Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnah-
meregelungen
– Drucksache 15/119 –
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Abbau von Steuervergünstigungen und Aus-
nahmeregelungen
– Drucksachen 15/287, 15/312 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
– Drucksachen 15/480, 15/481 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Dr. Michael Meister
Kerstin Andreae
Dr. Andreas Pinkwart
– Drucksache 15/487 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig Thiele,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eigenheimerwerb nicht erschweren – weitere
Belastungen für Beschäftigte und Betriebe der
Bauwirtschaft und für Familien vermeiden
– Drucksachen 15/33, 15/480, 15/481 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz
Dr. Michael Meister
Kerstin Andreae
Dr. Andreas Pinkwart
Zu den Gesetzentwürfen liegt je ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP
vor. Über die Gesetzentwürfe stimmen wir später in einer
namentlichen Abstimmung ab.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister Hans Eichel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! In einer wirtschaftlichen Schwächephase, in der wiruns ohne Zweifel befinden,
brauchen wir eine Politik der Verlässlichkeit und einePolitik der Wachstumsförderung.
Dazu gehört die Konsolidierung der öffentlichen Finan-zen als ein zwingender, aber natürlich nicht zureichender
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Bundesminister Hans EichelBestandteil. Das heißt, auch hier muss finanzpolitischKurs gehalten werden. Denn das einfache Ausweichen inzusätzliche Schulden durch eigene Entscheidung – mankann das übrigens zurzeit in den Vereinigten Staaten be-obachten; die Wirtschaftswissenschaftler üben daran Kri-tik – heißt nichts anderes, als die zukünftigen Spielräume,die wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, wiederzu verengen.Deswegen haben wir für dieses Jahr eine Haushalts-konzeption auf den Tisch gelegt, die dazu führt, dass wirunter der Voraussetzung – ich nenne ausdrücklich die Be-dingungen; diese waren stets klar, werden aber immerwieder unterschlagen –, dass wir in diesem Jahr ein Wirt-schaftswachstum von 1 Prozent haben,
die Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes gerade noch einhalten können.
Das sollten wir alle anstreben.
Zu diesem Zwecke haben wir ein Haushaltskonzeptvorgelegt, in dem Einsparungen überwiegend auf derAusgabenseite vorgesehen sind, und zwar in den Berei-chen, in denen es nicht konjunkturschädlich, aber sozialauch nicht einfach ist.
– Ich komme sofort zu diesem Thema. Aber Sie könnensich nicht aus diesem Zusammenhang herausstehlen, sehrverehrte Frau Kollegin. – Keine Zuschüsse an die Bun-desanstalt für Arbeit zu zahlen ist in der Tat ein harterWeg. Aber er muss gegangen werden.
Wir brauchen zudem den Abbau von Finanzhilfen, vonSubventionen. Genau dies tun wir.Es ist übrigens eine spannende Veranstaltung, wennman sich Ihre Praxis ansieht. Als Sie Subventionsbe-richte vorgelegt haben, waren Sie im Hinblick auf die De-finition dessen, was eine Subvention ist, sehr vorsichtig.Umso verschwenderischer sind Sie heute mit den Anga-ben, welche Finanzmittel man einsparen könne, wennman Subventionen abbaut. Hätten Sie zu Ihrer Regie-rungszeit die Subventionen richtig definiert, wären wir ei-nen kleinen Schritt weiter.
Die Finanzhilfen sinken von 11,4 Milliarden Euro– dies war der Betrag im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit –auf 7,8 Milliarden Euro in diesem Jahr, das heißt um mehrals 30 Prozent. Was nicht gekürzt, sondern aufgestocktwird – das ist in dieser Situation richtig –, sind die Inves-titionen. Das gilt für alle Zukunftsaufgaben.Subventionen gibt es nicht nur auf der Ausgabenseite,sondern auch auf der Einnahmeseite. Sie sind im Steuer-recht in großem Maße vorhanden. Das sind nämlich all dieSonderregelungen, die Lobbygruppen für ihren Bereichdurchgesetzt haben.
So weit – abstrakt – folgen Sie von der Opposition inIhren Programmen dieser Argumentation. Sie reden dieganze Zeit davon, man müsse alle Sondertatbeständeabbauen, man müsse die Basis der Besteuerung ordentlichverbreitern
und anschließend die Steuersätze senken.
Das ist wunderbar. Aber wenn es konkret wird – darüberwerden wir gleich reden –, sind Sie jedes Mal nicht dabei,sondern klemmen sich hinter jede Lobbygruppe und ver-teidigen deren spezielles Privileg im Steuerrecht.
Wir werden die Konsolidierung der Staatsfinanzennicht alleine über die Ausgabenseite erreichen. Wir brau-chen auch eine Stabilisierung und Verbreiterung der Steu-erbasis. Das ist übrigens gemeinsame Programmatik allerin diesem Hause vertretenen Parteien. Ich prüfe jetzt beiIhnen ab, inwieweit Ihnen das Ernst ist.Das Gesetz, über das wir heute reden, ist Bestandteilder Haushaltsstrategie, die ich eben geschildert habe unddie übrigens für den Gesamtstaat gemacht werden muss.Die Verantwortung dafür, dass wir unsere Verpflichtun-gen im Rahmen des europäischen Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes einhalten, haben der Bundestag und der Bun-desrat. Der Bund darf übrigens ab dem Jahre 2004 – dasist das Zugeständnis, das ich den Ländern gemacht habe –nur noch 45 Prozent des gesamtstaatlichen Defizits, dasdann nach Maastricht noch zulässig ist, haben. Das betrifftden Bundeshaushalt und die sozialen Sicherungssysteme.Damit wissen wir, welche enorme Konsolidierungsauf-gabe wir zu leisten haben.55 Prozent verbleiben für die Länder. Zu den Länderngehören verfassungsrechtlich die Gemeinden. Das bedeu-tet erstens, dass wir eine Mitverantwortung haben, soweites um Bundesgesetze geht, und zweitens, dass 55 Prozentder Verantwortung für das gesamtstaatliche Defizit beiden Ländern und mit ihnen bei den Kommunen liegen.Das wird sich erweisen müssen, wenn jetzt über diesesGesetz entschieden wird.Meine Damen und Herren, diesem Gesetz liegen vierPrinzipien zugrunde.Erstes Prinzip. Wir müssen die Besteuerung, die wirvorschreiben, auch durchsetzen. Es kann nicht wie beidem sein, was man – der Name ist falsch gewählt – die
2222
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2223
Spekulationsteuer nennt, also bei der einjährigen Be-grenzung, wo wir die Besteuerung nicht durchsetzen kön-nen. Vor dem Verfassungsgericht wird die Verfassungs-widrigkeit dieser Regelung beklagt, weil 95 Prozent derBetroffenen ihre Gewinne, die sie versteuern müssen,nicht melden.Ich sage das Folgende nicht, um einen Streit vomZaune zu brechen, sondern weil ich darum werbe undweiß, dass wir Mehrheiten im Bundestag und im Bundes-rat brauchen und dass sie unterschiedlich gelagert sind: Esgeht nicht um den gläsernen Bürger. Es interessiert michüberhaupt nicht, was auf den Konten der Bürger passiert.Es geht auch nicht um die Bundesverwaltung, sondern umLänderverwaltungen. Aber über zwei Dinge sollte doch indiesem Hause Einvernehmen bestehen:Zum einen darf nichts strafrechtlich Relevantes auf denKonten passieren, etwa im Zusammenhang mit Geldwä-sche und Drogenhandel. So etwas müssen wir bekämpfen;das kann doch nicht streitig sein.
Wir haben es erst am Ende der vergangenen Wahlperiodegeschafft, das wirklich durchzusetzen. So lange hatDeutschland gebraucht, um die internationalen Standardsanzuwenden, um Drogenhandel und Geldwäsche im Fi-nanzsystem richtig zu bekämpfen. Ich hatte unter meinenFinanzministerkollegen keinen leichten Stand und musstesagen: Deutscher Föderalismus und anderes stehen demim Weg.Zum anderen müssen wir gemeinsam der Auffassungsein, dass die steuerlich relevanten Tatbestände der Be-steuerung auch zugeführt werden müssen. Da ist mir je-des Mittel, wie wir es ganz einfach hinbekommen, recht.
Dabei geht es gar nicht darum, dass der Staat auf die Kon-ten gucken soll. Das ist nicht das Thema. Aber schauenSie sich bitte an, wie das in den Vereinigten Staaten, inGroßbritannien, in Frankreich, in Spanien, in Schwedengeregelt wird. Warum haben wir dann solche Probleme?Ich biete eine konstruktive Debatte darüber an, wie wires so einfach wie irgend möglich erreichen, dass wir ganzschlicht die steuerbaren Tatbestände wie bei der Lohn-steuer so auch bei der Kapitalertragsteuer erfassen, ohneden gläsernen Bürger zu schaffen. Darauf kommt es an.Zweites Prinzip. Unternehmen, die Gewinne machen,sollen auch Steuern zahlen. Sie haben im Wahlkampf einenPunkt zu Recht benannt: die Körperschaftsteuer.Sie habendas meiner Meinung nach aber nicht mit den richtigen Ar-gumenten getan. Wir sind jedoch darauf eingegangen underwarten jetzt, dass es dazu eine konstruktive Debatte gibt.Bei dieser Gelegenheit will ich darauf hinweisen, dassnur in wenigen Ländern dieser Erde Verlustvorträge in derForm vorgenommen werden können, wie das in Deutsch-land möglich ist. Das ist ein zentraler Punkt, über den wirreden müssen.Ein anderer Punkt betrifft die Gestaltungsmöglichkei-ten hinsichtlich der Organschaft. Es ist völlig in Ordnung,wenn Unternehmen, die wirtschaftlich eng miteinanderverbunden sind, die Verluste und Gewinne gegeneinanderverrechnen können; denn anderenfalls würden wir siezwingen, sich in Stammhauskonzerne umzuwandeln. Wirsollten mit dem Steuerrecht nicht die Rechtsform und dieOrganisationsform der Unternehmen präjudizieren.
Der Weg, den wir in diesem Bereich mit unserer Steuer-reform gegangen sind, ist in Ordnung. Nicht in Ordnungdagegen ist, wenn sich Unternehmen, die wirtschaftlichnichts miteinander zu tun haben, durch Gründung vonTochtergesellschaften in die Lage versetzen, Gewinneund Verluste gegeneinander zu verrechnen. Das ist einzentrales Thema.
Zum dritten Prinzip. Wir müssen dafür sorgen, dass derermäßigte Mehrwertsteuersatz so eingesetzt wird, wieer ursprünglich gemeint war, nämlich um eine sozialeKomponente bei der Mehrwertsteuer zu haben. Das trifftauf Grundnahrungsmittel, kulturelle Grundbedürfnissesowie den öffentlichen Personennah- und künftig auch aufden öffentlichen Personenfernverkehr zu.Wenn ich mir Ihren Subventionsbericht ansehe, dannwird deutlich, dass Sie dort Klientelismus betreiben. InIhrem Subventionsbericht von 1998 ist die Steuerver-günstigung bei der Mehrwertsteuer für Zahntechniker alsSubvention geführt worden. Ich möchte von Ihnen wis-sen, wie Sie sich hierzu verhalten: Sie selber haben inIhrer Regierungszeit den ermäßigten Mehrwertsteuersatzfür Zahntechniker im Subventionsbericht als Subventiongeführt.
Wenn Sie dem jetzt nicht nachkommen, dann kann ichIhnen voraussagen, wie die Diskussion um die Reform imGesundheitswesen laufen wird – sie ist schon im Gange;Sie sind schon auf den Leim gegangen –: Dadurch, dassder einen Gruppe der ermäßigte Mehrwertsteuersatz zu-gestanden wird – die Zahntechniker sind die Einzigen imGesundheitswesen –, wird die Tür natürlich weiter auf-gemacht und alle anderen Gruppen im Gesundheitswesenwollen das Gleiche für sich beanspruchen. Ich habe schongelesen, dass Sie im Kampf mit der Pharmaindustrie undden Apothekern nachgeben wollen – das ist ganz einfach –und auch Medikamente in den ermäßigten Mehrwertsteu-ersatz lassen wollen. So werden Sie eine Reform der So-zialsysteme, eine Begrenzung der Lohnnebenkosten undeine Senkung der Steuer- und Abgabenlast nie hinbekom-men.
Denn es müssen in den Systemen die Rationalisierungs-und Effizienzreserven gehoben werden und es darf nichtzusätzliches Geld in das System hineingesteckt werden.Wenn wir das machen, dann haben wir diese Auseinan-dersetzung bereits verloren. Wenn Sie diesen Weg gehen,dann reden Sie bitte nicht mehr von einer Finanzpolitik,Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Bundesminister Hans Eicheldie wachstumsfördernd ist und die strukturelle Defiziteabbauen wird.Ich komme nun auf bestehende Gemeinsamkeitenzurück. Es gibt also eine gemeinsame Position aus IhrerRegierungszeit und aus unserer. Sie sind auf die Probe ge-stellt, ob Sie auch jetzt noch zu ihr stehen und sie durch-halten.Viertes und letztes Prinzip. Es geht um den Abbau vonSteuervergünstigungen. Die Sache ist ganz einfach: Je-der, der den Normalsatz bezahlt, bezahlt diese mit. Diegrößte Vergünstigung – damit bin ich wieder beim ThemaSubvention – ist die Eigenheimzulage. Diese steht imSubventionsbericht der Bundesregierung von 1998.
Nun machen Sie, da Sie die ganze Zeit sagen, Subventi-onsabbau sei die Lösung, doch Ernst damit. Führen Siediesen doch wenigstens in den Bereichen durch, die Sieselber als Subvention definiert haben.
Der Gedanke der Eigentumsförderung ist richtig; dasist gar keine Frage. Die Eigentumsförderung ist aberfalsch bei einem Wohnungsmarkt, der in Deutschlandzum größten Teil durch ein Überangebot gekennzeichnetist. Jährlich 10 Milliarden Euro an Subventionen hinein-zugeben ist weitaus schlimmer als das, was beim Bergbaupassiert. Beim Bergbau, dem einzigen großen Subven-tionsempfänger, werden die Subventionen jährlich zurück-gefahren. Das müssen wir festhalten.
Sie sind herzlich eingeladen, an dieser Stelle wenigs-tens Ihre Positionen, die Sie in Ihrer Regierungszeit ver-treten, aber nicht umgesetzt haben, mit uns zusammenumzusetzen. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass es dabei umeine viel stringentere grundsätzlichere Linie geht, bei derman anpacken muss.Ich kann verstehen: Eine Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage ist natürlich sehr viel leichter und schö-ner, wenn man gleichzeitig die Steuersätze senken kann.Die finanzielle Lage lässt dies aber nicht zu. Trotzdemwird es fast dazu kommen; denn die nächste Stufe derSteuersenkung wird zum 1. Januar 2004 umgesetzt, unddas meiste von dem, worüber wir hier diskutieren, wirdauch erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft treten. Das bedeu-tet, dass die Änderungen allenfalls mit einem halben odereinem Jahr Vorsprung, spätestens aber zum Zeitpunkt ei-ner weiteren Steuersenkung gültig werden. Dann werdendie Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und dieSenkung der Steuersätze gleichzeitig erfolgen. Auch daswar übrigens eine gemeinsame Position. Man wird sehen,wie es aussieht, wenn es Ernst wird.Ein finanzpolitisches Ziel ist, das strukturelle Defizit ineinem Gesamtkonzept so zurückzuführen, dass wir auchbei einem Wachstum von einem Prozent die Maastricht-Kriterien gerade noch einhalten können. Das sollte jedemin diesem Hause einen eigenen Einsatz Wert sein, zumalweil es eine gemeinsame Position beim Stabilitäts- undWachstumspakt war
Ich sage ausdrücklich, dass dafür auch der Bundesrat ver-antwortlich ist, in dem Sie die Mehrheit stellen.Meine Damen und Herren, wir sorgen für eine Ver-breiterung der Bemessungsgrundlage, eine Befestigungder Steuerbasis, eine Vereinfachung des Steuerrechts undSteuersenkungen. Eine solche Politik müsste auch in ei-ner gemeinsamen Verantwortung möglich sein. Ich willdarauf hinweisen, dass das jetzt Sache des Bundesratesist. Der Bundestag – dafür bin ich dankbar – wird den Ge-setzentwurf heute mit der Mehrheit der Koalition verab-schieden. Angesichts Ihrer eigenen Position sind Sie ein-geladen, sich sehr sorgfältig zu überlegen, ob Sie gegendieses Gesetz wirklich derart Front machen wollen. Sieverleugnen damit eine Reihe Ihrer eigenen Positionen.
Mit einiger Verwunderung habe ich gesehen, dass ei-nige Bundesländer, die offiziell erklären, gegen diesesGesetz zu sein, die Einnahmen aus diesem Gesetz gleich-wohl schon in ihren Haushalt für dieses Jahr eingestellthaben.
Hessen hat zum Beispiel 140 Millionen Euro in seinenHaushalt eingestellt.
– Ja, noch vor der Wahl. – Die Begründung lautete, dassdie Körperschaftsteuer reformiert werden soll.Meine Damen und Herren, wenn das gesamte Gesetz,das hier vorliegt, vollständig umgesetzt wird, bringt esdem Land Hessen in diesem Jahr nicht 140 MillionenEuro, sondern 122 Millionen Euro. Was heißt das eigent-lich? Ich bin sehr darauf gespannt, wie sich das Land Hes-sen angesichts der 140 Millionen Euro, die es aufgrundder Steuerrechtsänderung bei der Körperschaftsteuer inden Haushalt 2004 eingestellt hat, damit es überhaupt ei-nen verfassungsmäßigen Haushalt zuwege bringen kann,im Bundesrat verhalten wird.
Übrigens: Auch das Saarland hat seine Einnahmen ausdiesem Gesetz bereits in den Haushalt eingestellt.Das heißt aus meiner Sicht, dass wir nicht so weit aus-einander liegen, wie die wahlkämpfenden Politiker gele-gentlich glauben machen wollen.Wir alle brauchen nämlich eine Befestigung der Steu-erbasis. Damit es nicht zu falschen Zuweisungen kommt– daran sollten auch Sie von der Opposition im Deutschen
2224
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2225
Bundestag kein Interesse haben –, will ich hier mit Nach-druck festhalten, dass die Länder die Verantwortung fürdie Kommunalhaushalte haben. Wir machen Vorschlä-ge, die auch für die Kommunal- und die Länderhaushaltegut sind.
Das Spiel läuft aber nicht so, dass der Bund und der Bun-desfinanzminister die Verantwortung für alle Defizite tra-gen und die Länder sich zurücklehnen und ihren kon-struktiven Beitrag nicht leisten.Ich bin auf den weiteren Ablauf des Gesetzgebungs-vorhabens gespannt. Ich bin mir sicher, dass wir uns imVermittlungsausschuss wiedertreffen werden. Möglicher-weise wird es danach vernünftigere Ergebnisse geben, alsmancher aus der Oppositionen seinen Beiträgen heute be-haupten wird.
Ich erteile dem Kollegen Michael Meister, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Herr Bundesfinanzminister Eichel hat sein Statementzu Recht mit dem Hinweis auf die deutsche Wachstums-schwäche – das Restwachstum lag im vergangenen Jahrbei 0,2 Prozent – begonnen. Allerdings haben Sie verges-sen, darauf hinzuweisen, wer diese Wachstumsschwächeverursacht hat.Ihre Politik hat dafür gesorgt,
dass wir das vergangene Jahr mit einem Wachstum von0,2 Prozent abgeschlossen haben. Es liegt in Ihrer Verant-wortung, dass es in Deutschland vier Jahre lang perma-nent Steuererhöhungen gegeben hat. Damit haben Siedafür gesorgt, dass das Wachstum in Deutschland so nied-rig ausfällt.
Im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierungwurde gerade die Wachstumserwartung für das Jahr 2003von 1,5 Prozent auf 1 Prozent reduziert. Die Forschungs-institute gehen von niedrigeren Werten aus. Die Sachver-ständigen in der Anhörung am 15. Januar haben uns vo-rausgesagt: Wenn dieses Gesetz ins Bundesgesetzblattaufgenommen wird, wird das Wachstum noch einmal um0,5 Prozent zurückgehen.
Das heißt, dieses Gesetz ist ein Beitrag, um die Wachs-tumsschwäche zu verstärken. Er fördert eben nichtWachstum und Wirtschaft, Herr Bundesfinanzminister.
Unsere Forderung an die Bundesregierung ist: Wirbrauchen eine Politik für mehr Wachstum und mehr Be-schäftigung, keine Politik gegen Wachstum und Beschäf-tigung. Wenn Sie heute über 40 Steuererhöhungen be-schließen, dann ist das in dieser Lage ein fatales Signal andie Wirtschaft und die Konsumenten in diesem Land.Nehmen Sie von diesen Steuererhöhungen Abstand! Zie-hen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Befestigen Siedurch mehr Wachstum die Steuerbasis, die Sie angespro-chen haben!
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Recht gefor-dert: Wir brauchen eine Politik der Verlässlichkeit. Wirbrauchen mehr Vertrauen. Unsere Steuerpolitik soll beiden Handelnden in der Wirtschaft durch mehr Verläss-lichkeit Vertrauen schaffen. – Das Wirtschaftsklima in derBundesrepublik Deutschland wird durch die Diskussion,die diese Koalition und diese Bundesregierung in derSteuerpolitik führten, massiv beschädigt. Herr Bundes-kanzler Schröder würde, wenn er anwesend wäre, von ei-ner Steuerkakophonie in den letzten sechs Monaten spre-chen.
Kein Mensch konnte verfolgen, was dieser Gesetzentwurftatsächlich enthielt, weil sich die Meldungen über den In-halt täglich geändert haben. Dadurch haben Sie dazu bei-getragen, dass wir in Deutschland keine Politik der Ver-lässlichkeit mehr haben.
Nehmen wir einmal die Meldung zur Eigenheimzu-lage vom Anfang dieser Woche. Zunächst hatten Sie vor,diese Regelung rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahresin Kraft treten zu lassen. Jetzt geben Sie bekannt, dass dieNeuregelung erst am Tage der Verkündung in Kraft tretenwerde. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben die jungenMenschen in Deutschland, die Wohneigentum schaffenwollen, über sechs Monate lang verunsichert. Sie habenden Brand gelegt. Nachdem das Haus abgebrannt ist, betäti-gen Sie sich als Feuerlöscher. Es ist unglaubwürdig, wennSie von dieser Stelle aus mehr Verlässlichkeit fordern.
Wenn Sie von mehr Verlässlichkeit in der Politik spre-chen, dann schauen Sie sich einmal das Thema der Pri-vatnutzung von Dienstwagen an. Kein Mensch inDeutschland kann Ihnen sagen, welches Recht für die Pri-vatnutzung von Dienstwagen gerade gilt. Einerseits müs-sen die Menschen das Recht beachten, das heute im Bun-desgesetzblatt steht. Andererseits müssen sie auch dasberücksichtigen, was möglicherweise rückwirkend zumJahresanfang, wenn dieser Gesetzentwurf verabschiedetwird, beschlossen wurde. Herr Bundesfinanzminister, dasBundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Dr. Michael Meisterist vertrauensschädigend. Ziehen Sie diese Regelungzurück, um Vertrauen und Verlässlichkeit wieder herzu-stellen!
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben vergessen, dieLage am Arbeitsmarkt zu erwähnen. Die Zahl der Ar-beitslosen betrug im Januar 4,62Millionen. Seit Mitte desletzten Jahres gibt es eine dramatische Steigerung. DerChef der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, HerrGerster, hat für diesen Monat eine weitere Steigerung derArbeitslosenzahlen angekündigt. Der Zielwert dieserBundesregierung – ich will ihn einmal in Erinnerung ru-fen – lag nicht bei 4,62 oder 5 Millionen Arbeitslosen. Siehaben versprochen, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Mil-lionen zu senken.
Mit Ihrer Politik werden die Menschen 16 Milliar-den Euro weniger in der Tasche haben. Sie wollen diesesGeld den Konsumenten in diesem Land entziehen, diekaum noch konsumieren, weil sie total verunsichert sind.Sie wollen das Geld den Unternehmen entziehen, dieschon jetzt kaum noch investieren und bald noch wenigerinvestieren können. Sie entziehen auch der kommunalenEbene massiv Geld, die ebenfalls Investitionen benötigt,welche aber nicht getätigt werden können. Durch eine sol-che Politik des Geldentzugs schaffen Sie eine noch höhereArbeitslosigkeit in Deutschland. Kehren Sie um und neh-men Sie dieses Gesetz zurück! Machen Sie endlich einePolitik für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum indiesem Lande!
Ich bedaure, dass Herr BundeswirtschaftsministerClement heute Morgen nicht anwesend ist. Er hat uns invielen Reden verkündet, dass unser Land dringend mehrFlexibilität, mehr Freiheit und Bürokratieabbau braucht.Mit diesem Gesetzentwurf sollen so genannte Kontroll-mitteilungen für über 300 Millionen Konten mit Kapital-erträgen eingeführt werden. Das wird heute mit diesemGesetz beschlossen. Das fällt nach Ihrer Aussage unterdas Stichwort Bürokratieabbau.
Jedes Anlageinstitut muss die entsprechenden Erklärun-gen erstellen. Die Finanzverwaltung muss diese über300 Millionen Erklärungen bearbeiten. Auch der Bürgermuss sich damit auseinander setzen, wenn er seine Steuer-erklärung ausfüllen will.Das hat nichts mit Bürokratieabbau zu tun, sondern dasist Bürokratieaufbau. Dadurch entstehen zusätzliche Kos-ten und mehr Staat. Es wird damit zu einem Schnüffelstaatkommen.
An dieser Stelle möchte ich mich einmal ganz konkretan die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünenwenden. Meine Damen und Herren, Sie haben einen Ur-sprung. Ursprünglich haben Sie einmal gesagt, dass Da-tenschutz und informationelle Selbstbestimmung Wertesind, für die Sie in diesem Land kämpfen wollen. FrauScheel hat bis zum gestrigen Tage in jedem Pressestate-ment verkündet, dass Bündnis 90/Die Grünen Kontroll-mitteilungen nicht mittragen werden. Aber am letztenMittwoch gingen bei der Abstimmung im Finanzaus-schuss Ihre Arme hoch. Auch heute werden Sie bei der na-mentlichen Abstimmung Ihre Arme heben. Sie verratendamit ihre eigenen Wurzeln. Sie vertreten nicht mehr Ihreursprünglichen Ziele.
Sie kämpfen nicht mehr, wie etwa bei der Volksabstim-mung Ende der 80er-Jahre, für den Bürger in diesemLand, sondern Sie sind zur Staatspartei geworden.
Vor dem Hintergrund einer geplanten Zinsabgeltung-steuer sind Kontrollmitteilungen vollkommen überflüs-sig. Wir sind der Meinung, dass man auch bei anderen Ka-pitalerträgen zu einem Analogon zur Zinsabgeltungsteuerübergehen sollte. Dann brauchen wir auch an dieser Stellekeine Kontrollmitteilungen mehr.
Die Befürchtungen, die Sie, Herr Bundesfinanzminis-ter, allerdings wecken, wenn Sie jetzt Kontrollmitteilun-gen einführen, zeigen sich in der wabernden Debatte umdie Vermögensteuer und in der wabernden Debatte um dieFrage, ob man nicht auch Kapitalerträge als Bemessungs-grundlage für Sozialbeiträge heranziehen sollte.
Vor diesem Hintergrund stärken Sie nicht den FinanzplatzDeutschland und den Kapitalmarkt in Deutschland, son-dern schwächen ihn. Das hat nichts mit verlässlicher Po-litik zu tun. Sie zerstören an dieser Stelle Vertrauen undVerlässlichkeit.
Da wir über das Thema Bürokratie sprechen, möchteich auch einmal den Luftverkehr ansprechen. Hier habenSie ja jetzt vor, dass grenzüberschreitende Flüge in Zu-kunft der Umsatzsteuer unterworfen werden sollen. Sietun dies allerdings isoliert, nicht abgestimmt mit Ihren eu-ropäischen Partnern. Ich frage Sie: Was wollen Sie ma-chen, wenn jemand ohne Zwischenlandung in Deutsch-land von Rom nach London fliegt? Wie wollen Sie beimÜberflug über Deutschland den Umsatzsteueranteil erhe-ben? Wollen Sie das Flugzeug zur Zwischenlandungzwingen?
Da die Umsatzsteuer ja bereits beim Ticketkauf ent-richtet werden muss, frage ich Sie: Was machen Sie, wennein Flug plötzlich länger dauert, weil zum Beispiel derFlugplatz gesperrt ist oder eine Warteschleife geflogen
2226
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2227
werden muss? Wie berechnen Sie dann den inländischenStreckenanteil, Herr Bundesfinanzminister? Ihr Gesetz-entwurf führt zu einer Wahnsinnsbürokratie und zerstörtin Europa Vertrauen, weil Sie in einem isolierten Schrittvorgehen. So kann man keine verlässliche Steuerpolitikmachen. Auch an dieser Stelle schaffen Sie wieder eineMenge Bürokratie.
Herr Bundesfinanzminister, nun komme ich auf denPunkt Haushaltskonsolidierung zu sprechen. Wir sind unseinig: Wir wollen den Vertrag von Maastricht einhalten.
