen keine gleiche Rente haben. Auch ich bekomme täglich Briefe mit solchen Beispielen. Das ist die Folge mancher bösen Tat, nämlich im Zusammenhang mit einer Perfektion der Bestimmungen über Anrechnungszeiten und Zurechnungszeiten, die zwangsläufig — wir haben bei der Debatte um die Rentenreform darauf hingewiesen — zu diesen Ungerechtigkeiten führen mußten. Es trifft leider zu, daß der Personenkreis unendlich groß ist, der mit gleichem Schicksal in zwei Teile gespalten ist: die einen, die an dem großartigen Geschenk der Anrechnungszeiten Anteil haben, und die anderen, die davon ausgeschlossen sind. ,Hier stehe ich im Gegensatz zu dem Kollegen Stingl. Hier meine ich, wir müssen insbesondere hinsichtlich der Heimkehrer und Kriegsopfer überlegen, wie wir dieses Problem vernünftig anpacken und im Zusammenhang mit anderen Reformproblemen zu gegebener Zeit lösen.Wir wundern uns über Ihre Klagen, die nicht berechtigt sind, weil Sie ja Ihre eigene Konzeption angreifen. Wir beklagen, daß die Übersteigerung der Gleichheitsforderung in Ihrer Konzeption dazu geführt hat, daß die Ungleichheit größer ist denn je, und ich stimme dem Minister darin zu, daß bei dem heutigen kritischen und unbefriedigenden Zustand der durch die Pauschalumstellung der Renten entstandenen Härten und Differenzen ein Verzicht auf die Pauschalumstellung kaum noch möglich erscheint, daß die Abweichungen der umgestellten Renten wie die Differenzen zwischen den Bestands- und Zugangsrenten kaum noch zu reparieren sind, wenn man nicht den Weg zurückgehen will. Ich glaube aber, es ist unser aller Erfahrung, daß es in der Sozialpolitik einen Weg zurück leider niemals gibt. Wir sollten auch in dieser Frage das soziale Tabu beseitigen und über Fehler sprechen, um aus ihnen zu lernen.Ganz besonders beklagen meine politischen Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei die finanziellen Wirkungen der neuen Bezugsgrößen in den Rentenversicherungen vor allem in der Zukunft, und ich bedauere ein wenig die späten Erkenntnisse der Abteilungen im Arbeitsministerium, die Herrn Minister Storch beraten haben und die uns jetzt selber auf dem Wege vom Irrtum zur Wahrheit deutlich machen, welche ernüchternden Klarheiten ihnen anscheinend jetzt erst gekommen sind. Ich meine die Aufsätze, die aus dem Hause des Herrn Ministers über die freiwillige Weiterversicherung nach neuem Recht geschrieben wurden, und die sehr deutlich — denn sie entspricht der Wahrheit — gegebene Klarstellung, auf die auch Herr Schellenberg heute hingewiesen hat. Er hat nämlich darauf hingewiesen, daß in keinem Jahr seit der Währungsreform die Zahl der verkauften Beitragsmarken für die freiwillige Weiterversicherung so gering gewesen ist. Es ist interessant — ich stimme da dem Referenten des Arbeitsministeriums zu —, daß das nicht auf mangelnde finanzielle Möglichkeiten der Versicherten zurückzuführen ist, sondern auf jene große Unsicherheit der Gesetzgebung. Der ganz offensichtliche Grund für diese Zurückhaltung ist nach übereinstimmender Auffassung der Fachleute, daß die Versicherten eben nicht wußten, welche Marken zweckmäßig waren, und daß sie fürchteten, durch eine unbedachte Wahl in der Zahl und der Höhe der freiwilligen Beiträge eine bereits erworbene Rentenanwartschaft zu mindern. Wenn nun offen zugegeben wird, daß das von vornherein feststand, dann allerdings meine ich, daß der frühere Arbeitsminister und seine Mitarbeiter sehr schlecht von denen beraten waren, die das wußten, aber dem Parlament und insbesondere der Opposition im Parlament nicht zugegeben haben, daß wir mit unseren Bedenken gegen die Rentenformel recht hatten.Ich will nichts wiederholen, was hier schon ausgesprochen worden ist, aber auf eins sehr deutlich hinweisen. Wegen der Abrundungsvorschriften und der neu vom Arbeitsministerium bekanntgegebenen Beitragsbemessungsgrenze, die für 1957 unverändert 750 DM monatlich und 9000 DM für Jahresbezüge beträgt, führt die allgemeine Bemessungsgrundlage, die ja unmittelbar die Höhe der Renten beeinflußt — der für 1957 geltende Satz von 4281 DM ist für das Jahr 1958 auf 4542 DM heraufgesetzt worden —, zu folgenden Ergebnissen: Die neuen Renten, die im Durchschnitt um 6,1 % höher sind als im Vorjahr, bringen für diejenigen Versicherten, die in der Regel mehr gearbeitet, mehr
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Frau Kalinkegeleistet, mehr verdient und höhere Beiträge gezahlt haben, wiederum durch die Abrundung Nachteile. Ich will das nicht mit vielen Zahlen, aber mit zwei ganz eindeutigen Beispielen aufzuzeigen versuchen. Die Sondervorschriften zur Abrundung haben zur Folge, daß die wichtige Grenze 1957 bei 9000 DM durch den Satz von 4282 DM geteilt 210 % und für 1958 bei 9000 DM durch den Satz von 4542 DM geteilt nur 198 % ergibt.Tendenz und Umfang der Auswirkung der neuen Rentenformel werden sich also viel deutlicher erst in den nächsten Jahren zeigen. Deshalb ist es leichtfertig, sowohl vom Abgeordneten Storch wie vom Abgeordneten Schellenberg und allen, die diese Auffassungen mit vertreten haben, von der jetzigen Situation schon auf die Konsequenzen zu schließen, die sich aus der Rentenformel in der Zukunft ergeben werden. Ich glaube, der Herr Kollege Schellenberg hat sich hier ein wenig zu früh gefreut. Das Ansteigen der Jahresarbeitsverdienste wird ein Ende haben, und die Zuwachsquote ist ungewiß. Wer den Bericht der Bank der Länder sehr ernsthaft gelesen hat, der weiß, daß da manche große Unbekannte vorhanden sind. Die Auswirkungen für die hockbezahlten Versicherten, aber auch die Versicherungsträger sind ganz unbekannt, weil niemand weiß, welche Konsequenzen diese Versicherten, besonders die Weiterversicherten bei ihrer Beitragszahlung ziehen werden. Die Belastungen für den Bund wurden schamhaft verschwiegen. Sie steigen, und der Herr Bundesfinanzminister wird ja spätestens bei der Beratung des Haushalts darüber einiges zu sagen haben. Es ist allerdings richtig, daß auch eine neue Umrechnung aller Renten nach individuellen Grundsätzen, ganz abgesehen vom Zeit- und Verwaltungsaufwand, die ausnahmslose Gleichbehandlung aller nicht sicherstellen würde.Nun hat der Kollege Stingl — das ist auch ein Punkt, in dem ich nicht mit ihm übereinstimme — Herrn Schellenberg geantwortet, daß der Höchstrentensatz bei den freiwillig Versicherten für die Zukunft nun einmal in deren Hand liege. Sie müßten sich eben ausrechnen, was für sie das Günstigste sei. Diese Auffassung ist falsch. Richtig ist vielmehr — ich freue mich, daß der Bundesminister für Arbeit uns das zugesagt hat —, daß wir hier dafür sorgen sollten, daß keine Verminderung des Rechtsanspruchs entsteht, daß die einzelnen nicht zu manipulieren verpflichtet sind oder zum Rentenberater laufen müssen, ganz gleich, aus welchen Gründen, aus geschäftlichen oder ideellen, diese Rentenberater nun ihren Rat geben, sondern daß Beiträgen auch Leistungen folgen.Es ist weiter in der Frage der Beschränkung der Höchstrenten nur von der Auswirkung auf die Versicherten gesprochen worden. Aber diese Beschränkung wirkt sich auch auf die Versicherungsträger oder, besser gesagt, auf die Versichertengemeinschaften aus. Wenn hier deutlich gemacht wurde, daß zur Zeit kaum 50 % des Eingangs an Beiträgen aus dem Markenkauf freiwillig Versicherter festzustellen sind, wenn hier auf die Kassenüberschüsse des Jahres 1957 verwiesen wurde, so darf ich, ohne Prophet zu sein, Ihnen sagen, daß diese Überschüsse schon 1958 wesentlich schrumpfen werden, wenn sie nicht gänzlich verschwunden sein werden. Es ist sicher zu früh, heute schon über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben in dem nächsten zehnjährigen Deckungsabschnitt Aussagen zu machen. Aber entscheidend für die Veränderung wird die Anpassung der laufenden Renten sein, und über dieses wichtige Problem werden wir in diesem Hause auch demnächst sprechen können. Art, Zeitpunkt und Höhe der Anpassung der Renten werden die finanzielle Belastung von morgen ausmachen, und darauf kommt es mit an.Zu den großen Unbekannten aber gehören auch neben den Beitragseinnahmen aus der veränderten Zahl der Weiterversicherten, die Situation der Selbständigen und die Konsequenzen, die sie aus der Rentenreform ziehen werden, aber auch die Konsequenzen, die sie hinsichtlich ihrer Selbstverantwortung und ihrer eigenen Initiative, für ihre Zukunft zu sorgen, ziehen werden. Ich brauche das Kapitel Handwerkerversicherung nur als