Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag ist zur Arbeit nach Berlin gekommen. Aber erlauben Sie mir, am Anfang dieser Sitzung dem Herrn Regierenden Bürgermeister, dem Senat, der Technischen Universität und der Bevölkerung dieser alten Hauptstadt Deutschlands herzlichen Dank zu sagen für die freundliche Aufnahme, die dem Deutschen Bundestag hier zuteil wurde.
Sie haben es ja in der Zeitung gelesen, und wir sind uns vorher in Bonn darüber einig geworden, daß wir hier keine Festreden halten, sondern, wie gesagt, arbeiten wollen. Wir glauben, meine Damen und Herren, daß damit zweierlei zum Ausdruck kommt: erstens die große Sehnsucht aller guten Deutschen nach einer klaren, festen, befriedeten Ordnung unseres nationalen Lebens. Es ist die Sehnsucht nach dem geordneten und nach dem normalen, nach dem friedlichen Miteinander aller Deutschen untereinander und mit ihrer Umwelt im Osten und Westen, im Süden und Norden. Nicht nur wir Deutsche, sondern Europa und die Welt sind von der Gewaltsamkeit der Trennung, die wir nun seit Jahr und Tag tragen, tiefer betroffen, als viele es wissen und wissen wollen in Deutschland und in der Welt.
In den hoffentlich regelmäßig wiederkehrenden Tagungen des Deutschen Bundestages in der Hauptstadt Deutschlands kommt zum anderen auch der feste Wille zum Ausdruck, die Mitte Deutschlands gegen den Druck einer unheilvollen weltpolitischen Lage und Machtgruppierung zu halten. Wir Deutsche haben ,den Krieg verloren, das ist gewiß. Aber wer hat eigentlich den Frieden gewonnen? Der Friede muß von allen gewonnen werden. Er wird nicht und von niemandem gewonnen, solange es zwei Deutschland gibt.
In der Hoffnung, daß unser Tun im großen wie im kleinen der Zukunft des freien, geeinten deutschen Volkes und dem Frieden der Welt dient, gehen wir wiederum an die Arbeit in der Hauptstadt Deutschlands, die wir zu Beginn dieser Sitzung ehrerbietig grüßen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre und die Freude, eine Delegation aus d e m Parlament in unserer Mitte begrüßen zu dürfen, das als die Mutter der Parlamente gepriesen wird und auch bei uns in großem Ansehen steht. Ich begrüße die Kollegen aus dem englischen Unterhaus, die uns die Ehre gegeben und die Freude gemacht haben, heute unter uns zu sein.
Schließlich darf ich dem Herrn Abgeordneten Gengler zum 70. Geburtstag die Glückwünsche des Deutschen Bundestages aussprechen.
Ich darf dem Hause weiter bekanntgeben, daß mit Wirkung vom 7. Oktober 1956 an der Herr Abgeordnete Dr. Orth sein Mandat niedergelegt hat. Als Nachfolgerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Ganzenberg in den Bundestag eingetreten. Ich heiße sie in unserer Mitte herzlich willkommen.
Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung — das ist eine Bemerkung zur Tagesordnung — ist Punkt 2 der Tagesordnung heute abgesetzt. Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung dagegen die heutige Tagesordnung erweitert um den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Langwellensender, Drucksache 2761, der im Zusammenhang mit dem Antrag der Fraktion der SPD unter Punkt 3 der Tagesordnung behandelt werden soll.
Ferner ist die Tagesordnung erweitert worden .um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bergmannsprämien, Drucksachen 2748 und 2351. Ich werde diesen Punkt als letzten : 'unkt der Tagesordnung aufrufen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist weiter abgesetzt Punkt 11 der Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe, Drucksache 2598.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht übernommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 5. Oktober 1956 die Kleine Anfrage 281 der Fraktion der SPD betreffend Durchführung des Gesetzes über das Lotsenwesen beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2760 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf den Punkt 1:
Erste Beratung des von ,der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aus den Vertreibungsgebieten ausgesiedelt wurden (Drucksache 2623).
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Dr. Kather hat das Wort zur Begründung.
Dr. Kather , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks hat den Entwurf eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen vorgelegt, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aus den Vertreibungsgebieten ausgesiedelt wurden — Aussiedlergesetz —. Dieser Antrag will die Rechtsstellung von vier Personengruppen regeln. Die erste Gruppe umfaßt deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Vertreibungsgebiete verlassen haben, also die Spätaussiedler. Die zweite Gruppe wird gebildet von den Angehörigen von Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, die sich noch in den Vertreibungsgebieten befinden, also den Angehörigen der Heimatverbliebenen. Zur dritten Gruppe gehören die Hinterbliebenen von Personen der gleichen Staats- und Volkszugehörigkeit, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in den Vertreibungsgebieten verstorben sind, also Hinterbliebene von Heimatverbliebenen. Bei der vierten Gruppe handelt es sich um die ehemaligen Insassen deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit aus den Lagern in Dänemark.
Zur allgemeinen Begründung dieses Antrags ist zu sagen: Von Hilfen an die Spätaussiedler wird viel gesprochen und geschrieben. Wenn man jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen einer genauen Nachprüfung unterzieht, stellt sich heraus, daß die Spätaussiedler von den Vergünstigungen fast aller Gesetze ausgeschlossen sind.
Zur ersten Gruppe ist zu sagen: Spätaussiedler, die in den Vertreibungsgebieten gesundheitliche Schäden davongetragen haben, können in der Regel Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz nicht erhalten, da für solche Leistungen außer den Kriegsgefangenen nur Internierte in Betracht kommen. Die in der Heimat Zurückgehaltenen sind aber meist nicht förmlich interniert gewesen. Der vorliegende Gesetzentwurf meiner Fraktion erstrebt die Gleichstellung der Spätaussiedler mit den Internierten. Da die Spätaussiedler nicht in Gefangenschaft und meist auch nicht interniert waren, erhalten sie keine Leistungen aus Heimkehrerhilfemaßnahmen. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß es gerechtfertigt und notwendig ist, ihnen wie einem Heimkehrer Entlassungsgeld, Übergangsbeihilfe, Wohnraum, Kündigungsschutz, Arbeitsplatzvermittlung, Ausbildungsbeihilfe und Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Das erstreben wir mit § 2 Abs. 2 des Entwurfs.
Hinsichtlich der zweiten Gruppe, der Angehörigen der Heimatverbliebenen, ist davon auszugehen, daß nur die Angehörigen solcher Personen, die „auf eng begrenztem Raum unter ständiger Bewachung" festgehalten wurden, Leistungen nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfen für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 30. April 1952 erhalten. Diese Voraussetzung ist aber meist nicht gegeben. Deshalb halten wir es für notwendig, den Angehörigen der immer noch in der Heimat Zurückgehaltenen derartige Unterhaltsbeihilfen zu gewähren, wenn die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. Die Angehörigen dieser Gruppe erhalten auch keinerlei Sozialversicherungsrenten, auch wenn der in der Heimat verbliebene Ehegatte rentenberechtigt war oder es inzwischen geworden wäre. Auch das soll nach unserer Meinung geändert werden.
Bei der dritten Gruppe, bei den Hinterbliebenen von Heimatverbliebenen, also Personen, die in der Heimat zurückgehalten wurden und dort gestorben sind, fehlt es nahezu an jeder gesetzlichen Regelung. Sie erhalten keine Witwen- oder Waisenrenten aus der Sozialversicherung. Nur wenn der Tod als Folge einer Internierung eingetreten ist, werden die Leistungen nach dem Bundesversor-
gungsgesetz gewährt. Wir halten auch in diesem Fall die Gleichstellung mit den Internierten für geboten.
Bei der vierten und letzten Gruppe ist bemerkenswert, daß der Lageraufenthalt in Dänemark nicht als Internierung im Sinne des Heimkehrergesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes anerkannt wird. Man begründet das damit, daß sich die Bewachung nicht gegen die Lagerinsassen gerichtet habe, sondern zu ihrem Schutz gegen dänische Nationalisten bestimmt gewesen sei. Das ist eine etwas seltsame Begründung. Eingesperrt ist eingesperrt; die Dänemark-Lager unterschieden sich kaum von den Gefangenenlagern.
Deshalb schlagen wir vor, die Festhaltung in diesen Lagern der Internierung gleichzustellen. Für die Durchführung des Gesetzes ist das Verfahren des Häftlingshilfegesetzes vorgeschlagen worden. Der Personenkreis ist in beiden Gesetzen von ähnlicher Art, und das gleiche gilt von den Rechten, die in den beiden Gesetzen gegeben worden sind oder gegeben werden sollen.
Ich beantrage Überweisung unseres Antrags an den Ausschuß für Heimatvertriebene.
Sie haben die Begründung des Gesetzentwurfs gehört. Ich eröffne die Beratung der ersten Lesung. Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt die Initiative des vorliegenden Antrags, weil damit erneut die Hilfe) maßnahmen für einen Kreis von Personen zur Erörterung gestellt werden, die einer besonderen Fürsorge und Betreuung bedürfen. Es bedarf in der Tat einer eingehenden und umfassenden Prüfung, ob die auf diesem Gebiet bisher getroffenen Maßnahmen ausreichen und wie sie sich für die von dem Herrn Vorredner genannten Gruppen auswirken.
Ich kann es mir versagen, auf die Lage dieses Personenkreises, das Schicksal, das die Betreffenden hinter sich haben, die Drangsalierungen und Leiden, die sie durchgemacht haben, noch einmal näher einzugehen. Ich brauche auch nichts über die menschliche und politische Verantwortung zu sagen, die wir alle dafür haben, daß die Hoffnungen, die dieser Personenkreis beim Übergang in die Bundesrepublik gehabt hat, erfüllt werden.
Der Bundestag hat, als er am 28. Juni dieses Jahres den Kreis der Bezugsberechtigten einer Begrüßungsgabe erweiterte und die Notwendigkeit zusätzlicher Wohnungsbaumaßnahmen anerkannte, bereits bewiesen, daß er in dieser Frage eines Sinnes und eines Willens ist. Mit diesen Beschlüssen wurden zwei materiell sehr wichtige Teile des Gesamtproblems der Versorgung der Aussiedler vorangebracht. Denn außer Zweifel ist neben der ersten finanziellen Hilfe beim Übergang in die Bundesrepublik die schnellstmögliche Beschaffung angemessenen Wohnraums das Wichtigste.
Wegen des Zusammenhangs mit dem Gesamtproblem möchte ich die Gelegenheit benutzen, hierzu einige kritische Bemerkungen zu machen. Wenn zutrifft, was mir berichtet wurde, können wir mit dem Fortgang der wichtigen Maßnahme für die Umsiedler, nämlich mit der Entwicklung des Wohnungsbaus, nicht zufrieden sein. Wir werden den Beschluß vom 28. Juni, der laufende Berichte darüber anforderte, wahrmachen und die Bundesregierung darum bitten müssen, uns einen Zwischenbericht über den Gang dieser Dinge vorzulegen. Nach meiner Kenntnis der Verhältnisse in den Ländern hält der Bau von Wohnungen für die Aussiedler mit der Zahl der Umsiedler auch nicht annähernd Schritt. Das liegt allerdings weniger an den Ländern als an dem Prinzip der nachträglichen Mittelzuteilung durch den Bund, also daran, daß der Herr Bundesfinanzminister genau wie beim Bau von Wohnungen für die Sowjetzonenflüchtlinge die Mittel immer erst nachträglich, also für das Jahr 1955 erst im Jahre 1956 usw., zur Verfügung stellt.
Bekanntlich vergehen von der Projektierung bis zur Fertigstellung und zum Bezug neuer Wohnungen ohnehin 18 Monate bis zwei Jahre. Hinzu kommen die Schwierigkeiten bei der Beschaffung erststelliger Hypotheken und der Umstand, daß die bisherigen Förderungsmittel von 1500 DM je Zuwanderer nicht mehr ausreichen. Wenn dann noch die Zahl der Umsiedler zunimmt und das Prinzip der nachträglichen Mittelbereitstellung durch den Bund beibehalten wird, muß zwangsläufig ein Wohnungsrückstand eintreten, der zu einer erneuten hoffnungslosen Überfüllung der Lager führt und der von uns nicht verantwortet werden kann.
Ich bitte das Hohe Haus daher schon jetzt bei dieser Gelegenheit um die Unterstützung unserer Bitte, das Bundesfinanzministerium möge das Prinzip der nachträglichen Mittelbereitstellung in diesem Fall und für diesen Zweck ändern und den Ländern alle Hilfe zuteil werden lassen, die sie brauchen, um unseren gemeinsamen Willen, den Wohnungsbau für diesen Personenkreis in jeder nur denkbaren Weise zu beschleunigen, verwirklichen zu können.
Meine Damen und Herren! Was das Anliegen des Antrages im einzelnen anlangt, so werden wir in den Ausschußberatungen eingehend prüfen müssen, ob die materiellen Tatbestände, deren Regelung mit dem vorliegenden Antrag erstrebt wird, ein besonderes Gesetz erfordern oder ob eine Korrektur oder Ergänzung der schon bestehenden Gesetze hierfür ausreicht. Ohne Zweifel weisen die gesetzlichen Regelungen der Fürsorge und Betreuung der Aussiedler erhebliche Lücken auf. So erscheint mir — darauf möchte ich ergänzend zu den Ausführungen des Vorredners hinweisen — eine erweiterte Krankenhilfe und Heilfürsorge notwendig. Ein Erholungsaufenthalt muß ähnlich wie bei den Heimkehrern vorgesehen werden können, um die Menschen, die zum Teil jahrelang fast vitaminlos haben leben müssen, physisch und psychisch überhaupt erst zu befähigen, ihre Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen.
Einer besonderen Überprüfung bedarf unseres Erachtens auch der Bereich der beruflichen und schulischen Maßnahmen für die Jugendlichen. Diese Frage ist in dem Antrag bisher allerdings nicht berührt. Wir werden uns trotzdem damit beschäftigen müssen; denn gerade hier wird mehr geleistet werden müssen, als zur Zeit möglich ist. Das, was auf diese jungen Menschenkinder einstürmt, die zum Teil noch nicht einmal deutsch sprechen können und die in ihrer Entwicklung zehn bis zwölf Jahre nachzuholen haben, ist so außerordentlich, daß die Jugendlichen einer besonderen Pflege und Betreuung bedürfen.
Vor allem aber sollten wir — diese Anregung möchte ich an die Ministerien richten — die Frage prüfen, was geschehen kann, um eine zentrale Betreuung der Aussiedler wenigstens in den Städten zu gewährleisten. Gewiß, der Herr Bundesvertriebenenminister hat dankenswerterweise in Gestalt des „Wegweisers für Aussiedler" eine Art Fibel für die ersten Schritte und einen Leitfaden über die verschiedenen gesetzlichen Hilfsmöglichkeiten herausgegeben. Das ist aber — ich will damit den Wert nicht schmälern — mehr ein Wegweiser für die Helfer als für diejenigen, die die Hilfe benötigen. Es ist ja schon für einen ein- und ausgewachsenen Bundesbürger sehr schwer, sich in dem Labyrinth der Bestimmungen und Behörden zurechtzufinden. Für den, der jahrelang in Lagern hinter dem Ural leben mußte, ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist auch der Ariadne-Faden dieses „Wegweisers für Aussiedler" zu dünn. Da sollte wirklich ohne Rücksicht auf die Zuständigkeit geprüft werden, ob eine zentrale Beratung möglich ist, ohne daß deshalb eine neue Institution oder ein neuer Behördenapparat aufgezogen werden muß. Ich denke mir, daß eine Anregung an den Städtetag, in den Sozialämtern eine solche zentrale Stelle zu schaffen, nicht auf unfruchtbaren Boden fallen wird.
Meine Damen und Herren! Nur eine kurze kritische Bemerkung zum Schluß. Daß die Maßnahmen der Betreuung und Fürsorge für die Aussiedler über die seinerzeit vom Bundestag gefaßten Beschlüsse hinaus einer Ergänzung bedürfen, ist, glaube ich, die Meinung aller. Ich sagte: ob dafür ein besonderes Gesetz notwendig ist, werden die Beratungen im Ausschuß ergeben. Aber ich frage: Warum hat die Bundesregierung, die die Verhältnisse doch kennt und übersehen muß, diese Frage nicht längst von sich aus aufgegriffen
und im Hause die Vorstellungen entwickelt, die sie von einer ausreichenden Betreuung dieser Aussiedler hat? Oder hat sie noch keine Vorstellungen in dieser Hinsicht? Warum hinkt die Bundesregierung immer hinter den sozialen Problemen nach?
Wenn sie der Meinung ist, daß es zur Versorgung eines besonderen Gesetzes nicht bedarf, warum hat sie dann die notwendigen materiellen Maßnahmen nicht schon von sich aus getroffen?
Muß sie dazu erst immer wieder durch die Initiative dieses Hauses und die Initiative der Opposition angehalten werden?
Meine Fraktion jedenfalls wird bei den Beratungen im Ausschuß alles tun, um für diesen Personenkreis eine menschlich und sozial wirklich befriedigende Regelung herbeizuführen, und stimmt der Überweisung an den Ausschuß zu.
Meine Damen und Herren, es muß unbedingt ruhiger werden! Ich verstehe hier ausgezeichnet die Unterhaltungen, die unten geführt werden, aber ich fürchte, daß
Sie nicht alles verstehen, was der Redner hier sagt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie aus der Begründung gehört haben, soll nach diesem Initiativgesetzentwurf eine neue Gruppe im Rahmen der verschiedenen Gruppen von Entschädigungsberechtigten geschaffen werden. Darüber hinaus soll diese neu zu schaffende Gruppe teilweise Sonderrechte erhalten gegenüber anderen, schon bestehenden und durch bereits geltende Gesetze mit Leistungen bedachten Geschädigtengruppen.
Die Leistungen sollen gegeben werden an den Personenkreis der Aussiedler. Das sind jene deutsche Staats- oder Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Vertreibungsgebiete verlassen haben und im Bundesgebiet oder West-Berlin ihren Wohnsitz genommen haben. Weiter sollen sie gegeben werden an deren Angehörige, deren Familienernährer sich aber noch im Vertreibungsgebiet befinden. Drittens sollen die Leistungen gegeben werden an Hinterbliebene von Personen, die im Vertreibungsgebiet geblieben und dort verstorben sind.
Alle Aussiedler sollen in den Genuß der Leistungen nach den Gesetzen über die Kriegsopferversorgung gelangen. Die Versorgung soll also nicht nach individueller Prüfung des Aussiedlers erfolgen, sondern generell-kollektiv an die Angehörigen dieser Personengruppe gegeben werden.
Die ab 1. September 1955 eingetroffenen Aussiedler und die noch eintreffenden Aussiedler sollen in den Genuß der Vergünstigungen gelangen, die für Heimkehrer vorgesehen sind; ich will diese Vergünstigungen nicht alle aufzählen. Zweitens sollen diese Vergünstigungen erhalten die Angehörigen, also Ehefrauen und Kinder, deren Ernährer noch in den Vertreibungsgebieten sind; sie sollen den Angehörigen jener Personen gleichgestellt werden, die sich noch in Kriegsgefangenschaft befinden. Ferner: sofern der sich in den Vertreibungsgebieten noch Aufhaltende einen Rechtsanspruch aus der Invalidenversicherung, der Angestellten- oder der Knappschaftsversicherung hätte, sollen die Angehörigen, die Witwen und Waisen, diese Vergünstigungen und Renten so erhalten, wie wenn der Ernährer bereits verstorben wäre.
Die Hinterbliebenen, Ehefrauen und Kinder von Personen, die in den Vertreibungsgebieten geblieben und dort verstorben sind, sollen Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz bzw. aus der Sozialversicherung erhalten.
— Meine Herren, ich weiß, Sie werden nervös, aber ich will Ihnen jetzt noch einen Grund geben dafür, daß Sie nervös werden!
Herr Kollege Kather hat in seiner Begründung gesagt: Es wird soviel über diesen Personenkreis gesprochen, aber es geschieht wenig. Ich bedaure, daß Herr Dr. Kather diese Formulierung wählt,
ich bedaure dies um so mehr, als gerade Herr Dr. Kather wissen müßte, daß dieser Personenkreis auf weiten Gebieten bereits in die Versorgung einbezogen ist.
Ich verweise hier vor allem auf den vom Bundesvertriebenenministerium herausgegebenen „Wegweiser für Aussiedler", in dem die Fundstellen sehr gut zusammengetragen sind und in dem nachgewiesen ist, daß für die Aussiedler alle Vertriebenen- und Entschädigungsgesetze, auch das Bundesversorgungsgesetz, allerdings individuell abgestellt, in Geltung sind.
