Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 68. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Schriftführer, Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste mit den Namen der fehlenden Mitglieder des Hauses zu verlesen.
Wegen Erkrankung fehlen die Abgeordneten Frau Dr. Gröwel, Frau Albrecht, Bettgenhäuser, Wittmann und Meitmann. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Gülich, Dr. Suhr, Frau Schroeder , Herrmann, Mayerhofer, Volkholz, Wallner, Agatz, Even, Loritz und Rademacher.
Meine Damen und Herren, ich habe folgende Mitteilungen zu machen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Schlange-Schöningen hat infolge seiner Ernennung zum Generalkonsul in London sein Amt und sein Mandat niedergelegt. Sein Nachfolger ist der Abgeordnete Peter Horn aus Frankfurt. Ich begrüße ihn — falls er anwesend ist — und wünsche ihm gute Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern des Hauses.
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat unter dem 31. Mai 1950 die Anfrage Nr. 76 der Abgeordneten Wirths, Dr. Oellers, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP betreffend Verwendung der als erste Hypothek ausgegebenen ERP-Mittel — Drucksache Nr. 926 — beantwortet. Die Antwort wird unter Drucksache Nr. 1012 vervielfältigt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 3. Juni 1950 die Anfrage Nr. 81 der Abgeordneten Dr. Etzel und Fraktion der BP betreffend Abkommen über die Inanspruchnahme von privatem Wohnraum und von Hotels durch die Besatzungsmächte — Drucksache Nr. 959 — beantwortet. Diese Antwort ist vervielfältigt und trägt die Drucksachennummer 1015.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich Herrn Alterspräsidenten Löbe das Wort zu einer
Erklärung.
Löbe , Alterspräsident: Meine Damen und Herren! Im Namen aller Fraktionen und Gruppen des Bundestages mit Ausnahme der kommunistischen Fraktion, zugleich mit Zustimmung der Bundesregierung und des Bundesrates gebe ich folgende Erklärung ab.
In der von einer Delegation der sogenannten provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Republik Polen unterzeichneten Vereinbarung vorn G. Juni 1950 wird die völker- und staatsrechtlich unhaltbare Behauptung aufgestellt, daß zwischen der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und Polen eine sogenannte Friedensgrenze festgelegt worden ist.
Gemäß dem Potsdamer Abkommen ist das deutsche Gebiet östlich von Oder und Neiße als Teil der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands der Republik Polen nur zur einstweiligen Verwaltung übergeben worden. Das Gebiet bleibt ein Teil Deutschlands.
Meine Damen und Herren, niemand hat das Recht,
aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben.
Die Regelung dieser wie aller Grenzfragen Deutschlands, der östlichen wie der westlichen, kann nur durch einen Friedensvertrag erfolgen, der von einer demokratisch gewählten deutschen Regierung als ein Vertrag der Freundschaft und der guten Nachbarschaft mit allen Nationen baldigst geschlossen werden muß.
Meine Damen und Herren! Die Mitwirkung an der Markierung der Oder-Neiße-Linie als angeblich „unantastbare" Ostgrenze Deutschlands, zu der sich die sogenannte provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bereitgefunden hat, ist ein Beweis für die beschämende Hörigkeit dieser Stelle gegenüber einer fremden Macht.
Der Bundestag weiß, daß er bei der Zurückweisung dieser Handlung auch im Namen der Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone spricht.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst der Abgeordnete Dr. von Brentano.
— Bitte, begeben Sie sich auf Ihren Platz, Herr Abgeordneter.
— Ich bitte, Ruhe zu bewahren!
Meine Damen und Herren! Der Inhalt der Erklärung, die Herr Präsident Löbe verlesen hat, läßt unserer Überzeugung nach eine Aussprache nicht zu.
Es ist für jeden, der als Deutscher hier im Saale sitzt, eine Selbstverständlichkeit,
sich ihr anzuschließen.
Ich gebe Ihnen nicht das Wort!
— Herr Abgeordneter Reimann!
— Herr Abgeordneter Reimann, ich habe Ihnen das Wort noch nicht erteilt.
— Herr Abgeordneter Reimann! Ich habe Ihnen das
— Ich erteile Ihnen das Wort nicht!
— Ich hebe die Sitzung auf.
Die Sitzung wird um 9 Uhr 35 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich erkläre die unterbrochene Sitzung wieder für eröffnet.
Der Herr Abgeordnete Reimann hat vorhin bereits das Wort zur Sache ergriffen, ehe ich es ihm erteilt habe. Auf meine Bitte hin — —
— Halten Sie jetzt den Mund! —
Als ich Herrn Abgeordneten Reimann gebeten habe, das Rednerpult zu verlassen,
hat er gesagt: „Ihre Maßnahmen kümmern mich nicht."
Meine Damen und Herren, das ist der schwerste Verstoß gegen die Disziplin des Hauses. Ich schließe hiermit Herrn Abgeordneten Reimann für 30 Sitzungstage aus.
Ich bitte, das Haus zu räumen, ebenso die Tribünen, damit Herr Abgeordneter Reimann den Saal verlassen kann.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung wird um 9 Uhr 58 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich glaube, wohl im Namen des Hauses handeln zu dürfen, wenn ich zunächst unsere Freude über das Wiedererscheinen des von seiner Erkrankung wiederhergestellten Herrn Bundeskanzlers zum Ausdruck bringe.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die der Erklärung zustimmen, welche Herr Alterspräsident Löbe vorhin vorgelesen hat, sich von den Plätzen zu erheben. — Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen und stelle fest: das ist die überwältigende Mehrheit des Hauses.
Um der deutschen und der Weltöffentlichkeit den ganzen tiefen Ernst dieser Erklärung und der Zustimmung zu ihr zum Bewußtsein zu bringen, unterbreche ich die Sitzung für eine Viertelstunde und berufe sie für 10 Uhr 15 wieder ein.
Die Sitzung wird um 10 Uhr 24 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Wir kommen nunmehr zum einzigen Punkt der Tagesordnung:
Erste und zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen gemäß § 88 folgende Redezeiten vor: für die beiden Fraktionen CDU/ CSU und SPD je eine gute Stunde, für die übrigen Fraktionen je drei Viertelstunden. Meine Damen und Herren, ich darf Ihr Einverständnis dazu annehmen und erteile nunmehr dem Herrn Bundeskanzler das Wort zu einer Regierungserklärung zur Einbringung dieses Gesetzes.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen vor längerer Zeit eine Denkschrift zur Frage des Beitritts zum Europarat zugehen lassen. Ich darf ja annehmen, daß der Inhalt dieser Denkschrift bei Ihnen noch im Gedächtnis ist. Aber immerhin lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einige Fakten aus dieser Denkschrift wiederholen.
Die Satzung des Europarates ist vom 5. Mai 1949 datiert. Der Grundcharakter und das Ziel des Europarates sind in der Präambel niedergelegt. Es heißt da: Ziel ist die Festigung des Friedens zum Schutze der menschlichen Gesellschaft und der Zivilisation.
Das Statut des Europarates kennt zwei Arten von Mitgliedern: ordentliche und assoziierte. Die Länder, die nur assoziierte Mitglieder entsenden, haben keinen Vertreter im Ministerrat. Man hat diese Einrichtung von vornherein im Hinblick auf Deutschland geschaffen, da die Voraussetzung, volles Mit-
glied zu sein — d. h. mit Vertretung im Ministerrat —, volle Souveränität des Staates, namentlich auf außenpolitischem Gebiete, sei. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt auf Einladung. Eine Einladung, als assoziiertes Mitglied beizutreten, ist am 31. März 1950 an die Bundesrepublik Deutschland ergangen; gleichzeitig ist auch die Saarregierung eingeladen worden, als assoziiertes Mitglied beizutreten.
