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ID0210701300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 107. Sitzung, Berlin-Charlottenburg, Donnerstag, den 20. Oktober 1955 5851 107. Sitzung Berlin-Charlottenburg, Donnerstag, den 20. Oktober 1955. Glückwunsch zum 74. Geburtstag des Abg. Dr. Kleindinst 5851 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung; Beratung der Anträge und Initiativgesetzentwürfe zur konjunkturpolitischen Lage 5851 C Seiboth (GB/BHE) 5851 C Dr. Elbrächter (DP) 5854 D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 5861 C Struve (CDU/CSU) 5865 A Dr. Reif (FDP) 5868 B Schmücker (CDU/CSU) 5870 D Dr. Schellenberg (SPD) 5872 D Stingl (CDU/CSU) . . . . 5874 C, 5876 A Frau Finselberger (GB/BHE) . . 5876 B Frau Kalinke (DP) 5877 B Margulies (FDP) 5879 D Dr. Gülich (SPD) 5880 C, D Dankesworte für die herzliche Aufnahme in Berlin: Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 5883 C Geschäftliche Mitteilungen . . . 5876 A, 5883 D Nächste Sitzung 5883 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5884 A Anlage 2: Überweisung der Anträge zur konjunkturpolitischen Lage an die Ausschüsse 5884 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Gleisner (Unna) 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Welke 15. November Hoogen 12. November Albers 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Dr. Preller 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Gerns 28. Oktober Höfler 28. Oktober Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Marx 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Paul 28. Oktober Frau Rehling 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf von Spreti 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Miller 24. Oktober Günther 23. Oktober Bauer (Wasserburg) 22. Oktober Brockmann (Rinkerode) 22. Oktober Diekmann 22. Oktober Dr. Dollinger 22. Oktober Gefeller 22. Oktober Hilbert 22. Oktober Dr. Horlacher 22. Oktober Kahn 22. Oktober Könen (Düsseldorf) 22. Oktober Leibfried 22. Oktober Dr. Löhr 22. Oktober Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 22. Oktober Müller (Worms) 22. Oktober Müser 22. Oktober Frau Nadig 22. Oktober Neuburger 22; Oktober Pelster 22. Oktober Dr. Pferdmenges 22. Oktober Frau Pitz 22. Oktober Raestrup 22. Oktober Schill (Freiburg) 22. Oktober Schlick 22. Oktober Schloß 22. Oktober Seidl (Dorfen) 22. Oktober Dr. Starke 22. Oktober Dr. Werber 22. Oktober Winkelheide 22. Oktober Stahl 22. Oktober Peters 22. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 22. Oktober Dr. Baade 22. Oktober Dr. Bärsch 22. Oktober Dr. Furler 22. Oktober Kemper (Trier) 22. Oktober Kroll 22. Oktober Dr. Wellhausen 20. Oktober Scharnberg 20. Oktober Frau Schanzenbach 20. Oktober Anlage 2 Umdruck 488 (Vgl. S. 5883 A) Überweisung der Anträge zur konjunkturpolitischen Lage (Punkt 3 der Tagesordnung der 106. und 107. Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin) an die Ausschüsse: Nr. 1- Drucksache 1674 - Überweisung an: Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Federführung strittig); Nr. 2 - Drucksache 1686 - Überweisung an: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 3 - Drucksache 1678 - Überweisung an: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 4 - Drucksache 1754 - Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 5 - Drucksache 1766 - Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 6 - Drucksache 1627 - Überweisung an: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 7 - Drucksache 1751 - Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Haushaltsausschuß, Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 8 - Drucksache 1750 - Überweisung an: Ausschuß für Geld und Kredit (federführend), Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 9 - Drucksache 1765 - Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Geld und Kredit; Nr. 10 - Drucksache 1769 - Überweisung an: Ausschuß für Geld und Kredit (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 11- Drucksache 1768 - Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 12 — Drucksache 1775 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Geld und Kredit, Ausschuß. für Kommunalpolitik; Nr. 13 — Drucksache 1675 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes, Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen; Nr. 14 — Drucksache 1676 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 15 — Drucksache 1776 — Überweisung an: Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen (federführend), Haushaltsausschuß; Nr. 16 — Drucksache 1770 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 17 — Drucksache 1748 — Überweisung an: Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes (federführend), Ausschuß für Geld und Kredit, Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 18 — Drucksache 1752 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Geld und Kredit; Nr. 19 — Drucksache 1672 — Überweisung an: Ausschuß für Außenhandelsfragen (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Nr. 20 — Drucksache 1673 — Überweisung an: Ausschuß für Außenhandelsfragen (federführend), Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 21 — Drucksache 1688 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 22 — Drucksache 1628 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft ,und Forsten, Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 23 — Drucksache 1677 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 24 — Drucksache 1696 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 25 — Drucksache 1699 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 26 — Drucksache 1762 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Haushaltsausschuß; Nr. 27 — Drucksache 1695 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 28 — Drucksache 1764 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 29 — Drucksache 1753 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 30 — Drucksache 1758 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 31 — Drucksache 1763 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 32 — Drucksache 1767 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Außenhandelsfragen, Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 33 — Drucksache 1755 — Überweisung an: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Ausschuß für Kommunalpolitik; Nr. 34 — Drucksache 1760 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen; Nr. 35 — Drucksache 1687 — Überweisung an: Ausschuß für Sozialpolitik (federführend), Haushaltsausschuß; Nr. 36 — Drucksache 1746 — Überweisung an: Ausschuß für Sozialpolitik (federführend), Haushaltsausschuß; Nr. 37 — Drucksache 1780 — Überweisung an: Ausschuß für Sozialpolitik (federführend), Haushaltsausschuß; Nr. 38 — Drucksache 1759 — Überweisung an: Ausschuß für Wirtschaftspolitik (federführend), Haushaltsausschuß, Ausschuß für Arbeit, Ausschuß für Heimatvertriebene, Ausschuß für den Lastenausgleich; Nr. 39 — Drucksache 1749 — Überweisung an: Ausschuß für Arbeit (federführend), Ausschuß für Wirtschaftspolitik; Nr. 40 — Drucksache 1757 — Überweisung an: Ausschuß für den Lastenausgleich (federführend), Haushaltsausschuß. Berlin. den 18. Oktober 1955
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Detlef Struve