Wir müssen uns doch einmal über die Rechtsstellung des hier genannten Personenkreises klar sein. Die Aussiedler gelten nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes als Vertriebene, wenn sie binnen sechs Monaten nach der Wohnsitznahme in der Bundesrepublik oder Berlin-West ihre Anträge stellen. Sie können alle Rechte und alle Begünstigungen, die im Bundesvertriebenengesetz verankert sind, für sich in Anspruch nehmen. Sie haben ferner alle Ansprüche aus dem Lastenausgleichsgesetz sowie aus dem Gesetz zu Art. 131, und wenn in der Person des einzelnen Aussiedlers die Bedingungen und Voraussetzungen zutreffen, die das Bundesversorgungsgesetz verlangt, hat auch der einzelne Aussiedler das Recht auf alle Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz, aus dem Heimkehrergesetz, aus dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und dem Häftlingshilfegesetz.
Probleme, die auf das Gebiet der Sozialversicherung hinüberspielen, sind gleichfalls durch das Fremdrentengesetz geregelt. Allerdings muß die Voraussetzung vorhanden sein, daß der Betreffende sozialversichert, also Arbeitnehmer, gewesen ist.
Wo hier noch eine Lücke besteht, die bisher schmerzlich empfunden worden ist, nämlich daß die Wartezeit für die Gewährung von Leistungen aus der Rentenversicherung unter Umständen nicht erreicht war, ist, wie ich weiß, im Sozialpolitischen Ausschuß jetzt bei der Beratung der Rentenreform auch diese Frage bereits in der ersten Lesung befriedigend gelöst, und die Lücke wird geschlossen werden,
so daß die Wartezeit, soweit sie nicht auf Grund von Beitragsleistungen erreicht ist, durch Nacherwerb von Beitragszeiten aus Bundesmitteln erreicht werden soll.
Diese kritischen Bemerkungen mußte ich machen. Ich habe nun noch hinzuzufügen, daß der § 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs praktisch nichts anderes bedeutet, als daß der ganze Personenkreis der Aussiedler die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz erhalten soll ohne Rücksicht darauf, ob im Zusammenhang mit direkten oder indirekten Kriegsfolgen gesundheitliche oder körperliche Schäden entstanden sind. Jeder, der gesundheitliche oder körperliche Schäden im direkten oder indirekten Zusammenhang mit Kriegseinwirkungen erlitten hat, hatte das Recht, fristgerecht einen Antrag zu stellen, um individuell Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz zu erhalten. Hier sollen aber einer ganzen Personengruppe ohne Prüfung des Tatbestandes bei dem einzelnen dieses Recht und die Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz eingeräumt werden. Sagen Sie: Wäre das nicht eine wesentliche Besserstellung gegenüber jener Personengruppe, die wir immer in Entschädigungen bevorzugt behandeln wollten, nämlich unseren Kriegsversehrten, wenn wir hier kollektiv, also generell, nicht nach Prüfung des einzelnen Tatbestandes, diese Leistung für eine ganze Personengruppe gesetzlich festlegten?
Dasselbe gilt bei dem Verlangen, daß die Aussiedler generell sämtliche Leistungen nach dem Heimkehrergesetz erhalten sollen.
Und wenn ich dann noch auf eines hinweisen darf: da ist der § 24 des Heimkehrergesetzes, der bestimmt, daß die Ersatzzeiten der Kriegsgefangenschaft und Internierung Anrechnung finden. Diese Ersatzzeiten werden, wie ich schon vorher sagte, bereits durch das Fremdrentengesetz für die Aussiedler und andererseits durch die zu erwartende neue Fassung bei der Rentenreform gewährleistet. Sehr bedenklich scheint mir aber, daß die sechsmonatige Karenzfrist nach der Einwanderung in die Bundesrepublik und der Wohnsitznahme in der Bundesrepublik nach dem Gesetzentwurf für die Aussiedler wegfallen soll.
Hier glaube ich: was für den einen Pflicht ist, müßte auch für den anderen eine Verpflichtung bleiben,
denn hier wiederum zwei Gruppen zu schaffen, würde schließlich dazu führen, daß diejenigen Personengruppen, für die das Bundesversorgungsgesetz und das Heimkehrergesetz mit den Folgegesetzen geschaffen sind, mit Recht einwenden würden, daß hier eine neue Personengruppe ihnen gegenüber bevorzugt behandelt werde. Sie würden dann mit Recht auf Novellierungen, auf Besserstellungen drängen.
Ein Wort noch zu den in diesem Gesetzentwurf geforderten Leistungen an die Angehörigen. Alle Entschädigungsgesetze gehen bei der Zuerkennung von Renten aus der Sozialversicherung von der Fiktion aus, daß der Versicherte verstorben ist. In diesem Falle, nach diesem Gesetzentwurf sollen aber Renten an Angehörige gezahlt werden, von denen feststeht, daß sie noch leben, von denen weiter feststeht, daß sie nicht nur noch leben, sondern auch in Arbeit stehen oder Rente beziehen.
Ich weiß, Sie werden sagen — und der Zwischenruf ist gekommen —: wo leben sie? Sie leben noch im Vertreibungsgebiet, das gebe ich zu; aber Sie verlangen in diesem Entwurf nicht einmal eine Prüfung, ob der noch im Vertreibungsgebiet lebende Ernährer überhaupt den Willen hat, zu seiner Familie zurückzukehren.
Diesen anderen wollen wir helfen und haben wir geholfen. Und wir wollen die bisherige Hilfe noch
verbessern. Uns geht es um etwas ganz anderes. Uns geht es darum, daß wir Mißbräuche verhindern wollen.
Uns geht es darum, daß hier nicht generell und kollektiv einer ganzen Gruppe etwas gewährt wird, was zu großen Weiterungen führt und gegenüber anderen ein Unrecht bedeutet.
Die Frage, ob die Lagerinsassen, die auf ihrer Flucht aus dem Osten in Dänemark gelandet sind — ich kenne die Situation genau, ich habe in diesen kritischen Monaten in diesem Gebiet gelebt —, als Internierte behandelt werden sollen, war schon oft Gegenstand von Beratungen in den Ausschüssen. Wir haben erst vor wenigen Tagen, und zwar am 28. September 1956 mit der Verabschiedung des Zweiten Ergänzungsgesetzes zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz in den Ausschüssen, Arbeitskreisen und Fraktionen diese Frage sehr gründlich geprüft, sie aber verneint, und auch das Plenum hat bei der Verabschiedung dieses Zweiten Ergänzungsgesetzes den Willen des Ausschusses einstimmig bestätigt.
Diese kritische Stellungnahme, meine Damen und Herren, war notwendig, um erstens einmal aufzuzeigen, daß Sie mit Ihrem Gesetzentwurf weithin offene Türen eingerannt haben,
weil Sie etwas gesetzlich geregelt haben wollen, was schon lange geregelt war,
bevor — auch das lassen Sie mich sagen — die Antragsteller noch in diesem Hause vertreten waren.
Mit diesen Feststellungen soll aber nicht gesagt sein — ich will nicht mißverstanden werden —, daß wir für die Lage der Aussiedler nicht volles Verständnis hätten.
Das haben wir bereits bewiesen. Auf unseren Antrag hat dieses Hohe Haus die Begrüßungsgabe beschlossen. Wir haben durch unseren Antrag erreicht, daß diesem Personenkreis im laufenden Haushalt 15 Millionen für Zwecke des Wohnungsbaus zur Verfügung gestellt worden sind. Wir haben darüber hinaus erreicht, daß nicht nur diese 15 Millionen zur Verfügung gestellt werden, sondern daß bis zu weiteren 15 Millionen über die Globalsumme unter Kapitel A 25 03 Titel 532 des Haushalts für das Wohnungsbauministerium hinaus in Anspruch genommen werden können, wenn die bewilligten 15 Millionen nicht ausreichen.
— Sie irren, Herr Kollege, sie sind vorhanden und warten auf Abruf.
Ich möchte ferner aber noch einiges dazu sagen, was für diesen Personenkreis als vordringlich getan werden muß. Es muß geprüft werden, ob die Maßnahmen, die heute zur Wiederherstellung der Gesundheit dieser Personen getroffen werden, nicht ausgedehnt werden müssen, damit diese Menschen so bald wie möglich ihre volle Gesundheit und damit ihre Arbeitseinsatzfähigkeit wiedergewinnen. Es soll geprüft werden, ob neben der Begrüßungsgabe und dem Überbrückungsgeld der Länder nicht ein Weiteres getan werden muß, nämlich dahingehend, daß eine Übergangshilfe, deren Betrag den der Begrüßungsgabe übersteigen muß, diesen Menschen den Anschluß an unsere Verhältnisse erleichtern und beschleunigen wird.
Wir haben volles Verständnis dafür und werden
dieses Verständnis nicht nur mit Worten, sondern
auch mit Taten bekunden, daß besonders zur Dekkung des schulischen und berufsmäßigen Nachholbedarfs mehr getan werden muß als bisher. Sie
haben die Drucksache 2752 vielleicht noch nicht in
der Hand; darin kommen wir in einem Antrag gerade auf diese Fragen zu sprechen. Uns allen ist
bekannt, daß die Kinder dieser Aussiedler meist
nicht einmal mehr die deutsche Muttersprache beherrschen; wir wissen auch, daß sie in ihrer Berufsausbildung sehr weit zurückgeblieben sind, und
wir wissen, daß sich diese Jugendlichen unseren
Jugendlichen gegenüber eben nicht vollwertig fühlen. Dies auszugleichen, ist eine wichtige Aufgabe,
die wir im Rahmen des genannten Antrages ansprechen und bei unseren Beschlüssen in den Ausschüssen ernst nehmen müssen und lösen werden.
Ich möchte aber auch noch ein Weiteres sagen: Es ist ernstlich zu prüfen, wie den Angehörigen, den Ehefrauen und den Kindern, deren Männer und Väter noch in den Vertreibungsgebieten sind, verstärkt geholfen werden kann. Es soll ihnen geholfen werden. Aber in der Form, wie Sie es in Ihrem Initiativgesetzentwurf haben möchten, geht es einfach nicht.
Da in diesem Antrag eine ganze Reihe Fragen aneinanderstoßen, genügt es nicht, diesen Entwurf nur dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen. Ich beantrage, ihn auch dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen, weil in diesem Entwurf eine Reihe von Fragen aufscheinen, die diese beiden Spezialausschüsse zu behandeln haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Czermak.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist grundsätzlich zu begrüßen. Er will den Spätaussiedlern und Sowjetzonenflüchtlingen helfen, der Familienzusammenführung dienen, vor allem auch den alleinstehenden Frauen und Kindern helfen, deren Ernährer noch drüben im Vertreibungsgebiet sitzt, den Witwen und Waisen, deren Ernährer drüben gestorben ist. Wir alle haben sicherlich für diese Fragen volles Verständnis, besonders wir Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge, welche diese Probleme aus eigenem Erleben kennen. Ich denke dabei vor allem an die 8 1/2 Millionen Heimatvertriebenen, die nach Kriegsschluß von Haus und Hof verjagt worden sind, ihr ganzes Vermögen und ihre Existenz verloren haben, in Lagern, im Gefängnis und in Zwangsarbeit saßen, all die Schrecken und Leiden der Vertreibung in ihrer alten Heimat und auch die ersten schweren Jahre in ihrer neuen Heimat erlebt haben. Ich denke an all die Blutopfer, meh-
rere Millionen, die in dieser größten unid grausamsten Völkerwanderung aller Zeiten ihr Leben lassen mußten, vor allem aber auch an die Kriegsgefangenen, ,die jahrelang drüben in Rußland saßen, und an alle Inhaftierten und Zwangsarbeiter, die zurückgehalten wurden und nicht zu ihren Familien konnten. Aber auch heute noch, mehr als zehn Jahre nach Kriegsschluß, leben drüben in den Vertreibungsgebieten Menschen, die in die Freiheit und zu ihren Familien wollen, leben auch in der Bundesrepublik noch Frauen und Kinder ohne ihren Ernährer. Ihnen soll und muß der Staat helfen, weil sie sich selbst nicht helfen können.
Es fragt sich hier jedoch nur — und da erheben sich ernsthafte Bedenken —, ob man all diese Fragen ganz allgemein gesetzlich regeln kann oder ob nicht vielfach jeder einzelne Tatbestand subjektiv, individuell, überprüft werden muß. Es fragt sich weiter, ob die in diesen Anträgen vorgesehenen Leistungen gesetzlich nicht schon geregelt sind und ob sich die Regelung jedes einzelnen Falles menschlich, rechtlich und auch politisch verantworten läßt. Eine ganz allgemeine Gleichstellung, in manchen Fällen sogar Besserstellung, läßt sich daher beim allerbesten Willen nicht durchführen ohne eine Überprüfung der einzelnen Tatbestände, besonders in Zweifelsfällen.
Bei Leistungen nach § 2 für gesundheitliche Schädigungen, die Aussiedler in den Vertreibungsgebieten erlitten haben, muß vor allem der Grundsatz des Bundesversorgungsgesetzes gelten, wonach die gesundheitlichen Schädigungen in Zusammenhang mit Kriegsereignissen stehen müssen. Da werden sich bei manchen Aussiedlern, jetzt nach zehn Jahren, allerlei Schwierigkeiten ergeben, Schwierigkeiten auch bei der Feststellung, ob jeder Aussiedler einer Versorgung würdig ist, ob er sich immer als Deutscher bekannt oder ob er nicht dem politischen System seines Vertreibungsgebiets Vorschub geleistet hat. Kein Wort gegen Aussiedler, die erst jetzt oder in Zukunft aus berechtigten Gründen kommen. Problematischen Naturen aber, die erst jetzt herüberkommen, weil hier die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse besser sind als drüben, können die echten Heimatvertriebenen und die wahren Kriegsopfer keinerlei Verständnis entgegenbringen. Das muß klar und offen gesagt werden.
Sicher ist das Schicksal der alleinstehenden Frauen und Kinder, deren Ernährer noch drüben sind, sehr hart. Ihnen soll in begründeten Fällen eine Unterhaltshilfe zuerkannt werden. Nach dem Bundesversorgungsgesetz gilt aber bei Witwen- und Waisenrenten der Grundsatz der erwiesenen Verschollenheit. Hier soll jedoch nach § 3 der Tod des Familienernährers angenommen werden, obwohl er noch lebt. Eine solche Regelung ist rein rechtlich gesehen schwierig und bedarf der Prüfung.
In bezug auf die vorgesehenen Witwen- und Waisenrenten der Hinterbliebenen von Personen, welche drüben gestorben sind, sowie in bezug auf die Sozialversicherung bestehen schon gesetzliche Bestimmungen. Alle diese Witwen und Waisen sollen — das wollen wir wohl alle — ihre Renten erhalten, soweit das noch nicht der Fall ist. Es soll ihnen keinerlei Unrecht geschehen, es soll keine Gesetzeslücke bleiben. Aber auch hier erscheint eine Überprüfung der einzelnen Tatbestände notwendig.
Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß wir für alle berechtigten Forderungen — ich betone: berechtigten Forderungen! — der Spätumsiedler, der Angehörigen und der Hinterbliebenen von Heimatverbliebenen durchaus Verständnis haben. Wir wollen ihnen gern helfen, soweit das möglich ist. Der Deckungsfrage wird dabei allerdings auch eine entscheidende Bedeutung zukommen. Wir müssen aber auch heute schon in der ersten Lesung einige Bedenken anmelden, die in den zuständigen Ausschüssen gründlich geprüft werden müssen.
Ich bitte gleichfalls um Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Heimatvertriebene — federführend — und — mitberatend — an den Kriegsopfer-Ausschuß und nötigenfalls an den Sozialpolitischen Ausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht die Absicht, noch einmal das Wort zu nehmen.
— Wem von Ihnen das nicht gefällt, der soll sich bei seinem Parteifreund Kuntscher dafür bedanken.
Meine Damen und Herren! Ich kann darauf Bezug nehmen, daß ich in meiner sechs Minuten langen Begründung rein sachlich geblieben bin und auch jede Spur einer Polemik vermieden habe. Es bestand also gar kein Anlaß zu den Ausführungen und zu dem Ton, den Herr Kuntscher
— meinetwegen auch Herr Kollege Kuntscher — angeschlagen hat. Wenn wir aus der Tatsache, daß ich nicht jedesmal ausdrücklich „Herr Kollege" sage, irgend etwas entnehmen wollen, dann sage ich Ihnen, daß das in diesem Hause bisher nicht üblich gewesen ist.
Ich muß dem Herrn Kollegen Kuntscher aber sagen, daß er falsch zitiert hat. Ich habe nicht gesagt, daß von Maßnahmen für Aussiedler viel gesprochen, aber nichts getan wird. Ich habe das Wort „nichts" überhaupt nicht in den Mund genommen. Ich habe aber gesagt: Es wird viel davon gesprochen, wenn man aber nachprüft und die Gesetze genauer untersucht, dann sind die Aussiedler von dem meisten ausgeschlossen. Ich habe aber das Lastenausgleichsgesetz sowohl wie das Bundesvertriebenengesetz überhaupt nicht erwähnt.
Und, meine Damen und Herren, wer meine Ausführungen aufmerksam mitangehört hat, der hätte wissen müssen, wie sich aus ihnen immer wieder ergab, daß Hilfe gegeben werden soll und daß dieses Gesetz, das wir vorgelegt haben, den Zweck hat, Lücken auszufüllen und Härten zu beseitigen, die nach den 'bisherigen Gesetzen da sind. Ich habe z. B. gesagt: Spätaussiedler, die in den Vertreibungsgebieten gesundheitliche Schäden davongetragen haben, können einen Ersatz dafür aus den und den Gründen in der Regel nicht bekommen.
Jeder, der die Sprache des Rechts oder auch unsere Sprache hier versteht, weiß also, daß es Fälle gibt, in denen sie ihn bekommen. Ich habe gesagt: Hinsichtlich der Gruppe 2, der Angehörigen von Heimatvertriebenen, ist davon auszugehen, daß nur die Angehörigen solcher Personen, die auf eng begrenztem Raum unter ständiger Bewachung gehalten wurden, Leistungen erhalten. Auch daraus geht hervor, daß der Personenkreis, auf den diese Voraussetzung zutrifft, die Hilfe schon jetzt bekommt. Wir wollen das aber ausdehnen.
Meine Damen und Herren! Ich will Sie aber nicht mit weiteren Beispielen ermüden. Wen das besonders interessiert, der kann das in dem Protokoll nachlesen. Es war unsere Absicht, Fälle, die sich in der Praxis als unzulänglich geregelt ergeben haben, hier miteinzufügen. Wenn das eine oder das andere dem einen oder dem anderen nicht gefällt, — nun, wir sind in der ersten Lesung, wir stehen vor der Ausschußberatung, und alles, was Herr Kuntscher — Verzeihung: Herr Kollege Kuntscher — hier gesagt hat, hätte meiner Ansicht nach in die Ausschußberatung gehört.
Meine Damen und Herren! Ich muß aber einen gewissen Widerspruch in den Ausführungen des Herrn Kollegen Kuntscher feststellen. Wenn wir offene Türen einrennen, weshalb dann die ganze Aufregung? Wenn alles schon da wäre, was wir gefordert haben, dann wäre die ganze Aufregung nicht nötig, dann ist sie unverständlich.
Andererseits hat auch der Herr Kollege Kuntscher gesagt: Wir müssen in den und den Fällen nachprüfen, ob wir nicht helfen können. Nun, genau das ist es, was wir verlangen und was wir verlangt haben, ohne Ihnen oder der Regierung oder sonst jemandem einen Vorwurf zu machen.
Meine Damen und Herren, es ist hier immer wieder das Wort „kollektiv" verwandt worden, offenbar in einer bestimmten Absicht. Nun, wenn ich Gruppen helfen will, dann muß ich eben Gruppen helfen. Es trifft nicht zu, daß wir keinerlei Nachprüfung vornehmen wollen. Es ist offenbar der Aufmerksamkeit sowohl des Herrn Kollegen Kuntscher wie des Herrn Kollegen Dr. Czermak entgangen, daß am Schluß des § 1 zum Beispiel gesagt ist:
Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt an Personen, die nach der Besetzung des Heimatgebietes nachweislich in verwerflicher Weise ihr Deutschtum verleugnet oder dem dort herrschenden politischen System Vorschub geleistet haben.
— Herr Czermak hat gesagt — und Sie haben es auch gesagt —, daß wir gar keine Prüfungen vornehmen wollen. Ich kann auf meine Ausführungen verweisen, in denen ich die Unterhaltsbeihilfen nur dann gefordert habe, wenn auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Man kann sich fast des Eindrucks nicht erwehren, daß alle diese Ausführungen nicht so sehr gemacht worden sind, weil der Gesetzentwurf nicht gefällt, als deshalb, weil man die Antragsteller nicht gerne hat.
