Gesamtes Protokol
Ich eröffne die 107. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einem Mitglied des Hauses zu seinem Geburtstag Glück zu wünschen. Es handelt sich um den Kollegen Dr. Kleindinst, der heute 74 Jahre alt geworden ist.
Ich drücke ihm die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aus und spreche sicher in Ihrer aller Sinn, wenn ich uns wünsche, daß er noch recht lange in der gewohnten Frische in unserer Mitte weilen und arbeiten möge.
Es hat ihm bisher an Arbeit nie gefehlt, und ich fürchte, es wird ihm auch in Zukunft nicht an Arbeit fehlen.
Wir treten in die Tagesordnung ein:
Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung und Beratung der Anträge und Initiativgesetzentwürfe zur konjunkturpolitischen Lage.
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, die Bundesregierung sei mit der Bank deutscher Länder der Auffassung, daß die bisherige Entwicklung der Preise keinen Anlaß zu ernster Besorgnis biete. Er hat andererseits von dem immer schwächer werdenden Widerstand sowohl der Verbraucher wie auch der Wirtschaft selbst gegen die allmählich höher werdenden Preise gesprochen und besorgt auf Gefahren hingewiesen, die durch Verfolgung egoistischer Gruppeninteressen für die Währung entstehen können.
Auch meine Fraktion ist der Meinung, daß die Gefahren der derzeitigen Wirtschaftslage nicht überschätzt werden sollen. Sie dürfen aber auch nicht bagatellisiert werden. Die bisherige wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik hat es mit sich gebracht, daß der Unterschied zwischen arm und reich immer mehr erschreckende Ausmaße annimmt.
— Das mag für einzelne von Ihnen vielleicht nicht zutreffen; ich kann Ihnen genug Beispiele aus unserem Wirkungsbereich vortragen, wenn Sie wollen.
Gleichlaufend mit dieser sehr bedenklichen Entwicklung ist die Tatsache zu registrieren, daß die sogenannten wirtschaftlich unterentwickelten Gebiete zum Teil immer mehr verelenden oder zum mindesten nicht in dem Ausmaß an der Aufwärtsentwicklung beteiligt sind, das eine weitestmögliche Annäherung der Leistungsfähigkeit aller Gebiete der Bundesrepublik erhoffen ließe. Der Bundeswirtschaftsminister hat selbst zugegeben, daß es noch Millionen von Rentnern in unserem Staate gibt, die von jeder Preissteigerung in ihrem sozialen Sein aufs härteste betroffen werden. Er hat daran die Forderung geknüpft, daß diese Menschen nicht verraten und nicht betrogen werden dürfen. Ich möchte hier nur die Hoffnung aussprechen, daß diese Worte nicht nur zur Beruhigung gesprochen wurden, sondern daß sich die Bundesregierung darüber im klaren ist, daß diese Menschen jetzt, wo wir gezwungen sind, eine Konjunkturdebatte zu halten, mit ihrer lange geübten Geduld allmählich am Ende sind. Die Menschen, von denen hier die Rede ist, haben fast ausnahmslos ihr bitteres Schicksal ohne eigene Schuld, dafür aber zumeist stellvertretend für das ganze besiegte deutsche Volk ertragen. Ich denke hier an die Mil-
lionen Kriegsbeschädigter, Spätheimkehrer, Heimatvertriebener und Flüchtlinge. Ein hoher Prozentsatz von ihnen muß mit einem monatlichen Einkommen aus Renten oder Unterstützungen das Leben fristen, das klar unter dem gerichtlich anerkannten Existenzminimum liegt. Für alle diese Menschen wirken die schönen Worte wie Wirtschaftswunder, Hochkonjunktur, erfolgreiche Eingliederung usw. oft wie Hohn auf die realen Tatsachen ihres Lebens.
Wir stellen das keineswegs mit Genugtuung, sondern mit sehr tiefer Sorge dieser Menschen wegen hier fest. Wir bejahen ausdrücklich die Freiheit der Wirtschaft, wir meinen aber, daß diese Wirtschaft vom ganzen Volk in ihrer Freiheit nur so lange verteidigt und bejaht werden wird, solange sie es verdient, d. h. solange sie das Gesamtwohl aller deutschen Menschen, im besonderen aber der sozial Schwächsten im Auge behält. Wir müssen leider offen bekennen, wir können uns manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die einsichtigen Kreise der Wirtschaft hier und da schon überspielt werden von jenen Kräften, die sich bereits im Grenzgebiet der ihnen zugestandenen wirtschaftlichen Freiheit bewegen und den Sinn für ihre soziale Verpflichtung verloren haben. Der Staat sollte nach unserer Meinung ohne dirigistische Maßnahmen auskommen. Es sollte zu solchen Maßnahmen durch das egozentrische Verhalten gewisser Faktoren der Wirtschaft aber auch nicht provoziert werden.
Wir verkennen nicht, daß die derzeitige Konjunkturlage auch positive Auswirkungen hat. Zu diesen gehören vor allem der unerwartet hohe Steuereingang und höhere Einnahmen der Sozialversicherungsträger. Das höhere Aufkommen versetzt den Staat in die Lage, im Sinne der Regierungserklärung vom 10. Oktober 1953 auf sozialem Gebiet zum Teil das nachzuholen, was trotz Wirtschaftsaufschwung versäumt oder in nicht ausreichendem Maße durchgeführt wurde. Rentenhöhe und Lebenshaltungskosten geraten immer mehr in ein ständig steigendes Mißverhältnis. Die geringfügigen gesetzlichen Verbesserungen wie z. B. das Rentenmehrbetragsgesetz vom vorigen Jahr haben die jahrelangen Versäumnisse auf diesem Gebiet nicht wettmachen können.
Unsere Fraktion hat mit der Drucksache 1746 einen Antrag auf Erhöhung der Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung eingebracht. Die CDU hat diesen Antrag offensichtlich für so gut befunden, daß sie zwei Tage später einen Antrag fast gleichen sachlichen Inhalts einbrachte.
— Ja, lesen Sie nur das Datum der Einbringung nach; dann werden Sie das feststellen. — Wir sind uns darüber klar, daß auch die von uns verlangte nochmalige Erhöhung der Rentenmehrbeträge keinesfalls ausreicht und nur ein Teilstück der notwendigen Verbesserung aller sozialen Leistungen darstellt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinem Elf-Punkte-Programm u. a. das Problem der derzeitigen Arbeitsmarktverhältnisse angesprochen und angekündigt, daß die Bundesregierung Vorbereitungen treffen will, um für bestimmte kritische Arbeitsbereiche ausländische Arbeitskräfte heranzuziehen. Wir übersehen nicht, daß sowohl der Facharbeitermangel in gewissen Sparten der Wirtschaft wie auch der Bauarbeiter- und Landarbeitermangel zu solchen Maßnahmen zwingen kann. Andererseits müssen wir darauf hinweisen, daß heute noch in dem großen Heer der vom Staat oder den Versicherungsträgern sozial Unterstützten sich sehr viele befinden, die auf jede Unterstützung gern verzichten würden, wenn man ihnen einen festen Arbeitsplatz oder eine angemessene Existenz bieten könnte. Hier sind nach unserem Dafürhalten noch nicht alle Arbeitskraftreserven ausgeschöpft.
Mit unserem Antrag Drucksache 1759 ersucht meine Fraktion die Bundesregierung, aus Haushaltsmitteln einen Betrag von zunächst 100 Millionen DM zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen bereitzustellen. Diese Dauerarbeitsplätze sollen vornehmlich jenem Personenkreis zugute kommen, der noch heute einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der Arbeitslosigkeit aufweist. Es sind das die Flüchtlinge, die Heimatvertriebenen und ganz besonders die älteren arbeitslosen Angestellten. Ich möchte hier allerdings unseren Antrag für die Behandlung im zuständigen Ausschuß schon etwas erweitern, und zwar in dem Sinne, daß diese Mittel auch zur Berufsumschulung und im Hinblick auf konjunkturpolitische Erfordernisse auch für Rationalisierungsmaßnahmen in Geschädigtenbetrieben verwendet werden dürfen. Es kann hier nicht eingewandt werden, daß die hierfür im Lastenausgleichs fonds zur Verfügung stehenden Mittel nicht voll ausgeschöpft werden; Diese Tatsache ist keineswegs darauf zurückzuführen, daß kein echtes Bedürfnis für diese Aufgabe vorliegt, sondern die Bedingungen, unter denen diese Mittel aus dem LAG-Fonds vergeben werden, sind so hart und drückend, daß die Kreditbedürftigen diese Gelder nicht in Anspruch nehmen können.
Damit ist gleichzeitig gesagt, daß die nunmehr mit unserem Antrag geforderten Haushaltsmittel unter anderen, d. h. leichteren Vergabebedingungen vergeben werden sollten.
Wir haben ein Interesse daran, daß die Bundesregierung alles tut, urn einerseits das Fortdauern der Konjunktur zu gewährleisten, andererseits mit Energie alle schädlichen Auswirkungen der Konjunktur von vornherein unterbindet. Die natürlichen Mittel des Staates, auf die Konjunkturlage einzuwirken, liegen wohl in der Steuerpolitik und in der Zollpolitik.
Daneben ist für den Staat die Möglichkeit gegeben, in psychologischer und propagandistischer Weise auf die Gefahren, die sich aus der erreichten Vollbeschäftigung ergeben, hinzuweisen und einzuwirken.
Vom Unternehmer muß der Staat fordern, daß er auf Kapazitätserweiterungen verzichtet und Investitionen nur dort vornimmt, wo sie zur Festigung seines Betriebes unbedingt erforderlich sind. Die Rationalisierung der bestehenden Betriebe zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität und zur Einsparung von Material und Arbeitskräften ist vordringlicher als Neuinvestition! Etwaige Überschüsse sollten die Unternehmer vordringlich zur Senkung ihrer Preise und zur Verbesserung ihrer Liquiditätslage verwenden!
Andererseits muß den Arbeitnehmern und ihren Organisationen nahegelegt werden, mit zu hohen Lohnforderungen zurückzuhalten und erst abzuwarten, ob durch die zu ergreifenden Maßnahmen
die notwendige Verbesserung des Lebensstandards nicht in höherem Maße erreicht werden kann. Für dieses Verlangen kann man beim Arbeitnehmer aber nur dann Verständnis erwarten, wenn vorher der Appell zur Preissenkung Erfolg gehabt hat.
Auch der Verbraucher muß seinen Beitrag zur Erhaltung einer gesunden Konjunkturlage leisten, indem er sich beim Kauf überteuerter Waren Beschränkungen auferlegt. Er wird dadurch die Preisstabilität oder die Preisminderung der Waren fördern.
Wir sind gern bereit, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die von ihm gewünschte Freiheit zu notwendigen zollpolitischen Maßnahmen einzuräumen, einschließlich der sogenannten JedermannEinfuhren. Diese Jedermann-Einfuhren dürfen aber nicht etwa ausgerechnet Wirtschaftszweige in Bedrängnis bringen, die an der Konjunktur bisher nicht teilhaben konnten. Wir denken hier insbesondere an die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie.
Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Elfpunkteprogramm erklärt, daß es die Absicht der Bundesregierung sei, Senkungen von Verbrauchsteuern da vorzuschlagen, wo die Sicherheit besteht, daß die Senkung dieser Steuern dem Verbraucher zugute kommen wird, dann findet er uns ganz auf seiner Seite. Wir möchten aber möglichst heute schon wissen, welche konkreten Maßnahmen in dieser Hinsicht von der Bundesregierung vorgesehen sind.
Wenn er weiter erklärt, daß eine lineare Steuersenkung von der Bundesregierung aus konjunkturpolitischen Gründen nicht erwogen werden kann, dann wird man dem nur dann zustimmen können, wenn die Bundesregierung zugleich bereit ist, in ihrer Investitionssteuerpolitik neue Wege zu beschreiten. Wir sind uns, vielleicht auch mit Ihnen, darüber im klaren, daß die steuerliche Begünstigung auch jener Investitionen, die über den Rand des wirtschaftlich Notwendigen hinaus gemacht wurden, wesentlich zur Überhitzung der Konjunktur in gewissen Wirtschaftszweigen beigetragen hat.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die offenbar erforderlichen Privatgespräche nicht mit voller Lautstärke zu führen. Der Redner ist sonst bei aller gespannten Aufmerksamkeit nicht zu verstehen.
Wir meinen, daß gerade hinsichtlich der bisherigen Investitionssteuerpolitik der Bundesregierung in dieser Hinsicht Wandel geschaffen werden muß.
Wir sind allerdings der Auffassung, daß in steuerpolitischer Hinsicht gezielte Senkungsmaßnahmen durch generelle Erleichterungen für Betriebe regional unterentwickelter Gebiete, für Vertriebenen- und Flüchtlingsunternehmungen und für jene Branchen, die mit der Entwicklung nicht Schritt halten konnten, zusätzlich zu den vom Herrn Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagenen Maßnahmen ins Auge gefaßt werden müssen.
Wenn man solche gezielten Steuersenkungen einführt, dann wird im Hinblick auf die, besonders schwierige Situation dieser Unternehmungen, auf ihre schwache Ertragslage und im Hinblick auf die immer wieder bei ihnen zutage getretene Unmöglichkeit, Eigenkapital zu bilden, endlich der Grundsatz der Steuergerechtigkeit verwirklicht werden.
In diesem Zusammenhang hat auch unser Antrag auf Drucksache 1760 auf Einführung einer Rüstungsgewinnabgabe Bedeutung. Wir haben hierbei ausdrücklich vorgesehen, daß von der von uns beantragten Rüstungsgewinnabgabe, zu der mein Kollege Keller vermutlich heute noch in der Begründung näher sprechen wird, die Betriebe in Berlin, im Zonenrandgebiet und in Notstandsgebieten und die Unternehmungen von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen ausgenommen werden oder zumindest fühlbare Erleichterungen erhalten. Neben Erleichterungen steuerlicher Art, die der Festigung dieser Betriebe dienen sollen, wollen wir mit dieser Ausnahmebestimmung in unserem Antrag für die Berliner, die Vertriebenenbetriebe und die Unternehmen in unterentwickelten Gebieten bessere Startmöglichkeiten im Wettbewerb um Rüstungsaufträge, soweit das möglich ist, schaffen.
Beim Anlaufen der Rüstungsaufträge muß nach unserem Dafürhalten im Interesse der Erhaltung einer gesunden Konjunkturlage Wert darauf gelegt werden, die Aufträge auf einen möglichst langen Zeitraum zu verteilen. Nur so können Stoßanforderungen vermieden werden. Gegebenenfalls sollte unumgänglicher Stoßbedarf durch Einfuhren gedeckt werden, um die kostspielige Errichtung neuer und später womöglich überflüssig werdender Rüstungskapazitäten zu vermeiden. Im übrigen muß unbedingt vorgesorgt werden, daß die Vergabe von Rüstungsaufträgen die wirtschaftliche Ballung in gewissen Gebieten unseres Staates nicht noch mehr fördert. Sie muß vielmehr so gehandhabt werden, daß alle Möglichkeiten zur Annäherung der Leistungsfähigkeit wirtschaftlich unterentwickelter Gebiete an die von Gebieten mit Wirtschaftsballung ausgeschöpft werden.
Die bedenklichsten Auswirkungen der Konjunktur haben sich, wie gestern in allen Reden erwähnt worden ist, auf dem Bausektor gezeigt. Die dort zutage tretenden Übersteigerungen sind nicht auf den Wohnungsbau zurückzuführen. Zwar können wir hier mit Genugtuung feststellen, daß das Ergebnis von 1954 auch in diesem Jahre gehalten, wahrscheinlich sogar etwas überschritten wird. Die Überhitzung im Bausektor hat hingegen konjunkturelle Gründe. Für dieses Jahr ist im gewerblichen und industriellen Bausektor mit 20 % höherer Arbeitsleistung, auf dem öffentlichen Sektor, mit dem des Straßenbaus, ebenfalls mit 20 %, beim öffentlichen Tiefbau sogar mit 30 % und selbst bei landwirtschaftlichen Bauten mit etwa 8 % höherer Bauleistung zu rechnen.
Der Wohnungsbau aber ist und bleibt die vordringlichste Aufgabe unserer Bauwirtschaft. Es muß deshalb alles getan werden, damit diese Sparte nicht benachteiligt wird. Die Benachteiligung droht durch Überinanspruchnahme von Arbeitskräften und Baustoffen für andere Bauvorhaben. Noch gefährlicher ist die konjunkturbedingte Preissteigerung, weil sie, besonders beim sozialen Wohnungsbau, die langfristig vorgeplanten Finanzierungen über den Haufen zu werfen droht.
Gegen diese bedenklichen Erscheinungen müssen gezielte Abwehrmaßnahmen in verstärktem Maße ergriffen werden. Die gewerbliche Wirtschaft wird bei der von ihr verlangten Zurückhaltung von Investitionen vornehmlich den Bausektor ins Auge
fassen müssen. Für die öffentliche Hand aber ist es nunmehr ein zwingendes Gebot, eigene Bauvorhaben, soweit das nur irgend geht, zu drosseln oder völlig zurückzustellen. Dabei soll natürlich nicht schematisch verfahren werden. Der Straßenbau, der Tiefbau sowie der Bau von Schulen und Krankenhäusern bilden weitgehend eine Ausnahme, da es sich hier sehr oft um die Behebung von Notständen handelt.
Für den sozialen Wohnungsbau sind aber noch zusätzliche Schwierigkeiten aufgetreten. Im sozialen Wohnungsbau werden bekanntlich die Bauvorhaben für den Personenkreis der Geschädigten nach dem Lastenausgleichsgesetz aus Mitteln des Ausgleichsfonds mitfinanziert. Die für das laufende Jahr vorgeplanten Lastenausgleichsmittel, nach denen auch die Inanspruchnahme der Mittel des Kapitalmarkts und der öffentlichen Mittel gesichert wurde, stehen nicht in der veranschlagten Höhe zur Verfügung. Es klafft zur Zeit zwischen den vorliegenden Anträgen und den aus dem Lastenausgleichsfonds zur Verfügung stehenden Mitteln eine Finanzierungslücke, die im gesamten Bundesgebiet bei sehr vorsichtiger Schätzung etwa 140 bis 180 Millionen DM ausmachen dürfte. Dabei handelt es sich — ich erwähne das zur Verdeutlichung — durchweg um fehlende Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau nach dem Lastenausgleichsgesetz. Infolge des Fehlens dieser Mittel liegen aber auch die zur Verfügung stehenden anderen Mittel brach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ganze Land Hessen benötigt zur Schließung der derzeitigen Finanzierungslücke im sozialen Wohnungsbau, und zwar für alle seine Vorhaben im Lande, in diesem Jahr für Geschädigte nur wenige Millionen mehr, als ein einziger und noch dazu angeblich provisorischer Verwaltungsbau — das Ministerium des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer in Bonn — gekostet hat!
Meine Fraktion hat, um diesen Mißständen abzuhelfen, dem Hohen Hause den Antrag auf Drucksache 1757 vorgelegt. Mit diesem Antrag ersuchen wir die Bundesregierung, aus ihrem Haushalt dem Lastenausgleichsfonds Überbrückungsmittel zur Verwendung als Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Wir meinen, daß das erhöhte Steueraufkommen die Bundesregierung durchaus in die Lage versetzt, diesem Antrag zu entsprechen.
Im Gegensatz zur Hochkonjunktur der deutschen Wirtschaft und der zum Teil überhitzten Konjunktur einzelner Wirtschaftszweige hat die Landwirtschaft an der fortschreitenden Entwicklung der Gesamtwirtschaft nicht in dem notwendigen Umfange teilnehmen können. Aus diesem Grunde hat vor wenigen Monaten der Deutsche Bundestag das Landwirtschaftsgesetz angenommen. Auch meine Fraktion vertritt die Auffassung, daß der Landwirtschaft Gelegenheit gegeben werden muß, an der Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft teilzunehmen. Der gebührende Anteil am wachsenden Sozialprodukt darf ihr nicht versagt werden. Die Verbilligung ihrer Produktionsmittel, die der Herr Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bereits angestrebt hatte, hätte ihre Lage wesentlich erleichtern können. Leider haben die Bemühungen des Herrn Landwirtschaftsministers zu keinem Erfolg geführt, j a die Lohnbewegung brachte der Landwirtschaft zum Teil eine Steigerung der Produktionsmittelpreise und erschwerte dadurch erneut ihre Lage.
Meine Fraktion hat weitgehendes Verständnis für die berechtigten Forderungen der Landwirtschaft und wird sie unterstützen, um diesem wichtigen Berufsstand die Existenz- und Entwicklungsgrundlage zu geben, damit er seine Funktion im Rahmen der gesamten Wirtschaft voll erfüllen kann. Aber auch wir erwarten von der Grünen Front, daß sie nach Recht und Billigkeit das gleiche Verständnis und die notwendige Unterstützung aufbringt, wenn es um die Behebung sozialer Notstände bei den sozial schwachen Schichten unseres Volkes geht.
Soziale Besserstellung dieses Bevölkerungsteiles heißt zugleich auch Steigerung der Kaufkraft zugunsten der landwirtschaftlichen Erzeugung, insbesondere ihrer Veredelungserzeugnisse.
Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz folgendes sagen. Eine gesunde und verantwortungsbewußte Wirtschaft wird ihre Verpflichtungen gegenüber Staat und Volk anerkennen. Das Wirtschaftswunder schafft der Mensch mit seiner fachlichen Leistung und seinem Fleiß. Er soll daher auch teilhaben an seinen Werten! Die guten Seiten unserer Wirtschaftslage wurden in den gestrigen' Reden unterstrichen. Aber auch ihre Schwierigkeiten sind aufgezeigt worden; sie müssen überwunden oder verhindert werden. Wir wollen einen sozial gerechten Staat, den zu verteidigen es sich lohnt. Die Bundesregierung muß dazu durch eine gesunde, allen dienende Wirtschaftspolitik und durch die Verwirklichung unserer dringenden sozialen Anliegen ihren fälligen Beitrag leisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich versuchen werde, den Standpunkt meiner Freunde von der Deutschen Partei in dieser konjunkturpolitischen Debatte darzulegen, möchte ich eine persönliche Bemerkung machen. Der Herr Regierende Bürgermeister Suhr hat davon gesprochen, daß die Nüchternheit und die Klarheit der Berliner Luft wohltätig auf uns ausstrahlen möge; er hat es nicht ganz so gesagt, aber er hat es so etwa gemeint. Ich hoffe, daß dieser Wunsch sich erfüllen wird bei der Behandlung der vielen, nach meiner Meinung allzu vielen Anträge, die zu diesem Thema gestellt worden sind. Wenn wir hier über eine Konjunkturüberhitzung sprechen, so gilt das — zumindest steht das für mich fest — ebenso für die Produktivität in der Stellung von Anträgen und der Einbringung von Gesetzentwürfen. Ich glaube hier für meine Freunde sagen zu dürfen, ein Weniger wäre mehr gewesen.
Ich habe bewußt darauf verzichtet, nun von unserer Seite ebenfalls Anträge zu stellen, weil ich die Auffassung vertrete, daß alle die Probleme, die uns hier bewegen, im Rahmen unserer üblichen parlamentarischen Arbeit oder im Zusammenhang mit Anträgen, die bereits gestellt worden sind, hätten erledigt werden können. Ich möchte weitere Bemerkungen über diesen Gegenstand nicht machen, da mir der nötige Berliner Witz fehlt, um die Dinge darzustellen, ohne verletzend zu wirken. Diese Bemerkung sei mir gestattet.
Nun zur Sache! Vielleicht würdige ich die gestrige Diskussion und auch die Regierungserklärung richtig, wenn ich sage, ich habe den Eindruck bekommen, als wenn jetzt auf dem Preisgebiet so gut wie nichts los sei, als wenn keiner es gewesen sein wollte, der die Diskussion über die Preise in Gang gebracht habe. Ich freue mich über die Sachlichkeit, mit der namentlich der Diskussionsredner Herr Dr. Deist von der Opposition diese Frage behandelt hat. Ich weiß mich völlig mit allen Diskussionsrednern einig, daß in der Tat die Preisbewegung bislang so minimal gewesen ist, daß sie zu einer ernsten Befürchtung keinen Anlaß gibt. Es ist gut, daß auch ich dies hier feststellen kann.
Aber wir sollten doch der Öffentlichkeit aus Anlaß der tatsächlich vor einigen Wochen stattgehabten sehr erregten Preisdiskussion sowohl in der Presse als auch in allen Verbraucherkreisen einige Grundtatsachen unserer Preisbewegung klarzumachen versuchen. Ich selber war in jenen Wochen gar nicht in Deutschland, als das Gespräch über die Preise in Gang kam. Ich war damals im Ausland und habe wochenlang keine deutschen Zeitungen gelesen. Ich war maßlos überrascht, dann zu hören, mit welcher Erregtheit, mit welcher Spannung dieses Problem hier in Deutschland diskutiert wurde, obwohl, wie sich bei nüchterner Prüfung auch heute ergibt, eigentlich nicht viel los war.
Wenn wir aber analysieren, welche Preise in Bewegung geraten sind, so schälen sich zwei Gruppen heraus. Die eine Gruppe ist — ich glaube nicht falsch zu analysieren — die Gruppe der politisch gebundenen Preise. Ich denke an die Mietpreiserhöhung, die natürlich gewisse Rückwirkungen auf die Öffentlichkeit gehabt hat. Aber ich spreche, glaube ich, auch die Überzeugung der Mehrheit dieses Hauses aus, wenn ich sage, daß diese Preislockerung auf dem Altbaumietensektor längst überfällig war. Eine weitere Preiserhöhung hat in gewissem Umfang auf dem Kohlenmarkt stattgefunden. Auch diese ist nach meiner Überzeugung notwendig. Schließlich sind gewisse Preise auf dem Ernährungssektor in Bewegung geraten. Ich denke an Kartoffeln, ich denke aber auch an die nicht eingetretene Preiserhöhung bei der Milch. Gerade diese vorgesehene Preiserhöhung hat wohl die Öffentlichkeit am meisten bewegt und hat in der Tat Reaktionen ausgelöst, die in diesem Hause nicht verschwiegen werden sollen. Ich denke an die Milchstreik.
Lassen Sie mich eine Überzeugung aussprechen, die, glaube ich, ausgesprochen werden muß. Ich bin mit vielen meiner Freunde — nicht nur von der Deutschen Partei — der Auffassung, daß der Milchpreis auf die Dauer nicht so niedrig bleiben kann. Wenn wir ihn niedrig halten, dann müssen wir ihn manipulieren, dann müssen wir Subventionen geben. Ich weiß nicht, ob das die Lösung ist, mit der wir auf die Dauer um Preisbewegungen herumkommen. Ich bin anderer Auffassung.
