Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, die Bundesregierung sei mit der Bank deutscher Länder der Auffassung, daß die bisherige Entwicklung der Preise keinen Anlaß zu ernster Besorgnis biete. Er hat andererseits von dem immer schwächer werdenden Widerstand sowohl der Verbraucher wie auch der Wirtschaft selbst gegen die allmählich höher werdenden Preise gesprochen und besorgt auf Gefahren hingewiesen, die durch Verfolgung egoistischer Gruppeninteressen für die Währung entstehen können.
Auch meine Fraktion ist der Meinung, daß die Gefahren der derzeitigen Wirtschaftslage nicht überschätzt werden sollen. Sie dürfen aber auch nicht bagatellisiert werden. Die bisherige wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik hat es mit sich gebracht, daß der Unterschied zwischen arm und reich immer mehr erschreckende Ausmaße annimmt.
— Das mag für einzelne von Ihnen vielleicht nicht zutreffen; ich kann Ihnen genug Beispiele aus unserem Wirkungsbereich vortragen, wenn Sie wollen.
Gleichlaufend mit dieser sehr bedenklichen Entwicklung ist die Tatsache zu registrieren, daß die sogenannten wirtschaftlich unterentwickelten Gebiete zum Teil immer mehr verelenden oder zum mindesten nicht in dem Ausmaß an der Aufwärtsentwicklung beteiligt sind, das eine weitestmögliche Annäherung der Leistungsfähigkeit aller Gebiete der Bundesrepublik erhoffen ließe. Der Bundeswirtschaftsminister hat selbst zugegeben, daß es noch Millionen von Rentnern in unserem Staate gibt, die von jeder Preissteigerung in ihrem sozialen Sein aufs härteste betroffen werden. Er hat daran die Forderung geknüpft, daß diese Menschen nicht verraten und nicht betrogen werden dürfen. Ich möchte hier nur die Hoffnung aussprechen, daß diese Worte nicht nur zur Beruhigung gesprochen wurden, sondern daß sich die Bundesregierung darüber im klaren ist, daß diese Menschen jetzt, wo wir gezwungen sind, eine Konjunkturdebatte zu halten, mit ihrer lange geübten Geduld allmählich am Ende sind. Die Menschen, von denen hier die Rede ist, haben fast ausnahmslos ihr bitteres Schicksal ohne eigene Schuld, dafür aber zumeist stellvertretend für das ganze besiegte deutsche Volk ertragen. Ich denke hier an die Mil-
lionen Kriegsbeschädigter, Spätheimkehrer, Heimatvertriebener und Flüchtlinge. Ein hoher Prozentsatz von ihnen muß mit einem monatlichen Einkommen aus Renten oder Unterstützungen das Leben fristen, das klar unter dem gerichtlich anerkannten Existenzminimum liegt. Für alle diese Menschen wirken die schönen Worte wie Wirtschaftswunder, Hochkonjunktur, erfolgreiche Eingliederung usw. oft wie Hohn auf die realen Tatsachen ihres Lebens.
Wir stellen das keineswegs mit Genugtuung, sondern mit sehr tiefer Sorge dieser Menschen wegen hier fest. Wir bejahen ausdrücklich die Freiheit der Wirtschaft, wir meinen aber, daß diese Wirtschaft vom ganzen Volk in ihrer Freiheit nur so lange verteidigt und bejaht werden wird, solange sie es verdient, d. h. solange sie das Gesamtwohl aller deutschen Menschen, im besonderen aber der sozial Schwächsten im Auge behält. Wir müssen leider offen bekennen, wir können uns manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die einsichtigen Kreise der Wirtschaft hier und da schon überspielt werden von jenen Kräften, die sich bereits im Grenzgebiet der ihnen zugestandenen wirtschaftlichen Freiheit bewegen und den Sinn für ihre soziale Verpflichtung verloren haben. Der Staat sollte nach unserer Meinung ohne dirigistische Maßnahmen auskommen. Es sollte zu solchen Maßnahmen durch das egozentrische Verhalten gewisser Faktoren der Wirtschaft aber auch nicht provoziert werden.