– Wir, Frau Kollegin, hatten einen BundesfinanzministerTheo Waigel, der den Vertrag von Maastricht und seineKriterien nach einem harten Kampf in Europa durchge-setzt hat. Wir haben die Maastricht-Kriterien in den Haus-haltsjahren bis 1998 eingehalten. Deshalb bekennen wiruns zu Maastricht und zur Haushaltskonsolidierung. Wirwollen den Vertrag einhalten und wir wollen die Haus-haltskonsolidierung erreichen.
Herr Bundesfinanzminister, Sie formulieren die Alter-native: entweder höhere Steuern oder höhere Schulden.Ich antworte Ihnen an dieser Stelle: Wenn Sie die Politik,die Sie heute in diesem Gesetzentwurf vorschlagen, fort-setzen, dann werden Sie durch Ihren Beschluss am Endesowohl höhere Steuern als auch höhere Schulden bekom-men, weil Sie das Wachstum massiv schädigen und da-durch die Einnahmen, die Sie erwarten, überhaupt nichtrealisieren können. Sie werden mit beidem enden: mithöheren Schulden und mit höheren Steuern.
Sie bauen an diesem zentralen Punkt die falsche Alter-native auf. Ihre Gedanken sind geprägt von rein fiskalisti-schem Denken.
Sie verlieren die volkswirtschaftlichen Zusammenhängevollkommen aus dem Blick. Deshalb muss die Politik, dieSie hier einschlagen, scheitern.
Wir fordern Sie auf – Sie nennen sich ja „Sparkom-missar“ –, Folgendes zu tun: Fangen Sie endlich an, auf derAusgabenseite des Bundeshaushaltes zu sparen, und be-haupten Sie nicht, dass Steuererhöhungen Sparpolitik seien!
Fangen Sie endlich an, bei Bürgern und Unternehmenwieder Vertrauen zu schaffen! Sie haben dieses Vertrauenin den vergangenen vier Jahren massiv gestört. FangenSie an, am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft mehr Fle-xibilität zuzulassen! Bringen Sie Ihre Fraktion dazu, dasssie hierbei zustimmt und dass nicht nur Mitglieder derBundesregierung darüber reden! Entlasten Sie endlichWirtschaft und Arbeitsmarkt von unnötiger Bürokratie!Dann wird es in Deutschland vorangehen. Dann werden wirweniger Schulden und niedrigere Steuern haben. Das errei-chen wir aber nicht durch das, was Sie hier vorschlagen.Sie haben über die Konsolidierung gesprochen. Dahermöchte ich noch ein Wort zu Ihrem Finanztableau sagen.Wir haben dieses Finanztableau im Finanzausschuss in-tensiv diskutiert. Den Mitarbeitern Ihres Ministeriums istes nicht gelungen, die Zahlen, die dort aufgeschriebensind, zu erhärten. Deshalb möchte ich massiv bezweifeln,dass die Zahlen, die Sie in das Finanztableau aufgenom-men haben, in irgendeiner Form fundiert sind. Es handeltsich um Beträge, die Sie aus der Luft gegriffen haben.Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wir ha-ben in der vergangenen Wahlperiode das Thema Alters-vorsorge diskutiert. Sie haben seinerzeit zu Recht fest-gestellt – darin sind wir einer Meinung –, dass diebetriebliche und die private Altersvorsorge gestärkt wer-den müssen.Was aber tun Sie mit diesem Gesetz? Wir wollen dieBürger ermuntern, mehr private Altersvorsorge zu betrei-ben, Sie aber besteuern den Wertzuwachs im privaten Be-reich. Damit setzen Sie ein absolut kontraproduktives Si-gnal, indem Sie denjenigen, der private Altersvorsorgebetreibt, plötzlich an dieser Stelle mit einer Steuer bele-gen. Sie machen bei der beliebtesten Form der privatenAltersvorsorge, nämlich dem Wohneigentum, einen Ein-schnitt, indem Sie an die Eigenheimzulage herangehen,Herr Bundesfinanzminister.Ich möchte daran erinnern, dass Ihre Fraktion gemein-sam mit uns die Eigenheimzulage beschlossen hat, undzwar wohl wissend, dass wir damit eine Subvention be-schließen. Das war der gemeinsame Wille des Gesetzge-bers. Ich bin der Meinung, dass man deshalb zu diesemWillen auch stehen sollte.
– Herr Binding, Sie haben doch zugestimmt. Sie warender Meinung, dass es richtig ist.
Selbst Ihr Bundeskanzler hat im August in einem Inter-view mit „Heim und Garten“ gesagt: Wir – damit hat erwahrscheinlich die SPD-Fraktion und die Bundesregie-rung gemeint – wollen an der Eigenheimzulage in unver-änderter Form festhalten.
Das war im August 2002. War das eine Täuschung? Hat ernicht gewusst, was er erzählt, oder hat er das gesagt, waseigentlich gelten sollte, was er aber vier Wochen späterwieder vergessen hatte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Sie haben – damit möchte ich zum Schluss kommen –das Stichwort Subventionen angesprochen, Herr Bun-desfinanzminister. Wir halten uns bei den Subventionenschlicht und ergreifend an das, was Sie als solche definieren.Sie als Bundesregierung verfassen schließlich den Subven-tionsbericht. Was darin erläutert ist, sind Subventionen, undwas Sie nicht aufführen, sind keine Subventionen.Von den Maßnahmen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurfvorsehen, sind 14 im Subventionsbericht aufgeführt; dieanderen sind keine Subventionen. Wenn Sie jetzt der Auf-fassung sind, dass wir an Subventionen herangehen unddie Bemessungsgrundlage der Besteuerung verbreiternsollten, dann sind wir unter der Voraussetzung mit Ihneneiner Meinung, dass Sie im gleichen Atemzug die Steuer-sätze senken. Das haben wir auf dem Petersberg vorge-schlagen und in diesem Hause mit unserer Mehrheit be-schlossen. Dazu müssen Sie uns also nicht auffordern. IhrAmtsvorgänger aus Ihrer Partei hat leider dafür gesorgt,dass dieses Gesetz niemals in Kraft getreten ist.Wenn Sie sich auf diesen von uns eingeschlagenenWeg begeben würden, dann hätten Sie uns auf Ihrer Seite.Diesen Weg würden wir mit beschreiten, weil dann in derSteuerpolitik in Deutschland tatsächlich etwas vorange-hen würde.Ich darf Sie auffordern: Ziehen Sie dieses Gesetz zu-rück, um Schaden von dem deutschen Volk abzuwenden.Danke schön.
Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eswar eine klassische Situation. Es war nämlich genau so,wie wir es von der Union seit Monaten kennen:
nur Kritik und Blockade, aber kein einziger Vorschlag,wie Sie die Staatsfinanzen in Deutschland für alle Ebenenin Ordnung bringen wollen.
Sie versuchen wieder, zu suggerieren – das grenzt anTäuschung der Bürger und Bürgerinnen –,
dass der Abbau von Steuervergünstigungen eine Steu-ererhöhung sei. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr wer-den diejenigen, die Steuern nach ihrer Leistungsfähigkeitzahlen, insgesamt belastet. Das haben wir konzeptionellso angelegt und das ist im Bundesgesetzblatt für die Jahre2004 und 2005 bereits verankert worden.
Es ist richtig, dass vieleBürger undBürgerinnennicht nurdenEindruck haben, dass unser Steuerrecht sehr kompliziertist, sondern auch, dass es tatsächlich sehr kompliziert ist.
Das bekommt man bei Veranstaltungen zu Recht von denMenschen zu hören. Dazu sage ich Ihnen: In Deutschlandwurde jahrzehntelang Gesellschaftspolitik über das Steuer-recht geregelt. Es ist alles im Steuerrecht geregelt: von derBauförderung über die Familienförderung und Kulturför-derung bis hin zu der Frage, welche Belastungen behinderteMenschen steuerlich geltend machen können, und vielesmehr. Fast jede Lebenssituation ist steuerlich geregelt.Was wir in Deutschland brauchen, ist ein klares Sys-tem, auf das wir mit der Senkung derTarife und der Ver-breiterung der Bemessungsgrundlage hinarbeiten. Dasist der einzige Weg, um zu einem vernünftigen Steuer-konzept in dieser Republik zu kommen.
Herr Meister, strengen Sie bitte Ihr Gedächtnis an. Esist zwar richtig, dass wir uns in einer wirtschaftlich sehrschwierigen Situation befinden,
dass es eine Wachstumsschwäche gibt und die Stimmungin unserem Land nicht gut ist. Das stimmt und das mussman auch konstatieren. Deshalb darf man den Leuten abernicht suggerieren, das Problem werde gelöst, indem wirSteuern, Abgaben und die Staatsquote senken und darüberhinaus jeder das bekommt, was er will. So kann man keineverantwortungsvolle Politik in diesem Land betreiben.
Ich schaue nicht gern zurück, sondern lieber nach vorn,aber man muss auch sehen, dass wir in den 90er-Jahrenzwei Jahre mit Minuswachstum zu verzeichnen hatten.Auch damals befanden wir uns in sehr schwierigen kon-junkturellen Situationen und das wissen auch Sie sehr gut.Jetzt so zu tun, als sei Deutschland fast schon ein Entwick-lungsland auf der untersten Stufe, ist unverantwortlich, undzwar nicht nur gegenüber den deutschen Investoren; es istauch deshalb unverantwortlich, weil im außereuropäischenBereich, aber auch innerhalb Europas dadurch zunehmendder Eindruck entsteht, als sei die Wirtschaft hier so am Bo-den, dass es sich für ausländische Investoren nicht mehrlohne, ihr Geld einzusetzen. Auch das hat überhaupt nichtsmit Verantwortung zu tun. Sie sorgen mit Ihren Übertrei-bungen, die der Situation nicht angemessen sind, aus-schließlich für eine miese Stimmung im Land.
2228
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2229
Wir haben eine Empfehlung des Rates der Europä-ischen Union zum Abbau eines übermäßigen Defizits inder Bundesrepublik erhalten; diese ist unmissverständ-lich. Wir müssen bis zum 21. Mai dieses Jahres unserKonsolidierungspaket von insgesamt 1 Prozent des Brutto-inlandsproduktes umsetzen. Dabei handelt es sich um diebekannten 14,3 Milliarden Euro, über die immer geredetwird. Diesen Beitrag brauchen wir, um aus dem eingelei-teten Defizitverfahren herauszukommen.Es ist eine Kraftanstrengung, die hier vorgenommenwerden muss. Der heute zu beschließende Gesetzentwurfist ein Bestandteil davon. Der Minister hat auf die Haus-haltssituation hingewiesen und die Einsparungen imHaushalt genannt. Wir wollen diesen Auftrag umsetzen,indem wir Steuerschlupflöcher schließen, steuerliche Ge-staltungsmöglichkeiten einschränken und Steuersubven-tionen abbauen. Das ist der Auftrag, den wir zu erfüllenhaben und den wir zu erfüllen gewillt sind.Die Union und auch die FDP – bei Ihnen klingt es ge-nauso – beantragen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Sie erweisen sich damit als Bewahrer und Bewahrerinnen,Frau Wülfing, von hohen Subventionen in diesem Landund Sie zeigen, dass Sie absolut kein Faible für die zwin-gend erforderliche Finanzpolitik in der Verantwortung ge-genüber dem Bund, den Ländern und vor allen Dingen ge-genüber unseren Kommunen haben.
Mit dieser Blockadehaltung kommt die Union nichtaus der Verantwortung heraus. Jeder weiß, dass Sie in derLänderkammer die Mehrheit haben und eine unmittelbareVerantwortung dafür tragen, dass die Länderhaushalteverfassungskonform aufgestellt werden können. Sie tra-gen darüber hinaus Verantwortung für den mit der EU ver-einbarten Konsolidierungskurs; denn die Länder stehenfür 55 Prozent des gesamtstaatlichen Defizits. Aus dieserVerantwortung werden Sie nicht entlassen.Der Minister hat darauf hingewiesen – das war füruns sehr interessant –, dass die Länderhaushalte für dasJahr 2003 so aufgestellt wurden, als gäbe es dieses Ge-setz bereits. Die Wählerinnen und Wähler sind doch imWahlkampf, vor allem in Hessen, getäuscht worden. Sohat Herr Koch das Geld, das ihm erst auf der Grundlagedes zu verabschiedenden Gesetzentwurfs zur Verfügungstehen wird, bereits in seinen Haushalt eingestellt, ob-wohl er behauptet, den Gesetzentwurf im Bundesrat ab-lehnen zu wollen. Das ist keine verantwortungsvollePolitik.
Die Union hat angekündigt, den Bundesrat nicht fürParteipolitik zu missbrauchen.
Das heißt im Klartext, dass Sie sich konstruktiv – Ver-weigerung und Blockade sind kein Konzept – an der Si-cherung der Einnahmen für alle Ebenen beteiligen. Dashaben einige von Ihnen und auch einige der von CDU undCSU geführten Bundesländer zumindest eine Zeit langangekündigt.
Wenn man sich aber die aktuellen Diskussionen in denMedien und bei Veranstaltungen, an denen Unionsvertre-ter teilnehmen, anhört, dann kommt man zu dem Schluss,dass dies nur eine Pose zu sein scheint. Interessant wird esja immer dann, wenn es konkret wird.
Die Vorstellungen der einzelnen Unionsvertreter ge-hen nämlich weit auseinander und vor allem wild durch-einander: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt,Herr Böhmer, und der Ministerpräsident des Saarlandes,Peter Müller, möchten wieder über eine Mehrwertsteuer-erhöhung diskutieren. Der baden-württembergische Fi-nanzminister, Herr Stratthaus, möchte gerne – das ist ja ei-gentlich kein Fehler – Personalausgaben einsparen. Derbayerische Finanzminister Faltlhauser glaubt nicht, dasssich mit Subventionsabbau viel erreichen lasse, währendMinisterpräsident Stoiber daran glaubt. Das alles finde icheigenartig. Man merkt, dass hinter dem, was Sie vorschla-gen – Sie sprechen immer von einer einheitlichen Linie;dabei kann die Uneinheitlichkeit jeden Tag nachgelesenwerden –, kein Konzept steckt. Es handelt sich vielmehrum Einzelmeinungen, die, je nachdem woher der Windgerade weht, von Ihrer Seite vorgetragen werden.
Sie haben vorgeschlagen, bei den Subventionen pau-schal zu streichen. Die einen reden von 10 Prozent, die an-deren von 15 Prozent. Die FDP möchte neuerdings– das habe ich jedenfalls gehört –, dass 20 Prozent gestri-chen werden. Ich bin gespannt, wie das weitergehen soll;denn auch Sie müssen einsehen, dass pauschale Kür-zungen – das erkennt man, wenn man den Subventions-bericht liest – den Abbau von Subventionen und Steuer-vergünstigungen bedeuten. Laut Subventionsbericht stehtdie Eigenheimzulage an erster Stelle bei den 20 größtenSteuervergünstigungen in der Bundesrepublik Deutsch-land. Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion,wenn Sie die Subventionen pauschal um 20 Prozent kür-zen wollen, dann müssen Sie auch sagen, wo gekürzt wer-den soll. Aber darüber hört man überhaupt nichts. Es wirdstattdessen einfach gesagt: Wir wollen pauschal 20 Pro-zent kürzen.Christine Scheel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Christine ScheelUnter den 20 größten Finanzhilfen und Steuervergüns-tigungen des Bundes befinden sich auch das Kindergeld– wir wollen das familienpolitisch sinnvoll regeln –, dieSteuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszu-schlägen und die Arbeitnehmersparzulage. Sie könnendas alles selber im Subventionsbericht nachlesen, in demdas alles auf einer Seite zusammengefasst ist. Ich wün-sche mir, dass die Zeitungen einmal darüber berichten,was Ihre Vorschläge eigentlich bedeuten. Dann wüsste dieBevölkerung endlich, dass die SPD zusammen mit unsvernünftig und zielgenau abbauen will, während Sie nachder Rasenmähermethode – Sie wollen die Existenzgrün-derdarlehen für kleine und mittlere Betriebe und die Mit-tel für die Forschung kürzen sowie die Gelder für denWohnungsbau zusammenstreichen, was gerade von HerrnMeister sehr bedauert wurde und was er der Regierungvorgeworfen hat – kürzen wollen. Bloß, Sie sprechen dieMaßnahmen, die Ihre Vorschläge zur Folge hätten, nichtan. Das finde ich unlauter. Man sollte auch sagen, wasman will, und darf nicht so tun, als ob das alles unproble-matisch wäre und als ob niemandem etwas weggenom-men würde, sondern – im Gegenteil – noch etwas hinzu-bekäme. So geht das nicht.
Noch im Wahlkampf hat die Union getönt, dassGroßunternehmenwieder mehr Steuern zahlen müssten.Das hat mich schon damals gewundert; denn der Vor-schlag der Union und der FDP, Subventionen und Steuer-vergünstigungen pauschal zu kürzen, macht ganz unmiss-verständlich klar – man muss sich nur die einzelnenBereiche genau anschauen –, worum es geht: Sie wollendie kleinen und mittleren Unternehmen belasten und diegroßen außen vor lassen; denn Sie haben angekündigt,dass Sie unsere Vorschläge zur Körperschaftsteuer nichtunterstützen wollten, und das, obwohl große Unterneh-men aufgrund Ihrer damaligen Gesetzgebung noch über15 Milliarden Euro Guthaben verfügen. Man muss eineRegelung finden, die gewährleistet, dass alle Unterneh-men wenigstens von nun an ihren Beitrag zum Gemein-wohl leisten. Es darf nicht länger so sein, dass große Un-ternehmen jahrelang aufgrund von Verlustverrechnungenin einer Größenordnung von 250 Milliarden Euro über-haupt keine Steuern mehr zahlen.
Wir sind der Auffassung, dass es richtig ist, dass in al-len Ressorts Kürzungen hingenommen werden müssen.Das Kürzen von Ausgaben allein reicht aber nicht. DieNeuverschuldung in diesem Jahr ist – auch das muss maneinmal klar sagen – die niedrigste seit der Wiedervereini-gung. Wir müssen darüber hinaus die Einnahmeseitestärken. Sie reden immer nur – ohne dabei konkret zu wer-den – über die Ausgabenseite, nie aber über die Einnah-meseite. Sie müssen hier endlich einmal Farbe bekennen.Sie müssen einmal sagen, wie Sie die Ausgaben verrin-gern und die Einnahmen erhöhen wollen.In den Ländern wurden die Bauinvestitionen dras-tisch, um mehr als 10 Prozent, zurückgefahren. So etwasmacht doch keinen Sinn. Wenn die Baukonjunktur lahmt,dann darf man nicht auf den Bund zeigen, sondern dannmuss man dafür sorgen, dass wir in diesem Land ver-nünftige und stabile Einnahmen haben. Wenn das der Fallist, dann werden die Bauinvestitionen, die getätigt werdenkönnen – 80 Prozent der Bauinvestitionen werden aufkommunaler Ebene vorgenommen –, auch getätigt. Wirbrauchen dieses Gesetz, um den Kommunen und den Län-dern wieder mehr Investitionsmöglichkeiten und mehrSpielräume zu geben, also um unserer Verpflichtung ins-gesamt nachzukommen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Frau Scheel, wir reden heute über das so genannteSteuervergünstigungsabbaugesetz. Herr Bundesfinanz-minister, Sie haben Ihre Rede mit einigen Aussagen be-gonnen, denen alle in diesem Hause zustimmen können.Sie haben gesagt, wir brauchten eine Politik der Verläss-lichkeit, eine Politik der Wachstumsförderung und wirmüssten das Konvergenzkriterium „Haushaltsdefizit ma-ximal 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes“ des europä-ischen Stabilitätspaktes einhalten. Das ist alles richtig.Nur, um Gottes willen, Herr Bundesfinanzminister,warum machen Sie keine Politik, die diesen Ansprüchengenügt?
Warum legen Sie uns hier dieses saumiserable Gesetzvor? Sie haben sich mit diesem Gesetz doch selbst be-schädigt. Es hat keine Initiative der Bundesregierung ge-geben, die das Ansehen der Bundesregierung so wie die-ses Gesetz herabgesetzt hat. Das Beste, was Sie tunkönnten, bevor dieses Gesetz im Bundesrat kassiert wird,ist, dass Sie es selbst zurückziehen. Aber Sie haben nichtden Mut, anzuerkennen, dass Sie hier etwas völligFalsches getan haben.
Herr Bundesfinanzminister, schon der Name diesesGesetzes – Steuervergünstigungsabbaugesetz – beinhalteteine Täuschung. Mit diesem Gesetz sind über 40 Steuer-erhöhungen verbunden; dennoch nennen Sie es „Steuer-vergünstigungsabbaugesetz“. Sie wollen den Menschendamit suggerieren, Sie beseitigten Ungerechtigkeiten.
Das ist alles falsch. In Wirklichkeit vergrößern Sie die An-zahl der Ungerechtigkeiten, die in unserem Steuersystemstecken, und Sie belasten einzelne Sektoren einseitig. Da-
2230
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2231
durch vertiefen Sie die steuerliche Ungerechtigkeit, die esin Deutschland gibt.
Es beginnt also schon mit einem Täuschungsmanöver.Sie sagten, von diesem Gesetz sollte grundsätzlich einewachstumsfördernde Wirkung ausgehen. Konjunkturpo-litisch ist dieses Gesetz Gift. Es wird die Wachstumskräfteschwächen und nicht steigern. Dieses Gesetz wird auchkeine strukturpolitischen Erfolge nach sich ziehen. Durchdieses Gesetz wird die Steuerstruktur nicht verbessert, al-lenfalls verschlimmbessert. Steuersystematisch ist diesesGesetz durch und durch verfehlt; deswegen dürfen wirdiesem Gesetz nicht zustimmen. Sie ermahnen uns, Ge-samtverantwortung zu tragen. Das darf aber doch nichtgeschehen, um falsche Gesetze zu beschließen.
Die FDP-Fraktion wird wie die CDU/CSU-Fraktion– sie hat das durch den Kollegen Meister eben auch an-gekündigt – diesem Gesetz in diesem Hause nicht zu-stimmen; sie wird es ablehnen. Die FDP wird in allenLandesregierungen, an denen sie beteiligt ist, dafür sor-gen, dass diesem Gesetz auch im Bundesrat nicht zuge-stimmt wird, dass es dort abgelehnt wird.
Die FDP-Fraktion wird den Vermittlungsausschussnicht anrufen. Wenn Sie im Vermittlungsausschuss einenletzten Rettungsversuch unternehmen wollen, dann habenSie das zu verantworten. Die Bundesregierung kann denVermittlungsausschuss anrufen. Wir werden das nicht tun,weil wir dieses Gesetz für durch und durch verfehlt hal-ten.Sie haben jetzt zuletzt noch einige Änderungen vorge-nommen. Sie haben die Belastungswirkung des Gesetzesvon ursprünglich über 17 Milliarden Euro auf 15,4 Milli-arden Euro gesenkt, indem Sie dem Gesetz einige Spitzengenommen haben oder Entscheidungen anderen Gesetz-gebungsvorhaben überlassen, beispielsweise den zunächstvorgesehenen gewerbesteuerlichen Regelungen.
Die Entscheidung darüber überlassen Sie jetzt sinnvoller-weise – das gebe ich zu – der Kommission zur Gemein-definanzreform. Damit bleibt aber die Bedrohung der Ein-schränkung der gewerbesteuerlichen Organschaft. Daswäre eine völlig falsche Maßnahme. Zu glauben, jetzt seidie Öffentlichkeit zufrieden, weil Sie die Belastungswir-kung um 10 Prozent reduziert haben, ist nun wirklich einIrrtum. Das wird niemand zu würdigen wissen.Noch eine zusätzliche Bemerkung zu der Frage derAuswirkungen auf die Gemeinden.Wir haben uns letzteWoche damit befasst. Wir, die CDU/CSU und der Bun-desrat – mit Zustimmung der FDP – haben beantragt, dieGewerbesteuerumlage von 30 Prozent wieder auf 20 Pro-zent zu senken. Das würde den Gemeinden in diesem JahrMehreinnahmen von gut 2 Milliarden bis 2,5 Milliar-den Euro bringen.
– Das hätte den Gemeinden dies gebracht.
– Das würde den Gemeinden rund 2,5Milliarden Euro zu-sätzlich bringen! Leugnen Sie die Wahrheit nicht ab! Dassteht doch im Gesetz.
Ihre Steuererhöhungsmaßnahmen führen jetzt zu einerVerbesserung der Finanzlage der Gemeinden um 283Mil-lionen Euro, also gerade 10 Prozent davon. Das ist aucheine Frage der Glaubwürdigkeit in der Diskussion um dieGemeindefinanzen, meine Damen und Herren. Da könnenSie die Gemeindekämmerer nicht hinters Licht führen.Damit haben Sie sich an den Gemeindefinanzen schuldiggemacht.
Von den Gemeindefinanzen – das wissen Sie so gut wiewir – hängt auch ein Gutteil der konjunkturellen Ent-wicklung ab. Von daher war das ein fundamentaler Feh-ler, den wir Ihnen nicht so einfach durchgehen lassen.
Einige Regelungen in dem Gesetz sind auch systema-tisch völlig verfehlt. Das gilt insbesondere für die Ein-führung einer Mindestbesteuerung.Was heißt das denn?Das heißt, Unternehmen, die Verlustjahre hinter sich ha-ben, können die Verluste, wenn sie wieder in die Gewinn-zone kommen, nicht mehr voll verrechnen. Mit der Ver-rechnung dauert es so lange, bis sie wieder in eineVerlustphase kommen.
Das wird bei vielen Unternehmen, die eine geringe Ei-genkapitalbasis haben, unweigerlich zur Insolvenzführen, weil sie die Steuern dann aus der Substanz, ausdem Eigenkapital, zahlen müssen. Im Übrigen mindertdas ihre Kreditfähigkeit.Wir waren gestern Abend beim Sparkassenverband. Daist uns gesagt worden, dass etwa 50 Prozent der kleinerenund mittleren Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu500 000 Euro, also die ganz kleinen, überhaupt kein Ei-genkapital haben. Alle die stehen ohnehin auf der Kippe.Deren Probleme verschärfen Sie mit solch unsinnigenMaßnahmen.
Zur Eigenheimzulage ist schon einiges gesagt wor-den. Vorgesehen ist ja nicht nur die Kürzung der Eigen-heimzulage, sondern auch eine Verschlechterung der Ab-schreibungsbedingungen im Wohnungsbau. Das führtnatürlich dazu, dass dieser Branche, die ohnehin auf demDr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Dr. Hermann Otto SolmsBoden liegt, ein zusätzlicher Dämpfer verpasst wird unddass noch einmal Zehntausende von Arbeitnehmern ent-lassen werden müssen.
Was soll die Sache mit der Dienstwagenbesteuerung?Wen treffen Sie damit? Es sind doch nicht die S-Klasse-Fahrer, sondern es sind die kleinen Handelsvertreter unddie Monteure im Außendienst.
Das sind diejenigen, die die Wirtschaft am Leben halten.Denen verteuern Sie den Dienstwagen um 50 Prozent. Siemüssen das einmal richtig lesen! Das wird um 50 Prozentteurer. Die Auswirkung auf die Automobilindustrie willich gar nicht ansprechen. Eine solche Maßnahme ist ein-fach dumm. Sie ist überhaupt nicht verständlich.
Zu den Einschränkungen bei den Werbegeschenken.Jetzt haben Sie das korrigiert und die Grenze von 40 auf30 Euro gesenkt. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.Wen trifft das im Wesentlichen? Das trifft den deutschenWeinbau und kleine Werbegeschenkehersteller. Warumsoll diese kleine Branche jetzt die Zeche bezahlen? Das istRosinenpickerei. Das ist doch keine vernünftige ord-nungspolitische Finanzpolitik, die Sie damit machen.
Mit den Umsatzsteuererhöhungen treffen Sie einseitigdie Landwirschaft.
Während der Steuersatz auf Futter für Haustiere niedrigbleibt, sollen die landwirtschaftlichen Vorprodukte wieNutzvieh, Futtermittel, Saatgut usw. mit höheren Steuer-sätzen belastet werden. Das ist angesichts der überausschwierigen Situation, in der sich die Land- und Forst-wirtschaft ohnehin befindet, völlig unakzeptabel. DieserGesetzentwurf ist verfehlt.Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Zinsabgeltung-steuer, zur Amnestie, zu Kontrollmitteilungen und zumBankgeheimnis: Hier sind Sie auf dem richtigen Weg.
Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kuhn?
Gern.
Bitte schön, Herr Kuhn.
Herr Kollege Solms, wir sind hier, um Ihre Alternativ-
vorschläge zu hören. Sie haben gesagt, dass Sie unseren
Gesetzentwurf ablehnen. Das haben wir verstanden. Sie
haben aber noch keinen Satz dazu gesagt, wie Sie mit den
Haushaltsproblemen fertig werden wollen. Deswegen
möchte ich Ihnen folgende Frage am Beispiel der Eigen-
heimzulage stellen: Sie sagen einerseits, Sie lehnen die
Vorschläge der Regierung ab. Andererseits ist die FDP für
eine 10- bzw. 20-prozentige pauschale Subventionskür-
zung. Die Eigenheimzulage ist die größte Position im
Subventionshaushalt mit einem Volumen in Höhe von
10 Milliarden Euro. Eine Kürzung um 10 Prozent würde
1Milliarden Euro und eine Kürzung um 20 Prozent würde
2 Milliarden Euro entsprechen.
Ich möchte von Ihnen wissen, wie diese Kürzung um 1 bzw.
