Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich versuchen werde, den Standpunkt meiner Freunde von der Deutschen Partei in dieser konjunkturpolitischen Debatte darzulegen, möchte ich eine persönliche Bemerkung machen. Der Herr Regierende Bürgermeister Suhr hat davon gesprochen, daß die Nüchternheit und die Klarheit der Berliner Luft wohltätig auf uns ausstrahlen möge; er hat es nicht ganz so gesagt, aber er hat es so etwa gemeint. Ich hoffe, daß dieser Wunsch sich erfüllen wird bei der Behandlung der vielen, nach meiner Meinung allzu vielen Anträge, die zu diesem Thema gestellt worden sind. Wenn wir hier über eine Konjunkturüberhitzung sprechen, so gilt das — zumindest steht das für mich fest — ebenso für die Produktivität in der Stellung von Anträgen und der Einbringung von Gesetzentwürfen. Ich glaube hier für meine Freunde sagen zu dürfen, ein Weniger wäre mehr gewesen.
Ich habe bewußt darauf verzichtet, nun von unserer Seite ebenfalls Anträge zu stellen, weil ich die Auffassung vertrete, daß alle die Probleme, die uns hier bewegen, im Rahmen unserer üblichen parlamentarischen Arbeit oder im Zusammenhang mit Anträgen, die bereits gestellt worden sind, hätten erledigt werden können. Ich möchte weitere Bemerkungen über diesen Gegenstand nicht machen, da mir der nötige Berliner Witz fehlt, um die Dinge darzustellen, ohne verletzend zu wirken. Diese Bemerkung sei mir gestattet.
Nun zur Sache! Vielleicht würdige ich die gestrige Diskussion und auch die Regierungserklärung richtig, wenn ich sage, ich habe den Eindruck bekommen, als wenn jetzt auf dem Preisgebiet so gut wie nichts los sei, als wenn keiner es gewesen sein wollte, der die Diskussion über die Preise in Gang gebracht habe. Ich freue mich über die Sachlichkeit, mit der namentlich der Diskussionsredner Herr Dr. Deist von der Opposition diese Frage behandelt hat. Ich weiß mich völlig mit allen Diskussionsrednern einig, daß in der Tat die Preisbewegung bislang so minimal gewesen ist, daß sie zu einer ernsten Befürchtung keinen Anlaß gibt. Es ist gut, daß auch ich dies hier feststellen kann.
Aber wir sollten doch der Öffentlichkeit aus Anlaß der tatsächlich vor einigen Wochen stattgehabten sehr erregten Preisdiskussion sowohl in der Presse als auch in allen Verbraucherkreisen einige Grundtatsachen unserer Preisbewegung klarzumachen versuchen. Ich selber war in jenen Wochen gar nicht in Deutschland, als das Gespräch über die Preise in Gang kam. Ich war damals im Ausland und habe wochenlang keine deutschen Zeitungen gelesen. Ich war maßlos überrascht, dann zu hören, mit welcher Erregtheit, mit welcher Spannung dieses Problem hier in Deutschland diskutiert wurde, obwohl, wie sich bei nüchterner Prüfung auch heute ergibt, eigentlich nicht viel los war.
Wenn wir aber analysieren, welche Preise in Bewegung geraten sind, so schälen sich zwei Gruppen heraus. Die eine Gruppe ist — ich glaube nicht falsch zu analysieren — die Gruppe der politisch gebundenen Preise. Ich denke an die Mietpreiserhöhung, die natürlich gewisse Rückwirkungen auf die Öffentlichkeit gehabt hat. Aber ich spreche, glaube ich, auch die Überzeugung der Mehrheit dieses Hauses aus, wenn ich sage, daß diese Preislockerung auf dem Altbaumietensektor längst überfällig war. Eine weitere Preiserhöhung hat in gewissem Umfang auf dem Kohlenmarkt stattgefunden. Auch diese ist nach meiner Überzeugung notwendig. Schließlich sind gewisse Preise auf dem Ernährungssektor in Bewegung geraten. Ich denke an Kartoffeln, ich denke aber auch an die nicht eingetretene Preiserhöhung bei der Milch. Gerade diese vorgesehene Preiserhöhung hat wohl die Öffentlichkeit am meisten bewegt und hat in der Tat Reaktionen ausgelöst, die in diesem Hause nicht verschwiegen werden sollen. Ich denke an die Milchstreik.
