Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedaure, daß wir in dieser konjunkturpolitischen Debatte heute nicht über ein umfassendes Programm der Reform sozialer Leistungen sprechen können und daß nur ein Teilthema auf der heutigen Tagesordnung zur Diskussion steht, das uns zwingt, jetzt über Anträge zur Erhöhung der Renten, und zwar nur der Sozialversicherungsrenten zu sprechen. Deshalb möchte ich mich auf die Probleme beschränken, die das Rentenmehrbetragsgesetz aufwirft. Auch die Fraktion der Deutschen Partei bedauert, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in der verlesenen Erklärung der Bundesregierung zwar davon gesprochen hat, „daß im Interesse der Rentner einiges unternommen werden soll mit dem Ziel einer immer besser werdenden Existenzsicherung," daß er aber das Wie und das Wann dieses Zieles nicht dargelegt hat. Ich glaube, daß das eine entscheidende Frage ist, in der wir sehr gern die Meinung des Kabinetts in allen seinen Teilen heute gehört hätten. Ich bedaure mit den Rednern der SPD und der übrigen Fraktionen, die bisher gesprochen haben, daß die vorliegenden Anträge an der Tragik vieler Menschen, die an der Konjunktur und ihrem Aufschwung keinen Teil gehabt haben, vorbeigehen, weil sie eben nur einen Teil der Rentner betreffen. Ich bedaure weiter, daß die Diskussion nicht das Problem der Leistungserhöhungen in seinem großen Zusammenhang angesprochen hat, ich meine den Zusammenhang mit den übergeordneten Gesichtspunkten der Wirtschafts- und, wenn Sie wollen, der Staatspolitik. Es geht bei der Beratung dieser Fragen nicht um Parteien und, meine Herren Vorredner, auch nicht um die Auseinandersetzung, ob der eine bereit ist, etwas mehr, und der andere nur meint, etwas weniger geben zu können. Es geht hier also um keine Konkurrenz — weder der politischen Parteien noch der Ämter —, auch ,um keine Konkurrenz- oder um Kompetenzstreitigkeiten der einzelnen Ministerien. Es geht hier darum, ob ein Volk die sozialethische Aufgabe erkennt, seinen alten Menschen zu helfen, es geht um die Frage der sozialen Verpflichtung aller Staatsbürger, die sozialpolitische Aufgabe im rechten Zusammenhang mit dem Sozialprodukt zu prüfen und
sie in einem echten Zusammenhang mit dem Wirtschaftserfolg den drängenden Lösungen zuzuführen. Meine Herren und Damen! Alte Menschen können nicht unbegrenzte Zeit warten! Alte Menschen können auch nicht unbegrenzte Zeit soziale Versprechungen erhalten, vor deren Erfüllung man immer wieder Weitere Untersuchungen — und seien sie noch so interessant — machen will.
Ich habe auch bedauert, daß Herr Dr. Hellwig, der zweifelsohne das Problem überwiegend von der Wirtschaftspolitik gesehen hat, gestern andeutete, das Rentenmehrbetragsgesetz, das uns von seiner Fraktion vorgelegt wird, sei nicht etwa präjudizierend für die Reform, während er im gleichen Atemzuge vor dem Präjudiz warnte. Es dürfte Herrn Dr. Hellwig, wenn er im Hause ist, sicherlich interessieren, daß im Gegensatz zu seiner gestrigen positiven Beurteilung dieses CDU-Antrages der „Deutsche Industrie-Kurier" am 19. September 1954 — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — von „kompromittierenden Kompromissen" sprach und die Frage aufwarf, ob damit „nicht das Versicherungsprinzip auf höchster Ebene in Frage gestellt wird" und ob es sich nicht um einen Weg handelt, „der immer tiefer in die sozialpolitische Unordnung hineinführt."
Der „Schnelldienst des Industrie-Instituts" hat am 3. September 1954 auf die „Gefahren für die Sozialversicherung" hingewiesen, die das erste Rentenmehrbetragsgesetz und damit auch dieser Antrag beinhalten. Er schrieb damals, und das ist für den Redner unserer Koalitionsfreunde sicher ein interessantes, Wort:
Der Antrag zielt auf die Wiederaufnahme der verhängnisvollen Methode des SVAG
— des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes von 1949.