Überschrift anzusprechen, und Sie wissen alle, was ich damit meine.Wie berechtigt alle die grundsätzlichen Bedenken waren, die ich namens der Fraktion der Deutschen Partei in der Rentenreformdebatte geltend gemacht habe, zeigen manche Mängel der Praxis, sosehr sie beklagt werden mögen; das zeigt und wird zeigen noch viel mehr der Blick in die Zukunft, die Fülle der Erfahrungen und Schwierigkeiten, die wir bei der Auslegung des Gesetzes haben. Das Gebiet ist so umfangreich, daß es ganz unmöglich wäre, es in diesem Hause im Rahmen der möglichen Redezeit und Ihrer Aufnahmefähigkeit jetzt vorzutragen. Ich will nur darauf hinweisen, daß der Verband der Rentenversicherungsträger schon ganze Bände allein mit Auslegungsbestimmungen herausgeben mußte.Ich kann nur sagen: die Deutsche Partei hat mit allen Einsichtigen immer wieder auf die Notwendigkeit der Anpassung der laufenden Renten an die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen. Sie hat sie gefordert. Sie hat die fällige Rentenerhöhung immer bejaht. Sie ist der Meinung, daß viel Ärger und Enttäuschung heute nicht wären, wenn Sie unsere Warnungen beachtet hätten und die automatische Anpassung nicht zum Prinzip erhoben hätten. Was Ihnen diese automatische Anpassung noch für Kummer bereiten wird, das wage ich in Ihrem eigenen Interesse nur anzudeuten.Es ist heute so sehr gerühmt worden, daß all die Folgen, vor denen wir gewarnt haben — Geldentwertung, Kaufkraftschwund — nicht eingetreten sind. Meine Freunde haben niemals gemeint, daß solche Folgen innerhalb eines halben Jahres eintreten werden. Wir haben gefordert, alle Anstrengungen zu machen, um die Währung stabil zu halten und echte Produktivitätssteigerungen zu erreichen. Aus diesem Grunde haben wir Indexbindungen und Indexklauseln abgelehnt. Das tun wir auch heute und in Zukunft. Wir haben auch das Umlageverfahren wegen seiner Gefahren abgelehnt.Ich freue mich, daß Herr Walpert und Herr Storch in schöner Einmütigkeit — wenn auch nicht so deutlich — sagten, daß die infolge der Währungsschä-
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Frau Kalinkeden entstandenen „alten Lasten" durch die Rentenreform den Versicherten und ihren Arbeitgebern aufgebürdet werden. Leider ist man hier unserer Auffassung nicht gefolgt und hat falsche Konsequenzen gezogen. Man vergleicht heute die Rentenmark mit der Sparmark, und daraus ergeben sich wieder alle möglichen und berechtigten Forderungen.Schließlich ist vieles von dem, was Sie heute beklagen, das Ergebnis der Ausweitung der Versicherungspflicht. Ich möchte von den vielen Problemen nur das der leitenden Angestellten und der Befreiungsvorschriften ansprechen; dieses Problem liegt besonders im argen und drängt zur Entscheidung. Die Praxis hat schon in kürzester Zeit unseren Warnungen recht gegeben. Wir werden daher nicht müde werden, auf die Grenzen hinzuweisen, die dem Staat und dem Bundestag gesetzt sind, wenn nicht die letzten Regungen der Selbsthilfe erschlagen werden sollen.Die SPD beklagt die Belastung der Verwaltung, die Rechtsunklarheit, die Rechtsunsicherheit, die Überlastung der Sozialgerichte — und ich kann nur hinzufügen —, die Überfüllung unserer Postfächer mit Post, die Akten des Petitionsausschusses und die Überfüllung unserer Sprechstunden als Abgegeordnete, wo die gleichen Probleme vorgebracht werden. Ich meine, viele dieser Klagen haben ihre Wurzel in den eigenen Anträgen der SPD, die ich Ihnen jetzt nicht aufzählen will, die Sie aber alle nachlesen können. Die Tatsache, daß man immer wieder an ein Sicherungsbedürfnis aller appelliert und immer wieder mehr vom Staat haben will, drängt schließlich zu neuen Überlegungen und Lösungen; die Umstände werden uns alle zwingen, eines Tages mehr Zeit für grundsätzliche Entscheidungen zu haben. Ich stimme allen den Rednern zu — wo immer sie auch stehen —, die sagen, daß wir uns Zeit lassen und nicht einem voreilig und unter großem Druck beschlossenen Gesetz eine schlechte Novelle hinzufügen sollten.Offen für eine Reform ist eine Reihe von Fragen. Ich kann sie wegen der vorgeschrittenen Zeit und Ihrer Überanstrengung, die so offensichtlich ist, nur andeuten. Offen ist das Problem der Beitragserstattung, das Problem des Verzugs ins Ausland, die Frage der Elternrenten, das Problem der alleinstehenden — nicht nur der weiblichen, auch der männlichen — Versicherten und deren Hinterbliebenen.Ich muß an dieser Stelle sagen, daß das, was von einer CDU-Kollegin in der Zeitschrift der CDU „Frau und Politik" erklärt worden ist, einfach nicht zutrifft. Es handelt sich weder um Fürsorge noch um einen Schritt zur Versorgung, sondern es handelt sich um eine sinnvolle Anpassung unserer Gesetzgebung an die veränderte soziale Wirklichkeit; es handelt sich darum, Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Versicherungsgedanken — und nicht aus den Fürsorgeprinzipien — ergeben. Ich bin ganz gewiß nicht verdächtig, in diesem Hause Fürsorgeoder Versorgungsprinzipien mit Versicherungsprinzipien zu vermischen.Der Herr Kollege Walpert hat auch ein Bekenntnis zum Versicherungsprinzip abgelegt, hat aber zugleich gemeint, der Mindestrente das Wort reden zu müssen. Er hat bittere Klage über die Bagatellrenten geführt. Diese Bagatellrenten werden uns ja auch in Zukunft beschäftigen, und wir haben, meine ich, gemeinsam einen Mißstand der vergangenen Gesetzgebung beseitigt. Er sprach von denen, die „gläubigen Herzens" die Versicherung aufgenommen hätten, und er meinte damit sicher die fälschlich so genannte Hausfrauenversicherung, die wir beseitigt haben.Dazu möchte ich zwei Beispiele anführen. Besonders das eine geht alle die an, die sich bei der Versicherung der Selbständigen der Illusion hingeben, man könne außerhalb der Solidarhaftung, aber ohne die gleichen Verpflichtungen und Verantwortung für sich etwas Besonderes haben. Wir meinen Fälle — nicht nur aus dem Kreis der Hausfrauen oder der freiwillig versicherten Selbständigen —, in denen jemand—ich nehme jetzt den günstigsten Fall an — den Höchstbeitrag gezahlt hat, der nach der früheren Gesetzgebung für diese Gruppe 5 Mark betrug. Möglicherweise hat der Betreffende auch weniger als 5 Mark bezahlt. Ich nehme also diesen höchsten Beitrag an. Dann würde jemand nach fünf Jahren bei 180 Beiträgen à 5 Mark 900 Mark in die Versicherung eingezahlt haben. Die Mindestrente, die sich daraus ergäbe, war nach altem Recht 75 Mark. Der Betreffende erhält also im Laufe eines Jahres seine gesamten Beiträge zurück.Bei der Lebenserwartung eines 65jährigen würde der Rentner, wenn er 13 Jahre lang Rente bezieht, 11 700 Mark aus der Versicherung herausgeholt haben, und wenn er die Rente bei Eintritt der Invalidität, wie es in der Regel der Fall ist, mit 55 Jahren erhält, wären es in 22 Jahren 20 000 DM, die er für 900 DM Beiträge aus der Versicherung herausholen würde.Meine Damen und Herren, das ist ein sehr zahmes Beispiel für die Bagatellrenten derjenigen, die wenige Beiträge gezahlt haben und aus der Versicherungsgemeinschaft „gläubigen Herzens" etwas herausholen wollten. Diesen Personenkreis haben wir nicht gemeint. Ich glaube aber, daß das Problem angesprochen werden muß, und es muß deshalb angesprochen werden, weil es ungut ist, daß das Bundessozialgericht eine Entscheidung in den Fragen der Beitragserstattung fällen mußte. Das ist eine echte Angelegenheit der Novelle, bei deren Behandlung wir die Probleme der Beitragserstattung überprüfen müssen. Es darf nicht eine Welle von Feststellungsklagen und es dürfen nicht ungeahnte Mengen von Klagen bei den Sozialgerichten entstehen, sondern offene Fragen müssen innerhalb der Novellierung der Gesetzgebung geklärt werden, damit die Sozialgerichte nicht 15 Jahre hindurch mit allen möglichen Problemen der Rentenreform belastet sind.Die Finanzminister der Länder haben sich erfreulicherweise zu einer grundsätzlichen Gleichstellung von Sozialversicherung und Lebensversicherung durchgerungen. Ich möchte im Zusammenhang mit einem der letzten Probleme, das ich hinsichtlich der notwendigen Novellierung der Gesetzgebung ansprechen will, auf dies hinweisen: „Die Welt" hat
