Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag ist zur Arbeit nach Berlin gekommen. Aber erlauben Sie mir, am Anfang dieser Sitzung dem Herrn Regierenden Bürgermeister, dem Senat, der Technischen Universität und der Bevölkerung dieser alten Hauptstadt Deutschlands herzlichen Dank zu sagen für die freundliche Aufnahme, die dem Deutschen Bundestag hier zuteil wurde.
Sie haben es ja in der Zeitung gelesen, und wir sind uns vorher in Bonn darüber einig geworden, daß wir hier keine Festreden halten, sondern, wie gesagt, arbeiten wollen. Wir glauben, meine Damen und Herren, daß damit zweierlei zum Ausdruck kommt: erstens die große Sehnsucht aller guten Deutschen nach einer klaren, festen, befriedeten Ordnung unseres nationalen Lebens. Es ist die Sehnsucht nach dem geordneten und nach dem normalen, nach dem friedlichen Miteinander aller Deutschen untereinander und mit ihrer Umwelt im Osten und Westen, im Süden und Norden. Nicht nur wir Deutsche, sondern Europa und die Welt sind von der Gewaltsamkeit der Trennung, die wir nun seit Jahr und Tag tragen, tiefer betroffen, als viele es wissen und wissen wollen in Deutschland und in der Welt.
In den hoffentlich regelmäßig wiederkehrenden Tagungen des Deutschen Bundestages in der Hauptstadt Deutschlands kommt zum anderen auch der feste Wille zum Ausdruck, die Mitte Deutschlands gegen den Druck einer unheilvollen weltpolitischen Lage und Machtgruppierung zu halten. Wir Deutsche haben ,den Krieg verloren, das ist gewiß. Aber wer hat eigentlich den Frieden gewonnen? Der Friede muß von allen gewonnen werden. Er wird nicht und von niemandem gewonnen, solange es zwei Deutschland gibt.
In der Hoffnung, daß unser Tun im großen wie im kleinen der Zukunft des freien, geeinten deutschen Volkes und dem Frieden der Welt dient, gehen wir wiederum an die Arbeit in der Hauptstadt Deutschlands, die wir zu Beginn dieser Sitzung ehrerbietig grüßen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre und die Freude, eine Delegation aus d e m Parlament in unserer Mitte begrüßen zu dürfen, das als die Mutter der Parlamente gepriesen wird und auch bei uns in großem Ansehen steht. Ich begrüße die Kollegen aus dem englischen Unterhaus, die uns die Ehre gegeben und die Freude gemacht haben, heute unter uns zu sein.
Schließlich darf ich dem Herrn Abgeordneten Gengler zum 70. Geburtstag die Glückwünsche des Deutschen Bundestages aussprechen.
Ich darf dem Hause weiter bekanntgeben, daß mit Wirkung vom 7. Oktober 1956 an der Herr Abgeordnete Dr. Orth sein Mandat niedergelegt hat. Als Nachfolgerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Ganzenberg in den Bundestag eingetreten. Ich heiße sie in unserer Mitte herzlich willkommen.
Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung — das ist eine Bemerkung zur Tagesordnung — ist Punkt 2 der Tagesordnung heute abgesetzt. Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung dagegen die heutige Tagesordnung erweitert um den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Langwellensender, Drucksache 2761, der im Zusammenhang mit dem Antrag der Fraktion der SPD unter Punkt 3 der Tagesordnung behandelt werden soll.
Ferner ist die Tagesordnung erweitert worden .um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bergmannsprämien, Drucksachen 2748 und 2351. Ich werde diesen Punkt als letzten : 'unkt der Tagesordnung aufrufen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist weiter abgesetzt Punkt 11 der Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe, Drucksache 2598.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht übernommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 5. Oktober 1956 die Kleine Anfrage 281 der Fraktion der SPD betreffend Durchführung des Gesetzes über das Lotsenwesen beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2760 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf den Punkt 1:
Erste Beratung des von ,der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aus den Vertreibungsgebieten ausgesiedelt wurden (Drucksache 2623).
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Dr. Kather hat das Wort zur Begründung.
