Rede:
ID0301103500

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Metadaten
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    Vokabeln: 6
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    4. Frau: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Kalinke.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 11. Sitzung Bonn, den 13. Februar 1958 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Beseitigung der Mängel der Rentenneuregelung (Drucksache 28) Frau Korspeter (SPD) 481 B Blank, Bundesminister . . . 484 D, 511 B, 526 A, 528 B Dr. Schellenberg (SPD) 494 A, 527 C, 529 A Stingl (CDU/CSU) 501 D Walpert (SPD) 511 D Weber (Georgenau) (FDP) 513 C Storch (CDU/CSU) 514 D Frau Kalinke (DP) 515 D Reitzner (SPD) 523 B Scharnowski (SPD) 526 C Antrag der Fraktion der SPD auf Gewährung des vollen Kostenersatzes an die gesetzliche Krankenversicherung (Drucksache 123) Rohde (SPD) 529 C Horn (CDU/CSU) 531 B Mischnick (FDP) 531 C Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zu den europäischen Versammlungen (Drucksache 130) — Erste Beratung — 531 D Nächste Sitzung 531 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 533 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958 481 11. Sitzung Bonn, den 13. Februar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.01 Uhr.
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Barzel 24. 2. Bauer (Wasserburg) 22. 2. Bazille 14. 2. Dr. Bechert 14. 2. Dr. Becker (Hersfeld) 15. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 15. 2. Blachstein 14. 2. von Bodelschwingh 13. 2. Frau Brauksiepe 14. 2. Dr. Brecht 14. 2. Frau Döhring (Stuttgart) 17. 2. Dopatka 15. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Even (Köln) 15. 2. Faller 7. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 28. 2. Gedat 22. 2. Gerns 14. 2. Günther 14. 2. Hahn 14. 2. Hansing 13. 2. Hellenbrock 14. 2. Dr. Höck 21. 2. Frau Dr. Hubert 28. 2. Jacobs 12. 3. Jürgensen 28. 2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Kemmer 14. 2. Keuning 14. 2. Kiesinger 14. 2. Frau Kipp-Kaule 13. 2. Köhler 14. 2. Dr. Kopf 15. 2. Kühlthau 14. 2. Kunze 15. 2. Dr. Leiske 22. 2. Lenz (Brühl) 14. 2. Dr. Leverkuehn 14. 2. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 3. Mellies 8. 3. Mengelkamp 14. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 13. 2. Dr. Meyers (Aachen) 8. 3. Muckermann 14. 2. Ollenhauer 14. 2. Paul 28. 2. Pelster 14. 2. Frau Pitz-Savelsberg 13. 2. Ramms 14. 2. Schmidt (Hamburg) 13. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 14. 2. Dr. Siemer 14. 2. Stahl 14. 2. Dr. Weber (Koblenz) 22. 2. Frau Welter (Aachen) 13. 2. Dr. Wilhelmi 13. 2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Anton Storch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Kollegin Korspeter hat in ihren einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß wir in einer Situation stehen, die noch nicht in allem zu übersehen ist. Frau Korspeter hat dabei für ihre Partei in Anspruch genommen, sie habe überhaupt erst die Initiative für diese ganze Gesetzgebung gegeben. Im Kreise der Sozialpolitiker, gleichgültig, in welchem politischen Lager sie stehen, hat man in der Nachkriegszeit einheitlich die Meinung vertreten, man müsse zu etwas anderem kommen, zu etwas, was den Lebensansprüchen der alten Rentner gerecht werde. Hier sollte keiner sagen, er habe die neue Gesetzgebung durch seine Initiative in Gang gebracht. Man sollte offen anerkennen, daß in Wirklichkeit alle gesunden Kräfte unseres Volkes dabei zusammengewirkt haben.
    Der Kollege Walpert hat zum Schluß gesagt, es handele sich gar nicht um eine Leistung der Regierung und nicht um eine Leistung des Volkes, sondern um Leistungen der Arbeiter. Ich gebe ihm darin insoweit recht, als ich sage, daß wir Gott sei Dank in unserer arbeitenden Bevölkerung auf der ganzen Linie Verständnis dafür gefunden haben, daß der arbeitende Mensch eine Verpflichtung gegenüber dem alten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Auffassung hat sich bei uns in Deutschland
    Gott sei Dank durchgesetzt. Alle die großen Befürchtungen, die vor der Verabschiedung der Ren-



    Storch
    tengesetze in bezug auf überhöhte Sozialbeiträge,
    auf ein Ausplündern der Arbeiter usw. vorgetragen
    worden sind, haben sich als unbegründet erwiesen.

    (Widerspruch bei der FDP.)

    Im Gegenteil, die Menschen haben es hingenommen und haben sich darüber gefreut, daß man die Alten, die vorhergehende Generation der Arbeiter, nun endlich von der Not und dem Elend befreit hat. Darüber muß man sich meines Erachtens klar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Atzenroth: Die „ersten Anfänge" machen sich schon sehr stark bemerkbar!)

    Ich hätte geglaubt, daß man bei einer Diskussion über die Erfahrungen, die man in der kurzen Zeit seit Inkrafttreten der Gesetze gesammelt hat, viel weniger auf die Randgebiete, dafür aber mehr auf die grundsätzlichen Dinge eingegangen wäre. Es ist heute gesagt worden, die Vorausberechnungen der Finanzierung seien unzulänglich gewesen, es habe sich jetzt herausgestellt, daß die tatsächlichen Verhältnisse ganz anders lägen. Dazu muß ich zunächst feststellen: trotz der starken Angriffe aus den Kreisen der Versicherungsmathematiker gegen das Bundesarbeitsministerium, die schon für eine Zeit nach vier oder fünf Jahren die Notwendigkeit der Erhöhung der Beiträge auf 18 und 20 % voraussagten, haben wir uns ganz klar auf die Tatbestände gestützt, die wir für die Lohnhöhe und damit die Beitragshöhe in den Jahren 1955 und 1956 gehabt haben. Wir sind nicht hergegangen und haben „wahrscheinlich sich erhöhende Löhne" einkalkuliert. Gott sei Dank, sage ich, sind die Löhne und damit auch die Beiträge gestiegen und sind wir in eine viel bessere finanzelle Situation gekommen, als wir alle erwarten konnten. Aber das möchte ich Herrn Professor Schellenberg sagen: 1 3/4 Milliarden Kassenüberschüsse bei den Sozialversicherungsträgern werden bestimmt nicht erreicht werden.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das sind Angaben der Bundesbank, nicht meine Zahlen!)

