Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie aus der Begründung gehört haben, soll nach diesem Initiativgesetzentwurf eine neue Gruppe im Rahmen der verschiedenen Gruppen von Entschädigungsberechtigten geschaffen werden. Darüber hinaus soll diese neu zu schaffende Gruppe teilweise Sonderrechte erhalten gegenüber anderen, schon bestehenden und durch bereits geltende Gesetze mit Leistungen bedachten Geschädigtengruppen.
Die Leistungen sollen gegeben werden an den Personenkreis der Aussiedler. Das sind jene deutsche Staats- oder Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Vertreibungsgebiete verlassen haben und im Bundesgebiet oder West-Berlin ihren Wohnsitz genommen haben. Weiter sollen sie gegeben werden an deren Angehörige, deren Familienernährer sich aber noch im Vertreibungsgebiet befinden. Drittens sollen die Leistungen gegeben werden an Hinterbliebene von Personen, die im Vertreibungsgebiet geblieben und dort verstorben sind.
Alle Aussiedler sollen in den Genuß der Leistungen nach den Gesetzen über die Kriegsopferversorgung gelangen. Die Versorgung soll also nicht nach individueller Prüfung des Aussiedlers erfolgen, sondern generell-kollektiv an die Angehörigen dieser Personengruppe gegeben werden.
Die ab 1. September 1955 eingetroffenen Aussiedler und die noch eintreffenden Aussiedler sollen in den Genuß der Vergünstigungen gelangen, die für Heimkehrer vorgesehen sind; ich will diese Vergünstigungen nicht alle aufzählen. Zweitens sollen diese Vergünstigungen erhalten die Angehörigen, also Ehefrauen und Kinder, deren Ernährer noch in den Vertreibungsgebieten sind; sie sollen den Angehörigen jener Personen gleichgestellt werden, die sich noch in Kriegsgefangenschaft befinden. Ferner: sofern der sich in den Vertreibungsgebieten noch Aufhaltende einen Rechtsanspruch aus der Invalidenversicherung, der Angestellten- oder der Knappschaftsversicherung hätte, sollen die Angehörigen, die Witwen und Waisen, diese Vergünstigungen und Renten so erhalten, wie wenn der Ernährer bereits verstorben wäre.
Die Hinterbliebenen, Ehefrauen und Kinder von Personen, die in den Vertreibungsgebieten geblieben und dort verstorben sind, sollen Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz bzw. aus der Sozialversicherung erhalten.
— Meine Herren, ich weiß, Sie werden nervös, aber ich will Ihnen jetzt noch einen Grund geben dafür, daß Sie nervös werden!
Herr Kollege Kather hat in seiner Begründung gesagt: Es wird soviel über diesen Personenkreis gesprochen, aber es geschieht wenig. Ich bedaure, daß Herr Dr. Kather diese Formulierung wählt,
ich bedaure dies um so mehr, als gerade Herr Dr. Kather wissen müßte, daß dieser Personenkreis auf weiten Gebieten bereits in die Versorgung einbezogen ist.
Ich verweise hier vor allem auf den vom Bundesvertriebenenministerium herausgegebenen „Wegweiser für Aussiedler", in dem die Fundstellen sehr gut zusammengetragen sind und in dem nachgewiesen ist, daß für die Aussiedler alle Vertriebenen- und Entschädigungsgesetze, auch das Bundesversorgungsgesetz, allerdings individuell abgestellt, in Geltung sind.
Wir müssen uns doch einmal über die Rechtsstellung des hier genannten Personenkreises klar sein. Die Aussiedler gelten nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes als Vertriebene, wenn sie binnen sechs Monaten nach der Wohnsitznahme in der Bundesrepublik oder Berlin-West ihre Anträge stellen. Sie können alle Rechte und alle Begünstigungen, die im Bundesvertriebenengesetz verankert sind, für sich in Anspruch nehmen. Sie haben ferner alle Ansprüche aus dem Lastenausgleichsgesetz sowie aus dem Gesetz zu Art. 131, und wenn in der Person des einzelnen Aussiedlers die Bedingungen und Voraussetzungen zutreffen, die das Bundesversorgungsgesetz verlangt, hat auch der einzelne Aussiedler das Recht auf alle Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz, aus dem Heimkehrergesetz, aus dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und dem Häftlingshilfegesetz.
Probleme, die auf das Gebiet der Sozialversicherung hinüberspielen, sind gleichfalls durch das Fremdrentengesetz geregelt. Allerdings muß die Voraussetzung vorhanden sein, daß der Betreffende sozialversichert, also Arbeitnehmer, gewesen ist.