Dann, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Atlantikpakt sagen und in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß Europarat und Atlantikpakt, sowohl was die Zielsetzung als auch den Kreis der Mitglieder angeht, voneinander verschieden sind.
Und nun, meine Damen und Herren, haben Sie in diesen Tagen darüber zu entscheiden, ob die Bundesrepublik Deutschland die an sie ergangene Einladung annimmt oder ob sie sie ablehnt. Zwischen diesen beiden Alternativen hat der Bundestag eine Entscheidung zu treffen.
In die Denkschrift der Bundesregierung ist ein Abschnitt eingefügt, in dem die Gründe, die für die Annahme der Einladung sprechen, und die Gründe, die dagegen ins Feld geführt werden, gegeneinander abgewogen sind. Seit dem Erscheinen dieser Denkschrift hat sich die außenpolitische Situation wiederum, und zwar in erheblichem Maße geändert, so daß dieses Kapitel „Für und Wider" ergänzt werden muß. Ich nenne als solche neuen Tatsachen erstens den Schuman-Plan, zweitens die Londoner Konferenz, drittens den Beschluß des Hamburger Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
die Einladung abzulehnen.
Ich möchte zunächst zu dem Schuman-Plan sprechen. Sie alle kennen, wie ich annehmen darf, den Beschluß des französischen Kabinetts, dessen wesentlicher Inhalt ist, daß die deutschen und die französischen Montanindustrien, Kohle, Stahl und Eisnnaus "'engebracht werden sollen
und daß eine hohe Behörde neu geschaffen werden soll, die zwar nicht eine Einrichtung ist, die über den Mitgliedern, über denjenigen, die diesen Vertrag schließen, steht, auf die aber, wie es der französische Staatspräsident Auriol ausgedrückt hat, eine Assoziation von Souveränitätsrechten der verschiedenen Paktländer übertragen werden soll.
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren, die Anweisungen dieser hohen Behörde, gegen die gewisse Rekurse vorgesehen sind — ich kann hier nicht auf Einzelheiten eingehen —, sollen auf dem Gebiet, das ihr eingeräumt ist, bindend sein.
Der Schuman-Plan ist zunächst für Frankreich und Deutschland erdacht gewesen.
Aber es war von Anfang an vorgesehen, daß auch andere europäische Länder ihm beitreten können. Es sind auch sofort die italienische Regierung, die luxemburgische Regierung, die belgische Regierung und die holländische Regierung mit der Erklärung an die Öffentlichkeit getreten, daß sie bereit seien, auf der Grundlage dieses Programms des französischen Kabinetts zu Verhandlungen zusammenzukommen.
Von seiten des Herrn Dr. Schumacher ist auf dem Sozialdemokratischen Parteitag an mich eine Reihe
von Fragen über den Schuman-Plan gestellt worden. Ich werde vielleicht im Laufe meiner Ausführungen noch darauf eingehen. Aber ich kann hier schon bemerken: die ganzen Antworten auf diese Fragen ergeben sich ohne weiteres aus der Erklärung des französischen Kabinetts. Ich betone: des französischen Kabinetts, weil auch insofern Herrn Dr. Schumacher ein Irrtum in seinen Ausführungen unterlaufen ist, als der Schuman-Plan die einmütige Zustimmung des französischen Kabinetts, der französischen Regierung, gefunden hat.
Ich darf dann noch folgendes hierzu sagen. In der Erklärung des französischen Kabinetts ist ausdrücklich betont worden, daß Staatsverträge abgeschlossen werden sollen, die von den Parlamenten ratifiziert werden müssen, so daß also Sie, meine Damen und Herren vom Bundestag, wenn die Dinge gereift sind, das ganze Material erhalten werden und Sie dann die Entscheidung darüber zu treffen haben, ob der Vertrag angenommen oder abgelehnt wird.
Es kann also in keiner Weise die Rede davon sein, daß irgendwie das Parlament ausgeschaltet oder in seinen Rechten auch nur im geringsten angetastet werden würde.
Die großbritannische Regierung hat zu meinem sehr lebhaften Bedauern bisher nicht geglaubt, der Einladung der französischen Regierung Folge leisten zu sollen. Ich erkläre ausdrücklich, daß ich das außerordentlich bedauere und daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, daß im Laufe der Verhandlungen Großbritannien zu diesem Plan doch eine positivere Stellung einnehmen wird. Ich sage das nicht irgendwie aus wirtschaftlichen Gründen, wie ich überhaupt hier ausdrücklich erklären möchte — und ich befinde mich dabei in vollster Überreinstimmung nicht nur mit der französischen Regierung, sondern auch mit demjenigen Manne, der der Hauptmotor des ganzen Planes ist, mit Herrn Monnet —, daß die Bedeutung des ganzen Vorschlages in allererster Linie nicht eine wirtschaftliche, sondern eine polititische ist.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Erklärung des französischen Kabinetts — ich glaube, vom 7. oder 9. Mai — mit der Aufmerksamkeit lesen, die diesem Dokument gebührt, dann werden Sie an mehreren Stellen die ausdrückliche Erklärung finden, daß mit diesem Pakt der Anfang zu einem föderativen Aufbau Europas gemacht werden soll. Die politische Bedeutung des Vorschlages wird so stark wie nur denkbar unterstrichen, und aus persönlichen Gesprächen, die ich mit Herrn Monnet geführt habe, kann ich auch nur noch bestätigen, daß das politische Moment auch nach seiner Auffassung am meisten in die Waagschale fällt. Daß man, meine Damen und Herren, wenn man darauf ausging, die seit Jahrhunderten bestehenden Differenzen zwischen dem französischen Volk und dem deutschen Volk zu beseitigen, gerade an eine derartige Konstruktion bezüglich Eisen, Stahl und Kohle gedacht hat, hat einen sehr guten Grund,
den Sie alle verstehen werden.
Es gibt keine bessere Möglichkeit, dem französischen
Volk die Zweifel an der Friedensliebe des deutschen
Volkes zu nehmen, als wenn man diejenigen Produkte — Eisen und Stahl —, die nach wie vor die
Hauptträger einer jeden Aufrüstung sein würden,
in Frankreich und Deutschland so zusammenbringt,
daß eben der französische Partner dieses Paktes über alles unterrichtet ist, was auf dem ganzen Gebiete von Eisen, Stahl und Kohle vor sich geht.
Meine Damen und Herren! Ich möchte von der Tribüne dieses Hauses aus erklären, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit mit wenigen Ausnahmen — das glaube ich sagen zu können —
wünscht, daß zwischen Deutschland und Frankreich in Zukunft alle psychologischen Hemmnisse beseitigt werden, auf daß endlich Friede auch in Europa werde.
Ich möchte Ihnen dann, obgleich das streng genommen nicht so sehr zum Thema gehört, über den Schuman-Plan noch folgendes sagen. Nicht in den Europarat eintreten, Europa die Einladung ablehnen, bedeutet eine Negierung auch dieses Vorschlages Frankreichs.