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Frau Kalinkein einer Veröffentlichung vom 14. Oktober vorigen Jahres diese Probleme einmal sehr anschaulich dargestellt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich einiges davon zitieren. Es wird dort gesagt, daß der Bundestag völlig sang- und klanglos die befristete Möglichkeit zur Wahlfreiheit verlängert und damit 400 000 Angestellten die Möglichkeit gegeben hat, die Frage zu beantworten, ob sie sich freiwillig in der Angestelltenversicherung oder in der Lebensversicherung versichern wollen. Es ist eine Kernfrage der Sozialreform, der Freiwilligkeit eine Gasse zu bahnen. Im folgenden wird mit Recht gesagt:Hinzu kommt, daß es der Gesetzgeber von Anfang an versäumt hat, hier klare Verhältnisse zu schaffen. Die mit der Reform aufgekommene Frage, ob der Arbeitgeberanteil vom Arbeitgeber auch bei Abschluß einer befreienden Lebensversicherung zugunsten des Angestellten übernommen werden sollte, ist bis heute gesetzlich nicht geregelt worden. In der Praxis hat sich aber Gott sei Dank das gesunde Rechtsempfinden eines Großteils der Arbeitgeber durchgesetzt, und der Arbeitgeberanteil wird freiwillig gezahlt, um dem Angestellten überhaupt die Wahl zu ermöglichen. Wo bleibt hier der Grundsatz der Gleichberechtigung, wenn dem Mitglied der Angestelltenversicherung gesetzlich das Recht auf halbe Beitragserstattung durch den Arbeitgeber eingeräumt wird und dem in einer Lebensversicherung befindlichen Angestellten zwar vorgeschrieben wird, daß er mindestens soviel für seine Lebensversicherung aufwenden muß, wie es in der AV Angestellte und Arbeitgeber tun, von einer analogen Beitragserstattung durch den Arbeitgeber aber nicht die Rede ist? In beiden Fällen wird doch Vorsorge für den Lebensabend und für die Familie getroffen. Warum dieser Unterschied? Warum dann überhaupt das Anerbieten, zwischen AV und LV wählen zu dürfen?Die „Welt" fährt fort: Eine weitere Frage ist offengeblieben, wie es nämlich mit der Befreiung steht, wenn sich die Voraussetzungen für die Wahl ändern. Wenn der Angestellte wieder unter die Gehaltsgrenze sinkt, wirkt dann die Befreiung zum Abschluß einer Privatversicherung endgültig oder entfällt sie automatisch oder besteht die Frage des Widerrufs? — Die vom Arbeitsministerium dazu eingenommene Stellung erscheint mir nicht gerecht und nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechend.Schließlich gehört hierzu auch die Frage, die absolut unklar ist, ob die Gleichstellung der Angestellten herbeigeführt werden kann, die infolge Überschreitens der Pflichtgrenze versicherungsfrei werden und sich freiwillig weiterversichern. Wenn diesen freiwillig Weiterversicherten die gezahlten Beiträge als Pflichtbeiträge angerechnet werden, müßte man bei den von der Versicherung Freigestellten genauso verfahren, wenn man keine Ungerechtigkeiten will.Zu den Problemen, die klärungsbedürftig sind, gehören noch Einzelfragen, die Bücher füllen. Ich will sie ganz gewiß nicht alle aufzählen. Ich meine aber, daß sie bedeutsamer sind als der Schrei nach Mindestrenten.Ich sagte anfangs schon: das, was Herr Storch zur Vereinfachung versprochen hat, wird sich nicht realisieren lassen. Herr Storch hat uns auch noch etwas anderes versprochen. Vielleicht wird er jetzt als Abgeordneter initiativ. Er hat uns bei der Reform der Krankenversicherung der Rentner versprochen, daß bei der Erhöhung aller Renten auch das Problem der Krankenversicherung der Rentner angepackt werden solle. Heute klagt die AOK Hamburg, heute klagen die Rentenversicherungsträger über die Auswirkung der Belastung durch die Krankenversicherung der Rentner. Hier ist anscheinend vergessen worden, was uns der Herr Minister Storch damals versprach. Vielleicht wird es der Abgeordnete Storch durch Initiative in seiner Fraktion nachholen.
Ich erfülle Ihnen so gern Wünsche. Ich erfülle meinem Kollegen Storch so gern jeden Wunsch. Darum will ich in meinem Schlußwort noch etwas Grundsätzliches sagen.Zu den grundsätzlichen Dingen gehört, daß wir keine Novellierung vornehmen, ehe wir uns nicht über die Kosten klar sind, über die weitere Einkommensumschichtung, über die Steigerung des Sozialaufwandes, über die Änderung der Einkommen nicht nur der unselbständig Erwerbstätigen, sondern auch der Selbständigen, besonders der mittleren Schichten und der kleinen Selbständigen, die nicht in der Lage sind, die Soziallasten und die Kosten in jedem Fall auf den Preis umzulegen. Wir sollten uns auch klarmachen, daß die sozialen Lasten hinsichtlich der Beiträge und Steuern ihre Grenze längst erreicht haben. Die Rentenreformdebatte im zweiten Bundestag hat deutlich gemacht, daß zwischen den sozialen Grundsätzen, zu denen sich ein Teil der Koalition bekannt hat, und dem sozialistischen Ziel der Vollversorgung nur graduelle Unterschiede waren. Ich freue mich, daß die heutige Debatte im Gegensatz dazu sehr deutlich gemacht hat, daß wir uns wieder gemeinsam auf die Grenzen besinnen wollen, die, wie der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung zu Jahresbeginn geschrieben hat, da sind, wo des Volkes Wohlfahrt sich von dem Versorgungsstaat unterscheidet. Ich freue mich, sagen zu können, daß wir in dieser Frage in großer Übereinstimmung mit unseren Koalitionspartnern sind und nicht in einem Gegensatz. Es ist unser aller Verantwortung, diese Grenze nicht nur in Festreden und Glückwünschen zum neuen Jahr, sondern auch bei den Beschlüssen, die wir hier zu fassen haben, auch bei der Ablehnung von Anträgen, und wenn sie noch so populär sind, deutlich zu machen, um der Wohlfahrt derjenigen willen, denen wir zu helfen haben und denen wir nicht nur mit Staatszuschüssen bei der Rentenversicherung, sondern auch mit der Reform der Fürsorge und mit der Reform des Kriegsopferrechtes entscheidend helfen wollen. Die soziale Sicherung mit Staatsmitteln und mit staatlichem Zwang ist in einem Maße vorange-
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Frau Kalinkeschritten, daß hier endlich einmal die Haltesignale aufgezogen werden sollen.Ich bin dankbar dafür, daß diese Debatte heute deutlich gemacht hat, daß auch ein Zuviel in der Auswirkung sehr oft ein Zuwenig sein kann. Es ist mir ein Bedürfnis, die Befriedigung meiner Freunde in der Deutschen Partei darüber zum Ausdruck zu bringen, daß der neue Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einem Geleitwort, das er zum neuen Jahr in der Zeitschrift der Sozialpartner „Der soziale Fortschritt" geschrieben hat, deutlich erklärt hat: „daß allein eine gute Wirtschaftspolitik die Voraussetzung für eine schöpferische Sozialpolitik ist."Das verwaltungsmäßig Einfachste, meine Kollegen von der SPD, ist nicht immer das Sinnvollste und längst noch nicht immer das Gerechteste. Besser als der Ruf nach Rentenberatern wird sein, sich Klarheit über das zu verschaffen, was zu reformieren ist. Da stimme ich Herrn Walpert zu: diese Mängel sollten wir gemeinsam beseitigen; und Herrn Stingl stimme ich zu: lassen Sie der Verwaltung Zeit, der Verwaltung der Versicherungsträger, aber auch dem Arbeitsministerium, sich in Ruhe die Ergebnisse des Gesetzes anzusehen und dann eine vernünftige Reform der Reform der Rentenversicherung einzuleiten.Lassen Sie mich zum Schluß als Sprecherin der Fraktion der Deutschen Partei — der Gruppe, die sehr wohl weiß, daß sie nicht das Monopol der Konservativen für sich in Anspruch nehmen kann, die weiß, wie viele konservative Kräfte es in diesem Hause gibt — jene Forderung aussprechen, die wir alle gemeinsam nach dieser Debatte spüren sollten. Es sollte keine sozialen Tabus mehr in Deutschland geben. Wir sollten endlich den Preis der sozialen Wohltaten nennen. Wir sollten uns nicht verführen lassen zu sozialpolitischen Schlagworten und Versprechungen. Wir sollten behutsam dem sozialen Fortschritt dienen, nicht durch öde Gleichmacherei, sondern durch Anerkennung der individuellen Leistungen. Dann werden wir dazu beitragen, daß die Freiheit, die wir alle meinen, verwirklicht wird und nicht eines Tages durch zuviel Schreien nach zuviel Sicherheit der Verlust aller Sicherheit und aller Freiheit das Ende ist. Der gesamtdeutsche Auftrag, der hier angeklungen ist, bedeutet zugleich die gesamtdeutsche Verantwortung, die wir haben. Wir können ihr nicht mit Thesen gerecht werden, sondern nur mit mutigen Entschlüssen, die wir in diesem Hause zu fassen haben. Wegen des Vorbildes für Gesamtdeutschland sind wir der Meinung, daß wir diesen Auftrag gemeinsam zu erfüllen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt wie Sie seit zwei Uhr, also fünf Stunden, sehr aufmerksam alle Reden verfolgt, und ich muß sagen, es ist manchmal eineetwas anstrengende Angelegenheit. Ich hoffe mich jetzt als Redner etwas zu erholen.