Es wäre sicherlich leichter gewesen—das scheint mir die entscheidende Frage zu sein, warum wir uns so sehr schwer in der Behandlung dieser Preisbewegung tun —, wenn vor den Preiskorrekturen, wie ich sie einmal bezeichnen möchte, die in gewissem Umfang stattgefunden haben, die Renten erhöht worden wären. In der Tat ist es die Überzeugung des gesamten Hauses, daß nahezu ein Fünftel unseres Volkes noch im Schatten steht und daß wir die Verpflichtung haben, dafür zu sorgen, daß gerade diese Menschen in ihrem Lebensstandard nun teilhaben an dem allgemeinen Aufschwung, den wir Gott sei Dank im deutschen Volk unter Beteiligung aller Kräfte — ich bin auch da der Auffassung des Oppositionssprechers — haben erringen können. Ich muß im Namen meiner Freunde ganz deutlich machen, daß wir mit der Behandlung der sozialpolitischen Probleme, wie sie durch den Herrn Arbeitsminister in der Vergangenheit erfolgt ist, nicht einverstanden sind; ich betone das nachdrücklich. Es wäre besser, und, ich wiederhole es, wir hätten uns leichter getan in der öffentlichen Diskussion über die Preise, wenn diese Sicherstellung der Kreise, die nicht mehr im Wirtschaftsprozeß tätig sind, vorhergegangen wäre.
Insofern begrüße ich es, daß die Regierungserklärung an diesem Punkt nicht vorübergeht, und ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß wir nicht eine leere Deklaration gehört haben, sondern daß sich nun auch Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard dieser Verpflichtung und auch der Zusammenhänge zwischen Konjunkturpolitik und Wirtschaftspolitik bewußt ist.
Auch eine andere Gruppe von Preisen ist in Bewegung geraten, wovon der Verbraucher im allgemeinen noch nichts gemerkt hat. Darüber sollten wir ebenfalls nicht schweigen, weil diese Tatsache einen Grundtatbestand unserer Volkswirtschaft erhellt. Es sind nämlich gewisse Rohstoffpreise erhöht worden. Diese Erhöhung hat zunächst auf dem Weltmarkt stattgefunden. Ich denke an den Rohkautschuk, an Kupfer und andere Nichteisenmetalle, ich denke aber auch an Holz. In diesem Zusammenhang kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß es leider anscheinend sehr schwerfällt, nachgeordnete Organe des Bundes und auch der Länder dazu anzuhalten, die allgemeinen Richtlinien unserer Bundeswirtschaftspolitik zu befolgen. Jedenfalls haben sich staatliche Organe kräftig an der Preistreiberei auf dem Holzsektor beteiligt.
Zu diesem Punkt wäre noch manches zu sagen, aber schon Herr Kollege Hellwig sowohl als auch Kollege Scheel haben gestern einige treffende Bemerkungen darüber gemacht. Ich will also nicht wiederholen. Ich mache diese Bemerkung vor allen Dingen deswegen, weil mir ein Industrieller erklärt hat, daß er die Preiserhöhungen bei Kautschuk, die er an und für sich beim Enderzeugnis hätte berücksichtigen müssen, nur habe auffangen können, weil die Steuerermäßigung des vergangenen Jahres ihm gewisse Reserven verschafft habe. Sie sehen hier den unmittelbaren Zusammenhang der Steuerpolitik mit der Preispolitik.
Ich möchte aber im Zusammenhang mit dieser Preisbewegung noch eines sagen. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Preise nicht konstant sind.
Der Preis ist nun einmal ein Indikator, und er hat eine sehr wirksame und wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Es ist eine altbekannte volkswirtschaftliche Erkenntnis — aber ich möchte daran erinnern, weil gestern nicht davon gesprochen worden ist —, daß eine Preiserhöhung den Sinn hat, die Warennachfrage in der Volkswirtschaft von einem Sektor zu verlagern auf andere Wirtschaftsgüter. Ich stelle fest, daß der Konsument, nicht nur die Hausfrau, sondern auch der Konsument in der Wirtschaft — wir sind in der Wirtschaft auch alle Konsumenten —, sich anscheinend noch nicht gewöhnen kann, diese Funktion des Preises zu beachten.
Die Erregung, die jede Preiserhöhung zu Recht oder zu Unrecht auslöst, zeigt mir, daß wir alle noch von einem tiefen Mißtrauen in bezug auf die Stabilität unseres Wirtschaftsgefüges erfüllt sind. Wenn das nicht so wäre, hätte eine leichte Erhöhung von 2, bestenfalls 3 %, wie sie sich tatsächlich in den Lebenshaltungskosten ausdrückt, nicht eine solche Diskussion entfachen können. Ich begrüße daher besonders, daß das Hohe Haus der gestrigen Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers einstimmig zugestimmt hat, daß er sich als Garant einer stabilen Währung fühle. Die letzte Ursache der Erregung scheint mir gewesen zu sein, daß jede Preisbewegung in uns Erinnerungen an eine Zeit weckt, die wir hoffentlich für immer hinter uns haben. Das ist nicht verwunderlich — ich betone das noch einmal —, weil eben ein großer Teil unseres Volkes an den Auswirkungen des zweimaligen Verfalls unserer Währung noch heute krankt. Um so mehr muß die sozialpolitische Verpflichtung berücksichtigt werden, die aus dieser Tatsache herrührt.
Ich glaube, daß ich dieses Gebiet nun verlassen kann. Wir waren uns erfreulicherweise in der Auffassung einig, daß irgendwelche alarmierenden Zeichen auf dem Preissektor vorerst nicht vorliegen. Ich darf dem Herrn Bundeswirtschaftsminister aber noch eine Erfahrung über seine psychologische Beeinflussung der Erzeuger hinsichtlich der Preissenkung bzw. Preisstabilität mitteilen. Zu meiner eigenen großen Überraschung hat mir in der vergangenen Woche ein Wirtschaftler mitgeteilt, daß einige seiner Kollegen gerade mit Rücksicht auf das sehr starke Bemühen des Herrn Wirtschaftsministers, auf sein ewiges Gerede über Preissenkung und Preisstabilität beschlossen hätten: Nun, irgend etwas kommt doch hinsichtlich der Preistreibereiparagraphen, der Preisvorschriften; seien wir also vorsichtig und ziehen mal so langsam mit den Preisen mit. — Ein sicherlich höchst unerwünschter Erfolg! Für mich war das überraschend, und ich bin mir mit dem ganzen Hause darin einig, daß eine solche Manipulation zu verurteilen ist.
Aber Sie sehen, eine psychologische Marktbeeinflussung kann auch unerwünschte Wirkungen haben. Ich spreche davon, einmal damit eine Warnung hinausgeht, zum andern aber auch, weil ich gleich die Auffassung meiner politischen Freunde bekanntgeben möchte, daß wir jeden Preistreibereiparagraphen — in welcher Form er auch kommen möge — für falsch halten. Wenn wir an die Funktion des Preises in einer freien Marktwirtschaft glauben, so müssen wir diese Funktion des Preises sich auch entwickeln lassen.
Ich komme jetzt auf ein Gebiet, dessen Entwicklung zumindest in gleichem, wenn nicht in höherem Maße eine gewisse Befürchtung aufkommen läßt, nämlich das Gebiet der Löhne. Herr Kollege Deist hat sich gestern sehr eingehend und, ich muß sagen, auch sachlich mit diesem Problem auseinandergesetzt. Die These, die Herr Kollege Deist vorgetragen hat, ist nicht neu. Es ist ein altes und auch verständliches Begehren gerade der sozialdemokratischen Opposition, daß der arbeitende Mensch einen höheren Anteil am Sozialprodukt haben solle, und Herr Kollege Deist hat versucht, diese These mit statistischen Zahlen zu begründen. Ich glaube, daß seine statistischen Zahlen einigermaßen richtig sind. Ich bin mir der Fragwürdigkeit der statistischen Erfassung durchaus bewußt, glaube aber trotzdem, daß wir allen Grund haben, die Diskussion mit Hilfe der Statistik zu führen.
Ich weiß nicht, welche Unterlagen Herr Kollege Deist herangezogen hat; ich glaube aber, zum Teil haben wir die gleichen Unterlagen bearbeitet. Ich beziehe mich bei meinen Darlegungen auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht aus dem September. Dort steht in einem Aufsatz über die Lohnquote schon auf der ersten Seite ganz klar, daß der Lohnanteil der Unselbständigen — der Nettolohnanteil am Nettosozialprodukt — in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 mit etwa 43 % am höchsten gewesen und daß er dann abgesunken sei. Zur Zeit—im ersten Halbjahr 1955 — liegt er bei 40,3 %. Die Zahlen, die Herr Kollege Deist gegeben hat, sind also sicherlich einwandfrei, und ich bin mit ihm durchaus der Auffassung, daß es wünschenswert wäre, wenn im Laufe einer Entwicklung, über deren Dauer ich noch nichts sagen kann, der Lohnanteil stiege.
Bevor ich weitere Ausführungen zum Lohn mache, möchte ich, um mich vor Verdächtigungen zu schützen, eine Bemerkung des amerikanischen Soziologen Drucker wiedergeben, der haargenau der Auffassung ist, die ich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis vertrete. Er sagt etwa, daß in einer Industriegesellschaft, deren materieller Wohlstand, deren fortschreitender Standard im wesentlichen auf dem Mechanismus der Massenerzeugung beruht, die Voraussetzung der Massenerzeugung selbstverständlich der Massenverbrauch ist und daß durch diese Beziehung die Interessen sowohl der Unternehmensleitungen als auch der Arbeitnehmer verkoppelt sind. Auf deutsch gesagt: jeder Unternehmer hat ein dringliches, ureigenes Interesse daran, daß die Lohnquote möglichst hoch ist. Wir können uns also nur darum streiten, wie hoch sie ist, in welchem Maße wir sie erhöhen. Daß sie möglichst hoch sein muß, davon bin ich mit allen meinen Freunden überzeugt. Ich glaube auch, daß niemand im Hause ist, der dieser These widersprechen wird.
Ich meine, daß die Lohnquote in Deutschland nicht ohne weiteres mit den Lohnquoten in anderen Staaten in Relation gesetzt werden kann. In der politischen Diskussion über die Löhne ist wiederholt auf das Beispiel in England und insbesondere darauf verwiesen worden, daß dort weniger investiert werde und infolgedessen der Anteil der unselbständigen Lohnempfänger relativ höher sei. Das ist alles richtig, aber ich bitte doch zu bedenken, daß hier ganz verschiedene Ausgangslagen bestehen. Solange wir — ich glaube, das ist allgemeine Überzeugung — unseren Wirtschaftsapparat noch nicht auf den höchsten Stand einer rationellen Erzeugung bringen konnten — wir sind noch nicht so weit, die Produktivitätszahlen in Deutschland sind durchaus noch nicht so hoch, daß sie den Ver-
gleich mit anderen industrialisierten Staaten aushalten können —, ist es notwendig, daß wir einen größeren Teil unseres Volkseinkommens in die Investitionen stecken.
— Das ist eben ein bedauerliches Zeichen dafür, daß unser Kapitalmarkt noch nicht in Ordnung ist, und daß er noch nicht in Ordnung ist, lieber Herr Kollege Hansen, geht einfach aus dem Zinssatz hervor; das ist der deutlichste Beweis dafür. In England werden bekanntlich langfristige Investitionen mit einem Zinssatz von 3 3/4 % durchgeführt, während wir nahezu das Doppelte zahlen. Das ist der beste Beweis dafür, daß unser Kapitalmarkt seine Funktionen noch nicht erfüllen kann,
obwohl ich gar nicht leugne, daß sich da viel gebessert hat. Die Sparquote von nahezu 20 Milliarden, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gestern angeführt hat, ist ein beredter Beweis dafür, daß wir auf dem besten Wege sind, auch dort Erfolge zu erzielen.
Wenn man in der lohnpolitischen Diskussion Statistiken anführt, ist es gut, wenn man sie vollständig anführt. Wenn man sich also, wie Kollege Deist es getan hat, beklagt, daß der Lohnanteil der Unselbständigen noch nicht hoch genug sei, dann muß man billigerweise auch ein anderes Element in der Beteiligung am Nettosozialprodukt wiedergeben: die Entwicklung des Einkommensanteils der Selbständigen. Erfreulicherweise haben wir da einen ständig absinkenden Anteil zu verzeichnen. Ich darf die Zahlen nennen: Wir haben 1949 im ersten Halbjahr 25% und im zweiten Halbjahr 22 % gehabt. Dann steigt der Anteil wieder auf 28,9, 29,1 %. Er geht dann auf 23,9 % im zweiten Halbjahr 1952 herunter. Er fällt im Jahre 1953 zunächst auf 20,4 %, steigt im zweiten Halbjahr wieder etwas, auf 21,7 %, und rutscht dann auf 20,8 % herunter. Zur Zeit liegt er bei 21,7 %. Sie sehen, es ist ein etwas unregelmäßiges, aber ständiges Absinken, und das ist gut so. Es zeigt den Normalisierungsprozeß, von dem wir und Sie, Herr Kollege Hansen, gesprochen haben, den Normalisierungsprozeß auf dem Kapitalmarkt, es zeigt, daß wir die Investitionen nicht nur über den Preis machen können, sondern daß wir jetzt in verstärktem Maße den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen.
Aber nun sollte man, um die Dinge ganz richtig zu beurteilen, auch einmal die Entwicklung betrachten, die das Nettoeinkommen der öffentlichen Hand genommen hat. Da will ich die Zahlen von 1948 wieder herauslassen, weil sie besonders tief liegen. 1949 waren es 20,5 %, 1950 fiel der Anteil auf 19,7 % bzw. 18,3 % im zweiten Halbjahr. Dann stiegen die Prozentzahlen langsam an; wir sind im Augenblick bei 24,3 %. Wenn wir also die Umlenkung der Einkommensströme, von der Kollege Deist gestern gesprochen hat und mit der ich im Prinzip völlig einverstanden bin, jetzt durchführen wollen, so wird klar: hier ist ein Teilhaber am Nettosozialprodukt, der meiner Meinung nach sehr wohl eine Einschränkung seines Anteils vertragen kann; es ist eben das Einkommen der öffentlichen Hand. Wir werden bei den Steuern auf dieses wichtige Gebiet kommen. Wenn es uns gelingt, dort eine Drosselung herbeizuführen derart, daß Steuersenkungen im wesentlichen dem Verbraucher, also dem Einkommensempfänger in unselbständiger Beschäftigung, zukommen, dann sind wir einen großen Schritt weiter in dieser Diskussion.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einen anderen Gedanken anführen. Ich glaube, die Besorgnis wegen der Entwicklung auf dem lohnpolitischen Sektor sollte nicht bagatellisiert werden, wie das gestern zum Teil versucht worden ist. Die lohnpolitische Bewegung wird meiner Meinung nach bedenklich. Es ist auch richtig, daß die Löhne in dem Umfang erhöht werden können, wie die Produktivität steigt. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß eine lohnpolitische Betrachtung unter Zugrundelegung nur der Statistik über die Anteile an dem Nettosozialprodukt unvollständig ist. Es würde ein schiefes Bild geben, wenn ich verschweigen wollte, daß die reale Kaufkraft der Löhne ständig gestiegen ist. Ich könnte auch das mit Zahlen belegen; ich fürchte nur, daß ich Sie damit ermüden würde. Jedenfalls weiß jeder Kenner dieser Materie, daß der Lohnindex in der Tat erheblich gestiegen ist. Der Realwochenlohnindex liegt, glaube ich, bei 124 gegenüber 100 im Jahre 1950, während die entsprechende Zahl für die Lebenshaltungskosten mit 108 erheblich niedriger liegt. Es liegt also in der Tat eine echte Einkommenssteigerung für jeden Lohnempfänger vor. Das darf nicht verschwiegen werden.
Aber nun zu der Frage, in welchem Ausmaß oder ob überhaupt Lohnsteigerungen möglich sind. Ich möchte auch hier die Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vortragen und mich ihr anschließen. Die allgemeine Grunderkenntnis ist: Lohnerhöhungen ohne Preiserhöhungen sind nur möglich, wenn die Löhne lediglich in dem Maße angehoben werden, wie es die Produktivität zuläßt. Übersteigern wir die Lohnquote über dieses Maß hinaus, so schlittern wir in die Inflation. Die sogenannte expansive Lohnpolitik ist das gefährlichste Instrument auf wirtschaftlichem Gebiet, das man sich denken kann. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß mit der Person des Vaters dieses Gedankens auch der Gedanke selber aus der Gewerkschaftsbewegung verschwindet.
Es wäre sicherlich gut für die kommende Diskussion, wenn von dieser Idee Abstand genommen würde.
Im übrigen ist — das wird Sie von der Opposition vielleicht freuen — von einer Spaltung der Gewerkschaft nichts zu halten. Das ist meine Auffassung, und ich betone nochmals: ich sehe in der Gewerkschaft ein notwendiges Instrument; es wäre bedauerlich, wenn dieses Instrument nicht vorhanden wäre. Das sage ich hier ganz deutlich.
Ich weiß, daß das nicht die Auffassung aller meiner Freunde ist; ich trage hier meine persönliche Auffassung vor.
Ich darf meine Ausführungen zur lohnpolitischen Diskussion vielleicht abschließen mit einem Zitat aus eben dem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es ist in diesem Hause eine liebe Übung geworden, das Schlagwort zu gebrauchen, man vertrete irgendwelche Gruppeninteressen. Ich bedauere, daß sich auch der Herr Bundeswirtschaftsminister immer wieder diesen Ausspruch zu eigen macht. Ich darf vielleicht am Schluß meiner Ausführungen darauf noch etwas
sagen. — Damit ich also nicht in den Verdacht gerate, daß ich hier Gruppeninteressen vertrete — ich bin nebenbei gesagt Angestellter —, darf ich die Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit Erlaubnis des Herr Präsidenten wörtlich zitieren. Es heißt dort im Zusammenhang mit der Diskussion über Produktivität und Lohnsteigerung:
Das Nettosozialprodukt ist hiernach im letzten Halbjahr, verglichen mit der entsprechenden Vorjahrszeit, um 12,5 % angewachsen. Dabei hat sich die Zahl der Beschäftigten um 5,6 %, die Leistung je Beschäftigten um 6,6 %, das durchschnittliche Lohneinkommen aber um 6,4 % erhöht.
Das ist also eine Differenz von 0,2 %.
Die Zuwachsrate des Durchschnittseinkommens lag also ein wenig unter dem nominalen Zuwachs der Effizienz. Dies kommt auch in dem ganz leichten Absinken der Lohnquote in der Haupttabelle zum Ausdruck. Für den industriellen Bereich allein wird im gleichen Zeitraum eine Zunahme des Wertes der Produktion um 18,8 % ausgewiesen. Dabei hat die Zahl der in der Industrie Beschäftigten um 8,5 % zugenommen, und das Durchschnittseinkommen je Beschäftigten ist um 6,5 % gestiegen. Zusammengenommen sind also im Industriebereich die Löhne der Effizienzentwicklung nicht ganz gefolgt. Bei Betrachtung der Monatszahlen tritt die innerhalb des vergangenen Halbjahres stark steigende Tendenz der Entwicklung des Durchschnittslohnes und damit die allmähliche Anpassung der Lohnentwicklung an die Entwicklung der industriellen Produktivität klar zutage.
Ich könnte Ihnen das noch weiter vorlesen, möchte mich aber auf den Schlußsatz beschränken:
Vor allem wäre in Hinsicht auf die Preis- und Lohnentwicklung ein Maßhalten der für einen geordneten .Ablauf des Wirtschaftsprozesses letztlich verantwortlichen Sozialpartner unabdingbar. Insbesondere zeigen die genannten Zahlen eindringlich, daß Lohn- und Gehaltsforderungen, die den oben gesteckten Rahmen weit überschreiten, nicht zu dem gewünschten Erfolg führen können.
Ich möchte dem bis auf eine Bemerkung nichts hinzufügen. Ich hoffe, daß alle Sozialpartner in Zukunft die notwendige Einsicht dahin haben, daß an der Produktivitätssteigerung nicht nur der im Wirtschaftsprozeß Tätige teilhaben muß, sondern daß es unbedingt notwendig ist, eine Formel zu finden, nach der auch diejenigen, die aus dem Wirtschaftsprozeß ausgeschieden sind, an den Ergebnissen der zukünftigen Produktivitätssteigerung beteiligt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Lösung dieses Problems so schwierig ist, wenn alle Partner die nötige Einsicht haben, daß dies eine unabdingbare sozialpolitische Forderung ist.
Ich möchte noch ganz kurz auf eine Frage eingehen, die auch Kollege Deist gestern hier angeschnitten hat, als er von der Lenkung der Einkommensströme sprach. Ich darf ihm vielleicht mit einem nicht wörtlichen Zitat seines Kollegen Professor Dr. Baade antworten. Dieser sagt in seinem Buch über die Verhältnisse der europäischen Landwirtschaft einmal sehr treffend: Das Problem der europäischen Landwirtschaft ist nicht das Problem der Umverteilung von Einkommen, sondern das Problem, die Einkommen durch Produktivitätssteigerung zu erhöhen. Gegenüber den Erfolgen einer Produktivitätssteigerung spielt das Umverteilen von Einkommen eine gänzlich untergeordnete Rolle. Das ist nicht ganz wörtlich, aber dem Sinne nach wohl richtig wiedergegeben.
Ich schließe mich dieser Auffassung, die Herr Kollege Baade über den landwirtschaftlichen Sektor von ganz Europa geäußert hat, auch für den industriellen Sektor an. Wir sollten uns meiner Ansicht nach nicht so sehr darüber streiten, ob einer mehr oder weniger bekommt, sondern wir sollten dafür sorgen, daß durch eine möglichst starke Steigerung des Sozialprodukts das Gesamteinkommen gesteigert wird. Daß das möglich ist, mag eine letzte Zahl beweisen. Im Durchschnitt von 50 Friedensjahren hat die gesamte westliche Welt ihr Sozialprodukt Jahr für Jahr etwa um 3 1/2% steigern können. Das ist gemessen an den hier diskutierten Zahlen von 8 oder 12 1/2% sehr wenig. Von diesen 3 1/2 % sind etwa 1 1/2% in die Investition oder Reinvestition geflossen; 2 % waren echter Konsumzuwachs. Das bedeutet, daß das Volkseinkommen dieser Länder sich alle 23 Jahre verdoppeln wird. Wenn wir hoffen dürfen, daß wir in Zukunft mit einer Steigerung des Sozialprodukts nicht von nur 3 1/2 % rechnen können, sondern etwa, was ich für normal und für möglich halte, von 5%, und wenn wir etwa 3% in den Konsum fließen lassen, dann werden wir alle 17 bis 18 Jahre unser Volkseinkommen verdoppeln. Ich glaube, das ist ein Ziel, das wert ist, daß wir uns in der Wirtschaftspolitik um die besten Möglichkeiten bemühen, es zu erreichen. Es ist kein utopisches, es ist ein sehr greifbares Ziel. Die Erfolge der amerikanischen Wirtschaftspolitik nach der Richtung ermutigen zu der Hoffnung, daß wir dieses Ziel ebenfalls erreichen.
Ich darf meine Behandlung der beiden Themen abschließen, die vielleicht am meisten Unruhe gemacht haben, möchte aber noch eines sagen. Wir sollten das Thema Löhne nicht bagatellisieren. Denn es handelt sich ja nicht nur um die Lohnquote, ob sie nun 4, 5 oder 6% ist. Die realen Forderungen, die zur Zeit in Nordrhein-Westfalen erhoben werden, gehen wesentlich höher. Sie gehen auf das Doppelte; man spricht von 10 bis 12%. Es ist ganz außer Frage, daß eine solche Lohnerhöhung hingenommen werden könnte. Es ist auch ganz ohne Frage, daß eine solche Lohnerhöhung nicht allein die Lohn-Preis-Spirale, -sondern auch die Lohn-Lohn-Spirale in Bewegung setzt und daß dann im Zuge einer solchen Größenordnung in der gesamten Volkswirtschaft ein Lohnsummenzuwachs von etwa 5 bis 6 Milliarden da sein wird. Es steht außer Frage, daß wir diesen Betrag in Gütern liefern können. Ich bin der Auffassung, die auch der Herr Kollege Deist gestern geäußert hat, daß die Konsumgüterindustrie durchaus nicht an der Grenze ihrer Leistungsreserve ist, daß dort noch Kapazitätsreserven sind. Ich spreche das aus eigener Erfahrung hier aus. Aber es ist ebenso außer Frage, daß es wahrscheinlich das Doppelte oder Dreifache dessen ist, was unsere Konsumgüterindustrie zur Zeit verkraften kann. Wir müssen daher mit größter Besorgnis dem Ausgang dieser Lohnverhandlungen in Nordrhein-Westfalen entgegensehen, und wir haben keinen Anlaß, diese Bewegung etwa zu bagatellisieren.
In Nordrhein-Westfalen steht aber nicht nur die Frage einer nominalen Lohnerhöhung zur Diskussion, sondern auch die Frage der Herabsetzung der
Arbeitszeit. Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. Ich vertrete hier sowohl meine persönliche Auffassung als auch die Auffassung meiner parteipolitischen Freunde. Ich persönlich bin überzeugt, daß wir in Deutschland unter allen Umständen zu einer Herabsetzung der Arbeitszeit kommen werden. Ob wir dazu kommen müssen, ist eine andere Frage, die wir hier gar nicht untersuchen wollen. Wir werden dazu kommen. Es liegt nun einmal im Zuge der industriellen Entwicklung, daß die Arbeitszeiten verkürzt werden. Aber ich betone: dieses Ziel kann nicht erreicht werden durch einen staatlichen Eingriff. Ich meine auch, es kann nicht durch Vereinbarungen der Tarifpartner erreicht werden, sondern es läßt sich ohne Schmerzen für die Volkswirtschaft ausschließlich von Betrieb zu Betrieb erreichen. Ich spreche das mit gutem Gewissen aus, weil ich einem Betriebe angehöre, der schon seit Jahren für Frauen die 40- Stunden-Woche und für Männer die 45-StundenWoche eingeführt hat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen. Wenn die Gewerkschaften nicht jeden Betrieb, der diese Regelung durchgeführt hat oder durchführen will, als Sturmbock in den Tarifverhandlungen einsetzten und sagten: Seht, der Betrieb kann es, warum könnt ihr es nicht? —, dann wären wir bestimmt schon in einer sehr viel größeren Zahl von Betrieben dort, wohin wir kommen möchten. Ich wünschte also, daß auch auf diesem Gebiet auf das nötige Maßhalten geachtet würde, damit wir das von uns allen sicherlich bejahte Ziel der Verkürzung der Arbeitszeit möglichst schnell und möglichst schmerzlos erreichen.