Herr Kuntscher, Sie haben darauf hingewiesen, daß wir doch gar nicht im 1. Bundestag vertreten waren, in dem schon alles geregelt wurde. Nachdem ich den Entwurf hier begründet hatte, war dieser Hinweis etwas merkwürdig; denn schließlich habe ich die ganze erste Legislaturperiode den Vorsitz im Vertriebenenausschuß gehabt.
Wir stimmen der Erweiterung des Antrages auf Überweisung an die Ausschüsse, wie Herr Kuntscher sie vorgetragen hat, zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung in der ersten Lesung.
Beantragt ist die Überweisung an den Ausschuß für Heimatvertriebene als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und nun durch den Antrag Kuntscher und Dr. Czermak zusätzlich an den Ausschuß für Sozialpolitik. Ich bedauere im Interesse der Geschäftsordnung und der Arbeitslage des Hauses die Überweisung an mehrere Ausschüsse. Ich frage, ob diesen Vorschlägen zur Überweisung zugestimmt wird. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 2 der Tagesordnung ist vereinbarungsgemäß abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Langwellensender in Berlin .
Wir verbinden damit die
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betreffend Langwellensender in Berlin .
Ich schlage dem Hause vor, zunächst die Begründung der Anträge zu hören und dann in die Debatte über beide Anträge einzutreten.
Das Wort zur Begründung des SPD-Antrags hat der Herr Abgeordnete Kühn.
Kühn (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt mit der Drucksache 2627 (neu) der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der den Deutschen Bundestag zum Bundesgenossen für die Errichtung der deutschen Langwelle hier in Berlin gewinnen will, in der Stadt, die nach unserem einmütigen Bekenntnis die Hauptstadt Deutschlands ist und bleibt. Der heutige Tag ist nicht die Stunde zu einer allgemeinen Debatte der rundfunkpolitischen Situation in der Bundesrepublik. Heute geht es allein um das e i n e Problem, über dessen Ausgangspunkt wir uns alle einig sind in der uns gemeinsam verbindenden Erkenntnis von einer gesamtdeutschen Notwendigkeit, nämlich neben den Rundfunkanstalten, die über die Mittel- und Ultrakurzwelle die allgemeine Rundfunkversorgung sicherstellen, und neben der Deutschen Welle, die nach Übersee die deutsche Stimme zur Geltung bringt, einen besonderen Langwellensender zu schaffen, der insbesondere auch in die Zone hinüberwirken soll, dessen Aufgabe es sein soll, die deutschen Menschen unseres gespaltenen Landes wieder stärker zu einer Einheit zusammenzubinden, diese Menschen, von denen wir wissen, daß sie von der inneren Entfremdung bedroht sind, von der Gefahr des Auseinanderwachsens. Alle Fraktionen dieses Hauses sind sich darin einig, daß
diese Notwendigkeit besteht. Wir sollten uns aber auch darin einig sein, wie dieser Notwendigkeit entsprochen werden soll, wie ein solcher Langwellensender beschaffen sein muß, wenn er seine Aufgaben erfüllen soll.
Die Geschichte der Bemühungen um den deutschen Langwellensender in Ihr Bewußtsein zurückzurufen, dazu reicht die Zeit nicht aus, die der Ältestenrat bei seiner Zeitplanung diesem Tagesordnungspunkt zugemessen hat. Es soll deshalb nur im Telegrammstil, soweit es sich um die Initiative des Deutschen Bundestages handelt, ins Bewußtsein zurückgerufen werden, was unserer Debatte zugrunde liegt.
Es war im Februar 1952, im 1. Deutschen Bundestag, daß die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag einbrachte, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Bemühungen um die Förderung eines solchen Langwellensenders zu unterstützen. Die Bearbeitung der Materie wurde dann einem Unterausschuß überwiesen, der zusammengesetzt wurde aus Vertretern dreier Ausschüsse: des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, des Ausschusses für Besatzungsfolgen — weil es um die Frage der Zuweisung einer neuen Langwelle durch die Hohe Kommission ging — und des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen. Dieser Unterausschuß kam zu der einmütigen Empfehlung, der Standort der deutschen Langwelle solle Berlin sein. Am 30. März 1955, d. h. im 2. Deutschen Bundestag, hat dann der Gesamtdeutsche Ausschuß in seiner Berliner Sitzung wiederum einmütig beschlossen, daß der Standort des Senders und der Sitz der geplanten Langwellenorganisation sowie auch der Sitz der politischen und Nachrichtenchefredaktion dieses deutschen Langwellensenders Berlin sein solle. Am 19. Oktober 1955 hat der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films wiederum einmütig, also mit den Stimmen aller Fraktionen dieses Hauses, diese Gesinnung bekräftigt und zum Ausdruck gebracht, daß Berlin der Sitz der deutschen Langwelle sein soll. Und noch zwei Tage, bevor die Bundesregierung mit den Ländervertretungen und den Rundfunkanstalten den Entwurf einer Vereinbarung über eine provisorische Lösung fertigstellte, am 3. Juli 1956, hat der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen noch einmal, also 48 Stunden vor der Formulierung eines, wie uns scheint, schlechten Entwurfs, einmütig erklärt, daß Sitz der Langwelle Berlin sein solle.
Der Bundestag hat also damit nicht nur zu wiederholten Malen sein besonderes Interesse an der Errichtung eines solchen Senders zum Ausdruck gebracht, sondern auch immer wieder seiner einmütigen Auffassung Ausdruck gegeben, daß dieser Sender nach Berlin gehört. Deshalb wäre es nicht unbillig gewesen, zu erwarten, daß der Bundestag durch die Bundesregierung laufend über die Entwicklung der Vorbesprechungen informiert werde, die von der Bundesregierung geführt worden sind. Diese Informationen wurden trotz wiederholter Bemühungen des zuständigen Ausschusses nicht erteilt. Und nun stehen wir vor der Formulierung einer Verwaltungsvereinbarung — d. h. zunächst nur eines Entwurfs, denn er bedarf ja noch der Zustimmung der Partner — zwischen der Bundesregierung, den Ländern und der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten. Wir, der Deutsche Bundestag, haben zu prüfen, ob dieser Entwurf den Auffassungen entspricht, die in diesem Hause immer einmütig geäußert worden sind, oder ob er diesen Auffassungen etwa entgegensteht und ob wir dann nicht revidierende und ergänzende Forderungen an die Bundesregierung zu richten haben, die die Vereinbarung in Übereinstimmung bringen sollen mit unserem gemeinsamen Willen.
Mit der Errichtung eines deutschen Langwellensenders präsentiert sich eine Fülle von Problemen, auf die wir hier im einzelnen nicht eingehen können; es sind Probleme technischer, organisatorischer, politischer und finanzieller Art. Sie verschachteln sich zu einem Hauptproblem, zu dem doch ein Wort gesagt werden muß, zu der Frage nämlich: Wo zu soll diese Langwelle dienen? Die Langwelle muß unserer Auffassung nach — und ich hoffe, daß wir uns auch hier in einem Zustand der völligen Übereinstimmung befinden — ein repräsentativer gesamtdeutscher Sender der Bundesrepublik sein. Sie darf nicht ein gesamtdeutscher Propagandasender der Bundesregierung sein.
Er muß, wenn er seine Aufgabe erfüllen soll, den östlichen Sendern durch die Höhe seiner Qualität überlegen sein, durch die Güte seiner kulturellen, seiner geistigen Leistungen, durch die Objektivität seiner Nachrichtengebung und die Wahrhaftigkeit seiner politischen Berichterstattung. Er darf seine Aufgaben nicht im Jargon der rivalisierenden Propagandasender erfüllen, und er darf auch kein Instrument ministerieller Propaganda werden.
Hier sei mir am Rande eine Bemerkung zu der Frage der personellen Besetzung dieser deutschen Langwelle gestattet. An die Spitze eines solchen Senders gehören Persönlichkeiten, die politisch unumstritten sind, d. h. jedoch nicht, die politisch ungebunden sein sollen. Ich habe nicht etwa Bedenken, weil, wie die Planung es offensichtlich vorsjeht, an die Spitze ein CDU-Publizist gestellt werden soll. Von Bedenken werde ich nur erfüllt, wenn ich sehe, wie in den Couloir- und Vorzimmergesnrächen fast nur CDU-Persönlichkeiten im Gespräch sind.
— Wir wollen, wenn Sie das wünschen, die Frage in aller Offenheit und Ausführlichkeit diskutieren. Die Initiative überlasse ich Ihnen.
Ich habe keine Bedenken dagegen, daß an die Spitze eine profilierte CDU-Persönlichkeit gestellt werden soll. Ich will Ihnen sagen: profilierte Persönlichkeiten sind mir lieber als Menschen eines schwankenden Indifferentismus.
Profilierte Persönlichkeiten können unter Umständen ausgleichsfreudiger und kooperativer sein als
solche, die kein festes Gesinnungsfundament haben.
Ich meine deshalb, daß an die Spitze der deutschen Langwelle eine, sagen wir einmal, gestandene Persönlichkeit gestellt werden sollte, wenn diese bayerische Vokabel in dieser preußischen Stadt gestattet ist. Aber, meine Damen und Herren, es ist ein Unterschied, ob profilierte Persönlichkeiten in den Sender kommen — das bejahen wir — oder ob der
Sender eine einseitige Profiliertheit bekommen soll, was wir ablehnen.
— Wenn Sie mir zurufen „wir auch", dann biete ich Ihnen gleich eine Gelegenheit, dies praktisch zu erweisen.
An diese Stelle gehört ein Wort über die Konstruktion des Beirates, der die Kontrollfunktion über diesen deutschen Langwellensender ausüben soll. Es ist vorgesehen, daß dieser Beirat aus neun Persönlichkeiten besteht, drei, die von der Bundesregierung vorgeschlagen, d. h. ernannt werden, drei von den Ländern und drei von der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten der deutschen Bundesrepublik. Die Befugnisse des Beirates gehen sehr weit. Er wählt den hauptamtlichen Leiter und berät diesen Leiter dann bei der Programmgestaltung. Damit hat der Beirat den bestimmenden Einfluß auf die politische Substanz des Senders. Es heißt zwar in Ziffer 1 des Entwurfs der Vereinbarung, die der allgemeinen Zustimmung der Länder bedarf:
Der Norddeutsche Rundfunk führt im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft die vorläufigen Langwellensendungen durch.
Aber in Ziffer 5 heißt es, daß nur die Überwachung der geschäftlichen und technischen Durchführung in den Händen der Arbeitsgemeinschaft liegt, also lediglich Technik und Geschäftsführung. Diepolitische Gestaltung liegt allein beim Leiter und beim Beirat, der an die Vorschriften der Ziffer 4 gebunden ist, daß die Sendungen die demokratische Grundordnung zu sichern haben, daß eine unabhängige Meinungsbildung gesichert werden soll und daß dieser Sender nicht einseitig eine Partei oder eine Gruppe begünstigen darf. Das ist im Wortlaut gut und findet gewiß die Zustimmung des ganzen Hauses. Aber uns scheint es notwendig, über das Deklaratorische hinaus diese Forderung auch im Institutionellen zu sichern und zu untermauern.
Nach Ziffer 2 der Vereinbarung nehmen auch die Stellvertreter mit beratender Stimme an den Sitzungen des Beirates teil. Damit würde die Bundesregierung in den Beratungen des Beirates mit sechs Männern vertreten sein. Neben dem Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, dem Staatssekretär des Gesamtdeutschen Ministeriums und dem Chef des Bundespresse- und Informationsamtes würde die Regierung noch drei beratende Vertreter haben.
— Drei entscheidende und drei beratende Vertreter! Wir wollen hier in Berlin, wo wir uns des Gemeinsamen immer besonders bewußt sein wollen, nicht die Besorgnis vertiefen, d3 hier ein Regierungspropagandasender geschaffen werden könnte, der seine Bedeutung nicht nur in die Zone. sondern auch ins Innere der Bundesrepublik hinein haben würde, während es uns doch allen darauf ankommen sollte, hier, sagen wir einmal, einen Sender der Nation zu schaffen.
Aber wenn diese Besorgnis nicht aufkommen soll, dann, glaube ich, haben die Mehrheit des Hauses und die Bundesregierung alle Veranlassung, unserem Ersuchen zuzustimmen, daß von den drei Persönlichkeiten, die den Bund vertreten sollen, die Bundesregierung eine ernennt, während die beiden anderen vom Bundestag nach dem Grundsatz des Verhältniswahlsystems gewählt werden, so daß Regierung und Parlament — und das Parlament durch Koalition und Opposition — in dem Beirat vertreten sind. Nur so scheint uns die Möglichkeit zu bestehen — wenn ich dieses anspruchsvolle Wort wiederholen darf —, wirklich einen Sender der Nation zu schaffen, hinter dem die Gesamtheit des Volkes und seiner politischen Repräsentanz steht.
Die Bundesregierung wird vielleicht aus formalen Gründen sagen, das sei eine Stilwidrigkeit oder ein Schönheitsfehler und verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Ich bin der Meinung, daß das mit dieser Frage nichts zu tun hat. Unserem Vorschlag zu folgen, würde bedeuten, daß wir nicht durch Beschluß des Parlaments die Bundesregierung zwingen wollen, so zu verfahren, sondern unsere Formulierung enthält ein Ersuchen an die Regierung, von sich aus den Bundestag zu beteiligen, und ich glaube, er hat als die politische Vertretung des ganzen Volkes ein Recht, dies zu fordern.
Die Engländer haben eine Umschreibung dessen, was sie einen Gentleman nennen. Sie sagen, ein Gentleman — so lautet die schöne Definition — ist ein Mann, der von seinem Recht nie hundertprozentig Gebrauch macht. Vielleicht versucht die Regierung an diesem Exempel den Beweis zu führen, daß sie eine Institution demokratischer Gentlemen ist.
Diese Forderung zu erfüllen, sollte ihr um so leichter fallen, als auch ein diesbezüglicher einstimmiger Beschluß des Unterausschusses aus dem Jahre 1952 vorliegt, der wünschte, daß, wenn es zu einem solchen Beirat des Langwellensenders komme, der Deutsche Bundestag bei seiner Konstituierung beteiligt wird, also Mitglieder in diesen Beirat entsendet. Wir erwarten, daß sich der 2. Bundestag in dieser Sitzung zu dem Willen des 1. Bundestages bekennt und daß die Bundesregierung dieses Ersuchen respektiert.
Ich komme damit zu einem zweiten Problem, das in der Ziffer 2 unseres Antrags enthalten ist. Es geht dabei um den Sitz des deutschen Langwellensenders. Lassen Sie mich, wohlgemut der Argumente harrend, die die zum Widerspruch verpflichtete Bundesregierung gewiß hier gleich vortragen wird, offen sagen: Ich bin davon überzeugt, daß der Kampf um den Sitz der deutschen Langwelle seine lange Dauer — ,denn seit 1950 diskutiert man ja bereits das Problem — der Absicht des Herrn Bundeskanzlers zu verdanken hat, den Sitz der deutschen Langwelle nach Bonn zu legen. Es ist dann zu einem Kompromiß gekommen, mit dem nicht alle einverstanden sein können. Er ist unzulänglich für die, die Bonn gewünscht haben, und er ist unzulänglich, mehr noch, ja inakzeptabel für diejenigen, die von vornherein der Auffassung waren, daß dieser Sender hier in Berlin errichtet werden muß.
Der Bundesminister des Innern wird mir wahrscheinlich entgegenhalten wollen, daß die Intendanten der deutschen Rundfunkanstalten selbst Hamburg in Vorschlag gebracht haben. Lassen Sie mich dabei ein Plädoyer für die Intendanten der deutschen Rundfunkanstalten halten. Wir wissen — und ich glaube, niemand ist es verborgen geblieben —, wie zäh hinter den Kulissen um das wirkungsmächtigste Instrument der Meinungsbildung in Deutschland gerungen wird, um den Rundfunk, und wie sehr, selbst wenn Sie von der Mehrheit der
Koalition mir dabei widersprechen, immer wieder der Versuch angestellt wird — das gehört ja in die an einem anderen Ort zu diskutierende Frage der Staatsverträge —, hier auch von der Regierung, soweit wie möglich die Hand auf diesen Rundfunk zu legen, um sich seiner als Instrument der Meinungsbildung zu bedienen.
In letzter Zeit ist dieser Eifer etwas erlahmt, was ich allerdings weniger auf die wachsende Liberalität der Bundesregierung zurückführe als auf die schwindende Zuversicht in bezug auf die Zukunft.
— Nehmen Sie die Ergebnisse der Meinungsbefragung! Da haben Sie einiges an sachlicher Substanz für das, was Sie als „Einbildung" ansehen. — Nun, die Intendanten, denen wie anderen Leuten auch das Hemd näher sitzt als der Rock, wissen um den Versuch der Einflußnahme auf die Rundfunkanstalten. Ihr Bestreben ist es immer gewesen, dann eher die Einflußnahme sich konzentrieren zu lassen auf die Deutsche Welle nach Übersee, da, wo übrigens auch ein von uns als legitim anerkannter Anspruch auf Einwirkung vorhanden ist, und auch jetzt abzulenken auf die Deutsche Langwelle, um selbst ungeschoren zu bleiben auf ihrem eigentlichen Gebiet, auf dem Gebiet der Mittelwelle und der Ultrakurzwelle.
Ich bin persönlich skeptisch in bezug auf eine solche Fütterungsphilosophie. Die Franzosen haben das Sprichwort, daß der Appetit beim Essen kommt. Ich fürchte, daß sich also der Wunsch, Einfluß zu nehmen, nicht auf die Langwelle und die deutsche Welle beschränken, sondern auch auf die Mittel- und die Ultrakurzwelle auswirken wird.
Nun, es ist nicht gelungen, bis zu diesem Augenblick die technischen Voraussetzungen zu schaffen, um den Wunsch zu erfüllen, den die sozialdemokratische Fraktion schon einmal in einem Antrag des Jahres 1952 vorgetragen hat, nämlich unmittelbar von Berlin zu senden. Dazu wäre es notwendig gewesen, daß die Bundesregierung über die Hohe Kommission eine entsprechend gute Langwelle hätte erwerben können. Dies war nicht möglich, und ich sage hier, daß das nicht auf ein Verschulden der Bundesregierung zurückzuführen ist. Es ist einfach bisher nicht erreichbar gewesen, daß die Bundesregierung bei der internationalen Wellenverteilung eine ausreichend gute Welle bekam. Dies bleibt eine Aufgabe der Zukunft. Was uns im Augenblick zur Verfügung steht, ist, ich möchte einmal sagen, ein Wellenkrüppel, den wir mit anderen teilen müssen, der in seiner Strahlkraft sehr unzureichend ist, eine Welle, von der der Herr Bundespostminister im ersten Bundestag einmal gesagt hat, daß man bemüht sein müßte, sie mit technischen Mitteln nutzbar zu machen. Diese Frage der geeigneten Langwelle ist also eine Frage der gemeinsamen Bemühungen um die Zuteilung einer tauglichen Welle auf der nächsten internationalen Wellenkonferenz.
Wir haben in Hamburg diese unzulängliche Welle. Die Intendanten haben daraus geschlossen, daß es doch nahe liegt, dann auch den Sitz der Anstalt und den Sitz der Chefredaktion nach Hamburg zu legen.
Aber auch die Bundesregierung ist, und das scheint mir — so verständlich die Argumente der Intendanten sind — politisch unvertretbar zu sein, der Auffassung gewesen, daß man doch bei der Bestimmung des Sitzes dem Wunsche der Rundfunkanstalten weitestgehend nachkommen solle, weil diese ja auch nach der zu treffenden Vereinbarung die vorläufige finanzielle Last eines solchen Langwellensenders tragen sollten. Der Herr Bundesinnenminister hat in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 27. Juni erklärt:
Bei der Vereinbarung wird man darauf Rücksicht nehmen müssen, daß die Kosten des vorläufigen Langwellenbetriebes zunächst von der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten getragen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die von Ihnen gewünschte Zusicherung kann von der Bundesregierung auch deshalb nicht gegeben werden, weil die Kosten des Sendebetriebes von den Rundfunkanstalten getragen werden sollen und es deshalb ganz wesentlich auf deren Stellungnahme ankommen wird.