2 Milliarden Euro bei der Eigenheimzulage konkret aus-
sehen soll und worin der Unterschied zu den von uns vor-
geschlagenen Kürzungen liegt.
Es geht nicht, dass Sie hier wortreich zum Ausdruck
bringen, was Sie nicht wollen, aber während der gesam-
ten Ihnen zur Verfügung stehenden Redezeit – deswegen
möchte ich die verlängern – nichts
– das ist doch eine Frage; am Schluss steht ein Fragezei-
chen, darauf könnt ihr euch verlassen – darüber sagen,
welche Alternative Sie in diesem Haus vorschlagen.
Herr Kuhn, ich bedanke mich für die Frage. Sie gibtmir zusätzliche Redezeit.Zunächst einmal haben wir hier über Ihren Gesetzent-wurf zu diskutieren. Er steht zur Abstimmung.
Wenn man die Regierungsmehrheit hat, muss man auchzu seiner Verantwortung stehen. Man kann die Verant-wortung nicht auf die Opposition schieben.
Sie haben die Verantwortung und müssen auch dazu ste-hen, und zwar müssen Sie, Frau Scheel, auch ehrlich dazustehen,
aber dazu komme ich gleich noch.Wir schlagen vor – dies war auch Teil unseres Wahl-programms –, die Subventionen pauschal zu kürzen. Wirhalten nichts von Ihrer Rosinenpickerei, mit der Sie dieGruppen belasten, von denen Sie glauben, dass es sich da-bei nicht um Ihre Wähler handelt, aber nicht die Gruppen,von denen Sie glauben, dass es sich um Ihre Wähler han-delt. Denken Sie an die Feiertagszuschläge. Diese Rosi-nenpickerei lehnen wir ab. Wir wollen, dass die Subven-tionen für alle gekürzt werden.
2232
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2233
Wenn Sie als Regierungskoalition, die Sie in diesemHause noch die Mehrheit haben, den Vorschlag einbrin-gen würden, alle Subventionen pauschal um 10 Prozent zukürzen, würden wir Ihnen zustimmen. Wir würden Ihnendabei helfen, die Lösungen im Einzelnen zu finden. WennSie vorschlagen würden, alle Subventionen pauschal um20 Prozent zu kürzen, dann würde – das garantiere ich Ih-nen – die FDP-Bundestagsfraktion zustimmen. Das wäreeine saubere, solide Lösung.
Diese Lösung wäre auch konjunkturpolitisch richtig,denn dadurch würden die Ausgaben gesenkt und nicht dieEinnahmen erhöht. Das ist entscheidend. Wir können dieHaushalte nur auf der Aufgabenseite konsolidieren, nichtauf der Einnahmeseite, denn eine Konsolidierung auf derEinnahmeseite bedeutet immer eine Belastungserhöhungfür die Bevölkerung.
Das dämpft das Wachstum und führt zu mehr Arbeitslo-sigkeit. Das ist der ordnungspolitisch unterschiedlicheAnsatz zwischen Ihnen und uns.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu Ihnen,Frau Kollegin Scheel, sagen, mittlerweile heißt sie die„doppelte Christine“:
Wir alle beobachten es schon seit langem. Sie sind Vorsit-zende des Finanzausschusses, haben also ein herausgeho-benes Amt inne. In diesem Amt haben Sie Verantwortungzu zeigen und zu übernehmen. Es geht nicht, dass Sie inPersonalityshows, in der „Welt am Sonntag“ oder in an-deren Zeitungen das Gegenteil von dem behaupten, wasSie hier im Finanzausschuss und im Bundestag tun.
Das ist verantwortungslos.
– Bevor Sie Ihre Frage stellen, möchte ich Ihnen ein jün-geres Zitat aus der „taz“ vom 21. Januar 2003 vorlesen:Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel will dasBankgeheimnis in seiner bisherigen Form schützen.... Scheel hält Kontrollmitteilungen für „überflüssig“.Vorgestern haben Sie im Finanzausschuss genau dasGegenteil beschlossen.
Sie haben nämlich mit Ihren Kollegen für die Abschaf-fung des Bankgeheimnisses gestimmt. Damit haben Siegenau das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben, ge-tan. Das ist unglaubwürdig und unverantwortlich, wennman ein solches Amt innehat.
Wenn man dieser Meinung ist, muss man das Amt zur Ver-fügung stellen. So ist das in der Politik nun einmal. Manmuss zu seiner Verantwortung stehen.Ich muss noch ein Wort dazu sagen: Ich stelle ja mitBewunderung fest, welche Engelsgeduld die Kolleginnenund Kollegen aus der SPD-Fraktion, die sich das gefallenlassen müssen, aufbringen; denn dieses Verhalten ist ins-besondere in einer Koalition ausgesprochen unsolida-risch. Ich kann das auch deshalb sagen, weil ich in einerKoalition in einer verantwortungsvollen Position war undhäufig Dinge mittragen musste, die mir nicht geschmeckthaben. Aber dazu muss man dann eben auch stehen. Dasgehört dazu. Das ist eine Frage des Charakters.
Kollege Solms, gestatten Sie zum Schluss Ihrer Rede-
zeit noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Dr. Solms, es wird Ihnen nicht gelingen, mit sol-
chen Aussagen einen Keil in die Koalition zu treiben.
Ich möchte Sie fragen, warum eigentlich in den 29 Jahren,
in denen Sie mitregiert haben, all das, was Sie von sich ge-
geben haben – ich erinnere an das Steuertarifmodell 15,
25 und 35 sowie an die Senkung der Staatsquote und der
Sozialversicherungsbeiträge auf 35 Prozent –, niemals
Gesetzeskraft erlangt hat.
Würden Sie bitte stehen bleiben, damit mir die Zeit fürdie Antwort nicht angerechnet wird, Frau Kollegin?
Erinnern Sie sich an die Petersberger Beschlüsse und diedaraus resultierende Steuerreform? Diese Steuerreformsah als Spitzensteuersätze bei der Körperschaftsteuer35 Prozent und bei der Einkommensteuer 39 Prozent beieinem Eingangsteuersatz von 15 Prozent vor. Das heißt,wir waren ganz nahe dran.
Wir wollten in diesem Zusammenhang Subventionenkategorisch abbauen. Dieses Konzept hat der damaligeFritz Kuhn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Dr. Hermann Otto SolmsParteivorsitzende Oskar Lafontaine mit der damaligenBundesratsmehrheit der SPD verhindert,
übrigens in einem Moment, als der hessische Minister-präsident Hans Eichel bereits abgewählt war, aber miss-bräuchlich seine Stimme noch genutzt hat, um diese Steuer-reform zu verhindern, obwohl er eigentlich das Vertrauender Bevölkerung nicht mehr gehabt hatte. Auch das ist einberedtes Beispiel für die Glaubwürdigkeit dieser Regierung.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Schultz, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Debatte heute ist ja relativ lebhaft, währendSie, Herr Meister, Ihren Beitrag verhältnismäßig verknif-fen und pflichtgemäß abgeliefert haben.
Das einzige Konzept, das Sie uns als Ausweg aus der Fi-nanz- und Wachstumskrise bzw. der Krise überhaupt mit-gegeben haben, war: freie Fahrt für Dienstwagen, mit demDienstwagen in eine bessere Zukunft. Das war Ihr kon-kreter Beitrag.
Herr Solms, Sie haben noch einen draufgesetzt und er-klärt, die Bundesregierung könne machen, was sie will.Wenn es nach Ihnen ginge, würde nicht einmal mehr imVermittlungsausschuss miteinander geredet. Die Ankün-digung einer größeren Totalverweigerung hat es in dieserRepublik noch nicht gegeben.
Eines ist Ihnen doch genauso klar, wie es uns klar ist:Nicht nur der Bund hat Probleme mit seinem Haushaltund seinen Einnahmen, das trifft genauso auf die Länderund die Gemeinden zu. Wenn die Länder, in deren Bootauch die Gemeinden sitzen, sich insgesamt einem kon-struktiven Vermittlungsverfahren verweigern würden,würde die Notlage für dieses Jahr und für die Folgejahrenicht nur zementiert, sondern exponentiell verschärft. Daskann kein Land auf Dauer wollen. Das wissen Sie genausogut wie wir.
Die EU-Kommission hat der Bundesregierung – unddamit dem Bundesfinanzminister – bescheinigt, dass sie,was ihren Stabilitätskurs angeht, auf einem guten Wegeist und alles herausgeholt hat, was an Einsparungen imBundeshaushalt möglich war. Es gibt Grenzen des Spa-rens, weil es irgendwann zum Kaputtsparen kommt, waswiederum wachstumsschädlich ist. Ich möchte gernekonkret wissen, wo Sie etwas machen wollen: ob Sie imBereich Bildung und Forschung etwas machen wollen, obSie den investiven Anteil des Bundeshaushaltes weiterherunterfahren wollen oder ob Sie ihn wie wir im Haus-halt 2003 wieder herauffahren wollen. Ich möchte gernkonkret und nicht pauschal wissen, wo Sie noch irgendet-was einsparen wollen, was über die Einsparungen hinaus-geht, die Hans Eichel in seinem Haushalt vorgelegt hat.Wenn der Haushaltsstaatssekretär Overhaus, der ja nunüber den Parteien schwebend
ein objektiver Gewährsmann dafür ist, was geht und wasnicht geht – da hat es schon bei allen Parteien sehr im Ge-bälk geknirscht –, sagt, da sei kein Cent an Einspar-potenzial mehr drin, dann sollten Sie das zur Kenntnisnehmen. Dann muss man erkennen, was die EU-Kommis-sion ebenfalls erklärt hat: Die öffentliche Hand – Bund,Länder und Gemeinden – hat ein erhebliches Einnahme-problem.Wer nicht flächendeckend Steuern erhöhen will, son-dern weiterhin die Stufen der Steuerreform mit der Sen-kung der Einkommensteuer durchhalten will, muss sichumschauen, wo es Sondertatbestände, Subventionstat-bestände oder Steuerbegünstigungen gibt. Danach ha-ben wir geschaut und da sind wir auch fündig geworden.Dass das keine vergnügungsteuerpflichtige Veranstaltungist – um im Bild zu bleiben –, haben wir gemerkt und dassehen auch Sie. Sie haben darüber vergnügt gejubelt, wirhaben politisch darunter gelitten. Das ändert aber nichtsdaran, dass wir, auch gegen große Heerscharen von Lob-byisten, in der Verantwortung sind, Steuergerechtigkeitdurchzusetzen, Steuerschlupflöcher zu stopfen und zu ei-ner Verstetigung der Einnahmen der öffentlichen Hand bei-zutragen. Das ist unsere Aufgabe als Regierungskoalition.
Dagegen habe ich bei Ihnen während des gesamten Ge-setzgebungsverfahrens nur eines gesehen: Sie sind hinterder Schleimspur des Heeres von Lobbyisten hergekro-chen und haben ihnen alles und jedes versprochen.
Ich sage Ihnen: Die Summe aller Einzelinteressen ist nochlängst nicht das Gemeinwohl. Das aber scheinen Sie zuglauben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein dicker Brocken,den wir zu schultern haben, ist die Verstetigung der Ein-nahmen aus den Gewinnsteuern, der Körperschaftsteuerund der Gewerbesteuer, der Unternehmen. Wir nehmen
2234
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2235
keinem Unternehmen etwas weg. Wir tragen nicht dazubei, dass Verluste, die entstehen können, verschwinden,sozusagen zugunsten des Fiskus, sondern wir sorgen le-diglich dafür, dass, auf der Zeitachse vernünftig verteilt,Verluste verrechnet werden und infolgedessen, ebenfallsauf der Zeitachse vernünftig verteilt, Körperschaftsteuerund Gewerbesteuer fließen. Das ist unser Ansatz.Deswegen haben wir aus der Erfahrung der letztenJahre heraus, in denen Körperschaftsteuer und Gewerbe-steuer komplett eingebrochen sind,
eine Begrenzung eingezogen, sodass Verluste nun nurnoch bis zu 50 Prozent der Gewinne verrechnet werdenkönnen. Der Rest muss auf die folgenden Steuerjahre vor-getragen werden.Sie, Herr Solms, haben erklärt, die kleinen und mittle-ren Unternehmen seien dabei die Leidtragenden. Das wis-sen auch wir. Deshalb haben wir zusätzlich einen Mittel-standssockel eingeführt, wodurch Gewinne von bis zu100 000 Euro von dieser Operation völlig unbelastet blei-ben. Die ersten 100 000 Euro Gewinn können vollständigmit Verlusten verrechnet werden. Erst darüber hinaus giltder Grundsatz, dass die Verrechnung nur bis zur Hälfte derGewinne erfolgen kann.Es sind weit über 90 Prozent der Unternehmen, die vondieser Maßnahme nicht betroffen sein werden;
denn weit über 90 Prozent der Unternehmen haben ledig-lich Gewinne bis zu 100 000 Euro. Das wissen Sie ge-nauso gut wie wir. Die meisten mittleren und kleinen Un-ternehmen werden von dieser Operation nicht betroffensein, sondern hauptsächlich große Gesellschaften, zumTeil internationale Gesellschaften, die ihre Steuerlast bis-her willkürlich hin- und herverlagert haben, um dem Fis-kus zu entgehen, während sie im gleichen Atemzug auf Bi-lanzpressekonferenzen hohe Gewinne und Ausschüttungenpräsentieren. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir beseitigen.
Die Behandlung der Eigenheimzulage ist ebenfallskeine einfache Operation, auch für Sozialdemokraten undfür die Regierungskoalition nicht.
Natürlich möchten wir, dass Bildung von Wohneigentumauch für kleine und mittlere Einkommen ermöglicht wird.Angesichts der außerordentlich schwierigen Haushalts-lage muss man jedoch prüfen, ob das für jede Zielgruppein dieser Gesellschaft gelten kann oder ob man dieses In-strument der Eigenheimförderung nicht etwas zielgenauerausrichten kann.Das haben wir gemacht. Wir haben die Eigenheimzulageso ausgerichtet, dass Familien mit Kindern die Möglichkeiterhalten, mithilfe des Staates Wohneigentum zu erwerben.
Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass als Maßstab derFörderungderErwerbvorhandener Immobiliengilt,weilwirbeobachten können, dass zwar draußen auf demLande fröh-lichneugebautwird, es aber inden Innenstädten zunehmendLeerstände gibt.Auch daswissen Sie genauso gut wiewir.Das heißt, wir haben mit dem Abbau einer Subventionzwei wichtige Ziele, ein siedlungspolitisches und ein fa-milienpolitisches, verbunden. Ich denke, das wird auchvon der Bevölkerung honoriert. Wir befinden uns nicht ineiner Zeit, in der der Staat einem Single oder einem Dop-pelverdiener-Ehepaar eine Wohnung fördern kann; einesolche Haushaltslage haben wir nicht. Wir müssen unsvielmehr auf die Familien konzentrieren.Ein weiterer wichtiger Punkt im Bereich der Einkom-mensteuer ist natürlich die Frage der Besteuerung vonVeräußerungsgewinnen. Veräußerungsgewinne entste-hen, wenn man eine Immobilie, Wertpapiere oder wert-volle Gegenstände verkauft. Wir sind grundsätzlich derMeinung, dass jede Einkunftsart gleichmäßig zur Besteu-erung herangezogen werden muss. Wir können nicht be-stimmte Einkunftsarten – unabhängig davon, ob es dabeium kleinere oder größere Einkommen geht – grundsätz-lich aus der Besteuerung herausnehmen. Das widersprichtunserem Ansatz einer gleichmäßigen und gerechten Be-steuerung. Dazu gehören auch Gewinne aus Veräuße-rungserlösen. Es wird doch nicht der Preis für die ver-kaufte Immobilie besteuert, sondern es wird lediglich dieDifferenz zwischen den Herstellungskosten und dem er-zielten Preis besteuert, und das auch noch mit einem Steu-ersatz von 15 Prozent – das ist der künftige Eingangs-steuersatz, der niedrigste Steuersatz, den es ab 2005 indiesem Land überhaupt geben wird. Maßvoller kann manda doch wirklich nicht herangehen.
Das gilt für Wertpapiere genauso, wobei da noch dasHalbeinkünfteverfahren gilt, das heißt, dort greift derhalbe persönliche Steuersatz, weil die andere Hälfte derBesteuerung bereits im Unternehmen geschehen ist.
Wenn Herr Nooke erklärt – das habe ich heute in einerTickermeldung gelesen –, das Ganze sei kulturfeindlich,weil die Besteuerung des Veräußerungserlöses bei der pri-vaten Veräußerung eines Picasso ungerecht wäre und denKunstmarkt Deutschlands zerstören würde, dann kann ichmich darüber nur kaputtlachen.
Wenn jemand in nennenswertem Umfang einen Gewinnerzielt – einen Gewinn, der über 1 000 Euro hinausgeht –,weil er eine Antiquität, ein Kunstwerk oder sonst etwasveräußert, dann darf er auf diesen Betrag auch 15 ProzentSteuern zahlen. Das tut ihm nicht weh, hilft aber der Ge-meinschaft und stärkt auch das Gefühl dafür, dass in diesemLande Steuergerechtigkeit noch Wirklichkeit werden kann.
Reinhard Schultz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Reinhard Schultz
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben unswährend der gesamten parlamentarischen Prozedur natür-lich genau angeschaut, was der Wirtschaft hilft und wasihr schadet. Wir haben an dem eingebrachten Gesetzent-wurf eine Reihe von Änderungen vorgenommen, die ins-besondere dazu beitragen, dass Umstrukturierungs-und Sanierungsprozesse in Unternehmen weiterhinsteuerneutral möglich bleiben; das ist die Grundphiloso-phie der Unternehmensteuerreform gewesen. Wir habendafür gesorgt, dass es keine Doppelbesteuerung fürInvestmentsparer gibt. Es wird nicht mehr im Fonds be-steuert, wie ursprünglich vorgesehen, sondern nur noch,wenn eine Fondsbeteiligung veräußert wird. Wir werdendas auch bei ausländischen Fonds so handhaben und wer-den alle anderen steuerlichen Ungleichbehandlungen fürausländische Fonds noch im Laufe dieses Jahres so ver-ändern, dass eine Wahlfreiheit desjenigen, der invest-mentsparen will, zwischen ausländischen und inländi-schen Fonds steuerneutral möglich wird. Wir wollen denFinanzplatz Deutschland stärken und wollen auch dazueinladen, dass gespart wird. Wir wollen aber auch, dassErträge – so sie denn zustande kommen – maßvoll be-steuert werden. Ich denke, das sind wir der Finanzlage deröffentlichen Hand insgesamt schuldig.Ein letztes Wort zur Lage der Gemeinden:Wir habenein Steuerpaket, aus dem insgesamt gesehen – auf dasEntstehungsjahr bezogen – etwa 2,8 Milliarden Euro denGemeinden zugute kommen. Dass das nicht sofort im ers-ten Jahr kassenwirksam wird, ist klar. Das ist jedenfalls– um es einmal positiv auszudrücken – ein nennenswerterBetrag; natürlich hilft er.
Wir hatten im Einvernehmen mit den kommunalenSpitzenverbänden vorgehabt, auch die gewerbesteuer-liche Organschaft abzuschaffen. Wir haben uns mit denkommunalen Spitzenverbänden aber auch darauf geei-nigt, dass die verzerrende Wirkung, die das so kurzfristiginsbesondere für die ostdeutschen Gemeinden gehabthätte, weil die Zerlegung der Gewerbesteuer nach Stand-orten der Betriebsstätten dann nicht mehr möglich gewe-sen wäre, so nicht zu beurteilen war. Deswegen musstedas in die Kommunalfinanzreform.
Kollege Schultz, Sie müssen zum Ende kommen, Sie
haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Ich komme zum Ende.
Im selben Atemzug sage ich aber auch: Die Kommu-
nalfinanzreform wird zum 1. Januar 2004 kommen. Das
heißt, das, was für die Gemeinden an Verstetigung und an
Mehreinnahmen erreicht werden soll, wird im nächsten
Jahr wirksam. Insofern ist aufgeschoben nicht aufgeho-
ben.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Es gibt keinen Zweifel: Deutschland befindet sich inder rot-grünen Wachstums-, Steuer- und Haushaltsfalle.Deutschland erlebt das dritte Stagnationsjahr in Folge.Das Wachstum bricht immer mehr ein; immer mehr Be-triebe gehen in die Insolvenz. Die Arbeitslosigkeit steigtauf nahezu 5Millionen. 1997 befanden sich die deutschenBürger im Hinblick auf das Pro-Kopf-Einkommen nochauf Rang sieben der Weltrangliste. Heute befinden wir unsauf Rang 17. Die Schattenwirtschaft steigt auf über370Milliarden Euro und die Schulden im Bundeshaushaltauf über 800Milliarden Euro. Die Defizitquote wird nichteingehalten und die Investitionsquote sinkt erstmals unter10 Prozent. Es ist eine Tatsache: Die verfehlte Wirt-schafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün hat uns inDeutschland in eine schwere Strukturkrise geführt.
Aber Rot-Grün hat darauf nur eine Antwort: eine neueWelle von Steuererhöhungen. Das ist Gespensterökono-mie Marke Hilflosigkeit. So ist die derzeitige Situation.
Allein in den letzten vier Jahren hat die rot-grüne Bundes-regierung den Bürgern und Betrieben rund 60 Gesetze zurÄnderung von steuerlichen Vorschriften beschert, alsoalle drei Wochen ein neues Gesetz. Das ist rot-grüne Toll-wut im immer dichteren Steuerdschungel. Rot-Grün lei-det anscheinend unter der schweren Krankheit „Steueri-tis“.Im Finanzausschuss stellen wir aber immer wiederfest: Sie sind völlig beratungsresistent. Sie machen dasGegenteil von dem, was die ökonomische Vernunft ver-langt. Sie haben keine steuerpolitische Gesamtkonzep-tion, keine steuerrechtlichen Prinzipien und keine ord-nungspolitische Linie. Allein aus fiskalischen Gründenhaben Sie sich einfach ein neues Abkassiermodell ge-schneidert: da mal eine Belastung und dort mal eine Be-lastung, letzten Endes quer durch alle Branchen und beiallen Bürgern. Dies alles geschieht nach dem Motto: Eslebe das rot-grüne Stopfen von Haushaltslöchern durchneue Steuererhöhungen.Meine Damen und Herren, der Gipfel der Flickschus-terei ist, dass diese Steuererhöhungen den Bürgern auchnoch als Sparpaket und Subventionsabbau verkauftwerden. Das ist Etikettenschwindel.
Das Etikett verspricht besten Kaviar; es handelt sich aberum die Verteuerung von Hunde- und Katzenfutter. DasEtikett verspricht Steuergerechtigkeit, aber Bürger undBetriebe werden willkürlich weiter belastet.
2236
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2237
Herr Eichel, ich sage Ihnen: Die schlimmste Art derUngerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit. Mitdiesem Steuergesetz ist der Lack Ihrer Glaubwürdigkeitendgültig ab. Herr Eichel, Sie sind nur noch der BaronMünchhausen der deutschen Finanzpolitik.
Während Ihrer heutigen Rechtfertigungsrede zu dem vor-liegenden Steuergesetz hatte ich den Eindruck: Dies istmehr oder minder eine Abschiedsrede.
Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen: Die Haupt-ursachen für die Krise der Wirtschaft sind nicht der kon-junkturelle Einbruch und schon gar nicht die Weltwirt-schaft, sondern die ungelösten Strukturprobleme in derSteuerpolitik, in den Systemen der sozialen Sicherungund in den öffentlichen Haushalten sowie die Überregu-lierung unserer Wirtschaft. Anstatt ein Gesamtkonzept fürmehr Wachstum und Beschäftigung vorzulegen, ver-schlechtern Sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingun-gen immer weiter.Man muss die Größenordnung sehen, die Sie heute be-schließen wollen. Dies sind bis zum Jahre 2006 Steuerer-höhungen – man höre und staune – in der Höhe von42 Milliarden Euro. Dies ist eine Kaufkraft- und Investi-tionskraftvernichtung in einer Höhe, die nicht zu verant-worten ist.
Das ist Gift für die Konjunktur. In der jetzigen Situationmüsste das Vertrauen, die Planungssicherheit der Konsu-menten gestärkt werden, um den bestehenden Attentis-mus, die Konsumzurückhaltung zu überwinden. Nur wenndies gelingt, wird auch die Binnenkonjunktur wieder an-springen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist docheine rot-grüne Milchmädchenrechnung, wenn mit diesemGesetz rund 5 Milliarden Euro an Wachstum zerstört wer-den und der Fiskus gleichzeitig Steuereinnahmen in Höhevon 4 Milliarden Euro einkassiert. Das ist ein Nullsum-menspiel; für den Fiskus kommt nichts dabei heraus. Sowird nichts saniert. Angesichts des Wachstumstiefstandssind Steuererhöhungen das falsche Mittel. Sie müssenendlich erkennen, dass dadurch letzen Endes das Gegen-teil von dem bewirkt wird, was gegenwärtig notwendig ist.Meine Damen und Herren, das Steuervergünstigungs-abbaugesetz führt für einzelne Branchen zu schwerwie-genden Folgen:Es führt zur Substanzbesteuerung und damit zur Ver-nichtung von Unternehmensliquidität durch die Einfüh-rung der Mindestbesteuerung. Betriebe mit schwanken-der Ertragssituation und neu gegründete Unternehmen,die Anlaufverluste haben, können ihre Verluste nicht mehrvoll mit den Gewinnen verrechnen. Dies vernichtet Li-quidität; damit ist der Gang zum Insolvenzrichter vorge-geben. Das ist eine Vernichtung durch Insolvenz.
– Das ist eine Betriebsvernichtung: Sie führen sie in dieInsolvenz. Das ist der falsche Weg.Es führt zur höheren Besteuerung von Firmenwagen.Dies gefährdet Tausende von Arbeitsplätzen in der Auto-mobilindustrie.Es kommt zur Wertzuwachsbesteuerung durch die Be-steuerung von privaten Veräußerungsgewinnen. Diesist ein Anschlag auf die Wertpapier- und Immobilien-märkte und somit auch auf die Altersvorsorge unsererBürger. Ich weiß gar nicht, ob Sie überhaupt gemerkt ha-ben, dass Sie durch den Wegfall der Spekulationsfrist nurdie Spekulanten fördern. Das ist eine Wirkung dieses Ge-setzes. Dies müssen Sie sich einmal vor Augen führen.Das Gesetz führt auch zur Reduzierung der Investitio-nen durch die Kürzung der Eigenheimzulage und dieVerschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Zu-dem wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch dieScheingewinnbesteuerung von Warenvorräten beim Lifo-Verfahren eingeschränkt.Folge des Gesetzes wird auch die Enteignung mittel-ständischer Kapitalgesellschaften sein – das möchte ichbesonders betonen –, da die Verrechnung der Körper-schaftsteuerguthaben wesentlich eingeschränkt wird.Bei einer Umwandlung von einer Kapitalgesellschaft ineine Personengesellschaft sind die Körperschaftsteuer-guthaben verloren. Das ist nichts anderes als eine Enteig-nung.
Das Gesetz führt zum Bürokratieausbau durch die Ein-führung eines Kontrollmitteilungssystems für 300 Mil-lionen Konten und zur Kapitalabwanderung durch die Ab-schaffung des Bankgeheimnisses.Es wird auch Einkommenseinbußen im Bereich derLandwirtschaft geben, zum Beispiel durch die erhöhteUmsatzsteuer auf landwirtschaftliche Vorprodukte. Waswollen Sie den kleinen Bauern denn noch abnehmen?Das, was Sie mit diesem Gesetz an Einkommenseinbußenin der Landwirtschaft hervorrufen, ist nicht mehr akzep-tabel.Diese Liste ließe sich noch um einige Positionen ver-längern; insgesamt handelt es sich ja um 40 Maßnahmen.Ich kann Ihnen nur sagen: Rot-Grün verfolgt einen Steuer-irrweg. Die CDU/CSU ist aber auch in der Steuerpolitikzur Zusammenarbeit für einen Erfolg versprechendenKurswechsel bereit. Wozu wir aber nicht bereit sind, istdie Unterstützung Ihrer Steuererhöhungspolitik. Wir leh-nen dieses Steuergesetz deswegen in Gänze ab.
Die unionsgeführten Bundesländer werden dieses Ge-setz im Bundesrat stoppen und für wirtschafts- und finanz-politische Vernunft sorgen. Damit wird weiterer Schadenfür die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ver-hindert.Im Untersuchungsausschuss
Hans Michelbach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Hans Michelbach– im Lügen-Untersuchungsausschuss –
hatte Bundesfinanzminister Eichel gestern die Chuzpe,den Versuch zu unternehmen, die CDU/CSU für das Feh-len der unseriös eingeplanten Haushaltsmittel haftbar zumachen und ihr den wahrscheinlichen Verstoß gegen dieMaastricht-Kriterien anzuhängen. Herr Eichel, das ist derGipfel Ihrer Täuschungsmanöver. Die Drohkeule, ob wirfür Steuererhöhungen oder für mehr Schulden sind,weisen wir mit Nachdruck zurück. Das ist ein Täu-schungsmanöver. Sie suchen jemanden, den Sie fürdie Überschreitung der Gesamtschulden bei der Defizit-quote und den Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien ver-antwortlich machen können. Ich sage Ihnen: Verantwort-lich sind Sie und nicht die CDU/CSU oder irgendjemandsonst.
Meine Damen und Herren, für kontraproduktive Luft-buchungen haften wir nicht.