Lassen Sie mich eine Überzeugung aussprechen, die, glaube ich, ausgesprochen werden muß. Ich bin mit vielen meiner Freunde — nicht nur von der Deutschen Partei — der Auffassung, daß der Milchpreis auf die Dauer nicht so niedrig bleiben kann. Wenn wir ihn niedrig halten, dann müssen wir ihn manipulieren, dann müssen wir Subventionen geben. Ich weiß nicht, ob das die Lösung ist, mit der wir auf die Dauer um Preisbewegungen herumkommen. Ich bin anderer Auffassung.
Es wäre sicherlich leichter gewesen—das scheint mir die entscheidende Frage zu sein, warum wir uns so sehr schwer in der Behandlung dieser Preisbewegung tun —, wenn vor den Preiskorrekturen, wie ich sie einmal bezeichnen möchte, die in gewissem Umfang stattgefunden haben, die Renten erhöht worden wären. In der Tat ist es die Überzeugung des gesamten Hauses, daß nahezu ein Fünftel unseres Volkes noch im Schatten steht und daß wir die Verpflichtung haben, dafür zu sorgen, daß gerade diese Menschen in ihrem Lebensstandard nun teilhaben an dem allgemeinen Aufschwung, den wir Gott sei Dank im deutschen Volk unter Beteiligung aller Kräfte — ich bin auch da der Auffassung des Oppositionssprechers — haben erringen können. Ich muß im Namen meiner Freunde ganz deutlich machen, daß wir mit der Behandlung der sozialpolitischen Probleme, wie sie durch den Herrn Arbeitsminister in der Vergangenheit erfolgt ist, nicht einverstanden sind; ich betone das nachdrücklich. Es wäre besser, und, ich wiederhole es, wir hätten uns leichter getan in der öffentlichen Diskussion über die Preise, wenn diese Sicherstellung der Kreise, die nicht mehr im Wirtschaftsprozeß tätig sind, vorhergegangen wäre.
Insofern begrüße ich es, daß die Regierungserklärung an diesem Punkt nicht vorübergeht, und ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß wir nicht eine leere Deklaration gehört haben, sondern daß sich nun auch Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard dieser Verpflichtung und auch der Zusammenhänge zwischen Konjunkturpolitik und Wirtschaftspolitik bewußt ist.
Auch eine andere Gruppe von Preisen ist in Bewegung geraten, wovon der Verbraucher im allgemeinen noch nichts gemerkt hat. Darüber sollten wir ebenfalls nicht schweigen, weil diese Tatsache einen Grundtatbestand unserer Volkswirtschaft erhellt. Es sind nämlich gewisse Rohstoffpreise erhöht worden. Diese Erhöhung hat zunächst auf dem Weltmarkt stattgefunden. Ich denke an den Rohkautschuk, an Kupfer und andere Nichteisenmetalle, ich denke aber auch an Holz. In diesem Zusammenhang kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß es leider anscheinend sehr schwerfällt, nachgeordnete Organe des Bundes und auch der Länder dazu anzuhalten, die allgemeinen Richtlinien unserer Bundeswirtschaftspolitik zu befolgen. Jedenfalls haben sich staatliche Organe kräftig an der Preistreiberei auf dem Holzsektor beteiligt.
Zu diesem Punkt wäre noch manches zu sagen, aber schon Herr Kollege Hellwig sowohl als auch Kollege Scheel haben gestern einige treffende Bemerkungen darüber gemacht. Ich will also nicht wiederholen. Ich mache diese Bemerkung vor allen Dingen deswegen, weil mir ein Industrieller erklärt hat, daß er die Preiserhöhungen bei Kautschuk, die er an und für sich beim Enderzeugnis hätte berücksichtigen müssen, nur habe auffangen können, weil die Steuerermäßigung des vergangenen Jahres ihm gewisse Reserven verschafft habe. Sie sehen hier den unmittelbaren Zusammenhang der Steuerpolitik mit der Preispolitik.