Damit soll die Absicht auf Korrektur des an den langjährigen Beitragszahlern begangenen Unrechts durchkreuzt werden.
Auch der Pressedienst der Deutschen Arbeitgeberverbände schrieb schon am 17. August 1954:
Im Hinblick auf dieses vorgeschlagene Finanzierungssystem
— im Rentenmehrbetragsgesetz —muß in Erinnerung gebracht werden, daß sich abgesehen von den Sozialpartnern, den Fachjournalisten der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und dem Verband der Rentenversicherungsträger alle gegen die Inanspruchnahme der Rücklagen der Rentenversicherung ausgesprochen haben. Alle Gremien haben darauf hingewiesen, daß die Anpassung der Renten an die Kaufkraft Aufgabe des Staates ist und dementsprechend mit staatlichen Mitteln durchzuführen ist.
Schließlich hat auch der Bund der Steuerzahler erklärt, daß „der Plan einen Versuch darstellt, der Indexrente nahezukommen." Die Konsequenzen dieser Tatsache sind so ungeheuerlich, daß kein Wort der Sorge und Abwehr, das ich heute hier aussprechen könnte, schwerwiegend genug sein kann, auf diese Gefahren hinzuweisen.
Meine Herren und Damen! Wenn der Herr Bundesfinanzminister Ihnen zugerufen hat, daß die Anträge seiner eigenen Fraktion „eine geeignete Grundlage für weitere Behandlung" seien, nun, dann wäre ich ihm dankbar gewesen, wenn er seiner Fraktion vor Antragstellung gesagt hätte, daß eine geeignete Grundlage hinsichtlich ihrer Auswirkungen vorher untersucht und finanziell sichergestellt werden muß. Wir sind mit ihm vollkommen einig, daß die Stetigkeit der Währung und die finanzielle Ordnung eine der Voraussetzungen ist, die wir immer vor Augen haben wollen, wenn wir die Wirtschafts- und Sozialpolitik in ihrer unlösbaren Verbundenheit sehen. Aber darüber, Herr Bundesfinanzminister und meine Freunde auch aus den Koalitionsparteien, scheinen doch sehr unterschiedliche Vorstellungen bei uns zu bestehen.
Das Rentenmehrbetragsgesetz ist in seiner neuen Auflage genau wie in der alten ein Gemisch von Gedanken über die Rückkehr zum Versicherungsprinzip — die allerdings nicht ganz zu Ende gedacht sind —, ein Gemisch von Versorgungsideen mit gefahrvollen Verwirrungen mit der Idee der Indexrente, die wieder einmal im Zusammenhang mit der Konjunktur fröhliche Urständ feiert.
Andere Redner haben schon darauf hingewiesen — und ich möchte es auch noch deutlicher und mit aller Entschiedenheit betonen —, daß der Bund noch über eine Milliarde Erstattungen an die Rentenversicherungsträger nach dem Bundesversorgungsgesetz zu leisten hat. Er hat Erstattungsverpflichtungen nach dem Fremdrentengesetz zu erfüllen. Er hat die Währungsschäden, die den Rentenversicherungsträgern entstanden sind, noch nicht behoben, sondern er hat auf Kosten der Versicherten — und dies rufe ich all denen zu, die etwas vom Subsidiaritätsprinzip halten —, einem kleinen Kreis Verpflichtungen auferlegt, die dem größeren Kreis, nämlich allen Staatsbürgern, zukommen. Sie, meine Herren und Damen, die Sie diesen Gesetzesantrag verantworten, sind, fürchte ich, nicht mit dem Herrn Finanzminister einig. Gesetze, in denen- die Frage der Finanzierung so wenig eindeutig behandelt ist und in denen von Vorschüssen gesprochen wird, ohne gleichzeitig zu sagen, wann und in welcher Höhe sie abzuzahlen sind, sollte man doch mit größter Skepsis ansehen! Wir sollten keine Rentenerhöhungen versprechen, die eine Entlastung der Fürsorge auf Kosten der Versicherten bringen, und wir sollten auch keine Entlastungen etwa auf Kosten der Arbeitslosenversicherung vornehmen, deren Neuordnung genau so notwendig ist wie die Novelle zur Rentenversicherung.