Wir verkennen nicht, daß die derzeitige Konjunkturlage auch positive Auswirkungen hat. Zu diesen gehören vor allem der unerwartet hohe Steuereingang und höhere Einnahmen der Sozialversicherungsträger. Das höhere Aufkommen versetzt den Staat in die Lage, im Sinne der Regierungserklärung vom 10. Oktober 1953 auf sozialem Gebiet zum Teil das nachzuholen, was trotz Wirtschaftsaufschwung versäumt oder in nicht ausreichendem Maße durchgeführt wurde. Rentenhöhe und Lebenshaltungskosten geraten immer mehr in ein ständig steigendes Mißverhältnis. Die geringfügigen gesetzlichen Verbesserungen wie z. B. das Rentenmehrbetragsgesetz vom vorigen Jahr haben die jahrelangen Versäumnisse auf diesem Gebiet nicht wettmachen können.
Unsere Fraktion hat mit der Drucksache 1746 einen Antrag auf Erhöhung der Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung eingebracht. Die CDU hat diesen Antrag offensichtlich für so gut befunden, daß sie zwei Tage später einen Antrag fast gleichen sachlichen Inhalts einbrachte.
— Ja, lesen Sie nur das Datum der Einbringung nach; dann werden Sie das feststellen. — Wir sind uns darüber klar, daß auch die von uns verlangte nochmalige Erhöhung der Rentenmehrbeträge keinesfalls ausreicht und nur ein Teilstück der notwendigen Verbesserung aller sozialen Leistungen darstellt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinem Elf-Punkte-Programm u. a. das Problem der derzeitigen Arbeitsmarktverhältnisse angesprochen und angekündigt, daß die Bundesregierung Vorbereitungen treffen will, um für bestimmte kritische Arbeitsbereiche ausländische Arbeitskräfte heranzuziehen. Wir übersehen nicht, daß sowohl der Facharbeitermangel in gewissen Sparten der Wirtschaft wie auch der Bauarbeiter- und Landarbeitermangel zu solchen Maßnahmen zwingen kann. Andererseits müssen wir darauf hinweisen, daß heute noch in dem großen Heer der vom Staat oder den Versicherungsträgern sozial Unterstützten sich sehr viele befinden, die auf jede Unterstützung gern verzichten würden, wenn man ihnen einen festen Arbeitsplatz oder eine angemessene Existenz bieten könnte. Hier sind nach unserem Dafürhalten noch nicht alle Arbeitskraftreserven ausgeschöpft.
Mit unserem Antrag Drucksache 1759 ersucht meine Fraktion die Bundesregierung, aus Haushaltsmitteln einen Betrag von zunächst 100 Millionen DM zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen bereitzustellen. Diese Dauerarbeitsplätze sollen vornehmlich jenem Personenkreis zugute kommen, der noch heute einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der Arbeitslosigkeit aufweist. Es sind das die Flüchtlinge, die Heimatvertriebenen und ganz besonders die älteren arbeitslosen Angestellten. Ich möchte hier allerdings unseren Antrag für die Behandlung im zuständigen Ausschuß schon etwas erweitern, und zwar in dem Sinne, daß diese Mittel auch zur Berufsumschulung und im Hinblick auf konjunkturpolitische Erfordernisse auch für Rationalisierungsmaßnahmen in Geschädigtenbetrieben verwendet werden dürfen. Es kann hier nicht eingewandt werden, daß die hierfür im Lastenausgleichs fonds zur Verfügung stehenden Mittel nicht voll ausgeschöpft werden; Diese Tatsache ist keineswegs darauf zurückzuführen, daß kein echtes Bedürfnis für diese Aufgabe vorliegt, sondern die Bedingungen, unter denen diese Mittel aus dem LAG-Fonds vergeben werden, sind so hart und drückend, daß die Kreditbedürftigen diese Gelder nicht in Anspruch nehmen können.