Es ist Zeit, einen klaren Kurswechsel in der Steuerpolitikzu erzwingen und in nationaler Kraftanstrengung ökono-mische Vernunft durchzusetzen. Wir werden den künst-lich aufgebauten Widerspruch zwischen Steuersenkungenund Haushaltskonsolidierung nicht mehr akzeptieren. Wirfordern einen klaren Kurswechsel in der Steuer- und Fi-nanzpolitik.Die Bundesregierung muss die Kraft aufbringen, umgezielte Vorschläge für Einsparungen vorzulegen undSubventionen, die im Subventionsbericht enthalten sind,wirklich abzubauen.
Wir brauchen strukturelle Reformen, insbesondere für einwettbewerbsgerechtes Steuerrecht. Diese Reformen müs-sen auch dem Ziel dienen, das Steuerrecht wieder einfa-cher zu gestalten. Das heißt konkret, Steuer- und Abgaben-erhöhungen zu vermeiden, die Steuerlast schrittweise zusenken, das Steuerrecht zu vereinfachen und Bürokratieabzubauen, das Unternehmensteuerrecht der internationa-len Entwicklung und den internationalen Standards an-zupassen, die Reform der Gemeindefinanzen anzuge-hen, um den Kommunen stabile Einnahmen zu sichern,unbürokratische Regelungen für die Besteuerung von Ka-pitalerträgen zu schaffen, die Fortführung von kleinenund mittleren Unternehmen durch das Steuerrecht nichtimmer weiter zu gefährden und vor allem, die Wachstums-kräfte durch Strukturreformen zu entfesseln.Nur durch mehr Wertschöpfung können wir unserezentralen Probleme in der Finanzpolitik lösen. Durchmehr Wertschöpfung müssen wir die Basis für den Abbauder hohen Arbeitslosigkeit, für die Finanzierung der so-zialen Sicherheit und natürlich für mehr Investitionen inInfrastruktur und in Bildung und Forschung schaffen.Das müssen wir zur Erfüllung der zentralen Staatsaufga-ben leisten. Das ist die Kernaufgabe, die uns gestelltwird.Eine Steuerpolitik, die nur das Anziehen der Steuer-schraube kennt, ist auf dem Holzweg. Sie müssen bei Ih-rer Arbeit wieder ökonomische Vernunft walten lassen.Dieser Kurswechsel ist dringend notwendig. Dazu ma-chen wir Ihnen ein Angebot. Wir machen aber kein Ange-bot hinsichtlich Steuererhöhungen. Diese sind völligfalsch. Ich darf Sie herzlich bitten: Stimmen Sie diesemSteuervergünstigungsabbaugesetz nicht zu. Dieses Gesetzwird uns in Deutschland nicht weiterbringen. Es wird inunserer Volkswirtschaft, in Deutschland insgesamt großenSchaden anrichten.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Wend, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Michelbach, Sie haben Recht: Wir haben4,6 Millionen Arbeitslose, ein geringes Wachstum, einehohe Zahl von Insolvenzen und eine ausgedehnte Schat-tenwirtschaft. Ihre Daten hierzu stimmen. Doch etwasstimmt mich, abgesehen von der Sache selbst, sehr bitter.Es stimmt mich bitter, dass ich das Gefühl nicht loswerde,dass Sie und andere in der Opposition sich geradezu vollerWonne in diesen schlechten Daten suhlen. Das ist für eineseriöse Opposition unangemessen.
Herr Michelbach, Sie haben Recht, wenn Sie sagen,nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Strukturenin unserem Haushalt und in unserem Land seien mit ur-sächlich für die Wachstumsschwäche. Sie haben, um nurzwei Dinge zu nennen, die Lohnnebenkosten und dieStaatsverschuldung angesprochen und haben gesagt, dieSituation sei auf rot-grünes Versagen zurückzuführen.Darauf muss ich genauso holzschnittartig antworten. Werhat denn die Lohnnebenkosten zwischen 1982 und 1998von 34 Prozent auf 42 Prozent erhöht? – Das war doch dierechte Seite des Hauses!
Wer hat denn die Schulden unseres Landes von 1982 bis1998 vervierfacht? – Das war doch die rechte Seite desHauses und nicht die Regierungskoalition!
Wer derart holzschnittartig arbeitet, der wird der Proble-matik in unserem Land nicht gerecht.Ich versuche an dieser Stelle eine Differenzierung. Ichglaube, wir sind uns einig, dass wir eine Politik für Wachs-tumsförderung und Haushaltskonsolidierung brauchen.Dies miteinander zu verbinden ist schwierig genug. An ei-ner Stelle haben wir ordnungspolitisch unterschiedliche
2238
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2239
Vorstellungen. Diese sollten benannt werden: Sie sagen,es gibt in unserem Land einen Automatismus von Steuer-senkungen und Wachstum.
In dieser Absolutheit halte ich das für problematisch. HerrMichelbach, wenn es nämlich stimmte – ich weise Sie da-rauf hin, dass wir nach einer OECD-Studie die niedrigsteSteuerquote in ganz Europa haben –,
müssten wir das höchste Wachstum haben. Es ist abernicht so, weil neben den Steuern eine Reihe von anderenDingen, zum Beispiel konsumtive Ausgaben im Haushaltstatt Investitionen und Lohnnebenkosten, für das Wachs-tum von großer Bedeutung ist.Deshalb sage ich Ihnen: Beim Thema Steuern gibt eseinen Zielkonflikt. Wir wünschen uns niedrige Steuernsowohl für die Unternehmen als auch für die Bürger, dadies die Nachfrage erhöht. Gleichzeitig brauchen wir ei-nen Staat mit einer gewissen finanziellen Handlungs-fähigkeit; denn ein Staat ohne finanzielle Handlungs-fähigkeit würde das Wachstum in unserem Land weißGott mehr beschädigen als die politischen Maßnahmen,die wir gegenwärtig vorhaben.
Ich gebe Ihnen Recht: Was wir – ich wende mich anuns – mit diesem Gesetz in den letzten Monaten angestellthaben, ist nicht unbedingt ein Ruhmesblatt.
Jetzt wollen wir uns aber mit dem beschäftigen, was kon-kret vorliegt, und fragen, ob das, was Ihr erster Rednerheute Morgen gesagt hat, wachstumshemmend oder sogarungerecht ist. Ich möchte das anhand zweier Beispiele be-antworten.Zunächst komme ich zur Mindestgewinnsteuer. HerrSolms, Herr Michelbach, bei uns gibt es keine Mindest-steuer. In einigen Ländern gibt es sie, bei uns aber nicht.Wir haben eine Mindestgewinnsteuer. Die Unternehmenzahlen auch in Zukunft nur dann Steuern, wenn sie Ge-winne machen. Verluste können sie bis zur Hälfte gegen-rechnen. Die kleinen Unternehmen und der Mittelstanderhalten einen Freibetrag von 100 000 Euro, damit dortdas Eigenkapital gestärkt wird. Das führt zur Verlässlich-keit der Staatseinnahmen und bedeutet eine Hilfe für diekleinen und mittleren Unternehmen. Das ist vernünftig.
Als Zweites nenne ich die Besteuerung von Gewin-nen aus dem Verkauf von Wertpapieren und Immobi-lien. Ich frage Sie: Wäre es Ihrer Meinung nach allen Erns-tes richtig, in Zukunft die Steuern auf den Faktor Arbeit –also auf die Arbeitseinkommen – in den Vordergrund zustellen und die Veräußerungsgewinne von Wertpapierenund Immobilien nicht maßvoll zu besteuern? Ich glaube,es ist gerecht, die Steuer nicht nur bei den Arbeitsein-kommen anzusetzen, sondern auch bei den Gewinnen ausder Veräußerung von Wertpapieren und Immobilien.
Bezüglich des Bundesrates tragen Sie die Nase heuteMorgen hoch. Nach den letzten Wahlergebnissen ist daspsychologisch verständlich.
Ich sage Ihnen aber auch: Nach aller Lebenserfahrung istes nicht so, dass auf der einen Seite des Hauses nur dieKlugen und auf der anderen Seite nur die Dummen sitzen.Im Vermittlungsausschuss setzt man sich zusammen undversucht zum Wohle unseres Landes, unterschiedlicheStandpunkte so anzunähern, dass ein vernünftiges Ergeb-nis dabei herauskommt.Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von Ihnen, dassSie sich dieser Aufgabe stellen, sich nicht herausmogelnund sich Ihrer Verantwortung nicht in einer Totaloppo-sition verweigern. Trotz guter Wahlergebnisse werden Ih-nen die Bürger das am Ende nicht durchgehen lassen.
Ich erteile das Wort der Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Koalition will mit dem vorgelegten Gesetzent-wurf notwendige Besteuerungslücken schließen. DieserIdee kann die PDS auf jeden Fall folgen.
– Warten Sie doch erst einmal meinen zweiten Satz ab.Herr Eichel, Sie haben etwas übersehen, und zwar eineganz große Lücke. Es ist nicht nur eine Besteuerungs-lücke, sondern auch eine Gerechtigkeitslücke. Seit dervorletzten Wahl steht die Einlösung eines Versprechensder SPD aus, die Einführung der Vermögensteuer. DieseGerechtigkeitslücke macht gut 10 Milliarden Euro proJahr aus. Ich frage mich, Herr Eichel: Wie konnten Siediese Lücke nur übersehen?
Sie wollen von 2003 bis 2006 mit Ihrem Gesetz cir-ca 46 Milliarden Euro einnehmen. Es werden wohl weni-ger werden. Dafür werden CDU/CSU, FDP und Lobby-Gruppen schon sorgen. Vielleicht bekommen Sie 20 Mil-liarden Euro zusammen. Herr Eichel, Sie könnten mitder Vermögensteuer im gleichen Zeitraum die doppelteSumme kassieren. Mit Einnahmen von 10 Milliarden Europro Jahr haben Sie 2006 40 Milliarden Euro zusammen.Ich finde, Sie könnten die Einführung der Vermögen-steuer doch jetzt wagen; denn diese Koalition hat nichtmehr viel zu verlieren. Im Gegenteil: Sie hätte viel zu ge-winnen.Dr. RainerWend
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Dr. Gesine LötzschIhr Gesetzentwurf wirkt kleinlich, buchhalterisch undin seiner politischen Ausrichtung diffus. Der interessierteBürger hat nicht den Eindruck, dass die Regierung damiteine Gerechtigkeitslücke schließen will. Ich kann michgut daran erinnern, dass Sie 1998 und auch 2002 dafür ge-wählt worden sind, um eine Gerechtigkeitslücke zuschließen und 16 Jahre Verteilungsungerechtigkeit unterHelmut Kohl ein bisschen zu korrigieren. Doch dazufehlte Ihnen bisher der Mut. Die Sanierung des Haushal-tes, Herr Eichel, ist kein Selbstzweck.Sie haben viele kleinere und größere Lücken entdecktund mit dem Gesetzentwurf versucht, sie zu schließen. Ichfinde es völlig in Ordnung, dass zum Beispiel Gewinnebeim Verkauf von Aktien versteuert werden sollen. Nunwird sofort gejammert, dass unsere schöne neue Aktien-kultur den Bach heruntergehen könne. Ich habe mir dieZahl der Aktionäre in Deutschland angesehen. Im erstenHalbjahr 2002 waren das 7,8 Prozent der Bevölkerung. ImJahre 2000 waren es noch mehr: 9,7 Prozent. Doch dieserRückgang hat nichts mit einer staatlichen Besteuerung,sondern mit einer geplatzten Spekulationsblase zu tun.Offensichtlich suchen die Menschen für ihr schwer ver-dientes Geld jetzt sicherere Anlagen. Doch wie es aus-sieht, Herr Bundesminister Eichel, werden Sie sich auchdie Aktienbesteuerung von der CDU/CSU im Vermitt-lungsausschuss abhandeln lassen.Schon bei den kleinsten Veränderungen verlässt Sie derMut. Der Wähler wendet sich doch vor allen Dingen des-halb von Ihnen ab, weil er die Zaghaftigkeit und Ängst-lichkeit dieser Regierung nicht mehr ertragen kann. Ertraut der Regierung keine mutigen Schritte mehr zu. DassSie auch anders können, meine Damen und Herren vonder Koalition, haben Sie bei der Irakfrage bewiesen. Hierhaben Sie klare und mutige Aussagen gemacht. Das istvon der Bevölkerung honoriert worden. Selbst dieCDU/CSU hat gemerkt, dass sie mit ihrer Nibelungen-treue gegenüber Bush keine Punkte machen kann. Siewird in dieser Frage immer kleinlauter.Anfang der Woche wurde im Präsidium der CDU/CSUbeschlossen, in einer Aktuellen Stunde über den EU-Son-dergipfel eine Aussprache zu führen. Aber angesichts dergewaltigen Friedensdemonstrationen am Wochenende ha-ben Sie nicht gewagt, diese Aktuelle Stunde, die Sie imPräsidium beschlossen hatten, anzumelden.
Jetzt hofft die CDU/CSU, in der Steuerfrage punktenzu können. Sie hat eine einfache Formel gefunden: Steu-ern runter, Gewerbesteuer ganz abschaffen und Lohn-kosten im öffentlichen Dienst einfrieren. Dieses Rezept,meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist garkeine Alternative. Diese Regelung würde den Staat ärmer,die Städte und Gemeinden in den Ruin treiben und dieKaufkraft weiter drosseln. Ich muss Ihnen sagen: Die kon-servative Opposition hat hier keine vernünftigen Rezeptevorgelegt.Der Vorschlag der PDS ist bekannt und lässt sich auffolgende einfache Gleichung bringen: Einführung derVermögensteuer plus kommunales Investitionsprogrammbringt mehr Arbeitsplätze.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehrgeehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Vor-redner Wend, vielleicht könnten Sie mir einmal zuhören.
Ich möchte auf Ihren Wortbeitrag eingehen. Nach IhrerAuffassung hat die Opposition die Verpflichtung,
dafür zu sorgen, dass Steuern erhöht werden. Wissen Sie,welche Verpflichtung wir haben? Sie und wir haben dieVerpflichtung, im Bundestag und im Bundesrat
– hören Sie doch bitte zu! – die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen so zu setzen, dass es endlich wieder zuWachstum kommt. Wir sind nicht da, um das Steuersäckelzu füllen, sondern wir haben die Pflicht, die Bedingungenzu schaffen, unter denen wieder Arbeitsplätze geschaffenwerden können. Das ist die Grundlage.
Herr Wend, auf dieser Linie können wir uns einigen,aber ganz sicher nicht darauf, das Steuersäckel zu füllen.Denn Deutschland steht vor einer Rezession.
Das wissen Sie ganz genau. Die Industrie- und Handels-kammern haben ihre Prognose vom Herbst 2002 revidiertund sehen für das Jahr 2003 gar kein Wachstum mehr. Dasscheint Herrn Eichel nicht so sehr zu interessieren. HerrEichel, die Investoren sind verunsichert. Jeder zweite willseine Investitionen verringern. Vier von zehn Unterneh-men planen einen Stellenabbau. Das bedeutet Rekord-arbeitslosigkeit. Ich finde, das ist ziemlich schlimm. Be-sonders betroffen sind wieder einmal der Handel und dieBauwirtschaft.Vor diesem Hintergrund wollen Sie das so genannteSteuervergünstigungsabbaugesetz verabschieden, das inWirklichkeit ein Geldbeschaffungssammelsurium ist, wel-ches schlicht und einfach nur Steuererhöhungen enthält.
Das haben Sie ja eben auch ganz freimütig zugegeben.Herr Schultz, das war schon im Finanzausschuss und ebenwieder so. Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf nichtsanderes machen, als die Steuern zu erhöhen, um die Ein-nahmeseite des Staates zu verbessern und das Haushalts-defizit von Herrn Eichel auszugleichen.
2240
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2241
Wenn Herr Wend ausführt, der Staat müsse doch Ein-nahmen haben, um etwas ausgeben zu können, muss ichganz ehrlich sagen: Wenn ich von der EU-Kommissionbescheinigt bekomme, dass wir ein Defizit von 3,7 Pro-zent haben, kann ich dieses Staatsverständnis langsamnicht mehr verstehen. Was machen Sie denn mit demganzen Geld, wenn ich einmal fragen darf?
Immer noch mehr drauflegen – bei aller Liebe, damit musslangsam Schluss sein.
– Ich weiß, dass nächste Woche Karneval ist. – HerrEichel, ich bin um unsere Wirtschaftslage sehr besorgt.Ich bin aber nicht darum besorgt, dass Ihr Steuersäckelweiter gefüllt wird.Die Giftliste, die Herr Eichel uns vorgelegt hat, be-inhaltete 41 Punkte. Erst dann haben Sie darüber nachge-dacht, was Sie damit machen wollen. Sie haben 39 Ände-rungsanträge gestellt, mit denen der Gesetzentwurf nurverschlimmbessert wurde. Es ist wirklich nichts dabeiherausgekommen. Das heißt, dieser Gesetzentwurf ist indieser wirtschaftlichen Situation ein Würgegriff für Bür-ger und Wirtschaft, nichts anderes.
Dann haben Sie – Frau Scheel, Frau Andreae und an-dere – immer wieder behauptet, es gehe um Subventi-onsabbau. Aber das stimmt ja nun wirklich nicht. UnserArbeitsgruppenvorsitzender, Herr Meister, hat schon da-rauf hingewiesen – auch wir haben Sie mehrfach daraufhingewiesen –, dass nur 14 von diesen 41 Punktentatsächlich im Subventionsbericht enthalten sind. Deswe-gen kann man nur sagen: Das, was Sie machen, ist einereine Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrund-lage, die, wenn Sie nicht gleichzeitig die Steuern senken,wie eine Steuererhöhung wirkt.Hätten Sie sich doch damals, im Jahre 1996, im Bun-desrat nicht von Herrn Lafontaine überzeugen lassen undmit uns gemeinsam eine vernünftige Steuerreform verab-schiedet. Wir wären in diesem Land viel weiter und hät-ten nicht eine solch hohe Arbeitslosigkeit wie zurzeit.
Vor den Landtagswahlen haben Sie viele Versprechun-gen gemacht, sowohl Frau Scheel als auch der Bundes-kanzler.
– Wer regiert denn hier? Wer hat denn diesen Gesetzent-wurf vorgelegt? Das haben doch Sie getan. Sie fanden esdoch richtig, die Menschen durch Ihre 41Maßnahmen zu-sätzlich zu belasten. Aber als die Landtagswahlen bevor-standen, sagten Sie: Nein, mit der Dienstwagenbesteue-rung war es nicht so gemeint. So der Kanzler inNiedersachsen. Aber die Menschen haben das nicht ge-glaubt, wie Sie am Wahlergebnis gemerkt haben. Damithatten sie auch Recht. Sie sind dann ja trotz Schröder beider Erhöhung der Dienstwagenbesteuerung geblieben,wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen war. Die negativenAuswirkungen auf die Autoindustrie haben Sie dabei of-fensichtlich nicht bedacht.Ich erinnere an einen Spruch unseres Bundespräsiden-ten Rau: Gebrochene Versprechen sind – wie geht derSpruch weiter? Sie wissen, wie er weitergeht.
Ich meine, dass es nicht angeht, im Dezember einen Ge-setzentwurf vorzulegen, dann im Landtagswahlkampf zuversuchen, diesen Gesetzentwurf langsam, aber sicherwieder abzuräumen, und schließlich – wie Frau Scheel,die gerade telefoniert, statt mir zuzuhören – im Ausschussüber das abzustimmen, was ursprünglich im Gesetzent-wurf vorgesehen war.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema Dienst-wagen anmerken.
– Doch, das möchte ich gerne. – Ich kann es nämlich nichtleiden, dass Sie ständig eine Neiddiskussion führen. Ichwill Ihnen ein Beispiel nennen: Im Unternehmen meinesMannes gibt es einen Außendienstmitarbeiter.
– Braucht er einen Dienstwagen oder nicht? – Er verdient4 215 Euro brutto. Das ist zwar ein ordentlicher Verdienst,aber er ist bestimmt kein Krösus.
– Warum sollte ich das tun? Warum möchten Sie sichnicht mit der Realität konfrontieren lassen? Weil Sie sienicht sehen wollen. Ganz einfach.
Ich möchte mit meinem Beispiel fortfahren. Der guteMann verdient 4 215 Euro brutto. Wissen Sie, was er nettoherausbekommt? 1 724 Euro. Die Dienstwagenbesteue-rung beträgt dabei jetzt schon 775 Euro.
Bei einer Erhöhung auf 1,5 Prozent blieben ihm nur noch1 400 Euro netto übrig. Wissen Sie, was dieser Mann vonIhrer Neiddiskussion hält? Seine einzige Hoffnung ist dieCDU/CSU,
die im Bundesrat eine Mehrheit hat und dafür sorgenkann, dass Ihr blödsinniges Gesetz nicht ins Gesetzblatt,sondern in den Müll kommt.
Diese Hoffnung haben auch alle, die im Baubereichtätig sind: die Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerinnen unddie Unternehmer. Die Baubranche hat Ihnen vorhergesagt,Elke Wülfing
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Elke Wülfingwas Sie mit diesem Gesetz erreichen werden: Mit allenSteuererhöhungen, die Sie der Baubranche zusätzlich zurKürzung der Eigenheimzulage zumuten, wird es im Bau-bereich 200 000 Arbeitsplätze weniger geben. Das habenSie dann zu verschulden.Ich meine, dass mit Fug und Recht darauf hingewiesenwerden darf, welche Folgen der Gesetzentwurf, der zur-zeit in diesem Hohen Hause beraten wird, haben würde.In meinem Wahlkreis Borken zum Beispiel sind die Un-ternehmensinsolvenzen bereits um 73 Prozent – ich be-tone: 73 Prozent – gestiegen. Davon war hauptsächlichdie Baubranche betroffen. Wenn das, was Sie in IhremGesetzentwurf vorgesehen haben, ins Gesetzblatt kommt,dann kann die Baubranche in meinem Wahlkreis ein-packen; dann existiert sie dank Ihrer Wahnsinnspolitiknämlich nicht mehr.
Ich muss noch einmal auf die Eigenheimzulage zu-rückkommen. Die Eigenheimzulage – das haben FrauAndreae und Frau Scheel noch einmal im Ausschuss undim Bundestag verkündet – steht im Subventionsbericht anoberster Stelle. Sie stellt angeblich eine hohe Subventiondar. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, wie sieeigentlich entstanden ist. Warum ist die Eigenheimzulagein den Subventionsbericht aufgenommen worden? Ihnenist das bekannt, Frau Scheel. Frau Andreae kann es wohlnicht wissen, weil sie damals noch nicht im Bundestagwar. Das kann man ihr also nicht übel nehmen, obwohlman das auch nachlesen könnte.Obwohl Sie es schon wissen, will ich es Ihnen gernnoch einmal sagen: § 7 und § 10 e EStG waren die Vor-gänger, mit denen Abschreibungen möglich waren. Siesind deswegen in den 50er-Jahren eingeführt worden,weil für den Mietwohnungsbau Abschreibungen möglichwaren, für das selbst genutzte Wohneigentum dagegennicht. Man hat sich damals gesagt, man darf nicht alleinden Mietwohnungsbau fördern, sondern muss auch dieEigenheimquote, die in Deutschland nach dem Krieg sehrniedrig war, erhöhen. Aus diesem Grund wurden die Ab-schreibungen für das selbst genutzte Wohneigentum ein-geführt.All diejenigen, die damals schon dem Hohen Haus an-gehörten, haben zusammen mit dem BundesbauministerTöpfer in den 90er-Jahren etwas Vernünftiges gemacht,nämlich die Eigenheimzulage eingeführt. Sie ist sehr so-zial, weil sie eine direkte Zulage ist, die nichts mit de-gressiver Abschreibung zu tun hat. Wir haben das damalsgemeinsam – Sie waren damals in der Opposition, wir inder Regierung – bewusst gemacht.
– Jetzt rühmt sich Herr Poß damit, das sei sein Vorschlaggewesen. Wunderbar! Warum nehmen Sie dann in diesemGesetzentwurf die Eigenheimzulage fast vollständigzurück?
Warum kommen Sie plötzlich auf die Idee, das Wohnei-gentum – die Quote liegt in Deutschland nur bei 40 Pro-zent; das ist im europäischen Vergleich sehr niedrig –plötzlich nicht mehr zu fördern?Bei uns im Münsterland ist das Vermögensbildung inArbeitnehmerhand.
– Das machen Sie weiter? Wie denn? Mit den gekürztenZuschüssen kann sich ein Arbeitnehmer mit durchschnitt-lichem Einkommen selbst im ländlichen Raum – von derGroßstadt oder den neuen Bundesländern will ich garnicht reden – kein Häuschen mehr leisten. Das geht nichtmehr. Es ist schon schlimm, was in diesem Hohen Hausdurchgesetzt werden soll.Es war gut, dass am 2. Februar Landtagswahlen statt-gefunden haben. Es ist gut, dass wir nun eine größereMehrheit im Bundesrat haben. Es ist hervorragend, dassHerr Koch und Herr Wulff vor der Wahl genau das Glei-che gesagt haben wie nach der Wahl. Dieser Gesetzent-wurf wird im Bundesrat abgelehnt und in den Orkus ge-schmissen; denn er gehört in den Papierschredder undnicht ins Bundesgesetzblatt.
Wir freuen uns darauf, dass dann die wirtschaftlichenRahmenbedingungen vielleicht etwas besser werden, alssie jetzt sind.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Spiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe sehr aufmerksam zugehört und war ge-
spannt darauf, was Union und FDP wollen.
Ich muss gestehen, ich habe nur eine konkrete Informa-
tion bekommen, und zwar von Frau Wülfing. Frau Kolle-
gin Wülfing, ich habe Ihren Ausführungen entnommen,
dass entweder der Außendienstmitarbeiter Ihres Mannes
einen Rolls Royce mit Sonderausstattung fährt oder die
Lohnbuchhaltung Ihres Unternehmens dringend auf Vor-
dermann gebracht werden muss.
Ich habe aber auch gemerkt, dass weder die Union noch
die FDP wissen, was sie in der Finanzpolitik tun wollen.
Herr Kollege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrageder Kollegin Wülfing?
2242
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2243
Gern.
Herr Kollege Spiller, sind Sie mit mir der Meinung –
– doch –, dass es durchaus vorkommt, dass ein Mitarbei-
ter lange Autofahrten zu seinem Arbeitsplatz machen
muss – ja oder nein?
Ich bin natürlich der Meinung, dass ein Mitarbeiter – –
– Nein, leider nicht. Sie müssen nur, auch im Interesse Ih-
res Mitarbeiters, dringend für eine anständige Lohnbuch-
haltung sorgen. Sie ziehen dem Mann doch viel zu viel
Geld ab. Das geht doch nicht.
Ich stelle fest: Weder Union noch FDP haben ein Kon-
zept. Mir ist in der Debatte aber positiv aufgefallen, dass
kein Redner von Union und FDP dem Vermittlungsaus-
schuss angehört. Das lässt hoffen.
Sie haben sich im Hinblick auf das Vermittlungsverfahren
offenbar in keiner Weise festlegen wollen. Das ist eine
vernünftige Grundeinstellung Ihrer Fraktionsführungen.
Außerdem ist mir aufgefallen – das bedauere ich aller-
dings –, dass sich Union und FDP von den Konzepten
verabschiedet haben, die sie in der Vergangenheit in der
Steuerpolitik verkündet haben, zum Beispiel von dem
Grundsatz, dass Steuervergünstigungen und Sonderrege-
lungen abgebaut werden müssen, um die Bemessungs-
grundlage zu verbreitern und damit auch Spielraum für
eine Tarifsenkung zu schaffen. Alles, was die Union in
ihrem Entschließungsantrag formuliert hat, kann man un-
ter dem Motto zusammenfassen: Wir lehnen alles ab. Die
Begründung lautet, das Steuervergünstigungsabbaugesetz
sei fiskalisch orientiert. Es stimmt, überraschenderweise
sind Steuergesetze fiskalisch orientiert.
Die FDPhat mitgeteilt – das steht im Gegensatz zu dem
früher beschworenen Weg des Subventionsabbaus –,
dass sie 90 Prozent aller Subventionen bewahren möchte.
Darauf läuft es jedenfalls hinaus, wenn Sie fordern, dass
10 Prozent der Subventionen gestrichen werden, aber alle
anderen unangetastet bleiben sollen. Schade, früher hat-
ten Sie mehr Mut.
Das liegt vielleicht auch ein Stückchen daran, lieber Herr
Kollege Solms, dass die FDP ihr Herz für den Steuerbür-
ger erst entdeckt hat, als sie im Bund nicht mehr mitregiert
hat.
Vorher war sie – das hat Ihnen vielleicht nicht ge-
schmeckt – eine klassische Steuererhöhungspartei. Aber
Reden und Handeln sind so weit voneinander entfernt,
dass Sie jetzt offenbar versuchen, alles, was Sie damals nicht
durchsetzen konnten, wenigstens verbal zu formulieren.
Unser Grundsatz ist – das ist auch der Kern des vorlie-
genden Gesetzentwurfs –, das Steueraufkommen im
Unternehmensbereich zu verstetigen; denn auch große
Unternehmen müssen sich, wenn sie Gewinne haben, an
der Finanzierung öffentlicher Aufgaben in angemessener
Weise beteiligen, beispielsweise an der Ausbildung von
Ingenieuren sowie an dem Erhalt und Ausbau der Ver-
kehrsinfrastruktur unseres Landes. Es kann nicht sein,
dass sich große Unternehmen hier verabschieden. Des-
halb brauchen wir eine Verstetigung.