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle uns heute vorliegenden Anträge verfolgen das Ziel, die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die gegenwärtige Konjunktur zu stabilisieren. Soweit sie greifbare Tatsachen schaffen sollen, erstreben sie eine Unkostensenkung auf die verschiedenste Art und Weise. Nun hätte sicher mancher unter uns eine ausreichende Steuersenkung im weitesten Sinne angestrebt. Ich glaube jedoch, unser Herr Finanzminister hat es wieder einmal ausgezeichnet verstanden, uns hier zur nüchternen Realität zurückzuführen. Ich glaube, er hat es darüber hinaus verstanden, klarzumachen, daß der Optimismus in dieser Hinsicht bei unserer Ausschußarbeit keine allzugroßen Früchte zeitigen wird. In erster Linie ist es die Rücksichtnahme auf die Währung, die uns zwingt, das erstrebte Ziel auf sehr verschiedene Art und Weise anzustreben.
    Unsere konjunkturpolitischen Entscheidungen dürfen allerdings nicht nur darauf bedacht sein, mit der Stabilisierung der Währung die Stabilität der Preise zu sichern. Wir müssen uns darüber klar sein, daß es heute noch weite Bereiche in unserer Wirtschaft gibt, die die sogenannte Konjunkturüberhitzung nur vom Hörensagen kennen. Das Ziel muß etwas weiter gesteckt sein. Die konjunkturellen Auftriebskräfte verlangen eine Verlagerung. Sie gehören von den Stellen des Übermaßes dorthin, wo man noch auf sie wartet. Dabei gibt es einmal sehr große Unterschiede in der Bundesrepublik, wenn wir die Verhältnisse rein regional betrachten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister war in der letzten Woche Gast von Schleswig-Holstein. Es hat sich dabei sehr deutlich gezeigt, daß die Marktferne eines Landes für dessen ganze Wirtschaft mit nur geringen Ausnahmen eine harte Tatsache ist.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie hat es mit sich gebracht, daß die notwendigen Investitionen in einem solchen Land für die Unternehmungen — das dürfte für viele Rand- und Grenzländer unserer Bundesrepublik zutreffen — in einem verhältnismäßig sehr kleinen Umfange über den Preis haben erreicht werden können.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Die Folgen dieser Situation liegen klar auf der Hand. Sie bedingen eine verhältnismäßig hohe kurzfristige Verschuldung, die sich beispielsweise bei den jüngsten kreditpolitischen Maßnahmen des Zentralbankrats sehr hindernd auswirkt. Man kann in einem solchen Falle nicht behaupten, daß etwa im ganzen Lande hier — ich denke da vor allen Dingen auch an Bayern — eine Konjunkturüberhitzung vorhanden ist.
    Wesentlich spürbarer allerdings als die regionalen Unterschiede in der Konjunktur ist das Konjunkturgefälle in der Wirtschaft selbst. Mit der nahezu einmütigen Annahme des Landwirtschaftsgesetzes haben wir erst vor wenigen Monaten diese Tatsache in diesem Hohen Hause anerkannt Auf die Landwirtschaft der Bundesrepublik trifft in ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage keine einzige der Voraussetzungen zu, die die bisherigen Sorgen über die Konjunktur entstehen ließen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das ist auch in allen Diskussionsreden anerkannt worden. Selbst wenn der Zentralbankrat den Diskontsatz noch weiter heraufsetzte, die Landwirtschaft wird leider trotzdem Maschinen weiter kaufen müssen, und sie wird trotzdem weiter in die Wirtschaftsgebäude erhebliche Kapitalien hineinstecken müssen, um den veränderten Arbeitsverhältnissen weiter gerecht zu werden. Sie macht diese Aufwendungen nicht in falscher Einsetzung und Einschätzung konjunktureller Erwartungen, sie macht sie vielmehr unter dem Zwang der immer mehr um sich greifenden Landflucht. Ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen muß die deutsche Landwirtschaft investieren, um die Arbeit zu erleichtern und um das Fehlen von Arbeitskräften auszugleichen.
    Weitaus die meisten dieser Investitionen wurden und werden durch kurzfristige Kredite finanziert. Dabei aber wird der Zins- und Tilgungsdienst in zunehmendem Maße immer deutlicher zu einem bedenklichen Gefahrenherd in der deutschen Landwirtschaft.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Daß sich daraus möglicherweise weit über die Landwirtschaft hinausreichende Folgen ergeben können, brauche ich im einzelnen nicht auszuführen.
    Aus diesem Grunde darf eine Konjunkturpolitik, die sich an den Erscheinungen der ganzen Wirtschaft orientiert, an den besonderen Umständen der gegenwärtigen landwirtschaftlichen Verschuldung nicht vorübergehen. Die uns vorliegenden Anträge aber berücksichtigen diese Lage der Landwirtschaft nicht, und deshalb bedürfen sie der Ergänzung, insbesondere im Hinblick auf den Antrag auf Drucksache 1748, eine Umschuldungsaktion für den Mittelstand einzuleiten. Die Landwirtschaft ist nun einmal angesichts der ihr eigenen Struktur in ihrer Finanzierung auf langfristige Kredite angewiesen, und diese langfristigen Kredite müssen einen entsprechenden Zinssatz haben. Kurzfristige Kredite, die das normale Maß übersteigen, sind wegen des langsamen Kapitalumschlags Gift für die