    — Auch die Bundesbank kann sich irren! Sie wissen ja, was der Präsident der Bank deutscher Länder damals bei der Sachverständigenanhörung im Sozialpolitischen Ausschuß gesagt hat. Gott sei Dank hat er sich damals auch vertan. Das können also keine Grundlagen für uns sein. Wenn wir uns mit den Sozialversicherungsträgern über die Jahresberechnungen unterhalten, kommen wir zu einem Überschuß, der etwa zwischen 1,5 und 1,6 Milliarden DM liegt. Der Kollege Stingl hat schon völlig richtig gesagt, daß wir für das vergangene Jahr mit Nachzahlungen in einer Höhe von ungefähr 800 Millionen DM rechnen müssen. Ich halte diese Zahl eher für zu niedrig als zu hoch. Berücksichtigen wir diese Nachzahlungen, dann ergeben sich tatsächlich zwischen den Vorausberechnungen von damals und den heutigen Tatbeständen gar nicht so große Klüfte, wie man teilweise hier darzustellen versucht.
    Wenn wir nun anerkennen, daß die Arbeitnehmer, die heute in der Arbeit stehen, ein wirklich großes Opfer auf sich nehmen und es ohne großes
    Murren tragen, dann muß die Rechtslage aber auch so gehalten werden, daß der Mann ein echtes Äquivalent in seiner späteren Rente erhält. Deshalb kann man in die Sozialversicherung nicht etwas einbauen, was, wie ebenfalls richtig gesagt wurde, in ganz andere Sektoren gehört.
    Ich hätte Verständnis dafür, wenn Herr Schellenberg gesagt hätte, die Kriegszeiten und die Arbeitslosenzeiten müßten voll rentensteigernd angerechnet werden. Wenn Sie, Herr Professor, gesagt hätten, der Staat solle nachträglich die Beiträge für diese Zeit zahlen und dann solle den Versicherten diese Leistung gegeben werden, dann hätte die ganze Sache Sinn und Verstand. Wenn Sie das aber auf Kosten derjenigen machen wollen, die heute die Beiträge zahlen, dann ist das einfach sozial ungerecht,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    weil Sie damit die Arbeitnehmer zu Leistungen verpflichten, die an und für sich von der Gesamtheit des Volkes getragen werden müßten.
    Ich bin deshalb der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten den heutigen Tag so ausklingen lassen, daß wir allen denjenigen, die an dieser Gesetzgebung mit gutem Wollen mitgearbeitet haben, und denjenigen, die diese Gesetze nun in die Tat umsetzen, den herzlichen Dank des 3. Bundestages aussprechen. Tun
    wir das, dann hat auch die heutige Diskussion in diesem Hause einen guten Zweck gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Abgeordnete Storch und der Herr Abgeordnete Walpert haben in ihren Ausführungen soeben untersucht, wen nun das Verdienst, wen der Erfolg und wen der Preis oder die Last für die Leistungen trifft, die das Ergebnis der Rentenreformgesetze sind. Beide sind darin einig gewesen, daß es Leistungen der Arbeiter seien. Ich freue mich, daß sie darin einig waren, daß es nicht Leistungen der einen oder der anderen Partei waren, auch nicht Leistungen des Parlaments. Das hatte wohl niemand behauptet. Ich habe meinen Kollegen Stingl jedenfalls nicht so verstanden. Diese Erörterung war deshalb ziemlich überflüssig. Jedem Denkenden muß inzwischen deutlich geworden sein, daß soziale Leistungen und soziale Lasten das ganze Volk zu tragen hat und daß der moderne Staat, in dem wir leben und dessen Probleme wir zu bewältigen haben, als Verteilerstaat eben nur das verteilen kann, was seine Bürger erarbeiten, was sie an Steuern und an Sozialversicherungsbeiträgen bezahlen.
    Haben Sie deshalb bitte Verständnis dafür, daß ich meine Darlegungen mit etwas realistischen Betrachtungen beginnen möchte. Der frühere Arbeitsminister und unser jetziger Kollege Storch hat darum gebeten, sich mehr den grundsätzlichen Fragen zuzuwenden. Ich würde dem mit großem Vergnü-



    Frau Kalinke
    gen folgen, wenn ich nicht wüßte, daß sehr viele seiner Freunde gerade den Betrachtungen über die grundsätzlichen Fragen abhold sind, und wenn mich nicht gerade Freunde aus der CDU gebeten hätten, doch ja nicht zu grundsätzlich zu sein.
    Meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei begrüßen die heutige Debatte aus Anlaß der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, weil sie uns Gelegenheit gibt, vom Grundsätzlichen her nach dem Standort und der Wirkung unserer Sozialpolitik und, wenn Sie wollen, der begonnenen Sozialreform zu fragen.
    Die Sozialpolitik im modernen Verteilerstaat als ein Mittel der Innenpolitik, aber auch als ein Mittel des friedlichen Wettbewerbs wie des sozialen Ausgleichs ist für uns inzwischen eine Schicksalsfrage geworden, vor allem auch als Mittel der Wiedervereinigungspolitik. Insofern sollten wir uns alle in der Verantwortung vereinigen, aus der wir sowohl die Erfolge als auch die Mängel der Sozialpolitik diskutieren.
    Ich begrüße als Anlaß zu einer ernsthaften Diskussion auch die Fragestellung des Kollegen Schellenberg. Er hat die Sache — ob diplomatisch oder verschämt — etwas umschrieben. Er hat nicht ganz offen die Frage gestellt: Totaler Versorgungsstaat mit Mindestrenten, Beratungsstellen und allem, was nun einmal dazu gehört: mit dem Modell der Fürsorgerichtsätze und des Vergleichs: der Rentner in der Nähe der Fürsorge? Er hat auch nicht offen die Frage gestellt: Modell „staatliche Versorgung für alle" mit steigenden staatlichen Zuschüssen? Er ist in seinem Diskussionsbeitrag nur nahe an die Weichenstellung in dieser Kernfrage unserer gegenwärtigen Auseinandersetzung um das Ziel der Sozialpolitik herangekommen.
    Das sollte uns heute nachdenklich stimmen. Die Ergebnisse der bisherigen Sozialpolitik sollten uns darüber nachdenken lassen, ob wir die Weichen neu stellen müssen, wenn infolge einer expansiven Lohnpolitik steigende Einkommen, laufend steigende Beitrags- und Steuerverpflichtungen und schließlich auch laufende Preissteigerungen dazu führen, daß am Ende Rentenerhöhungen in ihrem Wert, in der Kaufkraft für den Rentner auch fragwürdig werden.
    Wir haben in und nach dieser Diskussion Gelegenheit, über alles das nachzudenken und zu sprechen, was in Deutschland wie in keinem anderen Land Europas als tabu gilt, nämlich über den Preis der sozialen Wohltaten. Es wäre gut, wenn wir auf diesem Gebiet zu so etwas wie einer sozialpolitischen Moral kämen. Wir haben auch zu überlegen, ob es richtig ist, sich allein damit zu rühmen, daß wir 5,1 Milliarden DM Mehrausgaben für Renten haben, oder es gar als Erfolg zu sehen, wenn man noch mehr Ausgaben gefordert hat, die man nicht bewilligt bekommen hat. Wir haben zu überlegen, ob die Höhe des Sozialetats und die Höhe der verteilten Wohltaten in ihrer sozialen Wirkung wirklich genügen. Dann werden wir auch die richtige Antwort auf die Wünsche und Forderungen hinsichtlich weiterer Leistungen finden.
    Meine Herren von der Opposition, aber auch meine Freunde in der Koalition, ich muß auf Grund Ihrer Debatte feststellen, daß die SPD sich seltsamerweise veranlaßt gesehen hat, wegen der Konzeption, die sie als ihre eigene Erfindung rühmt und preist, nun ihre Freunde von der CDU, mit denen sie sie doch gemeinsam verteidigt hat — die beiden Konzeptionen unterscheiden sich doch nur graduell —, anzugreifen. Besonders seltsam ist es für mich, zu hören, daß einerseits Herr Stingl — wie mir scheint, mit Recht — behauptet, viele dieser Bestimmungen zeigten die Handschrift der CDU, und daß andererseits die SPD — wie mir scheint, mit gewissem Recht — rühmt, sie habe das Erstgeburtsrecht für eine Idee, die immerhin eine sozialistische Idee unseres Jahrhunderts ist. Diese Idee hat weitgehend bei der Rentenformel Pate gestanden, deren Auswirkungen Sie nun heute bedauern. Insofern, meine Herren von der SPD, sind Sie undankbar gegenüber meinen Freunden von der CDU, die Ihnen doch so weitgehend gefolgt sind.

    (Heiterkeit. — Abg. Wehner: Wahlkreis Celle!)

