Rede von
Dr.
Kurt
Schmücker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gestern davor gewarnt, Gruppenziele als konjunkturpolitische Erfordernisse zu deklarieren und Maßnahmen zu verlangen, die unsere Sorgen, statt sie zu beheben, nur verschlimmern müßten. Ich meine, Professor Erhard hat mit dieser Warnung recht. Meine Fraktionsfreunde und ich haben uns daher auch seit Jahren bemüht, nicht nur in allgemeinen Redewendungen, sondern verstärkt gerade in den Gruppen, in denen wir zu Hause sind, den Grundsatz von der Einheit der Wirtschaft zur Anerkennung zu bringen. Ich möchte auch bei dieser Aussprache mit Nachdruck betonen dürfen, daß wir es für töricht halten, die deutsche Wirtschaft in tausend Kästchen und Grüppchen einzuteilen und jedem Splitter dann noch zu erlauben, sich selbst für den Angelpunkt des Ganzen zu halten.
Die Einheit der Wirtschaft ist so wichtig, daß man sich redlich immer wieder um sie bemühen muß. Aber, meine verehrten Damen und Herren, mit Worten allein ist hier wenig getan. Wir haben in den letzten Monaten der Konjunkturdebatte festgestellt, daß etliche von denen, die laut von der gesamten Volkswirtschaft, von ihrer Einheit reden, gar nicht die gesamte Wirtschaft meinen, sondern in erster Linie sich selber und zur Not vielleicht noch ein paar andere dazu. Auch die besten Prinzipien haben halt ihre egoistischen Schwächen, und Glück hat derjenige, der sein eigenes Interesse unter dem Zeichen eines gemeinnützigen Prinzips in guter Obhut weiß. An diese glücklichen Leute denke ich stets, wenn ich das Schlagwort vom Automatismus höre. Automatismus
ist nach unserer Erfahrung häufiger eine Ausrede als eine wirtschaftspolitische Überzeugung. Es ist nicht wahr, daß, wenn es erst einigen gut geht, automatisch bald allen gut gehen muß. Im Gegenteil, wenn es dem einen oder andern zu gut geht, dann besteht die Gefahr, daß es anderen schlechter gehen muß,
weil auf die Dauer niemand zu Lasten eines anderen einen Vorteil für sich ziehen kann.
Die deutsche Volkswirtschaft ist Gott sei Dank noch so vielgestaltig, daß sie sich nicht in ein Schema pressen läßt. Wenn daher bei den Überlegungen immer wieder Einzelprobleme angegangen werden müssen, dann sollte man nicht gleich einen verderblichen Egoismus wittern
oder sagen, daß diese Dinge nicht zum Thema gehören. Besonders dann nicht, wenn diese Einzelprobleme aus Bezirken kommen, die man doch wohl als die wirtschaftlich schwächeren bezeichnen muß. Um es noch einmal, aber anders zu sagen: Es ist sicher richtig, bei einer umfassenden Konjunkturdebatte nicht zu sehr in die Einzelheiten einzusteigen, wenngleich es letztlich ja immer wieder auf diese Einzelheiten ankommt. Aber man sollte bei der Erörterung der großen Zusammenhänge der Wirtschaft nicht die Worte umstellen und am Ende nur noch über die Zusammenhänge der großen Wirtschaft reden. Das ist in den letzten Monaten überwiegend geschehen. Man konnte annehmen, daß es bei uns, abgesehen von einigen Ernährungshandwerkern, nur eine großindustrielle Wirtschaft gebe. Dabei ist die deutsche Wirtschaft wie seit der ersten statistischen Durchzählung vor 70 Jahren immer noch überwiegend mittelständisch. Noch heute sind über 99 % aller Betriebe Klein- und Mittelbetriebe,
und über 70 % aller Erwerbstätigen sind in Klein- und Mittelbetrieben von Gewerbe und Landwirtschaft beschäftigt.
Es wäre uns sicherlich manche Sorge erspart geblieben, wenn man dieser Struktur der deutschen
Wirtschaft etwas mehr Beachtung geschenkt hätte.
Gestern und heute ist übereinstimmend gesagt worden, daß keine akute Gefahr besteht und daß mögliche Schwierigkeiten aus dem unzureichend werdenden Arbeitsmarkt herrühren. Dr. Hellwig zog sehr richtig die Konsequenz, indem er erklärte, daß wir von der extensiven zur intensiven Kapazitätsausweitung übergehen müssen. Meine Damen und Herren, das ist doch gerade das, was wir zu den mittelständischen Problemen gesagt oder als mittelständischen Beitrag zu den wirtschaftlichen Problemen der letzten Jahre geleistet haben. Nirgendwo — das erkenenen Sie schon aus dem Umfang des Anteils der mittelständischen Wirtschaft an der Gesamtheit — stecken so viele Produktionsreserven wie im gewerblichen Mittelstand.
