Rede von
Reinhold
Rehs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt die Initiative des vorliegenden Antrags, weil damit erneut die Hilfe) maßnahmen für einen Kreis von Personen zur Erörterung gestellt werden, die einer besonderen Fürsorge und Betreuung bedürfen. Es bedarf in der Tat einer eingehenden und umfassenden Prüfung, ob die auf diesem Gebiet bisher getroffenen Maßnahmen ausreichen und wie sie sich für die von dem Herrn Vorredner genannten Gruppen auswirken.
Ich kann es mir versagen, auf die Lage dieses Personenkreises, das Schicksal, das die Betreffenden hinter sich haben, die Drangsalierungen und Leiden, die sie durchgemacht haben, noch einmal näher einzugehen. Ich brauche auch nichts über die menschliche und politische Verantwortung zu sagen, die wir alle dafür haben, daß die Hoffnungen, die dieser Personenkreis beim Übergang in die Bundesrepublik gehabt hat, erfüllt werden.
Der Bundestag hat, als er am 28. Juni dieses Jahres den Kreis der Bezugsberechtigten einer Begrüßungsgabe erweiterte und die Notwendigkeit zusätzlicher Wohnungsbaumaßnahmen anerkannte, bereits bewiesen, daß er in dieser Frage eines Sinnes und eines Willens ist. Mit diesen Beschlüssen wurden zwei materiell sehr wichtige Teile des Gesamtproblems der Versorgung der Aussiedler vorangebracht. Denn außer Zweifel ist neben der ersten finanziellen Hilfe beim Übergang in die Bundesrepublik die schnellstmögliche Beschaffung angemessenen Wohnraums das Wichtigste.
Wegen des Zusammenhangs mit dem Gesamtproblem möchte ich die Gelegenheit benutzen, hierzu einige kritische Bemerkungen zu machen. Wenn zutrifft, was mir berichtet wurde, können wir mit dem Fortgang der wichtigen Maßnahme für die Umsiedler, nämlich mit der Entwicklung des Wohnungsbaus, nicht zufrieden sein. Wir werden den Beschluß vom 28. Juni, der laufende Berichte darüber anforderte, wahrmachen und die Bundesregierung darum bitten müssen, uns einen Zwischenbericht über den Gang dieser Dinge vorzulegen. Nach meiner Kenntnis der Verhältnisse in den Ländern hält der Bau von Wohnungen für die Aussiedler mit der Zahl der Umsiedler auch nicht annähernd Schritt. Das liegt allerdings weniger an den Ländern als an dem Prinzip der nachträglichen Mittelzuteilung durch den Bund, also daran, daß der Herr Bundesfinanzminister genau wie beim Bau von Wohnungen für die Sowjetzonenflüchtlinge die Mittel immer erst nachträglich, also für das Jahr 1955 erst im Jahre 1956 usw., zur Verfügung stellt.
Bekanntlich vergehen von der Projektierung bis zur Fertigstellung und zum Bezug neuer Wohnungen ohnehin 18 Monate bis zwei Jahre. Hinzu kommen die Schwierigkeiten bei der Beschaffung erststelliger Hypotheken und der Umstand, daß die bisherigen Förderungsmittel von 1500 DM je Zuwanderer nicht mehr ausreichen. Wenn dann noch die Zahl der Umsiedler zunimmt und das Prinzip der nachträglichen Mittelbereitstellung durch den Bund beibehalten wird, muß zwangsläufig ein Wohnungsrückstand eintreten, der zu einer erneuten hoffnungslosen Überfüllung der Lager führt und der von uns nicht verantwortet werden kann.
Ich bitte das Hohe Haus daher schon jetzt bei dieser Gelegenheit um die Unterstützung unserer Bitte, das Bundesfinanzministerium möge das Prinzip der nachträglichen Mittelbereitstellung in diesem Fall und für diesen Zweck ändern und den Ländern alle Hilfe zuteil werden lassen, die sie brauchen, um unseren gemeinsamen Willen, den Wohnungsbau für diesen Personenkreis in jeder nur denkbaren Weise zu beschleunigen, verwirklichen zu können.