Alle — mit einer Ausnahme — seit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz gewährten Leistungen sind mit der einen Hand gegeben und mit der anderen Hand wieder abgezogen worden. Uns geht es in der Sozialpolitik darum — und ich glaube. das wäre die beste Sozialpolitik —, daß nicht etwa jene wirklich Armen weiter arm bleiben und daß nicht solchen Staatsbürgern staatliche Wohltaten gegeben werden, für die es nur zusätzliche Gaben sind, deren sie nicht bedürfen, während für die wirklich Bedürftigen die Wohltat zu gering ist.
— Das wollen Sie doch, und ich könnte Herrn Stingl an Beispielen sehr deutlich machen, inwieweit nach dem Versicherungsprinzip nicht die Wünsche der Beitragszahler erfüllt werden und ihnen nicht der Dank für geleistete Beiträge abgestattet wird, da Ihr Gesetzentwurf in der Spitze diese Beitragsleistungsaufstockung abschneidet und sie anderen zugute kommen läßt, die bei sehr geringer Beitragszahlung bereits eine vierfache Aufstockung erfahren haben.
Auch das zweite Rentenmehrbetragsgesetz wird eine unsoziale Wirkung haben! Ich möchte den Ausführungen des Herrn Dr. Schellenberg und der übrigen Vorredner nur ein Beispiel hinzufügen: Aus den Tabellen, die der Verband der Rentenversicherungsträger nach Durchführung des ersten Rentenmehrbetragsgesetzes aufgestellt hat, ist eindeutig zu ersehen, daß der größte Prozentsatz aller Rentenempfänger nur Erhöhungen von 1 Mark, 2 Mark und 3 Mark, im Höchstfall von 5 Mark erhalten hat. Meine Herren und Damen, ich überlasse Ihnen, zu überlegen, welche sozialpolitische Konsequenz im Rahmen der Wirtschaftskonjunktur solche Rentenerhöhungen bedeuten und ob sie wirklich einen sozialpolitischen Effekt haben.
Ich bin auch im Gegensatz zu Herrn Dr. Schellenberg und zu Herrn Dr. Hellwig der Auffassung, daß eine solche Aufbesserung selbstverständlich die große Reform der sozialen Leistungen, die wir alle wollen, ganz entschieden präjudiziert. Sie präjudiziert sie in der Abgrenzung, die wir zwischen Versicherung, Versorgung und Fürsorge gemeinsam beschlossen haben und die in ihrer grundsätzlichen Verwirklichung dazu führen muß, endlich Klarheit zu schaffen und damit jene Relation von Beitrag und Leistung zu erreichen. zu der sich ja der Herr Minister Storch so oft bekannt hat.
Wenn schon Staatsbeiträge, dann Staatsbeiträge vor allen Dingen an diejenigen, die die Hilfe der größeren Gemeinschaft notwendig haben! Dann muß aber auch die Auseinandersetzung um Bedarf und Bedürftigkeit nicht im Rahmen der Rentenversicherung, sondern im Rahmen der staatlichen Leistungen an den Stellen, wo sie gegeben werden, erfolgen. Wenn wir verhindern wollen, daß in unserer Rentenversicherung das Bedürftigkeitsprinzip eingeführt wird, wenn wir die Rentenversicherung wieder zu einer Versicherung im wahren Sinne der Sozialversicherung gestalten wollen,
wenn wir Beitrag und Leistung wieder in ein gerechtes Verhältnis bringen wollen, dann müssen wir bei der Reform der Rentenversicherung — nur dabei können wir das, nämlich in einer Novelle zur Rentenversicherung — Überlegungen anstellen, wie wir mit dem Problem der alten Rentner und der alten Lasten, die die jetzige Generation zu tragen hat, fertig werden.
Das werden wir nicht heute besprechen; darüber
werden wir vielleicht in der nächsten Woche reden.