Wo hier noch eine Lücke besteht, die bisher schmerzlich empfunden worden ist, nämlich daß die Wartezeit für die Gewährung von Leistungen aus der Rentenversicherung unter Umständen nicht erreicht war, ist, wie ich weiß, im Sozialpolitischen Ausschuß jetzt bei der Beratung der Rentenreform auch diese Frage bereits in der ersten Lesung befriedigend gelöst, und die Lücke wird geschlossen werden,
so daß die Wartezeit, soweit sie nicht auf Grund von Beitragsleistungen erreicht ist, durch Nacherwerb von Beitragszeiten aus Bundesmitteln erreicht werden soll.
Diese kritischen Bemerkungen mußte ich machen. Ich habe nun noch hinzuzufügen, daß der § 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs praktisch nichts anderes bedeutet, als daß der ganze Personenkreis der Aussiedler die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz erhalten soll ohne Rücksicht darauf, ob im Zusammenhang mit direkten oder indirekten Kriegsfolgen gesundheitliche oder körperliche Schäden entstanden sind. Jeder, der gesundheitliche oder körperliche Schäden im direkten oder indirekten Zusammenhang mit Kriegseinwirkungen erlitten hat, hatte das Recht, fristgerecht einen Antrag zu stellen, um individuell Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz zu erhalten. Hier sollen aber einer ganzen Personengruppe ohne Prüfung des Tatbestandes bei dem einzelnen dieses Recht und die Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz eingeräumt werden. Sagen Sie: Wäre das nicht eine wesentliche Besserstellung gegenüber jener Personengruppe, die wir immer in Entschädigungen bevorzugt behandeln wollten, nämlich unseren Kriegsversehrten, wenn wir hier kollektiv, also generell, nicht nach Prüfung des einzelnen Tatbestandes, diese Leistung für eine ganze Personengruppe gesetzlich festlegten?
Dasselbe gilt bei dem Verlangen, daß die Aussiedler generell sämtliche Leistungen nach dem Heimkehrergesetz erhalten sollen.
Und wenn ich dann noch auf eines hinweisen darf: da ist der § 24 des Heimkehrergesetzes, der bestimmt, daß die Ersatzzeiten der Kriegsgefangenschaft und Internierung Anrechnung finden. Diese Ersatzzeiten werden, wie ich schon vorher sagte, bereits durch das Fremdrentengesetz für die Aussiedler und andererseits durch die zu erwartende neue Fassung bei der Rentenreform gewährleistet. Sehr bedenklich scheint mir aber, daß die sechsmonatige Karenzfrist nach der Einwanderung in die Bundesrepublik und der Wohnsitznahme in der Bundesrepublik nach dem Gesetzentwurf für die Aussiedler wegfallen soll.
Hier glaube ich: was für den einen Pflicht ist, müßte auch für den anderen eine Verpflichtung bleiben,
denn hier wiederum zwei Gruppen zu schaffen, würde schließlich dazu führen, daß diejenigen Personengruppen, für die das Bundesversorgungsgesetz und das Heimkehrergesetz mit den Folgegesetzen geschaffen sind, mit Recht einwenden würden, daß hier eine neue Personengruppe ihnen gegenüber bevorzugt behandelt werde. Sie würden dann mit Recht auf Novellierungen, auf Besserstellungen drängen.
Ein Wort noch zu den in diesem Gesetzentwurf geforderten Leistungen an die Angehörigen. Alle Entschädigungsgesetze gehen bei der Zuerkennung von Renten aus der Sozialversicherung von der Fiktion aus, daß der Versicherte verstorben ist. In diesem Falle, nach diesem Gesetzentwurf sollen aber Renten an Angehörige gezahlt werden, von denen feststeht, daß sie noch leben, von denen weiter feststeht, daß sie nicht nur noch leben, sondern auch in Arbeit stehen oder Rente beziehen.
Ich weiß, Sie werden sagen — und der Zwischenruf ist gekommen —: wo leben sie? Sie leben noch im Vertreibungsgebiet, das gebe ich zu; aber Sie verlangen in diesem Entwurf nicht einmal eine Prüfung, ob der noch im Vertreibungsgebiet lebende Ernährer überhaupt den Willen hat, zu seiner Familie zurückzukehren.
Diesen anderen wollen wir helfen und haben wir geholfen. Und wir wollen die bisherige Hilfe noch
verbessern. Uns geht es um etwas ganz anderes. Uns geht es darum, daß wir Mißbräuche verhindern wollen.
Uns geht es darum, daß hier nicht generell und kollektiv einer ganzen Gruppe etwas gewährt wird, was zu großen Weiterungen führt und gegenüber anderen ein Unrecht bedeutet.