Nun, die Mehrkosten für den Sitz der Chefredaktion in Berlin würden im Gegensatz zu denen bei einem Sitz in Hamburg lediglich in etwas höheren Telefonrechnungen in Erscheinung treten. Dies ist kein Argument, das die Schlagkraft des Arguments von der politischen Notwendigkeit, einen solchen Sender in Berlin zu errichten, außer Gefecht setzen könnte.
Soll das etwa heißen — wenn ich die Stimmung des Herrn Bundesinnenministers und des Herrn Bundeskanzlers hier analysiere —, daß die Bundesregierung in der Frage des Sitzes der Langwelle gegenüber denjenigen hat kapitulieren müssen, die zunächst einmal die Kosten tragen? Wer dem Herrn Bundesinnenminister die Antwort auf diese Frage in der Fragestunde als Sachbearbeiter formuliert hat, der wollte, glaube ich, nicht aufklären, sondern von dem entscheidenden politischen Streit-f all ablenken.
Für die Rundfunkanstalten mag es ein organisationspolitischer Kompromiß gewesen sein, Hamburg zu wählen. Für uns und für die Bundesregierung hätte es nur eine politische Lösung geben dürfen. Die politischen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die politischen Notwendigkeiten gebührend ins Auge zu fassen, das ist nicht Sache der Intendanten, das ist in jener Verhandlung allein Sache des einen Verhandlungspartners, eben der Bundesregierung gewesen. Dabei hätte sie eingedenk sein sollen der wiederholt gegebenen, einmütigen Willensäußerung dieses Hauses. Wenn die Bundesregierung Berlin als Sitz des Langwellenverbandes und als Sitz der Chefredaktion gewollt hätte, hätte sie dies bereits in dem von ihr mit den Partnern vereinbarten Provisorium verankern können.
Ich habe bereits gesagt, daß wir die Notwendigkeit der technischen Betreibung eines Provisoriums von Hamburg aus nicht bestreiten. Aber eben darauf muß sich das Provisorische beschränken. Es ist eine Legende, daß die Chefredaktion da installiert werden muß, wo der technische Betrieb ist. Es ist ebenso unrichtig, daß der Sitz der Verwaltung einer Rundfunkanstalt da sein muß, wo die technische Installation ist. Man hat das in den Beratungen gelegentlich damit begründet, daß die Vertraulichkeit der Nachrichtengestaltung und Nachrichtenübermittlung gesichert werden müsse. Der Herr Senator Dr. Tiburtius von Berlin hat vor dem Gesamtdeutschen Ausschuß des Bundestages in dessen Berliner Sitzung einmal angekündigt, daß Berlin bereit ist, ein Gutachten zu präsentieren, das zwei Faktoren eindeutig zugunsten Berlins kläre, einmal die Notwendigkeit, hier einen Strahler zu errichten, weil er von hier aus die Gebiete, die rundfunkpolitisch von diesem Sender am meisten versorgt werden müssen, auch am besten versorgen kann, nämlich die Zone, und dann, und das ist das Wichtige, daß dieses Gutachten auch deutlich mache, daß die Geheimhaltung — ich zitiere wörtlich — „auf dem Wege vom Entstehen und dem Anfall einer Nachricht bis zu ihrer Verarbeitung" heute gesichert werden könne, auch wenn die Chefredaktion hier in Berlin sitzt, während die Technik noch in Hamburg sein muß. Der Sitz der Chefredaktion in Berlin wäre also möglich, und der Herr Bundeskanzler hat auf einer Berliner Pressekonferenz auch einmal gesagt, daß der Sitz der Chefredaktion Berlin sein soll. Das war eine Erklärung vor den Kulissen. während dahinter, bei den Beratungen, seine Vertreter nichts dafür getan haben, um es einmal milde zu formulieren, daß der Sitz der Chefredaktion und auch der Anstalt nach Berlin kommt.
Am 30. Mai 1956, kurz vor der Vereinbarung des sogenannten Provisoriums, hat der Herr Bundeskanzler dem Herrn Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin in einem Brief das von seinem Standpunkt aus weitestgehende Angebot gemacht. Da schreibt er:
Die Bundesregierung wird sich im Beirat dafür einsetzen, daß eine Chefredaktion gebildet wird, die ihren Sitz sowohl in Bonn als in Berlin hat.
Diese Entscheidung — so hieß es weiter — könne allerdings nicht von der Bundesregierung einfach dekretiert werden, sondern sie sei Sache des Beirats. Was aber — so frage ich — hat die Bundesregierung getan, um in den Verhandlungen diese Zusicherung auch in dem Wortlaut der Vereinbarung zu verwirklichen?
Man hat Berlin mit einigen billigen Trostbrocken abzuspeisen versucht. Da ist zunächst ein Brief des damaligen Bundesvizekanzlers Dr. Blücher an Herrn Dr. Suhr, auf den ich noch eingehen werde. Der Intendant der die Aufsicht führenden Anstalt hat erklärt, selbstverständlich werde sich der Chefredakteur nach Maßgabe seiner physischen Kräfte so beweglich wie möglich halten müssen, um sowohl mit Bonn als auch Berlin in ständiger Fühlung zu bleiben. Meine Damen und Herren, wir vermögen nicht einzusehen, warum der Chefredakteur diese notwendige physische Beweglichkeit, mit Bonn und Hamburg in Verbindung zu bleiben, nicht auch von Berlin aus entwickeln kann.
Ich verstehe den Intendanten, der die — wenn auch nur formale — Verantwortung für einen Sender zu tragen hat, wenn er von dem Bestreben erfüllt ist, die leitenden Persönlichkeiten in seinem eigenen Hause unterzubringen. Aber das darf uns, die wir aus übergeordneten politischen Gesichtspunkten zu entscheiden haben, nicht beeinflussen.
Praktisch ist bei all diesen Besprechungen nichts, nicht einmal das Angebot einer gespaltenen Chefredaktion erfüllt worden. Im Aktenvermerk der Vereinbarungs-Sitzung heißt es:
Es wird darauf hingewiesen, daß neben der Chefredaktion in Hamburg politische Redaktionen in Bonn und Berlin errichtet werden sollen.
Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, das, was Sie heute als Antrag auf den Tisch dieses Hauses gelegt haben, bedeutet überhaupt nichts mehr; denn das ist bereits in der Vereinbarung erfüllt. Wenn Sie fordern, 'daß vorab die Errichtung „einer voll ausgestatteten politischen Redaktion" — das ist ein sehr schimärischer und elastischer Begriff — in Berlin erfolgen soll, so möchte ich demgegenüber nur daran erinnern, daß man das in einer ähnlich elastischen Formulierung auch in dieser Vereinbarung bereits untergebracht hat. Praktisch ist nicht das herausgekommen, was uns politisch notwendig erscheint: Sitz der Chefredaktion von sofort an in Berlin.
Am 27. Juni hat der Herr Bundesinnenminister im Bundestag gesagt, die Chefredaktion solle ihren Sitz nicht nur im Bundesgebiet, sondern auch in Berlin haben. Wenige Tage später wurde diese Vereinbarung formuliert. Alle diese Versprechungen, die in halber Form gemacht worden sind, sind nicht erfüllt worden. Statt dessen, sagte ich, Vertröstungen, die beispielsweise in diesem Text folgendermaßen formuliert sind:
Diese Vereinbarung gilt nur bis zum 30. Juni 1958. Die Beteiligten werden spätestens ein halbes Jahr vorher erneut zusammentreten, um eine weitere Vereinbarung abzuschließen. Sie werden dabei insbesondere prüfen, ob auf Grund der bisherigen Erfahrungen und der technischen Voraussetzungen der Sitz nach Berlin verlegt werden kann.
Der Herr Bundesinnenminister hat später einmal gesagt, nicht nur die technischen, auch die finanziellen Voraussetzungen müßten erst erfüllt sein. Und, meine Damen und Herren, das bedeutet unserem Empfinden nach, daß dieses Provisorium praktisch auf ein Definitivum hinausläuft.
Wenn Sie aber wollen, daß diese Lösung so provisorisch ist, wie ein Provisorium nur sein kann, dann müssen die technischen Voraussetzungen zunächst einmal finanziell erfüllt werden. Es kommt darauf an, daß die finanziellen Aufwendungen sichergestellt werden, um den notwendigen .Strahler in Berlin zu errichten. Das wird mehrere Millionen kosten; die technischen Fachleute schätzen zwischen 3 und 5 Millionen. Berlin hat erklärt, daß es nicht in der Lage ist, die dafür notwendigen Kosten zu tragen. Die Rundfunkanstalten werden sich meiner Überzeugung nach ebenfalls sträuben, diese Millionen zur Verfügung zu stellen. Es kommen neue Gemeinschaftsaufgaben auf sie zu: Radio Saarbrücken; Sie wissen, daß der Sender Freies Berlin einen finanziellen Bedarf hat, den die übrigen Anstalten in der Bundesrepublik nach
Möglichkeit sichern sollen. Und es kommt in einigen Jahren das Farbfernsehen hinzu, das etwa fünfmal so teuer ist wie das bisherige.
Unter all diesen Umständen werden Sie nicht erwarten können, daß die Rundfunkanstalten die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Das mindeste also wäre, daß der Bund die für die Errichtung eines Strahlers in Berlin notwendige Summe aus Haushaltsmitteln bereitstellt. Und das finden Sie in Ziffer 3 unseres Antrags als Forderung formuliert.
Die Aufrichtigkeit der These, daß nur ein Provisorium bis Mitte des Jahres 1958 angestrebt wird, wird sich an der Antwort erweisen, die die Bundesregierung auf diesen Antrag gibt, ob sie nämlich, wenn sich die Rundfunkanstalten nicht bereit erklären, die Summen zu zahlen, ihrerseits bereit ist, die notwendigen Gelder für den Strahler aus Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen.
Am Rande nur ein Hinweis: Es wäre, glaube ich, auch am Platze, daß aus Bundesmitteln eine Hilfe gewährt würde, um das nun aus der russischen Okkupation freigegebene Rundfunkhaus in der Masurenallee wieder in den Zustand zu versetzen, der seiner künftigen Verwendung entspricht. Der Ausschuß für Fragen des Rundfunks, des Films und der Presse wird noch während dieser Sitzungswoche das Haus besichtigen, und ich hoffe, daß wir uns, in einem gemeinsamen Willen in diesem Hause verbunden, in dieser Frage zu einem interfraktionellen Antrag zusammenfinden werden, der dic Bereitstellung dieser Mittel fordert.
Meine Damen und Herren! Um die Zustimmung der Länder und insbesondere auch Berlins zu bekommen, hat Vizekanzler Blücher angesichts der Unzulänglichkeit dieses sogenannten Provisoriums einen Beschwichtigungsbrief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin geschrieben. Darin heißt es:
Bei früheren Verhandlungen hat Herr Staatssekretär Bleek als Verhandlungsführer des Bundes erklärt, daß er sich bei der Bundesregierung für Berlin als Sitz des Langwellenverbandes einsetzen werde.
Und Blücher schrieb dazu:
Ich bestätige diese Erklärung seitens der Bundesregierung.
Es fällt einem schwer, wenn man den Text dieses Briefes liest, höflich zu bleiben. Was soll das heißen? Am 14. August 1956, einen Monat, nachdem die Vertreter der Bundesregierung eine Vereinbarung formuliert haben, in der Berlin nicht zum Sitz gemacht wurde, heißt es: Der Verhandlungsführer der Bundesregierung wird sich bei der Bundesregierung dafür einsetzen, daß Berlin zum Sitz des deutschen Langwellensenders gemacht wird.
Soll es sich aber etwa nicht auf das Jetzt der Aktion der Bundesregierung beziehen, sondern soll die Erklärung von Herrn Blücher ein Wechsel auf die Zukunft sein — und darauf deutet ein anderer Satz, wo es heißt:
Für die Bundesregierung darf ich erklären, daß sie zum gegebenen Zeitpunkt von allen Möglichkeiten im Sinne Berlins Gebrauch machen wird
—, dann kann ich nur sagen, für eine solche Erklärung war der Herr Bundesvizekanzler nicht zuständig. Für das, was einmal im Jahre 1958 der Fall sein wird, hat der gegenwärtige Bundesvizekanzler nichts zu erklären, sondern höchstens etwas zu hoffen, und ich habe den Eindruck, seit einigen Tagen nicht einmal mehr das.
— Sie werden doch nicht die Tatsache leugnen wollen, daß der Herr Bundesvizekanzler Ihnen seine Demission zu Füßen gelegt hat.
Der Bundesinnenminister war auch vorsichtiger in seinen Versprechungen. Er hat am 18. September in seiner Antwort auf die kleine Anfrage der FDP-Fraktion ebenso vorsichtig geantwortet wie der Herr Vizekanzler waghalsig. Er macht dort die Errichtung eines eigenen Strahlers in Berlin nicht nur von den technischen, sondern — ich sagte es eben schon — auch von den finanziellen Voraussetzungen abhängig;
und diese Voraussetzungen — „die Hauptsache", rufen Sie, ja — sollen jetzt nach unserem Antrag erfüllt werden; sonst bleibt alles andere eine theoretische Deklaration.
Meine Damen und Herren! Bevor der Herr Regierende Bürgermeister dieser Stadt von seiner schweren Erkrankung befallen wurde, hat er in einem letzten Appell an den Bundeskanzler den Wunsch geäußert, den Sitz der langen Welle nach Berlin zu legen. Es war dies zwei Tage vor der getroffenen Vereinbarung. Es kam trotzdem zu jenem, wie wir fürchten, definitiven Provisorium, zu jener schlechten Vereinbarung, von der auch der Herr amtierende Bürgermeister dieser Stadt, der Ihrer Fraktion, meine Herren der CDU, angehört, am 10. August im Rundfunk erklärt hat, die gesamte Berliner Öffentlichkeit sei von dem Ergebnis des 5. Juli enttäuscht.
Unser Anliegen ist es, die von Dr. Suhr nach Überzeugung auch seines Kollegen Amrehn mit der gesamten Berliner Öffentlichkeit übereinstimmende Initiative wieder aufzugreifen und den Bundestag dafür zu gewinnen, die Bundesregierung aufzufordern, den Entwurf der Vereinbarung einer Revision zu unterziehen und in diese sogenannte provisorische Lösung so viel wie möglich an definitiven Elementen hineinzubringen. Wir wünschen so wenig wie möglich Provisorium. Das Provisorium darf und es braucht sich nur auf die Technik zu beziehen. Es braucht sich nicht und darf sich nicht auf die politische Struktur eines solchen Senders beziehen.
Die Annahme unseres Antrags würde nicht die Aufnahme der Langwellensendungen hinauszögern, sondern dem Sender eine Konstruktion geben, die von allen getragen würde, und damit würde diese deutsche Langwelle überzeugender und effektiver sein. Die Annahme unseres Antrags würde die Wirkungsmacht dieses Senders als eines Senders für ganz Deutschland auch dadurch steigern, daß wir von vornherein der deutschen Langwelle den politischen Standort geben, den sie aus nationalpolitischen Gründen haben muß: die Hauptstadt Deutschlands.
Deshalb bitten wir Sie alle, meine Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen, damit er im Ausschuß für Fragen der Presse und des Rundfunks und im Gesamtdeutschen Ausschuß behan-
delt wird. Diese Beratung kann sehr schnell erfolgen, und sie wird von uns allen geführt werden unter dem Gesichtspunkt, daß der deutsche Langwellensender seine politische Mission so schnell wie möglich hier von Berlin aus erfüllen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Brookmann .
Brookmann (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte mit wenigen Worten zunächst eine Begründung dafür geben, weshalb meine Fraktion ebenfalls einen Antrag betreffend Langwellensender eingebracht hat, der Ihnen unter der Drucksache 2761 vorliegt. Der eigentliche Grund ist der, daß in dem Antrage der sozialdemokratischen Fraktion ein Unterschied zwischen der vorläufig geplanten Regelung und der endgültigen Lösung nicht gemacht wird.
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Kühn bedürfen unbedingt der Ergänzung. Ich darf auf die Geschichte der Langwelle nur kurz eingehen und auch im Telegrammstil; da aber manches in den Ausführungen von Herrn Kollegen Kühn gefehlt hat, was zur Beurteilung der augenblicklichen Lage wesentlich ist, muß ich das hier nachholen.
Sicher ist es richtig, daß der Langwellensender einen sehr dornenvollen Weg hinter sich hat, der bereits 1950 begann und leider heute noch nicht beendet ist, aber nunmehr so schnell wie möglich beendet werden soll.
Die Initiative zu einer Gemeinschaftssendung der deutschen Rundfunkgesellschaften in den einzelnen damaligen Besatzungszonen ergriff im Jahre 1950 das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen aus Anlaß der Oktoberwahl in der sowjetischen Besatzungszone. Diese Sendungen erfüllten ihren Zweck, zeigten aber doch erhebliche Mängel, da eine gemeinsame Oberleitung für diese Sendungen nicht zustande kam.
Meine Damen und Herren, der Leidensweg der Langwelle begann weiter mit einem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland an die damalige alliierte Hohe Kommission. Am 15. November 1950 beantragte die damalige Arbeitsgemeinschaft, ihr nach Möglichkeit eine lange Welle zuzuteilen.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß die alliierte Hohe Kommission auf diesen Antrag zunächst nichts veranlaßte und daß damals schon, im April 1951, das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen im Bundeskabinett eine Vorlage einbrachte, die das gleiche Anliegen wie das Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten zum Gegenstand hatte. Das Kabinett stimmte der Vorlage zu. Im Januar 1952 erhielt das Auswärtige Amt die Mitteilung, daß die Hohe Kommission die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten ermächtige, in der amerikanischen Zone zunächst einen Rundfunksender zu errichten.
Im Februar 1952 beantragte die sozialdemokratische Fraktion — worauf der Herr Abgeordnete und Kollege Kühn bereits hingewiesen hat — mit der Drucksache 3048, die von den westdeutschen Rundfunkanstalten angestrebte Errichtung eines Langwellensenders durch die Bundesregierung zu fördern und geeignete Schritte bei der Hohen Kommission zu unternehmen, die Bereitstellung einer langen Welle zu erreichen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, es ist nicht so, daß allein dieses Hohe Haus die Initiative in der Frage der Langwelle ergriffen hätte. Schon im Jahre 1950 ist auch von der Bundesregierung die Initiative dazu ergriffen worden. Ich sage das in aller Deutlichkeit deswegen, weil ich nicht möchte, daß in der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck entsteht, wie er entstehen kann durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Kühn.
Im Jahre 1952 hat das Parlament, der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, einen Unterausschuß „Überregionaler Sender" eingesetzt, der mehrere Male unter meinem Vorsitz getagt hat. Im Juli 1952 hat dieser Unterausschuß beschlossen, den drei damals beteiligten Hauptausschüssen — Presse, Rundfunk und Film, Gesamtdeutsche Fragen und Auswärtiger Ausschuß — folgendes zu empfehlen. Ich sage das deswegen noch einmal, weil die Ausführungen des Herrn Kollegen Kühn auch in diesem Punkte einer Ergänzung bedürfen. Die Empfehlung lautete dahin,
1. der Errichtung eines Langwellensenders zur Ausstrahlung eines überregionalen Programms zuzustimmen;
2. den Sender durch ein Gemeinschaftsunternehmen der gegenwärtig in der Bundesrepublik tätigen Rundfunkgesellschaften tragen zu lassen;
3. den Deutschen Bundestag bei der Konstituierung eines Beirates zu beteiligen;
4. als endgültigen Standort des Senders Berlin festzusetzen und — nun kommt das Entscheidende, damals schon! — die Wahl eines zwischenzeitlichen Standortes bis zur Fertigstellung des Senders in Berlin der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten zu überlassen.
Meine Damen und Herren! Alles das muß man wissen, wenn man die heutige Situation richtig beurteilen will. Der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hat sich wenige Tage, nachdem damals der Unterausschuß diese Empfehlungen ausgesprochen hatte, ebenfalls mit dieser Angelegenheit beschäftigt und den Empfehlungen zugestimmt, d. h. also damals schon dieser provisorischen Lösung; denn eine andere blieb uns nach den Verhandlungen mit den Rundfunksachverständigen im Unterausschuß gar nicht übrig.