Ich möchte aber im Zusammenhang mit dieser Preisbewegung noch eines sagen. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Preise nicht konstant sind.
Der Preis ist nun einmal ein Indikator, und er hat eine sehr wirksame und wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Es ist eine altbekannte volkswirtschaftliche Erkenntnis — aber ich möchte daran erinnern, weil gestern nicht davon gesprochen worden ist —, daß eine Preiserhöhung den Sinn hat, die Warennachfrage in der Volkswirtschaft von einem Sektor zu verlagern auf andere Wirtschaftsgüter. Ich stelle fest, daß der Konsument, nicht nur die Hausfrau, sondern auch der Konsument in der Wirtschaft — wir sind in der Wirtschaft auch alle Konsumenten —, sich anscheinend noch nicht gewöhnen kann, diese Funktion des Preises zu beachten.
Die Erregung, die jede Preiserhöhung zu Recht oder zu Unrecht auslöst, zeigt mir, daß wir alle noch von einem tiefen Mißtrauen in bezug auf die Stabilität unseres Wirtschaftsgefüges erfüllt sind. Wenn das nicht so wäre, hätte eine leichte Erhöhung von 2, bestenfalls 3 %, wie sie sich tatsächlich in den Lebenshaltungskosten ausdrückt, nicht eine solche Diskussion entfachen können. Ich begrüße daher besonders, daß das Hohe Haus der gestrigen Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers einstimmig zugestimmt hat, daß er sich als Garant einer stabilen Währung fühle. Die letzte Ursache der Erregung scheint mir gewesen zu sein, daß jede Preisbewegung in uns Erinnerungen an eine Zeit weckt, die wir hoffentlich für immer hinter uns haben. Das ist nicht verwunderlich — ich betone das noch einmal —, weil eben ein großer Teil unseres Volkes an den Auswirkungen des zweimaligen Verfalls unserer Währung noch heute krankt. Um so mehr muß die sozialpolitische Verpflichtung berücksichtigt werden, die aus dieser Tatsache herrührt.
Ich glaube, daß ich dieses Gebiet nun verlassen kann. Wir waren uns erfreulicherweise in der Auffassung einig, daß irgendwelche alarmierenden Zeichen auf dem Preissektor vorerst nicht vorliegen. Ich darf dem Herrn Bundeswirtschaftsminister aber noch eine Erfahrung über seine psychologische Beeinflussung der Erzeuger hinsichtlich der Preissenkung bzw. Preisstabilität mitteilen. Zu meiner eigenen großen Überraschung hat mir in der vergangenen Woche ein Wirtschaftler mitgeteilt, daß einige seiner Kollegen gerade mit Rücksicht auf das sehr starke Bemühen des Herrn Wirtschaftsministers, auf sein ewiges Gerede über Preissenkung und Preisstabilität beschlossen hätten: Nun, irgend etwas kommt doch hinsichtlich der Preistreibereiparagraphen, der Preisvorschriften; seien wir also vorsichtig und ziehen mal so langsam mit den Preisen mit. — Ein sicherlich höchst unerwünschter Erfolg! Für mich war das überraschend, und ich bin mir mit dem ganzen Hause darin einig, daß eine solche Manipulation zu verurteilen ist.
Aber Sie sehen, eine psychologische Marktbeeinflussung kann auch unerwünschte Wirkungen haben. Ich spreche davon, einmal damit eine Warnung hinausgeht, zum andern aber auch, weil ich gleich die Auffassung meiner politischen Freunde bekanntgeben möchte, daß wir jeden Preistreibereiparagraphen — in welcher Form er auch kommen möge — für falsch halten. Wenn wir an die Funktion des Preises in einer freien Marktwirtschaft glauben, so müssen wir diese Funktion des Preises sich auch entwickeln lassen.