Daran kann gar kein Zweifel bestehen; denn der politische Zweck dieses französischen Vorschlags. geht ja gerade auf die Schaffung einer europäischen Föderation, wie das in vollster Deutlichkeit ausgesprochen worden ist. Wir alle wissen, daß der Europarat, auch wenn er sicher noch kein vollkommenes Instrument ist, doch dieselbe Tendenz hat. Nun kann ich unmöglich die Einladung abschlagen und gleichzeitig sagen: ich will aber über den andern Weg zu einem föderativen Europa. Das, meine Damen und Herren, ist wirklich unmöglich. Derjenige, der die Einladung in den Europarat ablehnt, präjudiziert damit auch seine Stellung zum Schuman-Plan. Er braucht gar nicht mehr noch ausdrücklich vier oder sechs Bedingungen zu stellen.
Ich habe eben gesagt, das zweite Ereignis, das seit der Herausgabe der Denkschrift eingetreten sei, sei die Londoner Konferenz. Die Londoner Konferenz ist seinerzeit in der großen Öffentlichkeit viel weniger gewertet worden, als sie es verdient hat. Denn diese Londoner Konferenz hat zum Schluß zwar keine großen, mehr oder weniger pathetischen Erklärungen formuliert; aber sie hat praktische Arbeit geleistet und praktische Arbeit vorbereitet. Lassen Sie mich Ihnen aus dem offiziellen Kommuniqué über die Londoner Konferenz doch hier folgendes vorlesen:
Die Alliierten sind entschlossen, ihr in dem Washingtoner Abkommen vom April 1949 niedergelegtes und in dem Petersberger Protokoll bestätigtes Ziel weiter zu verfolgen, daß Deutschland schrittweise in die Gemeinschaft der freien Völker Europas wieder eintreten soll. Wenn dies voll erreicht ist, würde es von den Kontrollen befreit werden, denen es jetzt noch unterstellt worden ist, und es würde ihm Souveränität bis zum Höchstmaß, vereinbar mit der Grundlage des Besatzungsregimes, gewährt werden. Dieses Regime ist den Deutschen und Alliierten durch die Folgen der Teilung Deutschlands und der internationalen Lage auferlegt. Bis diese Situation geändert ist, muß es im gemeinsamen Interesse Deutschlands und Europas beibehalten werden. Die Westmächte
wünschen das Tempo des Fortschritts zu diesem Ziel so schnell als möglich zu sehen. Der Fortschritt wird abhängen von dem Grade der vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit seitens der Regierung und des Volkes der Bundesrepublik. In erster Linie wird das Tempo bestimmt durch das Ausmaß, in dem die Alliierten überzeugt sind, daß ihre eigene Sicherheit durch die Entwicklung des Wunsches nach Frieden und freundlicher Anlehnung an sie in Deutschland gewährleistet wird.
Ich glaube nicht, daß eine Ablehnung des Eintritts in den Europarat durch die Bundesrepublik Deutschland auf westalliierter Seite als ein Zeichen „freundlicher Anlehnung- werden würde. Ich glaube, daß man gerade diese Londoner Konferenz bei der Entscheidung, die wir zu treffen haben, berücksichtigen muß.
Ich habe eben gesagt, ein drittes neues Moment sei der Beschluß des Hamburger Parteitages der Sozialdemokratischen Partei, und ich muß hinzufügen — da der Beschluß aus sich heraus allein nicht zu versteifen sein würde -: auch die große Rede, die Herr Kollege Schumacher dort gehalten hat, und die Reden, die auch andere Herren aus seiner Fraktion und Partei an anderen Orten in den letzten Wochen gehalten haben. Ich möchte vorausschicken, daß ich in den Zitaten, die ich jetzt machen werde — und es sind erstaunliche und merkwürdige Zitate —, der Veröffentlichung im „Neuen Vorwärts" — das Datum habe ich jetzt nicht im Kopf — über den Hamburger Parteitag und insbesondere über die Rede des Herrn Dr. Schumacher folge.
Lassen Sie mich noch etwas vorwegnehmen. Der Bundesregierung ist von Herrn Dr. Schumacher —ich weiß nicht, in welcher seiner Reden — gesagt worden, wir, die Bundesregierung, seien ein Wackelkontakt.
Nun, meine Damen und Herren, lieber ein Wackelkontakt., als gar kein Kontakt.
— Nein, meine Damen und Herren, Sie verwechseln Wackelkontakt und Kurzschluß und allerhand solche Sachen! —
Mir ist in der sozialdemokratischen Presse wiederholt vorgeworfen worden, daß ich „gewackelt" hätte, daß ich meine Stellungnahme geändert hätte, daß ich, als die Saarfrage angeschnitten worden sei, eine andere Stellung eingenommen hätte als jetzt.
Ich kann meine Kritiker nur bitten — wenn sie die Zeit haben, alte Reden nachzulesen —, einmal meine alten Reden zur Hand zu nehmen.
Ich werde mich darauf beschränken, Ihnen aus dem
Schlußpassus einer Rede, die ich hier im Bundestag
zu dem ganzen Komplex der Saarfrage am 10. März
dieses Jahres gehalten habe, etwas vorzulesen:
Ich komme zum Schluß. Unter keinen Umständen darf die Saarfrage zu einer Störung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen. . . . Die Saarverträge haben in weiten deutschen Kreisen Zweifel daran hervorgerufen, ob der Wunsch und die Hoffnung Deutschlands auf ein gutes
freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich auch in Frankreich besteht. Es sind in Deutschland Zweifel daran entstanden, ob wirklich der ernstliche Wille vorhanden ist, Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der Völker wieder einzuführen, es zur Mitarbeit am Wiederaufbau Europas und der Welt heranzuziehen. Man darf weder bei uns noch außerhalb Deutschlands die Augen vor der Tatsache verschließen, daß solche Zweifel entstanden sind. Um alle diese Zweifel in Deutschland zu überwinden, um das deutsche Volk zur willigen, zur freudigen Mitarbeit zu bewegen, muß das gegenwartige Stadium des Stillstands und des Mißtrauens durch einen sichtbaren, durch einen entschiedenen Schritt nach vorwärts überwunden werden.
Aus dieser Überzeugung heraus habe ich dem amerikanischen Journalisten Kingsbury Smith gegenüber den Vorschlag einer Europäischen Union gemacht. Der Gedanke ist kühn; ich weiß es. Seine Verwirklichung ist schwierig. Aber darum sollte man doch entschlossen an das Projekt herangehen.
Dieser deutliche, sichtbare Schritt, der die durch die Entwicklung der ganzen Saarfrage entstandenen Zweifel des deutschen Volkes, ob man wirklich auf französischer Seite zu einer Verständigung mit Deutschland kommen wolle, beseitigen soll, liegt iur jeden, der sehen will, erkennbar in dem Schuman-Plan. Die verehrten Kritiker meiner „verwirrenden" Interviews können sich vielleicht doch sagen, daß der Vorschlag, den ich damals gemacht haue, durch den Plan Schumans seiner Verwirklichung ein sehr großes Stück näherkommt.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einige allgemeine Ausführungen — vielleicht sind sie hier doch am Platze — zu den Aufgaben und Pflichten einer parlamentarischen Opposition, wenigstens wie ich sie verstehe, machen.
Eine parlamentarische Opposition hat ati nicht nur
parteipolitische Ziele im Auge zu halten.
Eine parlamentarische Opposition
hat natürlich das gute Recht, die Regierung und die Regierungskoalition zu kritisieren; auch eine Oppositionspartei — und ich sage das auf Grund der Gesprache, die ich in den letzten Wochen mit maßgebenden ausländischen Persönlichkeiten gehabt habe, mit allem Nachdruck -und mit allem Ernst —, auch eine parlamentarische Opposition hat nationale Pflichten.
— Sie haben ja keine nationalen Pflichten.