Befürchten Sie aber nicht, daß ich Sie über die Maßen anstrenge.Mein Landsmann, der Kollege Stingl, dessen Eloquenz und Sachkenntnis beachtlich sind, hat Licht und Schatten etwas einseitig verteilt. Nun, das liegt ja im Aufgabengebiet eines Kollegen, der einer Regierungspartei angehört. Ich will hier jetzt gar nicht kratzen und die beachtlichen Leistungen des Renten-Neuregelungsgesetzes herabmindern; die sind ohne Zweifel da. Aber neben dieser Sonne, die mein Landsmann Stingl leuchten ließ, gibt es eben auch Schattenseiten, und diese Schattenseiten liegen nicht nur am Rande, sondern betreffen einen beträchtlichen Personenkreis. Jeder von Ihnen weiß, welchen Personenkreis ich meine: den Kreis der Vertriebenen und Flüchtlinge, die noch ein bißchen gehbehindert diesen Erfolgen nachhinken.Ich bekomme täglich Briefe, und zwar nicht nur Briefe von einzelnen, aus denen der berechtigte Unmut spricht, sondern auch Briefe von Verbänden, von Landsmannschaften, von Organisationen, die lange das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz diskutiert haben. Aus diesen Briefen und aus meiner Kenntnis der Dinge gewinne ich den Eindruck, daß hier unbillige Härten und Mängel vorliegen, die wir — hoffentlich bald — beseitigen können. Es handelt sich nicht nur um Einzelfälle, sondern um Tausende von Fällen. Bei der Lektüre dieser Briefe wird der helle Farbton der Rede des Kollegen Stingl etwas getrübt. Da ist mir jetzt gerade — der Kollege Rehs hat mir das zugeschoben — ein Brief gegeben worden, der den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung interessieren wird, weil er heute gesagt hat — oder war es ein anderer? —, jeder Schuljunge könne sich in einigen Minuten nach den Tabellen ausrechnen, was da auszurechnen sei. Dieser Brief ist vom 11. Februar, also ganz neu, und er konnte nicht bestellt werden. Es ist der Brief eines heimatvertriebenen Unternehmers, gehört also auf diese Seite hinüber. Aber ich lese ihn doch vor, weil seine Beschwerden berechtigt sind. Der Unternehmer schreibt nämlich folgendes. Er wollte die Berechnungsgrundlagen wissen und hat an die Angestelltenversicherung in Berlin-Wilmersdorf geschrieben. Nach acht Monaten — Herr Minister, ich weiß schon, Sie sind da nicht direkt zuständig — hat er endlich ein Antwortschreiben bekommen. Das Antwortschreiben ist klipp und klar, das muß man auch sagen. Aber in dem klipp und klaren Antwortschreiben steht, daß die Bundesanstalt die Höhe der Leistungen nicht angeben könne. Nun, wenn es die Bundesanstalt nicht kann, sagte er sich, dann werden sich doch Bundestagsabgeordnete finden, die dem Petenten die Berechnungen liefern können. Ich werde das Schreiben dem Herrn Minister geben. Vielleicht kann er es dann in einer Viertelstunde beantworten. Ich bin nicht dazu imstande. Bitte, ich bin auch nicht so mit Fachkenntnissen beschwert, wie der Herr Minister es ist. Aber wenn man nicht so mit
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Reitznerübermäßigen Fachkenntnissen beschwert ist, dann, glaube ich, tut man sich doch etwas leichter, und man spricht auch in einer Sprache, die verständlicher ist.
— Bitte schön! Das ist ein ganzes Packerl.
Herr Minister, ich möchte gleich noch einige Wünsche vortragen, die ich habe. Vielleicht reden Sie mit Ihren Beamten einmal ein Wort — ich hörte jetzt mit Genugtuung, daß Sie an der Arbeit sind, eine Novelle zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vorzubereiten —, damit sie sich bemühen, in einer verständlichen Sprache zu schreiben. Meine Damen und Herren, lesen Sie sich einmal den § 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes durch! Ich mußte ihn dreimal lesen, ehe ich ihn wirklich begriffen habe.
Es gibt doch in der deutschen Sprache so etwas wie einen Punkt und auch einen Strichpunkt und eine einfache Form, sagen wir, wie in der lutherischen Sprache. Ich würde deshalb manchem empfehlen, Franz Kafka zu lesen. Er hat nämlich in einem Sozialamt in Prag gedient und gestöhnt, und er hat sich oft in Briefen— sie sind wegen dieser Beschwerden über das sonderbare bürokratische Deutsch sehr interessant — beklagt. Es ist interessant, das heute nachzulesen.
— Nicht nur hier! Ich glaube, das ist in der ganzen Welt so.
— Das ist auch wichtig; denn man muß sich einen einfachen Mann und eine einfache Frau vorstellen. Diese lesen das und können es überhaupt nicht verstehen.Nun möchte ich noch etwas im Zusammenhang mit Punkt 5 der Anfrage meiner Fraktion sagen. Es heißt dort:Wann wird die Bundesregierung endlich die zwingend vorgeschriebene Rechtsverordnung zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz erlassen, damit die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge die ihnen zustehenden Renten erhalten?Der Herr Minister hat diesen Punkt natürlich gelesen, er hat ihn auch beantwortet. Aber ich muß sagen, die Antwort stimmt mich sehr pessimistisch. Er hat nicht sagen können oder nicht sagen wollen, wann diese Rechtsverordnung erlassen wird. Sie kommt nun gar nicht mehr. Es ist, wie er sagte, nicht möglich. Wir wissen seine Begründung: Saarland und die Sommerferien des saarländischen Parlaments. Aber ich weiß, daß die Rechtsverordnung auch aus sachlichen Gründen vielleicht nicht die Lösung ist. Man hat später eine Novellierung vorgeschlagen. Der Herr Minister hat erklärt, dieNovellierung werde „bald" erfolgen, eine Novelle könne „eher" erlassen werden als eine Rechtsverordnung. „Bald", „eher" sind aber relative Begriffe. Ich hätte vom Minister gern einen Tag oder einen Monat gehört. Er hat darüber nichts gesagt, obwohl in seinem Hause eine Planung vorliegt, die annähernde zeitliche Angaben zuläßt. Aber Genaues weiß man nicht. Man weiß nicht, ob es im Herbst oder zu „Fröhlichen Weihnachten" sein wird.Ich möchte doch darum bitten, daß wir die Vorlage recht bald bekommen; denn sie ist wichtig. Ein großer Personenkreis ist daran interessiert. Oder müssen wir es so machen, wie es Kaiser Josef II. getan hat, der in einer kleinen Station inkognito nach dem Fahrplan fragte. Der Stationsvorstand hat gesagt: „Einen Fahrplan haben wir nicht; ich weiß nicht, wann der nächste Zug kommt." „Aber irgendwann muß er doch kommen! Wann kommt denn Ihr Zug?" „Na", sagt er, „ich habe keinen Fahrplan, aber ich frage immer die Kartenlegerin im Dorf; die sagt mir schon, wann der nächste Zug kommt."Irgendwie muß man ja wissen, wann.
— Ja, das ist genau das: ehestens! Ja, was ist denn „ehestens"? Ich werde sagen, was ich aus dem Amt, aus dem Hause des Ministers, weiß. Im Juni soll der Entwurf kabinettsreif gemacht werden! Dann können Sie sich ausrechnen, wann er in den Bundesrat kommt. Wir haben dann fröhliche Ferien und noch einige Zeit! Wann kommt denn dann der Entwurf in den Bundestag? Ja, und wann kommt er dann in den Ausschuß usw.?
— Ach, nicht einmal! Welche Weihnachten meinen Sie denn, die von 1958 oder die von 1959? Nein, das ist doch eine ernste Sache.Ich hoffe, der Herr Minister wird dafür sorgen, daß ein bißchen beschleunigt gearbeitet wird. Ich weiß schon, daß das ganze Problem nicht einfach ist. Da ist der verschiedene geographische Raum mit verschiedenen Rechtsordnungen; da ist der polnische Raum, der sudetendeutsche Raum, das Protektorat, da sind die Volksdeutschen aus Rumänien, die Volksdeutschen aus der Sowjetunion und aus Jugoslawien. Dann sind da die verschiedenen Zeitstufen: vor 40, von 40 bis 56, nach 56. Das ist eine recht schwierige Problematik. Aber dazu ist schließlich ein großes Ministerium da, daß man mit diesen Schwierigkeiten fertig wird, daß die Fragen geregelt werden. Zeit genug war schon. Die Probleme sind ja nicht von heute auf morgen aufgetaucht.Nun möchte ich in einigen Minuten noch auf einige Sachumstände hinweisen, ohne einen Katalog aufzustellen. Kollege Stingl hat mit Recht gesagt: was uns im Zusammenhang mit dem Fremd- und Auslandsrentengesetz drückt und Sorge macht, sind weniger die Tabellen, es ist mehr die Beweisnot. Das ist vollkommen richtig. Aber Beweisnot und Tabellen hängen zusammen. Da besteht ein ursächlicher Zusammenhang. Eines ist vom anderen nicht zu trennen. Wir wissen, daß das durchschnitt-Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — I 1. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958 525Reitznerliche Arbeitseinkommen, wenn man den Versicherungsnachweis nicht hat, so niedrig angesetzt ist, daß sich daraus die Härten und Mängel bei der Feststellung der Rente ergeben. Eines ist durch das andere bedingt. Den Nachweis können sogar zehntausend oder mehr Sudetendeutsche nicht erbringen, nicht zu reden von den Deutschen aus den polnischen oder aus den anderen Vertreibungsgebieten. Wenn laut Tabelle 2 der Anlagen zur Durchführungsverordnung zum Fremdrentengesetz der allgemeine Durchschnitt für das Jahr 1940 mit einem Wochenlohn von 25 Mark festgesetzt ist und wenn dann nach dem Rentenversicherungsneuregelungsgesetz in der Liste der Durchschnittsverdienste für das Jahr 1940 der Wochenlohn von 41 Mark festgelegt ist, sieht man den Unterschied in der Berechnung. Die nachteilige Wirkung liegt auf der Hand, weil bei der Rentenberechnung vom Lohn ausgegangen wird.