Es ist auch angemessen, von Zeit zu Zeit Subventionen
auf den Prüfstand zu stellen. Eine der größten Subventio-
nen, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, ist die
Eigenheimzulage. Wir wollen diese Subvention auf Fa-
milien mit Kindern konzentrieren. Das ist angemessen.
Im Übrigen geht es nicht nur um die Einnahmen des
Bundes. Es geht vielmehr um die finanzielle Basis für
Bund, Länder und Gemeinden. Deswegen bin ich sicher,
dass wir mit den Landesministern, egal ob sie in einem
A- oder B-Land Verantwortung für den Landeshaushalt
und Mitverantwortung für die Gemeindehaushalte tragen,
im Vermittlungsausschuss zu einem fairen Kompromiss
kommen werden.
Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowievon der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe einesSteuervergünstigungsabbaugesetzes. Der Finanzausschussempfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/480, die Entwürfe als Steuervergünsti-gungsabbaugesetz in der Ausschussfassung anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung angenommen worden.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerAbstimmung. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolle-ginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass dieStimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze anden Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-stimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich teile Ihnen noch mit, dass mehrere Abgeordnete, un-ter anderem die Abgeordneten Uhl, Heil, Janssen, Reimann,Büttner , Weißgerber und Rübenkönig, eineErklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäfts-ordnung abgegeben haben. 1Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-kannt gegeben.2Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-schließungsanträge. Ich möchte die Kolleginnen und Kol-legen bitten, sich hinzusetzen, damit ich eine Übersichthabe.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 15/485? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionder FDP auf Drucksache 15/486? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender FDP bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt wor-den.Abstimmung über die Beschlussempfehlung desFinanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem Titel „Eigenheimerwerb nicht erschweren – wei-tere Belastungen für Beschäftigte und Betriebe der Bau-wirtschaft und für Familien vermeiden“. Der Ausschussempfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/480, den Antrag auf Drucksache 15/33 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?– Gegenprobe! – Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der Opposition angenommen worden.
– Die PDS hat sich bei dieser Abstimmung enthalten.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterH. Carstensen , Gerda Hasselfeldt,Dr. Wolfgang Schäuble, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSUMit derReform derGemeinsamen Agrarpolitikdie Landwirtschaft und die ländlichen Räumein der EU stärken– Drucksache 15/422 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten WaltraudWolff , Matthias Weisheit, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,Volker Beck , Cornelia Behm, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENEU-Agrarreform mutig angehen und ausgewo-gen gestalten– Drucksache 15/462 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPMarktwirtschaftliches Modell einer flächenge-bundenen Kulturlandschaftsprämie verwirkli-chen– Drucksache 15/435 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich der Abgeordne-ten Waltraud Wolff das Wort erteile, muss es hier noch einbisschen ruhiger werden. Ich bitte die Kolleginnen undKollegen, die etwas zu besprechen haben, hinauszugehen,und bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen, sich aufdie Plätze zu begeben, damit wir mit der Debatte fortfah-ren können.Jetzt hat die Kollegin Wolff das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Europa ist in Bewegung, egal ob es die Einführungdes Euro ist oder ob es die Aufnahme neuer Mitgliedstaa-ten ist. Europa ist zukunftsorientiert.
Auch im Bereich der Landwirtschaft wollen und dürfenwir nicht stehenbleiben. 1999 wurde mit der Agenda 2000der Finanzrahmen für die europäische Agrarpolitik biszum Jahr 2006 festgeschrieben. Damals erhielt die
22441 Anlage 22 siehe Seite ...
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2245
EU-Kommission den Auftrag, zur Entwicklung der Agrar-ausgaben und zu den Reformmaßnahmen eine Halbzeitbe-wertung vorzulegen. Nach dem Beschluss der Staats- undRegierungschefs sollten sowohl die Marktordnungen alsauch der Finanzrahmen kritisch überprüft werden.Als die Kommission die Vorschläge zur Halbzeitbe-wertung im Juli des letzten Jahres vorlegte, zeigte sich:Die Kommission griff wichtige Positionen der Bundesre-gierung auf. Ganz besonders hervorzuheben sind die Vor-schläge zur Entkopplung der Prämienzahlungen vonder Produktion und der Vorschlag zur Einführung einerdynamischen obligatorischen Modulation. Sie ist imGrundsatz auch dazu geeignet, Wettbewerbsverzerrungenzu entschärfen und die bäuerliche Landwirtschaft zu stär-ken.
Im Oktober des letzten Jahres beschlossen die Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer den finanziel-len Rahmen für die gemeinsame Agrarpolitik der er-weiterten EU. Somit war wieder die Kommission amZug. Seit Ende Januar liegen die Legislativvorschlägeder Kommission vor. Auch diese Vorschläge zeigen wie-der: Die rot-grüne Bundesregierung hat die Weichen indie richtige Richtung gestellt,
ob es die Entkopplung der Direktzahlungen ist, ob es dieUmschichtung von Geldern von der ersten in die zweiteSäule durch Modulation ist oder ob es die Stärkung vonVerbraucher-, Umwelt- und Tierschutz ist. Diese zentra-len Forderungen der rot-grünen Bundesregierung sindBestandteil des Reformpakets.Auch wenn sich die Kollegen von der CDU/CSU undund der FDP gegenüber dem Berufsstand gern als Be-wahrer des Alten darstellen: Wir alle in diesem Haus wis-sen: Wir müssen weg von einer Produktionssubventionie-rung und wir müssen die Gelder noch stärker in dieStützung der ländlichen Räume und in Umwelt- und Tier-schutzmaßnahmen umlenken.Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dassim September die nächsten WTO-Verhandlungen statt-finden. Die EU muss die Reformen zur gemeinsamenAgrarpolitik also zügig voranbringen, will sie die nächsteWTO-Runde in unser aller Interesse gut bestehen.Allerdings müssen bis dahin noch einige Fragenbeantwortet werden. Deshalb ist es wichtig, dass dieKommission nun ergänzende Analysen vorlegt, damit dieLänder die Auswirkungen der Reform noch besser ein-schätzen können. Schon jetzt werden an einem Beispiel,nämlich dem Vorschlag zur Betriebsprämie, die Pro-bleme deutlich: Werden die Prämienrechte der letztenJahre als Referenzwert herangezogen, werden regionaleUngleichgewichte weiter festgeschrieben und eine Be-nachteiligung von Grünlandbetrieben gegenüber Acker-baubetrieben fest zementiert.Die Bundesregierung verfolgt daher eine andere Stra-tegie. Lassen Sie mich dazu einige entscheidende Faktennennen: Erstens. Die Entkoppelung sollte schrittweise er-folgen und in Richtung einer regional einheitlichenFlächenprämie gehen.Zweitens. Die in der EU geltenden Vorschriften in denBereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Lebensmit-tel- und Betriebssicherheit müssen besser durchgesetztwerden.Drittens. Die vorgesehene Cross-Compliance-Rege-lung und die Einführung eines betrieblichen Beratungs-systems müssen so ausgestaltet werden, dass in den Mit-gliedstaaten möglichst einheitliche Mindeststandardsgelten und dies nicht zu einem unangemessenen bürokra-tischen Aufwand führt.Viertens. Auch bei der Milchmarktreform muss denMilcherzeugern eine wirtschaftlich tragfähige Perspek-tive angeboten werden.
Fünftens. Die vorgesehenen Regelungen im Bereichder nachwachsenden Rohstoffe sind längst noch nichtausreichend. Der angedachte Prämienbetrag von 45 Europro Hektar genügt den Betrieben nicht, um auch in Zu-kunft wirtschaftlich arbeiten zu können. Wir müssen andieser Stelle zukunftsorientiert denken und alle Möglich-keiten nutzen, um fossile, begrenzt vorhandene Rohstoffezu schonen. Außerdem sollte uns bewusst sein, dass damitdie Abfallproblematik entschärft würde, weil nachwach-sende Rohstoffe gut abbaubar sind. An dieser Stelle mussnachgebessert werden.Als ostdeutsche Politikerin habe ich natürlich immerdie EU-weit einmaligen Strukturen in den neuen Län-dern im Visier. Daher bin ich sehr froh, dass die im Rah-men der Modulation geplante Kappungsgrenze vom Tischist. Schon nach Bekanntgabe der Reformvorschläge imJuli letzten Jahres habe ich mich eindeutig gegen diesesModell ausgesprochen, denn innerhalb der EU wäre mehroder weniger nur eine Region in einem Land davon be-troffen, nämlich die neuen Bundesländer. Fast 90 Prozentder Betriebe in den neuen Bundesländern wären unterdiese Regelung gefallen. Es wäre auch absolut unver-ständlich gewesen, wenn die in den 90er-Jahren neu ent-standenen Agrargenossenschaften unverhältnismäßig starkbelastet worden wären.Bei den jetzt vorliegenden Legislativvorschlägen zurobligatorischen Modulation ist meiner Meinung nachnoch zu überprüfen, inwieweit überhaupt eine im Regio-nenvergleich ausgewogene Prämienkürzung gegeben ist.Die Bundesregierung muss sich auch dafür einsetzen,dass der notwendige Arbeitskräfteeinsatz besser berück-sichtigt wird. So ist zum Beispiel ein in der Tierproduk-tion tätiger Betrieb arbeitskräfteintensiv. Bei einem reinenAckerbaubetrieb jedoch ist die Fläche mit relativ wenigArbeitskräften zu bewirtschaften. In Zukunft kann es nurso sein, dass der Betrieb mit einem hohen Arbeitskräfte-einsatz weniger von den Kürzungen betroffen ist als derBetrieb, der mit wenig Arbeitskräften wirtschaften kann.
Waltraud Wolff
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Waltraud WolffEs kann auch nicht im Interesse der Landwirtschaft lie-gen, einen Teil der Kürzungen durch Modulation in denMitgliedstaaten umzuverteilen. Zu kritisieren ist auch,dass lediglich bis zu 6 Prozent der Kürzungsgelder zurStärkung der zweiten Säule genutzt werden können. Beieinen Kürzungsansatz von maximal 19 Prozent sollte einsehr viel größerer Betrag zur Förderung der ländlichenRäume zur Verfügung gestellt werden.Zum Thema Modulation ein kleiner Schwenk in meinBundesland, nach Sachsen-Anhalt: Mir hat unheimlich gutgefallen, dass sich die landwirtschaftlichenVerbände unter-schiedlichster Couleur bezüglich der Umsetzung der Mo-dulation in Deutschland auf eine Marschrichtung einigenkonnten. Man sehe und staune also, dass gemeinsameSchwerpunktbereiche festgelegt werden konnten, so zumBeispiel die Förderung von umwelt- und artgerechten Hal-tungssystemen inderTierhaltungunddieFörderungextensi-ver Grünlandnutzung.Also: Im Chor singen viele Stimmenundwenn sich alle bemühen, klingt es sogar sehr schön.Das Gleiche gilt natürlich für den Reformprozess in derEU. Es bedarf zwar noch einiger Veränderungen, aberwenn sich alle EU-Mitgliedstaaten weiter bemühen, kön-nen wir ein vernünftiges Modell vorlegen und gehen gutvorbereitet in die WTO-Verhandlungen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe natürlichauch die Anträge der Opposition gelesen. Wenn ich alldas, was ich bei CDU/CSU und FDP gelesen habe, rich-tig verstanden habe, haben wir viele Berührungspunkteund auf bestimmten Feldern ähnliche Sichtweisen. LassenSie mich deshalb mit einem Wunsch schließen: Ich wün-sche mir, dass wir – Regierungskoalition und Opposi-tionsparteien – für diesen bedeutenden Reformprozessgemeinsam Kraftanstrengungen für Deutschland in einemgemeinsamen Europa unternehmen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Mortler.
– Die Kollegen klatschen schon, das ist nämlich ihre erste
Rede hier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der TitelIhres Antrags ist auf den ersten Blick verheißungsvoll,
aber nur auf den ersten Blick. In Wirklichkeit steht nichtsdahinter.
Unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sindmutig. Sie wollen sich auch weiterhin den Herausforde-rungen der Zukunft stellen. Ob ihre Existenzgrundlage alsAusgangsbasis dafür gewährleistet bleibt, hängt folgen-schwer von dem ab, was wir bzw. Sie beschließen. DieHauptstoßrichtung der vorliegenden Reformvorschlägeführt aber dazu, dass in Deutschland viele landwirtschaft-liche Betriebe vor dem Aus stehen würden. An die Stellevon ausgewogenem Gestalten ist hier Flickschusterei ge-treten. Den bäuerlichen Unternehmerfamilien ist damitnicht geholfen. Sie brauchen eine verlässliche Agrarpolitik.
Beim Berliner Gipfel 1999 wurde vereinbart, dass diein der Agenda 2000 festgesetzten Grundregeln verbind-lich bis 2006 gelten. Dieses Ergebnis hat die Bundes-regierung damals als großen Erfolg verkauft: Die deut-sche Landwirtschaft hat Planungssicherheit. Heutescheinen die Regierungsparteien davon nichts mehr wis-sen zu wollen. Ich erwarte von Ihnen Vertrauensschutz.Halten Sie Wort!
Meine Damen und Herren, für mich ist der Inhalt derReformpläne entscheidend und nicht die Verpackung.
Die Inszenierung der Reformpläne war aus Sicht unsererVerbraucher schon beeindruckend, professionell und über-zeugend. Die Ziele – weniger Bürokratie, Stärkung bäu-erlicher Landwirtschaft, Umweltschutz, Tierschutz undLebensmittelsicherheit – gehen für alle Bäuerinnen undBauern sowie Verbraucher in Ordnung. Mit den vorge-schlagenen Maßnahmen wird aus unserer Sicht jedoch derfalsche Weg beschritten. Ich empfinde außerdem die Be-gründung der Reformpläne der Kommission als Diffa-mierung unserer Bäuerinnen und Bauern, denn sie erzeu-gen hochwertige Nahrungsmittel. Sie wirtschaften nachdem Nachhaltigkeitsprinzip
und pflegen gleichzeitig unsere Kulturlandschaft.
An einem Beispiel aus meinem eigenen Betrieb zumThema Markt wird das deutlich: Wir erzeugen und verar-beiten sowohl konventionelle als auch Bioprodukte, abernicht, weil Ministerin Künast das so verordnet hat, son-dern weil der Markt das so will.
Zum Stichwort „Bio“ und zum staatlichen Biosiegel:Seit der Einführung sind meine Biobauern im Landkreisstocksauer, weil ihre Preise und Märkte wegen des ver-stärkten Imports immer mehr einbrechen.
2246
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2247
Sie bringen es so auf den Punkt: Wenn es der konventio-nellen Landwirtschaft gut geht, dann geht es auch unsÖkobauern gut.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung iststark im Erfinden von interessanten Wortschöpfungen.Auch bei Fischler werden klangvolle Begriffe wie Ent-koppelung, Modulation und Cross Compliance angeführt,die in der Konsequenz aber harte Einschnitte und eineweitere Welle an Bürokratie bedeuten.Die Bundesregierung sammelt gerade Erfahrungen beider nationalen Modulation. Um die gekürzten Direkt-zahlungen wieder zu verwenden – hören Sie genau zu! –,ist mindestens 1 Euro an zusätzlichem Verwaltungsauf-wand der Behörden für 4 Euro gekürzte Mittel erforder-lich. Gleichzeitig kommt in der gesamten Landwirtschaftnetto letztlich weniger Geld einkommenswirksam an.
Der französische Landwirtschaftsminister Gaymard undsomit die französische Regierung zeigen dagegen auf, dasses ihnen um die Menschen in der Landwirtschaft und derenExistenzgrundlage geht. Sie sehen die Situation realistisch:Die Schwierigkeiten der WTO-Verhandlungen beru-hen auf der Tatsache, dass Europa seine Agrarreformbereits mit der Agenda 2000 vollzogen hat, währendeinige Staaten einen größeren Beitrag der EU erwar-ten. Wir müssen daher unsere eigene Reform in denVordergrund der Verhandlungen stellen, zumal an-dere Länder ihren Beitrag noch nicht geleistet haben.Bei der Agrarreform ist ohnehin keine Eile angesagt.Die Haushaltsobergrenzen sind nicht überschrittenund es gibt keine Überproduktion.So Originalton Gaymard letzte Woche.Zu dieser Einsicht müsste eigentlich auch die Bundes-regierung kommen, da sie dieselbe europäische Land-wirtschaft wahrnimmt wie Frankreich.
Aber vielleicht sind wieder einmal die Übersetzer schulddaran, wie es der Bundeskanzler nach seiner Einigung mitStaatspräsident Chirac über die Agrarfinanzplanung bis2013 beim Brüsseler Gipfel nachträglich hinstellte. Wenndie Bundesregierung ohne Not eine erneute EU-Agrar-reform forciert, so schwächt sie die deutschen und euro-päischen Bauern im Markt und befürwortet einen massi-ven Strukturwandel.Das heißt, der Rückgang der flächendeckenden Land-bewirtschaftung, gerade in benachteiligten Gebieten, istvorprogrammiert. Zuerst werden kleine und mittlere Be-triebe vor das Aus gestellt. Wo sind denn die mutigen,hehren Aussagen aus der Hochzeit von BSE – „Klein istgut; groß ist schlecht, weil es Masse bedeutet“ – geblie-ben? Sie sind auf der Strecke geblieben.
Die Ministerin – wir haben das gerade auch von Ihnen,Frau Wolff, vernommen – freut sich sogar darüber, dassdie so genannte Kappungsgrenze gefallen ist.Meine Auffassung von Landwirtschaft ist folgende: Je-der Betrieb, der nach bestem Wissen und Gewissen arbei-tet – dabei sind die Größe und die Wirtschaftsweisezweitrangig –, verdient unsere Unterstützung.
Denn es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen nichtnur in der Landwirtschaft, sondern auch im vor- und nach-gelagerten Bereich und im ländlichen Raum allgemein.
Was hier zerschlagen wurde, ist auch in einer erweitertenzweiten Säule nicht aufzufangen. Ist das vielleicht be-wusst kalkuliert? Ich hoffe, nicht.Interessant ist auch, dass die Regierungsfraktionen füreinheitliche Mindeststandards in den Mitgliedstaaten plä-dieren. Fakt ist, dass zum Beispiel die EU-Richtlinienstets einheitliche Vorgaben umfassen, die Bundesregie-rung aber dafür bekannt ist, immer noch eins draufzuset-zen, Stichwort: nationale Alleingänge.Fakt ist auch, dass die Vorschläge desWTO-Landwirt-schaftsbeauftragten Harbinson bestätigen, wie strategischunklug die Kommission vorgegangen ist. Sie hat sich unduns mit den tiefgreifendenVorschlägen einen Bärendiensterwiesen.
Leider passt der Antrag der Koalition in dieses Schema.Ich vermisse auch ein klares Bekenntnis zur Fort-führung der Milchquote über 2008 hinaus.
Mit einem Milchrichtpreis von 20 Cent pro Liter würdejegliches unternehmerische Handeln im Keim erstickt.
Damit ist eine kostendeckende Milcherzeugung inDeutschland nicht mehr möglich. Denken Sie an unsereGrünlandbetriebe und an die benachteiligten Gebiete, vorallem an das Allgäu. Sie haben kaum Alternativen.Einerseits feiern Sie die Höhe der Tarifabschlüsse alsgroßen Erfolg.Andererseits akzeptieren Sie, dass die Land-wirtschaft zweimal bestraft wird: zum einen mit sinkendenEinkommenundzumanderenmitsteigendenBelastungen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist um.
Ich weiß, Frau Präsidentin. Es ist meine erste Rede. Ichgelobe Besserung.Marlene Mortler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Marlene MortlerDie Landwirte in Deutschland erwarten von der Politikzu Recht Perspektiven, die ihnen ein nachhaltiges Wirt-schaften ermöglichen. Dazu gehört, dass der Anbaunachwachsender Rohstoffe auf Stilllegungsflächen auchzukünftig möglich sein muss. Dazu gehören ferner Pla-nungssicherheit bei der Milchmarktordnung, weniger Büro-kratie, um das Anlastungs- und Sanktionsrisiko zu senken,künftige Beihilfen nur für die wirtschaftenden Betriebe, derErhalt regionaler Produktionszweige und vor allem die Ab-sicherung des europäischen Landwirtschaftsmodells.
Frau Kollegin, ich bin schon sehr großzügig gewesen.
Bitte nur noch einen letzten Satz!
Unsere Bauern und Bäuerinnen verdienen es, dass Sie
sich nachhaltig auf allen Ebenen in der EU und bei der
WTO für sie einsetzen.
Danke schön.
Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen im Namen des Hau-ses zur Ihrer ersten Rede.
Bei der Beachtung des Zeitregimes müssen Sie allerdingsein bisschen nachbessern.Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 546.Mit Ja haben gestimmt 291, mit Nein haben gestimmt253. Es gab zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist da-mit angenommen worden.
2248Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 546;davonja: 291nein: 253enhalten: 2JaSPDDr. Lale AkgünIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigGerd Friedrich BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMarga ElserGernot ErlerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann
Anke HartnagelNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergWalter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberJann-Peter JanssenKlaus Werner JonasJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Heinz KöhlerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksChristoph MatschieHilde MattheisMarkus MeckelUlrike MehlPetra-Evelyne MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller
Christian Müller
Gesine MulthauptFranz MünteferingDr. Rolf MützenichVolker Neumann
Dietmar NietanDr. Erika OberHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-ZureichGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-HanewinckelWalter RiesterReinhold RobbeRené Röspel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2249
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Gerhard RübenkönigOrtwin RundeMarlene Rupprecht
Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer
Gudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyUlla Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderGisela SchröterReinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. CornelieSonntag-WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisReinhard Weis
Matthias WeisheitGunter WeißgerberDr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendLydia WestrichDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff
Heidi WrightManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph ZöpelBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertJutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellJoseph Fischer
Katrin DagmarGöring-EckardtAnja HajdukWinfried HermannAntje HermenauPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeMichaele HustedtFritz KuhnRenate KünastMarkus KurthDr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagWinfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstClaudia Roth
Krista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Petra SelgUrsula SowaSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleJürgen TrittinMarianne TritzHubert UlrichDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf
NeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtDr. Rolf BietmannClemens BinningerPeter BleserAntje BlumenthalJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHelge BraunPaul BreuerMonika BrüningVerena ButalikakisHartmut Büttner
Cajus CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Gitta ConnemannLeo DautzenbergAlbert DeßVera DominkeThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Georg FahrenschonIlse FalkAlbrecht FeibelEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Axel E. Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisEberhard GiengerGeorg GirischMichael GlosTanja GönnerJosef GöppelDr. Wolfgang GötzerUte GranoldKurt-Dieter GrillReinhard GrindelMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Freiherr vonund zu GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerMartin HohmannJoachim HörsterSusanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterBernhard KasterVolker Kauder
Gerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler
Manfred KolbeNorbert KönigshofenHartmut KoschykRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumDr. Günter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusWalter Link
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 20032250
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Patricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelStephan Mayer
Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachMarlene MortlerDr. Gerd MüllerHildegard MüllerStefan Müller
Bernward Müller
Bernd Neumann
Michaela NollClaudia NolteGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaDaniela RaabThomas RachelDr. Peter RamsauerChrista Reichard
Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Peter RzepkaAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnErika SteinbachChristian Freiherr vonStettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Michael StübgenAntje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarco WanderwitzPeter Weiß
Gerald Weiß
Ingo WellenreutherKlaus-Peter WillschWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPDaniel Bahr
Rainer BrüderleErnst BurgbacherHelga DaubJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeRainer FunkeHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanChristoph Hartmann
Klaus HauptUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinSibylle LaurischkHarald LeibrechtMarkus LöningDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Eberhard Otto
Detlef ParrCornelia PieperGisela PiltzDr. Andreas PinkwartMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerJürgen TürkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinEnthaltenFraktionslosDr. Gesine LötzschPetra PauDas Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kritisiere nur un-gern Kollegen, die ihre erste Rede gehalten haben. Aber,Frau Kollegin, ich muss zu Ihrer Rede – nehmen Sie esbitte nicht persönlich – wie auch grundsätzlich zur Politikder CDU/CSU sagen: Sie träumen.
Sie fordern von uns Reformen auf nationaler Ebene.Gleichzeitig reden Sie davon, man dürfe auf keinen FallAlleingänge machen.
Wo leben Sie eigentlich? Wir haben einen Antrag vorge-legt, der große Parallelen zum Papier des DBV aufweist.Sie müssten Ihre Kritik also schon ausweiten.Es ist klar, dass das Jahr 2003 ein wichtiges Jahr fürdie Landwirtschaft ist. Mit den Reformvorschlägen derEU-Kommission, den Anforderungen der EU-Osterwei-terung und den WTO-Verhandlungen stehen ganz kon-krete und von uns gewiss nicht zu leugnende Herausfor-derungen an, denen wir uns stellen müssen und stellenwerden. Die Weichen für die nächsten Jahre werden ge-stellt. Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag der EU-Kommission werden in der Tat wichtige Vorschläge vonFrau Ministerin Künast aufgegriffen.Es gibt zu dieser Reform keine Alternative:Erstens. Die derzeitige EU-Agrarpolitik aufgrund derBrüsseler Finanzbeschlüsse wäre schlichtweg nicht mehrfinanzierbar, wenn im nächsten Jahr zehn weitere Staatenin die EU aufgenommen werden. Die EU wäre schlicht-weg handlungsunfähig. Als Anmerkung zum Beitrag mei-ner Vorrednerin nenne ich das Stichwort Nettozahlerposi-tion. Wie, bitte schön, hätten Sie die Finanzproblemenicht nur dieses Landes, sondern auch der anderen euro-päischen Länder lösen wollen, wenn es hier nicht ein ver-nünftiges Finanztableau gegeben hätte?Es gibt zweitens keine Alternative zur Reform der eu-ropäischen Agrarpolitik, weil die derzeitige EU-Agrarpo-litik schlichtweg nicht WTO-kompatibel ist. Wir stehen inder Verantwortung, die Betriebe auf diese Situation vor-zubereiten. Deswegen ist es notwendig, diese Vorschläge
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2251
jetzt vorzulegen, darüber jetzt zu diskutieren und Be-schlüsse zu fassen. Denn dann kann es – dies muss auchso sein – zu Planungssicherheit kommen.
Drittens müssen die Agrarpolitik und auch die staatlichenTransferleistungen gesellschaftliche Akzeptanz erhalten.Dies muss verbessert werden. Eine verstärkte Ausrichtungauf den Verbraucherschutz sowie die Umwelt- und Tierge-rechtigkeit ist dafür eine notwendige Voraussetzung.Wir brauchen, wie gesagt, die rechtzeitige Reform dereuropäischen Agrarpolitik. Denn wir können die Erweite-rung der EU und die völlige Veränderung der Agrarpoli-tik – darauf hat Kommissar Fischler zu Recht hingewie-sen – nicht gleichzeitig schultern. Wir brauchen Zukunftfür die ländlichen Räume. Wir brauchen eine verstärkteFörderung und Unterstützung der so genannten zweitenSäule. Denn diese bietet die Möglichkeit, Arbeitsplätze zuschaffen und Wirtschaftsentwicklungen zu fördern.Noch eine Anmerkung zu den WTO-Vorschlägen, dieim Rahmen des Harbinson-Papiers vorliegen. Wir müss-ten wahrscheinlich gemeinsam sagen: Diese Vorschlägesind einerseits nicht dazu geeignet, den berechtigten For-derungen der schwächsten und schwachen Entwicklungs-länder nach einem verbesserten Marktzugang nachzu-kommen. Andererseits sind sie nicht kompatibel zu denVorschlägen – das muss man deutlich sehen –, die jetzt imRahmen des Fischler-Papieres gemacht worden sind. Siesind also in dieser Form für uns nicht akzeptabel.Die Vorschläge der EU-Kommission gehen insgesamtin die richtige Richtung. Wichtig werden aber die Kon-kretisierung und die Ausgestaltung dieser Vorschlägesein. Hierbei werden für Deutschland einige Korrekturennotwendig sein, die wir in dem Antrag, der Ihnen vorliegt,niedergelegt haben.Das erste Stichwort lautet Entkoppelung. Das ist einSystemwechsel, der auch im Rahmen der WTO-Be-schlüsse verlangt werden wird. Wir brauchen ein staat-liches Fördersystem, das den dann zugelassenen Green-Box-Maßnahmen wirklich entspricht. Das heißt, wirbrauchen betriebsbezogene Beihilfen. Wir unterstützendie Bundesregierung darin, schrittweise in RichtungFlächenprämien zu gehen. Wir wollen vor allem – das istfür uns ein wichtiger Punkt – eine stärkere Grünland-förderung. Wir wollen auf keinen Fall, dass das Ungleich-gewicht zwischen Ackerbauförderung und Grünlandför-derung, das bisher existiert, weiter zementiert wird.
Nun zum Stichwort Cross Compliance, zur Koppelungder Direktzahlungen an Umwelt-, Tierschutz- und Ver-braucherschutzstandards. Ich denke, dies bietet nun end-lich die Möglichkeit, EU-weit zu einer stärkeren Verbind-lichkeit der entsprechenden Richtlinien zu kommen. Dashaben auch Sie von der Opposition immer gefordert unddas ist natürlich notwendig. Wir verlangen, dass es zu ei-ner praxisgerechten Ausgestaltung der Cross-Compliance-Regelung kommt, die dann auch unbürokratisch sein soll.