Bis dahin ist diese Sache also mehr oder weniger glatt über die Bühne gegangen. Nunmehr beginnt die eigentliche Tragödie um diesen Langwellensender. Die alliierte Hohe Kommission konnte eine lange Welle nicht zuteilen, sondern nur die Genehmigung zu Versuchssendungen auf der Welle 151 Kilohertz geben. Über das Stadium dieser Versuchssendungen sind wir leider, Gott sei's geklagt, heute nicht hinweggekommen. Die Drucksache 3048 — Antrag der sozialdemokratischen Fraktion — wurde in einer Sitzung des Ausschusses Presse, Rundfunk und Film im Jahre 1953 für erledigt erklärt, weil dem Hohen Hause die Drucksache 4198, nämlich der Entwurf eines Gesetzes über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiete des Rundfunks, kurz Bundesrundfunkgesetz, durch die Initiative von Abgeordneten der CDU, der FDP und der DP vorgelegt wurde. Dieser Gesetzentwurf sollte der Versuch sein, die verworrene
rundfunkpolitische und verfassungspolitische Lage zu klären, insbesondere in der Frage der Zuständigkeiten. Wegen tiefgreifender verfassungsrechtlicher Schwierigkeiten und durch den Widerstand einiger weniger extremer Föderalisten und der Opposition ist dieser Versuch damals mißlungen.
An die Stelle eines beabsichtigten Bundesrundfunkgesetzes soll jetzt ein Staatsvertrag treten, der nach mühevollen Verhandlungen zwischen Vertretern der Bundesregierung und der Länder nach zweieinhalb Jahren zustande gekommen ist, jedoch noch in einzelnen Ländern der Ratifizierung bedarf. Gleichzeitig sind seit Oktober 1954 zwischen der Bundesregierung, den Ländern und der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Verhandlungen über eine vorläufige Langwellensendung geführt worden. Die Vertreter der Bundesregierung, der Länder und der Rundfunkanstalten konnten sich schon Anfang 1955 nach einer Verhandlungsdauer von wenigen Monaten auf den Text einer unterzeichnungsreifen Vereinbarung über den Langwellenbetrieb einigen. Darin wurde unter anderm festgelegt, daß — in ähnlicher Weise wie bei den für das überseeische Ausland bestimmten Kurzwellensendungen — die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik die Trägerschaft — also wie schon 1952 beabsichtigt — und damit auch die Kosten der Sendungen übernimmt. Lediglich der Berliner Senat versagte damals seine Zustimmung, weil seinem Verlangen, daß Berlin zum Sitz des Senders oder doch der Chefredaktion bestimmt wird, nicht entsprochen werden konnte. Die Bundesregierung sowie fast alle übrigen Beteiligten waren der Auffassung, daß die Erfüllung eines solchen Wunsches den Zweck der vorläufigen Regelung, nämlich die möglichst umgehende Ausstrahlung der Sendungen, vereiteln würde.
Nur in Hamburg — darauf hat Herr Kollege Kühn schon hingewiesen — sind die erforderlichen Einrichtungen vorhanden; sie werden auch schon seit längerer Zeit zu Versuchssendungen benutzt. Die Neuerrichtung technischer Anlagen in Berlin hätte die Aufnahme der Sendungen in einem nicht zu verantwortenden Maße verzögert.
Schließlich kam am 5. Juli dieses Jahres eine Einigung zustande, indem einer vorläufigen Regelung zugestimmt wurde, allerdings mit dem Vorbehalt, daß auch alle übrigen Länder mit der in Aussicht genommenen Regelung einverstanden sind. Meines Wissens haben sich die Länder alle bis auf das Land Hessen bis jetzt zustimmend geäußert. Die Mehrzahl der Länder hat ihre Zustimmung also bereits erteilt. Auch die Rundfunkanstalten sind damit einverstanden, daß der Norddeutsche Rundfunk unverzüglich mit den Vorbereitungen für die Aufnahme eines Langwellendienstes über den bereits in Benutzung befindlichen Langwellenstrahler des Norddeutschen Rundfunks in der Nähe Hamburgs beginnt. Diese Regelung sieht auch die Bildung eines Beirats vor, von dem der Herr Kollege Kühn bereits sprach, in dem Bund, Länder und Rundfunkanstalten jeweils mit drei Haupt- und drei stellvertretenden Delegierten vertreten sein sollen.
Diese vorläufige Regelung, meine Damen und Herren, ist aber — das muß man auch wissen — befristet, und zwar bis zum 30. Juni 1958. Spätestens im Januar 1958 werden die Beteiligten prüfen, ob auf Grund der bisherigen Erfahrungen und technischen Voraussetzungen der Sitz nach
Berlin verlegt werden kann. Diese Zeitspanne ist erforderlich, um einen Strahler in Berlin zu errichten, dessen Aufbau nach der Auffassung der Fachleute leider mindestens etwa anderthalb Jahre beanspruchen wird. Die jetzt getroffene vorläufige Vereinbarung hat in erster Linie den Zweck, diese Zeitspanne bis zur Errichtung eines eigenen Langwellenstrahlers in Berlin praktisch zu überbrücken.
Das ist die Lage. Sowohl seitens dieses Hohen Hauses, seitens der beteiligten Fachausschüsse als auch seitens der Regierung ist niemals davon die Rede gewesen, einen anderen Sitz als Berlin für die lange Welle zu wählen.
-- Niemals! — In all den vergangenen Jahren und schon im ersten Deutschen Bundestage haben autorisierte Persönlichkeiten der in Frage kommenden Ausschüsse gegenüber dem Berliner Senat in allen Sitzungen immer wieder diese unzweideutige Erklärung abgegeben.
— Herr Kollege Kühn, ich sagte: Das ist schon in den vergangenen Jahren der Fall gewesen.
— Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Wenn Sie dem Bunde die meiner Meinung nach notwendige Zuständigkeit auf dem Gebiete des Rundfunks durch ein vernünftiges Rundfunkgesetz,
wie wir es haben wollten, gegeben hätten, wäre meiner Meinung nach längst ein Sender da.
Die Schwierigkeiten, die wir jetzt haben und die sich über Jahre hinweggezogen haben, sind nur dadurch entstanden, daß eine klare verfassungsrechtliche Situation nicht geschaffen werden konnte.
Das war nicht möglich.
Es ist leider so: Wenn man von einem Bundesrundfunkgesetz hört, dann ist man auf der Seite der Opposition sofort geneigt, wie es der Herr Kollege Kuhn auch ausgesprochen hat, der Regierung zu unterstellen, daß sie einen gesamtdeutschen Propagandasender der Regierung etwa auf dem Gebiete der langen Welle hier errichten wolle. Meine Damen und Herren! Solche Unterstellungen haben doch nun wahrhaftig keinen Sinn.
Solche Behauptungen können durch nichts, durch gar nichts bewiesen werden.
Der Herr Kollege Kühn hat auch von gewissen Vorschlägen gesprochen, die hinter den Kulissen oder vor den Kulissen in bezug auf die Besetzung des Intendantenpostens gemacht worden seien. Nachdem Herr Kollege Kühn gesagt hatte, er habe gehört, es solle ein CDU-Angehöriger Intendant
werden, sprach er wiederholt von „profilierten Persönlichkeiten". Das soll offenbar heißen, daß der in Aussicht Genommene — ich weiß gar nicht einmal, wer — keine ist, und das soll offenbar heißen, daß nur diejenige Persönlichkeit als eine profilierte angesehen werden kann, die der Sozialdemokratischen Partei angehört.
Meine Damen und Herren, ich war bereits der ketzerischen Meinung, man solle in diesem Zusammenhang ruhig einmal auch vom einem Bundesrundfunkgesetz sprechen. Dazu will ich noch folgendes sagen. Der mühsam zustande gekommene Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern in Sachen Rundfunk und die Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Rundfunkanstalten, von der wir heute sprachen, sind keine echte Lösung, wahrhaftig nicht! Und weil sie es nicht sind, deshalb kommen wir nicht weiter. Sie sind deswegen keine echte Lösung, weil damit besatzungsrechtliche Zustände leider nicht eliminiert werden konnten. Diese stecken immer noch in all diesen Vereinbarungen.
Wer klare Rechtsverhältnisse will, wer wissen will, welche Zuständigkeiten Bund, Länder und Rundfunkanstalten auf dem in der Tat eminent wichtigen Gebiet des Rundfunks haben, wird höchstinstanzlich einmal durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen müssen, ob und welche Kompetenzen der Bund für den Rundfunk nicht nur auf technischem Gebiet, nicht nur für die Gebührenregelung, sondern auch auf dem Gebiete der Organisationsgewalt besitzt.
Solange wir eine solche Klärung nicht herbeigeführt haben, werden wir nicht zu sinnvollen Regelungen auf diesem Gebiete kommen.
— Ja, bitte sehr, Herr Kollege!
Welche besatzungsrechtliche Vorschrift verhindert die Installation der Chefredaktion in Berlin?
Das hat mit dem Bundesrundfunkgesetz nichts zu tun.
— Das hat nicht unmittelbar mit dieser Sache etwas zu tun. Ich habe vom Bundesrundfunkgesetz gesprochen.
Meine Damen und Herren, in der Debatte, die wir 1953 über das Rundfunkgesetz geführt haben, sagte der damalige Kollege Eichler, heute geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, folgendes: „Auch wir glauben nicht, daß auf dem Gebiete des Rundfunks nichts einer Regelung bedürftig sei." Und nun murksen wir in der Tat seit Jahren mit dem einen und mit dem anderen Vertrag umher, und wir wissen ganz genau, daß wir auf dem Gebiete letztlich bis heute nicht einen einzigen Schritt vorangekommen sind, weil die verfassungsrechtliche Lage nicht geklärt ist.
Als Ergebnis kann nur festgestellt werden, meine Damen und Herren, daß die Lage zum mindesten verfassungsrechtlich nach wie vor ungeklärt ist. Heute kann es sich für uns hier nur darum handeln, einmütig in dem Willen zu sein, endlich mit den Sendungen auf der langen Welle zu beginnen.
Wir wollen den Streit gerne austragen, ob Berlin sofort Chefredaktion werden soll oder ob Berlin es zunächst nicht sein kann. Herr Kollege Kühn, ich bin von Rundfunksachverständigen dahin belehrt worden — ich glaube, daß diese Auffassung auch richtig ist —, daß es zum mindesten sehr schwer ist, Technik und Chefredaktion voneinander zu trennen. Aber wir können uns darüber im Ausschuß unterhalten.
Sie machten in der Ihnen eigenen charmanten Art auch eine Bemerkung, daß der Herr Bundeskanzler den Wunsch geäußert habe, Bonn solle Sitz der Chefredaktion werden. Ich kann mich nicht erinnern, darüber jemals etwas gehört zu haben.
Ich weiß nur, daß alle Vertreter dieses Hauses und auch Vertreter der Regierung wiederholt der Meinung Ausdruck gegeben haben, daß ein anderer endgültiger Standort als Berlin überhaupt nicht in Betracht kommen könne.
Ich sprach davon, daß wir mit den Sendungen sofort beginnen müßten. Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Deutschlandsender als sowjetzonaler Langwellensender schon seit langem mit einer Energie von etwa 400 kW Stärke arbeitet. Die Wirksamkeit unserer langen Welle — wenn wir also einen neuen Strahler bauen — wird somit entscheidend davon abhängen, daß man sich zur Errichtung eines Senders von mindestens 400 bis 500 kW entschließt. Seit Jahren zeichnet der Deutschlandsender mit der großen Reichweite seiner langen Welle zielbewußt in die Bundesrepublik und auch über deren Grenzen hinaus ein völlig verfälschtes Bild der demokratischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik, und wir haben dem leider nichts entgegengesetzt. Wir würden uns geradezu versündigen, wenn wir nicht heute dem gemeinsamen Willen Ausdruck gäben, wo auch immer sofort mit ,den Sendungen zu beginnen. Da der Weg über Presse und Film in die sowjetische Besatzungszone praktisch versperrt ist, bieten Rundfunksendungen leider die einzige Möglichkeit für einen ständigen und breiten Kontakt mit der Bevölkerung der Zone.
Die Aufgabe der Langwelle soll es sein, tief in die sowjetische Besatzungszone hinein und auch über deren Grenzen nach Osten und Südosten hinaus das Bild von der Wirklichkeit in der Bundesrepublik zu vermitteln. Dieser Sender soll die wahre Stimme Gesamtdeutschlands, des freien Deutschlands werden. Je länger die widerrechtliche Spaltung unseres Vaterlandes durch die Schuld der Sowjetunion andauert, desto mehr müssen wir alles tun, allen Deutschen in Ost-, Mittel- und Westdeutschland wenigstens über den Rundfunk das Gefühl der unverbrüchlichen Zusammengehörigkeit zu vermitteln.
Dieser gesamtdeutschen Verpflichtung dienen wir aber nicht, wenn der Bundesregierung z. B. vor-
geworfen wird, daß — ich zitiere jetzt — „für die beschämende Entwicklung auf dem Gebiete des Langwellensenders sie allein die Hauptverantwortung trage, weil sie jahrelang darauf bestanden habe, den Sender zu ihrem politischen Machtinstrument zu machen".
Das hat der Sozialdemokratische Pressedienst noch am 23. Juli dieses Jahres gemeldet, obwohl er über die historische Entwicklung dieser Frage eigentlich unterrichtet sein sollte. Derselbe Pressedienst hat in der gleichen Ausgabe vom 23. Juli 1956 geschrieben:
Die Bundesregierung errechnet sich größere Einflußmöglichkeiten auf eine Sender-Redaktion in Hamburg
— und nun passen Sie bitte auf —
als in der freiheitlichen Atmosphäre der alten Hauptstadt.
Ich verstehe das nicht ganz. Sollte der Sozialdemokratische Pressedienst wirklich der Meinung sein, daß in Hamburg eine freiheitliche Atmosphäre nicht bestehe?
Meine Damen und Herren, derselbe Pressedienst sagt an einer anderen Stelle, das Hamburger Provisorium — da wird auf die Vereinbarung angespielt, die jetzt mühsam zustande gekommen ist — sei ein neuer Anschlag auf Berlin!
Ich meine, das ist wirklich Polemik.
— Sehr richtig, das hat mit Sachlichkeit nichts mehr zu tun. Wenn der Sozialdemokratische Pressedienst in dieser Sache etwas schreiben will, muß er sich jedenfalls auch über das unterrichten, was sich in der Zwischenzeit abgespielt hat.
Es war zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft, daß der endgültige Standort des Senders die Reichshauptstadt sein werde. Alle Beteiligten haben sich doch nur aus zwingenden Gründen
zu der Zwischenlösung entschlossen und das Hamburger Funkhaus beauftragt, für zunächst 18 Monate die Langwelle zu betreiben. Es sind also nicht politische Erwägungen, sondern tatsächlich Zweckmäßigkeitserwägungen, die für die getroffene Vereinbarung den Ausschlag gegeben haben.
Und nun, meine Damen und Herren, ein letztes Wort zu dem Beirat. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Bund, Länder und Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in ihm vertreten sein sollen. Es ist unser Wunsch — und ich möchte das gerade hier auf Berliner Boden aussprechen —, daß bei der Konstituierung des Aufsichtsgremiums die beiden christlichen Kirchen vertreten sind. Die evangelische und die katholische Kirche haben sich dahin geeinigt, sich mit einem Platz zu begnügen, wenn nicht beide Kirchen zugleich — falls man den Rahmen zu eng halten wird — vertreten sein können. Ich brauche vor diesem Hohen Hause nichts darüber zu sagen, welche große Bedeutung den Kirchen gerade unter gesamtdeutschem Aspekt in der Zone zukommt.
Ich zweifle auch nicht daran, daß das ganze Haus dieses Anliegen unterstützt. Ich wäre auch den Damen und Herren der sozialdemokratischen Fraktion dankbar, wenn sie dieses Anliegen unterstützten. Bei dem ausgezeichneten Kontakt — ich erinnere mich noch an die Debatte über die Wehrpflicht —, den auch die Sozialdemokratische Partei zu Kreisen der evangelischen Kirche unterhält, kann ich mir durchaus vorstellen, daß sie diesem unserem Wunsche entspricht.
Ich kann jetzt nur noch mit einem Worte Hans Sachsens schließen: „Fanget endlich an mit den Sendungen!" Wir sind damit einverstanden, daß die beiden Anträge, der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und der Antrag der CDU/CSU- Fraktion, an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen überwiesen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben alle in diesen Tagen die Freude, Berliner Luft zu atmen, und machen davon ja so reichlich, wie es nur geht, Gebrauch. Die Berliner Luft ist eine sehr zur realistischen Betrachtung bringende Luft. Ich weiß das deswegen besonders gut, weil ich in dieser Stadt lange gearbeitet habe und sehr gern wieder arbeiten würde.
Die realistische Betrachtung in dieser Sache muß, wenn ich meine beiden Vorredner würdigen darf, zugunsten des Herrn Kollegen Brookmann ausfallen. Herr Kollege Brookmann hat den Mut gehabt — und das ist ein nicht unbeträchtlicher Mut —, auf den schwächsten Punkt in dieser Sache hinzuweisen. Das große Publikum wird sich doch eigentlich fragen, wieso wir seit 1952 versuchen, die Langwelle einzurichten, und das vier Jahre später noch nicht geschafft haben. Ich will Ihnen klar und eindeutig sagen, woran es liegt. Es liegt daran, daß die Zuständigkeiten des Bundes auf diesem Gebiet teils zu ungeklärt, teils zu schwach sind, als daß wirklich eine überzeugende, zügige Lösung herbeigeführt werden könnte.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die wie ich den zweifelhaften Vorzug gehabt haben, die äußerst langwierigen Verhandlungen über die Regelung des Rundfunkrechts mitzuerleben, wissen, daß es geradezu eine Sisyphusarbeit ist, bei so komplizierten Verhältnissen auch nur einigermaßen brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Es wäre völlig falsch, wenn man das leugnen wollte. Das ist des Pudels Kern.
Ein anderer Punkt ist, daß da, wo schwache Zuständigkeiten gegeben sind, wo die gesetzgeberischen Möglichkeiten nicht ausreichen, die finanzielle Mithilfe, die Abmachungen wirksamer machen könnte, leider nicht in dem entsprechen-
den Maße gegeben werden kann. Deswegen glaube ich, daß wir die Durchführung dieser Regelung, die zwischen dem Bund, den Lädern und der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten zustande gekommen ist, nicht länger durch mehr oder weniger personalpolitisches Tauziehen verzögern sollten. Wenn man den Antrag, den die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Juli auf Drucksache 2627 eingereicht hat, mit der Neufassung vom 10. Oktober vergleicht, wird man sehen, daß der entscheidende Punkt, der neu hineingekommen ist, mehr oder weniger personalpolitischer Art ist. Dazu möchte ich mich hier ganz offen äußern. Ich bin bestimmt ein begeisterter Parlamentarier. Aber ich würde nicht so verfahren wie Herr Kollege Kühn und die nach dem Grundgesetz und unserer rechtsstaatlichen Ordnung gegebene Gewaltenteilung so munter durchbrechen, nur weil es in diesem oder jenem Fall zweckmäßig erscheinen mag. Hier würde die rechtsstaatliche Ordnung für rein exekutive Aufgaben durchbrochen, denn wenn Sie sich damit beschäftigen, was der Beirat tun soll, werden Sie finden, daß er ausgesprochen exekutive Aufgaben hat. Sie dienen, glaube ich, der Sache nicht, wenn Sie die an sich schon gegebenen Schwierigkeiten ins Ungeheure vermehren.
Der Bund ist an sich schon, wenn er in das Neunergremium nur drei Vertreter entsendet, außerordentlich schwach vertreten; dabei verlangen Sie gleichzeitig, daß er das Geld zur Verfügung stellen soll.
Ich muß die Frage stellen: Wollen Sie etwa auch vorschlagen, daß sich die Vertreter der Länder überwiegend aus Parlamentariern zusammensetzen? Dieses Projekt durchdenken, Herr Kollege Kühn, heißt doch, es ad absurdum zu führen.
Es ist dann von der Sorge gesprochen worden, der Sender könnte ein Regierungssender werden. Bei dieser komplizierten Art der Gestaltung habe ich leider keineswegs die Sorge, daß das ein Regierungssender werden könnte.
Jeder, der etwas von der Art des Arrangements, das hier getroffen worden ist, versteht, wird wissen, daß der Einfluß der Regierung doch nur für das Allernotdürftigste ausreicht.
In der Ziffer 4 der Vereinbarung, die der Herr Kollege Kühn zitiert hat, wird ausdrücklich gesagt, daß die Sendungen einer unabhängigen Meinungsbildung zu dienen haben und daß sie nicht einseitig eine Partei, eine Gruppe, einen Berufsstand oder eine Interessengemeinschaft unterstützen dürfen.
— Herr Kollege Neumann, wir sprechen nicht von Schwarzsendern, sondern wir sprechen von ganz legalen Sendern.
Der Herr Kollege Kühn hat aus anderer Erfahrung, die er heute nicht zitiert hat, vielleicht eine gewisse Vorliebe für eine kräftige Einschaltung des Parlaments in die Institution des Rundfunks. Ich denke darüber ganz anders. Ich meine, es sollte einen hockqualifizierten, völlig unabhängigen
Rundfunk geben; nur müßten uns dazu die rechtlichen Möglichkeiten gegeben sein.
