Rede von
Willy
Brandt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von rundfunkpolitischen, allgemeinpolitischen, soeben auch von, soweit ich es habe verstehen können, technischen Erwägungen die Rede gewesen. Meine Aufgabe ist es, zunächst noch einmal ein hoffentlich klares Wort über die gesamtdeutsche Aufgabe zu sagen, die hier zu lösen ist, und über die Aufgabe, die diese Stadt, in der der Bundestag jetzt tagt, im Ringen um die deutsche Einheit zu erfüllen hat.
Wir erkennen sicherlich alle den Wert symbolischer Handlungen. Aber mit Symbolik allein ist auf dem Wege, auf dem Berlin wieder in die Hauptstadtfunktionen hineinwachsen muß, nicht weiter voranzukommen; die symbolischen Handlungen müssen — auch auf diesem Gebiet würde Stillstand Rückschritt bedeuten — abgelöst werden, in zunehmendem Maße müssen echte Funktionen, wirkliche Aufgaben des Bundes und ihre Erfüllung für den Bund in diese Stadt hineinverlegt werden. Das ist der Kern der Sache.
Da gibt es keine verfassungsrechtlichen Gründe, da gibt es keine Fragen nach den Zuständigkeiten. Genauso wie die Organe, um die es sich hier handelt, glauben zuständig zu sein dafür, daß die Chefredaktion nach Hamburg kommt, genauso sind sie zuständig vor sich selber, vor dem Volk und vor den Alliierten, daß sie nach Berlin kommt. Darum geht es heute.
Nur dadurch, daß wir solche Aufgaben wie die, um die es sich hier und jetzt handelt — nicht nach einer Prüfung im Jahre 1958, sondern schon beim Start — dahin verlegen, wohin sie gehören, nur dadurch beweisen wir vor allen, die es angeht, vor der Welt, vor den Menschen in der Zone immer wieder an Einzelbeispielen, wie ernst wir es meinen mit der Wiedervereinigung jenes Deutschland, dessen Hauptstadt Berlin heißt.
Das ist die Aufgabe. Das etwas abgegriffene Wort
„Frontstadt" muß abgelöst werden durch das Wort
» „Hauptstadt" in dem Sinne, daß tatsächlich in dem Maße, in dem es möglich ist — und hier ist es möglich —, wirkliche Aufgaben in diese Stadt hin-einverlegt werden.
Es ist hier davon gesprochen worden, daß unverzüglich an die Errichtung eines solchen gesamtdeutschen Langwellensenders der Bundesrepublik herangegangen werden müsse, daß man endlich beginnen solle, sie nicht weiter verzögern solle. Insoweit sind wir sicherlich alle einer Meinung.
Mein Freund Kühn ist übrigens mißverstanden worden. Ein Mißverständnis liegt vor, wenn man meint, er habe sagen wollen, die Bundesregierung habe sich nicht — und zwar schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt — auch für die Errichtung eines solchen Senders interessiert. Es wäre völlig unsinnig, dieses Interesse abstreiten zu wollen. Die Geschichte dieses Senders beginnt ja nicht erst im Sommer oder Herbst 1956. Ich war selber 1952 in dem Unterausschuß, dessen Vorsitzender Kollege Brookmann war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun muß ich aber ein Wort als Berliner Abgeordneter sagen. Die Menschen in dieser Stadt merken sich bestimmte Dinge. Die Menschen, die lesen können, haben sich einige Dinge gemerkt, die, insofern übereinstimmend, die Kollegen Kühn und Brookmann hier vorgetragen haben. Die Berliner haben die Beschlüsse aus dem Jahr 1952 und 1953 gelesen, und da stand drin, der Langwellensender soll nach Berlin. Die Berliner können nicht einsehen, daß die Sache — statt daß man sie in dem damals angedeuteten Sinne rasch löst — jetzt zur Prüfung der Erfahrungen und der technischen Voraussetzungen im Jahre 1958 hinausgeschoben werden soll. Die Berliner erinnern sich des sehr klaren Wortes, das der Herr Bundeskanzler uns und den Berlinern im April 1955 in dieser Stadt gegeben hat.
Daran ist nichts zu deuteln; denn das Wort hieß: Der Langwellensender kommt nach Berlin.
Jetzt sagt man, das sei nicht möglich, weil bestimmte Einrichtungen nicht da seien. Dazu sage ich: wenn die eben zitierten Äußerungen so ernst gemeint waren, wie wir hoffen müssen, dann wäre seit 1952, seit 1953, ja auch seit der Erklärung des Bundeskanzlers vom April 1955 einige Zeit gewesen, um solche Voraussetzungen in dieser Stadt schaffen zu helfen.