    (Struve)

    deutsche Landwirtschaft; sie müssen unter allen Umständen früher oder später einen konjunkturellen Krisenherd schaffen, dessen allgemeine wirtschaftliche und politische Bedeutung möglicherweise in den betroffenen Gebieten unseren gegenwärtigen Sorgen um nichts nachsteht.
    Wir haben das alles schon einmal erlebt. Ich darf an die Zeit vor mehr als zwei Jahrzehnten erinnern. Die Gesetzgebung hat damals diese Gefahr nicht erkannt. Es ist deshalb nach meinem Dafürhalten dringend notwendig, daß wir im Rahmen der heutigen Diskussion auf diesen Zusammenhang mit aller Deutlichkeit hinweisen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die im sogenannten Lübke-Plan angelaufenen Maßnahmen sind gut; aber sie bedürfen einer wesentlichen Ausweitung. Das Hohe Haus wird sich meines Erachtens in Kürze in sehr konkreter Form mit der Frage des Agrarkredits und mit den landwirtschaftlichen Investitionen befassen müssen.
    Aber, meine Damen und Herren, ein verbessertes System des Agrarkredits allein kann die großen gegenwärtigen Lücken in der landwirtschaftlichen Ertragslage nicht schließen. Zusätzliche Maßnahmen sind deshalb sehr schnell und dringend notwendig. Sie wissen, daß unser Trinkmilchpreis uns dabei besonders am Herzen liegt. Es hat um diese Frage in den letzten Wochen sehr viel Aufregung gegeben. Daß der Deutsche Gewerkschaftsbund daran entscheidend beteiligt war, obwohl er das Fehlen der Rentabilität der Milchwirtschaft ausdrücklich zugibt, ist schwer zu verstehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Natürlich wollen wir Verbraucher — denn das sind wir ja am Ende alle miteinander — unseren Bedarf so billig wie möglich decken. Aber dieser natürliche Egoismus kann doch nicht so weit gehen, Preise mit Gewalt so niedrig zu halten, daß sie für den jeweiligen Erzeuger einen Verlust bedeuten. Das aber ist die eindeutige Lage beim heutigen Trinkmilchpreis. Man braucht sich doch nur zu vergegenwärtigen, daß nach den amtlichen Unterlagen der Index für Milcherzeugerpreise bei 183 liegt, während der Index der milchwirtschaftlichen Produktionskosten inzwischen auf 230 Punkte stieg. Wenn wir uns dann daran erinnern, daß der Trinkmilchpreis durch eine Preisverordnung, die am 8. Juli 1951, also vor vier Jahren, herausgegeben wurde, festgesetzt ist, dann dürfen wir diese vier Jahre auf der Unkostenseite nicht außer Betracht lassen.
    Ich darf daran erinnern, daß wir durch, mehrfache Lohnerhöhungen in diesen vier Jahren die Tariflöhne um 28% erhöht haben. Ihnen ist bekannt, daß diese Löhne

    (Zuruf von der SPD: Hungerlöhne sind!)

    von der Landarbeitergewerkschaft im ganzen Bundesgebiet aufgekündigt sind. Ich glaube, wir sind uns einig, wenn ich sage, jede Aufkündigung der Tarife hat zu einer weiteren Lohnsteigerung geführt. Ich darf daran erinnern, daß die Ausgaben der deutschen Landwirtschaft für künstlichen Dünger mit über einer Milliarde um 26% gestiegen sind. Die Preise der neuen Maschinen sind um 23% gestiegen, die Kosten der Gebäudeunterhaltung sind um etwa 24 % gestiegen. Zu gleicher Zeit hat die deutsche Landwirtschaft erhebliche Aufwendungen gemacht, um innerhalb der Milchviehbestände die Leistungen zu steigern. Die Leistungen, nicht nur die Leistungskontrolle, sondern auch die Qualitätskontrolle sind auf der Unkostenseite der Landwirtschaft zu finden. Zucht und Haltung, mit einem Wort: Rationalisierung im weitesten Sinne ist in der deutschen Landwirtschaft in diesen vier Jahren eine Tatsache, ohne daß diese auf der Preisseite irgendwie berücksichtigt wurde.
    Wenn wir bedenken, daß die Einnahmen aus der Milch über ein Viertel der gesamten Einnahmen, die die deutsche Landwirtschaft der Bundesrepublik hat, ausmachen, ich glaube, dann wird klar, welche Bedeutung der Trinkmilchpreis für die deutsche Landwirtschaft hat.

    (Abg. Lücke: Für den Kleinbauern!)