Ich komme jetzt auf ein Gebiet, dessen Entwicklung zumindest in gleichem, wenn nicht in höherem Maße eine gewisse Befürchtung aufkommen läßt, nämlich das Gebiet der Löhne. Herr Kollege Deist hat sich gestern sehr eingehend und, ich muß sagen, auch sachlich mit diesem Problem auseinandergesetzt. Die These, die Herr Kollege Deist vorgetragen hat, ist nicht neu. Es ist ein altes und auch verständliches Begehren gerade der sozialdemokratischen Opposition, daß der arbeitende Mensch einen höheren Anteil am Sozialprodukt haben solle, und Herr Kollege Deist hat versucht, diese These mit statistischen Zahlen zu begründen. Ich glaube, daß seine statistischen Zahlen einigermaßen richtig sind. Ich bin mir der Fragwürdigkeit der statistischen Erfassung durchaus bewußt, glaube aber trotzdem, daß wir allen Grund haben, die Diskussion mit Hilfe der Statistik zu führen.
Ich weiß nicht, welche Unterlagen Herr Kollege Deist herangezogen hat; ich glaube aber, zum Teil haben wir die gleichen Unterlagen bearbeitet. Ich beziehe mich bei meinen Darlegungen auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht aus dem September. Dort steht in einem Aufsatz über die Lohnquote schon auf der ersten Seite ganz klar, daß der Lohnanteil der Unselbständigen — der Nettolohnanteil am Nettosozialprodukt — in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 mit etwa 43 % am höchsten gewesen und daß er dann abgesunken sei. Zur Zeit—im ersten Halbjahr 1955 — liegt er bei 40,3 %. Die Zahlen, die Herr Kollege Deist gegeben hat, sind also sicherlich einwandfrei, und ich bin mit ihm durchaus der Auffassung, daß es wünschenswert wäre, wenn im Laufe einer Entwicklung, über deren Dauer ich noch nichts sagen kann, der Lohnanteil stiege.
Bevor ich weitere Ausführungen zum Lohn mache, möchte ich, um mich vor Verdächtigungen zu schützen, eine Bemerkung des amerikanischen Soziologen Drucker wiedergeben, der haargenau der Auffassung ist, die ich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis vertrete. Er sagt etwa, daß in einer Industriegesellschaft, deren materieller Wohlstand, deren fortschreitender Standard im wesentlichen auf dem Mechanismus der Massenerzeugung beruht, die Voraussetzung der Massenerzeugung selbstverständlich der Massenverbrauch ist und daß durch diese Beziehung die Interessen sowohl der Unternehmensleitungen als auch der Arbeitnehmer verkoppelt sind. Auf deutsch gesagt: jeder Unternehmer hat ein dringliches, ureigenes Interesse daran, daß die Lohnquote möglichst hoch ist. Wir können uns also nur darum streiten, wie hoch sie ist, in welchem Maße wir sie erhöhen. Daß sie möglichst hoch sein muß, davon bin ich mit allen meinen Freunden überzeugt. Ich glaube auch, daß niemand im Hause ist, der dieser These widersprechen wird.
Ich meine, daß die Lohnquote in Deutschland nicht ohne weiteres mit den Lohnquoten in anderen Staaten in Relation gesetzt werden kann. In der politischen Diskussion über die Löhne ist wiederholt auf das Beispiel in England und insbesondere darauf verwiesen worden, daß dort weniger investiert werde und infolgedessen der Anteil der unselbständigen Lohnempfänger relativ höher sei. Das ist alles richtig, aber ich bitte doch zu bedenken, daß hier ganz verschiedene Ausgangslagen bestehen. Solange wir — ich glaube, das ist allgemeine Überzeugung — unseren Wirtschaftsapparat noch nicht auf den höchsten Stand einer rationellen Erzeugung bringen konnten — wir sind noch nicht so weit, die Produktivitätszahlen in Deutschland sind durchaus noch nicht so hoch, daß sie den Ver-
gleich mit anderen industrialisierten Staaten aushalten können —, ist es notwendig, daß wir einen größeren Teil unseres Volkseinkommens in die Investitionen stecken.