Diese Härten muß man also wirklich bald beseitigen.Weitere Härtefälle, auf die ich die besondere Aufmerksamkeit des Herrn Ministers lenken möchte, hängen mit der Kaufkraft, der Währungstabelle und mit dem Abgleiten aus einer früheren besseren Stellung in eine schlechtere Existenzgrundlage zusammen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß es sich bei diesem großen Personenkreis nicht nur um „Erfolgsflüchtlinge" handelt, die mit einem Opel-Kapitän durch Westdeutschland rasen.
— Ausgezeichnet! Note 1, wenn es richtig ist. Das muß der Kollege Schellenberg machen.
Dieses Abgleiten ist doch bei Tausenden von Vertriebenen und Flüchtlingen festzustellen, und das muß irgendwie korrigiert werden.Zu der sogenannten Währungstabelle möchte ich sagen, daß die Anstalten z. B. den Verdienst von Sudetendeutschen rekonstruieren, in Kronen feststellen und ihn dann im Verhältnis von 100 Kronen zu 8,60 DM umstellen. Dieser Schlüssel führt, wie wir wissen, zu unvertretbaren Härten. Wenn schon ein Währungsschlüssel, dann jener, der früher in unserer alten Heimat üblich gewesen ist! Das sind für 100 Kronen mindestens 12 DM mit einem Kaufkraftzuschlag, der sich aus der Lage der Dinge ergibt. Das gleiche gilt für den Umrechnungskurs für den Zloty.Ein weiteres Problem sind die Arbeiterpensionsfonds. In der tschechoslowakischen Republik bestanden in vielen Städten sogenannte Arbeiterpensionsfonds. Die Aufgabe dieser Einrichtungen war es, die Altersversorgung und die Versorgung bei Invalidität für die städtischen Arbeiter nach den gleichen Bedingungen durchzuführen, die bei den Trägern der Arbeiterrentenversicherung maßgebend waren.Seit mehr als fünf Jahren kämpfen diese Anspruchsberechtigten hier um ihre Anerkennung. Ich hoffe, daß auch in dieser Sache der Gesetzgeber das erlösende Wort spricht.Noch ein Wort zur Arbeitslosigkeit der Deutschen in den Vertreibungsgebieten. Die Arbeitslosigkeit der Deutschen in den Vertreibungsgebieten war oft politisch bedingt. Daher ist sie als Verfolgungsmaßnahme anzusehen. Um hier weitere Härten zu vermeiden, müßten die Zeiten nachweisbarer und unverschuldeter Arbeitslosigkeit aus politischen Gründen als Ersatzzeiten angerechnet werden. Gleichzeitig ersuche ich, auch Zeiten des Militärdienstes, des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft bei den in Frage kommenden Heimatvertriebenen als Ersatzzeiten anzurechnen. Hier müßte der § 1251 Absatz 2 der Reichsversicherungsordnung ergänzt werden.Abgesehen von dem Katalog von weiteren Wünschen und berechtigten Forderungen, den ich mir dem Herrn Minister zu schreiben erlauben werde, noch ein Letztes: die Überweisung von Leistungen an Heimatvertriebene, die im Ausland leben und die auf eine Rente angewiesen sind. Von der Bergbauberufsgenossenschaft wird die Ansicht vertreten, daß diese Regelung zwar für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, nicht aber für die Unfallversicherung maßgebend sei. Das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz bedarf also auch hier einer Ergänzung. Es ist ferner nicht einzusehen, warum bei Berechtigten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes nach § 4 Abs. 1 die Leistung ruhen soll, wenn sich der Berechtigte im Ausland aufhält.Meine Damen und Herren, ich habe mein Versprechen, mich kurz zu fassen, gehalten. Ich bin am Schluß. Es war nur ein Teil der vielen unbilligen Härten und Mängel, die ich aufzählen konnte. Abschließend möchte ich ein ernstes Wort an die Regierung und an den Herrn Minister richten. Man muß sich für das eine oder das andere Prinzip entscheiden. Ich weiß, daß man im Ministerium auch daran denkt, daß ganze Problem einheitlich so zu regeln, als hätten die Vertriebenen ihr volles Arbeitsleben in Deutschland verbracht. Das muß man sich allerdings sehr genau ansehen, weil darin einige Unzulänglichkeiten stecken. Richtig ist: es muß einmal eine Grenze nach oben geben, aber ich bin auch gegen die Einschmelzung nach unten.
Deshalb, meine Damen und Herren, muß man sich für ein Prinzip entscheiden, und zwar für ein großzügiges Prinzip und eine großzügige soziale Konzeption.Da Sie einem Redner der Opposition, d. h. seinen Ausführungen kein besonderes Gewicht beimessen, möchte ich schließen mit einigen Worten des Herrn Außenministers von Brentano aus einer Rede, die er am 16. Januar 1958 in der Großen Aula der Universität München gehalten hat; ich muß sagen, eine sehr bemerkenswerte Rede mit vielen Wahrheiten über Kultur und Politik. Darin hat Herr von Brentano gesagt: „Unsere ganze Kulturpolitik muß ein-
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526 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958
Reitznergestellt sein auf den Menschen und auf die Wahrung der Menschenwürde". Vollkommen richtig! Wir wollen schauen, daß wir dieses Wort des Herrn Außenministers bei der Novellierung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes in die Tat umsetzen können.
Wenn wir schon keinen Sputnik haben können und vielleicht nicht haben wollen, — vielleicht können wir eine Fremdrenten- oder eine allgemeine Rentenneuregelungsordnung haben, die in der Welt vorbildlich ist und die ein Magnet sein könnte auch in der Auseinandersetzung, die wir auf dem Felde der sozialen Ideen mit dem Osten haben. Ich glaube, das wäre eine Leistung. Tragen wir alle gemeinsam dazu bei — den ersten Schritt muß das Ministerium mit der Vorlage tun —, daß wir zu dieser Leistung kommen!
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte aus dem, was der Herr Kollege Reitzner. hier vorgetragen hat, nur eines herausgreifen, um Ihnen zu zeigen, wie einfach man sich eine Kritik an den Rentenneuregelungsgesetzen macht. Er hat mir dankenswerterweise eine Reihe von Schreiben vorgelegt. Herr Kollege, ich gebe sie Ihnen zurück, möchte aber, wenn Sie es mir gestatten, eines davon festhalten, da es mir darauf ankommt, jede der hier aufgeworfenen Fragen klar zu beantworten.
Was ist nun der Sachverhalt? Es handelt sich um einer Flüchtling, der nach seinen eigenen Angaben früher niemals pflichtversichert war, niemals Beiträge gezahlt hat und nunmehr durch die Ereignisse eine Tätigkeit aufgenommen hat, in der er pflichtversichert ist. Er stellt nun die Frage an die Bundesversicherungsanstalt: Welche Rente würde ich nach fünf Jahren bekommen? — Darauf antwortet ihm die Bundesversicherungsanstalt aber doch völlig zutreffend: Das können wir Ihnen noch nicht sagen.
— Ich kann nur folgende Berechnung aufmachen, und diese Berechnung, Herr Kollege Reitzner, hat einer meiner Herren dort innerhalb sechs Minuten gemacht: Wenn er seinen gegenwärtign Beitrag fünf Jahre beibehält — das kann ich ja nicht wissen, auch nicht, wie seine Einkommensverhältnisse sind
— und wenn die allgemeine Bemessungsgrundlage so bleibt, wie sie gegenwärtig ist — das kann ich auch nicht wissen —, dann würde er eine Rente bekommen von, wie ich es Ihnen aufgeschrieben habe, 56,25 DM. Wenn aber bei ihm noch 35 Jahre an Zurechnungszeiten in Frage kämen, dann könnte er eine Rente von 450 DM bekommen.
— Ja, das ist doch eine ganz einfache Rechnung. Herr Kollege Reitzner, Sie sind Abgeordneter, Sie haben bei der Behandlung dieses Gesetzes mitgewirkt, und Sie stellen sich hierher und kritisieren diese völlig zutreffende Antwort der Bundesanstalt.
Wie kann die Bundesanstalt wissen, a) wie hoch seine Beiträge in den nächsten Jahren sein werden und b) wie hoch die allgemeine Bemessungsgrundlage sein wird? Nach der jetzigen Bemessungsgrundlage ohne Zurechnungszeiten würde seine Rente das betragen, was ich Ihnen aufgeschrieben habe. Das sind nach der sehr einfachen Formel 5 mal 1,5 % = 7,5 % von 9000 DM = 675 DM im Jahr = 56,25 DM im Monat; tatsächlich auch mit Volksschulkenntnissen in fünf Minuten zu errechnen.
Meine Damen und Herren! Da wir nun fast sechs Stunden am ersten Punkt der Tagesordnung sind, möchte ich darum bitten, nicht weitere Berechnungen vor dem Hohen Hause vorzunehmen, sondern die Debatte nach Möglichkeit zu verkürzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Scharnowski.