Ich denke, das Anliegen teilen alle.Ähnliches gilt für das Betriebsaudit. Das könnte einMonstrum werden; aber es kann genauso gut eine Chancesein, Qualitätssicherungssysteme zu unterstützen, überdie die deutsche Landwirtschaft ohnehin verfügt oder diesie einrichten möchte. Das heißt, auch hier bestehen großeChancen, wenn die Ausgestaltung praxisgerecht erfolgt.Nun zum Ausbau der zweiten Säule und zur Ein-führung der obligatorischen Modulation. Es ist richtig,dass die Kommission diesen Schritt verstärkt geht. DieModulation wird obligatorisch eingeführt. Das führt zu ei-ner besseren Fördergerechtigkeit, bringt mehr Mittel indie ländlichen Räume und verstärkt die Umweltgerech-tigkeit bei der Produktion. Auch die bäuerliche Produk-tion wird damit ganz deutlich gestärkt.Wichtig ist das im Übrigen nicht nur für die bisherigenMitgliedstaaten und für Deutschland mit seinen länd-lichen Regionen, sondern gerade für die Beitrittsländer.Allerdings müssen wir sagen: Die Modulation kommt zuspät, erst nach 2006, und mit viel zu niedrigen Anfangs-sätzen. Das heißt, wir setzen uns dafür ein, dass es zu ei-nem Vorziehen und zu einer besseren Ausstattung derModulationsregelung kommt, um auch in diesem Bereichin Zukunft die Agrarumweltprogramme zu stärken.Die Regelung im Hinblick auf die nachwachsendenRohstoffe – das hat meine Kollegin Wolff bereits ange-sprochen – halten wir nicht für akzeptabel. Wir möchten,dass nachwachsende Rohstoffe eine Zukunft haben undsie entsprechend gefördert werden.
Insgesamt muss man sagen: Die Reform der EU, dieEU-Osterweiterung und die WTO-Verhandlungen wer-den dazu führen, dass es – bis auf einen gewissen Sockel-betrag – immer weniger staatliche Transferleistungengibt. Es wird eine stärkere Marktorientierung notwendigsein, und zwar mit Blick auf die europäischen Verbrau-cher im Binnenmarkt. Das ist Bestandteil der Agrarpolitikder Grünen und wird von der Bundesregierung mit allerKraft vorangetrieben. Es wird also die Diskussion zuführen sein, mit der Ministerin Künast schon begonnenhat und die die CDU/CSU, die FDP und der Berufsstandnicht zu führen wagten, nämlich die Diskussion umdie Durchsetzung der Produktionskosten in den Erzeu-gerpreisen. Dieser Verantwortung müssen wir uns allestellen, auch die Wirtschaft und deren Interessenvertre-tung.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Happach-Kasan. Sie hält heute ebenso wie weitere Redner, die nochfolgen werden – ich nenne Thomas Silberhorn und PeterJahr –, ihre erste Rede in diesem Hause. Ich bitte also umviel Aufmerksamkeit für die neuen Abgeordneten.Bitte, Frau Kollegin.Ulrike Höfken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! DieEU wandelt sich, Deutschland hat sich im Laufe der Jahreebenfalls gewandelt. Die Agenda 2000 sollte die Erweite-rung der EU finanziell absichern. Das ist nicht gelungen.Wir werden weitere Reformschritte brauchen, um dies zuerreichen.Kollegin Wolff hat verschiedene kritische Bemerkun-gen zu den Legislativvorschlägen von EU-KommissarFischler gemacht. Damit liegt sie nicht schlecht. Ich willnur die Stichworte Grünland und nachwachsende Roh-stoffe, aber auch die Roggen-Intervention nennen. Wirwerden Sie aber danach bewerten, was von diesen kriti-schen Bemerkungen übrig bleibt, wenn die Regierungnachher darüber beschließt. Das wird die Zielmarke sein.
Es wird in Deutschland leicht vergessen, insbesonderein diesem Hause: Mehr als die Hälfte der Menschen inDeutschland lebt in ländlichen und halbstädtischen Re-gionen. Auch wenn diese Regionen nicht mehr ausschließ-lich durch die Landwirtschaft geprägt sind, so sähe dochdas Bild der freien Landschaft in Deutschland ohne Land-wirtschaft anders aus.
Die Ferienländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vor-pommern und Bayern verdanken einen Teil ihrer Attrakti-vität den ländlichen Strukturen. Arbeitsplätze in denHandwerksbetrieben und in der Ernährungsindustrie pro-fitieren vom wirtschaftlichen Erfolg der landwirtschaft-lichen Betriebe. Erdbeeren kann man das ganze Jahr überaus aller Welt importieren, aber am besten schmecken sieimmer noch im Mai, frisch gepflückt.
Ich will damit deutlich machen: Wir diskutieren hier Vor-schläge, die viele Menschen in Deutschland etwas angehen,nicht nur die schwindende Zahl der Bauern. Vor diesem Hin-tergrund müssen wir die Vorschläge von EU-KommissarFischler prüfen, sie auf ihre Auswirkungen für Deutschlandbewerten und die eigenen Interessen definieren.Die Landwirtschaft versorgt die Menschen mit hoch-wertigen Nahrungsmitteln; dies war so und dies soll sobleiben. Ihre Dienstleistungen für den Erhalt unserer Kul-turlandschaft müssen honoriert werden. Weizen kannman verkaufen, Schnitzel ebenfalls. Der Anblick vonKornblumen ist für den Betrachter umsonst, für den Land-wirt aber nicht. Das wird häufig vergessen.
Die FDPhat als erste und einzige Partei die Einführungeiner produktunabhängigen Kulturlandschaftsprämie vor-geschlagen. Damit will sie das gegenwärtige hochkom-plizierte Prämiensystem abschaffen.
Wir wollen die Direktzahlungen der EU von der Produk-tion entkoppeln, diese an die Bewirtschaftung der Flächenbinden und unter Einbeziehung des Grünlandes dieDienstleistungen der Landwirte für die Pflege und den Er-halt der Kulturlandschaft honorieren. So könnte es gelin-gen, den riesigen bürokratischen Aufwand zu vermindern.Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gehören zu denkostenintensivsten. Daher braucht eine unternehmerischeLandwirtschaft Planungssicherheit. Die Abstände zwi-schen den Agrarreformen der EU werden immer kürzer:1992 MacSharry, 2000 die Agenda 2000 und die nächsteReform folgt in 2007. Die Investition in einen Kuhstallrechnet sich aber erst im Laufe von 30 Jahren. Daran wirddeutlich, in welcher Weise ein Landwirt von politischenEntscheidungen abhängig ist und welch großes persön-liches Risiko er bei seinen Investitionsentscheidungen aufsich nimmt.Neben der Planungssicherheit brauchen Landwirte faireWettbewerbsbedingungen. Auf einem EU-Binnenmarktführen nationale Sonderwege dazu, die eigene landwirt-schaftliche Produktion in die Nachbarländer zu vertrei-ben. Schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen könnenwir uns das nicht leisten. Die Politik könnte sich dann fürihr vorbildliches Verhalten zwar an die Brust klopfen,aber die Eier werden aus Tschechien importiert, wo künf-tig die EU-Standards der Maßstab sind und nicht die deut-schen Verordnungen.
Auf den ersten Blick scheinen die drei eingebrachtenAnträge vor allem Gemeinsamkeiten zu zeigen. Es gibtaber auch eine ganze Reihe von Unterschieden. Ob die ge-meinsame Agrarpolitik der EU den Landwirten, wie dieCDU das fordert, die Erwirtschaftung eines angemesse-nen Einkommens ermöglichen wird, hängt ganz entschei-dend von den betriebswirtschaftlichen Voraussetzungenund der Ausbildung der Landwirte ab. Da gibt es keineGarantie. Ich muss in diesem Zusammenhang an denfrüheren Satz der CDU denken: Wer Bauer sein will, kannes auch bleiben.
– Wir wissen, lieber Kollege Carstensen: Das geht nicht.Aber auch die FDP tritt dafür ein, dass sich der Struk-turwandel nicht weiter beschleunigt, wie dies in den letz-ten Jahren zu beobachten war.Rot-Grün fordert möglichst einheitliche Mindest-standards in den EU-Mitgliedstaaten. Gut, auch die FDPfordert dies. Doch Rot-Grün weiß, dass die Standards fürdie landwirtschaftliche Produktion in der EU und insbe-sondere in Deutschland hoch sind, sonst hätten wir nichtsolch hochwertige Lebensmittel. Die konkrete Politik vonRot-Grün zielt doch gerade darauf, für Deutschland Son-derregelungen festzuschreiben, die, ganz im Gegensatz zuden Aussagen im eigenen Antrag, für die landwirtschaftli-chen Betriebe zu Wettbewerbsverzerrungen führen würden.
2252
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2253
Die Nennung des Faktors Arbeit als Kriterium zurPrämienberechnung bedeutet, dass der tüchtige, effek-tiv arbeitende Landwirt durch das Prämiensystem be-straft wird. Das ist leistungsfeindlich. Das lehnen wirab.
Geradezu rührend ist im vorliegenden Antrag die Er-wähnung der Wanderschaf- und Ziegenhaltung. Das solldem Antrag wohl Lokalkolorit geben und von rot-grünenFehlleistungen ablenken.Es ist schon auffällig, liebe Kolleginnen und Kollegenauf der linken Seite: Keiner der bekannten Sprüche ist zulesen. Sogar der Spruch „Klasse statt Masse“ fehlt. Viel-leicht hat Rot-Grün begriffen, dass die Probleme nichtbeim frisch geernteten Produkt liegen, sondern in derWeiterverarbeitung. Auch die Agrarwende ist zu Recht inder Versenkung verschwunden. Gut so; denn noch immergilt: Im Märzen der Bauer, auch wenn er nicht die Röss-lein anspannt, sondern sich an den Computer setzt und aufden Trecker steigt.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ers-ten Rede.
– Entsprechend dem Thema der Debatte überreichen Ih-nen die Kollegen etwas Nahrhaftes und keine Blumen.Das Wort hat jetzt der Minister für Ernährung, Land-wirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt –diese Liedstrophe ist eben genannt worden. Ich habe denEindruck, dass es hier einen gewissen Grundkonsens gibt.Wir sind uns darüber einig, dass die Landwirte inDeutschland für die Kulturlandschaft in den letzten Jahr-zehnten hervorragende Arbeit geleistet haben und dieseauch den nächsten Jahrzehnten leisten werden. Im Übri-gen gehöre auch ich als Landwirt dazu.Es ist schön, dass wir, kurz bevor die Vegetation zusprießen beginnt, im Deutschen Bundestag im Rahmender Debatte zur Agrarwirtschaft über die Zukunft derdeutschen Landwirtschaft reden. Ich bin der festen Über-zeugung, dass die europäische Agrarwirtschaft vor neuenHerausforderungen steht.Erstens. Der Vollzug der beschlossenen EU-Osterwei-terung zum Mai 2004 steht vor der Tür.Zweitens. Das Thema Herstellung der WTO-Konfor-mität steht auf der Tagesordnung. Dies muss dringendumgesetzt werden, und zwar möglichst noch in diesemJahr, damit wir Klarheit in Bezug auf die Rahmenbedin-gungen bekommen.Drittens. Ich halte eine stärkere Ausrichtung der Agrar-wirtschaft auf marktorientierte Entwicklungen im Innen-verhältnis Europas für richtig. Gleichzeitig will die Ge-meinschaft – auch das ist zu unterstreichen – natürlich anden Grundfesten der Agrarpolitik und den Reformen fest-halten, die eingeleitet worden sind.Viertens. Die Unterstützung und Stärkung der benach-teiligten Gebiete steht mit im Vordergrund. Dabei denkeich an die strukturschwachen Regionen Deutschlands;Mecklenburg-Vorpommern und die ländlichen Räumeinsgesamt gehören dazu.Die Gemeinschaft will aber auch – das ist zu unter-streichen – den bereits begonnen vernünftigen Weg, näm-lich zu konsolidieren, weitergehen. Das betrifft insbeson-dere Bereiche wie die Nachhaltigkeit oder die Umwelt,die Verbraucherschutzproblematik – das ist zurzeit vor al-lem mit Blick nach Thüringen ein sehr aktuelles Thema –und natürlich auch den Tierschutz, der in den letzten Jah-ren in der Öffentlichkeit sehr stark an Bedeutung gewon-nen hat.Das heißt, wir brauchen strategische Veränderungen;diese sind unerlässlich. Ich glaube auch, dass wir ge-meinsam einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen denLandwirten und der Gesellschaft entwickeln müssen.
Ich darf Sie ausdrücklich daran erinnern, dass sich anden Zielen einer gemeinsamen Agrarpolitik in Europanichts geändert hat.Schauen wir uns den Art. 33 des EG-Vertrages oder dasLandwirtschaftsgesetz an. Dort geht es darum, die nach-haltige Entwicklung der ländlichen Räume zu fördern so-wie die Einkommen innerhalb der Landwirtschaft zu ent-wickeln und sie nicht von der gesamtgesellschaftlichenEntwicklung abzukoppeln. Leider hat es hier in den letz-ten Jahren ein Auseinanderdriften gegeben.Es ist klar, dass eine Agrarreform wohl überlegt undsozial ausgewogen sein sowie zukunftsfähig und nach-haltig ausgerichtet werden muss. Die Entwicklungen zei-gen aber auch, dass es höchste Zeit für einen neuen Ver-trag zwischen der Gesellschaft und der Landwirtschaft ist.Es kann und darf nicht alles so bleiben, wie es ist. Dassage ich ganz klar auch an die Adresse der CDU/CSU.Wer glaubt, er könne bei diesem Thema auf dem gegebe-nen Stand verharren, der wird irgendwann ad absurdumgeführt.
Daher begrüße ich die Vorschläge von Herrn Fischlerausdrücklich.
Dr. Christel Happach-Kasan
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Minister Dr. Till Backhaus
Aus meiner Sicht stellen sie einen grundsätzlich richtigenSchritt in die richtige Richtung dar.
– Ich gehe davon aus, dass das ein Ihrer Partei nahe ste-hender Parteifreund ist. Ich weiß gar nicht, warum es hiereinen Widerspruch gibt.
– Jetzt wird es ja interessant. – Ich begrüße ebenfalls aus-drücklich, dass wir hierfür in Kopenhagen die grund-sätzlichen finanziellen Rahmenbedingungen gesetzt ha-ben und dass damit Planungsklarheit herrscht. Nun gehtes um die Ausgestaltung.
Ich will hier nicht nur Kritik vortragen, sondern vor al-len Dingen alternative Vorschläge unterbreiten. Frau Bun-desministerin, dies tue ich im Übrigen auch im Wissen,dass wir mit pfiffigen und guten neuen Ideen gemeinsaman der Front kämpfen werden, um dies in Brüssel mit En-gagement und Vehemenz zu vertreten. Ich halte es an die-ser Stelle auch für richtig, Ihnen, Frau Bundesministerin,sehr dafür zu danken, dass Sie die Streichung der Kap-pung der Ausgleichszahlungen aus diesem Papier erreichthaben. Herzlichen Dank dafür.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kommenun zur Entkoppelung der Ausgleichszahlungen von derProduktion. In Anbetracht der WTO-Verhandlungen gibtes gar keine andere Alternative. Ich begrüße sie unter derVoraussetzung, dass die Verlagerung der Zahlungsan-sprüche von dem Produzenten auf den aktiven – das be-tone ich – Bewirtschafter der Fläche erfolgen wird. Deraktive Landwirt muss im Vordergrund stehen.In Europa ist die Sicherstellung der Versorgung mithochwertigen Lebensmitteln zur Selbstverständlichkeitgeworden. Wenn überhaupt, dann stehen vor allen DingenFragen der Herkunft, der Qualität und des Preis-Leis-tungs-Verhältnisses der Produktion im Vordergrund. Sollteman die landwirtschaftliche Produktion nicht schrittweisestärker den Kräften des Marktes überlassen, wie dies beianderen Erzeugnissen auch geschieht? Wäre das nichtrichtig? Das böte vielen Landwirten – gerade auch in denneuen Bundesländern – eine Entwicklungsperspektive.Selbstverständlich wäre das mit höheren Risiken verbun-den. Ich darf meine Kollegin aus Bayern ansprechen: Ge-rade für kleine strukturierte Betriebe, aber auch fürgrößere Unternehmen wäre das mit höheren Risiken ver-bunden.Eine halbe Marktwirtschaft gibt es eben nicht und einehalbe soziale Marktwirtschaft erst recht nicht. Wenn dieGesellschaft auch künftig noch Ausgleichszahlungen andie Landwirte akzeptieren soll – diese haben in der Ge-meinschaft immerhin eine Größenordnung von 42,5 Mil-liarden Euro –, dann müssen die Land-, Forst- undFischwirte eine Kulturlandschaftspflege und damit dieEntwicklung auf hohem Niveau, Beschäftigung – das be-tone ich ausdrücklich – und natürlich auch eine Wert-schöpfung im ländlichen Raum sichern. Dies tun sie wiekaum jemand anderes. Dafür bedanke ich mich bei denLandwirten in Deutschland ausdrücklich.
Das meine ich im Prinzip mit einem neuen Gesell-schaftsvertrag. Daher ist die Umstellung von Ausgleichs-zahlungen, sodass sie einen Flächenbezug haben, auchgesellschaftspolitisch absolut richtig.
Vernünftigerweise sollte der Gesellschaft jeder Hektar– das betone ich – gleich viel wert sein. Für jeden Hektar,den man bewirtschaftet, sollte man also eine ähnliche Prä-mie erhalten. Deswegen meine ich, dass das von der Kom-mission vorgeschlagene Betriebsprämienmodell diesemAnsatz nicht gerecht wird; das möchte ich ausdrücklichbetonen. Es würde teilweise fragwürdige historische An-sprüche zementieren. Ich befürworte stattdessen eine ein-heitliche Flächenprämie je Hektar in ganz Deutschland,zumindest aber auf der Ebene der Bundesländer.
Um Mitnahmeeffekte zu minimieren und gleichzeitigmögliche Beschäftigungsprobleme abzumildern, schlageich vor, die Höhe der künftigen Prämien an die Zahl dersozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zu koppeln.Ich könnte mir für Deutschland – das habe ich mitHerrn Fischler diskutiert – einen Höchstbetrag von bis zu30 000 Euro je Arbeitskraft vorstellen. Das wäre eine Be-grenzung, die sich nicht an der Betriebsgröße oder derStruktur orientiert, sondern am Beitrag des Unternehmenszur Sicherung von Beschäftigung im ländlichen Raum. Istdas nicht ein vernünftiger Ansatz?
Die Zusammenfassung aller Prämien zu einer einheit-lichen Prämie je Hektar kann im Übrigen auch dazu bei-tragen, bürokratische Belastungen abzubauen. Das wollenwir doch alle. Übertragungsregelungen ohne feste Bin-dung an die Fläche lehne ich jedoch ab. Wo das hinführenkann, haben wir im Zusammenhang mit der Milchquo-tenproblematik gesehen. Wollen wir denn wieder neueSofamelker oder Sofalandwirte produzieren? Ich möchtedas nicht.
Deswegen muss man sich ganz klar auf den aktiven Be-wirtschafter konzentrieren.
Die Kommission schlägt vor, die Roggen-Interventionübergangslos zu beenden. Das würde weite Teile der deut-schen Landwirtschaft, insbesondere in den neuen Bun-desländern und auf den ertragsschwachen Standorten, un-vermittelt und wegen fehlender Alternativen besondershart treffen. Ich denke dabei an ein Stufenmodell. Außer-
2254
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2255
dem sind Kompensationsmaßnahmen in Richtung dernachwachsenden Rohstoffe dringend notwendig.DieangestrebteMarktorientierungstelltdieobligatorischeFlächenstilllegung grundsätzlich infrage. Ich schlage vor, ander Flächenstilllegung nur als vorsorglichem Steuerinstru-ment bei Marktturbulenzen festzuhalten. Hierfür wäre einvariabler Satz geeignet, der möglichst nahe bei null liegensollte.DasistausökologischenGründensinnvollundrichtig.Zu den Marktordnungsmaßnahmen Milch. Die Vor-schläge zur Milchmarktordnung sind aus der Sicht desLandes Mecklenburg-Vorpommern alles andere als aus-gewogen; das sage ich ausdrücklich.
Keinesfalls können wir der Aufstockung der Quote um wei-tere 2 Prozent zustimmen; denn wir müssen die wirtschaft-liche Dimension beachten. Deutschland produziert ein Vier-tel der europäischen Milch und trägt bei der Veredlung vonMilchprodukten den Löwenanteil. Jährlich verarbeiten un-sere Unternehmen mit immerhin 38000 Beschäftigten biszu 27 Milliarden Kilogramm Milch. Daran hängen auch120 000 deutsche Milchviehbetriebe. Dahinter verbirgt sichein Markt von etwa 20 Milliarden Euro.Wir schlagen vor, dass wir in einer Übergangszeit – ähn-lich wie es dargestellt worden ist – die Quote endgültig ab-schaffen und ein mengengesteuertes System über die Mol-kerei bzw. über die Superabgabe als Steuerungsinstrumentab dem Jahre 2015 entwickeln. Ich denke, dass dieser Vor-schlag einen flexiblen und gleitenden Weg aufzeigt.Zur Modulation. Das von der Kommission vorge-schlagene degressive Modulationsmodell der entkoppel-ten Beihilfen und das Splitting der Betriebe lehne ich aus-drücklich ab. Den Vorzug sollte ein lineares Modellbekommen, das einheitliche Kürzungssätze für alle Be-triebe in Europa vorsieht. Auf dem Grundsatz dessen, wasich vorgelegt habe, ist das gerecht. Nach dem Kommissi-onsmodell würde der durchschnittliche Modulationssatzin Mecklenburg-Vorpommern 2013 bei 17 Prozent liegen.Dies können wir nicht hinnehmen. Das ist ein Diskrimi-nierung unserer Betriebsstruktur.
Wir wollen eine Stärkung der ländlichen Räume, umauch dafür eine Lösung zu finden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ihre Redezeit wird
währenddessen angehalten.
Ja, gerne.
Das gibt es nur im Bundestag, dass man die Zeit an-
halten kann.
Herr Minister Backhaus, ich bin schon irritiert. Sie be-grüßen grundsätzlich Fischlers Vorschläge. Jetzt kommenSie mit 25 Abers – von der Modulation bis zur Abschaf-fung der Obergrenze bei den Betrieben. Die Degression istja in den Vorschlägen noch enthalten. Wenn Sie jetzt sagen,dass Sie für die Abschaffung der Quote sind, muss ichmich schon fragen: Wie wollen Sie den Standort Deutsch-land bei der Agrarproduktion in Europa halten, wenn Sienicht einen gewissen Schutz für unsere Bauern vorsehen?Sie begrüßen grundsätzlich auch die Vorschläge vonHerrn Fischler, die bedeuten, dass die Getreidebauern aufdie Straße gehen müssten, weil ihnen die umverteiltenMittel bei Milch und Zucker genommen würden. Das istdoch die Wahrheit; das ist in diesen Vorschlägen enthal-ten. Weil Sie sagen, dass Sie die Vorschläge grundsätzlichbegrüßen, frage ich Sie: Sind Sie dieser Auffassung?
Ich habe gerade versucht, die Grundsätze meiner Poli-tik in Mecklenburg-Vorpommern darzustellen. Daranwerden Sie erkannt haben, dass wir – ich beziehe michnoch einmal auf die Milchquotenproblematik – einengleitenden Ausstieg aus der Milchquotewollen. Im Übri-gen dürfte es Ihrer Aufmerksamkeit ja nicht entgangensein, dass die Beschlusslage im Agrarrat eindeutig ist undder Ausstieg aus der Quote im Jahre 2008 umgesetzt wer-den soll. Meine Damen und Herren, das ist Beschlusslage,
allerdings mit der Einschränkung, dass die Vorgehens-weise in der Halbzeit überprüft werden soll. Deswegensage ich: Wir wollen bis zum Jahr 2015 einen gleitendenProzess des Ausstieges aus dieser Quote.
Dann wollen wir ein mengengesteuertes System über dieMolkereiwirtschaft bzw. ein Modell, das als Instrumentder Steuerung über die Superabgabe umgesetzt wird.
– Sie können mir abnehmen, dass ich mich mit der Wendesehr intensiv damit befasst habe, was im Bereich der Quo-tenregelung seit 1984 in Deutschland – damals stellte dieCDU/CSU den Landwirtschaftsminister – passiert ist. Ichmeine, dass man die Landwirte damit zum Teil in denRuin getrieben hat. Jetzt wollen Sie ein Modell ent-wickeln, das diese Märkte stabilisieren soll. Das, was Siehier versuchen, ist doch unredlich.
Ich will abschließend noch etwas zu der Modulationauf nationaler Ebene sagen. Jawohl, ich habe mich für dieModulation stark gemacht und den Kompromiss in ent-scheidenden Teilen mit ausgehandelt. Auch habe ich michMinister Dr. Till Backhaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Minister Dr. Till Backhaus
lange Zeit dafür ausgesprochen. Trotzdem bitte ich diesesHohe Haus, sowohl aufgrund der Einkommenssituationim Agrarbereich, die ja ernst ist, als auch im Zusammen-hang mit der Diskussion über die Reform der Agrarpoli-tik zu überdenken, ob die Modulation im nationalen Rah-men nicht zunächst für ein Jahr ausgesetzt werden kann,damit wir genau prüfen können, ob das zu der Vorstellungvon Franz Fischler kompatibel ist. Denn nichts wäreschlimmer, als wenn wir nachher in Europa oder inDeutschland zwei Modelle hätten, die nicht zueinanderkompatibel wären.Auch ich sehe – damit komme ich zum Schluss – dasZiel der Reform darin, alles für die weitere Stärkung derländlichen Räume zu tun. Aber vor dem Hintergrund desModells, das vorgelegt wurde, sehe ich nicht, dass wir inDeutschland in diesem Bereich viel Geld aus Brüssel be-kommen werden. Allein für Mecklenburg-Vorpommernwürde dies bedeuten, dass von den Preisausgleichszah-lungen in Höhe von 450Millionen Euro, die unsere Land-wirte in den ländlichen Räumen bekommen, etwa130 Millionen Euro quasi in den Kassen Brüssels versin-ken und im Wesentlichen nicht zurückfließen würden.Dies können wir nicht verantworten. Deswegen fordereich Sie auf, unseren Antrag, der in Kürze im Bundesratvorliegen und über den dort diskutiert werden wird, ge-meinsam zu unterstützen und uns zu helfen, damit es inDeutschland eine Zukunft für die Landwirtschaft gebenkann.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die EU-Kommission hat eine neue Agrarreform vorgelegt und da-mit ihren ursprünglichen Plan einer Halbzeitbewertungder bis 2006 angelegten Agenda 2000 aufgegeben. Kom-missar Fischler möchte damit eine wettbewerbsfähige,umwelt- und tiergerechte, sozialverträgliche Landwirt-schaft in allen Teilen der EU anstreben. Das ist gut und rich-tig. Was er vorgelegt hat, ist aber das genaue Gegenteil.
Die auf über 160 eng bedruckten Seiten aufgeführtenVorschläge
sind ein Vorstoß in eine neue Dimension staatlicherBevormundung, eine Verschwendung von Steuermittelnund ein bürokratischer Exzess, der seinesgleichen sucht.
Die wenigen guten Lösungsansätze werden – ich be-haupte: bewusst – durch Umsetzungsmodalitäten in ihrGegenteil verkehrt. Die Bundesregierung gehört zu einerMinderheit von vier Staaten, die dieses bürokratischeMonstrum auch noch grundsätzlich begrüßt haben, FrauKünast. Alle anderen Länder, darunter auch Frankreich,lehnen diese Vorschläge zum Teil grundsätzlich ab.Ich werfe Ihnen vor, Frau Künast, dass Sie sich mitIhrer Unterstützung Fischlers zur Helfershelferin einesVertragsbrüchigen machen.
Ich will das auch begründen.Erstens. Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht lan-ge Planungsräume. Die geplante Aufkündigung dersicherlich verbesserungswürdigen Agenda 2000 bedeutetnach Berechnungen des Deutschen Bauernverbandes fürdie deutsche Landwirtschaft schon im nächsten JahrEinkommensverluste in Höhe von 568 Millionen Euro.Die Bauern und die Betriebe der Ernährungswirtschafthaben keine Chance, sich binnen eines Jahres auf dieneuen Rahmenbedingungen einzustellen. Damit verlierenviele Bäuerinnen und Bauern ihre Existenz und nochmehr Arbeitnehmer im vor- und nachgelagerten Bereichihren Arbeitsplatz – und das in der derzeitigen Situation.
Zweitens. Ihr Verhalten gegenüber den zehnBeitrittsstaaten ist nicht fair, Frau Künast. Zwar sitzendiese zehn Länder ab Mai mit am Verhandlungstisch, siehaben aber kein Stimmrecht. Allein deswegen ist dieGlaubwürdigkeit der Laufzeit einer vorgezogenen Agrar-reform bis 2012 jedenfalls meiner Meinung nach infragegestellt.
Drittens. Sie haben bis heute keine Berechnungen überdie möglichen Auswirkungen auf die deutschen Land-wirte vorgelegt, Frau Künast. Bayern und Sachsen-An-halt haben das innerhalb weniger Tage geschafft.