— Das ist eben ein bedauerliches Zeichen dafür, daß unser Kapitalmarkt noch nicht in Ordnung ist, und daß er noch nicht in Ordnung ist, lieber Herr Kollege Hansen, geht einfach aus dem Zinssatz hervor; das ist der deutlichste Beweis dafür. In England werden bekanntlich langfristige Investitionen mit einem Zinssatz von 3 3/4 % durchgeführt, während wir nahezu das Doppelte zahlen. Das ist der beste Beweis dafür, daß unser Kapitalmarkt seine Funktionen noch nicht erfüllen kann,
obwohl ich gar nicht leugne, daß sich da viel gebessert hat. Die Sparquote von nahezu 20 Milliarden, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gestern angeführt hat, ist ein beredter Beweis dafür, daß wir auf dem besten Wege sind, auch dort Erfolge zu erzielen.
Wenn man in der lohnpolitischen Diskussion Statistiken anführt, ist es gut, wenn man sie vollständig anführt. Wenn man sich also, wie Kollege Deist es getan hat, beklagt, daß der Lohnanteil der Unselbständigen noch nicht hoch genug sei, dann muß man billigerweise auch ein anderes Element in der Beteiligung am Nettosozialprodukt wiedergeben: die Entwicklung des Einkommensanteils der Selbständigen. Erfreulicherweise haben wir da einen ständig absinkenden Anteil zu verzeichnen. Ich darf die Zahlen nennen: Wir haben 1949 im ersten Halbjahr 25% und im zweiten Halbjahr 22 % gehabt. Dann steigt der Anteil wieder auf 28,9, 29,1 %. Er geht dann auf 23,9 % im zweiten Halbjahr 1952 herunter. Er fällt im Jahre 1953 zunächst auf 20,4 %, steigt im zweiten Halbjahr wieder etwas, auf 21,7 %, und rutscht dann auf 20,8 % herunter. Zur Zeit liegt er bei 21,7 %. Sie sehen, es ist ein etwas unregelmäßiges, aber ständiges Absinken, und das ist gut so. Es zeigt den Normalisierungsprozeß, von dem wir und Sie, Herr Kollege Hansen, gesprochen haben, den Normalisierungsprozeß auf dem Kapitalmarkt, es zeigt, daß wir die Investitionen nicht nur über den Preis machen können, sondern daß wir jetzt in verstärktem Maße den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen.
Aber nun sollte man, um die Dinge ganz richtig zu beurteilen, auch einmal die Entwicklung betrachten, die das Nettoeinkommen der öffentlichen Hand genommen hat. Da will ich die Zahlen von 1948 wieder herauslassen, weil sie besonders tief liegen. 1949 waren es 20,5 %, 1950 fiel der Anteil auf 19,7 % bzw. 18,3 % im zweiten Halbjahr. Dann stiegen die Prozentzahlen langsam an; wir sind im Augenblick bei 24,3 %. Wenn wir also die Umlenkung der Einkommensströme, von der Kollege Deist gestern gesprochen hat und mit der ich im Prinzip völlig einverstanden bin, jetzt durchführen wollen, so wird klar: hier ist ein Teilhaber am Nettosozialprodukt, der meiner Meinung nach sehr wohl eine Einschränkung seines Anteils vertragen kann; es ist eben das Einkommen der öffentlichen Hand. Wir werden bei den Steuern auf dieses wichtige Gebiet kommen. Wenn es uns gelingt, dort eine Drosselung herbeizuführen derart, daß Steuersenkungen im wesentlichen dem Verbraucher, also dem Einkommensempfänger in unselbständiger Beschäftigung, zukommen, dann sind wir einen großen Schritt weiter in dieser Diskussion.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einen anderen Gedanken anführen. Ich glaube, die Besorgnis wegen der Entwicklung auf dem lohnpolitischen Sektor sollte nicht bagatellisiert werden, wie das gestern zum Teil versucht worden ist. Die lohnpolitische Bewegung wird meiner Meinung nach bedenklich. Es ist auch richtig, daß die Löhne in dem Umfang erhöht werden können, wie die Produktivität steigt. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß eine lohnpolitische Betrachtung unter Zugrundelegung nur der Statistik über die Anteile an dem Nettosozialprodukt unvollständig ist. Es würde ein schiefes Bild geben, wenn ich verschweigen wollte, daß die reale Kaufkraft der Löhne ständig gestiegen ist. Ich könnte auch das mit Zahlen belegen; ich fürchte nur, daß ich Sie damit ermüden würde. Jedenfalls weiß jeder Kenner dieser Materie, daß der Lohnindex in der Tat erheblich gestiegen ist. Der Realwochenlohnindex liegt, glaube ich, bei 124 gegenüber 100 im Jahre 1950, während die entsprechende Zahl für die Lebenshaltungskosten mit 108 erheblich niedriger liegt. Es liegt also in der Tat eine echte Einkommenssteigerung für jeden Lohnempfänger vor. Das darf nicht verschwiegen werden.