Eine Oppositionspartei hat die Gesamtinteressen des deutschen Volkes zu berücksichtigen, und sie muß sich die Fähigkeit bewahren, über ihren Parteiinteressen das Gesamtinteresse des Volkes zu sehen. Das Urteil darüber, ob die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Fraktion bei ihren Äußerungen und Stellungnahmen den Grundsätzen, die ich soeben skizziert habe und von denen ich annehmen möchte, daß sie im Grunde genommen auch von der Leitung der Sozialdemokratischen
Partei selber akzeptiert werden und akzeptiert werden müssen, immer entspricht, das überlasse ich der Entscheidung der Öffentlichkeit und des deutschen Volkes.
Ich beklage mich gar nicht darüber, daß von seiten der Opposition die Dinge so dargestellt werden, als wenn sich in den Häuptern der Mitglieder dieser Bundesregierung und bei den Koalitionsparteien die Summe der Dummheit, der Unklarheit, der Passivität vereinigt habe.
Ich weiß nicht, ob nicht vielleicht mancher im deutschen Volke, der das liest, sich darüber wundert, daß nun — im Gegensatz dazu — bei der Oppositionspartei sich die Summe der Klugheit, die Summe der Voraussicht, die Summe der Aktivität findet.
Im allgemeinen ist es doch im Leben wohl so, daß
kein Mensch ganz schwarz und keiner ganz weiß ist.
— Sie haben wohl mal das Wort „Pharisäer" gehört!
Aber daß wir nun geradezu so die konzentrierte Dummheit und Passivität sind und daß dort das Konzentrat von Klugheit, Voraussicht und Weisheit sein soll, das glaube ich nicht, und das glauben Sie selbst auch nicht!
Was ich jedoch sehr bedauerlich finde und was ich auch nicht mit den Pflichten einer Oppositionspartei für vereinbar halte, das sind einige Ausführungen des Herrn Kollegen Schumacher, gegen die ich Einspruch einlegen muß. Wenn er zum Beispiel in seiner Hamburger Rede sagt, die soziale Passivität der Bundesregierung sei die Keimzelle des Faschismus und der Diktatur
— jetzt kommt der wesentlichste Satz —, der aus der sozialen Passivität kommende Mangel an Phantasie und Energie habe den Rechtsradikalismus in Westdeutschland zur Massenbewegung gemacht,
dann, meine Damen und Herren, glaube ich doch, daß Herr Kollege Schumacher — es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen — Sie überschätzt;
denn ich habe bisher nicht den Eindruck, daß der Rechtsradikalismus eine Massenbewegung geworden ist.
Aber, meine Damen und Herren, das ist ein sehr gefährliches Wort
aus dem Munde eines Mannes wie des Herrn Dr. Schumacher.
Das ist ein Wort, das draußen im Auslande wie Dynamit wirkt und gegen Deutschland wirkt.
Lassen Sie mich noch ein anderes Wort aus der gleichen Rede zitieren, das ebenfalls geeignet ist, im Ausland ein sehr falsches und ein sehr gefährliches Bild über die Zustände in Deutschland hervorzurufen:
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist die einzige Partei Deutschlands in diesem Lande, in der das Spiel mit der östlichen Karte mit der Mitgliedschaft in dieser Partei unvereinbar ist.
Die Sozialdemokratische Partei ist in diesem Lande die einzige Partei, die sich auch durch die Lockungen des roten Handels, durch die Exportchancen, nicht von der politischen Linie abbringen läßt.
Diese Partei ist doch schließlich die einzige Partei, die gegen eine Rapallo-Legende eindeutig und geschlossen auftritt.
Meine Damen und Herren, das ist nicht richtig! Es besteht auch bei den anderen Parteien mit Ausnahme der äußersten Linken dieselbe Entschlossenheit gegenüber dem Osten und der SED wie bei der Sozialdemokratischen Partei.
Ich halte es nicht für richtig — im Interesse des deutschen Volkes und seines Ansehens —, daß man alle Parteien mit Ausnahme seiner eigenen Partei dahin kennzeichnet, daß sie eine zweideutige Politik zwischen Ost und West trieben.
Ich werde zum Schluß noch darauf zurückkommen.
Die Abstimmung über den Eintritt in den Europarat wird zeigen, wer für Ost und wer für West ist!
Ich bin auch gezwungen, in aller Öffentlichkeit und von diesem Platze aus mein Bedauern über die Art und Weise auszudrücken, wie von Herrn Dr. Schumacher der Schuman-Plan behandelt worden ist. Der Schuman-Plan ist aus wirklich ehrlichen und ethischen Motiven heraus vorgeschlagen worden.
Den Schuman-Plan als Europarat A.G. zu bezeichnen, halte ich gegenüber der französischen Regierung nicht für richtig.
Das gleiche gilt von weiteren Ausführungen über den Plan. Lassen Sie mich auch hier einige Zitate aus der Rede anführen:
Der europäische Übereifer der großen Manager und Schwerindustriellen scheint mir nämlich darin zu ruhen, daß sie bei dem Weg auf das Ziel zusammen mit der französischen Schwerindustrie die Eventualität des Aus-
weichens vor der Sozialisierung und vor dem Mitbestimmungsrecht der Arbeiter erkennen. Und an einer anderen Stelle heißt es:
Was hat die Bundesregierung daraus gemacht? Sie hat den Sinn des französischen Vorschlags schon so entscheidend verbogen, daß es keine agitatorische Übertreibung ist, wenn man vom Beginn der Verfälschung spricht, indem sie die Verhandlungslegitimation für sich okkupiert und den Plan auf der Grundlage von Sachverständigen diskutieren will.
Nun, der Gedanke des Herrn Monnet und der französischen Regierung über die Art und Weise der Verhandlungen ist folgender. Man ist sich völlig darüber klar, daß, wenn erst einmal die technischen Sachverständigen von sechs Ländern sich zusammensetzen, diesen die technischen Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten so ungeheuerlich groß erscheinen, daß diese dann so ausführlich diskutiert werden, daß der ganze Plan in der Gefahr schwebt, zerredet zu werden. Herr Monnet möchte deshalb, daß auf der am 20. Juni in Paris zusammentretenden Konferenz von sämtlichen beteiligten Ländern keine technischen Sachverständigen anwesend sind. Er möchte, daß Leute mit weitem wirtschaftlichen Horizont anwesend sind,
auf europäischem Boden stehend und europäisch denkend — das ist die Hauptsache —, und weiter Leute, die in der Lage sind, staatsrechtliche Verträge zu entwerfen und zu beraten.
Erst dann, meine Damen und Herren, wenn auf
dieser Konferenz in Paris, auf der so schnell wie
eben möglich gearbeitet werden soll, eine Verständigung über den Aufgabenkreis dieser Hohen Kommission erzielt ist und wenn eine Verständigung
über das Schema der abzuschließenden Staatsverträge erfolgt ist und wenn dazu die Parlamente
der sechs Länder Ja und Amen gesagt haben; erst
dann, meine Damen und Herren. ist nach der Ansicht des Herrn Monnet, die ich für sehr richtig
halte, das Feld offen für die technischen Berater.
Herr Dr. Schumacher hat dann weiter ausgeführt, es solle auf der Grundlage der Ausführungen von Sachverständigen verhandelt werden. Ich habe eben schon gesagt, daß das ein absoluter Irrtum ist. Er hat ferner gesagt:
Eine Reihe von Sachverständigennamen kennt man: es sind lauter Leute der Schwerindustrie, Alteigentümer oder Großmanager.
Es ist eine Anzahl von Abgeordneten des Bundestags darunter, aber kein einziger sozialdemokratischer Deputierter oder Wirtschaftspolitiker.