Wenn wir uns so annähern, werden wir vielleicht in ein paar Jahren ein ganz vernünftiges Rundfunksystem zustande bringen.
Ich darf Ihnen dafür einen Vorschlag machen. Mancher von uns hat Vorliebe für englische Verhältnisse. In England ist es z. B. so, daß der Premierminister den Intendanten von BBC ernennt. Gleichgültig, wie der Pemierminister heißt, ist man mit einem solchen System, das nach der Ernennung die ganze Verantwortung bei der Leitung des Rundfunks läßt, einverstanden. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß ich gar keine Sorge hätte, ein solches System für Deutschland zu übernehmen; es würde sicher von Nutzen sein. Leider denkt man darüber nicht allseits so großzügig wie ich vorschlage, es zu tun.
— Es kommt sicherlich auf den Premierminister an. Systeme wie das englische und amerikanische haben das Gute, daß die Premierminister in einem gewissen Abstand wechseln.
— Sicherlich; aber wir sprechen gerade von dem englischen System. Dieses System hat nämlich das Gute — deswegen paßt das in diesem Zusammenhang sehr gut —, daß, da der Wechsel einigermaßen vorher berechenbar ist, alle in ihrem Gehaben sehr vorsichtig sind und dafür sorgen, daß Akte der Unparteilichkeit von vornherein mehr die Regel und nicht die Ausnahme darstellen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir würden etwas sehr Falsches tun, wenn wir in dieser Sache jetzt nicht endlich handelten. Wir haben gehört, daß wir in Hamburg einen sendebereiten Sender haben. Wenn wir endlich voranmachen, könnten die Sendungen praktisch übermorgen beginnen. Wenn die nationalpolitische Aufgabe, die hier liegt, tatsächlich von uns allen als dringlich erkannt wird, so sollte niemand seine Hand dazu reichen, daß nicht endlich angefangen wird. Das ist das eine.
Das andere ist folgendes. Genau so unverändert bleibt der Wille, den die Bundesregierung ausgesprochen hat — sie befindet sich da in voller Übereinstimmung mit dem Hohen Hause —, sobald, als es nur irgend möglich ist — alle Vorbereitungen sind dafür mindestens auf dem Papier getroffen —, dafür zu sorgen, daß Berlin wieder einen Langwellensender bekommt und daß wir nicht vergeblich und sehnsüchtig nach Königswusterhausen und den dort gegebenen Wirkungsmöglichkeiten sehen müssen.
Abschließend aber möchte ich sagen: Damit allein ist es noch nicht getan. Der Kollege Kühn hat gesagt, das Ganze möchte ein Sender der Nation werden. Meine Damen und Herren! Das ist ein großes Wort. Aber ich möchte ihn trotzdem darin unterstützen, daß es das richtige Wort sein sollte. Dazu gehört aber, daß man jetzt alles an Kleinlichkeiten und Tauziehen hinter und vor den Kulissen wegläßt und anfängt mit dem doppelten
Ziel, zunächst endlich zu senden und dann einen endgültigen Sender in Berlin zu haben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Friese-Korn.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach so erregten Debatten der Männer und nach schlichtenden Worten des Herrn Innenministers muß nun eine Frau eingreifen und den Standpunkt der Partei vertreten. Sie muß allerdings angesichts dieses Kampfes der beiden stärksten Parteien ihre eigenen Betrachtungen anstellen und sagen: Wie ist es doch gut, daß dazwischen noch etwas da ist, was die Gemüter beruhigen und etwas ausgleichend wirken kann!
Nun, ich glaube, jeder, der mit Presse- und Runfunkfragen zu tun hat, und alle, die hier in Berlin in den letzten Tagen in die Zeitungen geschaut haben, um zu erfahren, was aus den ewig wiederkehrenden Gesprächen um den Langwellensender herauskommt, werden mit Erstaunen heute morgen in der Presse unter anderem den Artikel gelesen haben, in dem jemand über die heute bevorstehende Debatte und über den noch in letzter Minute eingereichten Antrag der CDU berichtet, der den Eindruck erwecken sollte, als wenn wir unmittelbar vor der Entscheidung für Berlin ständen. Daß wir noch weit davon entfernt sind und daß sich gerade in diesem Plenarsaal deutlich machen mußte, daß auch noch Hinderungsgründe für ein rascheres Arbeiten bestehen, das habe ich vor allen Dingen für die Ohren der Berliner bedauert.
Meine Herren und Damen! Wir wünschen, daß dieser Sender — da stimmen wir mit Herrn Kühn absolut überein, und ich glaube, auch Herr Brookmann hätte das für die CDU hier deutlich aussprechen sollen —, kein Regierungssender wird.
Damit komme ich auf die bisherige Einschaltung des Parlaments. In sämtlichen Entschließungen, die in dieser Sache gefaßt worden sind — und es haben wahrlich genug Ausschüsse in dieser Sache getagt, der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, der Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen und der dafür eingesetzte Unterausschuß haben Entschließungen gefaßt —, wurde immer wieder — fünf Jahre lang — beteuert, daß der Deutschlandsender in Berlin stationiert werden soll. Es ist schwer, dann mit einemmal, nach langem Schweigen der Regierung, diesen Kompromißvorschlag zu hören. Er sieht doch sehr danach aus, als ob trotz einer viereinhalb Jahre langen Vorbereitungszeit nun mit einer Regelung begonnen wird, die ein Übergangsstadium darstellen soll, von dem wir aber nicht absehen können, wann es endet. Im Sommer 1958 sollen wir dann noch einmal vor die Frage gestellt werden — so heißt es in dem Brief des Herrn Vizekanzlers —, ob endgültig Berlin den Langwellensender bekommt. Sommer 1958!
Dennoch habe ich mich über den sachlichen Bericht des Herrn Innenministers gefreut. Es ist leider wahr, daß verfassungsrechtliche Bedenken die
Entscheidung verzögert haben. Es ist von jeher das Anliegen der Freien Demokratischen Partei gewesen, solche Hemmungen zu beseitigen. Es ist traurig und beschämend, daß die Stimme der Bundesrepublik stellvertretend für Deutschland nicht über die Grenzen nach dem Osten und überall in die Welt hinausgestrahlt werden konnte. Es ist unbegreiflich, daß ein solches Vorhaben daran scheitert, daß unser föderalistisches Prinzip das Zustandekommen eines Rundfunkvertrages erschwert. Heute noch nach zehn Jahren sind wir in der bedauerlichen Situation, daß keine repräsentative Stimme über die Grenzen unserer Bundesrepublik hinausdringt.
Ich habe mich sehr gewundert, daß Herr Kollege Kuhn das Schwergewicht seiner Ausführungen so sehr auf die Aufhellung der personalpolitischen Hintergründe gelegt hat.
Wir sind in dieser Beziehung sehr empfindlich, wir hören es nicht gern, daß man schon heute die Vorbesprechungen mit dem Austragen parteipolitischer Gegensätze belastet. Nein, so geht es nicht! Es soll kein Regierungssender werden, weder heute noch morgen. Wenn man diese Forderung aufstellt, sollte man nicht heute schon davon sprechen, wie die Posten auf die Parteien verteilt werden.
Eine Forderung aber stellen wir, meine Herren und Damen: daß das Parlament in die Vorbesprechungen mehr eingeschaltet wird. Bedenken Sie, daß ein dahingehender Antrag der damaligen Koalitionsparteien heute noch nicht abschließend bearbeitet ist. Da muß ich auch dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films den Vorwurf machen, daß wir uns da nach zweieinhalb Jahren noch nicht abschließend mit diesem Problem befaßt haben. Immer wieder sind nur Anfragen gestellt worden, immer wieder sind Beschlüsse gefaßt worden, es müsse Berlin sein. Jeder von uns sieht heute, daß die Regierung früher dieses Vorhaben zu einer guten Regelung hätte führen müssen. Hoffen wir, daß nicht der Verlauf der Debatte heute dazu führt, die Lösung noch einmal in die Ferne zu rücken. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Mittel, die jetzt nach den hier geäußerten Absichten für das Provisorium in Hamburg verwandt werden, doch noch verwendet werden könnten, um das Rundfunkhaus an der Masurenallee sobald wie möglich wieder instand zu setzen.
Ich möchte zusammenfassen. Wir sind besorgt, daß jetzt ein Provisorium geschaffen wird, das die Erreichung des Endziels wieder hinausschiebt. Es muß eine Lösung gefunden werden, die es ermöglicht, die Stimme Deutschlands bald über die Grenzen hinausdringen zu lassen. Im Hinblick auf den Verlauf dieser Debatte aber möchte ich noch sagen: wir sind besorgt, daß das Ansehen der parlamentarischen Demokratie leidet, wenn wir vier Jahre lang in den Ausschüssen wie auch im Plenum einstimmige Beschlüsse fassen, diese unsere Beschlüsse hier in dieser Stadt veröffentlichen und uns dann am Ende wieder für ein Provisorium entscheiden. Ich glaube, mit einer solchen Behandlung tun wir der parlamentarischen Demokratie keinen guten Dienst.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Leidensgeschichte der Behandlung des alten Problems des Langwellensenders ist heute schon sehr ausführlich dargelegt worden. Es muß aber immer wieder betont werden, daß, gerade wenn wir uns in Berlin mit diesem Problem befaßt haben, die zuständigen Ausschüsse, insbesondere der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, in der Grundauffassung eigentlich immer einmütig gewesen sind und einstimmig ihren Willen kundgetan haben, daß der Langwellensender nirgendwo anders etabliert werden sollte als in der Hauptstadt Berlin. Das muß festgehalten werden, und das zeigt auch, wie wenig angenehm zum mindesten die jetzige provisorische Lösung im Hinblick auf all diese Willenskundgebungen aussieht. Dabei sind in diesen Ausschußberatungen und Willenskundgebungen stets weniger die technisch-finanziellen Momente betrachtet und gewertet worden als eben die überregionalen politischen, will sagen: gesamtdeutschen Momente.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch darauf hinweisen, daß eine solche Langwelle in Berlin nicht allein die Aufgabe hat, als Richtstrahler für unsere Weltanschauung und freiheitliche Lebensordnung nach der Zone hin zu wirken, sondern daß, sofern die technischen Voraussetzungen im Wellenplan — und wir hoffen darauf — einmal gegeben sein werden, hier Einwirkungsmöglichkeiten im besten Sinne des Wortes gerade nach dem Osten, nach dem ostmitteleuropäischen Raum und nach jenen Völkern hin eröffnet werden, die sich ebenfalls nach Freiheit sehnen und für die gerade die deutsche Sprache die nächstliegende und gegebene Sprache ist, sich über unsere freiheitliche Lebens- und Weltauffassung zu informieren.
— Ich weiß, aber auch im Langwellenfeld, sofern wir in den Langwellenplan eingeschaltet werden können, sind zweifellos gerade diese Möglichkeiten gegeben. Auf jeden Fall haben die Willensäußerungen in den Ausschüssen immer dahin tendiert, daß die politischen Notwendigkeiten im Vordergrund stehen müssen, daß der Langwellensender und die Chefredaktion ehestens in Berlin zu etablieren sind und daß diese repräsentative Station mit Richtstrahlern in die unfreiheitliche Welt gerade hier und nur hier etabliert sein sollte.
Ich darf namens meiner politischen Freunde und im eigenen Namen sagen, daß wir einen geradezu fürchterlichen Horror vor allen sogenannten provisorischen Lösungen, vor Ausweichlösungen pseudoprovisorischen Charakters à la Bonn haben.
Diese Provisoria sind mehr denn unangenehm, und wir wissen, wie hier durch die Gewohnheit, durch Verwaltungseinspielungstendenzen und durch die Neigung, fest im Sattel zu bleiben, die Dinge sehr leicht betoniert werden und daß solche Provisoria dann eben nicht mehr zu beseitigen sind.
Nun sind heute leider zwei verschiedene Auffassungen zutage getreten. Ich möchte sagen, daß wir dem Vorschlag der SPD zuneigen, der eine sofortige Etablierung der Chefredaktion in Berlin in Aussicht nimmt, zumindest diese Frage geprüft und geklärt werden müßte, zumal bei den vorläufig unzulänglichen Sendungen von Hamburg aus. Darüber hinaus — und das ist wohl das Entscheidende — muß die politische wie technisch-finanzielle Basis für die Errichtung des Strahlers ehestmöglich geprüft werden. In bezug auf den Beirat werden von der SPD einige Änderungen vorgeschlagen, die meinen politischen Freunden und mir auf jeden Fall zumindest einer Diskussion wert zu sein scheinen. Natürlich sollte bei der Frage der Konstruktion des Beirats manches in bezug auf den Umfang der Teilnahme des Bundestages, der Delegationen usw. geprüft werden. Ich glaube, daß hier einige Vorbilder bei den Länderrundfunkräten bestehen, für die man sich einmal interessieren könnte. Aus den Erfahrungen in dieser Richtung teile ich, Herr Bundesinnenminister, nicht ganz Ihren Optimismus hinsichtlich der Freiheit des Rundfunks. Denn es hat sich in manchen Ländern — Sie werden wissen, welches Land ich besonders meine — herumgesprochen, daß auch ein ziemlich freiheitlich konstituierter Rundfunkrat doch nicht einen ganz freien Rundfunk zu garantieren scheint.
Also auch diese Fragen sind zu prüfen!
Aber auch das ist gesagt worden, bedarf jedoch wohl nochmaliger Unterstreichung: vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt günstiger denn je, auch die technisch-finanziellen Dinge zu prüfen und zu klären und manches Hindernis auszuräumen. Denn das Rundfunkhaus in Berlin -Charlottenburg in der Masurenallee 8 bis 14 ist ja Anfang Juli 1956 von der sowjetischen Besatzungsmacht zurückgegeben worden. Wir sollten ehestmöglich — und der zuständige Ausschuß will das ja dankenswerterweise auch in dieser Woche noch tun — prüfen, mit welchen Mitteln und unter welchem Umgestaltungsaufwand dieses Haus seinem ursprünglichen Zweck wieder zugeführt werden könnte. Soweit ich unterrichtet bin, sind eine Sicherung der baulichen Substanz, eine Winterfestmachung des Gebäudes und eine Klärung der Eigentumsfrage eingeleitet worden. Es müßte doch möglich sein, zu allererst einmal zu erfahren, auf wieviel sich die Gesamtkosten für die Wiederbenutzbarmachung dieses Hauses belaufen und was hier finanziell unternommen werden könnte, um diese günstige Gelegenheit beim Schopfe zu packen.
Wie immer aber die Budget- und finanziellen Fragen beantwortet werden sollten, wir sollten uns in der Meinung finden, daß dieser repräsentative gesamtdeutsche Sender der Bundesrepublik schnellstens nach Berlin kommen muß und daß wir mit allen unverbindlichen Vertröstungen auf die nähere oder fernere Zukunft ein Ende machen sollten.
Es ist hier vom Regierungssender, Gefahren einer Regierungs-Propaganda usw. gesprochen worden. Ich möchte mich in diese Diskussion nicht weiter einmengen, sie nicht vertiefen, aber ich möchte nur eines sagen. Der zukünftige Langwellensender sollte Sender höchster Qualität sowohl im Politischen wie auch im Kulturellen sein und er sollte in jeder Richtung frei von Propaganda sein. Es ist nicht uninteressant, von Spätestheimkehrern etwa aus der Tschechoslowakei oder aus Polen übereinstimmende Berichte zu hören — und
manches wird ähnlich auch für die Zone gelten —, daß man der Propaganda in jeder Form da drüben sehr müde geworden ist, daß man sogenannte facts, d. h. also echte Tatsachenberichte, Abbilder und Widerspiegelungen vor allem des Lebens in der freiheitlichen Welt hören will und daß man dort eine gewisse Scheu vor allem Propagandistischen hat, was auch dieser Sender, so glaube ich, in seiner politischen Substanz und Aufgabenstellung unter allen Umständen berücksichtigen sollte.
Die taktische Kompromißlösung mit Hamburg — befristet bis 30. Juni 1958 —, diese Verwaltungsvereinbarung möchte ich fast eine superföderalistische Fleißaufgabe nennen. Sie ist wenig sympathisch. Sie ist vor allem politisch nicht sinnvoll und läßt auch im Hinblick auf die eben vorgesehene Zusammensetzung des Beirats manch Übles betreffs Programmgestaltung, personeller Leitung, politischen Senderaufbaus — wie Herr Kollege Kühn sagte: der politischen Substanz — ahnen. Und wenn wir heute hier gehört haben, daß auch im Personellen anscheinend ein tolles Tauziehen zu beginnen scheint und sich hinter den Kulissen ein personeller Kleinkrieg zu entfalten droht, so ist das wohl kein günstiger Start für dieses für uns alle und unser gemeinsames Anliegen so wichtige Instrument.
Im übrigen werden diese Dinge nun in den zuständigen Ausschüssen noch geklärt und beraten werden müssen. Wir sind zur klärenden und beratenden Arbeit in ihnen gerne bereit, d. h. stimmen der Überweisung an die einschlägigen Ausschüsse zu und möchten nicht hoffen, daß wir das nächste Mal, wenn wir in Berlin tagen und wenn die Dinge vielleicht wieder als Tagesordnungspunkte auftauchen sollten, keinen Schritt nach der Richtung weitergekommen sind, wohin wir wohl alle kommen wollen und die sich in die Worte f assen läßt: ehestmöglich den Langwellensender nach Berlin!
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine verehrten Vorredner haben die Frage der Organisation und der Standortwahl dieser Organisation bzw. des Redaktionsstabes in den Vordergrund ihrer Betrachtungen gestellt. Man konnte dabei bisweilen das Gefühl nicht loswerden, es solle hier ein Fell verteilt werden, bevor es abgezogen ist.
Ich möchte für meine Freunde in der Fraktionsgemeinschaft der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei erklären, daß wir der Frage der Aufstellung der technischen Einrichtungen eine ebenso große Bedeutung beimessen wie der Frage der Organisation, weil erst diese Placierung darüber entscheidet, ob der Sender einen ausreichenden Wirkungsgrad erhalten wird oder nicht. Nun wird diese Frage der technischen Placierung schwerlich von einem politischen Gremium entschieden werden können. Deshalb geht meine Empfehlung dahin, in den kommenden Beratungen diese Frage nach Möglichkeit aus dem politischen Streit auszuschalten und sie nur der Technik zu überlassen.
— Wieso? Entschuldigen Sie, Herr Kollege Brandt, ich bin keineswegs der Meinung. Ich werde Ihnen gleich die Gründe dafür nachweisen, daß die Frage der politischen Placierung sehr wichtig ist. Wir sind der Meinung, daß dieser Sender nicht nur den Zweck haben sollte, die Bevölkerung der Zone mit deutschen Nachrichten zu versorgen. Dieser Sender muß vielmehr auch die Aufgabe übernehmen, die deutsche Bevölkerung jenseits der künstlich gezogenen Oder-Neiße-Linie mit deutschen Nachrichten und deutschem Kulturgut zu versorgen. Meiner Kenntnis nach liegt bereits ein Gutachten des in Berlin domizilierten Instituts für Schwingungsforschung vor. Danach hat ein Langwellensender eine maximale Reichweite von 380 km. Wenn man also die Forderung aufstellt, daß auch die deutsche Bevölkerung jenseits der Oder-Neiße-Linie in den Empfangsbereich dieses Senders einbezogen werden soll, dann ist damit schon eine gewisse Klärung über die Placierung dieses Senders gegeben. Diese Klärung ist wichtig, eben weil die Reichsweite eines Langwellensenders sehr begrenzt ist.
Man braucht auch nicht etwa die Befürchtung zu hegen, daß bei einer Placierung der technischen Anlagen in Berlin das Bundesgebiet, soweit es außerhalb dieser Reichweite von 380 km liegt, nicht an den Sendungen teilhaben kann. Da läßt sich eine Regelung beispielsweise durch Ankoppelung von Kurzwellensendern durchaus ermöglichen.
Meine Damen und Herren! Man hat das Wort Berlin hier sehr oft gebraucht. Als Berliner Abgeordneter möchte ich Ihnen sagen: Wenn die politische Möglichkeit bestünde, würde ich, gestützt auf diese technischen Erkenntnisse des Instituts für Schwingungsforschung, dafür eintreten, daß dieser Sender möglichst weit östlich von Berlin aufgestellt wird.