Nun möchte ich ganz kurz ,auf einige Engpässe eingehen, die meiner Meinung nach nicht vollständig beseitigt sind.
Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, weniger laute Unterhaltungen zu führen. Ich sagte vorhin schon, daß die Redner kaum zu verstehen sind.
Es gibt meiner Meinung nach zwei wirkliche Engpässe, die dauernd sind, und es gibt einen temporären Engpaß. Der temporäre Engpaß ist der Bausektor. Das ist hier schon ausgesprochen worden, ich kann mich daher kurz fassen. Zweifellos sind auf dem Bausektor Preiserhöhungen vorgenommen worden, die meiner Meinung nach in ihrer gesamten volkswirtschaftlichen Auswirkung ebenso unnötig wie unerwünscht sind.
Lassen Sie mich aber etwas anderes ausdrücken. Herr Kollege Deist hat die Befürchtung ausgesprochen, daß wir hier versuchen wollten, die öffentliche Hand, den öffentlichen Auftraggeber als Sündenbock hinzustellen. Kein Gedanke daran! Ich meine nur, daß es gar nicht darauf ankommt, etwa das Bauvolumen zu senken. Bei einer wirklichen Durchrechnung des Verhältnisses des Bauanteils zu den gesamten Anlageinvestitionen kommen wir zu der Feststellung, daß dieser Anteil in den vergangenen vier Jahren mit etwa 40 % ziemlich konstant gewesen ist. Ich bin überzeugt, daß in Zukunft dieser Anteil ebenso sein wird, eben weil die großen Aufgaben, die hier angesprochen worden sind, auf dem Wohnungsmarkt und auf dem Industriesektor bestehenbleiben; denn es ist ganz selbstverständlich, daß eine sich expandierende Wirtschaft auch neue Bauten erstellen muß. Ich gebe zu, auch auf dem Verwaltungsgebiet, auf dem Gebiet der Erstellung der Verwaltungsbauten muß vieles getan werden. Alles das läßt sich meiner Meinung nach durchführen, wenn wir Maß halten und wenn wir eine Erfahrung befolgen, die sich auf dem Bausektor immer ausgezahlt hat: wenn wir etwas langfristiger planen. Das leidige Übel ist nach meiner Erfahrung, die sehr langjährig ist, daß das alles heute möglichst vorgestern schon fertig sein soll. Das gilt nicht nur für den Bausektor. Gerade an dieser Stelle sollte angesetzt werden, um durch eine rechtzeitige Planung die Bauindustrie in den Stand zu setzen, ihre Kapazitäten besser auf das ganze Jahr zu verteilen. Dazu wird selbstverständlich die Verlegung unseres Haushaltsjahres auf das Kalenderjahr ein Hilfsmittel sein. Meine Fraktion hat wiederholt diesen Antrag gestellt; und ich bin sehr erfreut, aus der Presse entnommen zu haben, daß sich der Herr Bundesfinanzminister im Prinzip für diese Regelung einsetzen will.
Wir verkennen nicht, welche Schwierigkeiten in den Verhandlungen mit den Ländern bei diesem Punkt bevorstehen, aber es ist dringend notwendig, daß dieses Problem gelöst wird. Wenn wir das Problem gelöst haben, daß Anfang des Jahres die Mittel zur Verfügung stehen, und wenn die Herren, die die betreffenden Bauten planen müssen — seien es nun auf dem Gebiet der Kommunalpolitik die Herren Bauräte, die Bürgermeister und Gemeindedirektoren usw., seien es die Herren Ratsabgeordneten. aber auch die Länderbauverwaltungen, die Bundesbauverwaltung und die Industrie sollen angesprochen sein —, sich zu diesem Plan bekennen und das in der Praxis durchführen, dann werden wir das Bauvolumen nicht einzuschränken brauchen. Ich war überrascht, aus Unterhaltungen mit Vertretern der Bauwirtschaft zu hören, daß die Bauwirtschaft noch über Reserven von schätzungsweise 10 bis 30 % verfügt. Wenn also diese Maßnahmen durchgeführt werden, besteht auch auf diesem Sektor kein Grund zu irgendwelchem Alarm. Deswegen sehe ich die Fragen des Bausektors als temporär an, als keinen wirklichen Engpaß.
Das trifft nicht zu auf zwei Gebieten, die meiner Meinung nach — etwas zu kurz, darf ich nicht sagen, es ist angesprochen worden — nicht richtig angesprochen worden sind, zum mindesten nicht vom Herrn Bundeswirtschaftsminister. Ich spreche jetzt von dem Gebiet der Energieversorgung und von den Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung. Es ist doch sehr verwunderlich, daß in einer Regierungserklärung zur Konjunkturpolitik kein Wort
ich habe die Regierungserklärung zweimal gelesen und habe sie auch gestern aufmerksam verfolgt — über die Frage der Kohlenpolitik gefunden wird. Das ist um so verwunderlicher, als einer der führenden Beamten des Hauses, Herr Staatssekretär Westrick, doch sehr enge Beziehungen zu dem Gebiet der Kohle hat und sicherlich ein ausgezeichneter Fachmann ist. Ich glaube, dis ist schlecht; ich muß das hier aussprechen. Es wäre sicherlich gut gewesen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister uns einige Vorstellungen hätte vermitteln können, wie er dieses zentrale Problem der Wirtschaft lösen will. Denn ich bin persönlich überzeugt, daß kein anderes Problem, auch nicht das Problem der Arbeitskraft, auf das ich gleich noch zu sprechen kommen werde, so schwierig zu lösen sein wird wie dieses Problem. Kollege Scheel hat gestern in seinen Ausführungen noch in später Abendstunde das Problem in etwa angesprochen. Ich glaube aber, daß auch durch langfristige Investitionen auf dem
Gebiet des Kohlenbergbaues der wirkliche Engpaß auf die Dauer nicht beseitigt werden kann. Es ist aus allen Untersuchungen — nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und in der ganzen Welt — bekannt, wie schnell unser Energiebedarf mit der steigenden Industrialisierung zunimmt. Man rechnete bislang mit einer Verdoppelung des Energieverbrauchs alle zehn Jahre. Augenblicklich ist es so, daß wir alle sieben bis acht Jahre eine Verdoppelung des Energieverbrauchs haben. Demgegenüber stellen wir fest, daß die Kohleproduktion, die Produktivität im Kohlenbergbau niedriger liegt als vor dem Kriege, daß die Produktionszahlen im letzten Jahr nicht nur nicht gestiegen, sondern daß sie im August sogar wesentlich gefallen sind, und zwar, wenn ich mich recht erinnere, von 437 000 t auf rund 408 000 t arbeitstäglich. Das sind nun wirkliche Alarmzeichen.
Hinzu kommt gerade die sehr schwierige Frage im Kohlenbergbau. Es ist bekannt, daß die Arbeitskräfte dort in stärkerem Umfange abwandern, als sie zugeführt werden können. Zur Zeit fehlen 17 000 Arbeitskräfte. Multiplizieren Sie das mit der täglichen Leistung je Kopf!
Die Spannungen auf dem Kohlensektor sind daher nur zu lösen, wenn wir sowohl den Weg, den Herr Kollege Scheel angegeben hat, beschreiten und nun wirklich stärker investieren, als auch das Problem der Arbeitskräfte in diesem Sektor unserer Wirtschaft zufriedenstellend lösen. Das bedeutet selbstverständlich, daß wir auf diesem Sektor allem Anschein nach den Lohnanreiz wesentlich stärker gestalten müssen, als das bisher geschehen ist. Ich sehe daher keine Möglichkeit, auf die Dauer an einer Kohlenpreiserhöhung vorbeizukommen. Ich sehe auch keine Möglichkeit, das Problem der deutschen Kohlenversorgung anders zu lösen als durch eine gemeinsame Absatzregelung im Ruhrgebiet. Ich weiß, welche internationalen Schwierigkeiten das bietet. Aber um so notwendiger wäre es gewesen, daß wir ein Wort zu diesen Fragen vorn Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard gehört hätten.
Nun lassen Sie mich noch ein anderes Wort zur Energieversorgung sagen. Ich persönlich bin überzeugt, daß die Kohle in Zukunft nicht mehr der alleinige Energieträger sein kann, weil die Steigerung der Kohleproduktion, zum mindesten die Steigerung der deutschen Kohleproduktion begrenzt sein wird. Die Grenzen sind aufgezeigt. Wir können sie nicht wesentlich ändern. Es ist daher um so dringlicher, daß von seiten der Regierung die Frage der Kernenergie behandelt wird. Ich stelle zu meinem Bedauern fest, daß auf diesem Sektor bislang wenig geschehen ist. Ich bin nicht von den Argumenten überzeugt, die uns gesagt worden sind, daß bisher keine Möglichkeit dazu gegeben gewesen sei. Meiner Meinung nach wäre es sehr wohl möglich gewesen, zu planen, was in Deutschland zu geschehen hat. Ich verweise auf das englische Beispiel. Ich begrüße daher ganz besonders, daß das Kabinett sich entschlossen hat, die wichtige Frage der Kernenergie, eine der zentralen Fragen unserer zukünftigen Wirtschaftspolitik, nunmehr in die Hände eines Sonderministers zu legen, und ich darf die Hoffnung aussprechen, daß die bekannte Aktivität des Herrn Sonderministers Strauß in Zukunft dafür sorgen wird, daß diese wichtige Frage so gelöst wird, daß die fortschreitende Industrialisierung Deutschlands nicht durch Schwierigkeiten in der Energieversorgung behindert wird. Zu diesem Problem wäre noch vieles zu sagen.
Aber ich sehe schon, daß meine Redezeit sich dem Ende nähert, und kann daher die anderen Fragen nur in Stichworten behandeln.
Ganz kurz zu den Steuern. Selbstverständlich sind auch meine Freunde der Auffassung, daß eine Senkung der Verbrauchsteuern nicht nur wünschenswert, sondern sogar notwendig ist. Jeder von uns hat im vergangenen Jahre, als wir die Senkung der Einkommensteuer- und der Körperschaftsteuertarife beschlossen haben, den Wunsch geäußert, daß alsbald die Verbrauchsteuersenkung und auch die Umsatzsteuersenkung folgen. Nun, wir wissen, daß aus der Umsatzsteuersenkung nichts werden wird. Ich bedaure das sehr; aber die Größenordnungen, die dort zur Debatte stehen, sind zu groß. Um so mehr hoffen wir, daß die Verbrauchsteuersenkung sehr bald kommen wird, und zwar möchte ich wünschen, daß es sich nicht um eine Senkung, sondern um einen gänzlichen Fortfall handelt, mit einer Ausnahme allerdings: der Zuckersteuer. Die Zuckersteuer sollten wir erst dann ganz fortfallen lassen, wenn sichergestellt ist, daß notwendig werdende Preiskorrekturen auf dem Gebiet des Rübenanbaus klargezogen werden. Wir haben in der Zuckersteuer eine gewisse Reserve, um diese notwendigen Korrekturen durchzuführen. Daher ist in den Ausschußverhandlungen zu prüfen, ob wir jetzt gleich zu einem vollständigen Fortfall kommen können, was an und für sich begrüßenswert wäre, oder ob wir nicht eine Senkung dazu benutzen, um eine Preiskorrektur durchzuführen, die sonst in Form einer anderen Subvention auf uns zukommt.
Nun noch ein Wort zur Senkung der Gewerbesteher. Ich persönlich bin der Auffassung, daß die Gewerbesteuersätze nicht nur gesenkt werden sollten, ich vertrete vielmehr die Auffassung, daß sie radikal umgebaut werden müssen. Die Gewerbesteuer hat sich im Grunde genommen zu einer gemeindlichen Sondersteuer nur der Wirtschaftskreise ausgewirkt, und es ist allmählich an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, daß für die kommunalen Lasten nicht nur ein Zweig, nämlich die gewerbliche Wirtschaft, herangezogen werden darf, sondern daß alle Einwohner entsprechend ihrem Vermögen und ihrem Einkommen dazu herangezogen werden müssen. Ich glaube daher, daß es an der Zeit wäre, von der Regierung Auskunft darüber zu bekommen, wie sie sich die Lösung dieses Problems denkt. Ich bin überzeugt, daß in die kommenden Verhandlungen über einen horizontalen und vertikalen Finanzausgleich die Frage der Gewerbesteuer mit einbezogen werden muß und daß wir hier zu einer echten Gemeindesteuer kommen müssen. Ich spreche hier, glaube ich, aus gutem Gewissen. Denn ich führe mein eigenes Beispiel an. Es ist doch beim besten Willen nicht einzusehen, daß ein kleiner Gewerbetreibender zu gemeindlichen Lasten herangezogen wird, während ein Mann, der als Angestellter oder als frei Schaffender über ein höheres Einkommen verfügt, praktisch zu den direkten Gemeindesteuern nichts beiträgt, außer über die Grundsteuer, sofern er Grundbesitz hat — was ja durchaus nicht immer der Fall ist —, oder aber in Ländern, wo ein Steuerverbund zwischen Land und Gemeinden hergestellt ist; leider ist das aber noch nicht in allen Ländern der Fall. Es ist also wirklich an der Zeit, daß wir die Gewerbesteuer nicht nur in ihrem Betrag senken, sondern daß wir überhaupt zu einem Umbau kommen. Das ist ein besonderes Anliegen meiner politischen Freunde.
Im übrigen bin ich entgegen der häufig vertretenen Auffassung, daß die Einkommensteuertarife wegen der Auswirkungen auf die Investitionen nicht gesenkt werden dürften, der Meinung, daß die lineare Senkung der Einkommensteuertarife ein ausgezeichnetes Mittel ist, um die Wirkung einer gezielten Steuersenkung allen zugute kommen zu lassen. Ich hoffe also, daß wir dorthin kommen werden. Ich bin nicht der Auffassung, die hier zum Teil vertreten worden ist, daß wir wegen der Investitions-, der Konjunkturüberhitzung, nicht zu einer generellen Senkung der Einkommensteuertarife kommen können.
Nun ganz kurz! Ich glaube nicht, daß es gut wäre, wenn wir durch irgendwelche Maßnahmen, ganz gleich welcher Art, zu einer Drosselung der Investitionen kämen. Ich bin zwar mit Ihnen der Auffassung, daß die Investitionsgüterkonjunktur auf Höchsttouren läuft, bin aber nicht der Meinung, daß das volkswirtschaftlich ein Schaden ist. Ich glaube vielmehr, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkt notwendiger denn je zu Rationalisierungsinvestitionen kommen müssen, gerade weil auf dem Gebiete des Arbeitsmarktes unsere Grenzen so eng sind. Wenn wir die Steigerung unseres Sozialprodukts auch nur in einem annähernd vergleichbaren Umfang fortsetzen wollen — und dies ist auch das erklärte Ziel unserer Wirtschaftspolitik —, dann müssen wir die Kapazitätsausweitungen, die Steigerung unseres Sozialprodukts, die bislang im wesentlichen durch den Einsatz von Arbeitskraftreserven erfolgt sind, in Zukunft durch die Steigerung der Produktivität, d. h. durch einen Automatisierungsprozeß, durch einen Rationalisierungsprozeß in der Industrie erzielen. Es wäre also geradezu verhängisvoll, wenn wir aus einer Spannungsperiode in der Investitionsgüterindustrie den Schluß ziehen würden, daß wir auf diesem Wege abbrechen und den Prozeß der Steigerung unseres Lebensstandards und unseres Sozialeinkommens nicht fortführen sollten. Mein dringender Appell an den Herrn Bundeswirtschaftsminister geht dahin, sich nicht beirren zu lassen, sondern seine alte Devise des Durchstoßens nach vorn auch auf diesem Sektor wahrzumachen.
Ich kann die Problematik dieses Bereiches leider nicht mehr erschöpfend behandeln, meine Redezeit ist abgelaufen. Auf einen Gedanken möchte ich aber zum Schluß noch hinweisen. Ich glaube, daß alle Maßnahmen unserer Wirtschaftspolitik nicht nur darauf abzielen sollten, möglichst schnell die Folgen eines verlorenen Krieges für Westdeutschland auszugleichen und darüber hinaus möglichst schnell den allgemeinen Lebensstandard zu steigern, sondern alle diese Maßnahmen müssen auch immer auf den Tag ausgerichtet sein, der hoffentlich bald auf uns zukommt, an dem wir die Sorge für die Sicherung der materiellen Existenzgrundlage der 17 Millionen Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs auf unsere Schultern
nehmen müssen.
Mit der Hoffnung, daß die bisher verfolgte Wirtschaftspolitik diese Aufgabe lösen kann und lösen wird, möchte ich schließen.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Laufe der bisherigen Aussprache ist an die Bundesregierung und insbesondere auch an den Bundesfinanzminister die Frage gerichtet worden, wie sie zu den Anträgen stehen, die Gegenstand der Tagesordnung sind, und ob der Finanzminister diese Anträge mit dem Regierungsprogramm, das Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard verkündet hat, für vereinbar hält. Ich darf zunächst einmal vorausschicken, daß die sachliche Würdigung, die das Regierungsprogramm gefunden hat, angenehm berührt hat.
Wenn nun die Frage, die insbesondere Herr Kollege Deist gestellt hat mit Bezug auf die Stellung, die die Bundesregierung zu den Anträgen einnimmt, sich zunächst nur auf die Anträge der CDU/CSU bezogen hat, so darf ich sie doch auf alle Anträge ausdehnen. Zu den Anträgen der CDU/ CSU möchte ich zunächst bemerken, und ich glaube meine Freunde von der CDU/CSU verstehen mich richtig: Die CDU/CSU stellt ihre Popträge selbständig. Diese Anträge sind nicht etwa von der Regierung formuliert und von der Regierung vorgelegt.
Im Gegenteil, sie stellt sie völlig selbständig, und ob der Bundesfinanzminister und ob die Bundesregierung allen Einzelheiten der Anträge zustimmt, das bitte ich noch abzuwarten. Ich darf mich auf die Erklärung beschränken, daß die Anträge der CDU/CSU das sind, was man in der Diplomatensprache eine „geeignete Grundlage für weitere Verhandlungen" heißt.
Jedenfalls möchte ich feststellen, daß diese Anträge den Grundsätzen des Regierungsprogramms mir nicht zu widersprechen scheinen.
Das Regierungsprogramm ist entstanden nicht etwa allein aus deutschen Verhältnissen heraus. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß im Hochsommer dieses Jahres in verschiedenen Ländern dieselben Sorgen und dieselben Überlegungen aufgetaucht sind. In Deutschland hat die Notenbank, die Bank deutscher Länder, am 3. August zunächst ihre Maßnahmen getroffen. Die BdL ist unabhängig; sie trifft ihre Maßnahmen regelmäßig, ohne die Öffentlichkeit vorher darüber zu unterrichten und ohne mit irgend jemandem zu konsultieren. Auch die Maßnahmen vom 3. August sind völlig aus eigenem Entschluß der BdL entstanden. Es ist aber selbstverständlich, daß die Kreditpolitik, die Wirtschaftspolitik und die Finanzpolitik in der deutschen Bundesrepublik nur ein einheitliches Ganzes sein können. Es ist selbstverständlich, daß, wenn vom Standpunkt der Kreditpolitik aus ein Eingreifen erforderlich scheint, Wirtschafts-, Finanz- und Kreditpolitik aufeinander abgestimmt werden müssen. Deswegen sind diese Maßnahmen vom ersten Tag an im engsten Benehmen, im engsten Einvernehmen zwischen den Personen erfolgt, die die Verantwortung auf diesen drei Gebieten tragen, mit dem Ziel, ein Programm vorlegen zu können, das die gesamte Bundesregierung anzunehmen in der Lage ist. Dieses Programm liegt Ihnen heute vor.
Die Gründe, die die Bank deutscher Länder zu ihrem Vorgehen veranlaßt haben, sind ähnlich den Gründen, die auch in anderen Ländern hervorgetreten sind. Wir haben fünf Jahre lang gegen ein Gespenst, gegen eine Sorge gekämpft. Diese Sorge
für das deutsche Volk war: Ist es nach dem Zusamenbruch, ist es, nachdem eine neue Währung geschaffen worden ist, möglich, den deutschen Wiederaufbau durchzuführen, für Millionen von Menschen Arbeitsplätze zu schaffen? Ist es möglich, all die sozialen Leistungen aufzubringen, die von uns gefordert werden; ist es möglich, das zu tun ohne Überhöhung der Lasten, die auf dem Steuerzahler liegen? Ist es möglich, dabei eine geordnete Finanzwirtschaft durchzuführen und damit dem Sparer das Vertrauen in die deutsche Währung zu geben und zu erhalten?
Wenn wir heute zurückdenken an die Zeiten, als wir uns im Deutschen Bundestag, etwa im Winter 1949/1950 oder im Winter 1950/1951, über die Interpellationen wegen der Arbeitslosigkeit unterhielten, können wir heute sagen: Wir können eigentlich stolz darauf sein, daß neue Sorgen an uns herangetreten sind, Sorgen, die nicht etwa daher kommen, daß wir heute noch eine Arbeitslosigkeit hätten. Was wir erreichen wollten, ist heute voll erreicht; aber weil es erreicht ist, sind neue Überlegungen notwendig geworden, Überlegungen, die aus dem Erreichten notwendigerweise folgen. Nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Arbeitermangel ist heute die Frage, mit der wir uns beschäftigen, nicht eine Unterbeschäftigung der Industrie und Wirtschaft. Die Fragen einer Überbeschäftigung, einer völligen Ausnutzung der Kapazitäten, einer Abnützung und des Verschleißes in der Wirtschaft sind heute die Sorgen, die an uns herantreten. Wenn wir in den Jahren 1949/1950 geahnt hätten, daß wir uns im Jahre 1955 über diese Sorgen unterhalten werden, dann wären wir im Jahre 1949 sehr glücklich gewesen.
Aber trotzdem tragen wir nach wie vor die Verantwortung vor dem deutschen Volk für die Stetigkeit in der Währung, für die Stetigkeit in der Wirtschaft und für die Stetigkeit des Arbeitsmarktes. Daraus sind die Überlegungen geboren.
Und nun bitte ich an folgendes zu denken. Anfang August ging durch den deutschen Blätterwald eine Forderung bis in die letzte Dorfzeitung hinein: Steuersenkung! Alles, was in der Zeit des vergangenen Jahres an Argumenten für eine Steuerreform — meist falschen Argumenten — vorgebracht worden ist, ist wieder aufgetaucht. Es kam der Ruf nach Steuersenkung, nach Weiterführung der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren getroffen worden sind. Wir haben damals Darlehen für Arbeitsplatzbeschaffung gegeben. Das war sinnvoll in der Zeit, als wir die Arbeitslosigkeit noch hatten. Wir haben damals Kredite gegeben. Wir haben damals Garantien übernommen und Bürgschaften des Bundes in die Milliardenbeträge hinein gegeben, um den Wiederaufbau zu schaffen und eine Investition zu bilden. Wir haben Hunderte von Millionen in Bewegung gesetzt, um nicht nur den Wohnungsbau durchzuführen, sondern auch innerhalb des deutschen Volkes die Umsiedlung der Heimatvertriebenen aus überlasteten Grenzländern zu den Arbeitsplätzen im Innern des Landes. Aber wer Augen hat zu sehen und Ohren hat zu hören, der soll sich heute mit mir vielleicht einmal in ein solches früher als überlastetes Notstandsgebiet bezeichnetes Gebiet hineinbegeben und dort eine Rede halten, die staatlich gelenkte Umsiedlung müsse weiter getrieben werden! Ich wünsche ihm viel Glück. Heute ist es Gott sei Dank so geworden, daß die Leute auch im letzten Grenzdorf draußen die Arbeitskräfte, die noch vorhanden sind, zu behalten wünschen
und daß sie eher Vorwürfe erheben, wenn ihnen die Kräfte, die ihnen wertvoll geworden sind, heute vom Staat entzogen würden. Die Freizügigkeit wird heute allseitig anerkannt, aber die staatlich gelenkte Umsiedlung ist etwas, was in den Gegenden heute kein Verständnis findet.
— Ich bin ja froh darüber, daß beides zusammengetroffen ist.
Ich sage nur: Der ist ein schlechter Jäger, der dann, wenn der Hirsch erlegt ist, immer noch weiter auf den toten Hirsch schießt.
Wenn das Ziel erreicht ist, dann muß ich meine Mittel auf ein neues Ziel einstellen. Dieses neue Ziel heißt nun so, meine Damen und Herren: Wir haben, um der deutschen Wirtschaft die Möglichkeit zu geben zu investieren, zu rationalisieren und Arbeitsplätze zu schaffen, um damit das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital zu bessern, über das so viel geklagt wurde, unter anderem auch, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes geschaffen. Wir können darauf verweisen, daß diese Gesetzgebung ihr Ziel erreicht hat und für die Privatwirtschaft ein Kapitalmarkt vorhanden ist. Wir können darauf verweisen, daß im ersten Halbjahr 1955 an Aktienemissionen allein 1100 Millionen DM aufgenommen worden sind. Wir hätten vielleicht gewünscht, daß diese Aktienemissionen in das breite Publikum gelenkt worden wären und sich nicht zum großen Teil auf den Kreis der alten Aktionäre in Form der Bezugsrechte beschränkt hätten. Wir haben gewünscht, daß diese Vermehrung des Eigenkapitals genützt wird, um das Fremdkapital, das kurzfristige Fremdkapital entweder in ein Eigenkapital umzuwandeln oder es wenigstens zu konsolidieren. Wir mußten feststellen, daß die Aufnahme kurzfristiger Kredite in der Wirtschaft trotz der Möglichkeit, Eigenkapital zu gewinnen und zu schaffen, nicht abgenommen, sondern zugenommen hat, daß in demselben Halbjahr 2700 Millionen — rund — neue kurzfristige Kredite aufgenommen worden sind gegenüber dem Vorjahr mit rund 1600 Millionen. Und, meine Damen und Herren, wenn die Notenbank als Trägerin der Kreditpolitik und verantwortlich für sie sagt, darin besteht eine Gefahr, daß die Summe der kurzfristigen Kredite zu groß wird und die Grundlage für langfristige Investitionen bilden soll, dann hat die Bank deutscher Länder, wenn wir an die Erfahrungen früherer Jahrzehnte denken, von ihrem Standpunkt aus wohl recht, und es war eine Notwendigkeit, daß sie eingriff und die Maßnahmen am 3. August durchgeführt hat. Deshalb wurde sie bei diesen Maßnahmen auch von der Bundesregierung unterstützt. Nun ziehen aber wir die weiteren Folgerungen, und die Folgerungen haben wir in diesem Regierungsprogramm bekanntgegeben.
