Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der Christlich-Demokratischen Union halten es für ,angebracht, daß in dieser Stadt Berlin auch zu dem Problem etwas gesagt wird, das die Menschen betrifft, die im Arbeitsleben stehen oder nach einem langen Arbeitsleben nunmehr außerhalb stehen und darauf angewiesen sind, mit denen, die noch in der Lage sind, Geld zu verdienen, solidarisch zusammenzuarbeiten.
Es ist für mich recht schmerzlich, feststellen zu müssen, daß die Auseinandersetzung, .die gestern nach Abgabe der Erklärung der Bundesregierung von Herrn Deist erfreulich sachlich geführt wurde, heute nicht mehr in dem gleichen Rahmen weitergeht. Ich bedaure das sehr, zumal ich mich mit Herrn Professor Schellenberg bei der Arbeit im Ausschuß durchaus immer verstehen kann.
Wenn gesagt wurde, die Abgrenzung sei nicht deutlich genug geworden, so können wir doch feststellen: wir haben durch unsere Anträge durchaus unserer Meinung Ausdruck gegeben, daß auch die Rentner an der Steigerung des Sozialprodukts beteiligt sein sollen. Aber die Rentenversicherung ist eine Einrichtung, in der sich die Arbeitnehmer zusammenfinden, die in einer klaren Solidarität füreinander einstehen. Deshalb müssen diejenigen, die jetzt in Arbeit stehen, mehr für die erbringen, die früher in einem sehr langen Arbeitsleben auch in Solidarität mit den damaligen Rentnern dazu bereit waren, mehr zu leisten.
Wir können im Rahmen dieser Debatte auch nicht darauf verzichten, zu betonen, daß die in dieser Beziehung gestern zutage getretene erfreuliche Übereinstimmung auch draußen im Leben etwas mehr berücksichtigt werden sollte. Wir stellen mit Bedauern fest, daß man, wenn nun einmal von der Arbeitgeberseite Vorschläge dafür gemacht werden, wie man durch Preissenkungen len Lebensstandard heben könne, von vornherein sagt, darüber wolle man gar nicht verhandeln. Wir sind durchaus der Meinung, daß Lohnforderungen berechtigt sind. Aber man sollte dabei auch die Überlegungen der anderen anhören und nicht von vornherein das Gespräch abschneiden.
Bei unseren Erörterungen über die Lage der Arbeitnehmer wollen wir nicht versäumen — es fällt an sich etwas aus dem Rahmen der Sache, die ich erörtern will —, darauf hinzuweisen, daß die Nur-Hausfrau nicht vergessen werden darf. Hier geht unsere Bitte an den Finanzminister, bei der Steuergesetzgebung die Arbeit der Frau ebenso zu bewerten wie die Arbeit der mithelfenden Familienangehörigen oder der Frauen, die im Arbeitsleben stehen.
Denn die Hausfrau trägt schließlich durch ihre Arbeit und durch die Erziehung der Kinder dazu bei, daß wir auch in Zukunft unseren Lebensstandard halten können.
Hier ist schon mehrfach gesagt worden, die Christlich-Demokratische Union habe erst einen Antrag wegen der Renten eingebracht, als schon andere Anträge vorgelegen hätten. Das ist der Zeit nach sicherlich richtig. Aber unsere Erörterungen darüber haben mindestens zum selben Zeitpunkt begonnen, das nehme ich für uns in Anspruch. Nur richten wir uns dabei nach einem Wort, das am vorigen Sonntag hier in Berlin der Regierende Bürgermeister im Rundfunk gesagt hat: die Hausfrau und Hausmutter muß sich, ehe sie etwas tun will, erst gründlich überlegen, in welcher Form sie es tun will. Ich will nicht sagen, daß die andern sich das nicht auch zu überlegen hätten. Wir haben die Erörterung aber unter den verschiedensten Gesichtspunkten geführt, und das Ergebnis unserer Überlegungen — wir mußten uns da erst zusammenraufen, wir sind eine große Anzahl von verschieden denkenden Menschen - liegt Ihnen nun in unserem Antrag vor.
Ich glaube nicht, Herr Professor Schellenberg, daß es gerechtfertigt ist, den Gehalt dieses Antrages so herabzusetzen, zumindest nicht in dem einen Punkt.