Meine Damen und Herren, alle diese Annahmen des Herrn Kollegen Schumacher sind falsch.
Die Zusammensetzung der Deputation, die nach Paris gehen soll, steht noch nicht fest. Darüber werden noch Überlegungen angestellt. Aber Sie können sich fest darauf verlassen,
daß alles das, was Herr Kollege Schumacher annimmt, sich schon in acht Tagen als ein Irrtum herausstellen wird, wenn wir die Namen der Mitglieder dieser Deputation veröffentlicht haben.
Es ist klar, daß diese Deputation in ständiger Fühlungnahme mit der Bundesregierung und den Ministerien der Bundesregierung bleiben muß. Und so wird, genau so wie in Frankreich, auch unter meinem Vorsitz ein Ministerausschuß gebildet, der mit dieser nach Paris zu entsendenden Deputation in ständigem Kontakt bleibt.
Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr wenig geschmackvoll, wenn Herr Kollege Schumacher — er liebt ja eine bilderreiche Sprache, ohne daß man diese Sprache immer als eine poetische Sprache bezeichnen kann — sagt, daß wir am Schwanze des französischen Gauls in den Europarat hineingingen.
Aber ich glaube, man sollte auch immer berücksichtigen, wie derartige Wendungen im Auslande wirken. Das muß man nach meiner Meinung namentlich dann tun, wenn man Vorsitzender einer großen deutschen Partei ist.
Herrn Abgeordneten Schoettle, der nicht nur, Politiker, sondern auch Mensch ist,
antworte ich immer gern auf einen Zwischenruf. Das gilt auch für den Regierungschef als Parteiführer; da haben Sie vollkommen recht.
Meine Damen und Herren, man soll sich Reden im genauen Wortlaut beschaffen. So hat zum Beispiel Herr Kollege Schumacher — ich sage das nur im Anschluß daran — auch darüber gesprochen, daß ich vor dem Hamburger Parteitag einen Appell an seine Parteifreunde gerichtet hätte.
Wo habe ich das getan, Herr Schumacher?
Ich glaube, daß der Herr Kollege Schumacher nicht richtig unterrichtet ist, und ich freue mich, daß Herr Renner langsam in seinen früheren Ton zurückfällt.
Ehe ich weitergehe, muß ich noch etwas zu weiteren Äußerungen auf dem SPD-Parteitag in Hamburg sagen, und zwar muß ich das gerade wegen der Beschlüsse der Mehrheit dieses Hauses und der Geltung sagen, die diese Mehrheitsbeschlüsse im Ausland beanspruchen können. Herr Dr. Schumacher hat ausgeführt, eine Realisierung einer grundsätzlichen Politik ohne die Zustimmung der
deutschen Sozialdemokratie sei sehr wenig bedeutsam.
Er hat weiter gesagt, der Vorschlag der Franzosen richte sich an das ganze deutsche Volk, auch an die Opposition — das ist richtig —, vor allem an die Sozialdemokratie, ohne die es ja dann doch nicht gehe.
Sehen Sie, das ist ein Irrtum. Ich sage Ihnen: Wenn Sie sich von der Mitarbeit distanzieren, dann wird es auch ohne Sie gehen.
Aber ich meine, man sollte solche Äußerungen nicht machen, weil sie doch nur darauf ausgehen, die Mehrheit dieses Hauses und ihre Beschlüsse im Ausland so erscheinen zu lassen, als wenn die Mehrheit des deutschen Volkes nicht dahinterstünde. Wenn wir heute das deutsche Volk darüber abstimmen lassen könnten, ob wir die Einladung in den Europarat annehmen oder ablehnen sollen, — ich sage Ihnen: eine überwältigende Mehrheit wird für die Annahme stimmen.
Der Hamburger Parteitag hat die Ablehnung der Einladung, in den Europarat einzutreten, mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit beschlossen, und zwar hat er diesen Beschluß gefaßt, weil Herr Dr. Schumacher erklärt hat: Wir sagen nein zum Ersatz-Europa von Straßburg bei gleichzeitigem Eintritt der Saar. Dr. Schumacher hat über die Saarfrage noch weitere Ausführungen gemacht. Er hat gesagt:
Nicht die Sozialdemokraten haben den Europarat und die Saarfrage gekoppelt. Es war im Juli 1949 zu unserem aufrichtigen Bedauern die französische Regierung, die diese Fragen gekoppelt hat.
Er hat weiter gesagt:
Die Saarfrage ist keine isolierte Frage. Die
Saarfrage ist deswegen materiell nicht zu bagatellisieren. Die Anwesenheit von Saarvertretern im Europäischen Rat ist die Deklarierung eines Prinzips. Verbalproteste, Proteste
der bloßen Worte helfen nicht. Hier hilft nur
die Verweigerung der Anerkennung durch
Tatsachen und durch Handeln. Es gibt kein
Entweder-Oder zwischen dem Europarat und
der Saarfrage, sondern die Behandlung der
Saarfrage ist die Antwort auf die Frage der
politischen Konstruktion von Straßburg.
Ein Satz darin hat mich zum Kopfschütteln veranlaßt. Dr. Schumacher sagt: „Die Anwesenheit von Saarvertretern im Europäischen Rat ist die Deklarierung eines Prinzips." Schöner Satz! Aber wenn ich mich recht entsinne, waren doch Vertreter der Sozialdemokratischen Partei des Saargebiets, die ihre Leute in der Saarregierung hat, auf verschiedenen Comisco-Tagungen mit Vertretern der deutschen Sozialdemokratie zusammen.
Ich kann wirklich nicht einsehen: Wenn ich mich mit Vertretern der Sozialdemokratischen Partei, die hinter der Saarregierung steht, am Comisco-Tisch zusammensetzen kann, warum kann ich mich dann nicht in Straßburg im Europäischen Rat mit ihnen zusammensetzen?
Der Herr Kollege Dr. Schumacher hat weiter gesagt, „daß diese Anerkennung — er meint damit den Eintritt in den Europarat gleichzeitig mit der Saarregierung — von verhängnisvoller Rückwirkung auf die juristisch-moralische Position beim Kampf gegen die Oder-Neiße-Linie sei und daß diese Anerkennung gefährlich, wenn nicht tödlich wirken könnte gegen die Rückkehr und den Heimatanspruch unserer Ostvertriebenen. Daran müssen wir denken."
Nun, gerade in diesen Tagen ist zwischen der Ostzonenregierung und Polen eine Abmachung wegen der Oder-Neiße-Linie geschlossen worden. Ich habe die gesamte Presse der SED, der KPD und, soweit möglich, von Satellitenstaaten und Sowjetrußlands daraufhin durchsehen lassen, ob irgendwie bei dieser Gelegenheit die Saarkonventionen erwähnt worden sind. Ich habe feststellen müssen, daß es dort keinem Menschen eingefallen ist, die Saarkonventionen in dem Zusammenhang überhaupt zu erwähnen.
Ich möchte noch folgendes feststellen. Es ist ausdrücklich seitens der Hohen Kommissare erklärt worden — Sie finden das in der Denkschrift —, daß die Einladung an die Saarregierung nicht eine Vorwegnahme der Entscheidung beim Friedensvertrag bedeute.
Ein weiteres darf ich hier sagen. Das Saarproblem verliert durch den Schuman-Plan in ganz großem Maße an Bedeutung,
weil die Saargruben und die Saarhüttenwerke in dieses Abkommen fallen. Ich bin der Überzeugung, daß dann, wenn dieser Schuman-Plan realisiert wird und wenn wir der Saar bis zu den nächsten Wahlen, die dort stattfinden, Zeit lassen, sich die Saarfrage ohne weiteres lösen wird.
