Rede von
Dr.
Fritz
Czermak
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist grundsätzlich zu begrüßen. Er will den Spätaussiedlern und Sowjetzonenflüchtlingen helfen, der Familienzusammenführung dienen, vor allem auch den alleinstehenden Frauen und Kindern helfen, deren Ernährer noch drüben im Vertreibungsgebiet sitzt, den Witwen und Waisen, deren Ernährer drüben gestorben ist. Wir alle haben sicherlich für diese Fragen volles Verständnis, besonders wir Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge, welche diese Probleme aus eigenem Erleben kennen. Ich denke dabei vor allem an die 8 1/2 Millionen Heimatvertriebenen, die nach Kriegsschluß von Haus und Hof verjagt worden sind, ihr ganzes Vermögen und ihre Existenz verloren haben, in Lagern, im Gefängnis und in Zwangsarbeit saßen, all die Schrecken und Leiden der Vertreibung in ihrer alten Heimat und auch die ersten schweren Jahre in ihrer neuen Heimat erlebt haben. Ich denke an all die Blutopfer, meh-
rere Millionen, die in dieser größten unid grausamsten Völkerwanderung aller Zeiten ihr Leben lassen mußten, vor allem aber auch an die Kriegsgefangenen, ,die jahrelang drüben in Rußland saßen, und an alle Inhaftierten und Zwangsarbeiter, die zurückgehalten wurden und nicht zu ihren Familien konnten. Aber auch heute noch, mehr als zehn Jahre nach Kriegsschluß, leben drüben in den Vertreibungsgebieten Menschen, die in die Freiheit und zu ihren Familien wollen, leben auch in der Bundesrepublik noch Frauen und Kinder ohne ihren Ernährer. Ihnen soll und muß der Staat helfen, weil sie sich selbst nicht helfen können.
Es fragt sich hier jedoch nur — und da erheben sich ernsthafte Bedenken —, ob man all diese Fragen ganz allgemein gesetzlich regeln kann oder ob nicht vielfach jeder einzelne Tatbestand subjektiv, individuell, überprüft werden muß. Es fragt sich weiter, ob die in diesen Anträgen vorgesehenen Leistungen gesetzlich nicht schon geregelt sind und ob sich die Regelung jedes einzelnen Falles menschlich, rechtlich und auch politisch verantworten läßt. Eine ganz allgemeine Gleichstellung, in manchen Fällen sogar Besserstellung, läßt sich daher beim allerbesten Willen nicht durchführen ohne eine Überprüfung der einzelnen Tatbestände, besonders in Zweifelsfällen.
Bei Leistungen nach § 2 für gesundheitliche Schädigungen, die Aussiedler in den Vertreibungsgebieten erlitten haben, muß vor allem der Grundsatz des Bundesversorgungsgesetzes gelten, wonach die gesundheitlichen Schädigungen in Zusammenhang mit Kriegsereignissen stehen müssen. Da werden sich bei manchen Aussiedlern, jetzt nach zehn Jahren, allerlei Schwierigkeiten ergeben, Schwierigkeiten auch bei der Feststellung, ob jeder Aussiedler einer Versorgung würdig ist, ob er sich immer als Deutscher bekannt oder ob er nicht dem politischen System seines Vertreibungsgebiets Vorschub geleistet hat. Kein Wort gegen Aussiedler, die erst jetzt oder in Zukunft aus berechtigten Gründen kommen. Problematischen Naturen aber, die erst jetzt herüberkommen, weil hier die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse besser sind als drüben, können die echten Heimatvertriebenen und die wahren Kriegsopfer keinerlei Verständnis entgegenbringen. Das muß klar und offen gesagt werden.
Sicher ist das Schicksal der alleinstehenden Frauen und Kinder, deren Ernährer noch drüben sind, sehr hart. Ihnen soll in begründeten Fällen eine Unterhaltshilfe zuerkannt werden. Nach dem Bundesversorgungsgesetz gilt aber bei Witwen- und Waisenrenten der Grundsatz der erwiesenen Verschollenheit. Hier soll jedoch nach § 3 der Tod des Familienernährers angenommen werden, obwohl er noch lebt. Eine solche Regelung ist rein rechtlich gesehen schwierig und bedarf der Prüfung.
In bezug auf die vorgesehenen Witwen- und Waisenrenten der Hinterbliebenen von Personen, welche drüben gestorben sind, sowie in bezug auf die Sozialversicherung bestehen schon gesetzliche Bestimmungen. Alle diese Witwen und Waisen sollen — das wollen wir wohl alle — ihre Renten erhalten, soweit das noch nicht der Fall ist. Es soll ihnen keinerlei Unrecht geschehen, es soll keine Gesetzeslücke bleiben. Aber auch hier erscheint eine Überprüfung der einzelnen Tatbestände notwendig.
Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß wir für alle berechtigten Forderungen — ich betone: berechtigten Forderungen! — der Spätumsiedler, der Angehörigen und der Hinterbliebenen von Heimatverbliebenen durchaus Verständnis haben. Wir wollen ihnen gern helfen, soweit das möglich ist. Der Deckungsfrage wird dabei allerdings auch eine entscheidende Bedeutung zukommen. Wir müssen aber auch heute schon in der ersten Lesung einige Bedenken anmelden, die in den zuständigen Ausschüssen gründlich geprüft werden müssen.
Ich bitte gleichfalls um Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Heimatvertriebene — federführend — und — mitberatend — an den Kriegsopfer-Ausschuß und nötigenfalls an den Sozialpolitischen Ausschuß.