Wir haben nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch auf anderen Gebieten, bei denen es sich um gesamtdeutsche Anliegen handelt, unter Tempoverlust gelitten. Lassen Sie mich auch das ganz offen sagen. Seit sechs Jahren reden wir von der Reichstagsruine. Seit sechs Jahren kommt von Zeit zu Zeit immer wieder die Ankündigung, der Reichstag soll aufgebaut werden. Alle Welt weiß, der Bundestag kann nicht dorthin. Aber fast alle, denen in unserem Volke Verantwortung übertragen ist, wissen, daß man aus nationalpolitischen Gründen die Ruine nicht einfach abreißen kann. Warum nicht endlich einmal Schluß mit dem Gerede darüber und mit einer Lösung wenigstens anfangen?
Nun etwas zum Herrn Kollegen Brookmann. Herr Kollege Brookmann, ich will versuchen, keine unnötige Schärfe in die Debatte hineinzubringen; ich glaube aber, wir müssen versuchen, einige Dinge ein bißchen zurechtzurücken. Vielleicht werden dabei einige Mißverständnisse ausgeräumt. Sie haben gemeint, der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion unterscheide nicht klar genug zwischen dem jetzt notwendigen Provisorium und der später erforderlichen endgültigen Regelung. Abgesehen davon, daß in unserer besonderen deutschen Lage bei allem, was wir drüben tun, immer die Gefahr besteht, daß ein Definitivum wird, was als Provisorium gedacht war, müßte auf diesem Gebiet aus der drohenden Möglichkeit eine Gewißheit werden. Denn wenn hier der Start nicht befriedigender gemacht wird, wie glaubt dann einer von Ihnen ernsthaft, in einigen Jahren elf deutsche Landtage und den Deutschen Bundestag unter einen Hut bringen zu können? Nein, hier und heute werden die Weichen gestellt. Jede spätere Entscheidung, die nicht im Urvertrag vorgesehen ist, ist viel schwerer als die, die zu Anfang zu treffen ist.
Zwei Dinge haben uns in dem bekannten Schreiben des Herrn Vizekanzlers nicht befriedigt, sie kehren sinngemäß in dem Antrag der CDU/ CSU wieder und sie sind durch den Herrn Kollegen Brookmann hier noch einmal erläutert worden. Wir können nicht einsehen, wieso es erforderlich ist, zu sagen: Erst im Januar 1958 soll überprüft werden, ob die Erfahrungen dafür sprechen und ob die technischen Voraussetzungen gegeben sind, wenn man andererseits sagt: Ja, Berlin soll es werden. Zweitens wurde gesagt, die Bundesregierung
wolle sich dann im Verwaltungsrat mit drei von neun Stimmen — während sie heute, bevor der Vertrag da ist, stärker ist — dafür verwenden, daß Berlin Sitz des Langwellenverbandes werde. Demgegenüber gilt es, die drei springenden Punkte noch einmal herauszustellen.
Herr Kollege Brookmann, wir haben aus Ihrem Munde vernommen, daß es auch bei Ihren politischen Freunden — wir nehmen das erfreut zur Kenntnis — nie eine andere Auffassung gegeben habe, als daß Berlin der eigentliche Sitz werden solle,
und der Herr Minister hat gesagt, daß dafür alle Vorbereitungen — ich darf ihn wörtlich zitieren — auf dem Papier getroffen seien. Aber, meine Damen und Herren, das reicht nicht aus. Nicht eventuell im Januar 1958, sondern heute muß dies unserer Meinung nach verbindlich bestimmt werden.
— Wenn ich „heute" sage, dann bin ich durchaus für den Ausschuß; denn es ist besser, die Sache an den Ausschuß zu geben, als heute einen schlechten Beschluß zu fassen. Ich würde allerdings einen guten Beschluß heute vorziehen. Wenn ich „heute" sage, meine ich es also nicht so buchstäblich; ich beziehe dabei die Ausschußberatung mit ein.
Es muß also vorweg bestimmt werden, daß Berlin der Sitz ist. Wenn man meint, meine Damen und Herren, die Beteiligten — das könnten außer dem Bund noch die Länder und die Rundfunkanstalten sein — wären heute nicht bereit, eine Vereinbarung zu treffen, woher nimmt man dann die Gewißheit, daß sie im Januar 1958 dazu bereit sein würden? Wir brauchen also die Bestimmung vorweg, und wenn man glaubt, sie von den Ländern oder von sonst jemand nicht erreichen zu können, dann muß man das diesem Hause sagen, damit keine Unklarheit darüber bleibt und damit auch nirgends der Verdacht aufkommen kann, man mache eine reservatio mentalis.