Aber, Eintritt der Saarregierung in den Europarat und Ablehnung der Einladung durch Deutschland: das sind wirklich nicht vergleichbare Größen. Es heißt gar nicht, daß durch den Eintritt der Saarregierung irgendwie ein Prinzip statuiert wird. Ich habe immer noch den dringenden Wunsch — und, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, der Wunsch ist mir sehr ernst —, daß Sie im Laufe der Beratungen doch zu der Überzeugung kommen: die Dinge liegen zur Zeit in Europa und in der Welt so, daß auch Sie dem Eintritt in den Europarat zustimmen können.
Ich habe mit den Hohen Kommissaren, als die Einladung in Sicht war, einen Briefwechsel gehabt, um dieses oder jenes noch zu erreichen. Ich habe diesen nicht geführt, weil es für mich nötig gewesen wäre, meine Überzeugung in dem zu festigen, was wir tun müssen, sondern ich habe versucht, der sozialdemokratischen Fraktion die Möglichkeit zu geben, zuzustimmen. Es ist ganz klar, daß ich als Chef dieser Regierung Wert darauf lege, daß in diesem Hause der Vorschlag der Bundesregierung mit einer sehr großen Mehrheit angenommen wird. Wenn er aber nicht mit einer sehr großen Mehrheit angenommen wird, wenn er auch nicht eine so große Mehrheit findet, nun, meine Damen und Herren, dann wird trotzdem entsprechend gehandelt werden; und der Beschluß wird im Ausland auch entsprechend gewertet werden.
Zum Schluß dieses Teils meiner Ausführungen möchte ich doch die sozialdemokratische Fraktion auf das hinweisen, was Herr Spaak in diesen Tagen in Dortmund gesagt hat. Herr Spaak ist, wie
Sie alle wissen, Sozialist, und er ist ein Mann von europäischer Bedeutung. Er hat am 11. dieses Monats in Dortmund ausgeführt, der deutsche Beitritt habe auch nicht im geringsten etwas mit der Frage des deutschen Ostens oder mit der Saarfrage zu tun. Der Gedanke, daß ein deutscher Beitritt einen Verzicht auf das Saarland oder die Gebiete östlich von Oder und Neiße bedeuten werde, sei seiner Ansicht nach vollkommnen falsch. Es sei der Wille aller Mitglieder in Straßburg, ganz Europa zu erschließen, einschließlich der Gebiete, die heute noch außerhalb stehen. Für ihre Forderung auf Rückgabe der Ostprovinzen und seinen — Spaaks — und ihren Wunsch nach der Einheit Deutschlands werde die Bundesrepublik in Straßburg Alliierte und keine Gegner finden. Auch andere deutsche Probleme wie vor allem die Flüchtlingsfrage ließen sich nach seiner Ansicht nur in europäischer Zusammenarbeit und keinesfalls in einem isolierten Deutschland lösen.
Aber von einer anderen Seite ist das Verhalten des sozialdemokratischen Parteitags sehr anerkennend gewürdigt worden, und vielleicht gibt doch den Herren und Damen von der sozialdemokratischen Fraktion eine Anerkennung von dieser Seite Anlaß zum Nachdenken. Scharfe Angriffe richtet Otto Strasser in seinem letzten Rundbrief „Für Deutschlands Erneuerung", den er von Kanada aus an seine deutschen Filialen versendet, gegen die Bundesregierung. Er beschuldigt sie der haltlosen Nachgiebigkeit gegenüber den Alliierten und bezeichnet sie als die Hacha-Regierung in Bonn, die jetzt den Kanossagang nach Straßburg angetreten habe. Dagegen ist die Haltung der Sozialdemokratie unter Führung Schumachers nach Strassers Ansicht erfreulich national.
— Meinen herzlichsten Glückwunsch, meine Damen und Herren, zu diesem Lob eines Mannes wie Otto Strasser!
Ein Wort darf ich noch einschieben. Der Bundesrat, meine Damen und Herren, hat mit 27 gegen 16 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen das Gesetz, das sich für den Eintritt in den Europarat ausspricht, befürwortet. Ich war bei der Debatte anwesend. Diese Debatte stand auf einer wohltuenden Höhe. Bemerkenswert war, daß diejenigen Länder dagegen stimmten, die unter sozialistischer Führung stehen. Es war schade, daß die Bundesratssitzung nicht vor dem Parteitag stattfinden konnte; vielleicht wäre dann das Stimmenverhältnis der Ja-Sager zu den Nein-Sagern noch besser ausgefallen.
Meine Damen und Herren! Der Vertreter Berlins hat in der Bundesratssitzung die Forderung erhoben, uns, wenn wir in den Europarát gehen, als Vertreter Berlins zu fühlen. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß wir das tun werden und daß wir auch als solche in Straßburg angesehen werden.
Die Bedeutung der Entscheidung, die Sie, meine Damen und Herren, nun zu fällen haben, muß ich
Ihnen im letzten Teil meiner Ausführungen noch einmal vor Augen führen. Das Ziel der Bundesregierung auf außenpolitischem Gebiete war von Anfang an, Deutschland als gleichverpflichtet und gleichberechtigt in die Gemeinschaft der Völker einzuführen. Dieser Weg ist natürlich deshalb besonders schwer, weil es infolge der Spannungen zwischen den beiden großen Mächtegruppen bis jetzt zu einer Friedensregelung nicht kommen konnte. Trotzdem ist es gelungen, wesentliche Etappen auf diesem Wege zu erreichen.
Der erste Abschnitt, meine Damen und Herren, ist durch das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 gekennzeichnet, das von der Opposition in seiner Bedeutung bisher nicht richtig erkannt worden ist.
Die Bundesregierung ist hier zum ersten Male als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit den alliierten Regierungen aufgetreten, die durch ihre Hochkommissare vertreten waren.
Einer der wesentlichen Punkte war der Abschluß der Demontagen. Wenn wir zu dem Petersberger Abkommen nicht ja gesagt hätten, was wäre in der Zwischenzeit demontiert worden?!
Weiter sind wir auf Grund des Petersberger Abkommens prinzipiell gleichberechtigt zu internationalen Organisationen zugelassen worden. Wir haben die Genehmigung zur Errichtung konsularischer und wirtschaftlicher Vertretungen im Ausland bekommen, und das Petersberger Abkommen enthielt die erste Ankündigung der Vorarbeiten zur Beendigung des Kriegszustandes.
Lassen Sie mich nur einen Teil der internationalen Organisationen aufzählen, an denen wir auf Grund des Petersberger Abkommens teilnehmen können. Wir haben am 15. Dezember mit der Regierung der Vereinigten Staaten als gleichberechtigter Partner das zweiseitige ECA-Abkommen abgeschlossen.
Wir sind aufgenommen in den Internationalen Weizenrat, in das Internationale Olympische Komitee, in die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt. Wir nehmen teil an den Arbeiten des Internationalen Arbeitsamtes, der Internationalen Gesundheitsorganisation, am Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen,
an der Internationalen Union für die Veröffentlichung der Zolltarife, an der Studiengruppe für die europäische Zollunion und der UNESCO. Gleichzeitig haben wir das Recht bekommen, selbständig Handelsverträge zu schließen, die allerdings genehmigt werden müssen.
Aber, meine Damen und Herren, bis dahin durften
wir überhaupt noch keine Verhandlungen führen.
Wir haben infolgedessen eine ganz große Anzahl von Handelsverträgen abschließen können, die zur wirtschaftlichen Belebung sehr stark beigetragen haben.