    Das Dilemma der Rentenreformdebatte und das Dilemma des Undanks gegenüber sozialen Wohltaten sind mir heute beim Anhören Ihrer gegenseitigen Vorwürfe so recht deutlich geworden.
    In einer solchen Stunde, in der man einmal haltmacht und über einen Abschnitt der Sozialpolitik nachdenkt, sollte man sich, glaube ich, auch klarmachen, daß man nicht allen verlockenden Vorstellungen, auch wenn sie innerhalb und außerhalb Europas immer wieder diskutiert werden, nachgeben kann und daß auch das Entgegenkommen bis zum halben Wege oder das Kompromisse-Machen nicht immer glücklich ist; denn das führt zu dem, was wir heute in der Debatte — ich sage: bedauerlicherweise — erleben mußten.
    Die Begründerin der Großen Anfrage der SPD, meine Kollegin Frau Korspeter, und Herr Professor Schellenberg haben immer wieder beklagt, daß das Sozialrecht nicht vereinfacht werde. Nun, ich stehe nicht an zu sagen: Ich habe nicht an den Storch geglaubt. Das stammt nicht von mir, sondern von Frau Korspeter. Sie hat im Wirtschaftsrat schon gesagt, daß sie nicht an den Storch glaube. Auch ich habe Herrn Storch nicht geglaubt,

    (Heiterkeit)

    daß diese Rentenformel so einfach sei, daß jeder Schulbube sie verstehe. Ich glaube, daß sehr viele Kollegen in diesem Hause ihre Rente nicht berechnen können. Ich finde, das ist auch gar kein Unglück. Es ist nur ein Unglück, wenn die gleichen Gruppen und Parteiungen, die immer neue Forderungen an den Staat stellen, die immer neue Anträge an das Parlament stellen, dann beklagen, daß nicht alle Einzelwünsche befriedigt werden. Diese Gruppen wehren sich einerseits gegen individuelle Versicherungsprinzipien, fordern dann aber andererseits — wie mir scheint, mit Recht — in den Fällen eine individuelle Berechnung, in denen die Pauschalierung immer zur Ungerechtigkeit führen muß.



    Frau Kalinke
    Ich gehöre zu den Menschen, die den Mut haben, zu bestätigen, daß sie aus Irrtümern lernen, Sie gehören zu denen, die selber einmal ihre eigenen Rententabellen verteidigt haben und nun — heute ist es wieder deutlich geworden — eingesehen haben, daß sie auf dem falschen Wege sind. Für die Sozialpolitik wie überhaupt für die Politik scheint es mir immer ein Fortschritt zu sein, wenn jemand einsieht, daß er auf dem falschen Wege war.
    Die Kernfrage, die uns heute gestellt ist, ist aber meiner Ansicht nach in der Debatte zu kurz gekommen. Ich meine die Frage des sozialen Effekts unseres Sozialetats, die Frage der Grenzen der Belastung und die Frage der Möglichkeit der Förderung der Eigenverantwortung. Ebenso habe ich in der Debatte einen Hinweis vermißt, der ja heute Mode ist, nämlich den Hinweis auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.
    Die Fragestellung der sozialdemokratischen Opposition nach der Nähe der Mindestrente am Fürsorgerichtsatz ist eindeutig falsch. Sie ist deshalb falsch, weil die Sozialdemokraten doch gerade auf die Bindung der Rentenformel an den Lohn Wert gelegt haben und nicht an den Fürsorgerichtsatz. Deshalb muß jetzt mit Recht gefragt werden, ob andere Bezugsgrößen gerechter gewesen wären. Sie haben damals diese anderen Bezugsgrößen abgelehnt und an dem Lohnindex festhalten wollen. Es ist sicherlich wertvoll, sich in solcher Stunde der Besinnung deutlich zu machen, daß es nicht auf soziale Parolen und nicht auf Schlagworte unserer Zeit ankommt, sondern darauf, deren Wert und Wahrheitsgehalt gründlich zu prüfen.
    Sie beklagen heute die sozialen Enttäuschungen. Sind nicht die sozialen Enttäuschungen die Folgen zu großer sozialer Versprechungen oder unwahrhaftiger sozialer Versprechungen? Wir sollten realistisch und nüchtern untersuchen, woher denn diese Forderungen kommen, was denn die Ursachen des übermäßigen Strebens nach staatlicher Sicherung sind. Hier sollten wir unsere Novellen zur Reform der Sozialgesetze ansetzen, nachdem wir diese Ursachen mit aller Verantwortung und Gründlichkeit untersucht und geprüft haben. Es ist so viel das Fehlen von Leitbildern, die veränderte gesellschaftliche oder Bevölkerungsstruktur, die Folgen zweier Kriege, die Inflation beklagt worden. Was nützt es, wenn wir darüber Klage führen, wenn wir die Sparmark anders behandeln als die Rentenmark? Was nützt es, wenn wir dem Beharrungsvermögen der Sozialversicherungsträger oder ihrer Organe oder wenn wir dem Sog nach immer größerer Ausdehnung nachgeben, wenn wir das Versorgungsprinzip auch durch staatliche Stellen überbetonen lassen? Brauchen wir uns dann zu wundern, wenn der Fluch der bösen Tat folgt und die von Herrn Kollegen Stingl dankenswerterweise deutlich gemachten Unterschiede zwischen den Versorgungs-, den Fürsorge- und den Versicherungsprinzipien, die die Fraktion der Deutschen Partei nicht aufgehört hat immer wieder klarzumachen, einfach nicht mehr beachtet werden? Was nützt es, wenn man darüber Klage führt, daß in diesem Zusammenhang die volkswirtschaftlichen und Währungsprobleme bagatellisiert werden, weil man einfach liest, was man gern lesen möchte, wie die Sparguthaben oder die Kassenbestände von 1957 sind — ich gehe auf diese Dinge noch ein —, aber verschweigt, daß die Last der Rentenversicherungsreform eine Last ist, die sich in die Zukunft hineinwälzt und für die wir die Verantwortung auf Jahrzehnte tragen müssen?
    Die sozialdemokratische Opposition hat heute sehr vieles beklagt, was sie besser nicht beklagt hätte. Sie sagen, Ihr Entwurf sei einfacher gewesen. Ich bestreite das nicht, er war wirklich in einzelnen Dingen einfacher. Er wäre noch einfacher, wenn er vollständig verwirklicht worden wäre und wenn nicht meine politischen Freunde innerhalb der Koalition Verständnis gefunden hätten für jene Bremsen, die notwendig waren, um dem Ansatz zum Umschwung auf die totale Versorgung hin von Anfang an jene Schwelle hemmend in den Weg zu legen, und Sie beklagen es nun, daß schwer darüber hinwegzukommen sei. Sie sagen, der einfachere Weg sei der bessere. Ich sage Ihnen, der totale Versorgungsstaat als Verteilerstaat — und das wäre der einfachste Weg -- ist weder billiger noch besser noch führt er zu einer gerechteren Lösung.
    Nun hat Herr Kollege Schellenberg sehr bitter darüber Klage geführt, daß die Mehrleistungen nur 40 bis 50 % und nicht 70 % der Durchschnittsleistungen ausmachen. Ich gebe Herrn Schellenberg recht: es sind keineswegs 70 %, sondern es sind in der Regel 40 bis 50 %. Ich finde es eigentlich unter seiner Würde, daß er mit Durchschnittszahlen operiert. Wenn andere das tun, Herr Kollege Schellenberg, w i r sollten es nicht tun, denn w i r wissen, wie eine solche Durchschnittsrente zustande kommt. Wenn einer 400 Mark bekommt und der andere 100 Mark, das sind 500 Mark, dann ist die Durchschnittsrente 250 Mark, und trotzdem hat einer 400 und der andere 100 Mark.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das habe ich erklärt!)