Durch eine rationelle Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten und durch eine Modernisierung der Betriebe wird der Wirtschaft, aber auch unserer Gesellschaft strukturell geholfen.
Vernachlässigen wir diese soziologische Seite nicht, auch wenn Konjunkturpolitik auf der Tagesordnung steht. Betriebe, Produktionen und Beschäftigtenziffern sind schließlich nicht nur technische Zahlen einer Statistik, sondern Aussagen über Schicksale von Menschen.
Ich bin sicherlich sehr für eine nüchterne Versachlichung unserer Diskussionen. Aber wenn man immer wieder spürt, daß die sogenannten großen Zusammenhänge, gleichgültig, welches Thema gerade behandelt wird, mit ihrem unvermeidbaren Schematismus der Praxis der kleineren und mittleren Wirtschaft in Gewerbe und Landwirtschaft nicht gerecht werden, dann ergreift man jede Gelegenheit, auf diesen Mangel hinzuweisen.
Ich erinnere darum auch jetzt noch einmal daran, daß der größere Teil der deutschen Wirtschaft mittelständisch ist.
Hat z. B. die Bank deutscher Länder daran gedacht, als sie am 3. August die Bremse zog? Zugegeben, daß diese Maßnahme unvermeidbar war. Aber wer hat denn ihre Härte zu spüren bekommen? Doch nicht die größeren, sondern die kleineren Betriebe!
Man spricht vom allgemeinen Investitionsstopp. Wäre es nicht gut, auch davon zu reden, daß diejenigen, die Gott sei Dank aufgeholt haben, nun erst einmal warten müssen, bis diejenigen, die infolge nicht selbstverschuldeter Umstände haben warten müssen, nachziehen können?
Ich finde — um es mit einer kleinen Übertreibung zu sagen — eine Investitionshilfe für den gewerblichen Mittelstand in nichts absurder als die Investitionshilfe, die wir hinter uns haben.
Die CDU/CSU hat Ihnen mehrere Anträge vorgelegt. In allen diesen Anträgen berücksichtigt sie die Beteiligung des Mittelstandes an den konjunkturpolitischen Maßnahmen, und zwar immer mit dem Ziel, die Produktivität dieser Betriebe zum Vorteil der Gesamtwirtschaft zu steigern und bei einer eventuellen Abwanderung von Arbeitskräften aus diesen Betrieben den Mittelstand durch weitere Technisierung dennoch stabil zu halten. Aber das bedeutet in vielen Fällen vorab den Abbau von altüberlieferten, aber darum noch nicht gerechtfertigten Benachteiligungen. Ich darf rein der Reihenfolge nach ganz kurz die Anträge erläutern.
Im Antrag Drucksache 1754, der die Energiefragen betrifft, haben wir bewußt das Problem der unterschiedlichen Preisgestaltung in gleichen Abnehmergruppen angesprochen, und zwar deswegen, weil zu einer Aufrechterhaltung einer gesunden Konjunktur ein fairer Wettbewerb mit gleichen Startbedingungen gehört. Der Wettbewerb wird aber weitgehend dadurch gestört, daß schon die Voraussetzungen für die Beteiligten unterschiedlich sind.
Im Antrag Drucksache 1751 haben wir zum wiederholten Male das Problem der öffentlichen Aufträge angesprochen. Hier sehen Sie ganz deutlich das echte konjunkturpolitische Anliegen. Der öffentliche Auftraggeber hat es natürlich sehr leicht, wenn er sich in bequemen großen Losen mit einzelnen großen Unternehmern auseinandersetzt. Aber
ein zusammengeballter öffentlicher Auftrag verführt doch gerade die Unternehmen dazu, ihre Kapazitäten unsinnigerweise zu erweitern, während andere ihre Kapazitäten brachliegen lassen müssen. Also gerade mit dem Mittel des öffentlichen Auftrags wäre die öffentliche Hand in der Lage, eine gute, eine bessere Konjunkturpolitik zu betreiben.
Wir wissen sehr gut, daß der Bund hier nicht allein zuständig ist. Aber wir sprechen ja hier nicht nur zu unseren Bürgern als Bundesbürgern, sondern auch zu unseren Bürgern als Bürgern der Gemeinden und Länder. Wir meinen, daß im öffentlichen Auftrag die Chance besteht, noch sehr umfangreiche Produktionsreserven auszunutzen.