    Für die große Zahl der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe ist dieser Prozentsatz allerdings sehr viel größer —.er macht über 50 aus —, ja er ist für viele Kleinbetriebe die einzige laufende Bareinnahme, die überhaupt in diesen Betrieben zu verzeichnen ist. Meine Damen und Herren, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß rund 85 % aller Milchkühe in den Kleinbetrieben stehen, dann, glaube ich, wird klar, welche Bedeutung der Trinkmilchpreis hat. Das Milchgeld ist der Lohn für die Kleinbauern.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, wir müssen diese Dinge auch bei den Auseinandersetzungen, die der Alltag mit sich gebracht hat, nicht als eine Forderung nach einer zusätzlichen Einnahme der deutschen Landwirtschaft sehen, sondern wir müssen sie sehen als das Problem des Kleinbauerntums der Bundesrepublik schlechthin.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Beachten Sie, bitte, meine Damen und Herren, den Lebensstandard in diesen bäuerlichen Familien.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie werden feststellen, daß dort im besten Sinne des Wortes ein gemeinsamer Existenzkampf von Frau und Mann ist, der in den Kleinbetrieben geführt wird.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir dabei den langen und schweren Arbeitstag, den keiner im Hohen Hause leugnen wird, berücksichtigen, dann müssen wir klar erkennen, daß wir diese Dinge fern von politischen Auseinandersetzungen sachlich klären und sachlich entscheiden müssen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Angleichung des Trinkmilchpreises an die gestiegenen Erzeugungskosten schließt also nach meiner Ansicht in letzter Hinsicht auf eine große soziale Aufgabe, weil die Struktur der Bundesrepublik nun einmal eine kleinbäuerliche ist.
    Bedenken Sie bitte diese unbestreitbaren Tatsachen, wenn wir uns hier über diese Frage unterhalten, die auch in der Diskussion von den verschiedenen Rednern angesprochen wurde. Lassen Sie sich dabei bitte auch nicht durch die immer wiederkehrende Behauptung irremachen, die unmodernen Molkereien verteuerten die Milcherzeugung und die Milchverarbeitung. Selbstverständlich war der Nachholbedarf in der deutschen Landwirtschaft, vor allen Dingen im Molkereiwesen, nach dem Kriege besonders groß. Aber nach der Währungsreform sind hier sehr große Aufwendungen


    (Struve)

    gemacht worden, und es dürfte kaum noch eine Meierei geben, die nicht den geforderten Ansprüchen genügt. Ebenso abwegig ist die Forderung, daß alle kleinen Molkereien zugunsten größerer Betriebe verschwinden sollen. In den großen Trinkmilchgebieten ist dieser Forderung längst weithin Rechnung getragen. In den übrigen, verbrauchsfernen Gebieten aber, wo das molkereiwirtschaftliche Schwergewicht in der Butter- und in der Käseerzeugung liegt, sind der Konzentration aus Gründen der Rentabilität sehr enge Grenzen gezogen. Seien Sie bitte davon überzeugt, daß die Landwirtschaft, genau so wie die ganze übrige Wirtschaft, um ihres eigenen Ertrags willen das wirtschaftlich Sinnvolle schon aus eigenem Antrieb macht. Die führenden Männer der landwirtschaftlichen Berufsvertretung haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß auch sie die Notwendigkeit der Preisstabilität respektieren. Aber die Gültigkeit dieses Grundsatzes hört dort auf, wo er die Wirtschaftlichkeit und damit die Produktion lebenswichtiger Nahrungsmittel in Frage stellt. Die rückläufigen Milchviehbestände, meine Damen und Herren, beweisen es. Vergegenwärtigen wir uns, daß in vielen Kleinbetrieben das Pferd durch den Kleinschlepper abgelöst worden ist, erinnern wir uns daran, daß man von der Kuhbespannung immer mehr abgeht, daß wir also in zunehmendem Maße noch in den letzten Jahren eine Verlagerung erlebt haben, indem der Großbetrieb die Milchviehhaltung und damit die Milchproduktion einschränkte zugunsten des Kleinbetriebes; dann wird uns klar, was der augenblickliche Trinkmilchpreis auch für den Verbraucher für die Zukunft zu bedeuten hat.
    Die Entwicklung, die wir im Augenblick haben, muß, wenn sie anhält, auf dem Milch- und Buttersektor zwangsläufig zu denselben und ähnlichen Zuständen führen, wie wir sie heute auf dem Eiermarkt haben. Weil die deutsche Erzeugung gegenwärtig an der Deckung des deutschen Eierbedarfs aus jahreszeitlichen Gründen nur in geringem Umfange beteiligt ist, liegt der Eierpreis im Augenblick verhältnismäßig hoch und weit über dem Jahresdurchschnitt, obwohl der Zoll im Augenblick bekanntlich nur 5 % — statt 15 % im Sommer — ausmacht. Das Ausland nutzt es aus, daß an den deutschen Eiermärkten kein konkurrierendes deutsches Angebot ist, und der deutsche Verbraucher, meine Damen und Herren, muß es bezahlen.
    Diese Tatsache beweist zur Genüge, daß trotz aller entgegenstehenden immer wiederkehrenden Behauptungen am Ende die ausreichende deutsche Erzeugung sowohl für den Erzeuger, für den Bauernstand, als auch für den Verbraucher das Sinnvolle und Richtige ist.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Diese deutsche Erzeugung wird auf die Dauer auch die billigste Bedarfsdeckung sichern.
    Nun hat die Bundesregierung in ihrer Erklärung erfreulicherweise in dem Punkte, wo sie zu den staatlich gebundenen Preisen Stellung nahm, hier die Ausnahme für die Landwirtschaft ausdrücklich anerkannt. Ich darf auch mit Befriedigung feststellen, daß die Herren Diskussionsredner in dieser Frage weitestgehend mit der Erklärung der Regierung einiggehen. Ich habe in diesem Zusammenhang allerdings bedauert daß gestern der Vertreter der Opposition in diesem Punkte anderer Meinung war, und habe die Bitte, daß doch dieser Standpunkt überprüft wird. Ich darf daran erinnern, daß wir auch im Bundesmietengesetz einen ähnlichen Weg gegangen sind, und ich darf das Hohe Haus doch darum bitten, zu prüfen, ob es möglich und sinnvoll ist, in dem Augenblick, wo man glaubt, daß gewisse sozial schwache Kreise diesen Preis von sich aus nicht zahlen können, dies zu Lasten eines Standes, in diesem Fall zu Lasten des deutschen Kleinbauerntums, auszutragen und zu entscheiden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das Hohe Haus dürfte sich darin einig sein, daß hier eine echte Aufgabe des ganzen deutschen Volkes vorliegt. Sie werden uns immer als Ihre Partner finden, wenn es darum geht, zugunsten der sozial Schwächsten etwas zu tun. Wir meinen aber, die Entscheidung in der Frage des Trinkmilchpreises darf nicht länger aufgeschoben werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Hier handelt es sich, wie ich darzulegen versuchte, nicht um eine einseitige wirtschaftliche Maßnahme, sondern in letzter Konsequenz um die soziale, ja auch die politische Aufgabe für unser deutsches Kleinbauerntum schlechthin.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich darf daher das Bundeskabinett bitten, die Bemühungen unseres Herrn Ernährungsministers, die Verordnung von Juli 1951 nun endlich zu ändern, zu unterstützen. Die verschiedenen Beiträge der gestrigen und der heutigen Diskussion haben gezeigt, daß hier eine weitere Aufschiebung nicht mehr verantwortet werden kann.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    So wird es sicher auch verständlich, daß meine politischen Freunde bereits im Juli unmittelbar nach Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes mit einem diesbezüglichen Antrag an das Hohe Haus herantraten. Leider finden wir erst heute Gelegenheit, diesen Antrag im Parlament zu besprechen.
    Der zweite Antrag, den ich kurz zu begründen habe, befaßt sich mit der Umsatzsteuer. Der materielle Inhalt des Antrags auf Drucksache 1628 wird auch im Zusammenhang mit einem andern Antrag im Hohen Hause behandelt. Es wird beantragt, die landwirtschaftliche Produktion von der Umsatzsteuer völlig zu befreien. Auch dieser Antrag ist zum Teil noch umstritten. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuer bedeutet ohne Zweifel auch ein Opfer der Allgemeinheit zugunsten der Landwirtschaft. Aber bedenken Sie bitte, daß diesem scheinbaren Opfer der greifbare Verzicht der Landwirtschaft vorausgeht. Die Landwirtschaft hat nicht die Möglichkeit des kalkulatorischen Ausgleichs für die laufend entstehenden Unkosten. Sie muß sich mit der Vorbelastung des politischen Preises für ihre Erzeugnisse auseinandersetzen. Wäre die Landwirtschaft in der Lage, ähnlich wie die übrige Wirtschaft die Umsatzsteuer zum Bestandteil des Preises zu machen, wie es der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung der Umsatzsteuer war, dann wäre es nicht nötig, den heutigen Antrag hier zu behandeln. Aber diese Möglichkeit hat die Landwirtschaft nicht, und deshalb haben wir diesen Antrag auf Befreiung von der Umsatzsteuer gestellt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Sehen Sie bitte in diesem Antrag einen Beitrag,
    die Bemühungen unseres Ministers Lübke zu
    unterstützen, der mit seinem Programm zur Un-