Jetzt darf ich, um auf die Anträge zu sprechen zu kommen, doch an etwas erinnern. Alle Redner dieses Hauses haben den Grundsatz „Stetigkeit der Wirtschaft, Stetigkeit der Währung" in den Vordergrund geschoben. Wer die Stetigkeit der
Wirtschaft und die Stetigkeit der Währung will, meine Damen und Herren, der muß für die finanzielle Ordnung im Staat und bei der öffentlichen Hand eintreten.
Infolgedessen müssen alle Anträge in ihrer Summe und ihren Rückwirkungen daraufhin geprüft werden, ob sie diesem Ziel: der Stetigkeit der Währung und der finanziellen Ordnung, auch wirklich dienen.
Nun, meine Damen und Herren, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Ihnen einmal sage, wie ich im großen und ganzen in der Summe die Anträge betrachte und welche Schlußfolgerungen ich daraus ziehe. Ich nehme nun einmal eine haushaltswirtschaftliche und bitte, diese nicht als die allein ausschlaggebende zu betrachten. Ausschlaggebend ist auch die Rückwirkung auf unser ganzes wirtschaftspolitsches Geschehen. Aber vielleicht am klarsten sind einige Zahlen, die ich Ihnen geben kann. Ich darf eines vorausschicken. Ich kann und will heute nicht über den Rechnungsabschluß des Bundeshaushalts 1955 und über den Bundeshaushalt 1956 sprechen. Das wird erst dann geschehen können, wenn ich den Haushalt dem Kabinett vorgelegt habe und im Namen der Bundesregierung über diese Frage sprechen kann. Ich kann aber heute schon sagen, daß der Abschluß 1955 wieder einen recht beträchtlichen rechnerischen Fehlbetrag aufweisen wird.
— Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Probleme so leicht nehmen, dann wünschte ich, ich könnte die Leichtigkeit — um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen — mit Ihnen teilen.
Ich möchte feststellen, daß der Bundeshaushalt 1956 wahrscheinlich größere Schwierigkeiten bringen wird, wenn wir, wie es das Regierungsprogramm erklärt und was wohl die selbstverständliche Voraussetzung ist, die finanzielle Vorsorge, die der Bundeshaushalt für die Zwecke der in den nächsten Jahren auf uns zukommenden Aufgaben zu treffen hat, nicht gefährdet sehen wollen. Es ist die Voraussetzung, daß wir die Rechtsverpflichtung, die wir im Inland und gegenüber dem Ausland eingegangen sind, einhalten, wenn wir in der Welt den deutschen Kredit halten wollen.
Unter dieser Voraussetzung darf ich einmal folgendes sagen. Ich habe mir die Ausgabenanträge zusammengestellt, die heute hier vorliegen — in der Summe —, und habe mir die Einnahmesenkungsanträge zusammengestellt. Ich nehme zunächst die Ausgabenanträge. Um alle zu schonen, nenne ich nur die Drucksachen-Nummern:
Drucksache Nr. 1687, 1708, 1705, 1680 und 1747. Ich nehme nur die unmittelbare Belastung des Bundes. Konjunkturpolitisch wird doch entscheiden, was andere Träger daneben zu leisten haben, weil es sich ja auch um die Frage handelt, ob die Steigerung der Kaufkraft, die hiermit verbunden ist, in dem konjunkturpolitischen Sinn sich heute in dem Maße hält, daß eine Steigerung verantwortet werden kann. Vielleicht haben Sie in den heutigen Vormittagszeitungen gelesen, was in England geplant ist, welche Erklärungen Schatzkanzler Butler
nach der Richtung abgegeben hat. Sie werden verstehen, daß konjunkturpolitisch jede Erweiterung der Kaufkraft nun einmal ihre Rückwirkungen hat.
Wenn ich aber nur das nehme, was auf den Bundeshaushalt zukommt, ergibt sich, daß dieser Aufwand allein schon 2170 Millionen DM an Mehrausgaben bedeutet. Diese Anträge sind aber noch nicht vollständig.
In meinem Büro wird bereits über einen anderen Antrag verhandelt, der sich auf den Personenkreis nach Art. 131 bezieht und der in der Fassung, in der er bei mir eingereicht wurde, eine weitere Mehrausgabe des Bundes von 800 bis 900 Millionen DM bedeuten würde, so daß wir allein schon ohne die Rückwirkungen, die sich automatisch aus diesen Anträgen auf dem Gebiet der Alfu etc. ergeben müßten, einen Betrag von 3 Milliarden DM zu verzeichnen hätten!
Dazu kommt — was die Damen und Herren ja auch wissen —, daß wir zur Zeit Forderungen der Beamten, der Angestellten und Arbeiter auf Erhöhung der Gehälter und Löhne haben, die, wenn sie in der gestellten Form akzeptiert würden, eine weitere Mehrausgabe von rund 2 Milliarden DM für Bund und Länder bedeuten würden. Insgesamt hätten also dann die Mehrausgaben eine Höhe von 5 Milliarden DM erreicht, Ausgaben, die zum größten Teil auf den Bund zukommen, aber alle in Form einer Kaufkraftstärkung die öffentliche Volkswirtschaft berühren.
Zweitens. Wenn ich nun die Anträge auf Senkung von Steuern behandle, darf ich einmal eines vorausschicken: Diese Anträge scheiden sich in Anträge auf Senkung der Körperschaft- und Einkommensteuer und Anträge auf Senkung der Verbrauchsteuern. Zu den Verbrauchsteuern möchte ich meine Erklärung, die ich von vornherein gegeben habe, wiederholen. In England sucht man die Verbrauchsteuern nicht zu senken, sondern man will sie sogar, wie die Presse heute berichtet, eher erhöhen. Der deutsche Bundesfinanzminister verfolgt diesen englischen Weg nicht. Die Verhältnisse sind in allen Ländern verschieden. Der deutsche Bundesfinanzminister ist mit dem Wirtschaftsminister und dem Gesamtkabinett einig, daß unser erstes Bestreben sein muß, eine Erhöhung der Preise zu vermeiden, und zu dem Zweck müssen alle Mittel, die zu Preissenkungen führen können, auch wirklich eingesetzt werden, selbst mit Opfern, die der Bundeshaushalt nach dieser Richtung im Rahmen des Möglichen zu übernehmen hat. Aber die Voraussetzung ist — und ich glaube, Sie haben dem ausdrücklich zugestimmt —, daß alle Senkungen von Verbrauchsteuern den Verbrauchern voll und dauernd zugute kommen.
— Die Tabaksteuer — das gestehe ich — ist ein Fortläufer der Mittelstandspolitik aus früherer Zeit. Dabei geht es übrigens um einen Betrag, der nicht wesentlich entscheidend ist. Hier kommt in Frage, lieber Herr Kollege Dresbach, daß wir bei der Tabaksteuer nun einmal den engen Zusammenhang zwischen Steuer und Preisbindung haben, weil ich durch die Preisbindung auf die Existenz
dieser mittelständischen Firmen unmittelbar einwirke und infolgedessen auch eine erhöhte Verantwortung für die Existenz dieser kleinen und Mittelbetriebe habe. Das ist ein Ausnahmefall. Ich kann nicht alles über einen Kamm scheren, trotzdem muß ich die Linie beibehalten. Diese Linie aber heißt: Senkung der Verbrauchsteuern dann, wenn sie dem Verbraucher voll und dauernd zugute kommt. Ich sehe keinen Anlaß, eine Verbrauchsteuer zu senken, um den Zwischengewinn zu steigern.
— Meine Damen und Herren, Sie stimmen mir zu. Aber ich bin ein Mensch, der gern auch auf die Folgen einer eingeschlagenen Linie und eines Grundsatzes hinweist.
Ich nenne nur ein Beispiel. Wir haben früher z. B. bei der Biersteuer bestimmte Erfahrungen gemacht. Damals habe ich in meinem jugendlichen Enthusiasmus — ich war fünf Jahre jünger als heute —
mit dem Deutschen Brauerbund eine Senkung des Bierpreises vereinbart. Wurde gemacht. Wie lange? Ein halbes Jahr! Nach einem halben Jahr ist der Bierpreis wieder nach oben geklettert. Ich erinnere auch an die Senkung der Kaffeesteuer.
Wir haben die Kaffeesteuer gesenkt. Zunächst ging der Preis, wie erwartet, auf die entsprechende Stufe herunter. Aber dann haben sich Unglücksfälle wie ein Frost in Brasilien und andere Dinge ereignet!
Meine Damen und Herren! Wenn die Bundesregierung einen Vorschlag macht, eine Verbrauchsteuer zu senken, wird sie mit dem Vorschlag dann hervortreten, wenn sie in freien Vereinbarungen eine Sicherheit für die Senkung der Preise erhalten hat, oder sie wird, was bei einzelnen Artikeln wie Zucker möglich wäre, den Preis gesetzlich regulieren.
Unter diesen Umständen sind aber Anträge, die eine Verbrauchsteuer ohne jede Bedingung und ohne jede Voraussetzung überhaupt aufheben wollen, völlig gegenstandslos, weil sie in den Fällen, in denen gesetzlich eine Preisbindung besteht, mit der Beseitigung der Steuer die Preisbindung zu Fall bringen und damit der Spekulation freien Lauf lassen würden.
Ich sage also, daß wir diese Zusammenhänge überlegen müssen. Wie schwierig die Dinge sind, dafür ein Beispiel. Wenn die Zuckersteuer gesenkt wird, kann der Preis für den Haushaltszucker gesetzlich gesenkt werden. Der Haushaltszucker macht aber nur zwei Drittel des Verbrauchs aus, während ein Drittel in die gewerbliche Wirtschaft, in die Süßwarenindustrie geht. Wenn ich dann berücksichtigen müßte, daß eine solche Senkung der deutschen Süßwarenindustrie 76 Millionen DM Steuern ersparen würde, d. h. ihre Gewinne um 76 Millionen DM erhöht werden würden, wenn keine Preissenkung erfolgte, dann werden Sie verstehen, wenn ich mich jetzt bemühe, in Verhandlungen eine solche Folgerung zu vermeiden, und
Ihnen den Gesetzentwurf dann vorlegen werde, wenn dies geklärt ist.
Unter diesen Voraussetzungen also habe ich mein Wort gegeben, dem Gedanken einer Verbrauchsteuersenkung nicht aus fiskalischen Gründen entgegenzutreten, aber aus volkswirtschaftlichen, sozialen Gründen nur mit dem Vorbehalt der vollen Weitergabe an den Verbraucher.
Jetzt darf ich aber zu den Anträgen zurückkommen. Zu den Anträgen, die die Einkommen- und Körperschaftsteuer betreffen, möchte ich eine weitere Vorbemerkung machen. In der Erklärung der Bundesregierung ist gesagt, daß die Regierung den früheren Beschlüssen des Deutschen Bundestages, die einstimmig gefaßt worden sind und dahin gehen, daß eine Denkschrift über Senkung und Verbesserung der Besteuerung der Ehegatten sowie Erhöhung der Werbungskostenpauschale für Lohn- und Gehaltsempfänger vorgelegt werden soll, Rechnung zu tragen bereit ist und Ihnen diese Denkschrift übermittelt wird. Ich bemerke, daß man konjunkturpolitisch im jetzigen Augenblick dagegen Bedenken haben könnte. Aber ich habe mich für verpflichtet gehalten, dem Bundestag das, was er in seinem Beschluß von der Bundesregierung verlangt hat, vorzulegen. Wenn wir die Denkschrift vorlegen, ist immer noch Raum, uns über konjunkturpolitische Modalitäten etc. zu unterhalten. Aber die Vorlage erfolgt unter der Voraussetzung, daß weitere Steuersenkungen über diese Beträge hinaus nicht mehr verlangt werden. Und diese Steuersenkungen sind schon sehr hoch. Sie liegen zwischen 700 und 800 Millionen DM jährlich, werden also das, was man in der Öffentlichkeit immer als erwartetes Mehraufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer bezeichnet, voll aufzehren.
Nun kommen Anträge dazu. Wenn ich die Auswirkungen des Antrags Drucksache 1764 — Erhöhung der Freigrenze für Weihnachtszuwendungen, Erhöhung des Werbungskostenpauschalbetrages auf 624 DM, Wiedereinführung des § 10 a, Ermäßigung der Einkommensteuersätze um 10 v. H., Erhöhung des Freibetrags der Steuerklasse II um 12 v. H., steuerliche Begünstigung einer Investitionsrücklage, steuerliche Begünstigungen im Kohlenbergbau — zusammennehme, sind das wieder 2,020 Milliarden DM Ausfall, also mit Ehegattenbesteuerung und Werbungskostenpauschale 2,720 Milliarden DM.
Dazu kommen nun die sehr radikalen Anträge auf Aufhebung von Verbrauchsteuern. Das würde einen Betrag ausmachen, der an 900 Millionen DM herangeht. Dabei habe ich den Antrag, der sich auf die Branntweinsteuersenkung bezieht, noch gar nicht durchrechnen lassen. Wir werden also aus diesen Anträgen einen Ausfall von wenigstens 3,6 Milliarden DM haben. Hinzu kommen ferner die Anträge Drucksachen 1695, 1688 und 1677 — die übrigen werden verbraucht durch die weitergehenden vorhin genannten Anträge —, ein weiterer Betrag von ungefähr 630 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, ich brauche wohl nur die beiden Seiten gegenüberzustellen: Ausgabenerhöhung von wenigstens 3, vielleicht 5 Milliarden DM, Einnahmenminderung von 3,6 bis 4 Milliarden DM — vielleicht mehr —, und Sie werden mir zugeben, es wird notwendig sein, daß wir nicht nur alle diese Anträge einzeln behandeln, sondern bei der Behandlung jedes einzelnen Antrags seine
Rückwirkungen auf den übrigen Gebieten, seine Abstimmung mit dem Konjunkturprogramm der Regierung überlegen, das sich sachlich im allgemeinen als richtig erwiesen hat. Ich würde es sehr begrüßen, wenn vor der Beratung der einzelnen Anträge 'in den Fachausschüssen und insbesondere vor der Fassung von Beschlüssen dazu, die nicht auf das Gesamtbild abgestimmt sein können, etwa — das muß ich dem Hohen Haus überlassen —Haushaltsausschuß und Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen sich einmal zusammensetzten, um das Gesamtprogramm und die Gesamtmäglichkeiten zu überprüfen, damit sie den Fachausschüssen sagen können, was unter Wahrung der finanziellen Ordnung möglich ist.
Meine Damen und Herren! Hier in Berlin, wo wir heute tagen, wird fast jede Rede geschlossen mit dem Appell, die deutsche Wiedervereinigung zu erstreben. Ich möchte mit einem anderen Appell schließen. Wir sind am Eisernen Vorhang. Der Eiserne Vorhang scheidet die freie und eine unfrei Welt. Entscheidend für die freie Welt — staatsbürgerlich — ist der Gedanke der Demokratie, und keine Demokratie ist lebensfähig, die dem eigenen Volk, dem eigenen Sparer nicht die finanzielle Ordnung und damit das Vertrauen in den Staat gewährleistet.
Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle uns heute vorliegenden Anträge verfolgen das Ziel, die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die gegenwärtige Konjunktur zu stabilisieren. Soweit sie greifbare Tatsachen schaffen sollen, erstreben sie eine Unkostensenkung auf die verschiedenste Art und Weise. Nun hätte sicher mancher unter uns eine ausreichende Steuersenkung im weitesten Sinne angestrebt. Ich glaube jedoch, unser Herr Finanzminister hat es wieder einmal ausgezeichnet verstanden, uns hier zur nüchternen Realität zurückzuführen. Ich glaube, er hat es darüber hinaus verstanden, klarzumachen, daß der Optimismus in dieser Hinsicht bei unserer Ausschußarbeit keine allzugroßen Früchte zeitigen wird. In erster Linie ist es die Rücksichtnahme auf die Währung, die uns zwingt, das erstrebte Ziel auf sehr verschiedene Art und Weise anzustreben.
Unsere konjunkturpolitischen Entscheidungen dürfen allerdings nicht nur darauf bedacht sein, mit der Stabilisierung der Währung die Stabilität der Preise zu sichern. Wir müssen uns darüber klar sein, daß es heute noch weite Bereiche in unserer Wirtschaft gibt, die die sogenannte Konjunkturüberhitzung nur vom Hörensagen kennen. Das Ziel muß etwas weiter gesteckt sein. Die konjunkturellen Auftriebskräfte verlangen eine Verlagerung. Sie gehören von den Stellen des Übermaßes dorthin, wo man noch auf sie wartet. Dabei gibt es einmal sehr große Unterschiede in der Bundesrepublik, wenn wir die Verhältnisse rein regional betrachten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister war in der letzten Woche Gast von Schleswig-Holstein. Es hat sich dabei sehr deutlich gezeigt, daß die Marktferne eines Landes für dessen ganze Wirtschaft mit nur geringen Ausnahmen eine harte Tatsache ist.
Sie hat es mit sich gebracht, daß die notwendigen Investitionen in einem solchen Land für die Unternehmungen — das dürfte für viele Rand- und Grenzländer unserer Bundesrepublik zutreffen — in einem verhältnismäßig sehr kleinen Umfange über den Preis haben erreicht werden können.
Die Folgen dieser Situation liegen klar auf der Hand. Sie bedingen eine verhältnismäßig hohe kurzfristige Verschuldung, die sich beispielsweise bei den jüngsten kreditpolitischen Maßnahmen des Zentralbankrats sehr hindernd auswirkt. Man kann in einem solchen Falle nicht behaupten, daß etwa im ganzen Lande hier — ich denke da vor allen Dingen auch an Bayern — eine Konjunkturüberhitzung vorhanden ist.
Wesentlich spürbarer allerdings als die regionalen Unterschiede in der Konjunktur ist das Konjunkturgefälle in der Wirtschaft selbst. Mit der nahezu einmütigen Annahme des Landwirtschaftsgesetzes haben wir erst vor wenigen Monaten diese Tatsache in diesem Hohen Hause anerkannt Auf die Landwirtschaft der Bundesrepublik trifft in ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage keine einzige der Voraussetzungen zu, die die bisherigen Sorgen über die Konjunktur entstehen ließen.
Das ist auch in allen Diskussionsreden anerkannt worden. Selbst wenn der Zentralbankrat den Diskontsatz noch weiter heraufsetzte, die Landwirtschaft wird leider trotzdem Maschinen weiter kaufen müssen, und sie wird trotzdem weiter in die Wirtschaftsgebäude erhebliche Kapitalien hineinstecken müssen, um den veränderten Arbeitsverhältnissen weiter gerecht zu werden. Sie macht diese Aufwendungen nicht in falscher Einsetzung und Einschätzung konjunktureller Erwartungen, sie macht sie vielmehr unter dem Zwang der immer mehr um sich greifenden Landflucht. Ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen muß die deutsche Landwirtschaft investieren, um die Arbeit zu erleichtern und um das Fehlen von Arbeitskräften auszugleichen.
Weitaus die meisten dieser Investitionen wurden und werden durch kurzfristige Kredite finanziert. Dabei aber wird der Zins- und Tilgungsdienst in zunehmendem Maße immer deutlicher zu einem bedenklichen Gefahrenherd in der deutschen Landwirtschaft.
Daß sich daraus möglicherweise weit über die Landwirtschaft hinausreichende Folgen ergeben können, brauche ich im einzelnen nicht auszuführen.
Aus diesem Grunde darf eine Konjunkturpolitik, die sich an den Erscheinungen der ganzen Wirtschaft orientiert, an den besonderen Umständen der gegenwärtigen landwirtschaftlichen Verschuldung nicht vorübergehen. Die uns vorliegenden Anträge aber berücksichtigen diese Lage der Landwirtschaft nicht, und deshalb bedürfen sie der Ergänzung, insbesondere im Hinblick auf den Antrag auf Drucksache 1748, eine Umschuldungsaktion für den Mittelstand einzuleiten. Die Landwirtschaft ist nun einmal angesichts der ihr eigenen Struktur in ihrer Finanzierung auf langfristige Kredite angewiesen, und diese langfristigen Kredite müssen einen entsprechenden Zinssatz haben. Kurzfristige Kredite, die das normale Maß übersteigen, sind wegen des langsamen Kapitalumschlags Gift für die
deutsche Landwirtschaft; sie müssen unter allen Umständen früher oder später einen konjunkturellen Krisenherd schaffen, dessen allgemeine wirtschaftliche und politische Bedeutung möglicherweise in den betroffenen Gebieten unseren gegenwärtigen Sorgen um nichts nachsteht.
Wir haben das alles schon einmal erlebt. Ich darf an die Zeit vor mehr als zwei Jahrzehnten erinnern. Die Gesetzgebung hat damals diese Gefahr nicht erkannt. Es ist deshalb nach meinem Dafürhalten dringend notwendig, daß wir im Rahmen der heutigen Diskussion auf diesen Zusammenhang mit aller Deutlichkeit hinweisen.
Die im sogenannten Lübke-Plan angelaufenen Maßnahmen sind gut; aber sie bedürfen einer wesentlichen Ausweitung. Das Hohe Haus wird sich meines Erachtens in Kürze in sehr konkreter Form mit der Frage des Agrarkredits und mit den landwirtschaftlichen Investitionen befassen müssen.
Aber, meine Damen und Herren, ein verbessertes System des Agrarkredits allein kann die großen gegenwärtigen Lücken in der landwirtschaftlichen Ertragslage nicht schließen. Zusätzliche Maßnahmen sind deshalb sehr schnell und dringend notwendig. Sie wissen, daß unser Trinkmilchpreis uns dabei besonders am Herzen liegt. Es hat um diese Frage in den letzten Wochen sehr viel Aufregung gegeben. Daß der Deutsche Gewerkschaftsbund daran entscheidend beteiligt war, obwohl er das Fehlen der Rentabilität der Milchwirtschaft ausdrücklich zugibt, ist schwer zu verstehen.
Natürlich wollen wir Verbraucher — denn das sind wir ja am Ende alle miteinander — unseren Bedarf so billig wie möglich decken. Aber dieser natürliche Egoismus kann doch nicht so weit gehen, Preise mit Gewalt so niedrig zu halten, daß sie für den jeweiligen Erzeuger einen Verlust bedeuten. Das aber ist die eindeutige Lage beim heutigen Trinkmilchpreis. Man braucht sich doch nur zu vergegenwärtigen, daß nach den amtlichen Unterlagen der Index für Milcherzeugerpreise bei 183 liegt, während der Index der milchwirtschaftlichen Produktionskosten inzwischen auf 230 Punkte stieg. Wenn wir uns dann daran erinnern, daß der Trinkmilchpreis durch eine Preisverordnung, die am 8. Juli 1951, also vor vier Jahren, herausgegeben wurde, festgesetzt ist, dann dürfen wir diese vier Jahre auf der Unkostenseite nicht außer Betracht lassen.
Ich darf daran erinnern, daß wir durch, mehrfache Lohnerhöhungen in diesen vier Jahren die Tariflöhne um 28% erhöht haben. Ihnen ist bekannt, daß diese Löhne
von der Landarbeitergewerkschaft im ganzen Bundesgebiet aufgekündigt sind. Ich glaube, wir sind uns einig, wenn ich sage, jede Aufkündigung der Tarife hat zu einer weiteren Lohnsteigerung geführt. Ich darf daran erinnern, daß die Ausgaben der deutschen Landwirtschaft für künstlichen Dünger mit über einer Milliarde um 26% gestiegen sind. Die Preise der neuen Maschinen sind um 23% gestiegen, die Kosten der Gebäudeunterhaltung sind um etwa 24 % gestiegen. Zu gleicher Zeit hat die deutsche Landwirtschaft erhebliche Aufwendungen gemacht, um innerhalb der Milchviehbestände die Leistungen zu steigern. Die Leistungen, nicht nur die Leistungskontrolle, sondern auch die Qualitätskontrolle sind auf der Unkostenseite der Landwirtschaft zu finden. Zucht und Haltung, mit einem Wort: Rationalisierung im weitesten Sinne ist in der deutschen Landwirtschaft in diesen vier Jahren eine Tatsache, ohne daß diese auf der Preisseite irgendwie berücksichtigt wurde.
Wenn wir bedenken, daß die Einnahmen aus der Milch über ein Viertel der gesamten Einnahmen, die die deutsche Landwirtschaft der Bundesrepublik hat, ausmachen, ich glaube, dann wird klar, welche Bedeutung der Trinkmilchpreis für die deutsche Landwirtschaft hat.
Für die große Zahl der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe ist dieser Prozentsatz allerdings sehr viel größer —.er macht über 50 aus —, ja er ist für viele Kleinbetriebe die einzige laufende Bareinnahme, die überhaupt in diesen Betrieben zu verzeichnen ist. Meine Damen und Herren, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß rund 85 % aller Milchkühe in den Kleinbetrieben stehen, dann, glaube ich, wird klar, welche Bedeutung der Trinkmilchpreis hat. Das Milchgeld ist der Lohn für die Kleinbauern.
Ich glaube, wir müssen diese Dinge auch bei den Auseinandersetzungen, die der Alltag mit sich gebracht hat, nicht als eine Forderung nach einer zusätzlichen Einnahme der deutschen Landwirtschaft sehen, sondern wir müssen sie sehen als das Problem des Kleinbauerntums der Bundesrepublik schlechthin.
Beachten Sie, bitte, meine Damen und Herren, den Lebensstandard in diesen bäuerlichen Familien.
Sie werden feststellen, daß dort im besten Sinne des Wortes ein gemeinsamer Existenzkampf von Frau und Mann ist, der in den Kleinbetrieben geführt wird.
Wenn wir dabei den langen und schweren Arbeitstag, den keiner im Hohen Hause leugnen wird, berücksichtigen, dann müssen wir klar erkennen, daß wir diese Dinge fern von politischen Auseinandersetzungen sachlich klären und sachlich entscheiden müssen.
Angleichung des Trinkmilchpreises an die gestiegenen Erzeugungskosten schließt also nach meiner Ansicht in letzter Hinsicht auf eine große soziale Aufgabe, weil die Struktur der Bundesrepublik nun einmal eine kleinbäuerliche ist.