Aber nun zu der Frage, in welchem Ausmaß oder ob überhaupt Lohnsteigerungen möglich sind. Ich möchte auch hier die Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vortragen und mich ihr anschließen. Die allgemeine Grunderkenntnis ist: Lohnerhöhungen ohne Preiserhöhungen sind nur möglich, wenn die Löhne lediglich in dem Maße angehoben werden, wie es die Produktivität zuläßt. Übersteigern wir die Lohnquote über dieses Maß hinaus, so schlittern wir in die Inflation. Die sogenannte expansive Lohnpolitik ist das gefährlichste Instrument auf wirtschaftlichem Gebiet, das man sich denken kann. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß mit der Person des Vaters dieses Gedankens auch der Gedanke selber aus der Gewerkschaftsbewegung verschwindet.
Es wäre sicherlich gut für die kommende Diskussion, wenn von dieser Idee Abstand genommen würde.
Im übrigen ist — das wird Sie von der Opposition vielleicht freuen — von einer Spaltung der Gewerkschaft nichts zu halten. Das ist meine Auffassung, und ich betone nochmals: ich sehe in der Gewerkschaft ein notwendiges Instrument; es wäre bedauerlich, wenn dieses Instrument nicht vorhanden wäre. Das sage ich hier ganz deutlich.
Ich weiß, daß das nicht die Auffassung aller meiner Freunde ist; ich trage hier meine persönliche Auffassung vor.
Ich darf meine Ausführungen zur lohnpolitischen Diskussion vielleicht abschließen mit einem Zitat aus eben dem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es ist in diesem Hause eine liebe Übung geworden, das Schlagwort zu gebrauchen, man vertrete irgendwelche Gruppeninteressen. Ich bedauere, daß sich auch der Herr Bundeswirtschaftsminister immer wieder diesen Ausspruch zu eigen macht. Ich darf vielleicht am Schluß meiner Ausführungen darauf noch etwas
sagen. — Damit ich also nicht in den Verdacht gerate, daß ich hier Gruppeninteressen vertrete — ich bin nebenbei gesagt Angestellter —, darf ich die Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit Erlaubnis des Herr Präsidenten wörtlich zitieren. Es heißt dort im Zusammenhang mit der Diskussion über Produktivität und Lohnsteigerung:
Das Nettosozialprodukt ist hiernach im letzten Halbjahr, verglichen mit der entsprechenden Vorjahrszeit, um 12,5 % angewachsen. Dabei hat sich die Zahl der Beschäftigten um 5,6 %, die Leistung je Beschäftigten um 6,6 %, das durchschnittliche Lohneinkommen aber um 6,4 % erhöht.
Das ist also eine Differenz von 0,2 %.
Die Zuwachsrate des Durchschnittseinkommens lag also ein wenig unter dem nominalen Zuwachs der Effizienz. Dies kommt auch in dem ganz leichten Absinken der Lohnquote in der Haupttabelle zum Ausdruck. Für den industriellen Bereich allein wird im gleichen Zeitraum eine Zunahme des Wertes der Produktion um 18,8 % ausgewiesen. Dabei hat die Zahl der in der Industrie Beschäftigten um 8,5 % zugenommen, und das Durchschnittseinkommen je Beschäftigten ist um 6,5 % gestiegen. Zusammengenommen sind also im Industriebereich die Löhne der Effizienzentwicklung nicht ganz gefolgt. Bei Betrachtung der Monatszahlen tritt die innerhalb des vergangenen Halbjahres stark steigende Tendenz der Entwicklung des Durchschnittslohnes und damit die allmähliche Anpassung der Lohnentwicklung an die Entwicklung der industriellen Produktivität klar zutage.