    (Struve)

    kostensenkung, das er vor zwei Jahren verkündete, in der Öffentlichkeit viel Anklang und viel Beachtung gefunden hat. Wir sind uns aber wohl auch alle darüber im klaren, daß dieses von ihm vor zwei Jahren aufgestellte Programm bisher leider doch noch zuwenig beachtet worden ist.

    (Abg. Lücke: Das lag nicht an Lübke, das lag an den Verhältnissen!)

    Es ist nun aber fällig, Die deutsche Landwirtschaft — ich darf feststellen, daß das erfreulicherweise aus den Ausführungen aller Diskussionsredner her-ausklang — ist an den Preissteigerungen der letzten vier Jahre nur sehr bescheiden beteiligt gewesen. Sie ist — auch das wurde anerkannt — zurückgeblieben. Wenn wir von solcher Warte aus an die Dinge herangehen, dürfte es, glaube ich, nicht schwerfallen, auch diesem Antrage meiner Fraktion zu folgen.
    Aus demselben Grunde bitte ich, auch dem Antrag meiner Fraktion, Drucksache 1755, nach Überprüfung der Realsteuergesetzgebung zuzustimmen. Der darin niedergelegte Wunsch nach Abbau der überhöhten Grund- und Gewerbesteuern in den einzelnen Ländern berührt neben dem gewerblichen Mittelstand auch die Landwirtschaft in außerordentlich hohem Maße. Es ist das Schicksal der Urproduktion in allen demokratischen Ländern, daß sie die großen und fortschreitenden Möglichkeiten der Technisierung und des Kapitaleinsatzes nicht annähernd so nützen kann, wie es die übrige Wirtschaft tut. Die Landwirtschaft befindet sich eben in einer Sonderlage. Das hat mit der berühmten, immer wieder behaupteten Rückständigkeit der Landwirtschaft nicht das geringste zu tun.

    (Abg. Lücke: Richtig!)