Bedenken Sie bitte diese unbestreitbaren Tatsachen, wenn wir uns hier über diese Frage unterhalten, die auch in der Diskussion von den verschiedenen Rednern angesprochen wurde. Lassen Sie sich dabei bitte auch nicht durch die immer wiederkehrende Behauptung irremachen, die unmodernen Molkereien verteuerten die Milcherzeugung und die Milchverarbeitung. Selbstverständlich war der Nachholbedarf in der deutschen Landwirtschaft, vor allen Dingen im Molkereiwesen, nach dem Kriege besonders groß. Aber nach der Währungsreform sind hier sehr große Aufwendungen
gemacht worden, und es dürfte kaum noch eine Meierei geben, die nicht den geforderten Ansprüchen genügt. Ebenso abwegig ist die Forderung, daß alle kleinen Molkereien zugunsten größerer Betriebe verschwinden sollen. In den großen Trinkmilchgebieten ist dieser Forderung längst weithin Rechnung getragen. In den übrigen, verbrauchsfernen Gebieten aber, wo das molkereiwirtschaftliche Schwergewicht in der Butter- und in der Käseerzeugung liegt, sind der Konzentration aus Gründen der Rentabilität sehr enge Grenzen gezogen. Seien Sie bitte davon überzeugt, daß die Landwirtschaft, genau so wie die ganze übrige Wirtschaft, um ihres eigenen Ertrags willen das wirtschaftlich Sinnvolle schon aus eigenem Antrieb macht. Die führenden Männer der landwirtschaftlichen Berufsvertretung haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß auch sie die Notwendigkeit der Preisstabilität respektieren. Aber die Gültigkeit dieses Grundsatzes hört dort auf, wo er die Wirtschaftlichkeit und damit die Produktion lebenswichtiger Nahrungsmittel in Frage stellt. Die rückläufigen Milchviehbestände, meine Damen und Herren, beweisen es. Vergegenwärtigen wir uns, daß in vielen Kleinbetrieben das Pferd durch den Kleinschlepper abgelöst worden ist, erinnern wir uns daran, daß man von der Kuhbespannung immer mehr abgeht, daß wir also in zunehmendem Maße noch in den letzten Jahren eine Verlagerung erlebt haben, indem der Großbetrieb die Milchviehhaltung und damit die Milchproduktion einschränkte zugunsten des Kleinbetriebes; dann wird uns klar, was der augenblickliche Trinkmilchpreis auch für den Verbraucher für die Zukunft zu bedeuten hat.
Die Entwicklung, die wir im Augenblick haben, muß, wenn sie anhält, auf dem Milch- und Buttersektor zwangsläufig zu denselben und ähnlichen Zuständen führen, wie wir sie heute auf dem Eiermarkt haben. Weil die deutsche Erzeugung gegenwärtig an der Deckung des deutschen Eierbedarfs aus jahreszeitlichen Gründen nur in geringem Umfange beteiligt ist, liegt der Eierpreis im Augenblick verhältnismäßig hoch und weit über dem Jahresdurchschnitt, obwohl der Zoll im Augenblick bekanntlich nur 5 % — statt 15 % im Sommer — ausmacht. Das Ausland nutzt es aus, daß an den deutschen Eiermärkten kein konkurrierendes deutsches Angebot ist, und der deutsche Verbraucher, meine Damen und Herren, muß es bezahlen.
Diese Tatsache beweist zur Genüge, daß trotz aller entgegenstehenden immer wiederkehrenden Behauptungen am Ende die ausreichende deutsche Erzeugung sowohl für den Erzeuger, für den Bauernstand, als auch für den Verbraucher das Sinnvolle und Richtige ist.
Diese deutsche Erzeugung wird auf die Dauer auch die billigste Bedarfsdeckung sichern.
Nun hat die Bundesregierung in ihrer Erklärung erfreulicherweise in dem Punkte, wo sie zu den staatlich gebundenen Preisen Stellung nahm, hier die Ausnahme für die Landwirtschaft ausdrücklich anerkannt. Ich darf auch mit Befriedigung feststellen, daß die Herren Diskussionsredner in dieser Frage weitestgehend mit der Erklärung der Regierung einiggehen. Ich habe in diesem Zusammenhang allerdings bedauert daß gestern der Vertreter der Opposition in diesem Punkte anderer Meinung war, und habe die Bitte, daß doch dieser Standpunkt überprüft wird. Ich darf daran erinnern, daß wir auch im Bundesmietengesetz einen ähnlichen Weg gegangen sind, und ich darf das Hohe Haus doch darum bitten, zu prüfen, ob es möglich und sinnvoll ist, in dem Augenblick, wo man glaubt, daß gewisse sozial schwache Kreise diesen Preis von sich aus nicht zahlen können, dies zu Lasten eines Standes, in diesem Fall zu Lasten des deutschen Kleinbauerntums, auszutragen und zu entscheiden.
Das Hohe Haus dürfte sich darin einig sein, daß hier eine echte Aufgabe des ganzen deutschen Volkes vorliegt. Sie werden uns immer als Ihre Partner finden, wenn es darum geht, zugunsten der sozial Schwächsten etwas zu tun. Wir meinen aber, die Entscheidung in der Frage des Trinkmilchpreises darf nicht länger aufgeschoben werden.
Hier handelt es sich, wie ich darzulegen versuchte, nicht um eine einseitige wirtschaftliche Maßnahme, sondern in letzter Konsequenz um die soziale, ja auch die politische Aufgabe für unser deutsches Kleinbauerntum schlechthin.
Ich darf daher das Bundeskabinett bitten, die Bemühungen unseres Herrn Ernährungsministers, die Verordnung von Juli 1951 nun endlich zu ändern, zu unterstützen. Die verschiedenen Beiträge der gestrigen und der heutigen Diskussion haben gezeigt, daß hier eine weitere Aufschiebung nicht mehr verantwortet werden kann.
So wird es sicher auch verständlich, daß meine politischen Freunde bereits im Juli unmittelbar nach Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes mit einem diesbezüglichen Antrag an das Hohe Haus herantraten. Leider finden wir erst heute Gelegenheit, diesen Antrag im Parlament zu besprechen.
Der zweite Antrag, den ich kurz zu begründen habe, befaßt sich mit der Umsatzsteuer. Der materielle Inhalt des Antrags auf Drucksache 1628 wird auch im Zusammenhang mit einem andern Antrag im Hohen Hause behandelt. Es wird beantragt, die landwirtschaftliche Produktion von der Umsatzsteuer völlig zu befreien. Auch dieser Antrag ist zum Teil noch umstritten. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuer bedeutet ohne Zweifel auch ein Opfer der Allgemeinheit zugunsten der Landwirtschaft. Aber bedenken Sie bitte, daß diesem scheinbaren Opfer der greifbare Verzicht der Landwirtschaft vorausgeht. Die Landwirtschaft hat nicht die Möglichkeit des kalkulatorischen Ausgleichs für die laufend entstehenden Unkosten. Sie muß sich mit der Vorbelastung des politischen Preises für ihre Erzeugnisse auseinandersetzen. Wäre die Landwirtschaft in der Lage, ähnlich wie die übrige Wirtschaft die Umsatzsteuer zum Bestandteil des Preises zu machen, wie es der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung der Umsatzsteuer war, dann wäre es nicht nötig, den heutigen Antrag hier zu behandeln. Aber diese Möglichkeit hat die Landwirtschaft nicht, und deshalb haben wir diesen Antrag auf Befreiung von der Umsatzsteuer gestellt.
Sehen Sie bitte in diesem Antrag einen Beitrag,
die Bemühungen unseres Ministers Lübke zu
unterstützen, der mit seinem Programm zur Un-
kostensenkung, das er vor zwei Jahren verkündete, in der Öffentlichkeit viel Anklang und viel Beachtung gefunden hat. Wir sind uns aber wohl auch alle darüber im klaren, daß dieses von ihm vor zwei Jahren aufgestellte Programm bisher leider doch noch zuwenig beachtet worden ist.
Es ist nun aber fällig, Die deutsche Landwirtschaft — ich darf feststellen, daß das erfreulicherweise aus den Ausführungen aller Diskussionsredner her-ausklang — ist an den Preissteigerungen der letzten vier Jahre nur sehr bescheiden beteiligt gewesen. Sie ist — auch das wurde anerkannt — zurückgeblieben. Wenn wir von solcher Warte aus an die Dinge herangehen, dürfte es, glaube ich, nicht schwerfallen, auch diesem Antrage meiner Fraktion zu folgen.
Aus demselben Grunde bitte ich, auch dem Antrag meiner Fraktion, Drucksache 1755, nach Überprüfung der Realsteuergesetzgebung zuzustimmen. Der darin niedergelegte Wunsch nach Abbau der überhöhten Grund- und Gewerbesteuern in den einzelnen Ländern berührt neben dem gewerblichen Mittelstand auch die Landwirtschaft in außerordentlich hohem Maße. Es ist das Schicksal der Urproduktion in allen demokratischen Ländern, daß sie die großen und fortschreitenden Möglichkeiten der Technisierung und des Kapitaleinsatzes nicht annähernd so nützen kann, wie es die übrige Wirtschaft tut. Die Landwirtschaft befindet sich eben in einer Sonderlage. Das hat mit der berühmten, immer wieder behaupteten Rückständigkeit der Landwirtschaft nicht das geringste zu tun.
Es ist ein natürlicher Mangel, dessen Ausgleich überall als eine unumgängliche staatliche Aufgabe angesehen wird. Die agrarpolitische Gesetzgebung der Nachkriegszeit und insonderheit die Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes beweisen hinreichend, daß auch die Bundesrepublik sich zu dieser Aufgabe bekennt. Das gibt mir die Hoffnung, daß Sie den von meinen politischen Freunden und mir eingebrachten Anträgen Ihre Zustimmung nicht versagen werden. Der volkswirtschaftlichen Leistungskraft der westdeutschen Landwirtschaft würde eine solche Entscheidung in hohem Maße zugute kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Gegensatz zu meinem Herrn Vorredner erstens über Konjunkturpolitik und zweitens im Rahmen der uns gestatteten Redezeit sprechen.
— Ich weiß, daß das, wovon Herr Struve gesprochen hat, eine wichtige und bedeutsame Angelegenheit ist. Aber die Forderungen der Landwirtschaft nach Festpreisen sind ganz bestimmt weder ein Mittel noch ein Ziel der Konjunkturpolitik, über die wir doch heute sprechen wollen.
— Aber das ist doch keine Gegenfrage: Gehört die Landwirtschaft nicht zur Wirtschaft? — Die Forderungen der Landwirtschaft nach Festpreisen — die ich jetzt gar nicht diskutieren will — sind, das wiederhole ich, weder ein Ziel noch ein Mittel der Konjunkturpolitik, und wir wollen über Konjunkturpolitik reden.
Ich gebe Ihnen zu, meine Damen und Herren, daß unter den zahlreichen Anträgen der Fraktionen dieses Hauses eine ganze Reihe sind, die jetzt zu behandeln auch dann sinnvoll wäre, wenn wir nicht über Konjunkturpolitik redeten. Ob sie sich im Rahmen eines konjunkturpolitischen Programms bewähren werden, wissen wir noch gar nicht. Aber der Herr Bundesfinanzminister hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, eine Anregung gegeben, die wir aufgreifen sollten. Er hat nämlich vorgeschlagen, wir sollten eine Art Dachkommission für die Behandlung aller jetzt vorliegenden Anträge bilden. Ich möchte nur rechtzeitig darum bitten, daß diese Kommission sich dann nicht nur aus den Damen und Herren des Steuer- und Finanzausschusses und des Haushaltsausschusses zusammensetzt, sondern daß auch der Wirtschaftspolitische Ausschuß, der nämlich die konjunkturpolitische Note in diese Gesetzgebungsarbeit hineinbringen soll, daran beteiligt wird. — Soviel zu diesem Teil der Methodik.
Auch sonst, meine Damen und Herren, war es eigentlich nur mein Anliegen, das Haus zu bitten, bei der Erörterung der Fragen, die heute anstehen, eine gewisse systematische Gliederung vorzunehmen, jetzt und auch später in den Aus-. schössen.
Ich sagte schon, nicht alle unsere Steuerwünsche lassen sich nur konjunkturpolitisch begründen. Der Wunsch nach Steuersenkung ist ein natürlicher Wunsch. Die Staatsbürger werden nie aufhören, ihn zu äußern. Man muß nicht gleich die Demokratie in Gefahr sehen, wenn dieser Wunsch in einer konjunkturpolitischen Situation mit besonderem Nachdruck vorgebracht wird.
Die dahingehenden Sorgen des Herrn Bundesfinanzministers teile ich nicht.•
Meine Damen und Herren, ich bin Hochschullehrer und will hier sehr vorsichtig sein; ich darf auch meinen westdeutschen Kollegen nicht vorgreifen. Von jeher aber ist es ein, ich möchte beinahe sagen, Bestandteil des Nachweises der Existenzberechtigung unserer Forschungsinstitute gewesen, die Schätzungen des Herrn Bundesfinanzministers in Steuerfragen nachzuprüfen.
Wir haben es schon bei Besprechungen über die große Steuerreform sehr gern gesehen, daß es unabhängige Forschungsinstitute gibt. Die Parteien konnten doch, wenn sie gewissenhaft sein wollten, nur von den Etatansätzen des Herrn Bundesfinanzministers ausgehen. Er arbeitet bereits mit Schätzungen, über die wir noch nicht verfügen. Wir gehen von den Zahlen aus, die er uns selber gegeben hat. Wir lassen uns gerne belehren, wenn es anders ist, aber, wie gesagt, nicht nur von ihm, sondern auch von denen, die sich seit Jahr und Tag systematisch mit der Nachprüfung solcher Schätzungen beschäftigen.
Das etwas unsystematische — entschuldigen Sie das harte Wort — Auseinanderklaffen dieser Dis-
kussion ist vielleicht ein Symptom für etwas sehr Beruhigendes. Die konjunkturpolitische Auseinandersetzung ist belastet mit Wünschen und Forderungen, die unter Umständen — ich bin vorsichtig — auch ohne konjunkturpolitische Begründung berechtigt sind. Es möchte so scheinen, als wenn hier allgemeine Anliegen vorgebracht würden. Der Herr Bundesfinanzminister hat sehr vorsichtig bereits erklärt, daß sein Vorschlag über die Besteuerung der Ehegatten nicht in dieses Programm gehört. Er hat sich auf einen Auftrag des Hauses berufen. Er hat es uns also schwergemacht, dieses Thema schon jetzt mit in die Diskussion zu ziehen. Immerhin, wir melden an, daß wir dagegen sind, und wir hoffen, daß der Herr Familienminister uns dabei unterstützt.
Das Auflösen also dieser konjunkturpolitischen Tagesordnung in die Vertretung von durchaus berechtigten Wünschen der verschiedensten Teile unserer Wirtschaft ist eigentlich ein Zeichen dafür, daß es nicht um eine Notsituation geht. Es ist also offenbar nicht so, daß wir vor einer konjunkturbedingten Krise, daß wir, sagen wir, vor einem Notstand stehen. Wir sind gewarnt worden durch das Signal der Bank deutscher Länder in bezug auf das, was man jetzt die Überhitzung nennt. Wir verstehen diese Warnung. Ich bin mit dem Herrn Kollegen Hellwig durchaus darin einig, daß wir nunmehr darangehen sollten, uns die Instrumente zu schaffen, die die Bundesregierung in die Lage versetzen, Konjunkturpolitik zu treiben. Ich begrüße seine Anregung, wir möchten endlich einmal zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen. Ich überschätze das nicht; wir brauchen es aber.
Ich bedaure, daß wir resignieren in bezug auf das Notenbankgesetz, von dem ich glaube, daß wir in den zwei Jahren der restlichen Legislaturperiode wohl die Möglichkeit hätten, es zu verabschieden. Und das ist ja immerhin eine Forderung des Grundgesetzes! Wir sollten die Forderungen des Grundgesetzes nicht so leicht nehmen. Wir haben schon in bezug auf das Parteiengesetz bisher eine merkwürdige Interesselosigkeit gezeigt. „Der Bund errichtet eine Notenbank", heißt es im Grundgesetz, und der Bund sollte das endlich einmal tun, damit die Bundesregierung in der Lage ist, Konjunkturpolitik zu treiben.
Ich weiß, daß man bei der Analyse der wirtschaftlichen Situation heute, morgen und übermorgen und wahrscheinlich noch lange Zeit darauf angewiesen sein wird, mit den Vorstellungen zu arbeiten, die aus jener Zeit der Wechsellagen stammen, die sich heute so schön studieren lassen, die aber 1914 abgeschlossen waren. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit zu erforschen — es wird auch getan, und mit großem Erfolg —, was eigentlich geschehen ist, daß es zur Weltwirtschaftskrise kommen konnte.
Wir wissen mindestens das eine: daß das, was damals geschehen ist etwas völlig anderes ist als
das, was 80 und 100 Jahre lang vorher als sogenannte Wechsellagen, als Zyklen der Wirtschaftsentwicklung galt, und heute ist die Situation wieder eine andere; denn wir sind immer noch trotz der Überhitzung im Aufbau. Die Wechsellage der sogenannten Konjunkturbewegung der Zeit von 1830 bis 1914 war der Rhythmus der Expansion der industriellen Wirtschaft. Wir reden heute mit Recht nicht mehr von der Expansion der industriellen Wirtschaft, sondern in irgendeiner Beziehung
ist alles das, was uns wirtschaftspolitisch beschäftigt, als Rationalisierung im einzelnen und im ganzen zu verstehen.
Solange wir in unserem Wirtschaftsleben noch ganze Gebiete — territorial und fachlich — haben, in denen uns noch große Aufgaben gestellt sind, ist das, was man früher besorgt als eine Ursache der beginnenden Depression ansah — daß nämlich die Aufgabe weggefallen ist —, jedenfalls nicht zu besorgen.
Wir haben gewiß eine Art Vollbeschäftigung. Aber ich möchte nur einmal — das ist hier in Berlin, wo wir noch keine Vollbeschäftigung haben, besonders wichtig — vielleicht an das Schicksal der älteren Angestellten erinnern und feststellen, daß es hockqualifizierte und leistungsfähige Persönlichkeiten gibt, die sinnvoll in unsere Wirtschaft einzubauen noch nicht gelungen ist, ebensowenig, wie es bisher trotz aller dankenswerten Unterstützungen des Bundes gelungen ist, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die Berlin für eine sinnvolle und produktive Zusammenarbeit mit der gesamten deutschen Volkswirtschaft hat. Berlin ist kein Notstandsgebiet, sondern ist ein bisher abgeschlossenes Gebiet höchster technologischer, kommerzieller und verwaltungsmäßiger Fähigkeiten.
Ähnliches gilt auch von den Zonenrandgebieten.
Ich möchte das alles nur erwähnen, um zu sagen: für eine Ablenkung einer sich sonst überhitzenden Prosperität auf Rationalisierungsmaßnahmen im volkswirtschaftlichen Verstand ist noch sehr viel Raum, da hat der Herr Kollege Struve vollkommen recht, insbesondere, da nun die Landwirtschaft, der gewerbliche Mittelstand und insbesondere das Handwerk einbegriffen ist, das auch ein Recht darauf hat, an dem konjunkturellen Geschehen teilzunehmen. Hier sind Aufgaben, die uns, wenn Lehren aus älteren Konjunkturen heute noch zuverlässig sind, doch die Zuversicht geben, daß wir nicht vor einer ernsten Änderung des Trends unserer wirtschaftlichen Entwicklung stehen, wenn wir es nur richtig machen.
Es bleibt also eigentlich das, was wir heute diskutieren müssen, und da stimme ich dem Herrn Kollegen Deist von der Sozialdemokratischen Partei vollkommen zu: die Preisentwicklung, die unabhängig von ihrer konjunkturtechnischen Relevanz in weiten Kreisen unseres Volkes als peinlich empfunden wird. Ich sage nicht, daß das Rezept der Lohnerhöhungen das richtige Rezept ist. Ich habe sogar einige Sorge. Denn es ist verhältnismäßig leicht für Arbeitnehmer in einer guten Position, einer gewerkschaftlichen Organisation, sich an den konjunkturellen Gewinnen zu beteiligen. Das sollen sie auch. Aber dieses Land und dieses Volk ist doch heute gekennzeichnet durch die Riesenmasse derjenigen Menschen, die von kleinen Renten leben müssen, weil der Krieg und die Politik sie in dieses Schicksal gezwungen haben. Diese Menschen können sich nicht an solchen Lohnerhöhungen beteiligen, und um dieser großen Masse der sozial Betreuten willen, die keine Machtstellung in unserer Gesellschaft haben wie der gut organisierte Lohnarbeiter, müssen wir die Frage, ob man der Preisentwicklung einfach durch Lohnerhöhungen begegnen kann, doch sehr ernst prüfen. Mir scheinen der Weg, den zu gehen Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard versucht, zur Vernunft, d. h. zu Preissenkungen zu raten, und
die dabei möglichen Maßnahmen diskutabel. Ich teile durchaus die Auffassung des Kollegen Deist, daß auch die Einfuhrschleusen Werkzeug einer sinnvollen Preispolitik sein sollten in der Lage, die wir heute haben, und wir sind bereit, das zu diskutieren.
Ich bin also der Meinung, meine Damen und Herren, Preispolitik im Sinne einer Mengenkonjunktur ist einfach aus sozialen Gründen heute notwendig, nicht das Ausweichen auf eine Lohnspirale, die nur den Angehörigen starker Organisationen Erfolg verspricht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ein Teil, sicherlich nur ein Teil, aber ein wichtiger Teil dessen, was uns beunruhigt, rührt unzweifelhaft daher, daß die Gewinne und die Ertragserwartungen unserer Unternehmer durch das Steuersystem verfälscht werden, und deshalb wird immer die Steuerfrage für uns eine Frage der Rationalisierung und der Ökonomisierung in den Überlegungen des Unternehmers bleiben.
Darüber hinaus beruht manches von dem, was heute als konjunkturelle Entwicklung erscheint, wahrscheinlich auf der Vorwegnahme von Gewinnerwartungen, die mit dem Rüstungsprogramm zusammenhängen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Öffentlichkeit sehr beruhigt über das Ausmaß dessen, was die deutsche Produktion in dieser Beziehung zu leisten haben wird. Ich habe schon einmal bei der Diskussion des Kartellgesetzes gesagt: wenn wir uns nicht stark zeigen, mit diesen Dingen fertig zu werden, wer soll dann glauben, daß wir mit der Preisentwicklung fertig werden, die durch die Rüstung erzeugt wird? Es wäre sehr gut, es wäre eine zusätzliche konjunkturpolitische Maßnahme des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wenn er sehr bald einmal der deutschen Öffentlichkeit sagte, wie er sich eigentlich den Schutz der deutschen Volkswirtschaft vor einer Ausbeutung durch die Träger der Rüstungskonjunktur denkt. Daß es so etwas in der Welt immer wieder gegeben hat, wissen wir. Wir haben das Vertrauen zu Professor Erhard, daß er entschlossen ist, dagegen anzugehen. Er soll nur bald sagen, wie. Ich glaube, dann wird manches von der Überhitzung verschwinden.
Also, meine Damen und Herren, die Psychologie dieser Dinge ist wichtig. Ich glaube überhaupt, daß ein großer Teil dessen, was man Konjunkturmechanismus nennt, ergänzt werden muß durch die Psychologie dieser Dinge. Herr Professor Erhard hat damit angefangen. Ich weiß nicht, ob es ausreicht, aber es muß auch geschehen!
Wir werden also in Übernahme des Vorschlags des Bundesfinanzministers versuchen, alles das, was gestern und heute in diesem Hause unter dem Oberthema Konjunkturpolitik von den Parteien vorgeschlagen worden ist, in einem Sonderausschuß vorzuprüfen. Ich hoffe, daß wir dann dazu kommen, für die Bundesregierung die Möglichkeiten einer Konjunkturpolitik zu schaffen, die sie heute noch nicht hat.
Ich darf einen letzten Satz hinzufügen. Wir wissen aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, daß die traditionellen Mittel der Konjunkturpolitik Diskontpolitik, offene Marktpolitik,
Mindestreservenpolitik usw. — allein nicht ausreichen.
Wir müssen neue Mittel einsetzen. Dazu gehören all die Vorschläge über Konzentration der Kassenhaltung, über Publizität der Wirtschaft der öffentlichen Kassen, und dazu gehört, daß man die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand nun auch in den Dienst dieser Konjunkturpolitik stellt.
Ich erinnere immer wieder an die Schätzungen, die schon Helfferich 1912 vorgenommen hat. Damals war immerhin ein Sechstel bis ein Fünftel unseres Erwerbsvermögens Eigentum der öffentlichen Hand. Der Staatssekretär Popitz hat im Jahre 1930 eine Schätzung gegeben, die erlaubt, zu sagen, daß es damals schon ungefähr 50 % waren, und daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden. Dieser ganze Bereich entzieht sich weitgehend der Publizität, ,die wir von der Privatwirtschaft sowohl über ihre Wirtschaftlichkeit als auch ihre Kassengebarung verlangen. Wenn aber irgendwo die Forderung gestellt werden muß, daß der demokratische Staat, der sich für die Konjunkturentwicklung und ihre eventuellen politischen Folgen verantwortlich fühlt, alle Mittel einer vernünftigen Konjunkturpolitik einsetzen muß, dann ganz bestimmt auch dort, wo er sich selbst am Erwerbsleben beteiligt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gestern davor gewarnt, Gruppenziele als konjunkturpolitische Erfordernisse zu deklarieren und Maßnahmen zu verlangen, die unsere Sorgen, statt sie zu beheben, nur verschlimmern müßten. Ich meine, Professor Erhard hat mit dieser Warnung recht. Meine Fraktionsfreunde und ich haben uns daher auch seit Jahren bemüht, nicht nur in allgemeinen Redewendungen, sondern verstärkt gerade in den Gruppen, in denen wir zu Hause sind, den Grundsatz von der Einheit der Wirtschaft zur Anerkennung zu bringen. Ich möchte auch bei dieser Aussprache mit Nachdruck betonen dürfen, daß wir es für töricht halten, die deutsche Wirtschaft in tausend Kästchen und Grüppchen einzuteilen und jedem Splitter dann noch zu erlauben, sich selbst für den Angelpunkt des Ganzen zu halten.