Die Frage, ob die Lagerinsassen, die auf ihrer Flucht aus dem Osten in Dänemark gelandet sind — ich kenne die Situation genau, ich habe in diesen kritischen Monaten in diesem Gebiet gelebt —, als Internierte behandelt werden sollen, war schon oft Gegenstand von Beratungen in den Ausschüssen. Wir haben erst vor wenigen Tagen, und zwar am 28. September 1956 mit der Verabschiedung des Zweiten Ergänzungsgesetzes zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz in den Ausschüssen, Arbeitskreisen und Fraktionen diese Frage sehr gründlich geprüft, sie aber verneint, und auch das Plenum hat bei der Verabschiedung dieses Zweiten Ergänzungsgesetzes den Willen des Ausschusses einstimmig bestätigt.
Diese kritische Stellungnahme, meine Damen und Herren, war notwendig, um erstens einmal aufzuzeigen, daß Sie mit Ihrem Gesetzentwurf weithin offene Türen eingerannt haben,
weil Sie etwas gesetzlich geregelt haben wollen, was schon lange geregelt war,
bevor — auch das lassen Sie mich sagen — die Antragsteller noch in diesem Hause vertreten waren.
Mit diesen Feststellungen soll aber nicht gesagt sein — ich will nicht mißverstanden werden —, daß wir für die Lage der Aussiedler nicht volles Verständnis hätten.
Das haben wir bereits bewiesen. Auf unseren Antrag hat dieses Hohe Haus die Begrüßungsgabe beschlossen. Wir haben durch unseren Antrag erreicht, daß diesem Personenkreis im laufenden Haushalt 15 Millionen für Zwecke des Wohnungsbaus zur Verfügung gestellt worden sind. Wir haben darüber hinaus erreicht, daß nicht nur diese 15 Millionen zur Verfügung gestellt werden, sondern daß bis zu weiteren 15 Millionen über die Globalsumme unter Kapitel A 25 03 Titel 532 des Haushalts für das Wohnungsbauministerium hinaus in Anspruch genommen werden können, wenn die bewilligten 15 Millionen nicht ausreichen.
— Sie irren, Herr Kollege, sie sind vorhanden und warten auf Abruf.
Ich möchte ferner aber noch einiges dazu sagen, was für diesen Personenkreis als vordringlich getan werden muß. Es muß geprüft werden, ob die Maßnahmen, die heute zur Wiederherstellung der Gesundheit dieser Personen getroffen werden, nicht ausgedehnt werden müssen, damit diese Menschen so bald wie möglich ihre volle Gesundheit und damit ihre Arbeitseinsatzfähigkeit wiedergewinnen. Es soll geprüft werden, ob neben der Begrüßungsgabe und dem Überbrückungsgeld der Länder nicht ein Weiteres getan werden muß, nämlich dahingehend, daß eine Übergangshilfe, deren Betrag den der Begrüßungsgabe übersteigen muß, diesen Menschen den Anschluß an unsere Verhältnisse erleichtern und beschleunigen wird.
Wir haben volles Verständnis dafür und werden
dieses Verständnis nicht nur mit Worten, sondern
auch mit Taten bekunden, daß besonders zur Dekkung des schulischen und berufsmäßigen Nachholbedarfs mehr getan werden muß als bisher. Sie
haben die Drucksache 2752 vielleicht noch nicht in
der Hand; darin kommen wir in einem Antrag gerade auf diese Fragen zu sprechen. Uns allen ist
bekannt, daß die Kinder dieser Aussiedler meist
nicht einmal mehr die deutsche Muttersprache beherrschen; wir wissen auch, daß sie in ihrer Berufsausbildung sehr weit zurückgeblieben sind, und
wir wissen, daß sich diese Jugendlichen unseren
Jugendlichen gegenüber eben nicht vollwertig fühlen. Dies auszugleichen, ist eine wichtige Aufgabe,
die wir im Rahmen des genannten Antrages ansprechen und bei unseren Beschlüssen in den Ausschüssen ernst nehmen müssen und lösen werden.
Ich möchte aber auch noch ein Weiteres sagen: Es ist ernstlich zu prüfen, wie den Angehörigen, den Ehefrauen und den Kindern, deren Männer und Väter noch in den Vertreibungsgebieten sind, verstärkt geholfen werden kann. Es soll ihnen geholfen werden. Aber in der Form, wie Sie es in Ihrem Initiativgesetzentwurf haben möchten, geht es einfach nicht.
Da in diesem Antrag eine ganze Reihe Fragen aneinanderstoßen, genügt es nicht, diesen Entwurf nur dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen. Ich beantrage, ihn auch dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen, weil in diesem Entwurf eine Reihe von Fragen aufscheinen, die diese beiden Spezialausschüsse zu behandeln haben.