    Es ist ein natürlicher Mangel, dessen Ausgleich überall als eine unumgängliche staatliche Aufgabe angesehen wird. Die agrarpolitische Gesetzgebung der Nachkriegszeit und insonderheit die Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes beweisen hinreichend, daß auch die Bundesrepublik sich zu dieser Aufgabe bekennt. Das gibt mir die Hoffnung, daß Sie den von meinen politischen Freunden und mir eingebrachten Anträgen Ihre Zustimmung nicht versagen werden. Der volkswirtschaftlichen Leistungskraft der westdeutschen Landwirtschaft würde eine solche Entscheidung in hohem Maße zugute kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Reif


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Gegensatz zu meinem Herrn Vorredner erstens über Konjunkturpolitik und zweitens im Rahmen der uns gestatteten Redezeit sprechen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich weiß, daß das, wovon Herr Struve gesprochen hat, eine wichtige und bedeutsame Angelegenheit ist. Aber die Forderungen der Landwirtschaft nach Festpreisen sind ganz bestimmt weder ein Mittel noch ein Ziel der Konjunkturpolitik, über die wir doch heute sprechen wollen.

    (Zuruf rechts: Das kommt auf den Gesichtskreis an! — Abg. Struve: Gehört die Landwirtschaft nicht zur Wirtschaft?)

    — Aber das ist doch keine Gegenfrage: Gehört die Landwirtschaft nicht zur Wirtschaft? — Die Forderungen der Landwirtschaft nach Festpreisen — die ich jetzt gar nicht diskutieren will — sind, das wiederhole ich, weder ein Ziel noch ein Mittel der Konjunkturpolitik, und wir wollen über Konjunkturpolitik reden.
    Ich gebe Ihnen zu, meine Damen und Herren, daß unter den zahlreichen Anträgen der Fraktionen dieses Hauses eine ganze Reihe sind, die jetzt zu behandeln auch dann sinnvoll wäre, wenn wir nicht über Konjunkturpolitik redeten. Ob sie sich im Rahmen eines konjunkturpolitischen Programms bewähren werden, wissen wir noch gar nicht. Aber der Herr Bundesfinanzminister hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, eine Anregung gegeben, die wir aufgreifen sollten. Er hat nämlich vorgeschlagen, wir sollten eine Art Dachkommission für die Behandlung aller jetzt vorliegenden Anträge bilden. Ich möchte nur rechtzeitig darum bitten, daß diese Kommission sich dann nicht nur aus den Damen und Herren des Steuer- und Finanzausschusses und des Haushaltsausschusses zusammensetzt, sondern daß auch der Wirtschaftspolitische Ausschuß, der nämlich die konjunkturpolitische Note in diese Gesetzgebungsarbeit hineinbringen soll, daran beteiligt wird. — Soviel zu diesem Teil der Methodik.
    Auch sonst, meine Damen und Herren, war es eigentlich nur mein Anliegen, das Haus zu bitten, bei der Erörterung der Fragen, die heute anstehen, eine gewisse systematische Gliederung vorzunehmen, jetzt und auch später in den Aus-. schössen.
    Ich sagte schon, nicht alle unsere Steuerwünsche lassen sich nur konjunkturpolitisch begründen. Der Wunsch nach Steuersenkung ist ein natürlicher Wunsch. Die Staatsbürger werden nie aufhören, ihn zu äußern. Man muß nicht gleich die Demokratie in Gefahr sehen, wenn dieser Wunsch in einer konjunkturpolitischen Situation mit besonderem Nachdruck vorgebracht wird.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Die dahingehenden Sorgen des Herrn Bundesfinanzministers teile ich nicht.•
    Meine Damen und Herren, ich bin Hochschullehrer und will hier sehr vorsichtig sein; ich darf auch meinen westdeutschen Kollegen nicht vorgreifen. Von jeher aber ist es ein, ich möchte beinahe sagen, Bestandteil des Nachweises der Existenzberechtigung unserer Forschungsinstitute gewesen, die Schätzungen des Herrn Bundesfinanzministers in Steuerfragen nachzuprüfen.

    (Sehr richtig! bei der FDP und links.)

    Wir haben es schon bei Besprechungen über die große Steuerreform sehr gern gesehen, daß es unabhängige Forschungsinstitute gibt. Die Parteien konnten doch, wenn sie gewissenhaft sein wollten, nur von den Etatansätzen des Herrn Bundesfinanzministers ausgehen. Er arbeitet bereits mit Schätzungen, über die wir noch nicht verfügen. Wir gehen von den Zahlen aus, die er uns selber gegeben hat. Wir lassen uns gerne belehren, wenn es anders ist, aber, wie gesagt, nicht nur von ihm, sondern auch von denen, die sich seit Jahr und Tag systematisch mit der Nachprüfung solcher Schätzungen beschäftigen.
    Das etwas unsystematische — entschuldigen Sie das harte Wort — Auseinanderklaffen dieser Dis-


    (Dr. Reif)