Die Einheit der Wirtschaft ist so wichtig, daß man sich redlich immer wieder um sie bemühen muß. Aber, meine verehrten Damen und Herren, mit Worten allein ist hier wenig getan. Wir haben in den letzten Monaten der Konjunkturdebatte festgestellt, daß etliche von denen, die laut von der gesamten Volkswirtschaft, von ihrer Einheit reden, gar nicht die gesamte Wirtschaft meinen, sondern in erster Linie sich selber und zur Not vielleicht noch ein paar andere dazu. Auch die besten Prinzipien haben halt ihre egoistischen Schwächen, und Glück hat derjenige, der sein eigenes Interesse unter dem Zeichen eines gemeinnützigen Prinzips in guter Obhut weiß. An diese glücklichen Leute denke ich stets, wenn ich das Schlagwort vom Automatismus höre. Automatismus
ist nach unserer Erfahrung häufiger eine Ausrede als eine wirtschaftspolitische Überzeugung. Es ist nicht wahr, daß, wenn es erst einigen gut geht, automatisch bald allen gut gehen muß. Im Gegenteil, wenn es dem einen oder andern zu gut geht, dann besteht die Gefahr, daß es anderen schlechter gehen muß,
weil auf die Dauer niemand zu Lasten eines anderen einen Vorteil für sich ziehen kann.
Die deutsche Volkswirtschaft ist Gott sei Dank noch so vielgestaltig, daß sie sich nicht in ein Schema pressen läßt. Wenn daher bei den Überlegungen immer wieder Einzelprobleme angegangen werden müssen, dann sollte man nicht gleich einen verderblichen Egoismus wittern
oder sagen, daß diese Dinge nicht zum Thema gehören. Besonders dann nicht, wenn diese Einzelprobleme aus Bezirken kommen, die man doch wohl als die wirtschaftlich schwächeren bezeichnen muß. Um es noch einmal, aber anders zu sagen: Es ist sicher richtig, bei einer umfassenden Konjunkturdebatte nicht zu sehr in die Einzelheiten einzusteigen, wenngleich es letztlich ja immer wieder auf diese Einzelheiten ankommt. Aber man sollte bei der Erörterung der großen Zusammenhänge der Wirtschaft nicht die Worte umstellen und am Ende nur noch über die Zusammenhänge der großen Wirtschaft reden. Das ist in den letzten Monaten überwiegend geschehen. Man konnte annehmen, daß es bei uns, abgesehen von einigen Ernährungshandwerkern, nur eine großindustrielle Wirtschaft gebe. Dabei ist die deutsche Wirtschaft wie seit der ersten statistischen Durchzählung vor 70 Jahren immer noch überwiegend mittelständisch. Noch heute sind über 99 % aller Betriebe Klein- und Mittelbetriebe,
und über 70 % aller Erwerbstätigen sind in Klein- und Mittelbetrieben von Gewerbe und Landwirtschaft beschäftigt.
Es wäre uns sicherlich manche Sorge erspart geblieben, wenn man dieser Struktur der deutschen
Wirtschaft etwas mehr Beachtung geschenkt hätte.
Gestern und heute ist übereinstimmend gesagt worden, daß keine akute Gefahr besteht und daß mögliche Schwierigkeiten aus dem unzureichend werdenden Arbeitsmarkt herrühren. Dr. Hellwig zog sehr richtig die Konsequenz, indem er erklärte, daß wir von der extensiven zur intensiven Kapazitätsausweitung übergehen müssen. Meine Damen und Herren, das ist doch gerade das, was wir zu den mittelständischen Problemen gesagt oder als mittelständischen Beitrag zu den wirtschaftlichen Problemen der letzten Jahre geleistet haben. Nirgendwo — das erkenenen Sie schon aus dem Umfang des Anteils der mittelständischen Wirtschaft an der Gesamtheit — stecken so viele Produktionsreserven wie im gewerblichen Mittelstand.
Durch eine rationelle Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten und durch eine Modernisierung der Betriebe wird der Wirtschaft, aber auch unserer Gesellschaft strukturell geholfen.
Vernachlässigen wir diese soziologische Seite nicht, auch wenn Konjunkturpolitik auf der Tagesordnung steht. Betriebe, Produktionen und Beschäftigtenziffern sind schließlich nicht nur technische Zahlen einer Statistik, sondern Aussagen über Schicksale von Menschen.
Ich bin sicherlich sehr für eine nüchterne Versachlichung unserer Diskussionen. Aber wenn man immer wieder spürt, daß die sogenannten großen Zusammenhänge, gleichgültig, welches Thema gerade behandelt wird, mit ihrem unvermeidbaren Schematismus der Praxis der kleineren und mittleren Wirtschaft in Gewerbe und Landwirtschaft nicht gerecht werden, dann ergreift man jede Gelegenheit, auf diesen Mangel hinzuweisen.
Ich erinnere darum auch jetzt noch einmal daran, daß der größere Teil der deutschen Wirtschaft mittelständisch ist.
Hat z. B. die Bank deutscher Länder daran gedacht, als sie am 3. August die Bremse zog? Zugegeben, daß diese Maßnahme unvermeidbar war. Aber wer hat denn ihre Härte zu spüren bekommen? Doch nicht die größeren, sondern die kleineren Betriebe!
Man spricht vom allgemeinen Investitionsstopp. Wäre es nicht gut, auch davon zu reden, daß diejenigen, die Gott sei Dank aufgeholt haben, nun erst einmal warten müssen, bis diejenigen, die infolge nicht selbstverschuldeter Umstände haben warten müssen, nachziehen können?
Ich finde — um es mit einer kleinen Übertreibung zu sagen — eine Investitionshilfe für den gewerblichen Mittelstand in nichts absurder als die Investitionshilfe, die wir hinter uns haben.
Die CDU/CSU hat Ihnen mehrere Anträge vorgelegt. In allen diesen Anträgen berücksichtigt sie die Beteiligung des Mittelstandes an den konjunkturpolitischen Maßnahmen, und zwar immer mit dem Ziel, die Produktivität dieser Betriebe zum Vorteil der Gesamtwirtschaft zu steigern und bei einer eventuellen Abwanderung von Arbeitskräften aus diesen Betrieben den Mittelstand durch weitere Technisierung dennoch stabil zu halten. Aber das bedeutet in vielen Fällen vorab den Abbau von altüberlieferten, aber darum noch nicht gerechtfertigten Benachteiligungen. Ich darf rein der Reihenfolge nach ganz kurz die Anträge erläutern.
Im Antrag Drucksache 1754, der die Energiefragen betrifft, haben wir bewußt das Problem der unterschiedlichen Preisgestaltung in gleichen Abnehmergruppen angesprochen, und zwar deswegen, weil zu einer Aufrechterhaltung einer gesunden Konjunktur ein fairer Wettbewerb mit gleichen Startbedingungen gehört. Der Wettbewerb wird aber weitgehend dadurch gestört, daß schon die Voraussetzungen für die Beteiligten unterschiedlich sind.
Im Antrag Drucksache 1751 haben wir zum wiederholten Male das Problem der öffentlichen Aufträge angesprochen. Hier sehen Sie ganz deutlich das echte konjunkturpolitische Anliegen. Der öffentliche Auftraggeber hat es natürlich sehr leicht, wenn er sich in bequemen großen Losen mit einzelnen großen Unternehmern auseinandersetzt. Aber
ein zusammengeballter öffentlicher Auftrag verführt doch gerade die Unternehmen dazu, ihre Kapazitäten unsinnigerweise zu erweitern, während andere ihre Kapazitäten brachliegen lassen müssen. Also gerade mit dem Mittel des öffentlichen Auftrags wäre die öffentliche Hand in der Lage, eine gute, eine bessere Konjunkturpolitik zu betreiben.
Wir wissen sehr gut, daß der Bund hier nicht allein zuständig ist. Aber wir sprechen ja hier nicht nur zu unseren Bürgern als Bundesbürgern, sondern auch zu unseren Bürgern als Bürgern der Gemeinden und Länder. Wir meinen, daß im öffentlichen Auftrag die Chance besteht, noch sehr umfangreiche Produktionsreserven auszunutzen.
Dann zu unseren Kreditwünschen! Herr Dr. Deist hat gemeint, daß die Wünsche an sich berechtigt seien. Er hat sich sogar — meiner Meinung nach mit Recht — darüber beklagt, daß zu wenig getan worden ist. Aber er hat die Ansicht geäußert, diese Kreditwünsche gehörten nicht hierher. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat — ich glaube, es ist der Punkt 10 der Regierungserklärung — darauf hingewiesen, daß das Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen einen maßgebenden Anteil an der Erhaltung einer gesunden Konjunktur haben könnte. Das bedeutet doch nichts anderes, als daß der Wettbewerb zu diesen Problemen gehört. Aber gerade die Benachteiligung auf dem Kreditmarkt stellt für unsere kleineren Betriebe die größte Wettbewerbsbehinderung dar. Wir müssen sie in den Stand setzen, den Wettbewerb, den wir wollen, auch durchzustehen. Darum sollten wir uns nicht stur an ein Thema halten, sondern auch die Auswirkungen bedenken und den Mut haben, diese Dinge vorzutragen. Ich bin der Auffassung, daß wir durch Kreditmaßnahmen—immer zum Zwecke der Rationalisierung und zur Steigerung der Produktion, zur intensiven Verbesserung der Leistung der Betriebe — ein gutes Mittel in die Hand bekommen, unsere konjunkturelle Lage zu verbessern.
Nun einiges zu den Ausführungen des Herrn Finanzministers! Wenn er gesprochen hat, dann hat man meistens keinen Mut mehr, den Mund aufzutun. Er macht das so geschickt,
er hat so viele und vor allen Dingen so hohe Zahlen zur Verfügung, daß man als kleiner Mittelständler gar nicht dagegen ankommt. Aber, Herr Finanzminister, eine Lücke finde ich in Ihren Ausführungen immer wieder. Sie unterstellen, die Verteilung der Steuern sei gerecht. Unsere Klage ist doch gerade die, daß die Verpackung falsch ist, daß wir durch das heutige Steuersystem eine unterschiedliche Wettbewerbslage schaffen. Das trifft ganz besonders für die Umsatzsteuer zu. Die kumulative Wirkung der deutschen Umsatzsteuer ist so ungeheuerlich, daß einzelne Wirtschaftszweige, obwohl sie in ihrer Zusammenfassung volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich unrentabel sind, Kalkulationsvorteile bis zu 8 und 9 % haben.
Man kann doch eine Steuerdebatte nicht nur darüber führen, ob man senken oder heben will, sondern man muß sich noch mehr darum bemühen, die Lasten gerecht zu verteilen. Nun weiß ich wohl, daß die Kraft der Tatsachen sehr groß ist und daß
man eine solche Besserung fast immer nur dann erreichen kann, wenn man die Möglichkeit hat, Steuern zu senken. Darum möchten wir gerade in diesem Augenblick, wo die Steuern gesenkt werden — egal welche —, darauf hinweisen, daß die Verpackung der deutschen Steuern, die Verteilung der Steuerlast gerechter werden muß. Dazu gehört das Problem der Ehegattenbesteuerung, dazu gehört das Problem einer Alterssicherung, dazu gehört auch das Problem der steuerlichen Berücksichtigung der Berufsausbildung, das in unserem Steuerantrag nicht angesprochen worden ist, und dazu gehören auch die Realsteuern.
Einer meiner Vorredner hat schon gesagt, daß die Gewerbesteuer doch nur eine zusätzliche Einkommensteuer für die Gewerbetreibenden ist. Ich will gar nicht so weit gehen. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Art der Veranlagung so unterschiedlich ist — leider zum Nachteil der Kleineren —, daß wir an eine Änderung herangehen müssen. Wir müssen auch die alte Forderung nach Anrechnung eines Unternehmerlohns wieder aufgreifen. Denn die Bevorzugung gerade der Kapitalgesellschaften gegenüber den Einzelunternehmern ist zu groß und beeinträchtigt den Wettbewerb zu sehr, als daß wir sie noch länger zulassen könnten.
Die von mir noch einmal hervorgehobenen Punkte sollen in den Rahmen des Gesamtprogramms gestellt werden. Ich darf wohl behaupten, daß sie keine egoistischen Gruppenwünsche darstellen, sondern daß sie gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechen. Sie sollen mithelfen, unsere soziale Marktwirtschaft in Funktion zu halten. Je mehr Anbieter bei ausreichender Ware, um so besser funktioniert der Markt und um so gerechter ist auch die Verteilung des gesamten Volkseinkommens. Sorgen wir also bei unseren konjunkturellen Maßnahmen dafür, daß sie die Struktur unserer Wirtschaft mit ihrer gesunden Gliederung von Klein-, Mittel- und Großbetrieben festigen helfen! Dann haben alle ihren Vorteil. Nur eine vielgestaltige Wirtschaft hat einen echten Wettbewerb, in dem wir gerade jetzt wieder den unentbehrlichen Motor des Ganzen erkennen.
Noch eins, meine Damen und Herren. Halten wir das freie Wagnis der selbständigen wirtschaftlichen Betätigung für jedermann offen, nicht zuletzt dadurch, daß wir dieses Wagnis lohnenswert machen. Viele Menschen, besonders auch in der Zone, warten auf diese Freiheit.
Sorgen wir dafür, daß sie unserem Volke erhalten bleibt!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in der Regierungserklärung auch Zahlen über Sozialausgaben angeführt und erklärt, daß sich die Sozialausgaben verdoppelt hätten. Der Bundeswirtschaftsminister hat aber nicht mitgeteilt, daß sich der Anteil des Bundes an den Sozialaufwendungen vom Jahre 1950 bis 1955 von 37 % auf 26%
der Bundesausgaben verringert hat. Die steigenden Sozialaufwendungen sind vor allen Dingen durch die steigenden Beitragseinnahmen bedingt. Es erweckt einen falschen Eindruck, wenn diese Mittel aus eigenem Arbeitseinkommen der Versicherten ohne weitere Erklärung zu den Sozialaufwendungen hinzugerechnet werden. In dieser Hinsicht ist eine klarere Abgrenzung zum Verständnis der Größenordnung notwendig.
Noch etwas anderes! In der Regierungerklärung hat der Herr Bundeswirtschaftsminister wörtlich folgendes erklärt:
Millionen von Rentnern insbesondere werden von der Preissteigerung in ihrem sozialen Sein auf das härteste betroffen. Diese Menschen dürfen nicht verraten und betrogen werden.
Er kündigte dann weiter an: Das konjunkturpolitische Programm geht davon aus, daß besondere Anstrengungen unternommen werden müssen, den Rentnern das Gefühl und die Gewißheit einer immer besseren Existenzsicherung zu geben. Dem können wir Sozialdemokraten nur zustimmen, wobei es uns weniger auf das Gefühl als auf die Gewißheit ankommt.
Aber, meine Damen und Herren, sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch ist entscheidend, daß die Regierungserklärung in den elf Programmpunkten keine einzige Maßnahme zur Anpassung der Renten an das gestiegene Sozialprodukt vorschlägt.
Aus den wirtschaftspolitischen und konjunkturpolitischen Feststellungen der Bundesregierung werden also für die sozial Schwächsten keine entsprechenden Folgerungen gezogen. Insofern enthält das Regierungsprogramm für diese Bevölkerungskreise, für die Rentner, nur allgemeine Worte und kündigt keine Taten für sie an.
Mit den Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers über den steigenden Zuwachs des Vermögens der Sozialversicherung und seine Verwendung für Rentenleistungen werden wir uns bei der Erörterung der Sozialreform näher auseinanderzusetzen haben.
Aber ich muß ein Wort zu dem sagen, was Herr Dr. Hellwig gestern hier zur Erläuterung des Standpunktes der CDU mitgeteilt hat. Er hat zugegeben, daß die Renten bisher hinter dem allgemeinen Lohn- und Preisgefüge zurückgeblieben sind und daß auch nach seiner Ansicht Anpassungsmaßnahmen erforderlich sind. Die Sozialdemokratische Partei begrüßt es, daß die CDU sich, wenn auch nach einem gewissen Zögern, wohl unter dem Eindruck des sozialdemokratischen Antrags auf Gewährung von Sonderzulagen, auch zu einem Antrag auf Verbesserung der Rentenleistungen entschlossen hat.
An dem CDU-Entwurf begrüßen wir ferner, daß er sich in bezug auf die Gesamthöhe der Aufwendungen für die Rentenzulagen etwa auf der Gesamthöhe der in dem SPD-Antrag geforderten Aufwendungen hält. Insofern wird wohl diesmal, so hoffen wir, der sozialdemokratische Antrag nicht auf den stereotypen Einwand der Regierungsparteien stoßen, die für die Rentner notwendigen Leistungsverbesserungen seien finanziell nicht durchführbar. Deswegen hat wohl auch der Herr Bundesfinanzminister nicht konkret hierzu Stellung genommen, um sich nicht von dem Antrag seiner eigenen Fraktion abzugrenzen.
Aber in entscheidenden Punkten ist der CDU-Antrag — und auch der BHE-Antrag — sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch nicht sinnvoll.
Erste Frage: Wer soll eine Erhöhung der Renten zur Anpassung der Renten an das gestiegene Sozialprodukt erhalten? Nach dem CDU- und BHE-
Entwurf werden auch in diesem Jahr wieder eine Million Waisenkinder von jeder Erhöhung ausgeschlossen.
Das ist sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch und auch moralisch nicht vertretbar.
Nach dem CDU- und BHE-Entwurf werden ferner alle jüngeren Menschen, die wegen eines schweren gesundheitlichen Schadens, beispielsweise Tuberkulose, vorzeitig invalide werden, dann ausgeschlossen, wenn sie keine Beiträge 1938 und früher geleistet haben. Auch das ist nach sozialdemokratischer Auffassung sozialpolitisch unbefriedigend. Deshalb fordern die Sozialdemokraten, daß alle Rentner in den Genuß einer Rentenerhöhung kommen; denn alle Rentner werden von den Auswirkungen der Wirtschaftslage betroffen.
Zweite Frage: Wie hoch soll die Zulage zur Anpassung der Renten an das veränderte Sozialprodukt sein? CDU und BHE fordern Verdoppelung der Rentenmehrbeträge. Was das wirtschaftlich für den einzelnen ausmacht, das muß erst in monatelanger Arbeit ausgerechnet werden.
— Das werden wir im einzelnen besprechen, wenn wir zur Beratung kommen. Der Mehrbetrag ist für die Rentner außerordentlich unterschiedlich. Aber bedeutsam ist, daß die Menschen, die gleiche Beiträge geleistet haben, die heute die gleiche Rente erhalten, die im gleichen Alter stehen, nach dem Antrag nicht die gleiche Zulage erhalten werden. Ein praktisches Beispiel: Zwei Rentner von 65 Jahren, jeder erhält heute eine Rente von 120 DM. Der eine wird unter den gleichen Versicherungsvoraussetzungen bei Ihnen — Sie können das Beispiel nachrechnen — 18 DM, der andere nur 13 DM erhalten.
Das ist sozialpolitisch um so ungerechtfertigter, als Sie ja schon beim ersten Rentenmehrbetragsgesetz den Ausgleich für die unterschiedlichen Steigerungsbeträge vorgenommen haben. Oder ein weiteres Beispiel: Nehmen Sie zwei Witwen im gleichen Alter. Die eine Witwe erhält heute eine Rente von 45 DM. Sie wird eine Zulage von 1,— DM, d. h. 2 % erhalten. Die Witwe, die 100 DM Rente hat, wird nur deshalb, weil ihr Mann ein anderes Lebensalter hatte, eine Zulage von 30 DM, d. h. 30 % erhalten. Die eine Witwe 2 % Erhöhung, die andere 30 % Erhöhung. Das ist weder versicherungstechnisch noch wirtschaftlich noch sozialpolitisch gerechtfertigt.
Deshalb ist der Gesetzentwurf über die Verdoppelung der Rentenmehrbeträge sozialpolitisch und auch wirtschaftspolitisch nicht sinnvoll.
Die sozialdemokratische Fraktion hat beantragt, gleichhohe Zulagen dadurch zu gewähren, daß die Renten im allgemeinen um 12 1/2 % für alle erhöht werden.
- Für alle erhöht werden. Das ist eine Angleichung der Rente an das gestiegene Sozialprodukt,
denn das Sozialprodukt hat sich seit dem vergangenen Jahre in etwa gleichem Ausmaß erhöht.
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hellwig hat ein bedeutsames Wort gesprochen. Er hat gesagt, daß durch die Zulagen die Sozialreform nicht behindert werden soll. Die Sozialdemokraten sind der gleichen Auffassung. Wir sind aber der Meinung, daß die Umrechnung von 5 Millionen Renten und eine so wesentliche Veränderung des Rentengefüges, wie sie der CDU-Antrag bewirkt, praktisch eine Behinderung der Maßnahmen der Sozialreform bedeuten muß, ganz abgesehen davon, daß Sie nach Ihrem eigenen Antrag mit einer Umrechnung von sechs Monaten — wegen des Vorschusses von sechs Monaten — rechnen.
Deshalb beantragt die sozialdemokratische Fraktion, daß bis zur Sozialreform alle vier Monate eine halbe Monatsrente gewährt wird. Das ist einfach, für jedermann sofort feststellbar und hat in bezug auf die Sozialreform auch noch den Sinn, daß die Regierung und der Gesetzgeber alle vier Monate bei Fälligkeit der Sonderzulage daran erinnert werden, die Sozialreform endlich durchzuführen.
Und noch etwas anderes. Nach dem CDU-Entwurf soll die Rentenzulage wiederum auf andere Sozialleistungen angerechnet werden.
Diese Anrechnung ist auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten sinnlos. Sie verstärkt nur die Verwaltungsarbeit. Die Hoffnungen, die in den Menschen, die von einer Rentenzulage hören, erweckt werden, werden durch eine Anrechnung in vielen Fällen wiederum enttäuscht.
Deshalb sind wir der Auffassung, daß es nicht sinnvoll ist, eine Anrechnung vorzunehmen. Die sozialdemokratische Fraktion hat beantragt, jede Anrechnung der Zulagen auf sonstige Sozialleistungen abzulehnen.
Meine Damen und Herren, damit soll es für heute genug sein, weil wir jetzt keine grundlegende sozialpolitische Debatte haben
und keine Debatte über die Sozialreform führen.
Die werden wir bei ,anderer Gelegenheit führen. Aber, meine Damen und Herren, die Alten, Witwen und Waisen nehmen nicht in der gleichen
Weise wie die Arbeiter, Angestellten und Beamten und wie die in der freien Wirtschaft Tätigen an der Entwicklung des Sozialprodukts teil. Für die Lebensrechte dieser Menschen zu sorgen ist die besondere Verpflichtung dieses Hauses.
Deshalb: sorgen Sie dafür, daß alle Rentner möglichst schnell und in möglichst unkomplizierter Weise durch Gewährung laufender Zulagen einen sozial gerechteren Anteil am gestiegenen Sozialprodukt erhalten!
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich sagen, daß das Präsidium sehr dankbar dafür sein wird, wenn sich ,die Herren in dieser Weise an die vereinbarten Sprechzeiten halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der Christlich-Demokratischen Union halten es für ,angebracht, daß in dieser Stadt Berlin auch zu dem Problem etwas gesagt wird, das die Menschen betrifft, die im Arbeitsleben stehen oder nach einem langen Arbeitsleben nunmehr außerhalb stehen und darauf angewiesen sind, mit denen, die noch in der Lage sind, Geld zu verdienen, solidarisch zusammenzuarbeiten.
Es ist für mich recht schmerzlich, feststellen zu müssen, daß die Auseinandersetzung, .die gestern nach Abgabe der Erklärung der Bundesregierung von Herrn Deist erfreulich sachlich geführt wurde, heute nicht mehr in dem gleichen Rahmen weitergeht. Ich bedaure das sehr, zumal ich mich mit Herrn Professor Schellenberg bei der Arbeit im Ausschuß durchaus immer verstehen kann.
Wenn gesagt wurde, die Abgrenzung sei nicht deutlich genug geworden, so können wir doch feststellen: wir haben durch unsere Anträge durchaus unserer Meinung Ausdruck gegeben, daß auch die Rentner an der Steigerung des Sozialprodukts beteiligt sein sollen. Aber die Rentenversicherung ist eine Einrichtung, in der sich die Arbeitnehmer zusammenfinden, die in einer klaren Solidarität füreinander einstehen. Deshalb müssen diejenigen, die jetzt in Arbeit stehen, mehr für die erbringen, die früher in einem sehr langen Arbeitsleben auch in Solidarität mit den damaligen Rentnern dazu bereit waren, mehr zu leisten.
Wir können im Rahmen dieser Debatte auch nicht darauf verzichten, zu betonen, daß die in dieser Beziehung gestern zutage getretene erfreuliche Übereinstimmung auch draußen im Leben etwas mehr berücksichtigt werden sollte. Wir stellen mit Bedauern fest, daß man, wenn nun einmal von der Arbeitgeberseite Vorschläge dafür gemacht werden, wie man durch Preissenkungen len Lebensstandard heben könne, von vornherein sagt, darüber wolle man gar nicht verhandeln. Wir sind durchaus der Meinung, daß Lohnforderungen berechtigt sind. Aber man sollte dabei auch die Überlegungen der anderen anhören und nicht von vornherein das Gespräch abschneiden.
Bei unseren Erörterungen über die Lage der Arbeitnehmer wollen wir nicht versäumen — es fällt an sich etwas aus dem Rahmen der Sache, die ich erörtern will —, darauf hinzuweisen, daß die Nur-Hausfrau nicht vergessen werden darf. Hier geht unsere Bitte an den Finanzminister, bei der Steuergesetzgebung die Arbeit der Frau ebenso zu bewerten wie die Arbeit der mithelfenden Familienangehörigen oder der Frauen, die im Arbeitsleben stehen.
Denn die Hausfrau trägt schließlich durch ihre Arbeit und durch die Erziehung der Kinder dazu bei, daß wir auch in Zukunft unseren Lebensstandard halten können.
Hier ist schon mehrfach gesagt worden, die Christlich-Demokratische Union habe erst einen Antrag wegen der Renten eingebracht, als schon andere Anträge vorgelegen hätten. Das ist der Zeit nach sicherlich richtig. Aber unsere Erörterungen darüber haben mindestens zum selben Zeitpunkt begonnen, das nehme ich für uns in Anspruch. Nur richten wir uns dabei nach einem Wort, das am vorigen Sonntag hier in Berlin der Regierende Bürgermeister im Rundfunk gesagt hat: die Hausfrau und Hausmutter muß sich, ehe sie etwas tun will, erst gründlich überlegen, in welcher Form sie es tun will. Ich will nicht sagen, daß die andern sich das nicht auch zu überlegen hätten. Wir haben die Erörterung aber unter den verschiedensten Gesichtspunkten geführt, und das Ergebnis unserer Überlegungen — wir mußten uns da erst zusammenraufen, wir sind eine große Anzahl von verschieden denkenden Menschen - liegt Ihnen nun in unserem Antrag vor.