Meine Damen und Herren, ich bitte also, dieser Frage die ihr in technischer Hinsicht zukommende Bedeutung zuzubilligen; ich bitte gleichzeitig, den Entscheid über diese Frage den Technikern zu überlassen. Ich bin überzeugt, daß eine weise Selbstbeschränkung hier uns die beste Lösung eintragen wird und daß wir den Technikern vertrauen können. Der Effekt wird darin liegen, daß wir einen deutschen Nachrichtendienst auch den Menschen vermitteln können, die jenseits der Oder Neiße-Linie leben und bestimmt begierig sind, an unserem kulturellen Fortschritt teilzunehmen, sich an unseren kulturellen Erlebnissen zu beteiligen.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von rundfunkpolitischen, allgemeinpolitischen, soeben auch von, soweit ich es habe verstehen können, technischen Erwägungen die Rede gewesen. Meine Aufgabe ist es, zunächst noch einmal ein hoffentlich klares Wort über die gesamtdeutsche Aufgabe zu sagen, die hier zu lösen ist, und über die Aufgabe, die diese Stadt, in der der Bundestag jetzt tagt, im Ringen um die deutsche Einheit zu erfüllen hat.
Wir erkennen sicherlich alle den Wert symbolischer Handlungen. Aber mit Symbolik allein ist auf dem Wege, auf dem Berlin wieder in die Hauptstadtfunktionen hineinwachsen muß, nicht weiter voranzukommen; die symbolischen Handlungen müssen — auch auf diesem Gebiet würde Stillstand Rückschritt bedeuten — abgelöst werden, in zunehmendem Maße müssen echte Funktionen, wirkliche Aufgaben des Bundes und ihre Erfüllung für den Bund in diese Stadt hineinverlegt werden. Das ist der Kern der Sache.
Da gibt es keine verfassungsrechtlichen Gründe, da gibt es keine Fragen nach den Zuständigkeiten. Genauso wie die Organe, um die es sich hier handelt, glauben zuständig zu sein dafür, daß die Chefredaktion nach Hamburg kommt, genauso sind sie zuständig vor sich selber, vor dem Volk und vor den Alliierten, daß sie nach Berlin kommt. Darum geht es heute.
Nur dadurch, daß wir solche Aufgaben wie die, um die es sich hier und jetzt handelt — nicht nach einer Prüfung im Jahre 1958, sondern schon beim Start — dahin verlegen, wohin sie gehören, nur dadurch beweisen wir vor allen, die es angeht, vor der Welt, vor den Menschen in der Zone immer wieder an Einzelbeispielen, wie ernst wir es meinen mit der Wiedervereinigung jenes Deutschland, dessen Hauptstadt Berlin heißt.
Das ist die Aufgabe. Das etwas abgegriffene Wort
„Frontstadt" muß abgelöst werden durch das Wort
» „Hauptstadt" in dem Sinne, daß tatsächlich in dem Maße, in dem es möglich ist — und hier ist es möglich —, wirkliche Aufgaben in diese Stadt hin-einverlegt werden.
Es ist hier davon gesprochen worden, daß unverzüglich an die Errichtung eines solchen gesamtdeutschen Langwellensenders der Bundesrepublik herangegangen werden müsse, daß man endlich beginnen solle, sie nicht weiter verzögern solle. Insoweit sind wir sicherlich alle einer Meinung.
Mein Freund Kühn ist übrigens mißverstanden worden. Ein Mißverständnis liegt vor, wenn man meint, er habe sagen wollen, die Bundesregierung habe sich nicht — und zwar schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt — auch für die Errichtung eines solchen Senders interessiert. Es wäre völlig unsinnig, dieses Interesse abstreiten zu wollen. Die Geschichte dieses Senders beginnt ja nicht erst im Sommer oder Herbst 1956. Ich war selber 1952 in dem Unterausschuß, dessen Vorsitzender Kollege Brookmann war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun muß ich aber ein Wort als Berliner Abgeordneter sagen. Die Menschen in dieser Stadt merken sich bestimmte Dinge. Die Menschen, die lesen können, haben sich einige Dinge gemerkt, die, insofern übereinstimmend, die Kollegen Kühn und Brookmann hier vorgetragen haben. Die Berliner haben die Beschlüsse aus dem Jahr 1952 und 1953 gelesen, und da stand drin, der Langwellensender soll nach Berlin. Die Berliner können nicht einsehen, daß die Sache — statt daß man sie in dem damals angedeuteten Sinne rasch löst — jetzt zur Prüfung der Erfahrungen und der technischen Voraussetzungen im Jahre 1958 hinausgeschoben werden soll. Die Berliner erinnern sich des sehr klaren Wortes, das der Herr Bundeskanzler uns und den Berlinern im April 1955 in dieser Stadt gegeben hat.
Daran ist nichts zu deuteln; denn das Wort hieß: Der Langwellensender kommt nach Berlin.
Jetzt sagt man, das sei nicht möglich, weil bestimmte Einrichtungen nicht da seien. Dazu sage ich: wenn die eben zitierten Äußerungen so ernst gemeint waren, wie wir hoffen müssen, dann wäre seit 1952, seit 1953, ja auch seit der Erklärung des Bundeskanzlers vom April 1955 einige Zeit gewesen, um solche Voraussetzungen in dieser Stadt schaffen zu helfen.
Wir haben nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch auf anderen Gebieten, bei denen es sich um gesamtdeutsche Anliegen handelt, unter Tempoverlust gelitten. Lassen Sie mich auch das ganz offen sagen. Seit sechs Jahren reden wir von der Reichstagsruine. Seit sechs Jahren kommt von Zeit zu Zeit immer wieder die Ankündigung, der Reichstag soll aufgebaut werden. Alle Welt weiß, der Bundestag kann nicht dorthin. Aber fast alle, denen in unserem Volke Verantwortung übertragen ist, wissen, daß man aus nationalpolitischen Gründen die Ruine nicht einfach abreißen kann. Warum nicht endlich einmal Schluß mit dem Gerede darüber und mit einer Lösung wenigstens anfangen?
Nun etwas zum Herrn Kollegen Brookmann. Herr Kollege Brookmann, ich will versuchen, keine unnötige Schärfe in die Debatte hineinzubringen; ich glaube aber, wir müssen versuchen, einige Dinge ein bißchen zurechtzurücken. Vielleicht werden dabei einige Mißverständnisse ausgeräumt. Sie haben gemeint, der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion unterscheide nicht klar genug zwischen dem jetzt notwendigen Provisorium und der später erforderlichen endgültigen Regelung. Abgesehen davon, daß in unserer besonderen deutschen Lage bei allem, was wir drüben tun, immer die Gefahr besteht, daß ein Definitivum wird, was als Provisorium gedacht war, müßte auf diesem Gebiet aus der drohenden Möglichkeit eine Gewißheit werden. Denn wenn hier der Start nicht befriedigender gemacht wird, wie glaubt dann einer von Ihnen ernsthaft, in einigen Jahren elf deutsche Landtage und den Deutschen Bundestag unter einen Hut bringen zu können? Nein, hier und heute werden die Weichen gestellt. Jede spätere Entscheidung, die nicht im Urvertrag vorgesehen ist, ist viel schwerer als die, die zu Anfang zu treffen ist.
Zwei Dinge haben uns in dem bekannten Schreiben des Herrn Vizekanzlers nicht befriedigt, sie kehren sinngemäß in dem Antrag der CDU/ CSU wieder und sie sind durch den Herrn Kollegen Brookmann hier noch einmal erläutert worden. Wir können nicht einsehen, wieso es erforderlich ist, zu sagen: Erst im Januar 1958 soll überprüft werden, ob die Erfahrungen dafür sprechen und ob die technischen Voraussetzungen gegeben sind, wenn man andererseits sagt: Ja, Berlin soll es werden. Zweitens wurde gesagt, die Bundesregierung
wolle sich dann im Verwaltungsrat mit drei von neun Stimmen — während sie heute, bevor der Vertrag da ist, stärker ist — dafür verwenden, daß Berlin Sitz des Langwellenverbandes werde. Demgegenüber gilt es, die drei springenden Punkte noch einmal herauszustellen.
Herr Kollege Brookmann, wir haben aus Ihrem Munde vernommen, daß es auch bei Ihren politischen Freunden — wir nehmen das erfreut zur Kenntnis — nie eine andere Auffassung gegeben habe, als daß Berlin der eigentliche Sitz werden solle,
und der Herr Minister hat gesagt, daß dafür alle Vorbereitungen — ich darf ihn wörtlich zitieren — auf dem Papier getroffen seien. Aber, meine Damen und Herren, das reicht nicht aus. Nicht eventuell im Januar 1958, sondern heute muß dies unserer Meinung nach verbindlich bestimmt werden.
— Wenn ich „heute" sage, dann bin ich durchaus für den Ausschuß; denn es ist besser, die Sache an den Ausschuß zu geben, als heute einen schlechten Beschluß zu fassen. Ich würde allerdings einen guten Beschluß heute vorziehen. Wenn ich „heute" sage, meine ich es also nicht so buchstäblich; ich beziehe dabei die Ausschußberatung mit ein.
Es muß also vorweg bestimmt werden, daß Berlin der Sitz ist. Wenn man meint, meine Damen und Herren, die Beteiligten — das könnten außer dem Bund noch die Länder und die Rundfunkanstalten sein — wären heute nicht bereit, eine Vereinbarung zu treffen, woher nimmt man dann die Gewißheit, daß sie im Januar 1958 dazu bereit sein würden? Wir brauchen also die Bestimmung vorweg, und wenn man glaubt, sie von den Ländern oder von sonst jemand nicht erreichen zu können, dann muß man das diesem Hause sagen, damit keine Unklarheit darüber bleibt und damit auch nirgends der Verdacht aufkommen kann, man mache eine reservatio mentalis.
Zweitens: Der Herr Kollege Brookmann hat hier gesagt, es würde anderthalb Jahre dauern — ich bezweifle das nicht, Herr Kollege Brookmann —, den neuen Strahler zu bauen. Wenn nun — jetzt gehe ich auf den Boden Ihrer Argumentation — Anfang 1958 die Regelung, die Sie andeuten, getroffen werden soll, dann müßte jetzt mit dem Bau des Strahlers begonnen werden.
Das entspricht dem sozialdemokratischen Antrag, in dem dem Sinne nach steht: Berlin muß sicher sein, daß die technischen und finanziellen Probleme der doch auch von Ihnen erstrebten Regelung nicht im Wege stehen.
Drittens: Wenn es zum „provisorischen Provisorium" in Hamburg kommt, dann soll — unserer Meinung nach — nicht eine voll ausgestattete politische Redaktion, wie es in Ihrem Antrag heißt — die politische Leitung d. h. die Chefredaktion, nach Berlin. Wir haben keine plausiblen Gründe dafür gehört, warum das nicht der Fall sein kann. Im zwanzigsten Jahrhundert lasse ich technische Einwände dagegen nicht gelten.
Man macht Zeitungen mit einer Millionenauflage, die an einem anderen Ort gedruckt werden als dem, an dem die Redaktion sitzt. In den Vereinigten Staaten von Amerika sitzen große Redaktionen, große Rundfunkgesellschaften zum Teil Hunderte von Kilometern von dem Ort entfernt, wo der technische Sendebetrieb durchgeführt wird. Technische Einwände lasse ich nicht gelten.
Politisch aber gehört eine solche Chefredaktion an den Ort des permanenten gesamtdeutschen Gesprächs, an die Stadt in Deutschland, in der in ganz anderem Maße einfach auf Grund ihrer Lage viel mehr Menschen als sonst irgendwo aus den beiden Teilen unseres Volkes einander begegnen.
Meine Damen und Herren, ich darf nun noch eine Schlußbemerkung zu dem Thema des Beirates und zu dem machen, was man im weiteren Verlauf der Debatte etwas geringschätzig glaubte einen Streit um Posten und einen Kleinkrieg um Personalfragen nennen zu dürfen.
Es hieße das, worum es hier geht, falsch einschätzen, wenn man diesen Gesichtspunkt zugrunde legte.
Ein Wort vorweg. Herr Kollege Brookmann, Sie dürfen sicher sein, daß Sie das Verständnis meiner politischen Freunde haben, wenn es sich darum handelt, auf diesem Gebiet wie auf anderen eine Regelung zu finden, bei der die beiden großen Kirchen, die unser Volk repräsentieren, mit ihrem Wort zur Geltung kommen. Wir wissen sehr wohl um die große Rolle, die die großen Religionsgemeinschaften für den Zusammenhalt unseres Volkes spielen, und wir wissen das gerade in dieser Stadt. Aber das ändert doch nichts an dem Anliegen, das Herr Kollege Kühn vorgebracht hat und von dem in unserem Antrag die Rede ist: daß wir eine Form finden sollten — bitte lassen Sie uns über die Einzelheiten, wenn der Antrag schon in den Ausschuß geht, auch noch im Ausschuß reden; aber ich will es politisch doch noch einmal erläutern —, in der eine gesamtdeutsche Aufgabe so gelöst werden kann, daß die tragenden politischen Kräfte daran beteiligt sind. Herr Minister, ich war etwas enttäuscht, als gerade Sie dieses Anliegen so etwas beiseite geschoben haben mit der Charakterisierung: ein personalpolitischer Punkt. Nein, das ist es nicht!
Ich darf hier einmal ganz offen sprechen und als Berliner Sozialdemokrat ein Bekenntnis ablegen. Ich habe es in den hinter uns liegenden Jahren als eine Misere der deutschen Politik empfunden, und gerade wir, die wir hier, wie es so schön hieß, an der Front standen, haben es bitter empfunden, daß immer wieder der Versuch gemacht wurde, eine große, tragende Kraft aus der deutschen Politik teils auszuschalten, teils ihr den Minderwertigkeitsstempel aufzudrücken, anstatt davon auszugehen, daß die Aufgaben, um die es sich hier handelt, und die Aufgaben, die die Zone angehen, nur dann gelöst werden können, wenn sie aus einem anderen Geist gelöst werden als dem, der bisher in Bonn maßgebend war.
Eine gesamtdeutsche Politik kann es nur auf dem
Boden der Gleichwertigkeit der tragenden demo-
kratischen Kräfte in unserem Volk geben. Das und nichts anderes wollen wir mit diesem Antrag erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Nach diesem Schlußwort meines Kollegen Brandt will ich nur einige Informationen an die Adresse des Herrn Bundesinnenministers richten, der hier ein paar Darlegungen gemacht hat, die meines Erachtens so nicht im Raum stehenbleiben können. Es geht hier lediglich, nachdem ich die politische Diskussion als abgeschlosssen betrachte, um Klarstellung und Wahrstellung von Tatsachen.
Der Herr Bundesinnenminister hat davon gesprochen, daß der Beirat ausschließlich exekutive Aufgaben haben solle. Ich möchte demgegenüber aus der Vereinbarung, Herr Minister, zitieren, daß der Beirat ausschließlich politische Aufgaben hat und keineswegs exekutive. Es heißt im Wortlaut:
Der Beirat wählt den hauptamtlichen Leiter der vorläufigen Langwellensendungen. Er berät den Leiter bei der Programmgestaltung. Er ist beim Wirtschaftsplan zu hören. Die Berufung und Abberufung des Leiters der politischen Sendungen, der leitenden politischen Redakteure und leitenden Nachrichtenredakteure bedürfen der Zustimmung des Beirats.
Damit ist seine ganze Funktion umschrieben. Das sind keine exekutiven Aufgaben in dem Sinne, in dem Sie es darstellten. Das sind politische Aufgaben, und es ist nicht einzusehen, warum bei diesen politischen Aufgaben einseitig nur die Bundesregierung vertreten sein soll.
Und nun zum Zweiten! Mein Kollege Brandt hat es schon gesagt: Wir sind damit einverstanden, daß die Kirchen angesichts ihrer großen Bedeutung in einem solchen Beirat vertreten sein sollen. Selbstverständlich! Aber dann werden auch andere Kräfte aufgenommen werden müssen wie z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund als eine der repräsentativen Kräfte des deutschen Volkes.
Damit ist auch die Frage beantwortet, die Sie. Herr Minister, an mich gerichtet haben, ob ich der Meinung sei, daß auch die Ländervertretungen aus Landtagsabgeordneten und Regierungsvertretern bestehen sollten. Da in der Vereinbarung nur drei Ländervertretungen vorgesehen sind, war hier natürlich auch keine Aufspaltung zwischen Regierung und Abgeordneten möglich, wenn Sie nicht den Vorschlag einer personalen Kernspaltung machen wollen. Wenn der Beirat aber schon durch Hinzuziehung anderer Persönlichkeiten vergrößert werden soll, dann ist es auch möglich und meines Erachtens richtig, daß bei den Ländervertretungen nicht nur die Regierungen, sondern auch die Länderparlamente zum Zuge kommen.
Nun haben Sie noch die konkrete Frage an mich gerichtet, wo jemals die Bundesregierung angedeutet habe, daß sie die Chefredaktion nach Bonn haben wolle. Ich habe es schon zitiert, will es aber noch einmal tun: Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Brief an den Regierenden Bürgermeister der Stadt Berlin vom 30. Mai 1956 geschrieben, daß eine Chefredaktion gebildet wird, die ihren Sitz sowohl in Bonn als auch in Berlin hat. Ich glaube, Herr Minister, Sie werden mir zustimmen: Das bedeutet doch wohl, daß die Chefredaktion in Bonn sitzt und daß sie lediglich einen dekorativen Außenposten in Berlin hat. Auf jeden Fall wurde hier seitens der Regierung die Forderung erhoben: Sitz der Chefredaktion in Bonn!
Und nun eine letzte Frage: Propagandasender. Bitte, Herr Minister, Sie haben auf die Regelung in London hingewiesen. Auch diese Regelung ist von Ihnen so, wie sie im BBC praktiziert worden ist, sachlich nicht richtig vorgetragen worden. Wir sind im Prinzip mit Ihnen einig, wenn Sie sagen, daß an die Spitze aller dieser Einrichtungen eigentlich unabhängige Persönlichkeiten gehörten. Wenn Sie mit einer Seitenbemerkung gegen uns gesagt haben, daß man nicht auf allen Seiten dieses Hauses so großzügig sei, so war die Blickrichtung auf uns, glaube ich, nicht gerechtfertigt. Sonst würden wir gern zu anderer Zeit einmal die personalpolitischen Hintergründe bei den neu errichteten Rundfunkanstalten Deutschlands beleuchten und darüber diskutieren.
Sie sagen, unabhängige Persönlichkeiten! — Gut, im Prinzip einverstanden. Aber wer bestimmt darüber, wer unabhängig ist? Man hört so oft: Die Besten müssen es sein! Nun, meine Damen und Herren, die Besten gehörten überall an die Spitze, die Besten gehörten auch an die Spitze der Regierung!
Ich bin sicher, daß Sie nicht sagen wollen, meine Damen und Herren, daß nicht auch diese Institution dem Gesetz der menschlichen Unzulänglichkeit unterliegt.
Nun, Herr Minister, Sie haben auf die Regelung beim BBC in London hingewiesen. Es ist aber nicht wahr, daß der britische Premierminister zu jeder Zeit, wenn er das für notwendig erachtet, unwidersprochen vor das Mikrophon treten kann.
Ich zitiere Ihnen eine Regelung, wie sie bei BBC ist. Ich würde es für gut halten, wenn auch wir in Deutschland sie praktizierten.
— Verzeihung, wenn ich Sie mißverstanden habe. Trotzdem will ich die Regelung zitieren, meine Damen und Herren, weil sie eine Lösung zum Inhalt hat, die wir für richtig halten, die aber die Regierungsvertreter bei der Diskussion des § 5 der Staatsverträge bisher nicht gefordert und nicht akzeptiert haben. Ich wäre glücklich, Herr Minister, wenn Sie Ihre Vertreter anweisen würden, bei den künftigen Beratungen über diesen Paragraphen des Staatsvertrags die Linie zu befolgen, die in den Regelungen für die politischen Sendungen von BBC enthalten ist. Dort heißt es wörtlich: „Es wird erwartet, daß sich die Minister, die in diesen Sendungen sprechen, so unparteiisch wie möglich verhalten. Es ist jedoch vorgesehen, daß die Opposition antworten kann, wenn sie der Meinung ist, daß kein genügendes Maß von Unparteilichkeit erreicht wurde."
— Wenn, ja! Wenn die Opposition das glaubt, hat sie das Recht, dagegen zu sprechen. — Während der Woche, in der der Haushaltsplan beraten wird, sprechen der Schatzkanzler der britischen Regierung und gleich lange ein Vertreter, den die Opposition bestimmt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Kühn, ist Ihnen bekannt, daß in England die BBC der Zensur des Generalpostmeisters, also eines Regierungsbeamten, untersteht?