Dr. Kather , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks hat den Entwurf eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen vorgelegt, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aus den Vertreibungsgebieten ausgesiedelt wurden — Aussiedlergesetz —. Dieser Antrag will die Rechtsstellung von vier Personengruppen regeln. Die erste Gruppe umfaßt deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Vertreibungsgebiete verlassen haben, also die Spätaussiedler. Die zweite Gruppe wird gebildet von den Angehörigen von Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, die sich noch in den Vertreibungsgebieten befinden, also den Angehörigen der Heimatverbliebenen. Zur dritten Gruppe gehören die Hinterbliebenen von Personen der gleichen Staats- und Volkszugehörigkeit, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in den Vertreibungsgebieten verstorben sind, also Hinterbliebene von Heimatverbliebenen. Bei der vierten Gruppe handelt es sich um die ehemaligen Insassen deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit aus den Lagern in Dänemark.
Zur allgemeinen Begründung dieses Antrags ist zu sagen: Von Hilfen an die Spätaussiedler wird viel gesprochen und geschrieben. Wenn man jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen einer genauen Nachprüfung unterzieht, stellt sich heraus, daß die Spätaussiedler von den Vergünstigungen fast aller Gesetze ausgeschlossen sind.
Zur ersten Gruppe ist zu sagen: Spätaussiedler, die in den Vertreibungsgebieten gesundheitliche Schäden davongetragen haben, können in der Regel Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz nicht erhalten, da für solche Leistungen außer den Kriegsgefangenen nur Internierte in Betracht kommen. Die in der Heimat Zurückgehaltenen sind aber meist nicht förmlich interniert gewesen. Der vorliegende Gesetzentwurf meiner Fraktion erstrebt die Gleichstellung der Spätaussiedler mit den Internierten. Da die Spätaussiedler nicht in Gefangenschaft und meist auch nicht interniert waren, erhalten sie keine Leistungen aus Heimkehrerhilfemaßnahmen. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß es gerechtfertigt und notwendig ist, ihnen wie einem Heimkehrer Entlassungsgeld, Übergangsbeihilfe, Wohnraum, Kündigungsschutz, Arbeitsplatzvermittlung, Ausbildungsbeihilfe und Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Das erstreben wir mit § 2 Abs. 2 des Entwurfs.
Hinsichtlich der zweiten Gruppe, der Angehörigen der Heimatverbliebenen, ist davon auszugehen, daß nur die Angehörigen solcher Personen, die „auf eng begrenztem Raum unter ständiger Bewachung" festgehalten wurden, Leistungen nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfen für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 30. April 1952 erhalten. Diese Voraussetzung ist aber meist nicht gegeben. Deshalb halten wir es für notwendig, den Angehörigen der immer noch in der Heimat Zurückgehaltenen derartige Unterhaltsbeihilfen zu gewähren, wenn die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. Die Angehörigen dieser Gruppe erhalten auch keinerlei Sozialversicherungsrenten, auch wenn der in der Heimat verbliebene Ehegatte rentenberechtigt war oder es inzwischen geworden wäre. Auch das soll nach unserer Meinung geändert werden.
Bei der dritten Gruppe, bei den Hinterbliebenen von Heimatverbliebenen, also Personen, die in der Heimat zurückgehalten wurden und dort gestorben sind, fehlt es nahezu an jeder gesetzlichen Regelung. Sie erhalten keine Witwen- oder Waisenrenten aus der Sozialversicherung. Nur wenn der Tod als Folge einer Internierung eingetreten ist, werden die Leistungen nach dem Bundesversor-
gungsgesetz gewährt. Wir halten auch in diesem Fall die Gleichstellung mit den Internierten für geboten.
Bei der vierten und letzten Gruppe ist bemerkenswert, daß der Lageraufenthalt in Dänemark nicht als Internierung im Sinne des Heimkehrergesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes anerkannt wird. Man begründet das damit, daß sich die Bewachung nicht gegen die Lagerinsassen gerichtet habe, sondern zu ihrem Schutz gegen dänische Nationalisten bestimmt gewesen sei. Das ist eine etwas seltsame Begründung. Eingesperrt ist eingesperrt; die Dänemark-Lager unterschieden sich kaum von den Gefangenenlagern.
Deshalb schlagen wir vor, die Festhaltung in diesen Lagern der Internierung gleichzustellen. Für die Durchführung des Gesetzes ist das Verfahren des Häftlingshilfegesetzes vorgeschlagen worden. Der Personenkreis ist in beiden Gesetzen von ähnlicher Art, und das gleiche gilt von den Rechten, die in den beiden Gesetzen gegeben worden sind oder gegeben werden sollen.
Ich beantrage Überweisung unseres Antrags an den Ausschuß für Heimatvertriebene.