Zweitens: Der Herr Kollege Brookmann hat hier gesagt, es würde anderthalb Jahre dauern — ich bezweifle das nicht, Herr Kollege Brookmann —, den neuen Strahler zu bauen. Wenn nun — jetzt gehe ich auf den Boden Ihrer Argumentation — Anfang 1958 die Regelung, die Sie andeuten, getroffen werden soll, dann müßte jetzt mit dem Bau des Strahlers begonnen werden.
Das entspricht dem sozialdemokratischen Antrag, in dem dem Sinne nach steht: Berlin muß sicher sein, daß die technischen und finanziellen Probleme der doch auch von Ihnen erstrebten Regelung nicht im Wege stehen.
Drittens: Wenn es zum „provisorischen Provisorium" in Hamburg kommt, dann soll — unserer Meinung nach — nicht eine voll ausgestattete politische Redaktion, wie es in Ihrem Antrag heißt — die politische Leitung d. h. die Chefredaktion, nach Berlin. Wir haben keine plausiblen Gründe dafür gehört, warum das nicht der Fall sein kann. Im zwanzigsten Jahrhundert lasse ich technische Einwände dagegen nicht gelten.
Man macht Zeitungen mit einer Millionenauflage, die an einem anderen Ort gedruckt werden als dem, an dem die Redaktion sitzt. In den Vereinigten Staaten von Amerika sitzen große Redaktionen, große Rundfunkgesellschaften zum Teil Hunderte von Kilometern von dem Ort entfernt, wo der technische Sendebetrieb durchgeführt wird. Technische Einwände lasse ich nicht gelten.
Politisch aber gehört eine solche Chefredaktion an den Ort des permanenten gesamtdeutschen Gesprächs, an die Stadt in Deutschland, in der in ganz anderem Maße einfach auf Grund ihrer Lage viel mehr Menschen als sonst irgendwo aus den beiden Teilen unseres Volkes einander begegnen.
Meine Damen und Herren, ich darf nun noch eine Schlußbemerkung zu dem Thema des Beirates und zu dem machen, was man im weiteren Verlauf der Debatte etwas geringschätzig glaubte einen Streit um Posten und einen Kleinkrieg um Personalfragen nennen zu dürfen.
Es hieße das, worum es hier geht, falsch einschätzen, wenn man diesen Gesichtspunkt zugrunde legte.
Ein Wort vorweg. Herr Kollege Brookmann, Sie dürfen sicher sein, daß Sie das Verständnis meiner politischen Freunde haben, wenn es sich darum handelt, auf diesem Gebiet wie auf anderen eine Regelung zu finden, bei der die beiden großen Kirchen, die unser Volk repräsentieren, mit ihrem Wort zur Geltung kommen. Wir wissen sehr wohl um die große Rolle, die die großen Religionsgemeinschaften für den Zusammenhalt unseres Volkes spielen, und wir wissen das gerade in dieser Stadt. Aber das ändert doch nichts an dem Anliegen, das Herr Kollege Kühn vorgebracht hat und von dem in unserem Antrag die Rede ist: daß wir eine Form finden sollten — bitte lassen Sie uns über die Einzelheiten, wenn der Antrag schon in den Ausschuß geht, auch noch im Ausschuß reden; aber ich will es politisch doch noch einmal erläutern —, in der eine gesamtdeutsche Aufgabe so gelöst werden kann, daß die tragenden politischen Kräfte daran beteiligt sind. Herr Minister, ich war etwas enttäuscht, als gerade Sie dieses Anliegen so etwas beiseite geschoben haben mit der Charakterisierung: ein personalpolitischer Punkt. Nein, das ist es nicht!
Ich darf hier einmal ganz offen sprechen und als Berliner Sozialdemokrat ein Bekenntnis ablegen. Ich habe es in den hinter uns liegenden Jahren als eine Misere der deutschen Politik empfunden, und gerade wir, die wir hier, wie es so schön hieß, an der Front standen, haben es bitter empfunden, daß immer wieder der Versuch gemacht wurde, eine große, tragende Kraft aus der deutschen Politik teils auszuschalten, teils ihr den Minderwertigkeitsstempel aufzudrücken, anstatt davon auszugehen, daß die Aufgaben, um die es sich hier handelt, und die Aufgaben, die die Zone angehen, nur dann gelöst werden können, wenn sie aus einem anderen Geist gelöst werden als dem, der bisher in Bonn maßgebend war.
Eine gesamtdeutsche Politik kann es nur auf dem
Boden der Gleichwertigkeit der tragenden demo-
kratischen Kräfte in unserem Volk geben. Das und nichts anderes wollen wir mit diesem Antrag erreichen.