Damit ist gleichzeitig gesagt, daß die nunmehr mit unserem Antrag geforderten Haushaltsmittel unter anderen, d. h. leichteren Vergabebedingungen vergeben werden sollten.
Wir haben ein Interesse daran, daß die Bundesregierung alles tut, urn einerseits das Fortdauern der Konjunktur zu gewährleisten, andererseits mit Energie alle schädlichen Auswirkungen der Konjunktur von vornherein unterbindet. Die natürlichen Mittel des Staates, auf die Konjunkturlage einzuwirken, liegen wohl in der Steuerpolitik und in der Zollpolitik.
Daneben ist für den Staat die Möglichkeit gegeben, in psychologischer und propagandistischer Weise auf die Gefahren, die sich aus der erreichten Vollbeschäftigung ergeben, hinzuweisen und einzuwirken.
Vom Unternehmer muß der Staat fordern, daß er auf Kapazitätserweiterungen verzichtet und Investitionen nur dort vornimmt, wo sie zur Festigung seines Betriebes unbedingt erforderlich sind. Die Rationalisierung der bestehenden Betriebe zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität und zur Einsparung von Material und Arbeitskräften ist vordringlicher als Neuinvestition! Etwaige Überschüsse sollten die Unternehmer vordringlich zur Senkung ihrer Preise und zur Verbesserung ihrer Liquiditätslage verwenden!
Andererseits muß den Arbeitnehmern und ihren Organisationen nahegelegt werden, mit zu hohen Lohnforderungen zurückzuhalten und erst abzuwarten, ob durch die zu ergreifenden Maßnahmen
die notwendige Verbesserung des Lebensstandards nicht in höherem Maße erreicht werden kann. Für dieses Verlangen kann man beim Arbeitnehmer aber nur dann Verständnis erwarten, wenn vorher der Appell zur Preissenkung Erfolg gehabt hat.
Auch der Verbraucher muß seinen Beitrag zur Erhaltung einer gesunden Konjunkturlage leisten, indem er sich beim Kauf überteuerter Waren Beschränkungen auferlegt. Er wird dadurch die Preisstabilität oder die Preisminderung der Waren fördern.
Wir sind gern bereit, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die von ihm gewünschte Freiheit zu notwendigen zollpolitischen Maßnahmen einzuräumen, einschließlich der sogenannten JedermannEinfuhren. Diese Jedermann-Einfuhren dürfen aber nicht etwa ausgerechnet Wirtschaftszweige in Bedrängnis bringen, die an der Konjunktur bisher nicht teilhaben konnten. Wir denken hier insbesondere an die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie.
Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Elfpunkteprogramm erklärt, daß es die Absicht der Bundesregierung sei, Senkungen von Verbrauchsteuern da vorzuschlagen, wo die Sicherheit besteht, daß die Senkung dieser Steuern dem Verbraucher zugute kommen wird, dann findet er uns ganz auf seiner Seite. Wir möchten aber möglichst heute schon wissen, welche konkreten Maßnahmen in dieser Hinsicht von der Bundesregierung vorgesehen sind.
Wenn er weiter erklärt, daß eine lineare Steuersenkung von der Bundesregierung aus konjunkturpolitischen Gründen nicht erwogen werden kann, dann wird man dem nur dann zustimmen können, wenn die Bundesregierung zugleich bereit ist, in ihrer Investitionssteuerpolitik neue Wege zu beschreiten. Wir sind uns, vielleicht auch mit Ihnen, darüber im klaren, daß die steuerliche Begünstigung auch jener Investitionen, die über den Rand des wirtschaftlich Notwendigen hinaus gemacht wurden, wesentlich zur Überhitzung der Konjunktur in gewissen Wirtschaftszweigen beigetragen hat.