Sie haben gesagt, unser zweites Rentenmehrbetragsgesetz — ich glaube, ich habe Sie so richtig verstanden; ich nehme an, daß Sie das sagen wollten — habe die Unterschiede wiederum vergrößert. Ich darf Ihnen sagen, daß nach dem ersten Rentenmehrbetragsgesetz die Durchschnittsrente der 70jährigen in der Invalidenversicherung um 20 DM und in der Angestelltenversicherung um 23 DM monatlich erhöht worden ist. Das ist zwar absolut in der Angestelltenversicherung ein höherer Betrag, aber prozentual, also im Verhältnis zur Gesamtrente, beträgt die Erhöhung in der Invalidenversicherung 23 % und in der Angestelltenversicherung 18 %. Sehen Sie, Herr Richter, das ist das, was wir voriges Jahr schon gesagt haben! Das ist der Ansatzpunkt für dieses Rentenmehrbetragsgesetz. Wir wollen mit Ihnen zusammen Mißstände, deren Vorliegen wir durchaus zugeben, beseitigen.
Aber wir können in einer Konjunkturdebatte in Berlin oder auch bei den Erörterungen über dieses Gesetz nicht so tun, als ob es uns gelingen könnte, die gesamte Reform der sozialen Leistungen in zwei oder drei Wochen über die Bühne zu bringen.
Lassen Sie mich noch einmal mit Nüchternheit sagen: die Sozialreform oder auch nur die Reform der Sozialleistungen ist ein Gesetzeswerk, von dem wir wünschen, daß es wirklich mit aller Gründlichkeit und mit aller Sorgfalt vorbereitet wird.
Weil wir dieser Meinung sind, haben wir uns entschlossen, den Entwurf dieses zweiten Rentenmehrbetragsgesetzes einzubringen. Wir sind uns darüber klar, daß die Einführung dieses zweiten Rentenmehrbetrages durchaus auch eine Schlechterstellung bringt, und zwar für diejenigen, die ihre Beiträge nachher geleistet haben, gegenüber denen, die sie vor 1939 geleistet haben. Aber, Herr Professor Schellenberg, was Sie vorhin sagten, widerspricht den Ausführungen, die Sie im Vorjahr gemacht haben. Sie selber haben im vorigen Jahr gesagt, daß 99 % der Rentenempfänger vor 1939 Beiträge geleistet haben.
Die absolute Zahl von 5 Millionen zeigt ja auch, daß es absolut nicht so ist, daß ein sehr großer Prozentsatz unserer Vorschläge keine Besserstellung bringen werde.
— Ich will mich durchaus auch dazu äußern. — Unser Rentenmehrbetragsgesetz geht davon aus
— das wissen Sie sehr genau, und deshalb muß es auch so aussehen —, daß eine lebenslange Arbeit, von deren Ertrag Beiträge geleistet wurden, die vor 1923 oder 1939 liegen, auch belohnt wird,
und wir sind der Meinung, daß das mit diesen Beiträgen in eine unmittelbare Beziehung gebracht werden muß.
— Sicher hat er auch gearbeitet, das bestreitet ja keiner!
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon festgestellt, daß das Rentenmehrbetragsgesetz durchaus eine Besserstellung in bezug auf IV und AV gebracht hat. Wir sind der Meinung, daß das jetzt nur noch verstärkt werden kann. Wir sind aber auch der Meinung, daß die Arbeit, die mit dem Rentenmehrbetragsgesetz zusammenhängt, bei den Rentenversicherungsträgern die Bearbeitung der neuen Eingänge nicht verzögern soll. Darum haben wir Ihnen vorgeschlagen, eine Sechsmonatsfrist einzuschieben und eine Vorauszahlung von mindestens 20 DM vorzusehen, die wiederum, wie im vorigen Jahr, nicht angerechnet werden sollen. Dabei, Herr Professor Schellenberg, befinden wir uns in Übereinstimmung darüber, daß das, was wir an Zusätzlichem gewähren wollen, sogar mehr ist als das Zusätzliche nach Ihrem Vorschlag. Sie sehen 100 DM bei jeweils 4 Monaten vor, während nach unserem Vorschlag nach dem vorjährigen Rentenmehrbetragsgesetz die monatliche Leistung 30 DM, d. h. in vier Monaten 120 DM, nicht übersteigen darf.