Ich könnte Ihnen das noch weiter vorlesen, möchte mich aber auf den Schlußsatz beschränken:
Vor allem wäre in Hinsicht auf die Preis- und Lohnentwicklung ein Maßhalten der für einen geordneten .Ablauf des Wirtschaftsprozesses letztlich verantwortlichen Sozialpartner unabdingbar. Insbesondere zeigen die genannten Zahlen eindringlich, daß Lohn- und Gehaltsforderungen, die den oben gesteckten Rahmen weit überschreiten, nicht zu dem gewünschten Erfolg führen können.
Ich möchte dem bis auf eine Bemerkung nichts hinzufügen. Ich hoffe, daß alle Sozialpartner in Zukunft die notwendige Einsicht dahin haben, daß an der Produktivitätssteigerung nicht nur der im Wirtschaftsprozeß Tätige teilhaben muß, sondern daß es unbedingt notwendig ist, eine Formel zu finden, nach der auch diejenigen, die aus dem Wirtschaftsprozeß ausgeschieden sind, an den Ergebnissen der zukünftigen Produktivitätssteigerung beteiligt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Lösung dieses Problems so schwierig ist, wenn alle Partner die nötige Einsicht haben, daß dies eine unabdingbare sozialpolitische Forderung ist.
Ich möchte noch ganz kurz auf eine Frage eingehen, die auch Kollege Deist gestern hier angeschnitten hat, als er von der Lenkung der Einkommensströme sprach. Ich darf ihm vielleicht mit einem nicht wörtlichen Zitat seines Kollegen Professor Dr. Baade antworten. Dieser sagt in seinem Buch über die Verhältnisse der europäischen Landwirtschaft einmal sehr treffend: Das Problem der europäischen Landwirtschaft ist nicht das Problem der Umverteilung von Einkommen, sondern das Problem, die Einkommen durch Produktivitätssteigerung zu erhöhen. Gegenüber den Erfolgen einer Produktivitätssteigerung spielt das Umverteilen von Einkommen eine gänzlich untergeordnete Rolle. Das ist nicht ganz wörtlich, aber dem Sinne nach wohl richtig wiedergegeben.
Ich schließe mich dieser Auffassung, die Herr Kollege Baade über den landwirtschaftlichen Sektor von ganz Europa geäußert hat, auch für den industriellen Sektor an. Wir sollten uns meiner Ansicht nach nicht so sehr darüber streiten, ob einer mehr oder weniger bekommt, sondern wir sollten dafür sorgen, daß durch eine möglichst starke Steigerung des Sozialprodukts das Gesamteinkommen gesteigert wird. Daß das möglich ist, mag eine letzte Zahl beweisen. Im Durchschnitt von 50 Friedensjahren hat die gesamte westliche Welt ihr Sozialprodukt Jahr für Jahr etwa um 3 1/2% steigern können. Das ist gemessen an den hier diskutierten Zahlen von 8 oder 12 1/2% sehr wenig. Von diesen 3 1/2 % sind etwa 1 1/2% in die Investition oder Reinvestition geflossen; 2 % waren echter Konsumzuwachs. Das bedeutet, daß das Volkseinkommen dieser Länder sich alle 23 Jahre verdoppeln wird. Wenn wir hoffen dürfen, daß wir in Zukunft mit einer Steigerung des Sozialprodukts nicht von nur 3 1/2 % rechnen können, sondern etwa, was ich für normal und für möglich halte, von 5%, und wenn wir etwa 3% in den Konsum fließen lassen, dann werden wir alle 17 bis 18 Jahre unser Volkseinkommen verdoppeln. Ich glaube, das ist ein Ziel, das wert ist, daß wir uns in der Wirtschaftspolitik um die besten Möglichkeiten bemühen, es zu erreichen. Es ist kein utopisches, es ist ein sehr greifbares Ziel. Die Erfolge der amerikanischen Wirtschaftspolitik nach der Richtung ermutigen zu der Hoffnung, daß wir dieses Ziel ebenfalls erreichen.