    — Bitte, man soll das aber ganz deutlich sagen! Es gibt in unserem Volke sehr viele Gruppen der freien Berufe, der Selbständigen und derjenigen, die Steuern zahlen, die arbeiten und große Substanzverluste gehabt haben, die glücklich wären, wenn ihre Sparmark mit 40 oder 50 % aufgewertet worden wäre. Ich wollte auch das heute einmal ausgesprochen haben.
    Die Deutsche Partei hat im 1. und 2. Bundestag in sehr grundsätzlichen Stellungnahmen und Anträgen die Probleme der Rentenreform immer wieder vor Ihrer aller Gewissen gestellt. Sie hat die Wiederherstellung des Versicherungsprinzips begrüßt und begrüßt es auch, soweit es in diesen Gesetzen Verwirklichung gefunden hat. Wir bedauern, daß das Prinzip der Erhaltung der Kapitaldeckung mit dem neuen absoluten Umlagesystem — denn das ist auch die Abschnittsdeckung — verlassen worden ist. Wir halten es nicht für gut, daß das Angestelltenversicherungsrecht in seiner besonderen Art beseitigt worden ist. Wir glauben, daß auch die Regelung der Anrechnung zu Unrecht beanstandet worden ist, weil diese Frage nicht in diesem Gesetz,



    Frau Kalinke
    sondern im Unfallversicherungsgesetz und in der Kriegsopferversorgungsnovelle geregelt werden müssen.
    Wir haben immer wieder auf die großen Zusammenhänge des sozialen Haushalts hingewiesen. Ich glaube, daß diese Zusammenhänge in der Betrachtung zu kurz gekommen sind und daß die Regierung und der Herr Arbeitsminister a. D. Storch — das betrifft nicht unseren neuen Arbeitsminister — zu lange gezögert und dann eben unter Zeitdruck Unvollkommenes getan haben. Zu dieser Unvollkommenheit sollten wir uns in aller Offenheit bekennen. Wenn wir aus ihr lernen, dann wird die Neigung, soziale Wohltaten im Schatten der Wahlen zu geben, geringer werden; und ich hoffe, wir haben alle daraus gelernt. Das, was an Fortschritt in diesen Gesetzen enthalten ist, wird von meinen politischen Freunden nicht kritisiert. Das, was fehlerhaft ist, wollen wir insofern offen dartun, als es einen Ansatzpunkt zu einer besseren Reform gibt.
    Frau Kollegin Korspeter hat zu Beginn den Zeitdruck und das Ausmaß der Beanstandungen beklagt und zugleich immer wieder gerühmt — auch Herr Schellenberg hat es fortgesetzt —, daß die SPD die eigentliche Initiative zu diesem Gesetz gegeben hat. Nun, ich glaube, gerade die Punkte dieser Gesetze, die auf der dynamischen Rentenformel beruhen, werden uns nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft noch manche Kopfschmerzen bereiten.
    Meine politischen Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei sind dem neuen Minister für Arbeit, Minister Blank, dankbar, weil er so eindeutig klargemacht hat, daß die Bundesregierung Fürsorgeprinzipien in der Rentenversicherung ablehnt und sie auch in Zukunft darin nicht verankert sehen möchte.
    Wir beklagen alle gemeinsam die Kompliziertheit der Verwaltung. Mein Kollege Stingl hat an dem Beispiel der Angestelltenversicherung schon einzelne Fragen beantwortet, die von der Frau Kollegin Korspeter hinsichtlich der Dauer der Bearbeitung der Rentenanträge gestellt worden sind. Frau Korspeter beklagte, daß die Berechnung neun Monate dauere. Sie dauert im Durchschnitt etwa sieben Monate. Sie dauert neun oder zehn Monate, wenn die Landesversicherungsanstalten bei Rückfragen, die sie in Wanderversicherungsfällen haben, nicht antworten können. Sie alle kennen dazu die Veröffentlichungen des Verbandes der Rentenversicherungsträger. Ich will Ihnen, die Sie so bitter darüber klagen, die Gründe dafür mit den überparteilichen Worten des Verbandes der Rentenversicherungsträger sagen. Er gibt in einer Pressenotiz folgende Gründe an:
    Der Kreis der Rentenberechtigten hat sich erheblich erweitert.
    — Das sind Ihre Anträge. Wir wollten keine Ausweitung des Kreises der Rentenberechtigten.
    Die neue Rentenformel ist zeitraubender. Sie erfordert die Benutzung moderner Rechenmaschinen und sehr lange und schwierige Berechnungen.
    — Das war Ihre Idee, meine Herren von der Opposition.
    Bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeit müssen ärztliche Gutachten eingeholt werden.
    Bei der Angestelltenversicherung betreffen 70 % der Anträge die Wanderversicherten, die noch Beiträge zur Knappschafts- oder Invalidenversicherung zahlen. Diejenigen von Ihnen, die wissen, wie es bei der Knappschaft aussieht — bei der es ja noch viel schlimmer ist als bei den Landesversicherungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte —, werden mir und in diesem Fall auch dem Arbeitsminister recht geben, daß jede sofortige Novellierung der Rentengesetze die Versicherungsträger in eine aussichtlose Lage bringen würde, in ein Dilemma und eine Auseinandersetzung, die auf dem Rücken der alten Rentner ausgetragen würde. Dafür sollten wir unsere Hand nicht geben.
    Der Kollege Stingl hat aus dem Bericht der Bundesversicherungsanstalt einiges über Geschäftsanfall und Arbeitserledigung zitiert. Ich will nicht hinzufügen, was in dieser Anstalt geleistet werden mußte und noch geleistet wird, um den Rentenbestand von 1,6 Millionen umzurechnen. Ich will auch nicht berichten, wie die Antragssituation in Wirklichkeit aussieht und wie sie sich immer verschlechtert. Ich meine, es ist nicht Sache dieser Debatte hier, von einzelnen Anstalten zu sprechen. Aber eines möchte ich sagen: die Kompliziertheit der Rentenformel, die nicht der Initiative der Fraktion der Deutschen Partei entsprach und die wir bekämpft haben, weil wir die daraus entstehenden Schwierigkeiten vorausgesehen haben — wir haben das hier sehr deutlich dargelegt —, hat dazu geführt, daß bei sämtlichen Versicherungsträgern der Bestand der Angestellten um 25 % erhöht werden mußte. Was das für den Etat bedeutet, wenn man statt 4000 Mitarbeitern 5000 haben muß, was das hinsichtlich der künftigen Belastungen der Versicherungsträger bedeutet, das zu beurteilen überlasse ich all denen, die etwas von Personalkosten und -verpflichtungen wissen. Jede weitere Komplizierung des Rechts würde eine weitere Erhöhung dieses Bestandes zwangsläufig zur Folge haben.
    Minister Blank hat auch meine Zustimmung, wenn er deutlich gemacht hat, daß es nicht das Ziel der Rentenreform war, allen eine ausreichende Sicherung auf Lebenszeit zu geben. Das kann niemals das Ziel der Rentenreform sein. Es ist bei den Debatten zu den Sozialversicherungsanpassungsgesetzen und den Anrechnungsbestimmungen von der Deutschen Partei immer wieder deutlich gemacht worden, daß mit dieser Ausgestaltung der Rentenversicherung eben nicht alle Probleme der Fürsorge und Versorgung gelöst werden können. Wir stimmen auch der Auffassung des Arbeitsministers und der Regierung zu, daß das Ziel keine Vollversorgung sein kann, sondern nur ein Höchstmaß an Sicherung nach individueller Leistung, die vorher erbracht werden muß. Wir sind mit den Sozialdemokraten, aber ich glaube, da besteht kein Gegensatz: auch mit der Koalition, mit allen hier im



    Frau Kalinke
    Hause, einig, daß wir die Anrechnungsbestimmungen schleunigst überprüfen müssen. Die Unfallversicherungsreform wird uns dazu Gelegenheit geben, auch die nächste Novelle zum Bundesversorgungsgesetz, von der wir ja alle wissen, daß sie eines Tages kommen wird.