Meine Damen und Herren, keine Angst vor wilden Tieren, und auch nicht vor Rechnungen oder langen Reden. Thema: Härtefälle der gesetzlichen Regelung. Ich habe ein echtes Anliegen zu vertreten, und zwar für die Frauen aus Berlin. Es handelt sich darum, daß jetzt den Frauen, wenn sie 60 Jahre alt sind und andere Bedingungen erfüllen, die Rente vorzeitig gewährt werden kann, wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend, d. h. mehr als 10 Jahre, eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben. Das ist für die Frauen in der Bundesrepublik eine große Verbesserung, für die Frauen in Westberlin aber, die in den letzten 20 Jahren nicht mehr als 10 Jahre eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben, eine Verschlechterung. Der Gesetzgeber wollte bei dieser Regelung offenbar nur echte Arbeitnehmerinnen in den Genuß einer vorzeitigen Rente kommen lassen.Diese Sache kompliziert sich noch im besonderen durch folgendes. Die Rentenversicherungsneuregelungsgesetze sind am 9. März 1957 in Berlin verkündet worden und rückwirkend zum 1. Januar 1957 in Kraft getreten. Das bedeutet, daß die Frauen, die in der Zeit vom 1. Januar bis zum 8. März 1957 das 60. Lebensjahr vollendet hatten, an sich nach dem alten Recht behandelt werden mußten; d. h. selbst wenn sie in den letzten 20 Jahren nicht überwiegend versicherungspflichtig waren, stand ihnen eine Rente zu. Da die Gesetze aber rückwirkend am 1. Januar in Kraft traten, wurde ein an sich in der Zeit vom 1. Januar bis 8. März noch bestehendes Recht beseitigt. Das bedeutet für die Betroffenen eine unbillige Härte, die der Gesetzgeber, wenn er die Dinge gekannt hätte, nach meiner Meinung auch nicht gewollt hätte.Nun schwebt eine Klage beim Landessozialgericht Berlin, in der die Klägerin behauptet, die Beseitigung des bestehenden Rechts sei verfassungswidrig. Ich halte es aber für vertretbar und erforderlich, die Lösung dieser Frage nicht der Rechtsprechung zu
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Scharnowskiüberlassen; sie müßte anders geregelt werden. Aber auch die Frauen in Berlin, die z. B. 57 bis 59 Jahre alt sind, die — und es gibt deren einige tausend — als ältere Angestellte und Arbeiterinnen beim Arbeitsamt stempeln gehen, sich also innerlich schon darauf eingestellt haben, daß sie mit 60 Jahren eine Rente beziehen, und die nach dem alten Berliner Recht diese Rente auch erhalten hätten, werden durch die Neuregelung in den beiden Rentengesetzen unbillig hart getroffen, soweit sie nicht in den letzten 20 Jahren überwiegend versicherungspflichtig tätig gewesen sind. Ich sagte: dieser Kreis dürfte einige tausend Personen umfassen.In anderen Fällen der Rentenreform hat man Übergangslösungen geschaffen. Die bemerkenswerteste ist die, daß bei Versicherungsfällen, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 eintreten, die Rente nach altem und nach neuem Recht berechnet werden muß und die günstigste Berechnung dann Anwendung findet. Ich halte es, da mit der Neuregelung eine Verschlechterung für Berlin eingetreten ist, für erforderlich und für vertretbar, für die Frauen Berlins eine ähnliche Übergangslösung zu schaffen, etwa in der Form, daß alle Frauen, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 das 60. Lebensjahr vollendet haben, einen Rentenanspruch nach dem vor dem 1. Januar 1957 geltenden Recht bekommen.
— Ja, wie wollen Sie denn den Menschen, die davon betroffen sind — Sie müssen es ja zugeben, Sie kennen es ebensogut wie ich — helfen? — Ich hatte vorhin, als Sie hier am Pult standen und sprachen und zum Kollegen Schellenberg die nette Bemerkung über den Senat von Berlin machten, die leise Hoffnung, daß wir uns hier vielleicht doch zusammenfinden könnten, um diesen Frauen — die unverschuldet in diese Lage gekommen sind — zu helfen.
Dann noch eine zweite Sache. Nach den Richtlinien zur Gewährung von Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge können Bundesbeihilfen dann gekürzt werden, wenn andere Zahlungen, z. B. aus Renten der gesetzlichen Versicherung, insgesamt 75 % des letzten nachgewiesenen Jahresarbeitsverdienstes übersteigen. Die betroffenen Rentner, die zu uns gekommen sind — und es handelt sich um eine große Reihe von Leuten bei Rheinmetall, Borsig und ähnlichen Werken —, vertreten, und nicht mit Unrecht, die Auffassung, daß hier eine Änderung eintreten müsse; denn die damaligen Verdienste — um Jahre zurückliegend — entsprechen ja keineswegs den heutigen Werten.
— Oh, ich danke. — Die Betroffenen vertreten dieAuffassung, daß eine Kürzung der Bundesbeihilfennur dann vorgenommen werden sollte, wenn insgesamt 75 % des für die jeweilige Gruppe zur Zeit gültigen tariflichen Jahresverdienstes überschritten werden.
— Also ich glaube, es war nur die reine Angst, daß ich hier heraufkam, weil ich in Berlin von diesen, meinen Freunden, sonst gesteinigt worden wäre. Ich habe es deshalb auf mich genommen, die Angst, daß Sie hier durch mich gelangweilt würden, kleiner einzuschätzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg. — Ich hoffe, Sie werden nicht von der Angst getrieben, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige ganz kurze Bemerkungen! Herr Kollege Stingl und Frau Kollegin Kalinke haben sich in eingehenden Ausführungen mit Dingen auseinandergesetzt, die wir Sozialdemokraten gar nicht fordern, nämlich einmal mit der Mindestrente und zum andern mit dem Versorgungsstaat, gegen den Frau Kollegin Kalinke bedeutsame Ausführungen gerichtet hat. Unsere Große Anfrage hat damit nicht das geringste zu tun.Aber, Herr Kollege Stingl, es gibt sehr wesentliche Meinungsverschiedenheiten. Sie haben ebenso wie Frau Kollegin Kalinke über das Versorgungsprinzip und das Fürsorgeprinzip gesprochen. Was ist hier die entscheidende Frage? Wir wollen, daß die Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, eine Rente erhalten, die es ihnen erspart, zusätzliche Fürsorge in Anspruch nehmen zu müssen. Das ist unser Anliegen, und wir betrachten es als einen Mißstand, daß das durch die Rentenneuregelung nicht immer erreicht ist.Nun zu einer weiteren Frage. Es ist hier von den Rückständen bei der Rentenantragstellung gesprochen worden. Herr Kollege Stingl, ich muß Ihnen leider sagen: Sie haben nicht ganz richtig gerechnet. Sie sind von einem Rückstand von sechs Monaten ausgegangen. Der Tatbestand ist aber — ich beziehe mich dabei auf die Veröffentlichung des Bundesarbeitsministeriums vom Januar — folgender: Rückstände 606 000, erledigt im letzten Quartal monatlich 68 000. Das bedeutet, daß es im Durchschnitt neun Monate dauert, bis ein Rentenantrag erledigt wird. Dazu kommen noch Zeiten für die Anweisung usw., so daß die Menschen heute im Durchschnitt leider neun bis zehn Monate auf die Erledigung ihrer Anträge warten müssen.Nun hat der Herr Minister hier erstaunliche Beispiele für ein Schnellrechnen gegeben und von 10 oder 15 Minuten gesprochen, die zur Klärung erforderlich seien. Ich frage: Wenn das so schnell geht, warum dauert die Rentenberechnung dann durchschnittlich neun Monate?
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Dr. Schellenberg— Wir hatten zu Beginn des Jahres 1957 nicht einen Rückstand von 600 000, sondern nur von 270 000, und dieser Rückstand ist immer weiter angestiegen. Das ist der Tatbestand.Herr Kollege Stingl, Sie haben sehr beredsam zu der Frage der Anrechnungszeiten Stellung genommen. Aber zu dem Entscheidenden haben Sie leider nichts gesagt, daß nämlich heute die Renten derjenigen, die lange Kriegs- und Arbeitslosenzeiten aufweisen, niedriger sind als die Renten derjenigen, die das Glück hatten, nicht eingezogen zu werden.
An dieser Ungerechtigkeit kommen Sie nicht vorbei. Meine Damen und Herren, worum geht es denn? Auch wir waren der Auffassung, daß man erst einmal, um die Rentenumstellung schnell vom Tisch zu bekommen, mit Tabellen arbeiten muß. Darüber gibt es keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten. Aber wir sind der Auffassung, daß, nachdem die Umstellung durch die Post erledigt ist, besonderen Härten und Mißständen bei längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Kriegsdienstes Rechnung getragen werden muß, daß diese Ungerechtigkeiten möglichst nachträglich korrigiert werden müssen. Daß man besondere Fälle verfeinerter und gerechter behandeln muß, ist unser Anliegen. Die Regierung hat hier folgende Antwort gegeben: Nichts machen, an nichts herangehen; die Berechnung ist schon so kompliziert, daß wir leider keine größere Gerechtigkeit schaffen können. Das bedeutet, daß Millionen Menschen ungerechte Renten erhalten.Nun eine Schlußbemerkung über die Beseitigung der Ungerechtigkeiten in bezug auf die Anrechnung. Der Minister hat gesagt, dies gehöre nicht in dieses Gesetz, und Herr Kollege Stingl hat das gleiche gesagt. Aber, meine Damen und Herren, Sie kommen nicht daran vorbei, daß der Herr Bundeskanzler sehr präzise Zusagen gegeben hat. Herr Kollege Stingl, wir müssen Ihnen sagen: Warum haben Sie einen so mangelnden Respekt vor dem Vorsitzenden Ihrer Partei, dem Bundeskanzler? Was hat der Bundeskanzler gesagt? Er hat erklärt: „Es wird im nächsten Bundestag eine unserer dringendsten Aufgaben sein, sämtliche noch vorhandenen Unstimmigkeiten auf diesem Gebiet zu beseitigen." Das war die Zusage des Herrn Bundeskanzlers. Damit wurde Wahlpolitik und keine Sozialpolitik gemacht.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg, Ihr Versuch, nun noch einmal in letzter Minute die Dinge zu dramatisieren, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die von Ihnen vorgebrachten Argumente nicht dazu angetan sind, der deutschen Öffentlichkeit glaubhaft zu machen, die Rentenreform sei nichts anderes als eine Fülle von Ungerechtigkeiten.