    kussion ist vielleicht ein Symptom für etwas sehr Beruhigendes. Die konjunkturpolitische Auseinandersetzung ist belastet mit Wünschen und Forderungen, die unter Umständen — ich bin vorsichtig — auch ohne konjunkturpolitische Begründung berechtigt sind. Es möchte so scheinen, als wenn hier allgemeine Anliegen vorgebracht würden. Der Herr Bundesfinanzminister hat sehr vorsichtig bereits erklärt, daß sein Vorschlag über die Besteuerung der Ehegatten nicht in dieses Programm gehört. Er hat sich auf einen Auftrag des Hauses berufen. Er hat es uns also schwergemacht, dieses Thema schon jetzt mit in die Diskussion zu ziehen. Immerhin, wir melden an, daß wir dagegen sind, und wir hoffen, daß der Herr Familienminister uns dabei unterstützt.
    Das Auflösen also dieser konjunkturpolitischen Tagesordnung in die Vertretung von durchaus berechtigten Wünschen der verschiedensten Teile unserer Wirtschaft ist eigentlich ein Zeichen dafür, daß es nicht um eine Notsituation geht. Es ist also offenbar nicht so, daß wir vor einer konjunkturbedingten Krise, daß wir, sagen wir, vor einem Notstand stehen. Wir sind gewarnt worden durch das Signal der Bank deutscher Länder in bezug auf das, was man jetzt die Überhitzung nennt. Wir verstehen diese Warnung. Ich bin mit dem Herrn Kollegen Hellwig durchaus darin einig, daß wir nunmehr darangehen sollten, uns die Instrumente zu schaffen, die die Bundesregierung in die Lage versetzen, Konjunkturpolitik zu treiben. Ich begrüße seine Anregung, wir möchten endlich einmal zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen. Ich überschätze das nicht; wir brauchen es aber.
    Ich bedaure, daß wir resignieren in bezug auf das Notenbankgesetz, von dem ich glaube, daß wir in den zwei Jahren der restlichen Legislaturperiode wohl die Möglichkeit hätten, es zu verabschieden. Und das ist ja immerhin eine Forderung des Grundgesetzes! Wir sollten die Forderungen des Grundgesetzes nicht so leicht nehmen. Wir haben schon in bezug auf das Parteiengesetz bisher eine merkwürdige Interesselosigkeit gezeigt. „Der Bund errichtet eine Notenbank", heißt es im Grundgesetz, und der Bund sollte das endlich einmal tun, damit die Bundesregierung in der Lage ist, Konjunkturpolitik zu treiben.
    Ich weiß, daß man bei der Analyse der wirtschaftlichen Situation heute, morgen und übermorgen und wahrscheinlich noch lange Zeit darauf angewiesen sein wird, mit den Vorstellungen zu arbeiten, die aus jener Zeit der Wechsellagen stammen, die sich heute so schön studieren lassen, die aber 1914 abgeschlossen waren. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit zu erforschen — es wird auch getan, und mit großem Erfolg —, was eigentlich geschehen ist, daß es zur Weltwirtschaftskrise kommen konnte.
    Wir wissen mindestens das eine: daß das, was damals geschehen ist etwas völlig anderes ist als
    das, was 80 und 100 Jahre lang vorher als sogenannte Wechsellagen, als Zyklen der Wirtschaftsentwicklung galt, und heute ist die Situation wieder eine andere; denn wir sind immer noch trotz der Überhitzung im Aufbau. Die Wechsellage der sogenannten Konjunkturbewegung der Zeit von 1830 bis 1914 war der Rhythmus der Expansion der industriellen Wirtschaft. Wir reden heute mit Recht nicht mehr von der Expansion der industriellen Wirtschaft, sondern in irgendeiner Beziehung
    ist alles das, was uns wirtschaftspolitisch beschäftigt, als Rationalisierung im einzelnen und im ganzen zu verstehen.
    Solange wir in unserem Wirtschaftsleben noch ganze Gebiete — territorial und fachlich — haben, in denen uns noch große Aufgaben gestellt sind, ist das, was man früher besorgt als eine Ursache der beginnenden Depression ansah — daß nämlich die Aufgabe weggefallen ist —, jedenfalls nicht zu besorgen.
    Wir haben gewiß eine Art Vollbeschäftigung. Aber ich möchte nur einmal — das ist hier in Berlin, wo wir noch keine Vollbeschäftigung haben, besonders wichtig — vielleicht an das Schicksal der älteren Angestellten erinnern und feststellen, daß es hockqualifizierte und leistungsfähige Persönlichkeiten gibt, die sinnvoll in unsere Wirtschaft einzubauen noch nicht gelungen ist, ebensowenig, wie es bisher trotz aller dankenswerten Unterstützungen des Bundes gelungen ist, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die Berlin für eine sinnvolle und produktive Zusammenarbeit mit der gesamten deutschen Volkswirtschaft hat. Berlin ist kein Notstandsgebiet, sondern ist ein bisher abgeschlossenes Gebiet höchster technologischer, kommerzieller und verwaltungsmäßiger Fähigkeiten.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ähnliches gilt auch von den Zonenrandgebieten.
    Ich möchte das alles nur erwähnen, um zu sagen: für eine Ablenkung einer sich sonst überhitzenden Prosperität auf Rationalisierungsmaßnahmen im volkswirtschaftlichen Verstand ist noch sehr viel Raum, da hat der Herr Kollege Struve vollkommen recht, insbesondere, da nun die Landwirtschaft, der gewerbliche Mittelstand und insbesondere das Handwerk einbegriffen ist, das auch ein Recht darauf hat, an dem konjunkturellen Geschehen teilzunehmen. Hier sind Aufgaben, die uns, wenn Lehren aus älteren Konjunkturen heute noch zuverlässig sind, doch die Zuversicht geben, daß wir nicht vor einer ernsten Änderung des Trends unserer wirtschaftlichen Entwicklung stehen, wenn wir es nur richtig machen.
    Es bleibt also eigentlich das, was wir heute diskutieren müssen, und da stimme ich dem Herrn Kollegen Deist von der Sozialdemokratischen Partei vollkommen zu: die Preisentwicklung, die unabhängig von ihrer konjunkturtechnischen Relevanz in weiten Kreisen unseres Volkes als peinlich empfunden wird. Ich sage nicht, daß das Rezept der Lohnerhöhungen das richtige Rezept ist. Ich habe sogar einige Sorge. Denn es ist verhältnismäßig leicht für Arbeitnehmer in einer guten Position, einer gewerkschaftlichen Organisation, sich an den konjunkturellen Gewinnen zu beteiligen. Das sollen sie auch. Aber dieses Land und dieses Volk ist doch heute gekennzeichnet durch die Riesenmasse derjenigen Menschen, die von kleinen Renten leben müssen, weil der Krieg und die Politik sie in dieses Schicksal gezwungen haben. Diese Menschen können sich nicht an solchen Lohnerhöhungen beteiligen, und um dieser großen Masse der sozial Betreuten willen, die keine Machtstellung in unserer Gesellschaft haben wie der gut organisierte Lohnarbeiter, müssen wir die Frage, ob man der Preisentwicklung einfach durch Lohnerhöhungen begegnen kann, doch sehr ernst prüfen. Mir scheinen der Weg, den zu gehen Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard versucht, zur Vernunft, d. h. zu Preissenkungen zu raten, und