- Meine Herren und Damen, ich weiß nicht, warum Sie so unruhig sind.
Ich war bei Ihren Ausführungen auch nicht unruhig!
Wir werden Ihnen schon sagen, wie man aus sozialpolitischer Verantwortung eine Zusatzleistung für die alten Staatsbürger gestalten kann, die der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen. Ich glaube aber nicht, daß es möglich ist, dieses Problem mit dem Versicherungsprinzip und im Rahmen der Rentenversicherung zu lösen. Der Ersatz des Währungsschadens unserer Rentenversicherer wird den besten Anlaß für eine Aussprache über diese Frage geben. Die Deutsch Partei erwartet, daß die Bundesregierung endlich aufhört, soziale Versprechungen zu machen?
und Hoffnungen zu erwecken, die zu sozialen Enttäuschungen führen müssen.
Deshalb wünschen wir, daß der Herr Bundesarbeitsminister endlich seine bisherige zögernde Haltung aufgibt,
und bitten Sie alle, daß Sie in diesem Hause unserem Antrag zustimmen, den wir in der nächsten Woche vorlegen werden. Nicht einer Entschließung, sondern einem Antrag! Ich meine nicht Anträge, in denen nichts steht.
In unserem Antrag werden wir Sie bitten, endlich die Novelle zur Reform der Rentenversicherung vorzulegen mit dem Ziel 1. der Wiederherstellung des klaren Versicherungsprinzips, 2. der Neuordnung des Invaliditätsbegriffs, 3. der Gestaltung einer neuen Rentenformel, die tatsächlich der Beitragsleistung entspricht, die der Versicherte in einem langen Leben vorgeleistet hat, 4. der Beseitigung aller nivellierenden Bestimmungen des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes und der folgenden Gesetze, 5. der Änderung der Bestimmungen über die Vermögensanlagen mit dem Ziel, echtes Eigentum zu schaffen.
Meine Herren und Damen, wir sind nicht etwa verdächtig, uns in Gemeinschaft mit denen zu befinden, die auf dem Wege zum Wohlfahrtsstaat marschieren und deren gelegentliche Verwirrung der Begriffe den Standort nicht erkennen läßt, von dem aus wir weltweit von ihnen entfernt sind! Wir wollen keinen totalen Wohlfahrtsstaat, der in allen Lebensbereichen jedermann versorgt.
Wir wollen den Anreiz zum Sparen und zur Selbsthilfe. Wir wissen aber, daß es alte Menschen gibt, die keine Möglichkeit und keine Chance zu dieser Selbsthilfe haben! Ihnen zu helfen, meine Herren und Damen, ist in diesem Parlament unsere gemeinsame Aufgabe.
Wir können diese gemeinsame Aufgabe nicht lösen, ohne daß wir uns auch mit den Experimenten der vergangenen Jahre auseinandersetzen, und da ist für uns das Berliner Experiment genau so interessant wie das englische. Keine Leistungen aber mögen in diesem Hause beschlossen werden angesichts irgendeiner Gelegenheit zur öffentlichen Meinungsbildung oder in einem Zusammenhang, dessen wir uns schämen müßten, wenn wir nicht in der Lage wären, soziale Wohltaten, die wir versprechen, auch wirklich zu geben. Das gilt auch für die Überlegung, daß soziale Wohltaten dem Staatsbürger nur dann versprochen werden dürfen, wenn sie seine Freiheit nicht beschränken oder gar aufheben!
— Diese Anträge werden Sie sehen.
Wir glauben das Recht und die Pflicht zu haben, diese Dinge hier in Berlin auszusprechen, weil wir vor allem die Herstellung der Rechtseinheit zwischen Berlin und dem Bundesgebiet wünschen. Da wende ich mich besonders an Herrn Schellenberg und seine Freunde: die Koalitionsfreiheit in Berlin nicht zu beschränken, dasselbe Recht wie im Bundesgebiet auch in Berlin herzustellen, um dann soziale Leistungen zu geben, die Wir auch unseren Brüder und Schwestern im deutschen Osten garantieren wollen!