Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Brandt, ich glaube, es liegt im Interesse der Stadt Berlin, diese Diskussion nicht fortzusetzen.
Herr Brandt, ich möchte nur zwei Worte sagen. Sie sprachen von der Mentalität des Kaiserreichs, die Sozialdemokraten überall herauszudrängen. Ich möchte Ihnen sagen: Als Kaiser Wilhelm II. abdankte, war ich ein Kind und in politischer und in jeder anderen Beziehung unmündig. Vom Geist dieses Kaiserreichs weiß ich nur aus der Literatur, und glauben Sie mir: er ist mir fremd. Ich bin im Geiste der Demokratie erzogen worden, ebenso wie der größte Teil der Abgeordneten dieses Hauses. Ich habe gewisse Zweifel, ob Sie persönlich über den Geist dieses Kaiserreichs so unterrichtet sind, daß Sie in der Lage wären, ihn uns als einen Maßstab vorzuhalten.
Zweitens, Herr Kollege Brandt: Jedesmal, wenn uns — der CDU — Vorwürfe gemacht werden, wir stempelten die Sozialdemokraten als Halbkommunisten, wird auf ein besonderes Beispiel verwiesen, das in der Tat Anlaß geben könnte, diesen Vorwurf für berechtigt zu halten. Herr Kollege Brandt, ich möchte vorweg gerade in dieser Stadt sagen: Nichts ist nach meiner Überzeugung verantwortungsloser, als diese große Partei, die eine erhebliche Zahl zuverlässiger demokratischer Wähler hinter sich weiß, politisch irgendwie in die Nähe der Kommunisten zu rücken.
— Herr Mellies, ich sage meinem Parteichef allerlei; dessen können Sie sicher sein. Sie werden das in diesem Hause auch bereits erlebt haben. — Herr Kollege Mellies, in dem nach dem Zusammenbruch wieder entstandenen politischen Leben war es nicht vermeidlich, daß ganz rechts und ganz links extreme Kräfte ihr Werk begannen. Wir
haben in irgendeiner Weise mit den Kräften ganz rechts fertig werden müssen; Sie müssen mit den Kräften ganz links fertig werden. Wie Sie uns zugestehen werden, daß wir unsere Aufgabe mit Mut, Tatkraft und Erfolg in Angriff genommen haben, so werden wir Ihnen gern attestieren, daß Sie auch Ihrerseits diese Aufgabe mit erstaunlichem, für das deutsche Volk und unser Vaterland segensreichem Erfolg in Angriff genommen und durchgeführt haben.
Herr Kollege Brandt, ich erinnere mich sehr genau an den Vorfall, auf den immer exemplifiziert wird. Ich glaube, es war Herr Kollege Neumann, der mir, als wir im 1. Bundestag diese Diskussion schon einmal hatten, die Frage vorgehalten hat: Was liegt nun eigentlich vor? Wo ist diese Behauptung aufgestellt worden? Der Vorfall ist ein Plakat im letzten Wahlkampf, in dem stand: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau". Nicht wahr, Herr Neumann, Sie haben es mir das letzte Mal, als wir diese Debatte in Bonn führten entgegengehalten, und, Herr Neumann, dieses Plakat ist im letzten Wahlkampf in der Tat verwandt worden; ich habe es bei seinem ersten Auftreten mißbilligt. Aber dieses Plakat - verzeihen Sie mir - stammt nicht von uns, sondern es stammt von denen, von denen Sie heute und seit geraumer Zeit in diesem Hause regelmäßig den Beifall erhalten, nämlich von Ihren Freunden in der Freien Demokratischen Partei.
- So stand es in der „Welt" zu lesen und ist unwidersprochen geblieben. - Deren, der FDP Meinung, Herr Neumann, mag es in der Tat sein, daß alle Wege des Marxismus nach Moskau führen. Herr Neumann, wie es mit dem Marxismus in diesem Lande steht, ist eine andere Frage. Wir sind der Meinung, daß der Weg aller deutschen Parteien - der unsere wie der Ihre - nach Berlin zur Wiedervereinigung führen wird. Ich möchte gerade Ihnen das als Antwort auf die Vorwürfe, die Herr Brandt uns macht, mit allem Nachdruck, aller Feierlichkeit bestätigen. Wir gemeinsam
haben ein großes Ziel, und S i e haben zu diesem Ziel mit Ihren Kräften beigetragen, wie wir es mit unseren Kräften getan haben.