In England ist eine Regelung paraphiert — schriftlich! —, aus der ich hier nach dem britischen Informationsdienst vom 18. Juni zitiert habe, an die sich auch der Generalpostmeister zu halten hat und 'die genau, expressis verbis, das Verfahren des politischen Sprechens vor dem Mikrophon festlegt. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Regelung, die BBC vorgenommen hat, in ein deutsches Rundfunkgesetz einführen wollen, werden Sie dafür immer unsere Zustimmung finden, Das wollte ich zum Schluß an die Adresse des Herrn Bundesinnenministers als Ratschlag und in einigen Punkten auch als Berichtigung seiner Darlegungen noch sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nähern uns einander in manchen Fragen ja ganz außerordentlich. Aber trotzdem, Herr Kollege Kühn, darf ich etwas klarstellen. Sie haben mich für etwas zitiert, was ich nicht behandelt habe, nämlich die Frage, ob die Bundesregierung jemals von Bonn und Berlin gesprochen hat. Damit habe ich mich nicht beschäftigt; das war, glaube ich, Kollege Brookmann. Was BBC angeht, so habe ich gesagt: Der britische Premierminister ernennt den Generaldirektor von BBC; und dabei bleibe ich. Diese Kenntnis verdanke ich der Unterhaltung mit einem Mitglied der britischen Regierung. Das ist ein sehr wesentlicher Punkt. Sie werden zugeben, daß von einer solchen Regelung bei uns in weitem Felde keine Rede ist und bisher solche Vorschläge nicht gemacht worden sind. Wenn wir uns in dieser Richtung verständigen könnten, würde ich das für begrüßenswert halten.
Im übrigen hat BBC eine Regelung, die geradezu ein Nachrichtenmonopol amtlicher Art vorsieht, also sehr, sehr viel striktere Bestimmungen, als sie bei uns gegeben sind.
Der andere Grundsatz, den Sie erwähnten, daß nämlich nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch Vertreter der politischen Opposition sprechen sollten, wird bei uns doch wirklich in weitestem Umfang gehandhabt,
so daß ich schon glaube, daß die Vorkehrungen, die wir dafür in den Verträgen niederlegen wollen, durchaus bisheriger Übung und der Fairneß entsprechen würden.
Herr Kollege Kühn ist noch einmal auf die Zusammensetzung des Beirates eingegangen. Er räumte eigentlich schon ein, wie ich zu meiner Freude sehe, daß der Gedanke, den seine Fraktion verfolgt, bei dieser zahlenmäßigen Zusammensetzung praktisch nicht realisierbar ist; für die Länder hat er das bei dieser Zahlengröße bereits rundweg abgelehnt. Bleibt der Weg, eine solche Institution zu vergrößern. Aber jeder, der nur etwas davon versteht, wird mir darin zustimmen, daß die Vergrößerung eines solchen Beirats nur zu seiner kompletten Arbeitsunfähigkeit führen würde. Damit wäre uns auch wieder nicht gedient.
Ich bleibe im übrigen dabei, daß die zwei in der Vereinbarung unter a bis d festgelegten Funktionen exekutive Funktionen sind, vergleichbar der Stellung eines Aufsichtsrats. Aber das ist ein Punkt, den wir nicht weiter zu vertiefen brauchen. Ich bin durchaus der Meinung, daß das allgemeinpolitische Anliegen gerade mit Unterstützung des Parlaments verwirklicht werden soll und daß sich zusätzlich zu einem solchen Beirat Einrichtungen denken lassen, die die Gewähr dafür bieten, daß jede Stimme, die gehört werden sollte, auch zu Gehör kommt. Das sind Modalitäten der späteren Durchführung, die den Kern der Sache nicht berühren und über die wir uns, glaube ich, leicht verständigen können.
Ich darf mich dann dem Kollegen Brandt zuwenden, der ganz in Übereinstimmung mit meiner Auffassung hervorgehoben hat, daß Berlin sowohl in seiner heutigen wie der, wie wir hoffen, künftigen Rolle gestärkt werden soll. Herr Kollege Brandt, ich bemühe mich taglich, dazu beizutragen. Ich habe heute morgen in Berlin im Robert-KochInstitut den neuen Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes eingeführt und mich bei dieser Gelegenheit dafür eingesetzt, daß noch mehr wesentliche Teile des Bundesgesundheitsamtes tatsächlich mit Berlin verbunden werden. Ich glaube, wir lassen es überall da, wo es realistisch und praktisch möglich ist, weder am guten Willen, noch an den entsprechenden Taten fehlen.
Selbstverständlich gilt das Wort des Herrn Bundeskanzlers. Leider sind seine Ausführungen nicht ganz zitiert worden; sonst würden Sie feststellen, daß das, was ich hier ausgeführt habe, völlig mit dem übereinstimmt, was die Bundesregierung bisher in dieser Frage an Verlautbarungen herausgegeben hat. Ich darf aus einem Schreiben zitieren, das in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers Herr Blücher an den Bürgermeister Amrehn gerichtet hat. In diesem Schreiben vom 14. August heißt es:
Bei früheren Verhandlungen hat der Herr Staatssekretär Bleek als Verhandlungsführer des Bundes erklärt, daß er sich bei der Bundesregierung für Berlin als Sitz des Langwellensenders einsetzen werde. Ich bestätige diese Erklärung seitens der Bundesregierung.
Damit ist, glaube ich, der Ring völlig geschlossen. Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten über diesen Punkt. Es wäre schlecht, wenn hier die Meinung bestehenbleiben sollte, als ob der Herr Bundeskanzler irgendeine Zusage nicht gehalten hätte oder beabsichtige, sie nicht zu halten.
Weiter ist die Frage aufgeworfen worden, ob Chefredaktion und Funkhaus wirklich getrennt werden können. Herr Kollege Brandt hat ausge-
führt, daß die technischen Möglichkeiten gegeben sind, über einen Ort zu senden, der mehrere hundert Kilometer entfernt liegt. Die Frage ist aber, ob der Gesamtzusammenhang eines Funkhauses, wie er hier besteht, gewahrt werden muß oder nicht. Diese Frage, in der ich kein Sachverständiger bin, mag ausführlich geprüft werden. Wir werden sicherlich bereit sein, die Lösung zu wählen, die sich als notwendig und richtig ergibt.
Herr Kollege Brandt, ich muß dann leider noch auf die Ausdeutung zurückkommen, die Sie der Stellung von Vertretern des Parlaments im Beirat gegeben haben. Sie haben — ich kann es nicht ganz wörtlich zitieren — dem Sinne nach gesagt, dadurch solle sichergestellt werden, daß nicht eine große politische Gruppe in Deutschland mit einer Art Minderwertigkeitsstempel versehen werde. Das Wort Minderwertigkeitsstempel haben Sie gebraucht, Herr Kollege Brandt. Wer sich unser Vaterland realistisch ansieht — Sie sind Berliner, und ich habe vorhin die Berliner wegen ihrer realistischen Betrachtung gelobt —, kann doch nicht sagen, daß eine große politische Gruppe — Sie haben dabei höchstwahrscheinlich an Ihre eigene Fraktion gedacht — einen Minderwertigkeitsstempel aufgedrückt bekäme. Zwei der größten Regierungen, die es in Deutschland gibt, die in Düsseldorf und München, die über zwei der größten Sendebereiche verfügen, stehen, wenn ich mich recht erinnere, unter sozialdemokratischer Führung.
Ich möchte aus Höflichkeit von dem Land schweigen, in dem wir uns augenblicklich befinden, und möchte seine politische Führung hier nicht zitieren. Aber bei den Regierungen in Düsseldorf und München sieht es auch in bezug auf den Rundfunk nicht so aus, als hätte die Sozialdemokratische Partei dort einen Minderwertigkeitsstempel aufgedrückt bekommen.
Wir sollten uns nicht aus dieser Debatte herausbegeben, ohne uns in einem Punkt klipp und klar festgelegt zu haben. Wollen wir wirklich, daß bald und sehr schnell — nach meiner Meinung in allerkürzester Zeit — Langwellensendungen stattfinden oder nicht? Wenn wir wollen, daß sie stattfinden — und alle beklagen sich darüber, daß das seit vier Jahren bisher nicht gelungen ist —, dann können wir nur die Regelung wählen, wie wir sie zunächst vorgeschlagen haben. Sonst fangen die Sendungen erst in anderthalb bis zwei Jahren an. Das ist ein Faktum, das völlig klar liegt. Wenn Berlin in die Lage versetzt werden soll, zu dem vorgesehenen Termin seinerseits senden zu können, dann sollten wir gleichzeitig alle Kraft darauf verwenden, daß hierzu die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist eine Frage, in der wir uns sehr leicht finden werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandt, ich glaube, Sie haben mit Ihren Worten der Sache, die Sie vertreten, der Sache des Langwellensenders und sogar der Sache Berlin einen schlechten Dienst erwiesen.
Herr Kollege Brandt: wir sind bereit, uns mit Ihnen über die Stadt Berlin und alle anderen uns gemeinsam angehenden Fragen ruhig und sachlich zu unterhalten. Die Schärfe des Tones, die Sie in die Sache hineingebracht haben, ist ihr nicht angemessen, und Sie tun denen, die sie von der Regierungsseite zu behandeln haben, ein bitteres Unrecht.
Herr Kollege Brandt: ich hatte einige Jahre hindurch den Vorzug, Vorsitzender des Ausschusses für Berlin zu sein. Es war meine Anregung — das ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht uninteressant —, diesen Ausschuß, nachdem die gesetzgeberischen Aufgaben für Berlin erledigt waren, aufzulösen und ihn in den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen übergehen zu lassen. Diesem Ausschuß stand — und wir wußten, daß er ihm weiterhin vorstehen würde — Herr Abgeordneter Wehner vor, ein Mitglied Ihrer Partei. Herr Kollege Brandt, wir haben also immer und zu jeder Zeit unter Beweis gestellt, da die gesamtdeutsche Aufgabe — und nur um diese kann es sich handeln, wenn Sie von uns eine gemeinsame Politik verlangen — mit Ihnen gemeinsam gelöst werden soll. Uns an dieser Stelle vorzuwerfen, daß wir dieser gesamtdeutschen Aufgabe einen parteipolitischen Akzent geben, — ich bin fest überzeugt, Herr Brandt, das tut unserer gemeinsamen Sache ernstlich Abbruch.
Es wird auf diese Weise nach außen hin der Eindruck erweckt, als ob bei dem, was wir — das war meine Überzeugung — in der Vergangenheit gemeinsam getan haben, nicht das ganze deutsche Volk, sondern nur ein Teil des deutschen Volkes gesprochen hat; ein Teil, der zwar heute die Regierung stellt, sie möglicherweise aber morgen nicht mehr stellen wird, so daß man also in den anderen Teilen der Welt und der Zone nicht mehr weiß, was morgen die Sprache dieses gemeinsamen Deutschlands sein wird.
Herr Kollege Brandt, ich darf wieder ein Beispiel aus unserem gemeinsamen Lebensbereich wählen. Wir haben vor einiger Zeit in Bonn eine kleine Berlin-Woche veranstaltet, die dazu dienen sollte, die Aufmerksamkeit der Bürger der Stadt Bonn auf Berlin zu lenken. Es ist mir ein sehr ernster Wunsch gewesen, dabei namhafte Berliner Politiker zu Wort kommen zu lassen. Es sind zwei namhafte Berliner Politiker zu Wort gekommen: der gemeinsame und verehrte Kollege Bach, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, und Sie, Herr Kollege Brandt.
Ein Mitglied einer anderen Partei hat im Rahmen dieser Berlin-Woche in offiziellen Veranstaltungen nicht gesprochen. Herr Kollege Brandt, Sie können doch — —
— Meine Damen und Herren! Ich erzähle Ihnen diese einzelnen Beispiele aus der gemeinsamen Arbeit, um immer wieder und erneut unter Beweis zu stellen, daß diese Regierung und die Koalitionsparteien immer und zu aller Zeit das gemeinsame deutsche Interesse über alles stellen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat am Schluß seiner Ausführungen jetzt in der Debatte wiederholt, daß es seiner Meinung nach erforderlich sei, mit der Verwirklichung des Planes einer gesamtdeutschen Langwelle der Bundesrepublik sofort anzufangen. Ich wiederhole, daß wir das durchaus unterschreiben können, wenn damit nicht irgendeine zukünftig zu treffende Überprüfung verbunden wird, sondern die Vorwegbestimmung dessen, worüber wir uns angeblich einig sind: Sitz des Senders ist Berlin, Chefredaktion kommt nach Berlin!
Herr Kollege Dr. Bucerius hat mir einen ernsten Tadel erteilt.
Ich muß ihn hinnehmen, und ich nehme ihn nicht leicht hin, denn ich weiß, Herr Kollege Dr. Bucerius, um Ihre Arbeit für unsere Stadt. Ich weiß, daß Sie jedes der Worte, die Sie glaubten hier sagen zu müssen, aus Ihrer Überzeugung gesagt haben. Gerade das aber gibt mir das Recht, ja, die Verpflichtung, das, was ich vorhin ausgeführt habe, zu substantiieren. Ich muß das auch tun nach der Bemerkung des Herrn Bundesinnenministers: wenn er sich im deutschen Bund umschaue, bemerke er nichts von dem von mir beanstandeten Sachverhalt. Er hat geglaubt, es sei richtig, das zu sagen.
Lassen Sie mich dazu ein paar Sätze sagen. Der Herr Bundesinnenminister hat von zwei großen deutschen Ländern gesprochen, die unter sozialdemokratischer Führung stehen; er hat dann auch das Land Berlin erwähnt. Jeder, der die deutsche Innenpolitik der letzten Jahre auch nur etwas verfolgt hat, weiß doch, was hier gespielt worden ist, weiß, daß man durch die Länder gefahren ist und zusammengefegt hat, was sich zusammenfegen ließ, um aus der Mentalität des Kaiserreiches — nicht einer Demokratie der fünfziger Jahre — die Sozialdemokraten überall, wo es ging, herauszudrängen.
— Wir wissen doch, lieber Herr Dr. Bucerius, daß sogar in einer Stadt wie Bremen — nachdem es in Hamburg passiert war — die Ablösung Kaisens nach demselben Rezept geplant war. Nur weil das Wahlergebnis es nicht möglich machte, erfolgte sie nicht, und Kaisen zog nicht den Schluß nach der anderen Seite, sondern führte eine breite Zusammenarbeit weiter, wie wir sie in Berlin geführt haben. Von dieser breiten Zusammenarbeit bei der Lösung dieser Aufgabe hätten wir heute mehr gewünscht!
Herr Dr. Bucerius, bei uns sind Narben da, bei Sozialdemokraten in Berlin, im Ostsektor dieser Stadt und in der sowjetisch besetzten Zone, Narben aus der Zeit, als ein mächtiger Bundesapparat versuchte, den Sozialdemokraten den Stempel „halbe Kommunisten" aufzudrücken,
Narben aus einer Zeit, in der Dinge unterstellt wurden, wie wir sie im letzten Bundestagswahlkampf erlebt haben.
— Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Kollege: das pflegt sonst der Osten zu sagen, das pflegt sonst in der Ostpresse zu stehen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß das so nicht weitergeht. Der Anspruch, den ich angemeldet habe — und Sie wissen ganz genau, daß er nicht aus der Luft gegriffen ist —, ist nicht mehr und nicht weniger als der Anspruch auf innere und volle Gleichwertigkeit der tragenden demokratischen politischen Kräfte in diesem Lande, — nicht mehr und nicht weniger!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Bucerius.
Herr Kollege Brandt, ich glaube, es liegt im Interesse der Stadt Berlin, diese Diskussion nicht fortzusetzen.
Herr Brandt, ich möchte nur zwei Worte sagen. Sie sprachen von der Mentalität des Kaiserreichs, die Sozialdemokraten überall herauszudrängen. Ich möchte Ihnen sagen: Als Kaiser Wilhelm II. abdankte, war ich ein Kind und in politischer und in jeder anderen Beziehung unmündig. Vom Geist dieses Kaiserreichs weiß ich nur aus der Literatur, und glauben Sie mir: er ist mir fremd. Ich bin im Geiste der Demokratie erzogen worden, ebenso wie der größte Teil der Abgeordneten dieses Hauses. Ich habe gewisse Zweifel, ob Sie persönlich über den Geist dieses Kaiserreichs so unterrichtet sind, daß Sie in der Lage wären, ihn uns als einen Maßstab vorzuhalten.
Zweitens, Herr Kollege Brandt: Jedesmal, wenn uns — der CDU — Vorwürfe gemacht werden, wir stempelten die Sozialdemokraten als Halbkommunisten, wird auf ein besonderes Beispiel verwiesen, das in der Tat Anlaß geben könnte, diesen Vorwurf für berechtigt zu halten. Herr Kollege Brandt, ich möchte vorweg gerade in dieser Stadt sagen: Nichts ist nach meiner Überzeugung verantwortungsloser, als diese große Partei, die eine erhebliche Zahl zuverlässiger demokratischer Wähler hinter sich weiß, politisch irgendwie in die Nähe der Kommunisten zu rücken.
— Herr Mellies, ich sage meinem Parteichef allerlei; dessen können Sie sicher sein. Sie werden das in diesem Hause auch bereits erlebt haben. — Herr Kollege Mellies, in dem nach dem Zusammenbruch wieder entstandenen politischen Leben war es nicht vermeidlich, daß ganz rechts und ganz links extreme Kräfte ihr Werk begannen. Wir
haben in irgendeiner Weise mit den Kräften ganz rechts fertig werden müssen; Sie müssen mit den Kräften ganz links fertig werden. Wie Sie uns zugestehen werden, daß wir unsere Aufgabe mit Mut, Tatkraft und Erfolg in Angriff genommen haben, so werden wir Ihnen gern attestieren, daß Sie auch Ihrerseits diese Aufgabe mit erstaunlichem, für das deutsche Volk und unser Vaterland segensreichem Erfolg in Angriff genommen und durchgeführt haben.
Herr Kollege Brandt, ich erinnere mich sehr genau an den Vorfall, auf den immer exemplifiziert wird. Ich glaube, es war Herr Kollege Neumann, der mir, als wir im 1. Bundestag diese Diskussion schon einmal hatten, die Frage vorgehalten hat: Was liegt nun eigentlich vor? Wo ist diese Behauptung aufgestellt worden? Der Vorfall ist ein Plakat im letzten Wahlkampf, in dem stand: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau". Nicht wahr, Herr Neumann, Sie haben es mir das letzte Mal, als wir diese Debatte in Bonn führten entgegengehalten, und, Herr Neumann, dieses Plakat ist im letzten Wahlkampf in der Tat verwandt worden; ich habe es bei seinem ersten Auftreten mißbilligt. Aber dieses Plakat - verzeihen Sie mir - stammt nicht von uns, sondern es stammt von denen, von denen Sie heute und seit geraumer Zeit in diesem Hause regelmäßig den Beifall erhalten, nämlich von Ihren Freunden in der Freien Demokratischen Partei.
- So stand es in der „Welt" zu lesen und ist unwidersprochen geblieben. - Deren, der FDP Meinung, Herr Neumann, mag es in der Tat sein, daß alle Wege des Marxismus nach Moskau führen. Herr Neumann, wie es mit dem Marxismus in diesem Lande steht, ist eine andere Frage. Wir sind der Meinung, daß der Weg aller deutschen Parteien - der unsere wie der Ihre - nach Berlin zur Wiedervereinigung führen wird. Ich möchte gerade Ihnen das als Antwort auf die Vorwürfe, die Herr Brandt uns macht, mit allem Nachdruck, aller Feierlichkeit bestätigen. Wir gemeinsam
haben ein großes Ziel, und S i e haben zu diesem Ziel mit Ihren Kräften beigetragen, wie wir es mit unseren Kräften getan haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Nur eine Richtigstellung. Herr Kollege Brandt hat davon gesprochen, daß in Bremen versucht worden sei, Bürgermeister Wilhelm Kaisen bei der Regierungsbildung auszumanövrieren.
- Nein, das ist nicht wahr. Keine zu einer offiziellen Verlautbarung befugte Stelle der CDU hat jemals davon gesprochen, daß Wilhelm Kaisen ausmanövriert werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Es ist beantragt Oberweisung der beiden Drucksachen 2627 neu und 2761 an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films - federführend - und an den Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen und Berliner Fragen zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Es ist an mich eben herangetragen worden, daß interfraktionell vereinbart worden sei, nach diesem Punkt die Beratungen zu vertagen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Meine Damen und Herren! Ich berufe die nächste, die 164. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 11. Oktober 1956, 9 Uhr 30, und schließe die heutige Sitzung.