    (Zuruf von der SPD: Eines Tages!)

    Es ist hier von der Pauschalumstellung gesprochen und gefordert worden, sie durch individuelle Umstellung zu ersetzen. Dieses Problem hat Kollege Stingl behandelt. Auch der Minister für Arbeit hat es getan. Ich möchte nur daran erinnern, daß es Herrn Schellenbergs Tabellenrenten bei der Versicherungsanstalt Berlin waren und daß dem gepriesenen SPD-Entwurf, der ja immer wieder angezogen worden ist, nach meiner Erinnerung die gleichen Pauschalrechnungen und Tabellenrenten zugrunde lagen.
    Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es auch und ist dem Arbeitsminister dankbar, daß er sich so deutlich von jedem Prinzip der Mindestrente abgesetzt hat, weil dieses ein Prinzip der Versorgung ist und im Gegensatz zum Prinzip der Versicherung steht. Es ist unbestritten, daß der Lebensstandard vieler Rentner erheblich angehoben wird. Aber wir geben auch zu: leider sind trotz aller Deklamationen für das Versicherungsprinzip — und hier bin ich in der Sache, nicht in der Form, mit Herrn Schellenberg einig — unendlich viele um die Früchte ihrer Beitragsleistung gebracht worden. Das Prinzip „Leistung und Gegenleistung" mit seinem ethischen Inhalt ist eines der grundlegenden Versicherungsprinzipien überhaupt. Es ist deshalb wichtig, daß wir es immer wieder deutlich machen.
    Herr Schellenberg und Herr Walpert haben beklagt, daß zwei Versicherte mit gleichem Einkommen und gleichen Beiträgen keine gleiche Rente haben. Auch ich bekomme täglich Briefe mit solchen Beispielen. Das ist die Folge mancher bösen Tat, nämlich im Zusammenhang mit einer Perfektion der Bestimmungen über Anrechnungszeiten und Zurechnungszeiten, die zwangsläufig — wir haben bei der Debatte um die Rentenreform darauf hingewiesen — zu diesen Ungerechtigkeiten führen mußten. Es trifft leider zu, daß der Personenkreis unendlich groß ist, der mit gleichem Schicksal in zwei Teile gespalten ist: die einen, die an dem großartigen Geschenk der Anrechnungszeiten Anteil haben, und die anderen, die davon ausgeschlossen sind. ,Hier stehe ich im Gegensatz zu dem Kollegen Stingl. Hier meine ich, wir müssen insbesondere hinsichtlich der Heimkehrer und Kriegsopfer überlegen, wie wir dieses Problem vernünftig anpacken und im Zusammenhang mit anderen Reformproblemen zu gegebener Zeit lösen.
    Wir wundern uns über Ihre Klagen, die nicht berechtigt sind, weil Sie ja Ihre eigene Konzeption angreifen. Wir beklagen, daß die Übersteigerung der Gleichheitsforderung in Ihrer Konzeption dazu geführt hat, daß die Ungleichheit größer ist denn je, und ich stimme dem Minister darin zu, daß bei dem heutigen kritischen und unbefriedigenden Zustand der durch die Pauschalumstellung der Renten entstandenen Härten und Differenzen ein Verzicht auf die Pauschalumstellung kaum noch möglich erscheint, daß die Abweichungen der umgestellten Renten wie die Differenzen zwischen den Bestands- und Zugangsrenten kaum noch zu reparieren sind, wenn man nicht den Weg zurückgehen will. Ich glaube aber, es ist unser aller Erfahrung, daß es in der Sozialpolitik einen Weg zurück leider niemals gibt. Wir sollten auch in dieser Frage das soziale Tabu beseitigen und über Fehler sprechen, um aus ihnen zu lernen.
    Ganz besonders beklagen meine politischen Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei die finanziellen Wirkungen der neuen Bezugsgrößen in den Rentenversicherungen vor allem in der Zukunft, und ich bedauere ein wenig die späten Erkenntnisse der Abteilungen im Arbeitsministerium, die Herrn Minister Storch beraten haben und die uns jetzt selber auf dem Wege vom Irrtum zur Wahrheit deutlich machen, welche ernüchternden Klarheiten ihnen anscheinend jetzt erst gekommen sind. Ich meine die Aufsätze, die aus dem Hause des Herrn Ministers über die freiwillige Weiterversicherung nach neuem Recht geschrieben wurden, und die sehr deutlich — denn sie entspricht der Wahrheit — gegebene Klarstellung, auf die auch Herr Schellenberg heute hingewiesen hat. Er hat nämlich darauf hingewiesen, daß in keinem Jahr seit der Währungsreform die Zahl der verkauften Beitragsmarken für die freiwillige Weiterversicherung so gering gewesen ist. Es ist interessant — ich stimme da dem Referenten des Arbeitsministeriums zu —, daß das nicht auf mangelnde finanzielle Möglichkeiten der Versicherten zurückzuführen ist, sondern auf jene große Unsicherheit der Gesetzgebung. Der ganz offensichtliche Grund für diese Zurückhaltung ist nach übereinstimmender Auffassung der Fachleute, daß die Versicherten eben nicht wußten, welche Marken zweckmäßig waren, und daß sie fürchteten, durch eine unbedachte Wahl in der Zahl und der Höhe der freiwilligen Beiträge eine bereits erworbene Rentenanwartschaft zu mindern. Wenn nun offen zugegeben wird, daß das von vornherein feststand, dann allerdings meine ich, daß der frühere Arbeitsminister und seine Mitarbeiter sehr schlecht von denen beraten waren, die das wußten, aber dem Parlament und insbesondere der Opposition im Parlament nicht zugegeben haben, daß wir mit unseren Bedenken gegen die Rentenformel recht hatten.
    Ich will nichts wiederholen, was hier schon ausgesprochen worden ist, aber auf eins sehr deutlich hinweisen. Wegen der Abrundungsvorschriften und der neu vom Arbeitsministerium bekanntgegebenen Beitragsbemessungsgrenze, die für 1957 unverändert 750 DM monatlich und 9000 DM für Jahresbezüge beträgt, führt die allgemeine Bemessungsgrundlage, die ja unmittelbar die Höhe der Renten beeinflußt — der für 1957 geltende Satz von 4281 DM ist für das Jahr 1958 auf 4542 DM heraufgesetzt worden —, zu folgenden Ergebnissen: Die neuen Renten, die im Durchschnitt um 6,1 % höher sind als im Vorjahr, bringen für diejenigen Versicherten, die in der Regel mehr gearbeitet, mehr