Ich glaube nicht, Herr Professor Schellenberg, daß es gerechtfertigt ist, den Gehalt dieses Antrages so herabzusetzen, zumindest nicht in dem einen Punkt.
Sie haben gesagt, unser zweites Rentenmehrbetragsgesetz — ich glaube, ich habe Sie so richtig verstanden; ich nehme an, daß Sie das sagen wollten — habe die Unterschiede wiederum vergrößert. Ich darf Ihnen sagen, daß nach dem ersten Rentenmehrbetragsgesetz die Durchschnittsrente der 70jährigen in der Invalidenversicherung um 20 DM und in der Angestelltenversicherung um 23 DM monatlich erhöht worden ist. Das ist zwar absolut in der Angestelltenversicherung ein höherer Betrag, aber prozentual, also im Verhältnis zur Gesamtrente, beträgt die Erhöhung in der Invalidenversicherung 23 % und in der Angestelltenversicherung 18 %. Sehen Sie, Herr Richter, das ist das, was wir voriges Jahr schon gesagt haben! Das ist der Ansatzpunkt für dieses Rentenmehrbetragsgesetz. Wir wollen mit Ihnen zusammen Mißstände, deren Vorliegen wir durchaus zugeben, beseitigen.
Aber wir können in einer Konjunkturdebatte in Berlin oder auch bei den Erörterungen über dieses Gesetz nicht so tun, als ob es uns gelingen könnte, die gesamte Reform der sozialen Leistungen in zwei oder drei Wochen über die Bühne zu bringen.
Lassen Sie mich noch einmal mit Nüchternheit sagen: die Sozialreform oder auch nur die Reform der Sozialleistungen ist ein Gesetzeswerk, von dem wir wünschen, daß es wirklich mit aller Gründlichkeit und mit aller Sorgfalt vorbereitet wird.
Weil wir dieser Meinung sind, haben wir uns entschlossen, den Entwurf dieses zweiten Rentenmehrbetragsgesetzes einzubringen. Wir sind uns darüber klar, daß die Einführung dieses zweiten Rentenmehrbetrages durchaus auch eine Schlechterstellung bringt, und zwar für diejenigen, die ihre Beiträge nachher geleistet haben, gegenüber denen, die sie vor 1939 geleistet haben. Aber, Herr Professor Schellenberg, was Sie vorhin sagten, widerspricht den Ausführungen, die Sie im Vorjahr gemacht haben. Sie selber haben im vorigen Jahr gesagt, daß 99 % der Rentenempfänger vor 1939 Beiträge geleistet haben.
Die absolute Zahl von 5 Millionen zeigt ja auch, daß es absolut nicht so ist, daß ein sehr großer Prozentsatz unserer Vorschläge keine Besserstellung bringen werde.
— Ich will mich durchaus auch dazu äußern. — Unser Rentenmehrbetragsgesetz geht davon aus
— das wissen Sie sehr genau, und deshalb muß es auch so aussehen —, daß eine lebenslange Arbeit, von deren Ertrag Beiträge geleistet wurden, die vor 1923 oder 1939 liegen, auch belohnt wird,
und wir sind der Meinung, daß das mit diesen Beiträgen in eine unmittelbare Beziehung gebracht werden muß.
— Sicher hat er auch gearbeitet, das bestreitet ja keiner!
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon festgestellt, daß das Rentenmehrbetragsgesetz durchaus eine Besserstellung in bezug auf IV und AV gebracht hat. Wir sind der Meinung, daß das jetzt nur noch verstärkt werden kann. Wir sind aber auch der Meinung, daß die Arbeit, die mit dem Rentenmehrbetragsgesetz zusammenhängt, bei den Rentenversicherungsträgern die Bearbeitung der neuen Eingänge nicht verzögern soll. Darum haben wir Ihnen vorgeschlagen, eine Sechsmonatsfrist einzuschieben und eine Vorauszahlung von mindestens 20 DM vorzusehen, die wiederum, wie im vorigen Jahr, nicht angerechnet werden sollen. Dabei, Herr Professor Schellenberg, befinden wir uns in Übereinstimmung darüber, daß das, was wir an Zusätzlichem gewähren wollen, sogar mehr ist als das Zusätzliche nach Ihrem Vorschlag. Sie sehen 100 DM bei jeweils 4 Monaten vor, während nach unserem Vorschlag nach dem vorjährigen Rentenmehrbetragsgesetz die monatliche Leistung 30 DM, d. h. in vier Monaten 120 DM, nicht übersteigen darf.
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Wir haben hier bei dieser Improvisation nicht die Möglichkeit von Zwischenfragen wie in Bonn. Selbstverständlich wäre es möglich, auch hier Zwischenfragen zu stellen. Wir haben dafür ja eine besondere Ordnung vereinbart. Ich darf aber bitten, daß wir heute wegen des fehlenden technischen Apparates davon absehen. Außerdem haben wir, da noch sehr viele Namen auf der Rednerliste stehen, den Wunsch, diese Diskussion in aller Ruhe zu Ende zu führen.
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort!
Wir sind uns darüber klar, meine Damen und Herren, daß die Rentenberechnung in einzelnen Fällen schwierig ist. Sie ist aber nicht durch das Rentenmehrbetragsgesetz schwierig geworden,
sondern hier bestehen eben Zusammenhänge mit dem Fremdrentengesetz und mit dem Auslandsrentengesetz. Es ist einfach falsch, pauschal zu behaupten, daß die Bearbeitung eines Rentenantrages infolge des Rentenmehrbetragsgesetzes um Monate hinausgezögert worden sei.
Es sind einzelne Fälle länger in der Bearbeitung gewesen, als das normalerweise der Fall ist, aber nicht wegen des Rentenmehrbetragsgesetzes.
In diesem Gesamtrahmen müssen wir auch feststellen, daß einige Anträge vorliegen — nicht zum Rentenmehrbetragsgesetz —, die sehr, sehr eingehend überlegt werden müssen in Verbindung mit dem ganzen sozialen Gefälle. Verschiedene Anträge hängen mit dem Lastenausgleich zusammen; dazu sind vom GB/BHE Anträge eingebracht worden. Man kann aber nicht sehr viel erreichen, wenn man fordert, wie es in einem Antrag geschehen ist, daß die Wohnungsbaumittel in diesem Jahr vorweggenommen werden sollen, denn dann haben wir sie halt im nächsten Jahr nicht. In einem anderen Antrag wird die Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen verlangt und zugleich eine Rationalisierung bei den Flüchtlingsbetrieben gefordert. Das scheint mir auch nicht ganz durchdacht zu sein. Aber wir werden in den Ausschüssen Gelegenheit haben, darüber noch im einzelnen zu sprechen.
Insgesamt ist zur Lage zu sagen, auch nach dieser Debatte, die jetzt vielleicht etwas schärfer geworden ist, als sie gestern war: Hier in Berlin haben wir Gelegenheit gehabt, zu demonstrieren, daß es in einem Parlament in Deutschland möglich ist, gegenteilige Meinungen vorzutragen. Es bleibt nur zu hoffen, daß wir dann — Herr Kollege Schellenberg, Sie werden mit mir darin einig gehen — im Ausschuß das beste für die finden, um die es geht, die Alten, die aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind und die der Hilfe derer bedürfen, die an dem Aufschwung durch die soziale Marktwirtschaft, die schließlich von unserer Partei getragen wird, nicht teilhaben. Noch einmal: sie müssen geschützt werden durch die, die das Glück haben, noch in Arbeit zu stehen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach den bisherigen
Ausführungen fühlt man sich sehr schnell an die Auseinandersetzungen und an die Aussprache im vorigen Jahre erinnert, als uns der erste Entwurf für das Rentenmehrbetragsgesetz vorlag. Auch unsere Fraktion hatte an dem Entwurf mancherlei Lücken entdeckt. Im Laufe der Ausschußarbeiten haben wir dann doch eine gemeinsame Linie gefunden, konnten zusammen erhebliche Verbesserungen in das Rentenmehrbetragsgesetz einbauen. Ich möchte gerade Herrn Professor Schellenberg daran erinnern, wie sehr meine Fraktion sich sowohl im Plenum als auch im Ausschuß dafür eingesetzt hat, daß die damals noch vorhandenen Lücken geschlossen würden. Ich erinnere besonders an unseren Hinweis, daß auch die Bezieher von Waisenrenten in die Bestimmungen des Rentenmehrbetragsgesetzes einbezogen werden müßten. Es ist sicherlich nicht die Schuld meiner Fraktion und auch nicht meine eigene, daß sich dieses Versäumnis beim Rentenmehrbetragsgesetz — wir haben dazu einen weiteren Antrag eingebracht —, daß nämlich die Bezieher von Waisenrenten nicht mit einbezogen wurden, auch heute wieder rächt. Ich hoffe jedoch, daß es uns im Ausschuß möglich sein wird, das eine oder andere Versäumnis noch wieder gutzumachen.
Unser Antrag Drucksache 1746 schließt sich in seinem Aufbau dem des Rentenmehrbetragsgesetzes an. Wir haben uns bei unserem Antrag von der Überlegung leiten lassen, daß wir gerade wegen der preispolitischen Entwicklung, deren Nachteile schon jahrelang gerade die Rentner zu spüren haben, unter allen Umständen und sehr schnell zu einer Anhebung der Renten kommen müssen. Wir glaubten im vorigen Jahre, daß die Schwierigkeiten im Berechnungsverfahren bald überwunden sein würden, glauben insbesondere, daß jetzt schon genügend Erfahrungen gesammelt worden sind. Nach unserem Antrag sollen die im Rentenmehrbetragsgesetz vorgesehenen Beträge verdoppelt werden. Gerade im Hinblick auf das Verfahren schien uns dieser Vorschlag der einfachste, damit nicht zu viel Zeit für die sich aus der Änderung ergebende Verwaltungsarbeit in Anspruch genommen werden muß.
Allerdings sagen wir ganz offen, daß uns selbst die Verdoppelung der Sätze nach dem Rentenmehrbetragsgesetz keineswegs ausreichend erscheint. Wir wissen auch, daß man schon jahrelang versäumt hat, hier das Notwendige zu tun. Bereits Herr Kollege Dr. Elbrächter hat heute davon gesprochen, daß man schon sehr viel früher an eine Verbesserung der Renten hätte denken müssen. Aber man kann das, was zu tun nötig wäre, nicht in einem Jahre nachholen. Hoffentlich kommen wir bald zu einer grundsätzlichen Neuordnung der sozialen Leistungen. Solange wir noch darauf warten müssen, soll die Finanzierung der notwendig werdenden Mehrausgaben zunächst von den Sozialversicherungsträgern bevorschußt werden. Unser Antrag geht allerdings in der Beziehung etwas weiter als der Antrag der CDU/CSU. Wir fordern, daß diese Zulagen nicht etwa angerechnet oder verrechnet werden, damit auch eine echte Zulage für den Rentner dabei herausspringt.
Nun möchte ich auf den Grund eingehen, weshalb wir eine Vorschußzahlung nicht für angebracht gehalten haben. Wir fordern in unserm Antrag Drucksache 1746 die Verdoppelung dieser Rentenmehrbeträge ab 1. Dezember. Dabei müssen wir darauf hinweisen, daß wir inzwischen auch
einen Antrag auf Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe oder Winterbeihilfe für Bedürftige eingebracht haben. Beide Anträge muß man im Zusammenhang sehen. Wir möchten bei den Rentnern nicht den Eindruck erwecken, daß diese Vorschußzahlung etwa eine unechte Winterbeihilfe wäre. Darüber hinaus erscheint uns der nicht anrechenbare Betrag von 20 DM nicht ausreichend. Ich möchte deshalb, ohne näher auf unseren Antrag über die Winterbeihilfe einzugehen, nur bemerken, daß wir auch in jenem Antrag zwar sehr maßvoll gewesen sind, daß er aber dennoch die Rentner besserstellen würde, als es bisher der Fall ist.
In den sehr temperamentvollen Ausführungen unseres Herrn Kollegen Professor Dr. Schellenberg habe ich etwas vermißt. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, Herr Professor, daß Sie im vorigen Jahr grundsätzlich gegen die Struktur des Rentenmehrbetragsgesetzes gewesen wären. Ich erinnere mich nur sehr wohl, daß wir dieses Rentenmehrbetragsgesetz damals einmütig verabschiedet haben.
Ich glaubte, daß wir doch auch in dieser Frage der Anhebung der Renten gerade jenes Bevölkerungskreises, der doch sicher uns allen gleich am Herzen liegt, wieder zu einer Einmütigkeit kommen sollten, und ich hoffe und wünsche, daß unsere gemeinsamen Beratungen im Ausschuß für Sozialpolitik wieder so zielstrebig sein werden, daß wir zu einer Regelung kommen, die zwar nicht endgültig befriedigt, die aber doch die Rentner davon überzeugen kann, daß wir uns gleichwohl alle bemüht haben — wenn auch nicht allzu schnell, das möchten wir zwar sehr gerne, aber das ist uns in vielen Dingen nicht möglich —, die Rentner doch in eine Situation zu bringen, die uns hoffen läßt, daß die Neuregelung der sozialen Leistungen dann endgültig befriedigen wird. Auch die Behandlung dieses Rentenmehrbetragsgesetzes mit der Verdoppelung seiner Beträge wird zeigen, wie notwendig es ist, eine Neuregelung der sozialen Leistungen beschleunigt herbeizuführen.
Ich darf darum bitten, daß dieser Antrag dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedaure, daß wir in dieser konjunkturpolitischen Debatte heute nicht über ein umfassendes Programm der Reform sozialer Leistungen sprechen können und daß nur ein Teilthema auf der heutigen Tagesordnung zur Diskussion steht, das uns zwingt, jetzt über Anträge zur Erhöhung der Renten, und zwar nur der Sozialversicherungsrenten zu sprechen. Deshalb möchte ich mich auf die Probleme beschränken, die das Rentenmehrbetragsgesetz aufwirft. Auch die Fraktion der Deutschen Partei bedauert, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in der verlesenen Erklärung der Bundesregierung zwar davon gesprochen hat, „daß im Interesse der Rentner einiges unternommen werden soll mit dem Ziel einer immer besser werdenden Existenzsicherung," daß er aber das Wie und das Wann dieses Zieles nicht dargelegt hat. Ich glaube, daß das eine entscheidende Frage ist, in der wir sehr gern die Meinung des Kabinetts in allen seinen Teilen heute gehört hätten. Ich bedaure mit den Rednern der SPD und der übrigen Fraktionen, die bisher gesprochen haben, daß die vorliegenden Anträge an der Tragik vieler Menschen, die an der Konjunktur und ihrem Aufschwung keinen Teil gehabt haben, vorbeigehen, weil sie eben nur einen Teil der Rentner betreffen. Ich bedaure weiter, daß die Diskussion nicht das Problem der Leistungserhöhungen in seinem großen Zusammenhang angesprochen hat, ich meine den Zusammenhang mit den übergeordneten Gesichtspunkten der Wirtschafts- und, wenn Sie wollen, der Staatspolitik. Es geht bei der Beratung dieser Fragen nicht um Parteien und, meine Herren Vorredner, auch nicht um die Auseinandersetzung, ob der eine bereit ist, etwas mehr, und der andere nur meint, etwas weniger geben zu können. Es geht hier also um keine Konkurrenz — weder der politischen Parteien noch der Ämter —, auch ,um keine Konkurrenz- oder um Kompetenzstreitigkeiten der einzelnen Ministerien. Es geht hier darum, ob ein Volk die sozialethische Aufgabe erkennt, seinen alten Menschen zu helfen, es geht um die Frage der sozialen Verpflichtung aller Staatsbürger, die sozialpolitische Aufgabe im rechten Zusammenhang mit dem Sozialprodukt zu prüfen und
sie in einem echten Zusammenhang mit dem Wirtschaftserfolg den drängenden Lösungen zuzuführen. Meine Herren und Damen! Alte Menschen können nicht unbegrenzte Zeit warten! Alte Menschen können auch nicht unbegrenzte Zeit soziale Versprechungen erhalten, vor deren Erfüllung man immer wieder Weitere Untersuchungen — und seien sie noch so interessant — machen will.
Ich habe auch bedauert, daß Herr Dr. Hellwig, der zweifelsohne das Problem überwiegend von der Wirtschaftspolitik gesehen hat, gestern andeutete, das Rentenmehrbetragsgesetz, das uns von seiner Fraktion vorgelegt wird, sei nicht etwa präjudizierend für die Reform, während er im gleichen Atemzuge vor dem Präjudiz warnte. Es dürfte Herrn Dr. Hellwig, wenn er im Hause ist, sicherlich interessieren, daß im Gegensatz zu seiner gestrigen positiven Beurteilung dieses CDU-Antrages der „Deutsche Industrie-Kurier" am 19. September 1954 — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — von „kompromittierenden Kompromissen" sprach und die Frage aufwarf, ob damit „nicht das Versicherungsprinzip auf höchster Ebene in Frage gestellt wird" und ob es sich nicht um einen Weg handelt, „der immer tiefer in die sozialpolitische Unordnung hineinführt."
Der „Schnelldienst des Industrie-Instituts" hat am 3. September 1954 auf die „Gefahren für die Sozialversicherung" hingewiesen, die das erste Rentenmehrbetragsgesetz und damit auch dieser Antrag beinhalten. Er schrieb damals, und das ist für den Redner unserer Koalitionsfreunde sicher ein interessantes, Wort:
Der Antrag zielt auf die Wiederaufnahme der verhängnisvollen Methode des SVAG
— des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes von 1949.
Damit soll die Absicht auf Korrektur des an den langjährigen Beitragszahlern begangenen Unrechts durchkreuzt werden.
Auch der Pressedienst der Deutschen Arbeitgeberverbände schrieb schon am 17. August 1954:
Im Hinblick auf dieses vorgeschlagene Finanzierungssystem
— im Rentenmehrbetragsgesetz —muß in Erinnerung gebracht werden, daß sich abgesehen von den Sozialpartnern, den Fachjournalisten der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und dem Verband der Rentenversicherungsträger alle gegen die Inanspruchnahme der Rücklagen der Rentenversicherung ausgesprochen haben. Alle Gremien haben darauf hingewiesen, daß die Anpassung der Renten an die Kaufkraft Aufgabe des Staates ist und dementsprechend mit staatlichen Mitteln durchzuführen ist.
Schließlich hat auch der Bund der Steuerzahler erklärt, daß „der Plan einen Versuch darstellt, der Indexrente nahezukommen." Die Konsequenzen dieser Tatsache sind so ungeheuerlich, daß kein Wort der Sorge und Abwehr, das ich heute hier aussprechen könnte, schwerwiegend genug sein kann, auf diese Gefahren hinzuweisen.
Meine Herren und Damen! Wenn der Herr Bundesfinanzminister Ihnen zugerufen hat, daß die Anträge seiner eigenen Fraktion „eine geeignete Grundlage für weitere Behandlung" seien, nun, dann wäre ich ihm dankbar gewesen, wenn er seiner Fraktion vor Antragstellung gesagt hätte, daß eine geeignete Grundlage hinsichtlich ihrer Auswirkungen vorher untersucht und finanziell sichergestellt werden muß. Wir sind mit ihm vollkommen einig, daß die Stetigkeit der Währung und die finanzielle Ordnung eine der Voraussetzungen ist, die wir immer vor Augen haben wollen, wenn wir die Wirtschafts- und Sozialpolitik in ihrer unlösbaren Verbundenheit sehen. Aber darüber, Herr Bundesfinanzminister und meine Freunde auch aus den Koalitionsparteien, scheinen doch sehr unterschiedliche Vorstellungen bei uns zu bestehen.
Das Rentenmehrbetragsgesetz ist in seiner neuen Auflage genau wie in der alten ein Gemisch von Gedanken über die Rückkehr zum Versicherungsprinzip — die allerdings nicht ganz zu Ende gedacht sind —, ein Gemisch von Versorgungsideen mit gefahrvollen Verwirrungen mit der Idee der Indexrente, die wieder einmal im Zusammenhang mit der Konjunktur fröhliche Urständ feiert.
Andere Redner haben schon darauf hingewiesen — und ich möchte es auch noch deutlicher und mit aller Entschiedenheit betonen —, daß der Bund noch über eine Milliarde Erstattungen an die Rentenversicherungsträger nach dem Bundesversorgungsgesetz zu leisten hat. Er hat Erstattungsverpflichtungen nach dem Fremdrentengesetz zu erfüllen. Er hat die Währungsschäden, die den Rentenversicherungsträgern entstanden sind, noch nicht behoben, sondern er hat auf Kosten der Versicherten — und dies rufe ich all denen zu, die etwas vom Subsidiaritätsprinzip halten —, einem kleinen Kreis Verpflichtungen auferlegt, die dem größeren Kreis, nämlich allen Staatsbürgern, zukommen. Sie, meine Herren und Damen, die Sie diesen Gesetzesantrag verantworten, sind, fürchte ich, nicht mit dem Herrn Finanzminister einig. Gesetze, in denen- die Frage der Finanzierung so wenig eindeutig behandelt ist und in denen von Vorschüssen gesprochen wird, ohne gleichzeitig zu sagen, wann und in welcher Höhe sie abzuzahlen sind, sollte man doch mit größter Skepsis ansehen! Wir sollten keine Rentenerhöhungen versprechen, die eine Entlastung der Fürsorge auf Kosten der Versicherten bringen, und wir sollten auch keine Entlastungen etwa auf Kosten der Arbeitslosenversicherung vornehmen, deren Neuordnung genau so notwendig ist wie die Novelle zur Rentenversicherung.
Alle — mit einer Ausnahme — seit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz gewährten Leistungen sind mit der einen Hand gegeben und mit der anderen Hand wieder abgezogen worden. Uns geht es in der Sozialpolitik darum — und ich glaube. das wäre die beste Sozialpolitik —, daß nicht etwa jene wirklich Armen weiter arm bleiben und daß nicht solchen Staatsbürgern staatliche Wohltaten gegeben werden, für die es nur zusätzliche Gaben sind, deren sie nicht bedürfen, während für die wirklich Bedürftigen die Wohltat zu gering ist.
— Das wollen Sie doch, und ich könnte Herrn Stingl an Beispielen sehr deutlich machen, inwieweit nach dem Versicherungsprinzip nicht die Wünsche der Beitragszahler erfüllt werden und ihnen nicht der Dank für geleistete Beiträge abgestattet wird, da Ihr Gesetzentwurf in der Spitze diese Beitragsleistungsaufstockung abschneidet und sie anderen zugute kommen läßt, die bei sehr geringer Beitragszahlung bereits eine vierfache Aufstockung erfahren haben.
Auch das zweite Rentenmehrbetragsgesetz wird eine unsoziale Wirkung haben! Ich möchte den Ausführungen des Herrn Dr. Schellenberg und der übrigen Vorredner nur ein Beispiel hinzufügen: Aus den Tabellen, die der Verband der Rentenversicherungsträger nach Durchführung des ersten Rentenmehrbetragsgesetzes aufgestellt hat, ist eindeutig zu ersehen, daß der größte Prozentsatz aller Rentenempfänger nur Erhöhungen von 1 Mark, 2 Mark und 3 Mark, im Höchstfall von 5 Mark erhalten hat. Meine Herren und Damen, ich überlasse Ihnen, zu überlegen, welche sozialpolitische Konsequenz im Rahmen der Wirtschaftskonjunktur solche Rentenerhöhungen bedeuten und ob sie wirklich einen sozialpolitischen Effekt haben.
Ich bin auch im Gegensatz zu Herrn Dr. Schellenberg und zu Herrn Dr. Hellwig der Auffassung, daß eine solche Aufbesserung selbstverständlich die große Reform der sozialen Leistungen, die wir alle wollen, ganz entschieden präjudiziert. Sie präjudiziert sie in der Abgrenzung, die wir zwischen Versicherung, Versorgung und Fürsorge gemeinsam beschlossen haben und die in ihrer grundsätzlichen Verwirklichung dazu führen muß, endlich Klarheit zu schaffen und damit jene Relation von Beitrag und Leistung zu erreichen. zu der sich ja der Herr Minister Storch so oft bekannt hat.
Wenn schon Staatsbeiträge, dann Staatsbeiträge vor allen Dingen an diejenigen, die die Hilfe der größeren Gemeinschaft notwendig haben! Dann muß aber auch die Auseinandersetzung um Bedarf und Bedürftigkeit nicht im Rahmen der Rentenversicherung, sondern im Rahmen der staatlichen Leistungen an den Stellen, wo sie gegeben werden, erfolgen. Wenn wir verhindern wollen, daß in unserer Rentenversicherung das Bedürftigkeitsprinzip eingeführt wird, wenn wir die Rentenversicherung wieder zu einer Versicherung im wahren Sinne der Sozialversicherung gestalten wollen,
wenn wir Beitrag und Leistung wieder in ein gerechtes Verhältnis bringen wollen, dann müssen wir bei der Reform der Rentenversicherung — nur dabei können wir das, nämlich in einer Novelle zur Rentenversicherung — Überlegungen anstellen, wie wir mit dem Problem der alten Rentner und der alten Lasten, die die jetzige Generation zu tragen hat, fertig werden.
Das werden wir nicht heute besprechen; darüber
werden wir vielleicht in der nächsten Woche reden.
- Meine Herren und Damen, ich weiß nicht, warum Sie so unruhig sind.
Ich war bei Ihren Ausführungen auch nicht unruhig!
Wir werden Ihnen schon sagen, wie man aus sozialpolitischer Verantwortung eine Zusatzleistung für die alten Staatsbürger gestalten kann, die der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen. Ich glaube aber nicht, daß es möglich ist, dieses Problem mit dem Versicherungsprinzip und im Rahmen der Rentenversicherung zu lösen. Der Ersatz des Währungsschadens unserer Rentenversicherer wird den besten Anlaß für eine Aussprache über diese Frage geben. Die Deutsch Partei erwartet, daß die Bundesregierung endlich aufhört, soziale Versprechungen zu machen?
und Hoffnungen zu erwecken, die zu sozialen Enttäuschungen führen müssen.