Ich darf meine Behandlung der beiden Themen abschließen, die vielleicht am meisten Unruhe gemacht haben, möchte aber noch eines sagen. Wir sollten das Thema Löhne nicht bagatellisieren. Denn es handelt sich ja nicht nur um die Lohnquote, ob sie nun 4, 5 oder 6% ist. Die realen Forderungen, die zur Zeit in Nordrhein-Westfalen erhoben werden, gehen wesentlich höher. Sie gehen auf das Doppelte; man spricht von 10 bis 12%. Es ist ganz außer Frage, daß eine solche Lohnerhöhung hingenommen werden könnte. Es ist auch ganz ohne Frage, daß eine solche Lohnerhöhung nicht allein die Lohn-Preis-Spirale, -sondern auch die Lohn-Lohn-Spirale in Bewegung setzt und daß dann im Zuge einer solchen Größenordnung in der gesamten Volkswirtschaft ein Lohnsummenzuwachs von etwa 5 bis 6 Milliarden da sein wird. Es steht außer Frage, daß wir diesen Betrag in Gütern liefern können. Ich bin der Auffassung, die auch der Herr Kollege Deist gestern geäußert hat, daß die Konsumgüterindustrie durchaus nicht an der Grenze ihrer Leistungsreserve ist, daß dort noch Kapazitätsreserven sind. Ich spreche das aus eigener Erfahrung hier aus. Aber es ist ebenso außer Frage, daß es wahrscheinlich das Doppelte oder Dreifache dessen ist, was unsere Konsumgüterindustrie zur Zeit verkraften kann. Wir müssen daher mit größter Besorgnis dem Ausgang dieser Lohnverhandlungen in Nordrhein-Westfalen entgegensehen, und wir haben keinen Anlaß, diese Bewegung etwa zu bagatellisieren.
In Nordrhein-Westfalen steht aber nicht nur die Frage einer nominalen Lohnerhöhung zur Diskussion, sondern auch die Frage der Herabsetzung der
Arbeitszeit. Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. Ich vertrete hier sowohl meine persönliche Auffassung als auch die Auffassung meiner parteipolitischen Freunde. Ich persönlich bin überzeugt, daß wir in Deutschland unter allen Umständen zu einer Herabsetzung der Arbeitszeit kommen werden. Ob wir dazu kommen müssen, ist eine andere Frage, die wir hier gar nicht untersuchen wollen. Wir werden dazu kommen. Es liegt nun einmal im Zuge der industriellen Entwicklung, daß die Arbeitszeiten verkürzt werden. Aber ich betone: dieses Ziel kann nicht erreicht werden durch einen staatlichen Eingriff. Ich meine auch, es kann nicht durch Vereinbarungen der Tarifpartner erreicht werden, sondern es läßt sich ohne Schmerzen für die Volkswirtschaft ausschließlich von Betrieb zu Betrieb erreichen. Ich spreche das mit gutem Gewissen aus, weil ich einem Betriebe angehöre, der schon seit Jahren für Frauen die 40- Stunden-Woche und für Männer die 45-StundenWoche eingeführt hat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen. Wenn die Gewerkschaften nicht jeden Betrieb, der diese Regelung durchgeführt hat oder durchführen will, als Sturmbock in den Tarifverhandlungen einsetzten und sagten: Seht, der Betrieb kann es, warum könnt ihr es nicht? —, dann wären wir bestimmt schon in einer sehr viel größeren Zahl von Betrieben dort, wohin wir kommen möchten. Ich wünschte also, daß auch auf diesem Gebiet auf das nötige Maßhalten geachtet würde, damit wir das von uns allen sicherlich bejahte Ziel der Verkürzung der Arbeitszeit möglichst schnell und möglichst schmerzlos erreichen.
Nun möchte ich ganz kurz ,auf einige Engpässe eingehen, die meiner Meinung nach nicht vollständig beseitigt sind.