Meine Damen und Herren! Was das Anliegen des Antrages im einzelnen anlangt, so werden wir in den Ausschußberatungen eingehend prüfen müssen, ob die materiellen Tatbestände, deren Regelung mit dem vorliegenden Antrag erstrebt wird, ein besonderes Gesetz erfordern oder ob eine Korrektur oder Ergänzung der schon bestehenden Gesetze hierfür ausreicht. Ohne Zweifel weisen die gesetzlichen Regelungen der Fürsorge und Betreuung der Aussiedler erhebliche Lücken auf. So erscheint mir — darauf möchte ich ergänzend zu den Ausführungen des Vorredners hinweisen — eine erweiterte Krankenhilfe und Heilfürsorge notwendig. Ein Erholungsaufenthalt muß ähnlich wie bei den Heimkehrern vorgesehen werden können, um die Menschen, die zum Teil jahrelang fast vitaminlos haben leben müssen, physisch und psychisch überhaupt erst zu befähigen, ihre Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen.
Einer besonderen Überprüfung bedarf unseres Erachtens auch der Bereich der beruflichen und schulischen Maßnahmen für die Jugendlichen. Diese Frage ist in dem Antrag bisher allerdings nicht berührt. Wir werden uns trotzdem damit beschäftigen müssen; denn gerade hier wird mehr geleistet werden müssen, als zur Zeit möglich ist. Das, was auf diese jungen Menschenkinder einstürmt, die zum Teil noch nicht einmal deutsch sprechen können und die in ihrer Entwicklung zehn bis zwölf Jahre nachzuholen haben, ist so außerordentlich, daß die Jugendlichen einer besonderen Pflege und Betreuung bedürfen.
Vor allem aber sollten wir — diese Anregung möchte ich an die Ministerien richten — die Frage prüfen, was geschehen kann, um eine zentrale Betreuung der Aussiedler wenigstens in den Städten zu gewährleisten. Gewiß, der Herr Bundesvertriebenenminister hat dankenswerterweise in Gestalt des „Wegweisers für Aussiedler" eine Art Fibel für die ersten Schritte und einen Leitfaden über die verschiedenen gesetzlichen Hilfsmöglichkeiten herausgegeben. Das ist aber — ich will damit den Wert nicht schmälern — mehr ein Wegweiser für die Helfer als für diejenigen, die die Hilfe benötigen. Es ist ja schon für einen ein- und ausgewachsenen Bundesbürger sehr schwer, sich in dem Labyrinth der Bestimmungen und Behörden zurechtzufinden. Für den, der jahrelang in Lagern hinter dem Ural leben mußte, ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist auch der Ariadne-Faden dieses „Wegweisers für Aussiedler" zu dünn. Da sollte wirklich ohne Rücksicht auf die Zuständigkeit geprüft werden, ob eine zentrale Beratung möglich ist, ohne daß deshalb eine neue Institution oder ein neuer Behördenapparat aufgezogen werden muß. Ich denke mir, daß eine Anregung an den Städtetag, in den Sozialämtern eine solche zentrale Stelle zu schaffen, nicht auf unfruchtbaren Boden fallen wird.
Meine Damen und Herren! Nur eine kurze kritische Bemerkung zum Schluß. Daß die Maßnahmen der Betreuung und Fürsorge für die Aussiedler über die seinerzeit vom Bundestag gefaßten Beschlüsse hinaus einer Ergänzung bedürfen, ist, glaube ich, die Meinung aller. Ich sagte: ob dafür ein besonderes Gesetz notwendig ist, werden die Beratungen im Ausschuß ergeben. Aber ich frage: Warum hat die Bundesregierung, die die Verhältnisse doch kennt und übersehen muß, diese Frage nicht längst von sich aus aufgegriffen
und im Hause die Vorstellungen entwickelt, die sie von einer ausreichenden Betreuung dieser Aussiedler hat? Oder hat sie noch keine Vorstellungen in dieser Hinsicht? Warum hinkt die Bundesregierung immer hinter den sozialen Problemen nach?
Wenn sie der Meinung ist, daß es zur Versorgung eines besonderen Gesetzes nicht bedarf, warum hat sie dann die notwendigen materiellen Maßnahmen nicht schon von sich aus getroffen?
Muß sie dazu erst immer wieder durch die Initiative dieses Hauses und die Initiative der Opposition angehalten werden?
Meine Fraktion jedenfalls wird bei den Beratungen im Ausschuß alles tun, um für diesen Personenkreis eine menschlich und sozial wirklich befriedigende Regelung herbeizuführen, und stimmt der Überweisung an den Ausschuß zu.