Deshalb wünschen wir, daß der Herr Bundesarbeitsminister endlich seine bisherige zögernde Haltung aufgibt,
und bitten Sie alle, daß Sie in diesem Hause unserem Antrag zustimmen, den wir in der nächsten Woche vorlegen werden. Nicht einer Entschließung, sondern einem Antrag! Ich meine nicht Anträge, in denen nichts steht.
In unserem Antrag werden wir Sie bitten, endlich die Novelle zur Reform der Rentenversicherung vorzulegen mit dem Ziel 1. der Wiederherstellung des klaren Versicherungsprinzips, 2. der Neuordnung des Invaliditätsbegriffs, 3. der Gestaltung einer neuen Rentenformel, die tatsächlich der Beitragsleistung entspricht, die der Versicherte in einem langen Leben vorgeleistet hat, 4. der Beseitigung aller nivellierenden Bestimmungen des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes und der folgenden Gesetze, 5. der Änderung der Bestimmungen über die Vermögensanlagen mit dem Ziel, echtes Eigentum zu schaffen.
Meine Herren und Damen, wir sind nicht etwa verdächtig, uns in Gemeinschaft mit denen zu befinden, die auf dem Wege zum Wohlfahrtsstaat marschieren und deren gelegentliche Verwirrung der Begriffe den Standort nicht erkennen läßt, von dem aus wir weltweit von ihnen entfernt sind! Wir wollen keinen totalen Wohlfahrtsstaat, der in allen Lebensbereichen jedermann versorgt.
Wir wollen den Anreiz zum Sparen und zur Selbsthilfe. Wir wissen aber, daß es alte Menschen gibt, die keine Möglichkeit und keine Chance zu dieser Selbsthilfe haben! Ihnen zu helfen, meine Herren und Damen, ist in diesem Parlament unsere gemeinsame Aufgabe.
Wir können diese gemeinsame Aufgabe nicht lösen, ohne daß wir uns auch mit den Experimenten der vergangenen Jahre auseinandersetzen, und da ist für uns das Berliner Experiment genau so interessant wie das englische. Keine Leistungen aber mögen in diesem Hause beschlossen werden angesichts irgendeiner Gelegenheit zur öffentlichen Meinungsbildung oder in einem Zusammenhang, dessen wir uns schämen müßten, wenn wir nicht in der Lage wären, soziale Wohltaten, die wir versprechen, auch wirklich zu geben. Das gilt auch für die Überlegung, daß soziale Wohltaten dem Staatsbürger nur dann versprochen werden dürfen, wenn sie seine Freiheit nicht beschränken oder gar aufheben!
— Diese Anträge werden Sie sehen.
Wir glauben das Recht und die Pflicht zu haben, diese Dinge hier in Berlin auszusprechen, weil wir vor allem die Herstellung der Rechtseinheit zwischen Berlin und dem Bundesgebiet wünschen. Da wende ich mich besonders an Herrn Schellenberg und seine Freunde: die Koalitionsfreiheit in Berlin nicht zu beschränken, dasselbe Recht wie im Bundesgebiet auch in Berlin herzustellen, um dann soziale Leistungen zu geben, die Wir auch unseren Brüder und Schwestern im deutschen Osten garantieren wollen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint den Rednern meiner Fraktion vorbehalten zu sein, jeweils wieder zur Konjunkturdebatte zurückzuführen. Wir sind der Ansicht, daß man diese nicht zu Ende führen kann, ohne etwas zum Spezialgebiet des Außenhandels zu sagen. Man kann doch den Außenhandel nicht von der Wirtschaftspolitik trennen. Jede wirtschaftspolitische Maßnahme wirkt sich zwangsläufig auf den Außenhandel aus, und so möchte ich in diesem Bereich um eine gewisse Vorsieht gebeten haben.
Wenn es in einem Eckchen eines Hauses brennt, wird ja niemand auf den Gedanken kommen, nun das Haus unter Wasser zu setzen. Wir wissen doch aus der Erfahrung, wie oft der Wasserschaden größer ist als der eigentliche Brandschaden. Vielleicht kann man es am besten an dem Beispiel der Diskonterhöhung darlegen. Das ist eine lineare Maßnahme, die Überhitzte und Untertemperierte gleichmäßig trifft, aber mit völlig verschiedenen Auswirkungen, Während sie im überhitzten Be-
reich fast gar nichts ausmacht, geraten die untertemperierten Bereiche sofort in Gefahr, einzufrieren. Deshalb wenden wir uns gegen jede lineare Maßnahme, auch gegen den Vorschlag einer linearen Zollsenkung, wie er in dem Antrag der SPD enthalten ist, weil eine derartige Globalmaßnahme einfach nie den richtigen Punkt treffen kann.
Ich bin auch nicht ganz damit einverstanden, wenn die Bundesregierung in ihrer Erklärung für ein Teilgebiet eine lineare Zollsenkung vorschlägt. Mir ist bisher nichts zu Ohren gekommen, daß in der Landmaschinenindustrie eine Überhitzung bestünde. Das würde sich ja auch kaum mit der von unserem Herrn Kollegen Struve dargestellten Not der Landwirtschaft vereinbaren lassen. Ich glaube also, daß man hier mit linearen Maßnahmen gar nichts erreichen kann, sondern daß man sich die Dinge sehr sorgfältig wird überlegen müssen.
Ich verstehe auch nicht ganz den Antrag der SPD auf Ermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft, Zölle von sich aus zu senken. Wir haben dieses Thema ja schon einmal besprochen. Ich bin gewiß gern bereit, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Führung in den Fragen des Außenhandels zuzugestehen. Aber Sie sind doch sonst so sehr gegen Ermächtigungen und sind für die Rechte des Parlaments. Also da verstehe ich nicht, wie Sie eine so weitgehende Ermächtigung aus der Hand geben wollen,
bei der doch auch gar nichts herauskommen kann. Denn das würde doch nur bedeuten, daß ein Minister theoretisch in der Lage wäre, den anderen zu überfahren, auf die Gefahr hin, daß 14 Tage später das Parlament diese Maßnahme wieder aufhebt. So kann man es doch wohl nicht machen. Das haben Sie wohl nicht richtig überlegt.
In einer anderen Frage liegt uns am Herzen, die besonderen Risiken des Außenhandels, soweit sie heute in der Bundesbürgschaft abgesichert sind, zu überprüfen. Wir sind der Ansicht, daß das normale wirtschaftliche Risiko von den Exporteuren selbst getragen werden sollte. Mögen sie es abversichern; das ist immer möglich. Aber nicht innerhalb der Bundesbürgschaft! Es muß ferner die Gewähr ,gegeben sein, daß nicht in Bereichen, in denen sich sehr anständige Margen erzielen lassen, die Selbstbeteiligung des Exporteurs kleiner ist als die Marge, so daß die Gefahr besteht, daß auf Kosten der Bundesbürgschaft faule Geschäfte gemacht werden. Auf der anderen Seite glauben wir, daß irgend etwas da sein muß, um der besonderen Situation des Außenhandels Rechnung zu tragen. Die ertragsteuerliche Exportförderung läuft aus. Die Zusage, die Herr Minister Erhard dem britischen Schatzkanzler gegeben hat, wird ja von uns honoriert werden müssen, obwohl sie an sich an die Voraussetzung gebunden war, daß die anderen das auch tun, und da haben wir bis jetzt nichts gehört. Aber wir haben immer gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir, insbesondere der Herr Minister Erhard, den Vorreiter gemacht haben in Außenhandelsfragen, in der Liberalisierung, in ,der Konvertierbarkeit der Währung und all diesen Fragen. Aber irgend etwas muß geschehen, um das besondere Risiko des Außenhandels abzufangen. Deshalb unser diesbezüglicher Antrag.
Noch ein Wort. Wenn wir uns überlegen, wie wir zu Preissenkungen kommen können, dann darf ich Sie auch darauf aufmerksam machen, daß wir unsere Importe in der Regel viel zu teuer tätigen. Ich will jetzt gar nicht vom landwirtschaftlichen Bereich sprechen, wo durch die Ausschreibung der ganzen Welt verkündet wird, ,daß die Bundesrepublik eine bestimmte Menge Ware kaufen will, was nicht gerade zur Preissenkung führt. Wegen der Kapitalarmut der beteiligten Kreise ist es nicht möglich, die saisonalen und konjunkturellen Vorteile auszunützen, so daß wir immer zu teuer kaufen. Es sollte uns also in diesem Bereich ein Anliegen sein, die Kapitalbildung ebenso zu fördern, wie es bei der Industrie, bei der Schiffahrt und im Verkehr bisher schon geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister ist ein kluger, sachkundiger und fleißiger Mann.
Ich habe ihm oft meine Anerkennung bezeugt. Aber daß Sie heute nach seinen unsachlichen, polemischen, agitatorischen, teils demagogischen Ausführungen lauten Beifall bezeugt haben, veranlaßt mich, der ich heute gar nicht reden wollte, doch noch ein paar Worte zu sagen.
— Meine Meinung, natürlich! Wenn Sie von ihr abweichen, müssen wir das aushandeln. Es ist schade, daß der Herr Bundesfinanzminister jetzt nicht da ist; denn ich muß mich an ihn persönlich wenden.
— Ich habe ihm vorhin gesagt, daß ich von dieser Stelle aus mit ihm sprechen will.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Der Herr Bundesfinanzminister hat mir eben mitgeteilt, daß er zu seinem großen Bedauern das Haus verlassen müsse, wenn er rechtzeitig sein Flugzeug erreichen solle, um nach Bonn zurückzukehren, wo ihn dringende Dienstpflichten erwarten. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Ich nehme das zur Kenntnis. Das Bedauern, daß er nicht da ist, wird dadurch nicht gemindert.
Die Addition aller Anträge, die er hier vorgenommen hat, ist unsachlich und in keiner Weise zulässig; denn das sind ja nicht Anträge aus einem Guß, sondern es sind ganz verschiedenartige Anträge, die von ganz verschiedenen Seiten eingebracht worden sind. Wenn er also — und dazu noch mit einem besonderen Hinweis auf die Unsachlichkeit und Unverantwortlichkeit der Opposition — so tut, als ob wir weder die Sorge um den Bundeshaushalt noch überhaupt maßgehalten hätten, dann muß mit ihm gerechtet werden.
Der Herr Bundesfinanzminister sagt, die Anträge brächten eine Ausgabenvermehrung von minde-
stens 3, wahrscheinlich 5 Milliarden DM, eine Einahmeverschlechterung von 3,6 Milliarden DM. Das macht also insgesamt eine Haushaltsverschlechterung von mindestens 6,6, wahrscheinlich 8,6 Milliarden DM. Bei einem Finanzvolumen von 27 Milliarden wäre das natürlich eine Unmöglichkeit. Aber es stimmt ja so nicht. Ich beschäftige mich zunächst mit unseren Anträgen.
Unser Antrag auf Aufhebung der Zuckersteuer kostet 375 Millionen DM Zuckersteuerausfall. Der Antrag auf Senkung gewisser Finanzzölle — auf Kaffee, Tee, Kakao — kostet runde 200 Millionen DM. Dabei ist es uns gleichgültig — darüber lassen wir mit uns reden —, ob wir Kaffee und Tee im Wege der Änderung der Zollgesetze oder im Wege der Änderung der Verbrauchsteuergesetze verbilligen wollen; das können wir später aushandeln. Die Umsatzsteuerbefreiung in der Landwirtschaft kostet 200 Millionen, die Beseitigung der Salzsteuer runde 40 und die der Zündwarensteuer runde 60 Millionen. Das macht zusammen 875 Millionen DM. Daß die Anträge zur Besserstellung aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht hierher gehören, hat mein Freund Schellenberg bereits gesagt. Dann kommt unser Antrag Drucksache 1695, Senkung des Einkommensteuertarifs, den man mit 470 Millionen DM veranschlagen muß, von denen aber — sagen wir —70 Millionen auf andere Weise — durch Erhöhung des Aufkommens an Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern — wieder hereinkommen. Es handelt sich also insgesamt um eine Summe von 1275 Millionen DM — das sind runde Zahlen —, nicht um mehr. Infolgedessen darf man nicht so tun, als ob wir unverantwortliche Anträge gestellt hätten. Das bisher unveröffentlichte Memorandum der Bundesregierung, worüber uns aber einiges bekannt ist, kommt ja wohl in seinen Ergebnissen ungefähr zu den gleichen Zahlen. Infolgedessen sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt. Warum also den Aufwand, hier so dagegen zu wettern?
Meine Damen und Herren! Der Sinn unserer Anträge ist der, jetzt im Zeichen der guten Konjunktur etwas für die breiten Massen zu tun, die bisher bei allen steuerpolitischen Maßnahmen des Bundestages benachteiligt worden sind und deren schlechte Lage durch die Steigerung der Preise — ich brauche das nicht mehr auszuführen — relativ immer schlechter geworden ist. Deshalb wollen wir sowohl den Beziehern kleinster und kleiner Einkommen durch Erhöhung der Freigrenze eine Erleichterung geben als vor allen Dingen auch durch Beseitigung unsozialer, den Massenverbrauch belastender Verbrauchsteuern denjenigen Menschen Entlastung geben, die gar keine Steuern bezahlen. Was an Steuern nicht auf der Lohntüte steht und was nicht auf dem Rentenbescheid steht, aber in den Preisen mit bezahlt wird, ist halt auch sehr wichtig, und das wollen wir treffen. Aus diesem Grunde haben wir uns auch gegen den FDP-Antrag ausgesprochen, der eme lineare Senkung der Einkommensteuer vorsieht und runde 900 Millionen kostet, während, wie ich sagte, unser Antrag zur Entlastung der kleinen Einkommen runde 400 Millionen DM kostet.
Nun sagt der Herr Bundesfinanzminister, daß es wichtig sei, daß die Verbrauchsteuersenkung oder -beseitigung auch dem Verbraucher voll zugute komme. Davon sind wir ausgegangen, das haben wir immer gesagt, und deswegen haben wir ja unsere Anträge eingebracht. Beim Zucker ist die durch Steuerbeseitigung bewirkte Preissenkung ohne weiteres durch Anordnung sicherzustellen, bei allen übrigen Preisen ist sie auch zu erreichen. Man darf ja auch nicht immer auf der einen Seite von der verantwortungsbewußten Wirtschaft sprechen und dann die Wirtschaft so verdächtigen, als ob sie nun gar nicht bereit sei, auch Preise zu senken. Wenn der Herr Bundesfinanzminister mit diesen seinen Ausführungen recht hätte, dann wäre im System unserer Wirtschaft, Herr Bundeswirtschaftsminister, etwas nicht in Ordnung, und dann müßte da eingesetzt werden.
Wir haben seit Jahren proklamiert, daß Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik einer Konzeption entspringen müßten. Die Konzeption der Bundesregierung ist nicht einheitlich. Wenn der Herr Bundesfinanzminister heute behauptet, sie sei es, sie sei aus einem Geiste, so ist damit noch nicht bewiesen, daß sie es ist.
Bei der Kaffeesteuer hat der Bundesfinanzminister gesagt: Sie sehen ja, trotz der Senkung der Steuern, nämlich von 10 DM auf 3 DM für das Kilo Rohkaffee, sind die Kaffeepreise bald danach wieder gestiegen. Ja, meine Damen und Herren, man kann doch nicht eine Erhöhung der Weltmarktpreise auf Rohkaffee mit der deutschen Verbrauchsbesteuerung zusammenbringen.
Wären die Kaffeesteuer und die Teesteuer damals nicht gesenkt worden, dann wären ja auf Grund der Steigerung der Weltmarktpreise die Kaffee- und Teepreise hier geradezu ins Ungemessene gestiegen, und das große Anliegen, welches wir hatten, den Kaffeepreis zu senken, um den Schmuggel zu bekämpfen und den unerträglichen Besatzungshandel einzuschränken,
dieses Ziel wäre ja dann gar nicht erreicht worden und ebenso nicht das andere große wirtschaftspolitische Anliegen, unsere Beziehungen mit Mittelamerika und Südamerika, insbesondere Brasilien zu verbessern. Das sind ja alles Dinge, in denen wir mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister vollkommen einig gewesen sind. Aber Sie wissen, der Bundesfinanzminister hat sich aufs äußerste jeglicher Senkung von Verbrauchsteuern widersetzt, und er hat doch, wie wir gesehen haben, nicht recht gehabt. Denken Sie an seine düsteren Prophezeiungen, z. B. in bezug auf die Schaumweinsteuer. Er hat nicht recht gehabt. Das weiß er jetzt, das gibt er jetzt ja auch zu. '
Ein Wort zur Zuckersteuer. Meine Damen und Herren, der Antrag auf Beseitigung der Zuckersteuer gehört .nicht in den Strauß 'unserer jetzigen konjunkturpolitischen Anträge, sondern er ist dem Haus am 11. Juni 1954 vorgelegt worden und er ist immer wieder im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zurückgeschoben worden, und als er Anfang Juli von den Koalitionsparteien endgültig abgelehnt werden sollte, habe ich darum gebeten, ihn doch noch bis nach den Ferien im Gespräch zu lassen. Wir haben ihn nach den Ferien zweimal verhandelt, und am 13. Oktober waren dieselben Koalitionsparteien, die jetzt erklären, für die Aufhebung der Zuckersteuer zu sein, noch nicht bereit, unserem Antrag zuzustimmen.
Am 11. Oktober hatte aber, wie ich allerdings erst nach dem 13. Oktober erfuhr, die FDP ihre Anträge zur Beseitigung vieler Verbrauchsteuern eingebracht, darunter auch der Zuckersteuer. Ja, da soll sich noch einer auskennen, wenn die Herren Kollegen von der FDP im Finanzausschuß dagegen sind, die FDP-Fraktion zwei Tage vorher aber den Antrag eingebracht hat. Verehrter Herr Kollege Dehler, ich könnte Ihnen den Grund dafür sagen. Die Herren Steuerexperten Ihrer Partei haben es sicher gar nicht gewußt, daß Sie den Antrag eingebracht haben.
Und wenn der Herr Bundesfinanzminister sagt, er habe auf die Süßwarenindustrie keinen Einfluß, — nun gut, zwei Drittel des gesamten Zuckerverbrauchs sind ja Mundzucker. Also tun wir es doch um dieser zwei Drittel wegen, dann bekommen wir eine wirkliche Entlastung, die doch immerhin für die vierköpfige Familie im Monat so 2,50 DM ausmacht. Das ist schon etwas. Stimmen Sie also unserem Antrag auf Beseitigung der Zuckersteuer vom 11. Juni 1954 endlich zu!
Die FDP-Anträge zu den Verbrauchsteuern bedürfen sehr sorgfältiger Überlegung. Da sind ja Sachen dabei, die so gar nicht gehen. Man kann nicht die Essigsäuresteuer aufheben, also einen Teil aus dem Branntweinmonopolgesetz herausnehmen, und den Essigbranntwein unberücksichtigt lassen. Das ist unüberlegt und voreilig geschehen. Das sind Dinge, die als Material nachher in den Ausschüssen behandelt werden müssen. Aber s o kann man ja die Sache nun auch nicht machen.
Betrachten Sie einmal die Zündwarensteuer. Im Kleinverkaufspreis der Schachtel Zündhölzer sind 55 % Steuern. Die Zündhölzer werden immer schlechter; außerdem sind jetzt nur noch 48 Stück in der Schachtel statt früher 60. Ja du lieber Gott, machen wir doch endlich was! Aber Sie haben ja bisher unseren Anträgen nie zugestimmt! Jetzt brauchen wir also nicht mehr lange zu diskutieren; stimmen Sie im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen unseren alten Anträgen zu, und lassen Sie uns in diesen Dingen wenigstens jetzt mal reinen Tisch machen. Das ist eine Verbesserung für die gesamte Wirtschaft, es ist eine Verbesserung für den Verbraucher; es ist nur keine Verbesserung für den Einzelhändler. Der Einzelhändler ist nicht sehr dafür, wenn die Zündwarensteuer oder die Salzsteuer beseitigt wird, weil ja doch auch die Steuern seine Spannen erhöhen.
— Das ist kein Irrtum; darüber habe ich mit Einzelhändlern und Verbänden gesprochen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister hat aus der Sorge um den Bundeshaushalt wieder das düstere Bild vom rechnerischen Defizit gemalt. Das rechnerische Defizit im Bundeshaushalt kann uns bei derartig gefüllten Kassen nicht interessieren. Diese überfüllten Kassen sind wirklich für den Steuerzahler ein Ärgernis und für unsere gesamte öffentliche Wirtschaft eine Gefahr. Deshalb müssen wir über dieses rechnerische Defizit einmal vernünftig miteinander reden; dann werden wir schon was Richtiges ausrechnen.
— Ja, Frau Kalinke, Sie haben ja nun so scharf gegen die Bundesregierung gesprochen, daß wir uns wohl darauf gefaßt machen müssen, auch die DP demnächst in den Reihen der konstruktiven Opposition zu sehen.
Meine Damen und Herren, der Appell des Herrn Bundesfinanzministers, doch verantwortungsbewußt zu sein, ist nicht an uns zu richten.
Unsere Anträge sind wohl überlegt und im Material sehr fundiert. Wir haben jetzt das vorgeschlagen, was wir heute glauben verantworten zu können, auch in der Sorge um den Bundeshaushalt, in der wir uns von niemand anderem übertreffen lassen;
denn das ist, meine Damen und Herren, wirklich unsere gemeinsame Sorge,
und da wollen wir das auch hier in der Diskussion nicht verschieben.
Die Anträge der Koalitionsparteien sind zum Teil doch so, daß sie sehr gründlich überprüft werden müssen. Unsere sind überwiegend am 16. September eingebracht, die Anträge der Koalition überwiegend am 11. Oktober. Sie tragen zum großen Teil die Zeichen der Hast und Eile und der Unüberlegtheit an sich.
Ja!
— Das ist nicht nur Ansichtssache, sondern beweisbar.
Wenn es nicht beweisbar wäre, würde ich mir nicht erlaubt haben, das in so apodiktischer Form zu sagen.
— Meine Damen und Herren, ich werde den Beweis dafür im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen antreten.
— Ja, „jetzt und hier" — das ist doch nicht möglich, in eine Einzelerörterung solcher Anträge „jetzt" und „hier" einzutreten; das kann wirklich nur in intensiver Ausschußarbeit gemacht werden.
— Wenn Sie wollen, bin ich selbstverständlich bereit, darüber im einzelnen zu sprechen.
— Doch, das kann aber nicht die Aufgabe einer ersten Lesung sein. Daß unsere Anträge wohlfundiert sind, haben gestern die Ausführungen meines Freundes Deist bewiesen. Daß wir verantwortungsbewußt mitarbeiten, werden diejenigen, die es heute noch nicht bemerkt haben, im Laufe der nächsten Wochen schon merken.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Die Aussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat bestand Einmütigkeit darüber, daß sämtliche Anträge und Initiativgesetzentwürfe — hier säuberlich gebunden — an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden sollen. Ich darf voraussetzen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Zur Vereinfachung des Geschäftsgangs schlage ich vor, daß die Überweisung aller Anträge und Initiativgesetzentwürfe an die Ausschüsse so beschlossen wird, wie es Ihnen der Ältestenrat auf dem Umdruck 488*) empfiehlt. Ich muß hier eine Einschränkung machen. Wir haben uns im Ältestenrat bei allen Fällen von Nr. 2 bis Nr. 40 geeinigt. Eine Übereinstimmung ist nicht zustande gekommen hinsichtlich der Überweisung des unter Nr. 1 aufgeführten Antrags auf Drucksache 1674. Wir müssen darüber also noch gesondert abstimmen.
Zunächst stelle ich aber den Vorschlag zur Abstimmung, daß die Überweisung der Anträge so erfolgt, wie sie unter den Nrn. 2 bis 40 auf Umdruck 488 verzeichnet ist. Wer dieser Empfehlung des Ältestenrats zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist einstimmig so beschlossen.
Nun komme ich zur Abstimmung über die Überweisung der Drucksache 1674. Hier war keine Einigung darüber zu erzielen, ob der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht oder der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend sein soll. Ich wäre dankbar, wenn sich das Haus entschlösse, darüber nun nicht erneut in eine tiefgründige Besprechung einzutreten. Ich möchte auch jeden Streit darüber vermeiden, worüber zunächst abgestimmt werden soll, und stelle deshalb fest, daß der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht in dem Verzeichnis der Ausschüsse die Nr. 16, der Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Nr. 21 führt. Deshalb lasse ich zuerst darüber abstimmen, wer dafür ist, daß der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht federführend sein soll. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Wir haben hier andere Raumverhältnisse, und das Präsidium muß sich erst an den neuen Anblick gewöhnen.
— Also noch einmal! Wir versuchen es mit Aufstehen, wenn das hier möglich ist. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die für die Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend -
sind, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Meine
*) Siehe Anlage 2. Damen und Herren, das letztere scheint mir doch die Mehrheit zu sein.
Damit darf ich annehmen, meine Damen und Herren, daß diese Mehrheit sich dafür entscheidet, daß der Antrag — federführend — an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen wird.
— Sie sind damit einverstanden. Dann soll also der Ausschuß für Wirtschaftspolitik in dieser Sache federführend sein.
Ich nehme weiter an, meine Damen und Herren, daß Sie der Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und ebenfalls an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zustimmen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich darf bitten, noch einen Augenblick Platz zu behalten.
Ich habe gestern dem Herrn Regierenden Bürgermeister, dem Senat und der Technischen Universität den Dank des Hauses für die freundliche Aufnahme ausgesprochen Meine Damen und Herren, ich glaube im Namen des ganzen Hauses zu sprechen, wenn ich in Anbetracht der ausgezeichneten technischen Durchführung dieser Improvisation allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Dienststellen danke, die damit befaßt worden sind.
Ich glaube, diese Sache hat ausgezeichnet funktioniert. Wir haben deshalb all diesen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu danken.
Ich darf aber auch noch den besonderen Dank des Hauses hinzufügen, meine Damen und Herren, für die warmherzige und freundliche Aufnahme, die uns doch allenthalben von der Berliner Bevölkerung entgegengebracht worden ist.
Ich darf noch bekanntgeben, erstens daß die Sitzung des Petitionsausschusses ausfällt, und zweitens, daß auf Grund einer neuerlichen interfraktionellen Absprache die nächste Fragestunde bereits am Donnerstag, dem 10. November, stattfinden soll. Die Sperrfrist muß demgemäß geändert werden auf Freitag, den 4. November, 12 Uhr. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Damit, meine Damen und Herren, berufe ich die nächste, die 108. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 26. Oktober 1955, 14 Uhr in Bonn, Bundeshaus.
Die Sitzung ist geschlossen.