    Frau Kalinke
    geleistet, mehr verdient und höhere Beiträge gezahlt haben, wiederum durch die Abrundung Nachteile. Ich will das nicht mit vielen Zahlen, aber mit zwei ganz eindeutigen Beispielen aufzuzeigen versuchen. Die Sondervorschriften zur Abrundung haben zur Folge, daß die wichtige Grenze 1957 bei 9000 DM durch den Satz von 4282 DM geteilt 210 % und für 1958 bei 9000 DM durch den Satz von 4542 DM geteilt nur 198 % ergibt.
    Tendenz und Umfang der Auswirkung der neuen Rentenformel werden sich also viel deutlicher erst in den nächsten Jahren zeigen. Deshalb ist es leichtfertig, sowohl vom Abgeordneten Storch wie vom Abgeordneten Schellenberg und allen, die diese Auffassungen mit vertreten haben, von der jetzigen Situation schon auf die Konsequenzen zu schließen, die sich aus der Rentenformel in der Zukunft ergeben werden. Ich glaube, der Herr Kollege Schellenberg hat sich hier ein wenig zu früh gefreut. Das Ansteigen der Jahresarbeitsverdienste wird ein Ende haben, und die Zuwachsquote ist ungewiß. Wer den Bericht der Bank der Länder sehr ernsthaft gelesen hat, der weiß, daß da manche große Unbekannte vorhanden sind. Die Auswirkungen für die hockbezahlten Versicherten, aber auch die Versicherungsträger sind ganz unbekannt, weil niemand weiß, welche Konsequenzen diese Versicherten, besonders die Weiterversicherten bei ihrer Beitragszahlung ziehen werden. Die Belastungen für den Bund wurden schamhaft verschwiegen. Sie steigen, und der Herr Bundesfinanzminister wird ja spätestens bei der Beratung des Haushalts darüber einiges zu sagen haben. Es ist allerdings richtig, daß auch eine neue Umrechnung aller Renten nach individuellen Grundsätzen, ganz abgesehen vom Zeit- und Verwaltungsaufwand, die ausnahmslose Gleichbehandlung aller nicht sicherstellen würde.
    Nun hat der Kollege Stingl — das ist auch ein Punkt, in dem ich nicht mit ihm übereinstimme — Herrn Schellenberg geantwortet, daß der Höchstrentensatz bei den freiwillig Versicherten für die Zukunft nun einmal in deren Hand liege. Sie müßten sich eben ausrechnen, was für sie das Günstigste sei. Diese Auffassung ist falsch. Richtig ist vielmehr — ich freue mich, daß der Bundesminister für Arbeit uns das zugesagt hat —, daß wir hier dafür sorgen sollten, daß keine Verminderung des Rechtsanspruchs entsteht, daß die einzelnen nicht zu manipulieren verpflichtet sind oder zum Rentenberater laufen müssen, ganz gleich, aus welchen Gründen, aus geschäftlichen oder ideellen, diese Rentenberater nun ihren Rat geben, sondern daß Beiträgen auch Leistungen folgen.
    Es ist weiter in der Frage der Beschränkung der Höchstrenten nur von der Auswirkung auf die Versicherten gesprochen worden. Aber diese Beschränkung wirkt sich auch auf die Versicherungsträger oder, besser gesagt, auf die Versichertengemeinschaften aus. Wenn hier deutlich gemacht wurde, daß zur Zeit kaum 50 % des Eingangs an Beiträgen aus dem Markenkauf freiwillig Versicherter festzustellen sind, wenn hier auf die Kassenüberschüsse des Jahres 1957 verwiesen wurde, so darf ich, ohne Prophet zu sein, Ihnen sagen, daß diese Überschüsse schon 1958 wesentlich schrumpfen werden, wenn sie nicht gänzlich verschwunden sein werden. Es ist sicher zu früh, heute schon über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben in dem nächsten zehnjährigen Deckungsabschnitt Aussagen zu machen. Aber entscheidend für die Veränderung wird die Anpassung der laufenden Renten sein, und über dieses wichtige Problem werden wir in diesem Hause auch demnächst sprechen können. Art, Zeitpunkt und Höhe der Anpassung der Renten werden die finanzielle Belastung von morgen ausmachen, und darauf kommt es mit an.
    Zu den großen Unbekannten aber gehören auch neben den Beitragseinnahmen aus der veränderten Zahl der Weiterversicherten, die Situation der Selbständigen und die Konsequenzen, die sie aus der Rentenreform ziehen werden, aber auch die Konsequenzen, die sie hinsichtlich ihrer Selbstverantwortung und ihrer eigenen Initiative, für ihre Zukunft zu sorgen, ziehen werden. Ich brauche das Kapitel Handwerkerversicherung nur als Überschrift anzusprechen, und Sie wissen alle, was ich damit meine.
    Wie berechtigt alle die grundsätzlichen Bedenken waren, die ich namens der Fraktion der Deutschen Partei in der Rentenreformdebatte geltend gemacht habe, zeigen manche Mängel der Praxis, sosehr sie beklagt werden mögen; das zeigt und wird zeigen noch viel mehr der Blick in die Zukunft, die Fülle der Erfahrungen und Schwierigkeiten, die wir bei der Auslegung des Gesetzes haben. Das Gebiet ist so umfangreich, daß es ganz unmöglich wäre, es in diesem Hause im Rahmen der möglichen Redezeit und Ihrer Aufnahmefähigkeit jetzt vorzutragen. Ich will nur darauf hinweisen, daß der Verband der Rentenversicherungsträger schon ganze Bände allein mit Auslegungsbestimmungen herausgeben mußte.
    Ich kann nur sagen: die Deutsche Partei hat mit allen Einsichtigen immer wieder auf die Notwendigkeit der Anpassung der laufenden Renten an die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen. Sie hat sie gefordert. Sie hat die fällige Rentenerhöhung immer bejaht. Sie ist der Meinung, daß viel Ärger und Enttäuschung heute nicht wären, wenn Sie unsere Warnungen beachtet hätten und die automatische Anpassung nicht zum Prinzip erhoben hätten. Was Ihnen diese automatische Anpassung noch für Kummer bereiten wird, das wage ich in Ihrem eigenen Interesse nur anzudeuten.
    Es ist heute so sehr gerühmt worden, daß all die Folgen, vor denen wir gewarnt haben — Geldentwertung, Kaufkraftschwund — nicht eingetreten sind. Meine Freunde haben niemals gemeint, daß solche Folgen innerhalb eines halben Jahres eintreten werden. Wir haben gefordert, alle Anstrengungen zu machen, um die Währung stabil zu halten und echte Produktivitätssteigerungen zu erreichen. Aus diesem Grunde haben wir Indexbindungen und Indexklauseln abgelehnt. Das tun wir auch heute und in Zukunft. Wir haben auch das Umlageverfahren wegen seiner Gefahren abgelehnt.
    Ich freue mich, daß Herr Walpert und Herr Storch in schöner Einmütigkeit — wenn auch nicht so deutlich — sagten, daß die infolge der Währungsschä-