Dann zu unseren Kreditwünschen! Herr Dr. Deist hat gemeint, daß die Wünsche an sich berechtigt seien. Er hat sich sogar — meiner Meinung nach mit Recht — darüber beklagt, daß zu wenig getan worden ist. Aber er hat die Ansicht geäußert, diese Kreditwünsche gehörten nicht hierher. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat — ich glaube, es ist der Punkt 10 der Regierungserklärung — darauf hingewiesen, daß das Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen einen maßgebenden Anteil an der Erhaltung einer gesunden Konjunktur haben könnte. Das bedeutet doch nichts anderes, als daß der Wettbewerb zu diesen Problemen gehört. Aber gerade die Benachteiligung auf dem Kreditmarkt stellt für unsere kleineren Betriebe die größte Wettbewerbsbehinderung dar. Wir müssen sie in den Stand setzen, den Wettbewerb, den wir wollen, auch durchzustehen. Darum sollten wir uns nicht stur an ein Thema halten, sondern auch die Auswirkungen bedenken und den Mut haben, diese Dinge vorzutragen. Ich bin der Auffassung, daß wir durch Kreditmaßnahmen—immer zum Zwecke der Rationalisierung und zur Steigerung der Produktion, zur intensiven Verbesserung der Leistung der Betriebe — ein gutes Mittel in die Hand bekommen, unsere konjunkturelle Lage zu verbessern.
Nun einiges zu den Ausführungen des Herrn Finanzministers! Wenn er gesprochen hat, dann hat man meistens keinen Mut mehr, den Mund aufzutun. Er macht das so geschickt,
er hat so viele und vor allen Dingen so hohe Zahlen zur Verfügung, daß man als kleiner Mittelständler gar nicht dagegen ankommt. Aber, Herr Finanzminister, eine Lücke finde ich in Ihren Ausführungen immer wieder. Sie unterstellen, die Verteilung der Steuern sei gerecht. Unsere Klage ist doch gerade die, daß die Verpackung falsch ist, daß wir durch das heutige Steuersystem eine unterschiedliche Wettbewerbslage schaffen. Das trifft ganz besonders für die Umsatzsteuer zu. Die kumulative Wirkung der deutschen Umsatzsteuer ist so ungeheuerlich, daß einzelne Wirtschaftszweige, obwohl sie in ihrer Zusammenfassung volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich unrentabel sind, Kalkulationsvorteile bis zu 8 und 9 % haben.
Man kann doch eine Steuerdebatte nicht nur darüber führen, ob man senken oder heben will, sondern man muß sich noch mehr darum bemühen, die Lasten gerecht zu verteilen. Nun weiß ich wohl, daß die Kraft der Tatsachen sehr groß ist und daß
man eine solche Besserung fast immer nur dann erreichen kann, wenn man die Möglichkeit hat, Steuern zu senken. Darum möchten wir gerade in diesem Augenblick, wo die Steuern gesenkt werden — egal welche —, darauf hinweisen, daß die Verpackung der deutschen Steuern, die Verteilung der Steuerlast gerechter werden muß. Dazu gehört das Problem der Ehegattenbesteuerung, dazu gehört das Problem einer Alterssicherung, dazu gehört auch das Problem der steuerlichen Berücksichtigung der Berufsausbildung, das in unserem Steuerantrag nicht angesprochen worden ist, und dazu gehören auch die Realsteuern.
Einer meiner Vorredner hat schon gesagt, daß die Gewerbesteuer doch nur eine zusätzliche Einkommensteuer für die Gewerbetreibenden ist. Ich will gar nicht so weit gehen. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Art der Veranlagung so unterschiedlich ist — leider zum Nachteil der Kleineren —, daß wir an eine Änderung herangehen müssen. Wir müssen auch die alte Forderung nach Anrechnung eines Unternehmerlohns wieder aufgreifen. Denn die Bevorzugung gerade der Kapitalgesellschaften gegenüber den Einzelunternehmern ist zu groß und beeinträchtigt den Wettbewerb zu sehr, als daß wir sie noch länger zulassen könnten.
Die von mir noch einmal hervorgehobenen Punkte sollen in den Rahmen des Gesamtprogramms gestellt werden. Ich darf wohl behaupten, daß sie keine egoistischen Gruppenwünsche darstellen, sondern daß sie gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechen. Sie sollen mithelfen, unsere soziale Marktwirtschaft in Funktion zu halten. Je mehr Anbieter bei ausreichender Ware, um so besser funktioniert der Markt und um so gerechter ist auch die Verteilung des gesamten Volkseinkommens. Sorgen wir also bei unseren konjunkturellen Maßnahmen dafür, daß sie die Struktur unserer Wirtschaft mit ihrer gesunden Gliederung von Klein-, Mittel- und Großbetrieben festigen helfen! Dann haben alle ihren Vorteil. Nur eine vielgestaltige Wirtschaft hat einen echten Wettbewerb, in dem wir gerade jetzt wieder den unentbehrlichen Motor des Ganzen erkennen.
Noch eins, meine Damen und Herren. Halten wir das freie Wagnis der selbständigen wirtschaftlichen Betätigung für jedermann offen, nicht zuletzt dadurch, daß wir dieses Wagnis lohnenswert machen. Viele Menschen, besonders auch in der Zone, warten auf diese Freiheit.
Sorgen wir dafür, daß sie unserem Volke erhalten bleibt!