Ihre letzten Bemerkungen zwingen mich, zumal Sie immer die gleichen Argumente wiederholen, noch etwas aus meiner Antwort zu zitieren: Es ist nicht wahr, daß, wie Sie behaupten, ein Rentenempfänger nach einem erfüllten Arbeitsleben zu einer Rente käme, die ihn zwänge, zum Wohlfahrtsamt zu gehen. Ich habe in meiner Antwort schon dargetan, daß selbst derjenige, der dauernd, während seiner ganzen Tätigkeit, bis zu 25 % hinter dem Jahresarbeitsdurchschnittsverdienst zurückbleibt, noch eine Rente bekommt, die über dem Durchschnittssatz der Wohlfahrt im Bereich der Bundesrepublik liegt. Ich sage Ihnen deshalb noch einmal: Ihre Behauptung ist unzutreffend.Ein weiteres. Sie beschweren sich immerfort darüber, durch die Pausdialumstellungen seien Ungerechtigkeiten entstanden. Herr Kollege Schellenberg, Sie können nur das eine oder das andere wollen.
Hätte man eine individuelle Umstellung der Renten im Gesetz festgelegt, dann hätte das das Unrecht zur Folge gehabt, daß erst die Enkel der Rentenberechtigten die umgestellten Renten erhalten hätten.
Wenn Sie das aber nicht wollen, müssen Sie die pauschale Umstellung wollen. Bei der pauschalen Umstellung — das habe ich eben lang und breit dargetan und will es im einzelnen nicht wiederholen — hat man natürlich nur global greifen können. Der Ansatz für Ausfall- und Ersatzzeiten ist meiner Ansicht nach in sehr großzügiger Weise erfolgt. Hier kann es sich allerdings ereignen, daß der eine auf diese Weise zu Vorteilen gelangt, auf die er eigentlich gar keinen Anspruch hat, und es kann sich auch einmal ereignen, daß ein anderer dabei etwas weniger gut zurechtkommt. Alles in allem genommen aber behaupte ich, daß die Summe der in Ansatz gebrachten Ersatz- und Ausfallzeiten größer ist, als sie sein würde, wenn man sie für jeden einzelnen Mann genau feststellte. Sie wissen genau, daß man das nicht feststellen kann. Wie sollen denn Flüchtlinge, Ausgebombte und in ähnlicher Lage befindliche Personen überhaupt den Beweis antreten? Herr Kollege Schellenberg, ich stehe — das muß ich leider zum Abschluß dieser Debatte sagen — unter dem Eindruck, daß hier nach einem Jahr — ein Jahr liegt es zurück, seit das Hohe Haus dieses Gesetz angenommen hat — noch einmal der Versuch gemacht werden soll, durch eine Wiederholung längst dargetaner und zurückgewiesener Argumente
den Anschein zu erwecken, als hätte man die Rentenreform weitaus glänzender gemacht, wenn man nur auf diese Anregungen eingegangen wäre.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie diesem Gesetz Ihre Zustimmung gegeben haben.
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Bundesarbeitsminister BlankIch bin der Meinung, daß es für die deutsche Öffentlichkeit nicht darauf ankommt, immer und immer wieder in ständiger Wiederholung diese Dinge vorzutragen und darzutun, ob auf diese oder jene Weise für diesen oder jenen etwas mehr oder weniger herausgekommen wäre. Die Rentenversicherungsträger und die Versicherten müssen einmal Ruhe haben. Dieses Recht muß sich jetzt auswirken, und die Umstellungen müssen restlos. vorgenommen werden.Ich glaube, daß dieses Gesetz im ganzen genommen eines der Sozialgesetze ist, die selten in der Welt verabschiedet werden. Darf ich Sie daran erinnern, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Zeitung „Welt der Arbeit" geschrieben hat, dieses Gesetz sei eine sozialpolitische Großtat. Alle, die daran mitgewirkt haben, können stolz darauf sein. Auch kleinliche Nörgeleien werden deren Verdienst nicht schmälern. Das weiß das Volk.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht nicht den Tatsachen, daß jeder — wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat —, auch jeder, der einen niedrigen Arbeitsverdienst hatte, mit seiner Rente ohne eine zusätzliche Unterstützung durch die Fürsorge auskommt. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben eine theoretische Berechnung vorgetragen. Wir sprechen aber von den Menschen, die heute als Rentner leben. Für diese Menschen gilt eine Pauschalrechnung. Was Sie als Einzelberechnung mit 25 % Abschlag von der allgemeinen Bemessungsgrundlage nannten, ist eine Zukunftsrechnung. Uns geht es darum, jetzt die Härten für die Rentner, die von der Pauschalregelung betroffen werden, zu beseitigen.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben gesagt, wenn man diese Ungerechtigkeiten beseitigen wollte, dann müßten die heutigen Rentner warten, bis ihre Enkel herangewachsen seien. Das entspricht doch nicht der Sachlage. Niemand von uns fordert, daß jede Rente individuell neu berechnet wird. Das zu behaupten, bedeutet einfach, die Dinge zu verschieben.
Unser Anliegen ist, daß denjenigen, die lange Zeiten des Kriegsdienstes und der Arbeitslosigkeit haben und diese nachweisen, eine Möglichkeit gegeben wird, eine Umrechnung ihrer Rente — wenn Sie wollen, auch nach einem Pauschalsystem — zu fordern. Aber wenn Sie die jetzige Methode beibehalten, werden die Ungerechtigkeiten bis zum Lebensende der Rentner verlängert. Das ist nicht gerecht. Das steht auch im Widerspruch zu dem, was der Herr Bundeskanzler versprochen hat.
Meine Damen und Herren! Die Rednerliste scheint nun wirklich erschöpft zu sein.
— Das Hohe Haus auch. Ich darf die Beratung zu Punkt 1 der Tagesordnung abschließen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Gewährung des vollen Kostenersatzes an die gesetzliche Krankenversicherung .
Das Wort hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit will ich nur mit einer kurzen Begründung Ihre Aufmerksamkeit auf den Antrag der SPD-Fraktion — Drucksache 123 — lenken, der sich mit den Problemen des Kostenersatzes an die gesetzliche Krankenversicherung beschäftigt.Nach dem Antrag soll die Bundesregierung beauftragt werden, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten, die ihnen bei der Durchführung ihnen übertragener Aufgaben erwachsen, in angemessener Höhe erstattet werden. Auf diese Weise sollen die Kassen vor allem von dem Zwang befreit werden, aus ihren Taschen die Leistungen für solche sozialen Tatbestände zu bezahlen, für die nach der Struktur unseres Sozialleistungssystems andere Träger finanziell aufzukommen haben. Außerdem sollen sie nicht mehr von anderen Stellen als eine Art kostenlose oder unterbezahlte Amtshilfe in Anspruch genommen werden können.Die heutige Belastung der Krankenkassen durch sachfremde Ausgaben, vor allem aus Anlaß von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und bei der Familienwochenhilfe, widerspricht nicht zuletzt auch dem Gebot der Finanzklarheit und der Finanzwahrheit. Sie gehört damit zu dem Kapitel Entflechtung der Sozialleistungen", von der ja die Regierung immer wieder gesprochen hat und zu der sie jetzt eine praktische Gelegenheit findet.Die Regierung sollte sich zu diesem Schritt um so mehr verpflichtet fühlen, als die von uns beantragte Entlastung der Kassen, die über 250 Millionen DM ausmacht, im wesentlichen auch mit alten Versprechungen und Verpflichtungen der Regierung zu begründen ist, die nun endlich einmal eingelöst werden sollten. Eine solche Entlastung wäre für die Versicherten gerade in dieser Zeit von besonderer Bedeutung; denn Sie wissen, daß sich die Krankenversicherung in einer prekären finanziellen Lage befindet und durch das Diktat der leeren Kassen auf den Weg der dauernden Beitragserhöhung gezwungen worden ist.Diese Beitragserhöhungen sind aus vielen Gründen höchst bedenklich. Für den Versicherten bedeuten sie praktisch eine dauernde Verminderung seines realen Einkommens.In diese Lage ist die Krankenversicherung vor allem durch die Auswirkungen der Grippewelle gekommen, die für die Kassen noch eine besondere Belastung gebracht hat, weil sie zeitlich mit der Einführung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheits-