Sie kommen zu verheerenden Ergebnissen. Insbesonderedie Milchwirtschaft und der damit zusammenhängendeErhalt des Grünlandes – und zwar vor allem in den Mit-telgebirgslagen – ist ein ernstes Problem. Sie sollteneigentlich wissen, Frau Künast: Wo die Milch wegfließt,verschwindet das Grünland und dann stirbt auch derWiesenbrüter.
Sie von der Koalition tappen im Dunkeln und haben– wenn man Ihr Fernziel eines Anteils der Ökoland-wirtschaft von 20 Prozent außer Acht lässt – noch nichteinmal eine Vorstellung von einer zukünftigen Land-wirtschaft. Für 97 Prozent der Landwirte haben Sie keinKonzept, kein Ziel und keine Vision. Auch agrarpolitischsieht sich diese Bundesregierung damit in Europa in dieEcke gestellt. Es ist eben kein Lob für Sie, Frau Künast,wenn die Hoffnungen der deutschen Bauern auf der
2256
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2257
französischen Regierung und dem französischen Staats-präsidenten Chirac liegen.Worum geht es also? Was die Kommission jetztvorgeschlagen hat, ist auch ein Angebot an die WTO. DieGenerallinie lautet: Absenkung der Preisstützung, umdie Nahrungsmittelpreise auf Weltmarktniveau zu brin-gen. Dazu muss man wissen, dass weder in den USAnochanderswo die Preise, insbesondere für Getreide, in denletzten Jahren kostendeckend waren. Nicht viele wissen,dass die Vereinigten Staaten 2001 pro Vollerwerbsland-wirt Subventionen in Höhe von 22 000 Euro geleistethaben. Dagegen war die EU mit 17 000 Euro pro Voll-erwerbslandwirt noch sparsam.Hüben wie drüben versucht man mit wechselseitigenForderungen bei der WTO-Konferenz Marktanteile durchexterne und interne Stützungsmaßnahmen zu halten.Fischlers Angebote allerdings sind von der WTO kassiertund mit zusätzlichen Forderungen beantwortet worden.So jedenfalls ist der jüngste Vorstoß des Vorsitzenden desAgrarkomitees der WTO, Harbinson, zu werten.Es ist deshalb dringend erforderlich, Frau Ministerin,dass Sie mit den Vereinigten Staaten einen Interessenaus-gleich finden. Ob Sie allerdings in der derzeitigen Situ-ation dort einen Termin bekommen, wage ich zu be-zweifeln.Zurück zu den Vorschlägen Fischlers: Der Getreide-preis soll gesenkt und 50 Prozent des dadurch entstehen-den Einkommensausfalls sollen ausgeglichen werden.Viel schlimmer ist es noch bei der Milch. Der Milchpreissoll innerhalb von fünf Jahren um bis zu 25 Prozent fallen.Dafür sollen den Landwirten 4,1 Cent pro Liter ausSteuermitteln überwiesen werden. Wer aber meint, dassdiese Preissenkungen beim Verbraucher ankommen, derirrt sich gewaltig.
Die Preissenkung bei Getreide – die Preise sind in denletzten Jahren fast um die Hälfte gesunken – hat nichtdazu geführt, dass Bot und Brötchen billiger wurden. Dasgenaue Gegenteil ist der Fall. So wird es auch bei denMilchprodukten sein.
Jetzt wird es kompliziert: Alle für einen Betriebgezahlten Subventionen sollen auf der Basis verschie-dener Berechnungsgrundlagen addiert werden und dannunabhängig davon, ob ein Landwirt produziert oder nicht,als so genannte Betriebsprämie bezahlt werden. So et-was nennt man Entkoppelung. Damit ist auch der Begriffdes Hängemattenbauern in der Welt. Die Prämienrechte,die zudem handelbar sein sollen, sollen über einen be-stimmten Zeitraum bis zu 19 Prozent gekürzt und um-verteilt werden. Das heißt nichts anderes, als dass sie ausDeutschland wegfließen.Das war noch nachvollziehbar, jetzt kommt aber derJoker: Derjenige, der diese Prämie haben will, muss38 EU-Vorschriften beachten, sonst gibt es Abzüge. Alleindie Titel dieser 38 Vorschriften füllen zwei DIN-A4-Seiten. Damit aber nicht genug: Jetzt hat Herr Fischlervorgeschlagen, dass Betriebe ab 15 000 Euro Direkt-zahlung eine Zwangsberatung erhalten sollen.
Damit machen Sie – Sie haben das durch die Be-grüßung der Vorschriften unterstützt – die deutschen undeuropäischen Bauern zu ferngesteuerten Zettelwirten.Das lassen wir uns nicht gefallen.
Unsere Position ist klar: Erstens. Wir fordern, dass dieAgenda 2000 bis zum Jahr 2006 läuft, wobei Verbesserun-gen am Milchmarkt nötig sind, und sie als Grundlage fürdie WTO-Verhandlungen angesehen wird.Zweitens. Wir halten an Mengenregulierungen zurStabilisierung der Märkte, insbesondere bei Milch undZucker, fest.Drittens. Eine totale Entkopplung von Ausgleichszah-lungen lehnen wir ab. Wir legen unbedingten Wert darauf,dass nur wirtschaftende Betriebe für erbrachte Leistungenentlohnt werden. Dabei können wir uns auch ein dreistu-figes Modell von Grund-, Zusatz- und Sonderprämien fürgesamtgesellschaftliche Leistungen vorstellen. Eine De-gression der Entlohnung lehnen wir ebenfalls ab.Viertens. Eine Zwangsberatung landwirtschaftlicherBetriebe halten wir genauso wenig für zielführend wie dieSanktionierung von Verstößen gegen geltendes Rechtdurch Prämienentzug. Eine solche Sanktionierung istAufgabe der Rechtsprechung.Fünftens. Wir treten für eine stärkere Nutzung von land-wirtschaftlichen Flächen für nachwachsende Rohstoffeein. Dazu gehört auch der Anbau auf Stilllegungsflächen.
Die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung istin jedem Fall günstiger und hat eine höhere Wertschöp-fung als zum Beispiel die Windenergie.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich will mit einem Appell schließen. Ich möchte Sieherzlich bitten, dafür zu kämpfen, dass wir auch inZukunft eine breite Verteilung von Grund und Bodenhaben, unsere Kulturlandschaft erhalten, unsere Vorstel-lungen vom Tierschutz Bestand haben und die Menschenin der Agrarwirtschaft auch in der EU25 und nach WTO IInoch eine Perspektive haben.Ich fordere die Bundesregierung auf, in Anbetracht derbeißenden Kritik aller Fachleute ihre grundsätzliche Zu-stimmung zu dieser Reform zurückzunehmen.Ich danke Ihnen.
Peter Bleser
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhold Hemker.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Es ist klar geworden: Die heutige Debatte beschäftigt sichmit Vorschlägen – nicht mit endgültigen Entscheidungen –,die Teil eines Prozesses sind, der weltweite Auswirkun-gen hat und von weltweiten Entwicklungen beeinflusstwird. Das heißt, ohne einer Debatte zu den Welthandels-konferenzen vorgreifen zu wollen, wir beschäftigen unshier mit einem Bereich, in dem es um die Schaffung undWeiterentwicklung von Strukturen und letztlich auch umdie Entwicklung und um den Frieden in der Welt geht. Dasgilt insbesondere, wenn man auf die EU-Osterweiterungschaut.Ich sage heute: Ich möchte es noch erleben, dass jeneLänder des Balkans Mitglieder in der EuropäischenUnion werden, in denen noch vor einigen Jahren Bürger-krieg herrschte und in denen jetzt auf der Basis des Aus-baus der Agrar- und Ernährungswirtschaft wieder für in-nere Sicherheit und Frieden gesorgt wird.
Sie wissen, dass der Globalisierungsprozess von en-gagierten Christen und von den Kirchen mit Aussagenzum so genannten konziliaren Prozess begleitet wird. Eswerden Leitorientierungen genannt, an die wir denkenmüssen, wann immer wir über Reformen im Agrarbereichsprechen: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung derSchöpfung. Mittlerweile enthalten nicht nur die Präam-beln in den Programmen derjenigen Parteien, die sichchristlich nennen, diese Begriffe. Das ist – um es auf einekurze Formel zu bringen – eine theologisch-sozialethi-sche Beschreibung der drei Kennzeichen des global zuverankernden Nachhaltigkeitsprozesses, wie er auf derWeltkonferenz für Entwicklung und Umwelt 1992 alsausgewogener Dreiklang festgelegt wurde. Die damalsfreiwillig abgeschlossenen verpflichtenden Vereinbarun-gen sind für uns eine grundlegende Orientierung. Dasmuss auch so bleiben, wenn wir uns in die Reformbe-mühungen sowohl auf der Welt- als auch auf der Europa-ebene einschalten.Beim EU-Agrarreformprozess stoßen wir immer wiederauf die Grundlagen dessen, was wir mit langfristigerTragfähigkeit bezeichnen: für die Bearbeitung von Grundund Boden, das Pflanzen und Säen, die Verarbeitung derProdukte und das Handeln mit ihnen. Dabei geht es – dasist das Entscheidende – um die Sicherung, die Schaffungund die Weiterentwicklung der ökonomischen Grundla-gen, und zwar nicht nur in der jetzigen, sondern auch inder erweiterten EU. Das gilt auch für Deutschland mitseinen vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Es geht desWeiteren um die ökologische Qualifizierung – das wirdimmer wieder vergessen, wenn wir über Reformprozessepolitisch diskutieren – als Beitrag der Agrar- und Er-nährungswirtschaft für den Erhalt einer Erde mit einerUmwelt, die lebenserhaltend sein muss. Es geht nichtzuletzt – das fordert die sozialen Dimensionen heraus –auch um Ausgleichsgerechtigkeit, und zwar global, re-gional, national und lokal.Genau vor diesem Hintergrund sind die Vorschläge derKommission zu bewerten, und zwar – dazu hat MinisterBackhaus ja bereits das Wichtige und das Richtige ge-sagt – auch unter Berücksichtigung der Interessen der-jenigen, deren Betriebe mit den jeweiligen Produktions-schwerpunkten betroffen sind. Ausgleich ist also weiter-hin wichtig. Aber klar muss sein – das ist die Position derBundesregierung und der Europäischen Kommission –:Einen wie auch immer gearteten Ausgleich, der indirektoder direkt der Entwicklung in anderen Ländern entge-gensteht – das gilt insbesondere für die ärmeren Länder;darüber werden wir in einigen Wochen oder Monaten imZusammenhang mit der WTO-Debatte noch ausführlichreden –, wollen wir nicht. Deswegen verweisen wir imKoalitionsantrag darauf, dass „mit der Agenda 2000 zwareine tragfähige Grundlage für die Erweiterung und dieWTO-Verhandlungen geschaffen wurde, dennoch in vie-len Bereichen Handlungsbedarf“ besteht.Wir haben – das habe ich schon mit meiner Eingangs-bemerkung deutlich gemacht – keine fertigen Beschlüsse.Wir befinden uns vielmehr in einem Reformprozess, überden wir parlamentarisch mitberaten und zu dem wirEmpfehlungen an die Regierung aussprechen. Das giltnatürlich auch für diejenigen Vorschläge, die nach denBerichten des Agrarrats im Fachausschuss vorgelegt wer-den – ich bin auf die Diskussionen sehr gespannt –, sowiefür die Vorschläge aus dem Modalitätenkatalog, lieberPeter Bleser – das sage ich auch an die Adresse der anderenRedner –, den der Vorsitzende des WTO-Agrarausschusses,Harbinson, vorgelegt hat. Wir werden während der Debatteüber die WTO-Verhandlungen auch darüber reden.Ich erkläre für unsere Fraktion: Der Agrarreformpro-zess geht in die richtige Richtung, und zwar nicht nur ausumwelt- und entwicklungspolitischen Gründen, sondernauch, weil er viele neue Möglichkeiten für die Betriebe inDeutschland und in der Europäischen Union aufzeigt. EinBeispiel hat Peter Bleser vorhin erwähnt. Dieses Beispielzeigt Möglichkeiten dafür auf, dass – ich zitiere aus unse-rem Antrag – „der Ausbau der stofflichen und energeti-schen Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe vorange-trieben wird und der Anbau nach wie vor eine attraktiveEinkommensalternative bleibt“.
Dieser Ansatz muss weiterhin verfolgt werden.Peter Bleser, ich bin froh, dass du gesagt hast: Nach-wachsende Rohstoffe müssen natürlich auch auf Stillle-gungsflächen angebaut werden können. Ich gehe davonaus, dass gerade dieser Bereich in der Zukunft eine Er-folgsstory sein wird.
– Nun einmal langsam, Harry. In diesem Antrag sind ein-zelne Punkte erwähnt. Wir können darin nicht ein ganzesProgramm festhalten. Im Übrigen ist durch das Erneuer-bare-Energien-Gesetz gerade dieser Bereich weiterent-
2258
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2259
wickelt worden. Dafür ist diese Regierung verantwort-lich.
Ich verweise in diesem Zusammenhang noch auf etwasanderes. In Deutschland werden zur Verwertung nach-wachsender Rohstoffe mittlerweile die besten Anlagender Welt gebaut. Sie sind – das kann man schon heute sa-gen – ein Exportschlager. Ich gehe davon aus, dass dieWeiterentwicklung dieses gesamten Bereiches großeChancen bietet. Das gilt im Übrigen auch für diejenigenLänder, denen wir uns insbesondere im Rahmen der De-batte über die WTO-Verhandlungen zuwenden werden.Viele der ärmeren Länder dieser Welt, insbesondere dieganz armen, haben eigentlich nur deswegen eine Chance,nachwachsende Rohstoffe zu verarbeiten, weil sie andereRohstoffe gar nicht haben – und das nicht nur für die ener-getische Nutzung. Von daher ist der EU-Agrarreformpro-zess Teil eines globalen Veränderungsprozesses.Meine Fraktion und unser Koalitionspartner wünschenuns, dass die Verhandlungen in Europa und auf derWTO-Ebene das alles auch weiterhin berücksichtigen. Essind zwar auch die Eigeninteressen einzubringen, aber esist jeweils zu bedenken, dass der Gleichklang von Ökolo-gie, Ökonomie und sozialer Orientierung nur gelingenkann, wenn es bei den entsprechenden internationalenVerhandlungen, die nach der Rio-Konferenz stattfinden,Fortschritte gibt. Frau Ministerin, in diesem Sinne wün-sche ich der Regierung bei diesen Verhandlungen allesGute und ein gutes Vorankommen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas
Silberhorn.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Unsere Agrarpolitik ist darauf ausgerichtet,eine flächendeckende Bewirtschaftung unserer Kultur-landschaft sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeitunserer Landwirte zu erhalten. Beide Ziele sind mit demVorschlag der EU-Kommission zur Reform der gemein-samen Agrarpolitik nicht zu erreichen. Lassen Sie michdas anhand der vorgesehenen Entkopplung der Direktzah-lungen und der Reform der Milchmarktordnung darlegen.Die Entkopplung der Direktzahlungen von der Pro-duktion ist als solche noch nicht problematisch. Entschei-dend ist, woran angekoppelt wird. Genau das ist derPunkt, an dem der Vorschlag der Kommission, nämlichdie Direktzahlungen künftig an die Betriebe zu binden,aus meiner Sicht unannehmbar ist, weil er zu krassen Un-gerechtigkeiten führen würde:
Wenn nämlich betriebsbezogene Prämien nach dem bis-herigen Prämienvolumen in einem bestimmten Referenz-zeitraum bemessen werden sollen, dann bedeutet das imErgebnis eine Festschreibung der bisherigen Betriebs-strukturen. Dadurch werden wir nur neue Wettbewerbs-verzerrungen erleben. Was wir stattdessen brauchen, istChancengleichheit im Binnenmarkt.
Gerade die kleinen Betriebe werden mit Betriebsprämienjede Chance einer Weiterentwicklung verlieren und letztlichleichter aus dem Markt gedrängt werden können. DiesesModell ist ein Existenzvernichtungsprogramm für bäuer-liche Familienbetriebe. Das ist mit uns nicht zu machen!
Es sind die vielen Familienbetriebe, die bei uns nocheine flächendeckende Bewirtschaftung gewährleisten.Das prägt nicht nur unsere Kulturlandschaft, sondern dassichert auch die Zukunft unserer ländlichen Räume. Werdagegen betriebsbezogene Prämien einführen will, verab-schiedet sich von dem Ziel einer flächendeckenden Land-bewirtschaftung. Das werden wir nicht hinnehmen können.
Wir haben einen Alternativvorschlag auf den Tisch ge-legt, nämlich den Vorschlag, eine flächenbezogeneGrundprämie ergänzt um eine nutzungsbezogene Zu-satzprämie einzuführen. Ich füge persönlich hinzu: Wirmüssen darüber hinaus die Prämien ausdifferenzieren,und zwar nach der Wirtschaftskraft der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Es kann doch nicht länger angehen, dasswir in der gesamten Europäischen Union einheitliche Prä-mien zahlen, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnissevöllig verschieden sind und die Disparitäten mit derOsterweiterung sogar noch zunehmen werden. Deshalbist es an der Zeit, meine ich, das regional unterschiedlicheWohlstandsniveau bei der Bemessung der Direktzahlun-gen zu berücksichtigen. Dann müssen eben für einenLandwirt in Deutschland ein paar Euro mehr drin sein alsfür seine Kollegen aus Portugal oder Irland.
Lassen Sie mich schließlich noch kurz auf den Vor-schlag zur Reform des Milchmarktes eingehen – ein be-sonders trauriges Kapitel der Kahlschlagpolitik der Kom-mission. Es liegt auf der Hand, dass die Preise insBodenlose fallen müssen, wenn die Milchquote erhöhtwerden soll und gleichzeitig die Stützpreise für Butter undMagermilchpulver drastisch gesenkt werden sollen. DieFolge werden nicht nur dramatische Einkommensein-bußen sein, sondern auch ein Höfesterben, vor allem anden ohnehin benachteiligten Grünlandstandorten, undwiederum der Ausstieg aus der flächendeckenden Bewirt-schaftung. Sie, Frau Landwirtschaftsministerin, werdensich deshalb daran messen lassen müssen, ob Sie die Ver-wirklichung dieser verheerenden Vorschläge verhindernkönnen.Wie wir dem Antrag Ihrer Fraktion, der heute vorliegt,entnehmen können, fällt Ihnen dazu bislang offenbarnicht viel mehr ein als das, dass man für den BereichMilch frühzeitig zu Entscheidungen kommen müsse.Reinhold Hemker
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Thomas SilberhornDazu kann ich nur sagen: Es wird höchste Zeit, FrauKünast, dass Sie endlich zu Entscheidungen kommen, be-vor hier nicht nur die Milch sauer wird. Beziehen Sie end-lich Position, namentlich zur Verlängerung der Milchquo-tenregelung. Und tun Sie endlich, was Ihre Aufgabe ist,nämlich die Interessen unserer Landwirte im Ministerratund gegenüber der Kommission zu vertreten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Auch im Namen des Hauses Gratulation zur erstenRede.
Das Wort hat jetzt die Frau Ministerin für Landwirt-schaft und Verbraucherschutz, Renate Künast.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ste-hen jetzt vor einem Jahr großer Entscheidungen für dieeuropäische Landwirtschaft, für unsere ländlichen Räumeund für unsere natürlichen Lebensgrundlagen.Wir haben gestern im Agrarministerrat erstmals denEntwurf eines Modalitätenpapiers von WTO-Verhand-lungsführer Harbinson diskutiert, ein Papier, das, wenn esumgesetzt würde, weitreichende Konsequenzen für dieBäuerinnen und Bauern in Europa hätte. Wir haben außer-dem zum zweiten Mal eine Aussprache zum Thema„Halbzeitbilanz der Agenda 2000“ geführt, die in diesemSommer und parallel zu den WTO-Gesprächen in trocke-nen Tüchern sein soll. Wir haben die anstehende EU-Osterweiterung im nächsten Jahr vor uns – das wirft Lichtund Schatten voraus –, bei der dann zehn zum Teil sehragrarisch geprägte Mitgliedstaaten dazukommen und in-tegriert werden müssen.Vor diesem Hintergrund stellt sich jetzt gar nicht dieFrage, die manche hier gestellt haben, ob wir eine Agrar-reform wollen oder wann wir eine Agrarreform wollen,sondern es stellt sich nur noch die Frage, wie sie aussehenwird und ob wir sie uns überstülpen lassen oder ob wir sieselber strukturieren.
Spätestens seit dem BSE-Jahr 2000 müsste eigentlichjedem klar sein, wie das Leitbild einer zukünftigenAgrarpolitik aussehen muss. Wir brauchen eine nachhal-tige Agrarwirtschaft, die Ressourcen schont. Wir brau-chen eine tiergerechte Landwirtschaft. Wir brauchenKlasse statt Masse. Wir brauchen gesunde und hochwer-tige Lebensmittel. Wir brauchen eben – das sage ich mitBlick auf eine Vorrednerin – eine Agrarwende.
Ich sage das gerade mit Blick auf Thüringen. Sie se-hen, wie viel an der Stelle noch zu tun ist. Ich ärgere michüber Thüringen deshalb, weil es dort zwar auf der einenSeite eine freiwillige Kontrolle gibt, die Kontrolle auf deranderen Seite aber so lange dauert, dass durch diese Artder Kontrolle am Ende die Landwirte schon wieder be-nachteiligt sind.
In Produktionszweigen, die trotz des verunreinigten Fut-ters über Wochen funktioniert haben, müssen dann dieTiere getötet werden.Daran sehen Sie, dass man selbst eine Agrarwendenicht als geschlossenes System betrachten kann. Manmuss den gesamten verarbeitenden Bereich mit einbezie-hen. Nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Land-wirte haben einen Anspruch darauf, dass die Futtermittelkontrolliert werden, und zwar schnell, und sie nicht ge-zwungen sind, diese Futtermittel noch wochenlang weiterzu verfüttern.
An den Vorrednern fällt mir eines auf: Es gibt bei Ih-nen eine eklatante Wirklichkeitsverweigerung. Diese ha-ben sie schon 1992 und bei der Agenda 2000 praktiziertund diese gibt es jetzt schon wieder. Das aber geschiehtauf Kosten unserer Bäuerinnen und Bauern und das Spielwerde ich nicht mitmachen.
– Sie haben eine sektorale Wahrnehmung, kommen mitpopulistischen Äußerungen und haben im Ergebnis nichtsNeues gesagt.
Man muss hier einmal sagen, was Sie immer so treiben:Sie rufen immer nach einem neuen Zauberlehrling, nurgehen Ihnen die irgendwann einmal aus. Vor zwei Jahrenhaben Sie noch überall erzählt: Die Künast kann nochnicht einmal eine Kuh melken; anderes habe ich auch niebehauptet.
In Brüssel werden aber auch keine Kühe gemolken, son-dern da wird Politik gemacht. Auf dem Gebiet kann ichoffensichtlich mehr als andere.
Vor zwei Jahren haben Sie hier gesagt: Wie gut, dasses Franz Fischler gibt, diesen vernünftigen Bauern ausÖsterreich. Der sortiert und regelt alles.
2260
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2261
Dass Sie hier nicht mit einem glühend roten Gesicht sit-zen, da bewundere ich Ihre Chuzpe. Genau dieser FranzFischler, den Sie immer so gelobt haben, den Sie von derCDU/CSU-Fraktion eingeladen haben, den Sie hochgeju-belt haben und bei dem Sie versucht haben, ihn gegenmich und die Bundesregierung in Position zu bringen, hatjetzt Vorschläge gemacht.
– Sie waren vielleicht nicht dabei; ich habe die Zeitungs-artikel alle gelesen und alle anderen wissen es auch.
Es hieß immer: Franz Fischler gegen Rot-Grün, gegenAgrarwende und Künast.
Jetzt, da die Agrarwende europäisch wird und Ihr kon-servativer Kollege Fischler Vorschläge macht, tun Sie so,als hätten Sie mit ihm nie etwas zu tun gehabt. Ich bin ge-spannt, wer der Nächste ist, den Sie so durch den Kakaoziehen.
– Lieber Friedrich, jetzt hast du mir etwas vorweggenom-men. Jetzt geht es immer um den Franzosen an und fürsich, aber Sie ahnen und wissen vielleicht auch schon,dass wir seit Monaten mit dem französischen Minister zu-sammensitzen und an gemeinsamen Papieren arbeiten.Ich weiß, was dann passiert. Nächstes Jahr um diese Zeitwird weder auf Franz Fischler noch auf Hervé Gaymardein Loblied gesungen. Dann suchen Sie sich irgendeinenNeuen. Wir warten mit Spannung.
Ich sage Ihnen nur eines ganz klar. So wird keine Politikfür die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland daraus.
Lassen Sie mich noch etwas zu Herrn Silberhorn sa-gen. Sie sind gegen einheitliche Prämien in der EU, aberwer aus Bayern kommt, sollte an dieser Stelle demütigschweigen, denn auch dieses Modell kommt von einemBayern, von Ignaz Kiechle. Schweigen Sie demütig, wennSie über das Thema reden, dass ich an der Frage gemes-sen werde, wie sich die Milchmarktsituation verändert.Was dies angeht, so bin ich vor Ihnen aufgestanden. Siemüssten eigentlich schweigen, denn die Situation heute istErgebnis eines CDU-Bauernverbandsystems.
Sie machen Politik, indem Sie ungetrübt von jederSachkenntnis den einen oder anderen Vorschlag einbrin-gen. Was Sie aber nicht tun, ist, das gesamte System ein-zubeziehen. Sie tun so, als würden wir unter Laborbedin-gungen leben. Wir haben eine WTO. Sie kennen jetzt denersten Entwurf von Harbinson.
An der Stelle brauchen Sie sich doch gar nicht mehr mitmir und damit auseinander zu setzen, ob ich zu viele Re-formen will. An dieser Stelle müssten Sie eigentlich mituns gemeinsam darum kämpfen, dass dieses Papier vonHarbinson, das unausgewogen und einseitig ist, so nichtbeschlossen wird. So wird ein Schuh daraus.
Ansonsten erzählen Sie lieber Geschichten aus Wol-kenkuckucksheim
– aus Pfaffenhofen; stimmt, der Ort war falsch. Mein Sys-tem ist es, reinen Wein einzuschenken und die Zukunft zuorganisieren. Ich glaube, das ist für die Bäuerinnen undBauern besser.
Ich möchte zwei, drei Worte zu den konkreten Vor-schlägen von Fischler – die Unterlagen haben Sie ja alleschon im Ausschuss bekommen – sagen: Ich stehe zu derdynamischen und obligatorischen Modulation. Das Geldfür die ländliche Entwicklung, das wir dringend brauchen,fließt dann nicht nur in die Urproduktion der Landwirte,sondern in all das, was auch Sie neuerdings immer soschön fordern – worüber ich mich freue – nämlich in diePflege der Kulturlandschaften, Umweltschutz und artge-rechte Tierhaltung.
– Wenn Sie es schon viel länger fordern als ich, dann müs-sen Sie wohl über Jahrzehnte eine Geheimhaltungspolitikbetrieben haben, weil es keiner gemerkt hat.
– Das war dann vielleicht ein kleiner PR-Fehler Ihrerseits.Wir brauchen für ein Spektrum von Maßnahmen imländlichen Raum gerade auch in den neuen Bundeslän-dern Geld. Man muss dieses Geld einmal in Bewegungbringen, ob es in erneuerbare Energien, nachwachsendeRohstoffe oder wohin auch immer fließt, sodass im länd-lichen Raum zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werdenkönnen. Diese entstehen dann zwar nicht mehr nur imklassischen Bereich der ländlichen Urproduktion. Aberdas ist auch gut so; denn eines ist doch eindeutig: Wer dieLandflucht und Abwanderung in Mecklenburg-Vorpom-mern und vielen Randgebieten der neuen BundesländerBundesministerin Renate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Bundesministerin Renate Künaststoppen will, muss den Mädchen, die zuerst weggehen,um Ausbildungsplätze im Westen zu suchen, in ihrer Hei-mat eine Perspektive bieten. Sie bieten sie ihnen nicht, in-dem Sie sie in bestimmte Berufe hineinzwingen. Sieschaffen dies nur, indem Sie die Angebotspalette von Be-rufen sozusagen um moderne Berufe, die heute gesuchtwerden, erweitern.
„Ländliche Strukturpolitik“ ist der richtige Ausdruck da-für. Dafür wollen wir Geld bewegen.
Wir werden natürlich darauf achten – das weiß derKommissar längst –, dass zukünftig die Mittel im ent-sprechenden EU-Land verbleiben, damit dort Maßnah-men unterstützt werden können. Wir wollen die Modula-tion ja gerade deshalb, um in diesen Regionen dieSchaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen.