    Frau Kalinke
    den entstandenen „alten Lasten" durch die Rentenreform den Versicherten und ihren Arbeitgebern aufgebürdet werden. Leider ist man hier unserer Auffassung nicht gefolgt und hat falsche Konsequenzen gezogen. Man vergleicht heute die Rentenmark mit der Sparmark, und daraus ergeben sich wieder alle möglichen und berechtigten Forderungen.
    Schließlich ist vieles von dem, was Sie heute beklagen, das Ergebnis der Ausweitung der Versicherungspflicht. Ich möchte von den vielen Problemen nur das der leitenden Angestellten und der Befreiungsvorschriften ansprechen; dieses Problem liegt besonders im argen und drängt zur Entscheidung. Die Praxis hat schon in kürzester Zeit unseren Warnungen recht gegeben. Wir werden daher nicht müde werden, auf die Grenzen hinzuweisen, die dem Staat und dem Bundestag gesetzt sind, wenn nicht die letzten Regungen der Selbsthilfe erschlagen werden sollen.
    Die SPD beklagt die Belastung der Verwaltung, die Rechtsunklarheit, die Rechtsunsicherheit, die Überlastung der Sozialgerichte — und ich kann nur hinzufügen —, die Überfüllung unserer Postfächer mit Post, die Akten des Petitionsausschusses und die Überfüllung unserer Sprechstunden als Abgegeordnete, wo die gleichen Probleme vorgebracht werden. Ich meine, viele dieser Klagen haben ihre Wurzel in den eigenen Anträgen der SPD, die ich Ihnen jetzt nicht aufzählen will, die Sie aber alle nachlesen können. Die Tatsache, daß man immer wieder an ein Sicherungsbedürfnis aller appelliert und immer wieder mehr vom Staat haben will, drängt schließlich zu neuen Überlegungen und Lösungen; die Umstände werden uns alle zwingen, eines Tages mehr Zeit für grundsätzliche Entscheidungen zu haben. Ich stimme allen den Rednern zu — wo immer sie auch stehen —, die sagen, daß wir uns Zeit lassen und nicht einem voreilig und unter großem Druck beschlossenen Gesetz eine schlechte Novelle hinzufügen sollten.
    Offen für eine Reform ist eine Reihe von Fragen. Ich kann sie wegen der vorgeschrittenen Zeit und Ihrer Überanstrengung, die so offensichtlich ist, nur andeuten. Offen ist das Problem der Beitragserstattung, das Problem des Verzugs ins Ausland, die Frage der Elternrenten, das Problem der alleinstehenden — nicht nur der weiblichen, auch der männlichen — Versicherten und deren Hinterbliebenen.
    Ich muß an dieser Stelle sagen, daß das, was von einer CDU-Kollegin in der Zeitschrift der CDU „Frau und Politik" erklärt worden ist, einfach nicht zutrifft. Es handelt sich weder um Fürsorge noch um einen Schritt zur Versorgung, sondern es handelt sich um eine sinnvolle Anpassung unserer Gesetzgebung an die veränderte soziale Wirklichkeit; es handelt sich darum, Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Versicherungsgedanken — und nicht aus den Fürsorgeprinzipien — ergeben. Ich bin ganz gewiß nicht verdächtig, in diesem Hause Fürsorgeoder Versorgungsprinzipien mit Versicherungsprinzipien zu vermischen.
    Der Herr Kollege Walpert hat auch ein Bekenntnis zum Versicherungsprinzip abgelegt, hat aber zugleich gemeint, der Mindestrente das Wort reden zu müssen. Er hat bittere Klage über die Bagatellrenten geführt. Diese Bagatellrenten werden uns ja auch in Zukunft beschäftigen, und wir haben, meine ich, gemeinsam einen Mißstand der vergangenen Gesetzgebung beseitigt. Er sprach von denen, die „gläubigen Herzens" die Versicherung aufgenommen hätten, und er meinte damit sicher die fälschlich so genannte Hausfrauenversicherung, die wir beseitigt haben.
    Dazu möchte ich zwei Beispiele anführen. Besonders das eine geht alle die an, die sich bei der Versicherung der Selbständigen der Illusion hingeben, man könne außerhalb der Solidarhaftung, aber ohne die gleichen Verpflichtungen und Verantwortung für sich etwas Besonderes haben. Wir meinen Fälle — nicht nur aus dem Kreis der Hausfrauen oder der freiwillig versicherten Selbständigen —, in denen jemand—ich nehme jetzt den günstigsten Fall an — den Höchstbeitrag gezahlt hat, der nach der früheren Gesetzgebung für diese Gruppe 5 Mark betrug. Möglicherweise hat der Betreffende auch weniger als 5 Mark bezahlt. Ich nehme also diesen höchsten Beitrag an. Dann würde jemand nach fünf Jahren bei 180 Beiträgen à 5 Mark 900 Mark in die Versicherung eingezahlt haben. Die Mindestrente, die sich daraus ergäbe, war nach altem Recht 75 Mark. Der Betreffende erhält also im Laufe eines Jahres seine gesamten Beiträge zurück.
    Bei der Lebenserwartung eines 65jährigen würde der Rentner, wenn er 13 Jahre lang Rente bezieht, 11 700 Mark aus der Versicherung herausgeholt haben, und wenn er die Rente bei Eintritt der Invalidität, wie es in der Regel der Fall ist, mit 55 Jahren erhält, wären es in 22 Jahren 20 000 DM, die er für 900 DM Beiträge aus der Versicherung herausholen würde.
    Meine Damen und Herren, das ist ein sehr zahmes Beispiel für die Bagatellrenten derjenigen, die wenige Beiträge gezahlt haben und aus der Versicherungsgemeinschaft „gläubigen Herzens" etwas herausholen wollten. Diesen Personenkreis haben wir nicht gemeint. Ich glaube aber, daß das Problem angesprochen werden muß, und es muß deshalb angesprochen werden, weil es ungut ist, daß das Bundessozialgericht eine Entscheidung in den Fragen der Beitragserstattung fällen mußte. Das ist eine echte Angelegenheit der Novelle, bei deren Behandlung wir die Probleme der Beitragserstattung überprüfen müssen. Es darf nicht eine Welle von Feststellungsklagen und es dürfen nicht ungeahnte Mengen von Klagen bei den Sozialgerichten entstehen, sondern offene Fragen müssen innerhalb der Novellierung der Gesetzgebung geklärt werden, damit die Sozialgerichte nicht 15 Jahre hindurch mit allen möglichen Problemen der Rentenreform belastet sind.
    Die Finanzminister der Länder haben sich erfreulicherweise zu einer grundsätzlichen Gleichstellung von Sozialversicherung und Lebensversicherung durchgerungen. Ich möchte im Zusammenhang mit einem der letzten Probleme, das ich hinsichtlich der notwendigen Novellierung der Gesetzgebung ansprechen will, auf dies hinweisen: „Die Welt" hat