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Rohdefall zusammengefallen ist. Über dieses Gesetz will ich hier nicht im einzelnen sprechen, da es noch im Zusammenhang mit der Vorlage der FDP zur Sprache kommen wird. Lassen Sie mich an dieser Stelle nur sagen, daß die Krankenversicherung schon seit langem keine ausreichenden Finanzreserven mehr gehabt hat, um eine solche Entwicklung finanziell ohne Not auffangen zu können. Es hat sich inzwischen bestätigt, was von meiner Fraktion in der Debatte um dieses Krankengeldaufbesserungsgesetz vorausschauend gesagt worden ist. Wir hatten Sie damals darauf hingewiesen, daß der Beschluß der Regierungsmehrheit, eine Erhöhung des Krankengeldes als schlechten Ersatz für eine wirkliche Lohnfortzahlung einzuführen, die gesetzliche Krankenversicherung vor Probleme stellen würde. Damals ist die Regierung uns gegenüber auf die Linie der Beschwichtigung ausgewichen und hat insbesondere angekündigt, daß den Kassen vor allem für die Zeit der Einführung des Gesetzes Kosten abgenommen werden sollten, die sie bisher bei Arbeitsunfällen aufbringen müssen. Ich darf als Beispiel dafür den früheren Herrn Arbeitsminister Storch zitieren, der dazu in der Debatte vom 24. Mai 1957 wörtlich ausgeführt hat:Da wir in dem von uns vorgelegten Gesetz über die Neuordnung der Unfallversicherung für die Krankenkassen Erleichterungen von ungefähr 120 Millionen DM vorgesehen haben, waren wir der Meinung, daß für eine vorübergehende Zeit damit eine Gefährdung der Krankenkassen nicht gegeben wäre, immer vorausgesetzt, daß man den guten Willen hat, eine wirkliche Neuordnung bald eintreten zu lassen.Nun, was ist aus diesen Worten und aus diesem Appell an den guten Willen geworden? Sie wissen, daß seinerzeit nur das Gesetz über die Erhöhung der Unfallrenten verabschiedet wurde und daß die übrigen Probleme der Unfallversicherung ungelöst beiseite geschoben worden sind. Heute stellen wir Sie mit dem Punkt 1 unseres Antrages vor die Frage, ob Sie als Regierungsparteien nun endlich ein gegebenes Wort einlösen wollen. Oder soll weiterhin, wie das in einer Presseerklärung der CDU geschehen ist, die Krankenversicherung mit mit der Vokabel „demnächst" auf unbestimmte Zeit vertröstet werden und es bei dem Zustand bleiben, daß für die Kosten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 45 Tage lang die Krankenversicherung aufkommen muß und erst nach dieser Zeit die Unfallversicherung in ihre ureigenste Verpflichtung eintritt?Nach unserer Meinung kann die Übertragung der Kosten von der Krankenversicherung auf die Unfallversicherung ohne Schaden im Vorwege der Unfallversicherungsreform vorgenommen werden. Diese finanzielle Übergangsregelung — dagegen haben wir keine Bedenken — könnte bis zum Inkrafttreten der Unfallversicherungsreform befristet werden. Das sind alles formale Fragen. Uns kommt es auf ein schnelles Handeln an, vor allem angesichts der offiziellen Zusagen, die in diesem Hause gemacht worden sind. Uns kommt es darauf an, daß endlich nach dem Text und der Begründung gehandelt wird, die sich in dem ersten Regierungsentwurf zur Unfaliversicherungsreform findet. Dieser Entwurf ist anscheinend jetzt auf Eis gelegt worden, ganz im Gegensatz zu anderen Vorlagen aus dem 2. Bundestag. Ich erinnere nur an das Berliner Krankenversicherungsgesetz, zu dem aus dem Regierungslager gleich zwei Entwürfe produziert worden sind.In dem von mir genannten ersten Regierungsentwurf heißt es, daß eine Neuregelung der Kosten vor allem deshalb begründet sei, weil die Unfallversicherung als Sozialversicherungszweig nur mit der alleinigen Beitragspflicht der Unternehmer sinnvoll sei und deshalb — so heißt es dort weiter — die Arbeitnehmer auch nicht mittelbar über die von ihnen gezahlten Krankenversicherungsbeiträge zu den Lasten der Unfallversicherung beitragen dürften; andernfalls würden die Arbeitnehmer einen Teil der den Unternehmern obliegenden Pflichten erfüllen. Genau darum geht es: daß die Unternehmer vom 1. und nicht erst vom 46. Tage nach einem Arbeitsunfall die ihnen obliegende Pflicht finanziell erfüllen. Zu der von uns geforderten neuen Kostenregelung gehört sowohl die Erstattung der Ausgaben für Krankengeld als auch der Krankenhauskosten und der Ausgaben für ambulante Behandlung.Die zweite Konsequenz unseres Antrages ist, daß sich der Bund bereit findet, gegenüber der Krankenversicherung diejenigen Aufwendungen abzugelten, die ihr in der Familienwochenhilfe entstehen. Auch dabei handelt es sich um Millionenbeträge. Der in unserem Antrag zitierte RVO-Paragraph legt eine solche finanzielle Abgeltung fest, weil diese Wochenhilfe zwar aus Verwaltungsgründen der Krankenversicherung zugeordnet worden ist, im übrigen aber keine finanzielle Aufgabe der Krankenversichertengemeinschaft ist. Daß diese Verpflichtung, von der ich gesprochen habe, heute nicht erfüllt wird, hängt damit zusammen, daß es auf diesem Gebiete eine seltsame Kontinuität zwischen der Notverordnungspolitik der dreißiger Jahre und der heutigen Regierungspolitik gibt. Denn damals, 1931, wurde, wie auch in den nachfolgenden Jahren, diese RVO-Bestimmung durch Haushaltsgesetz vorläufig suspendiert. Nach 1949 hat dann der Bund so getan, als ob diese Verpflichtung überhaupt nicht mehr existiere. Dieses Verhalten der Regierung ist inzwischen Gegenstand von Musterprozessen geworden, bei denen ich persönlich den Rechtsstandpunkt der Krankenkassen für voll fundiert halte. Nun, dazu werden die Richter das ihre sagen. Hier aber ist festzustellen, daß diese Prozesse, die mit dem Blick in die Vergangenheit geführt werden, nicht ohne weiteres mit der von uns zu fällenden Entscheidung zu tun haben. Denn wir können hier im Bundestag festlegen, was wir für Gegenwart und Zukunft für richtig und notwendig halten. Soweit ich im übrigen die Diskussion bisher verfolgen konnte, sind sich auch maßgebliche Sozialpolitiker aller Richtungen darüber einig, daß die Familienwochenhilfe keine finanzielle Aufgabe der Krankenversicherung ist und daß aus dem Umstand, daß sie aus Verwaltungsgründen den Kassen zugeordnet ist, der Bund nicht den Schluß ziehen darf, er sei aller Verpflichtungen ledig.Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958 531RohdeZum Abschluß weise ich auf die Punkte 3 und 4 unseres Antrags hin, mit denen erreicht werden soll, daß den Kassen die Ausgaben bei Verwaltungsarbeiten für andere Versicherungsträger voll erstattet werden und daß sie dafür nicht nur eine Art Anerkennungsgebühr erhalten. Es handelt sich dabei vor allem um die Aufwendungen für den Beitragseinzug für die Arbeitslosenversicherung und um die Kosten für Ausstellung und Umtausch der Rentenversicherungskarten.Alles in allem geht es bei unserem Antrag um Forderungen, die mit dem guten Willen, von dem seinerzeit der Herr Minister gesprochen hat, nun endlich erfüllt werden sollten. Die Entlastung der Kassen von sachfremden Ausgaben in Höhe von über 250 Millionen Mark ist längst überfällig geworden. Daß wir sie jetzt mit besonderem Nachdruck beantragen, hängt mit der finanziellen Lage der Krankenversicherung nach der Grippewelle zusammen, die — nach einem Wort aus der medizinischen Fachpresse — die Versicherung wie ein Naturereignis getroffen hat. Nach einem solchen Ereignis wäre es von der Bundesregierung schlecht zu vertreten, weiterhin Passivität gegenüber alten Versprechungen und Verpflichtungen zu üben. Ich hoffe deshalb auch, daß wir in den Ausschußberatungen, die ich hiermit beantrage, zu einem positiven Ergebnis für die Krankenversicherung und damit für die Versicherten kommen.
Damit ist der Antrag begründet. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der sogenannten kurzen Begründung, die wir soeben gehört haben, fällt es schwer, das zu sagen, was ich hatte sagen wollen und auch jetzt noch sagen will. Ich will etwas mehr Rücksicht auf die Situation des Hauses zu dieser Stunde nehmen, als es der Begründer des Antrags soeben getan hat.
Die Mitglieder des Hauses haben den Vormittag über mehr oder weniger intensiv und angestrengt in den Ausschüssen gearbeitet. Heute nachmittag haben wir sechs Stunden lang eine Sozialdebatte geführt, und jetzt, meine verehrten Damen und Herren — das sage ich als geborener Kölner —, jetzt, glaube ich, erfordert es die Bedeutung des heutigen Tages,
daß wir das Haus mit unserer Debatte nun nicht länger strapazieren.
Ich verzichte deshalb darauf, den mir gewordenen Auftrag der Fraktion hier noch auszuführen und kritisch zu der hier gegebenen Begründung und zum Antrage selbst Stellung zu nehmen.
Ich erkläre deshalb kurz und bündig — ich tue das auch im Einvernehmen mit unseren Koalitionspartnern und für sie —, daß wir mit der Überweisung dieses Antrages an den Sozialpolitischen Ausschuß einverstanden sind. Im Ausschuß werden wir dann das Notwendige dazu sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch kürzer: Wir sind ebenfalls mit der Überweisung einverstanden, hoffen nur, es wird bei der Beratung sehr deutlich herausgestellt werden, daß die Aufgaben, die den Selbstverwaltungsorganen der Versicherungen überlassen bleiben sollten, auch von ihnen gelöst werden müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Mir wurde eine interfraktionelle Vereinbarung mitgeteilt, nach der Punkt 3 der heutigen Tagesordnung abgesetzt und morgen nach dem Grünen Bericht behandelt wird. — Das Haus ist einverstanden.
Dann rufe ich Punkt 4 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zu den Europäischen Versammlungen .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Es ist Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Ausschuß für Rechtswesen — mitberatend — vorgeschlagen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir stehen am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 14. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.