Bezüglich Degression und Entkopplung meine ich,dass da etwas geändert werden muss. Die Bundesregie-rung hat im Februar letzten Jahres bereits Vorschläge zueiner schrittweisen Entkopplung gemacht, die am Endesozusagen durch betriebsbezogene Prämien ein Mehrschafft und insbesondere den Faktor Arbeitsplatz einbe-zieht. Wir geben hierfür ja Steuergelder aus; wir könnennicht so tun, als ginge es um Besitzstandswahrung. Esgeht vielmehr um das Ausgeben von Steuergeldern. Wirwollen von daher öffentlich begründen, warum und wofürwir sie ausgeben. Deshalb ist es richtig, bei den Direkt-zahlungen in Zukunft den Faktor Arbeitsplatz einzube-rechnen. Selbstverständlich wollen wir ein System, dasadministrabel ist. Ich weiß ja, dass die Länder heute schonProbleme haben, das ganze Personal zu bezahlen, das manfür Kontrollen braucht. Also muss ein solches Systemfunktionieren.Sie haben hier manches gesagt und mir vorgeworfen,dass ich es nicht machen würde. Ich habe das längst ge-tan. Antworten auf die Fragen zu den nachwachsendenRohstoffen und dazu, ob die Roggenvorschläge so akzep-tabel sind, wurden längst gegeben. Auch das ThemaMilch, meine Herren, wurde von mir schon längst ange-sprochen. Ich sage dazu aber nur eines: Das heutige Sys-tem haben Sie zu verantworten.
Das lasse ich mir von Ihnen nicht überstülpen.Die Junglandwirte dagegen wollen andere Perspektiven.Dafür reicht es aber nicht aus, nach Brüssel zu gehen undzu sagen: So machen wir es. Denn wir haben Sperrmino-ritäten auf beiden Seiten: Die eine Gruppe sperrt sich da-gegen, das jetzige System über 2008 hinaus fortzuführen;die andere sperrt sich dagegen, es abzuschaffen. Wir wol-len deshalb ein neues System entwickeln: Wichtig ist da-bei zunächst einmal, welche Messlatte wir anlegen. Ichgehe davon aus, dass es im bisherigen EU-Prämien-system Benachteiligungen gibt, weil bestimmte Gebiete,wie zum Beispiel Grünlandstandorte, in diesem schlechtwegkommen. Ich will, dass es dort auch in Zukunft nochlandwirtschaftliche Produktion gibt. Deshalb will ichGeld zu deren Gunsten umschichten, damit es diese Be-triebe weiterhin gibt. Jede Entscheidung zu den Milch-quoten ist also daran zu messen.
Wir werden zusammen mit Frankreich weitere Vorschlägehierfür erarbeiten und entwickeln. Unser Ziel ist eine mul-tifunktionale Landwirtschaft, der Abbau bestehender Be-nachteiligungen und die Einbeziehung des Faktors Ar-beitsplatz in das landwirtschaftliche Prämiensystem.Ich will Ihnen noch einen letzten Satz zum ThemaWTO-Agrarverhandlungen sagen. Sie alle haben dieseja gar nicht berücksichtigt. Wir müssen eine Halbzeit-bilanz schaffen, die WTO-fähig ist und diese Reformenüberlebt. Das vorliegende WTO-Papier rechnet die Gel-der der Cairns-Gruppe und der USA, deren Exportkrediteund deren Art, Nahrungsmittelhilfen teilweise zulastender Entwicklungsländer zu geben, nicht ein. Das lassenwir uns so nicht gefallen.Aber wir dürfen nicht bei einer reinen Neinhaltungbleiben, sondern wir müssen uns daran beteiligen. Wirmüssen auch bei den Entwicklungsländern Bündnispart-ner finden. Deshalb ist es wichtig, dass wir als EU sie inihrer Art unterstützen und ihnen helfen, zum Beispiel dieProduktion auszubauen. Nur so wird ein Schuh daraus.Wir wollen durch mehrere Einnahmequellen Zukunfts-perspektiven für die Landwirtschaft schaffen. Wir wollenfür junge Menschen, für Frauen und Männer auf demLande Einkommensmöglichkeiten schaffen, die sich aufden Märkten, bis hin zu Energie und nachwachsendenRohstoffen, rechnen.Man kann es in einem Satz sagen: Wir wollen nachhal-tige Landwirtschaft im Norden und im Süden unseresGlobus und wir wollen mehr Nord-Süd-Gerechtigkeit,insbesondere für die am wenigsten entwickelten Länder.Dafür brauchen wir eine Agrarwende über Europa hinausund ein System, bei dem wir den Landwirten nicht Sandin die Augen streuen, sondern ihnen eine Perspektive bis2013 geben.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Carstensen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Es ist schon interessant, was man jetzt wieder vonFrau Künast hört.
2262
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2263
– Doch, das war interessant, insbesondere das, was sie überFrankreich gesagt hat. Das war eine typische „Phrasen-verschiebung“. Wir haben aber früher im Naturkunde-unterricht gehört, dass das etwas anderes ist.Es ist nichts Sachliches gesagt worden. Aber so ist jaauch der Inhalt des Antrages. Er spiegelt das wider, wasdie SPD schon seit langem macht: Sie findet tolle Wortefür alles Mögliche, zum Beispiel Steuervergünstigungs-abbaugesetz für rund 40 Steuererhöhungen.In dem Antrag steht etwas von Mut.
Wie heißt es so schön: „Agrarreform mutig angehen undausgewogen gestalten“.
Ich halte den Titel für außerordentlich zynisch, liebe FrauWolff. Wer soll hier eigentlich Mut haben? Sollen dieLandwirte Mut haben, unter dieser Regierung weiterzu-machen?
Oder braucht ihr Mut, um neue Vorschläge auf den Tischzu legen, statt einen Antrag einzubringen, in dem über-haupt nichts steht?
Dieser Antrag ist vor vielen Wochen angekündigt wor-den. Wir haben richtig darauf gewartet, dass etwas Muti-ges von der SPD kommt. Und was kam? – Eine Riesen-luftblase, die uns in der letzten Woche auf den Tischgelegt wurde. Wenn man den Antrag liest, findet mannichts.Liebe Frau Künast, wir haben durchaus ein bisschenRespekt vor Frankreich, zumindest was die Agrarpolitikund die Hilfe für die deutschen Bauern in den letzten Wo-chen angeht. Als es um eine Deckelung der Agrarausga-ben ging, haben wir uns gefreut, dass den Bauern mithilfeeiner Dolmetscherin und des französischen Staatspräsi-denten ein bisschen mehr Luft verschafft worden ist. Alsbeim Mid-Term Review neue Beschlüsse verschobenworden sind, obwohl Sie immer gesagt haben, Sie wollensie sofort in Kraft treten lassen, waren wir den Franzosensehr dankbar; denn sie haben gesagt, die Bauern bräuch-ten Planungssicherheit; man solle bis 2007/08 warten.
Insofern haben wir schon Respekt.
– Dass Ihr Respekt vor dem Parlament und dem Aus-schuss nie sehr groß war, das wissen wir. Aber ich findees unmöglich, Frau Künast,
dass Sie sich in einer agrarpolitischen Debatte, bei der Siegerade geredet haben und nun eine Antwort auf Ihre Redehören, zu Kollegen setzen, um mit denen zu quatschen,um das einmal ganz deutlich zu sagen. Aber ich rede gernweiter.Sie sagen, wir sollten gemeinsam gegen Harbinsonkämpfen. Das greife ich gern auf. An diesem Punkt weißich selber nicht, ob es richtig ist, bereits im nächsten Jahrneue Beschlüsse zu fassen, die dann natürlich wieder Vor-leistungen für die WTO-Verhandlungen bedeuten, oderdamit zu warten. Ich erinnere aber auch daran, dass Sieund Ihr Vorgänger Karl-Heinz Funke uns zusammen mitHerrn Fischler immer wieder gesagt haben, die Be-schlüsse der Agenda 2000 seien Vorleistungen für dieWTO. Wo bleiben Sie jetzt mit dieser Stellungnahme?Sind das noch die Vorleistungen oder nicht?Es geht nicht darum, ob Sie eine Kuh melken können.Es hat etwas mit Tierschutz zu tun, dass man Sie, FrauKünast, nicht an die Kühe heranlässt.
Es geht darum, ob unsere Agrarpolitik nur europäisch undvom Haushalt bestimmt ist oder ob wir zu einer Agrar-politik finden, die in der Lage ist, die bäuerliche Land-wirtschaft in unserem Land zu erhalten.Herr Minister Backhaus, Sie wissen, dass ich Sie sehrschätze. Es gibt in der SPD nur noch wenige, die etwasvon der Agrarpolitik verstehen. Sie gehören ebenso wieKarl-Heinz Funke, der weggejagt worden ist, und UweBartels, der abgewählt worden ist, dazu. Da Sie noch dasind, besteht also noch ein bisschen Hoffnung. Aber dieFrage ist natürlich, Herr Backhaus, ob es immer richtigist, im eigenen Bundesland auf Frau Künast und ihre Vor-schläge zu schimpfen, sich aber hier ausdrücklich bei ihrzu bedanken. Wofür haben Sie sich eigentlich bedankt?
– Für die Kappungsgrenze! Wenn es der einzige Punktist, für den Sie sich bedankt haben, dann ist es in Ordnung.Dafür kann man der Frau Ministerin – auch wenn es nichtallein ihr Verdienst ist – dankbar sein.Sie haben Kritik geübt an der Abschaffung der Quote.Sie haben Kritik geübt an den Vorschlägen hinsichtlichder Milch. Sie haben Kritik geübt an der Modulation. Siehaben Kritik geübt an der Ausgestaltung der Entkoppe-lung. Wofür haben Sie sich eigentlich bedankt? Sagen Siehier doch einmal, dass Sie mit den Vorschlägen von HerrnFischler nicht leben können! Da Sie an jedem Punkt die-ser Vorschläge Kritik üben, sagen Sie bitte nicht, Sie wür-den sie grundsätzlich begrüßen!
Die Kappungsgrenze ist sicherlich gefallen. Sagen Sieaber Ihren Bauern in Mecklenburg-Vorpommern einmal,was anschließend im Zuge der Degression auf sie zu-kommt. Wenn Sie jeden Hektar gleichmäßig fördern,dann müssen Sie auch sagen, wer das bezahlen muss undwoher das Geld dafür kommen soll. Wir haben eine ganzschwierige Situation, in der weniger Geld umverteilt wer-den muss. Diese Umverteilung führt dazu, dass 80 Pro-zent der Bauern weniger bekommen. Nur für 20 ProzentPeter H. Carstensen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Peter H. Carstensen
der Bauern – das sind diejenigen, die sich nicht bedankenwerden – wird die Situation günstiger sein.Wer aber sagt, er finde diese Lösung gut, der muss da-rüber sprechen, was nach der Umsetzung dieser Vor-schläge mit den Milchbetrieben in einem Land wie Meck-lenburg-Vorpommern passiert. Nicht einer von eurenMilchbetrieben wird anschließend noch rentabel wirt-schaften können, insbesondere deswegen nicht, weil dieseBetriebe einen hohen Kostenanteil durch Fremdarbeits-kräfte haben. Wenn die Betriebe in Ihrem Bundesland, diemehr Fremdarbeitskräfte beschäftigen, mehr Geld be-kommen sollen und wenn auf der anderen Seite das Lohn-niveau, was richtig ist, angepasst werden soll, dann sindIhre Betriebe die ersten, die gegen die Wand fahren, undnicht die Betriebe in Baden-Württemberg und Bayern.Herr Minister, deswegen können Sie diese Agrarpolitikhier nicht einfach loben.
Frau Künast, selbstverständlich – das streitet keinMensch ab – brauchen wir eine Agrarreform. Selbstver-ständlich müssen wir gemeinsam gegen solche Vor-schläge wie die von Harbinson kämpfen. Aber selbstver-ständlich muss auch sein, das Ganze einmal aus der Sichtder Bauern zu sehen. Es muss darum gehen, landwirt-schaftliche Betriebe zu erhalten. Dabei spielt die Pla-nungssicherheit eine große Rolle. Ihr Vorhaben, die Mo-dulation früher einzuführen – das führt dazu, dass Geldaus der Bundesrepublik abfließt – und früher mit denAgrarreformen anzufangen, ist ein schwerer Fehler.Wir werden Vorschläge auf den Tisch legen. EinenGroßteil dieser Vorschläge, über die man diskutierensollte, haben wir schon vorgelegt.
Keinerbezweifelt,dasswireineAgrarreformbrauchen.Aberwir brauchen eine Reform, die einige Eckpunkte enthält.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Zu den Eckpunkten gehört die flächendeckende Be-
wirtschaftung, sodass sichergestellt ist, dass wir auch in
Zukunft eine rentable, kostengünstig produzierende und
wettbewerbsfähige Landwirtschaft haben.
– Bei allem Respekt, Frau Wolff, ich frage mich, warum
Sie damals den Antrag, in dem eine Eins-zu-eins-Umset-
zung der EU-Richtlinien gefordert wurde, abgelehnt ha-
ben, obwohl Sie eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft
ohne Wettbewerbsverzerrungen haben wollen.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Carstensen, ich möchte Ihnen ausdrück-lich sagen: Ich kann nichts Tadelnswertes daran finden,dass sich eine Ministerin, die ein Mandat hat, zu den Ab-geordneten setzt. Alles Weitere ist Sache des Präsidenten.
– Nein, ich gebe Ihnen nicht das Wort, sondern dem HerrnMinister, den Sie gerade angesprochen haben.
– Genau das haben Sie gesagt. – Die Wortmeldung desMinisters ist eine Erklärung zur Aussprache; denn er istdirekt angesprochen worden.
Herr Carstensen, Sie haben mich direkt angesprochen.Anscheinend haben Sie mir während meiner Rede über-haupt nicht zugehört.
Ich fasse es noch einmal für Sie zusammen – wir ken-nen uns ja schon ein paar Jahre; ich bin im BundeslandMecklenburg-Vorpommern sehr fest verwurzelt undweiß, was in der Landwirtschaft und darüber hinaus indiesem Lande los ist –: Wir haben mit den Vorschlägenvon Herrn Fischler konkret fünf Riesenprobleme.Punkt eins betrifft die Modulation, die bei uns dazuführt, dass die etwas größeren Unternehmen, die zum Teilvon Bayern angegriffen worden sind, unter der Modula-tion bis zu 19 Prozent ihres Einkommens verlieren wür-den. Das können wir so nicht akzeptieren. Ich nenne Ih-nen noch einmal die Zahlen – ich habe sie in meinerRede angeführt –: Wir erhalten zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern Preisausgleichszahlungen in Höhe voncirca 450 Millionen Euro. Das sind Tier- und Pflanzen-prämien bzw. Hektarausgleichszahlungen. Davon würdenwir in Mecklenburg-Vorpommern nach der Gesamtbilanzinsgesamt etwa 130 Millionen Euro verlieren. Das istnicht zu akzeptieren; da muss es Veränderungen geben.Punkt zwei ist: Ich habe versucht, Ihnen zu erklären,welche Entwicklung wir im Hinblick auf die Milch wol-len. Dazu habe ich gesagt: Wir wollen zwar ein mengen-gesteuertes Modell, aber den Ausstieg – das sage ich sehrdeutlich auch für den bayerischen Kollegen – aus der ka-pitalisierten Milchprämie.
Schauen Sie sich einmal Ihre Börsen in Bayern an: Zur-zeit wird die Milchquote für 1 Euro gehandelt. Das ist ausmeiner Sicht der blanke – – Diesen Begriff können Sieselber wählen.
Da wird eine Entwicklung betrieben, die die Landwirtegezielt in den Ruin treibt. Ich bedauere das ausdrücklich.
2264
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2265
Punkt drei ist, dass ich gesagt habe: Wir möchten einelineare Degression.Denn ich bin der Auffassung, dass esrichtig ist, dass jeder Hektar in gleicher Weise behandeltwird und der Landwirt als Pfleger der Kulturlandschaftund damit als jemand, der im ländlichen Raum Arbeitschafft, ein Honorar dafür erhält.Der vierte Punkt ist – ich würde dabei gerne dem HerrnCarstensen, der durch die vor ihm Stehenden verdecktwird, in die Augen blicken; aber das wird wahrscheinlichnicht gewünscht –, dass wir die Roggenintervention, sowie sie im Modell vorgesehen ist, nicht akzeptieren kön-nen. Denn damit würden allein in Mecklenburg-Vorpom-mern 200 000 Hektar nicht mehr ordnungsgemäß bewirt-schaftet.Der fünfte und letzte Punkt ist, dass ich es ablehne, dieFlächenstilllegung obligatorisch auf 10 Prozent festzule-gen. Denn dies bedeutet gerade für die nachwachsendenRohstoffe das Aus.
Herr Minister, ich muss Sie leider auf die Redezeit hin-
weisen.
Ich komme gleich zum Schluss. – Sie wissen es viel-
leicht: Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind dank der
Zusammenarbeit mit dem Bund gerade dabei, zur Verar-
beitung von Raps überzugehen. Dies wäre dann auf die-
sen Flächen nicht mehr möglich.
Das sind die fünf Kritikpunkte. Dazu habe ich in mei-
ner Rede Änderungsvorschläge gemacht. Ich gehe davon
aus, dass der eine oder andere Vorschlag hoffentlich kon-
sensfähig sein wird.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Goldmann.
Sehr geehrte, geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich hier stehen:gemeinsame Kämpfer für den ländlichen Raum. Ichmöchte gleich darauf zu sprechen kommen, warum ichdas nun korrigiere.Herr Backhaus, ich habe Sie bereits während IhrerRede verstanden. Ich denke, dass wir es so halten sollten,dass wir einander zuhören. Lieber Norbert, wenn schonFrau Künast nicht den nötigen Respekt vor den Kollegen,die hier sprechen, hat, indem sie mit dir Privatgesprächeführt, dann solltest vielleicht zumindest du so kollegialsein, einem Mitglied des Ausschusses die Aufmerksam-keit zu schenken, die ich für notwendig halte.
Es ist überhaupt keine Frage: Wir brauchen Reformen.Wir müssen diese Reformen auf den Weg bringen. Dazuist sehr viel Konstruktives von den unterschiedlichenRednern gesagt worden. Es gibt eine harte Auseinander-setzung um den Weg. Aber wir müssen diesen Weg gehenund darüber sind wir uns vollkommen einig. Ich bin mitdem, was zum Beispiel der Kollege Hemker gesagt hat,sehr einverstanden. Lassen Sie uns hier gemeinsam in dierichtige Richtung gehen!Es gab ein Problem, Frau Künast: Das war Ihre Rede.Das will ich ganz ehrlich sagen. Sie haben unnötigerweiseeinen Keil in die sehr sachlich geführte Diskussion ge-trieben und das, was Sie gesagt haben, hatte meiner Mei-nung nach etwas mit dem zu tun, was Sie angesprochenhaben, nämlich mit Wirklichkeitsverweigerung.
Wenn Sie die Agrarwende auf den BSE-Skandal zurück-führen, dann haben Sie diese Problematik überhaupt nichtverstanden und dann ist Ihre Politik, die Sie auf dieserGrundlage gestalten, auf Sand gebaut und hat kein festesFundament.
Sie haben die Modulation angesprochen. Wir sindselbstverständlich bereit, gemeinsam etwas für den länd-lichen Raum zu tun. Wir werden in den Haushaltsdebat-ten Anträge stellen, die darauf abzielen, den Wandel derAgrarstruktur weiter voranzutreiben. Stimmen Sie diesenAnträgen doch zu! Aber nehmen Sie den Bauern nichtweg, was sie brauchen, um die Herausforderungen, dieauf sie zukommen, selber bewältigen zu können.
Wir brauchen uns bei diesem Thema nicht künstlichauseinander zu dividieren. Sie wissen ja, dass Sie meineFraktion bei der aktuellen Diskussion um den Futtermit-telskandal in Thüringen auf Ihrer Seite haben. Ichdenke, Gemeinsamkeit würde uns hier helfen.Welches sind die Gemeinsamkeiten, auf die wir Libe-rale Wert legen? Wir wollen erstens eine Entkopplung derDirektzahlungen der EU von der Produktion, weil wirmeinen, dass dies die Kernvoraussetzung für einen dras-tischen Abbau der Bürokratie ist und die Gewähr bietet,dass den Landwirten dieses Geld zur Verfügung steht.
Unser Modell einer Kulturlandschaftsprämie, dasmaßgeblich von unserem Kollegen Heinrich entwickeltworden ist, trägt diesem Gedanken hundertprozentigRechnung. – Es ist schon interessant, was Sie, HerrBackhaus, dazu gesagt haben. Ich glaube, Sie haben un-ser Programm gelesen. – Das Geld wird so bei denjenigenankommen, die es brauchen. Deswegen werden wir andem Vorschlag der Kulturlandschaftsprämie festhaltenund ihn in die Diskussion einbringen.
Minister Dr. Till Backhaus
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003
Minister Dr. Till Backhaus
Zweitens wollen wir Planungssicherheit. Ich sage eseinmal ganz platt – Herr Bleser hat es an Beispielen deut-lich gemacht –: Mit dem Beginn der obligatorischen Mo-dulation der Direktzahlungen im nächsten Jahr wird esnichts. Das steht erst im Jahr 2006 an. Ihr Vorgehen ist einUnding. Die Milch unserer Kühe kommt auf den Marktund Sie sprechen von dem Vorziehen der Milchmarkt-reform auf das Jahr 2004. Das ist realitätsfremd. Wir soll-ten gemeinsam einen Weg beschreiten, Frau Höfken.Den Zeitraum von 2007 bis 2012, 2013 oder 2014 kön-nen wir ausgestalten. In dieser Zeit werden wir die Ent-kopplung schrittweise umsetzen. Dabei steht alles aufdem Prüfstand und für alles werden Lösungsvorschlägeentwickelt. Wenn es uns glückt, den Menschen klar zumachen, dass das Geld, das die Bauern erhalten, von die-sen für den Erhalt der Kulturlandschaft im ländlichenRaum eingesetzt wird, werden wir gesellschaftliche Ak-zeptanz für unsere Vorstellungen finden, auch beim Steu-erzahler, und können wir Perspektiven für unsere Bauernentwickeln.Inwieweit wir Ausnahmeregelungen brauchen, zumBeispiel im Bereich der Zuckererzeugung, werden wir se-hen. Aber wir sollten Lösungen gemeinsam entwickeln.Ich bin davon überzeugt, dass der Orientierungsrah-men, den ich zu skizzieren versucht habe, Grundvoraus-setzung für die WTO-Kompatibilität ist. Wenn wir die Ge-meinsamkeiten herausstellen, sind wir, wie ich meine, aufeinem guten Weg. Lassen Sie uns diesen Weg beschreiten!Herzlichen Dank.
Jetzt erhält der Abgeordnete Peter Jahr das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin zu-nächst sehr froh darüber, dass wir über die anstehendeEU-Agrarreform heute in diesem Hohen Hause und damitin der Öffentlichkeit diskutieren können. Ich freue michauch darüber, dass zu diesem Beratungsgegenstand ver-schiedene Anträge vorliegen; denn in der Politik gilt: Re-den ist gut, beschließen ist besser.Die bisherige Verhandlungsstrategie der Bundesregie-rung könnte man mit dem Motto beschreiben: Das Ziel istnichts, Bewegung ist alles.
Auch bei den die Regierung stützenden Fraktionen istes nicht anders, meine Damen und Herren von der SPDund von den Grünen. Zurzeit erkenne ich in Ihren Reiheneine Meinungsvielfalt, welche die Anzahl Ihrer Aus-schussmitglieder bei weitem übertrifft: Da lobt die zu-ständige Ministerin die Vorschläge von KommissarFischler über alle Maßen. Das wurde im Ausschuss rechtheftig kritisiert. Heute im Plenum klangen die Aussagenhierzu etwas differenzierter; der Agrarsprecher kann sichNachbesserungen vorstellen. In dem vorliegenden Antragvon SPD und Grünen werden die Reformvorschläge da-gegen ausdrücklich begrüßt. Ich könnte noch mehr Bei-spiele nennen.Dieses Durcheinander haben wir schon beim so ge-nannten Steuervergünstigungsabbaugesetz erlebt. Auchdazu wurden ständig neue Nebelbomben gezündet. Eswurden sogar nicht autorisierte Anträge der regierungs-tragenden Fraktionen verteilt, dass selbst der politisch in-teressierte Landwirt Mühe hat, Ankündigungen von Ini-tiativen oder persönliche Ansichten der Abgeordnetenvon Beschlüssen der Bundesregierung zu unterscheiden.Dieses Durcheinander ist mittlerweile zum unverkennbarenMarkenzeichen rot-grüner Regierungsarbeit geworden.
Ich wünsche mir – nein, besser gesagt: ich erwarte vonder Bundesregierung endlich konkrete Vorstellungen da-rüber, wie die EU-Agrarreform weiterentwickelt werdenund wann sie in Kraft treten soll. Was mich besonders är-gert, ist die Tatsache, dass die Fraktionen von SPD undGrünen dieses Versteckspiel der Konkretheit mitmachen.Ihr Antrag entspricht zwar den formellen Anforderungender Geschäftsordnung, ist ordentlich formuliert und ent-hält keine orthographischen Fehler – ich habe zumindestkeine gefunden –,
er hat nur einen Mangel: Er hat keinen konkreten Inhalt.Von der Überschrift des Antrages „EU-Agrarreform mu-tig angehen und ausgewogenen gestalten“ wird inhaltlichnichts abgearbeitet.
Nach dem Durchlesen kann man nur feststellen: Früherwaren Sie vielleicht einmal mutig und ausgewogen, heutesind Sie nur noch „und“ – und selbst das nur noch mit Ab-strichen.
– Ich komme noch darauf zu sprechen.
In Anbetracht Ihrer Ankündigungen in Presse und aufWahlkreisveranstaltungen ist der von Ihnen eingereichteAntrag eine einzige große Enttäuschung. Glücklicher-weise hat die CDU/CSU-Fraktion einen eigenen Antragvorgelegt. Immer dann, wenn man beim Lesen Ihres An-trages denkt, jetzt werde es konkret, wechseln die Verfas-ser das Thema. Beispiele: Sie wollen die Reform zwarmutig und ausgewogen angehen, über den Zeitpunkt desIn-Kraft-Tretens sagen Sie nichts Konkretes.Ich weiß ja nicht, was Ihre freundliche Ministerinhierzu empfiehlt; ich empfehle Ihnen den Antrag der
2266
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2003 2267
Fraktion der CDU/CSU. Unser Antrag ist eindeutig. Darinheißt es:Die in Berlin beschlossene Agenda 2000 gilt ohnewesentliche Abstriche bis ins Jahr 2006.
Dieser Satz in unserem Antrag bedeutet, grundlegendeKorrekturen vor Ablauf dieses Zeitpunktes sind unzuläs-sig.
– Herr Kollege Weisheit, ich freue mich, dass wir IhrenZwischenruf ins Protokoll aufnehmen können. Wenn dasselbstverständlich ist, dann hätten Sie das aber auch gleichin den Antrag schreiben können. Unsere Bäuerinnen undBauern warten auf konkrete Hinweise und nicht aufschöngeistige Formulierungen, die in der Sache nicht wei-terhelfen.
Mein nächstes Beispiel betrifft die Milchquote. Sie,meine Damen und Herren von Rot-Grün, wollen – so stehtes in Ihrem Antrag –, dass die Reform der MarktordnungMilch den Milcherzeugern eine wirtschaftlich tragfähigePerspektive eröffnet. Stimmt! Allerdings ist diese Aus-sage so herrlich unkonkret, dass sie immer passt.
Die Aussage, morgen findet Wetter statt, hat einen ähnlichkonkreten Inhalt. Auch hier verweise ich Sie auf den An-trag der CDU/CSU-Fraktion. Dort steht eindeutig undklar, dass wir uns für die Beibehaltung der Milchquote bis2014/15 aussprechen, und das ohne Erhöhung der Milch-quotenmenge.
– Ohne Erhöhung, das ist schon wichtig.
Auch bei den Themen Bürokratieabbau, Entkopplungder Prämien und Wegfall der Roggenintervention – eineProblematik, die sich ganz besonders in den neuen Bun-desländern negativ auswirkt – besetzen Sie nur Allge-meinplätze und werden nicht konkret. Beim Roggen hätteich mir zum Beispiel eine Antwort auf die Frage ge-wünscht, ob Sie die energetische Verwertung wollen odernicht.Ich möchte Sie nochmals eindringlich darauf hinwei-sen, dass es besonders in den neuen Bundesländern bei derEntkopplung neben den allgemeinen Problemen noch dasProblem der Benachteiligung der Viehhaltung gibt. Pro-duktionsunabhängige Betriebsprämien können nämlichzu einem weiteren Abbau der Kosten, der Investitionenund der arbeitskräfteintensiven Viehhaltung führen. EineGrünlandprämie wirkt diesem Trend nur ungenügend ent-gegen. Es stellt sich die Frage, warum ein Bullenmästereigentlich noch Bullen mästen soll, wenn er das Geld auchohne Produktion bekommt.
Das, was sich für einen naiven Landwirt als das finan-zielle Perpetuum mobile darstellt – man erhält fürsNichtstun Geld –, werden wir vor dem Steuerzahler aufDauer nicht verantworten können. Leider kann ich ausZeitgründen nicht vertiefend auf diese Aspekte eingehen,weshalb ich auf die Vorredner meiner Fraktion verweise.Abschließend möchte ich Sie, meine Damen und Her-ren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, bitten:Tun Sie sich und der deutschen Landwirtschaft den Ge-fallen und ziehen Sie Ihren Antrag zum Wohle unsererLandwirte zurück. Stimmen Sie dem Antrag derCDU/CSU zu.
Tun Sie dies ganz einfach deshalb, weil unser Antrag bes-ser ist. Leistung sollte sich ja bekanntlich durchsetzen.Danke schön.
Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bun-
destag.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/422, 15/462 und 15/435 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 15/462 soll zusätzlich an den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit und an den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 12. März 2003, 13 Uhr, ein. Ich
wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie den Be-
sucherinnen und Besuchern ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.