Die Londoner Konferenz, die ich eben schon erwähnte, übt jetzt schon ihre Wirkungen aus. Die Vorarbeiten für eine Revision des Besatzungstatuts sind eingeleitet. Wir werden daran beteiligt werden. Eine Verlautbarung der Londoner Konferenz stellt in Aussicht, daß schon im Laufe einer nahen Zeit die Art und der Zweck der Besatzung gewandelt werden.
Die Wahrscheinlichkeit, daß wir noch im Laufe dieses Jahres das Recht zu politischen Vertretungen im Ausland bekommen, ist sehr groß. Ich kann Ihnen auch sagen, daß Verhandlungen im. Gange sind, um, wenn wir in den Europarat eingetreten sind, eine Verbindung zwischen uns und dem Ministerkomitee herzustellen.
Alle diese Fortschritte, meine Damen und Herren, haben wir im Laufe von neun Monaten erreicht. Dem, der uns vor neun Monaten prophezeit haben würde, daß wir den Schuman-Plan vorgelegt bekommen, würde keiner geglaubt haben.
Wenn wir aber jetzt die Einladung ablehnen, meine Damen und Herren, dann ist diese Entwicklung abgeschnitten; denn Sie haben ja in dem offiziellen Kommuniqué von der Londoner Konferenz, das ich Ihnen vorlas, gehört, daß die „freundschaftliche Anlehnung" an die Westalliierten die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung auf diesem Wege sei.
Ich will nicht sagen, daß jeder von denenigen, die für die Ablehnung des Gesetzentwurfes sind, sich damit für den Osten erklären will.
— Ach, Herr Schumacher, — na, ich will lieber schweigen!
Meine Damen und Herren, ich wiederhole den Satz nochmals. Ich erkläre nicht. daß derjenige, der sich für die Ablehnung der Einladung ausspricht, sich damit für den Osten erklärt. Aber, meine Damen und Herren, das eine steht fest: wer sich für die Ablehnung der Einladung erklärt, der erklärt sich gegen den Westen.
Sicher, meine Damen und Herren, ist der Europarat ein erster Versuch, Westeuropa zu einer Konföderation zusammenzufassen.
Alle sind sich darüber klar, daß, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland nicht am Europarat beteiligt, damit der Europarat gescheitert und dieser Versuch, eine europäische Konföderation herbeizuführen, erledigt ist. Wir müssen uns loch wohl alle darüber klar sein, daß gegenüber dem Druck vom Osten eine Zusammenfassung der europäischen Länder, die die Kräfte dieser einzelnen Länder vervielfältigt, absolut 'notwendig ist. So
allein wird Westeuropa befähigt, dem Druck vom Osten her Widerstand zu leisten.
Ich will hierzu nur ein Zitat des Herrn Dr. Schumacher, allerdings aus dem Jahre 1947, wiedergeben.
— Ja, verehrter Herr Schumacher, zwischen Ihnen und Goethe bestehen Unterschiede!
Herr Dr. Kurt Schumacher hat am 1. Juni 1947 in einer Rede, die er in Frankfurt gehalten hat, gesagt: „Europa wird entweder eine gemeinsame ökonomische und politische Grundlinie einer Entwicklung finden, oder es wird zwischen zwei großen Mühlsteinen zerrieben werden."
Meine Damen und Herren des Deutschen Bundestages! Die Entscheidung, die Sie zu fällen haben, ist von einer historischen Bedeutung, und jeder von uns, der berufen ist, an dieser Entscheidung — positiv oder negativ — mitzuwirken, wird einst vor seinem Gewissen und dem deutschen Volke Rechenschaft darüber ablegen müssen.
Es handelt sich um eine Entscheidung, die für Deutschland, für Europa und für die Welt von gleich großer Bedeutung ist.
Wenn Sie sich vorstellen würden, was die KPDZeitungen, was die SED-Zeitungen, was die sowjetrussischen Zeitungen schreiben würden, wenn die Einladung in den Europarat vom Bundestag abgelehnt werden würde, dann erst, meine Damen und Herren, können Sie sich ein Bild darüber machen, was eine solche Ablehnung in Wirklichkeit bedeuten würde.
Darum, meine Damen und Herren, darf diese Einladung im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse der deutsch-französischen Verständigung,
weil durch die Ablehnung dieser Einladung zugleich auch der Schuman-Plan erledigt würde, im Interesse Europas und im Interesse des Weltfriedens nicht abgelehnt werden.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich anschließen an die letzten Worte des Herrn Bundeskanzlers, der mit großem
Ernst darauf hingewiesen hat, daß heute der Deutsche Bundestag eine Entscheidung von schicksalhafter Bedeutung nicht nur für Deutschland, sondern in gleichem Maße für Europa, für den europäischen Kontinent und vielleicht für die Welt zu fällen hat. Denn es handelt sich darum, die Stellung des neuen Deutschland im weltpolitischen Kraftfeld zu präzisieren, es handelt sich um eine Entscheidung, die wir nicht nur mit dem Verstand als Politiker, sondern die wir auch vor unserm Gewissen und vor unserer Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk zu rechtfertigen haben.
Eine solche Entscheidung darf nicht aus der Emotionalität des Augenblicks getroffen werden; sie ist es wohl wert, daß wir uns auch mit den Einwänden, die einem Ja entgegenstehen, auseinanderzusetzen versuchen.
Es ist von vielen Seiten nicht nur aus dem Inland — auch ausländische Stimmen haben dieses Argument aufgenommen— darauf hingewiesen worden, daß die politische und wirtschaftliche Lage des Deutschlands der Nachkriegszeit seine Neutralität erheische. Dabei wird uns dieser Begriff der Neutralität in den verschiedensten Farben geschildert. Die meisten, die davon sprechen, verbinden damit eine eigene Vorstellung, angefangen von der bewaffneten Neutralität bis zur Neutralität der Selbstaufgabe. Gerade diesem Einwand gegenüber sollten wir uns darüber klar sein, daß wir in einer welthistorischen Auseinandersetzung stehen, bei der es eine Neutralität nicht geben kann.
Wir können nicht neutral bleiben, wenn die Fragestellung lautet: Totalitarismus oder Demokratie;
wenn die Fragestellung lautet: Freiheit oder Terror; wenn die Fragestellung lautet: Erhaltung und Sicherung der Würde des Menschen oder Vermassung und brutaler Zwang!
Meine Damen und Herren! Wir sind nach Bonn gekommen und haben es uns zur Aufgabe gemacht, den neuen Staat nach dem Grundgesetz zu errichten, nicht nur das Grundgesetz zu achten, sondern es zu verwirklichen und zu schützen.
In Art. 1 dieses Grundgesetzes haben wir anerkannt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist und daß es die oberste Pflicht aller staatlichen Gewalt sein muß, sie zu achten und zu schützen. Darum haben wir uns zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlagen der Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekannt. Dieses Bekenntnis verpflichtet uns auch, zu handeln. Wir haben diese unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte anerkannt, weil sie vorstaatlichen Charakter haben. Der Staat hat sie nicht zu verleihen; sondern der Staat hat sie zu schützen. Um so weniger hat irgendein Staat unter irgendeinem Vorwand das Recht, sie uns zu nehmen.