    Frau Kalinke
    in einer Veröffentlichung vom 14. Oktober vorigen Jahres diese Probleme einmal sehr anschaulich dargestellt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich einiges davon zitieren. Es wird dort gesagt, daß der Bundestag völlig sang- und klanglos die befristete Möglichkeit zur Wahlfreiheit verlängert und damit 400 000 Angestellten die Möglichkeit gegeben hat, die Frage zu beantworten, ob sie sich freiwillig in der Angestelltenversicherung oder in der Lebensversicherung versichern wollen. Es ist eine Kernfrage der Sozialreform, der Freiwilligkeit eine Gasse zu bahnen. Im folgenden wird mit Recht gesagt:
    Hinzu kommt, daß es der Gesetzgeber von Anfang an versäumt hat, hier klare Verhältnisse zu schaffen. Die mit der Reform aufgekommene Frage, ob der Arbeitgeberanteil vom Arbeitgeber auch bei Abschluß einer befreienden Lebensversicherung zugunsten des Angestellten übernommen werden sollte, ist bis heute gesetzlich nicht geregelt worden. In der Praxis hat sich aber Gott sei Dank das gesunde Rechtsempfinden eines Großteils der Arbeitgeber durchgesetzt, und der Arbeitgeberanteil wird freiwillig gezahlt, um dem Angestellten überhaupt die Wahl zu ermöglichen. Wo bleibt hier der Grundsatz der Gleichberechtigung, wenn dem Mitglied der Angestelltenversicherung gesetzlich das Recht auf halbe Beitragserstattung durch den Arbeitgeber eingeräumt wird und dem in einer Lebensversicherung befindlichen Angestellten zwar vorgeschrieben wird, daß er mindestens soviel für seine Lebensversicherung aufwenden muß, wie es in der AV Angestellte und Arbeitgeber tun, von einer analogen Beitragserstattung durch den Arbeitgeber aber nicht die Rede ist? In beiden Fällen wird doch Vorsorge für den Lebensabend und für die Familie getroffen. Warum dieser Unterschied? Warum dann überhaupt das Anerbieten, zwischen AV und LV wählen zu dürfen?
    Die „Welt" fährt fort: Eine weitere Frage ist offengeblieben, wie es nämlich mit der Befreiung steht, wenn sich die Voraussetzungen für die Wahl ändern. Wenn der Angestellte wieder unter die Gehaltsgrenze sinkt, wirkt dann die Befreiung zum Abschluß einer Privatversicherung endgültig oder entfällt sie automatisch oder besteht die Frage des Widerrufs? — Die vom Arbeitsministerium dazu eingenommene Stellung erscheint mir nicht gerecht und nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechend.
    Schließlich gehört hierzu auch die Frage, die absolut unklar ist, ob die Gleichstellung der Angestellten herbeigeführt werden kann, die infolge Überschreitens der Pflichtgrenze versicherungsfrei werden und sich freiwillig weiterversichern. Wenn diesen freiwillig Weiterversicherten die gezahlten Beiträge als Pflichtbeiträge angerechnet werden, müßte man bei den von der Versicherung Freigestellten genauso verfahren, wenn man keine Ungerechtigkeiten will.
    Zu den Problemen, die klärungsbedürftig sind, gehören noch Einzelfragen, die Bücher füllen. Ich will sie ganz gewiß nicht alle aufzählen. Ich meine aber, daß sie bedeutsamer sind als der Schrei nach Mindestrenten.
    Ich sagte anfangs schon: das, was Herr Storch zur Vereinfachung versprochen hat, wird sich nicht realisieren lassen. Herr Storch hat uns auch noch etwas anderes versprochen. Vielleicht wird er jetzt als Abgeordneter initiativ. Er hat uns bei der Reform der Krankenversicherung der Rentner versprochen, daß bei der Erhöhung aller Renten auch das Problem der Krankenversicherung der Rentner angepackt werden solle. Heute klagt die AOK Hamburg, heute klagen die Rentenversicherungsträger über die Auswirkung der Belastung durch die Krankenversicherung der Rentner. Hier ist anscheinend vergessen worden, was uns der Herr Minister Storch damals versprach. Vielleicht wird es der Abgeordnete Storch durch Initiative in seiner Fraktion nachholen.

    (Abg. Stingl: Ich denke, Sie glauben nicht an den Storch? — Heiterkeit.)

    Ich erfülle Ihnen so gern Wünsche. Ich erfülle meinem Kollegen Storch so gern jeden Wunsch. Darum will ich in meinem Schlußwort noch etwas Grundsätzliches sagen.
    Zu den grundsätzlichen Dingen gehört, daß wir keine Novellierung vornehmen, ehe wir uns nicht über die Kosten klar sind, über die weitere Einkommensumschichtung, über die Steigerung des Sozialaufwandes, über die Änderung der Einkommen nicht nur der unselbständig Erwerbstätigen, sondern auch der Selbständigen, besonders der mittleren Schichten und der kleinen Selbständigen, die nicht in der Lage sind, die Soziallasten und die Kosten in jedem Fall auf den Preis umzulegen. Wir sollten uns auch klarmachen, daß die sozialen Lasten hinsichtlich der Beiträge und Steuern ihre Grenze längst erreicht haben. Die Rentenreformdebatte im zweiten Bundestag hat deutlich gemacht, daß zwischen den sozialen Grundsätzen, zu denen sich ein Teil der Koalition bekannt hat, und dem sozialistischen Ziel der Vollversorgung nur graduelle Unterschiede waren. Ich freue mich, daß die heutige Debatte im Gegensatz dazu sehr deutlich gemacht hat, daß wir uns wieder gemeinsam auf die Grenzen besinnen wollen, die, wie der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung zu Jahresbeginn geschrieben hat, da sind, wo des Volkes Wohlfahrt sich von dem Versorgungsstaat unterscheidet. Ich freue mich, sagen zu können, daß wir in dieser Frage in großer Übereinstimmung mit unseren Koalitionspartnern sind und nicht in einem Gegensatz. Es ist unser aller Verantwortung, diese Grenze nicht nur in Festreden und Glückwünschen zum neuen Jahr, sondern auch bei den Beschlüssen, die wir hier zu fassen haben, auch bei der Ablehnung von Anträgen, und wenn sie noch so populär sind, deutlich zu machen, um der Wohlfahrt derjenigen willen, denen wir zu helfen haben und denen wir nicht nur mit Staatszuschüssen bei der Rentenversicherung, sondern auch mit der Reform der Fürsorge und mit der Reform des Kriegsopferrechtes entscheidend helfen wollen. Die soziale Sicherung mit Staatsmitteln und mit staatlichem Zwang ist in einem Maße vorange-



    Frau Kalinke
    schritten, daß hier endlich einmal die Haltesignale aufgezogen werden sollen.
    Ich bin dankbar dafür, daß diese Debatte heute deutlich gemacht hat, daß auch ein Zuviel in der Auswirkung sehr oft ein Zuwenig sein kann. Es ist mir ein Bedürfnis, die Befriedigung meiner Freunde in der Deutschen Partei darüber zum Ausdruck zu bringen, daß der neue Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einem Geleitwort, das er zum neuen Jahr in der Zeitschrift der Sozialpartner „Der soziale Fortschritt" geschrieben hat, deutlich erklärt hat: „daß allein eine gute Wirtschaftspolitik die Voraussetzung für eine schöpferische Sozialpolitik ist."
    Das verwaltungsmäßig Einfachste, meine Kollegen von der SPD, ist nicht immer das Sinnvollste und längst noch nicht immer das Gerechteste. Besser als der Ruf nach Rentenberatern wird sein, sich Klarheit über das zu verschaffen, was zu reformieren ist. Da stimme ich Herrn Walpert zu: diese Mängel sollten wir gemeinsam beseitigen; und Herrn Stingl stimme ich zu: lassen Sie der Verwaltung Zeit, der Verwaltung der Versicherungsträger, aber auch dem Arbeitsministerium, sich in Ruhe die Ergebnisse des Gesetzes anzusehen und dann eine vernünftige Reform der Reform der Rentenversicherung einzuleiten.
    Lassen Sie mich zum Schluß als Sprecherin der Fraktion der Deutschen Partei — der Gruppe, die sehr wohl weiß, daß sie nicht das Monopol der Konservativen für sich in Anspruch nehmen kann, die weiß, wie viele konservative Kräfte es in diesem Hause gibt — jene Forderung aussprechen, die wir alle gemeinsam nach dieser Debatte spüren sollten. Es sollte keine sozialen Tabus mehr in Deutschland geben. Wir sollten endlich den Preis der sozialen Wohltaten nennen. Wir sollten uns nicht verführen lassen zu sozialpolitischen Schlagworten und Versprechungen. Wir sollten behutsam dem sozialen Fortschritt dienen, nicht durch öde Gleichmacherei, sondern durch Anerkennung der individuellen Leistungen. Dann werden wir dazu beitragen, daß die Freiheit, die wir alle meinen, verwirklicht wird und nicht eines Tages durch zuviel Schreien nach zuviel Sicherheit der Verlust aller Sicherheit und aller Freiheit das Ende ist. Der gesamtdeutsche Auftrag, der hier angeklungen ist, bedeutet zugleich die gesamtdeutsche Verantwortung, die wir haben. Wir können ihr nicht mit Thesen gerecht werden, sondern nur mit mutigen Entschlüssen, die wir in diesem Hause zu fassen haben. Wegen des Vorbildes für Gesamtdeutschland sind wir der Meinung, daß wir diesen Auftrag gemeinsam zu erfüllen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)