Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann den Optimismus des Kollegen Stingl nicht teilen, sowenig wie meine politischen Freunde von der Fraktion der FDP dies tun können. Ich glaube, darüber, ob sich das System der Rentenreform mit ihrer Berechnungsgrundlage wirklich bewährt hat und bewähren wird, können wir erst etwa nach einem Jahrzehnt ein grundsätzliches und sicheres Urteil fällen. Auch die Frage, wie die Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf das Leben im allgemeinen sein werden, kann man heute genauso wenig endgültig beantworten. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß unser Kollege, der Abgeordnete Dr. Jentzsch, bei der Verabschiedung der Rentenneuregelungsgesetze am 21. Januar des vorigen Jahres festgestellt hat:
Es ist uns heute bereits eindeutig klar, daß der kommende Bundestag die Reform einer reformbedürftigen Rentenreform als eine Hauptaufgabe zu bewältigen haben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun stehen wir vor dieser Aufgabe. Für meine politischen Freunde darf ich zu dem Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 28 folgendes erklären: Auch wir sind der Auffassung, daß die sich aus der Rentenreform ergebenden Härten beseitigt werden müssen. Insbesondere sind wir der Auffassung, daß damit auch den Nivellierungstendenzen, die vor allen Dingen auch zu Lasten der Angestelltenversicherten gingen, entgegengewirkt werden muß.
Zu Ziffer la der Großen Anfrage möchte ich folgendes sagen: Die Forderung auf Beseitigung des sozial unbilligen Rentenanredmungssystems entspricht auch unseren Forderungen und ist dem Grundsatz nach durchaus gerechtfertigt. Die Neuregelung des Rentenanrechnungssystems läßt sich jedoch nur im Zuge einer Reform der damit zusammenhängenden Rechte und Gesetze, also des Bundesversorgungsrechts, des Lastenausgleichsrechts und des Fürsorgerechts verwirklichen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an unsere einst vorgetragene Forderung auf Einführung einer Elternrente.
Die Forderung unter Ziffer I b ist, so fürchten wir — und das muß ich den Kollegen von der SPD mit aller Deutlichkeit sagen, auch wenn die Ausführungen des Kollegen Walpert etwas anders geklungen haben —, lediglich eine Wiederholung der schon früher aufgestellten Forderung der SPD nach einer Mindestrente.
— Eben in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Professor Schellenberg, möchte ich auch unsere Stellungnahme zu der Frage der Mindestrente bekanntgeben. Lesen Sie das Protokoll nach! Von unserer Seite wurde eine Zusatzrente immer nur gefordert für die Härtefälle, die nun einmal eintreten werden. Diese Zusatzrente entspricht aber nicht dem System der Mindestrente, sondern sie soll auf
514 Deutscher Bundestag —3. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1958
Weber
der Grundlage der Leistungen, der eigenen und einzelnen Leistungen, aufgebaut sein. Wir lehnen ein Mindestrentenprinzip, eine Nivellierung in dieser Hinsicht grundsätzlich ab.
— Herr Kollege, ich habe soeben den Unterschied aufgezeigt, habe erklärt, daß wir im Prinzip nicht die Mindestrente gefordert haben. Der Unterschied zwischen der Mindestrente und der von uns geforderten Zusatzrente besteht darin, daß diese Rente in Härtefällen gewährt werden soll.
Wir haben uns seinerzeit bemüht, diese Härtefälle zu vermeiden.
— Nein, in der Frage der Elternrente handelt es sich nicht um eine fürsorgerische Maßnahme, Herr Kollege Stingl. In verschiedenen Härtefällen, die in den vorhergehenden Ausführungen dargestellt wurden, hätte man vorbeugen können. Vor allen Dingen wollten wir nicht, daß obligatorisch ein Mindestrentenprinzip angewendet wird; vielmehr soll hier auch das sonstige Einkommen mit angerechnet werden.
Bezüglich der Frage 1 c: eine Rentensteigerung durch Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit möchte ich grundsätzlich ablehnen. Wir dürfen nicht aus der Not eine Tugend machen. Wenn die Zeit der Arbeitslosigkeit auf der Grundlage des Erreichten mitbewertet wird, darf nicht auch noch ein fiktiver Lohn dem Grundsatz der Rentensteigerung zugrunde gelegt werden. Sie werden verstehen, daß wir damit die Gefahr vermeiden wollen, daß ein Versicherter dann günstiger steht, als wenn er arbeitet.
Hinsichtlich der Militärdienstzeiten werden wir es in Zukunft, wenn bei der Bundeswehr der Bund die Beiträge zahlt, mit zwei Rechtsgrundlagen zu tun haben. Bei den heiklen Fragen der Heranziehung von Krankheitszeiten und der Zeit der Berufsausbildung ergibt sich immer wieder die Problematik des fiktiven Lohnes. Aber auf Härtefälle werden wir in Zukunft auch hier eingehen müssen. Vor allem möchten wir in diesem Zusammenhang empfehlen, die Bestimmungen des § 1259 Abs. 1 Ziffer 4 im Arbeiterversicherungs-Neuregelungsgesetz und des § 36 Abs. 1 Ziffer 4 im Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz zu berücksichtigen und zu prüfen, ob die Berechnung einer Karenzzeit von zwei Jahren für bestimmte Berufe nicht eine soziale Härte darstellt. Ich möchte es der Bundesregierung anheimstellen, diese Frage näher zu prüfen.
Der unter 1 d erhobenen Forderung können wir restlos zustimmen. Wir denken in diesem Zusammenhang daran, daß so auch unsere Forderung nach Beseitigung der Höchstrentenbestimmungen und Ersatz durch eine bessere und gerechtere Lösung erfüllt wird.
Zu Punkt 2 der Großen Anfrage: Für die im Zusammenhang mit der Rentenreform geleistete Arbeit müssen wir unsere Anerkennung auch den
Versicherungsträgern aussprechen. Ich glaube, es war von ihnen nicht mehr zu schaffen auf diesem Gebiet. In dieser Hinsicht gilt die Forderung nach dem besseren Gesetz. Wir haben unsere Ansicht dazu dargelegt.
Zu Punkt 3: Auch wir befürworten, daß den Rentenberechtigten, wenn ihr Rentenanspruch grundsätzlich gebilligt wird, ein angemessener Vorschuß auf die endgültige Rentenleistung gezahlt wird, damit hier keine Härten eintreten.
Zu Punkt 5 schließlich darf ich sagen, daß eine bessere Lösung nur im Rahmen einer Neufassung des Fremd- und Auslandsrentengesetzes gefunden werden kann.
Grundsätzlich möchte ich nochmals bemerken: ob die Rentenreform in ihrer jetzigen Form ihre Bewährungsprobe wirklich bestehen wird, können wir erst später beurteilen. Nachdem von der Bundesregierung und von verschiedenen Seiten der Regierungskoalition mit aller Deutlichkeit auf die Tendenz zum Versorgungsstaat hingewiesen worden ist, möchte ich gerade auch im Hinblick auf die optimistische Darstellung durch den Herrn Kollegen Stingl die Frage stellen: Wie wollen Sie diese Probleme anpacken, damit die Entwicklung nicht einseitig — und das befürchten Sie doch auch — in jener Richtung weitergeht?