    (Dr. Reif)

    die dabei möglichen Maßnahmen diskutabel. Ich teile durchaus die Auffassung des Kollegen Deist, daß auch die Einfuhrschleusen Werkzeug einer sinnvollen Preispolitik sein sollten in der Lage, die wir heute haben, und wir sind bereit, das zu diskutieren.
    Ich bin also der Meinung, meine Damen und Herren, Preispolitik im Sinne einer Mengenkonjunktur ist einfach aus sozialen Gründen heute notwendig, nicht das Ausweichen auf eine Lohnspirale, die nur den Angehörigen starker Organisationen Erfolg verspricht.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Ein Teil, sicherlich nur ein Teil, aber ein wichtiger Teil dessen, was uns beunruhigt, rührt unzweifelhaft daher, daß die Gewinne und die Ertragserwartungen unserer Unternehmer durch das Steuersystem verfälscht werden, und deshalb wird immer die Steuerfrage für uns eine Frage der Rationalisierung und der Ökonomisierung in den Überlegungen des Unternehmers bleiben.
    Darüber hinaus beruht manches von dem, was heute als konjunkturelle Entwicklung erscheint, wahrscheinlich auf der Vorwegnahme von Gewinnerwartungen, die mit dem Rüstungsprogramm zusammenhängen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Öffentlichkeit sehr beruhigt über das Ausmaß dessen, was die deutsche Produktion in dieser Beziehung zu leisten haben wird. Ich habe schon einmal bei der Diskussion des Kartellgesetzes gesagt: wenn wir uns nicht stark zeigen, mit diesen Dingen fertig zu werden, wer soll dann glauben, daß wir mit der Preisentwicklung fertig werden, die durch die Rüstung erzeugt wird? Es wäre sehr gut, es wäre eine zusätzliche konjunkturpolitische Maßnahme des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wenn er sehr bald einmal der deutschen Öffentlichkeit sagte, wie er sich eigentlich den Schutz der deutschen Volkswirtschaft vor einer Ausbeutung durch die Träger der Rüstungskonjunktur denkt. Daß es so etwas in der Welt immer wieder gegeben hat, wissen wir. Wir haben das Vertrauen zu Professor Erhard, daß er entschlossen ist, dagegen anzugehen. Er soll nur bald sagen, wie. Ich glaube, dann wird manches von der Überhitzung verschwinden.
    Also, meine Damen und Herren, die Psychologie dieser Dinge ist wichtig. Ich glaube überhaupt, daß ein großer Teil dessen, was man Konjunkturmechanismus nennt, ergänzt werden muß durch die Psychologie dieser Dinge. Herr Professor Erhard hat damit angefangen. Ich weiß nicht, ob es ausreicht, aber es muß auch geschehen!
    Wir werden also in Übernahme des Vorschlags des Bundesfinanzministers versuchen, alles das, was gestern und heute in diesem Hause unter dem Oberthema Konjunkturpolitik von den Parteien vorgeschlagen worden ist, in einem Sonderausschuß vorzuprüfen. Ich hoffe, daß wir dann dazu kommen, für die Bundesregierung die Möglichkeiten einer Konjunkturpolitik zu schaffen, die sie heute noch nicht hat.
    Ich darf einen letzten Satz hinzufügen. Wir wissen aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, daß die traditionellen Mittel der Konjunkturpolitik Diskontpolitik, offene Marktpolitik,
    Mindestreservenpolitik usw. — allein nicht ausreichen.

    (Abg. Euler: Sehr richtig!)

    Wir müssen neue Mittel einsetzen. Dazu gehören all die Vorschläge über Konzentration der Kassenhaltung, über Publizität der Wirtschaft der öffentlichen Kassen, und dazu gehört, daß man die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand nun auch in den Dienst dieser Konjunkturpolitik stellt.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Ich erinnere immer wieder an die Schätzungen, die schon Helfferich 1912 vorgenommen hat. Damals war immerhin ein Sechstel bis ein Fünftel unseres Erwerbsvermögens Eigentum der öffentlichen Hand. Der Staatssekretär Popitz hat im Jahre 1930 eine Schätzung gegeben, die erlaubt, zu sagen, daß es damals schon ungefähr 50 % waren, und daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden. Dieser ganze Bereich entzieht sich weitgehend der Publizität, ,die wir von der Privatwirtschaft sowohl über ihre Wirtschaftlichkeit als auch ihre Kassengebarung verlangen. Wenn aber irgendwo die Forderung gestellt werden muß, daß der demokratische Staat, der sich für die Konjunkturentwicklung und ihre eventuellen politischen Folgen verantwortlich fühlt, alle Mittel einer vernünftigen Konjunkturpolitik einsetzen muß, dann ganz bestimmt auch dort, wo er sich selbst am Erwerbsleben beteiligt.

    (Beifall bei der FDP.)