Wenn wir wirklich glaubten, daß wir in dieser Entscheidung, in dieser Auseinandersetzung noch frei wären, dann würden wir — und das fürchte ich — nicht nur gegen das gesetzte Recht des Grundgesetzes verstoßen, sondern wir würden auch gegen
den Geist dieses Grundgesetzes verstoßen und uns damit schuldig machen. Es gibt meiner Überzeugung nach in dieser Situation des deutschen Volkes auch kein Ausweichen. Wir haben dem deutschen Volk gegenüber die Verantwortung übernommen und wir müssen den Mut haben, auch zu dieser Verantwortung zu stehen.
Wenn wir einer Entscheidung ausweichen, dann mögen die Gründe dafür noch so gut durchdacht und vorgebracht sein, — diejenigen, die sich die Unterdrückung der Freiheit zum Ziel gesetzt haben, werden darin den Ausdruck der Schwäche sehen,
und wir werden in der Vorstellung unseres eigenen Volkes einen leeren Raum schaffen. Wie können wir erwarten, daß das deutsche Volk an die Grundsätze dieser Verfassung der neuen Demokratie denkt und bereit und entschlossen ist, sie nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen und zu verteidigen, wenn wir selbst das Beispiel der Unentschlossenheit geben? Ich fürchte, daß wir dadurch allzu leicht einen luftleeren, einen nicht mit Lebensenergie gefüllten Raum schaffen und damit den starken Kräften, deren potentielle Energie wir nicht unterschätzen dürfen, den Anreiz geben, in diesen leeren Raum vorzustoßen.
In den westlichen Demokratien, denen wir uns verwandt fühlen, weil sie sich ebenso wie wir dazu verpflichtet haben, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Mensch in ihnen ohne Furcht und Not leben kann, in diesen westlichen Demokratien und auch hier bei uns von einer kleinen Gruppe einmal abgesehen, mit der ich mich nicht auseinandersetzen möchte — denkt niemand daran, irgendwann und unter irgendwelchen Voraussetzungen mit den Feinden der Freiheit zu koalieren.
Aber gerade weil wir wissen, daß eine solche Entscheidung außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt, sollten wir auch den Mut zur Verantwortung in der heutigen Entscheidung aufbringen.
Wir haben in der jüngsten Diskussion auch häufig den Hinweis auf den deutschen Osten gehört. Als wir in Bonn das Grundgesetz beraten haben, haben wir in der Präambel zum Ausdruck gebracht, daß wir auch für jene Deutschen gehandelt haben, denen mitzuwirken versagt war. Genau das gleiche gilt für die Entscheidung, vor der wir heute stehen,
Wir sprechen nicht von Westeuropa, sondern wir sprechen von Europa.
Darum werden die deutschen Vertreter, die nach Straßburg gehen, auch nicht etwa ihre Aufgabe darin sehen, die Bundesrepublik oder die Bevölkerund der Bundesrepublik dort zu vertreten, sondern sie werden sich zu Sprechern des ganzen Deutschland machen.
Sie werden sich insbesondere — hier möchte ich aufnehmen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat — verpflichtet und berechtigt fühlen, sich in Straßburg auch zum Sprecher der Stadt Berlin zu machen. Die augenblicksbedingten staatsrechtlichen Konstruktionen sind uns bei solchen politischen Entscheidungen gleichgültig.
Wir sind es den Deutschen in der Ostzone schuldig, daß wir ihre Anliegen dort vertreten, wo wir sie in Freiheit aussprechen dürfen,
wir sind es aber um so mehr der Stadt Berlin schuldig.
Vor kurzem las ich in dem Bericht über die erste Sitzung des Europarats eine Fragestellung des französischen Kammerpräsidenten Herriot, der damals das Deutschlandproblem angeschnitten und unter Hinweis auf die zurückliegenden Jahre gesagt hat: „Es liegt daher an Deutschland selbst, auf eine Frage zu antworten, die für uns ein sittliches und ein politisches Problem aufwirft." Meine Damen und Herren, daß diese konkrete Frage nun an uns gestellt worden ist und wir darauf antworten können, verdanken wir nicht zuletzt dem heldenhaften Freiheitskampf der Berliner Bevölkerung, die der Welt die Überzeugung vermittelt hat, daß es in Deutschland Demokraten gibt, die für die Erhaltung und Verteidigung ihrer Freiheit auch Opfer zu bringen bereit sind.
Vielleicht wird der Hinweis auf das Schicksal des deutschen Ostens demnächst wiederholt werden. Ich halte es — um eine mögliche Entwicklung vorwegzunehmen — für durchaus denkbar, daß man von Sowjetrußland aus die Entscheidung, vor der wir heute stehen, zwar nicht zum Anlaß, aber zum Vorwand nehmen wird, um die deutsche Ostzone noch mehr, als es bisher geschehen ist, aus dem Verband des deutschen Volkes zu lösen. Ich sage, man kann dies zum Vorwand, aber nicht zum Anlaß nehmen. Falls wir uns heute für den Eintritt in den Europarat entscheiden, sollte dann jemand ernstlich annehmen können, daß eine solche Entscheidung aggressiven Charakter haben kann? Unstreitig ist, daß jede Entscheidung, die wir treffen, wenn wir uns für die Freiheit aussprechen, polemischen Charakter gegen die Feinde der Freiheit trägt und tragen muß. Aber eine Zusammenarbeit der europäischen Völker zum Zweck der Erhaltung des europäischen Friedens kann nur von einem Narren oder von einem Böswilligen als Zeichen der Angriffslust betrachtet werden.
Meine Damen und Herren! Auch die Saarfrage, die der Herr Bundeskanzler schon angeschnitten hat, hat naturgemäß in der Diskussion eine Rolle gespielt. Auch über dieses Problem müssen wir ernst und nüchtern sprechen, ein Problem, das uns ja bereits vor einigen Monaten hier in Bonn im Bundestag beschäftigt hat. Ich habe bereits bei der Debatte, die im Anschluß an den Abschluß der Saar-Konventionen vom 3. März geführt wurde, zum Ausdruck gebracht, daß die einseitige Lösung eines politischen, wirtschaftlichen und territorialen Problems durch die Saar-Konventionen — ich betone: die einseitige Lösung, denn der zweite Kontrahent, der eine solche Lösung hätte treffen können, konnten und durften nur das deutsche Volk und die deutsche Regierung sein —
eine Sünde am Geist der europäischen Verständigung war.
Auch die Begleiterscheinungen, die dieser Entscheidung vorausgegangen. und nachgefolgt sind,
können mich nur veranlassen, diese Feststellung hier zu wiederholen.
Ich denke beispielsweise an die Entscheidungen, die im Jahre 1947 getroffen worden sind, als man willkürlich und ebenso einseitig dem Saargebiet noch 29 Gemeinden angegliedert hat, die nicht einmal wirtschaftlich und politisch mit dem Saargebiet in unmittelbarem Zusammenhang standen.
Ich denke ebenso auch an einseitige Grenzkorrekturen an anderer Stelle.
Was die Saarfrage angeht, so sollte sie uns aber nicht hindern, trotzdem nach Straßburg zu gehen; denn einmal haben wir die ausdrückliche und feierliche Erklärung der Alliierten, daß die endgültige Entscheidung über die Saar erst im Friedensvertrag getroffen werden wird.
Wenn wir nach Straßburg gehen und in Europa mitarbeiten wollen, dann wollen wir es ja tun, um solche — lassen Sie mich sagen — voreuropäischen Lösungen wie die Lösung der Saarfrage zu verhindern und, soweit sie bereits erfolgt sind, für eine Revision in friedlicher, freundschaftlicher und ehrlicher Arbeit zu sorgen.
Ein weiterer Einwand ist der, daß der Deutschen Bundesrepublik in Straßburg die Gleichberechtigung verweigert wird. Auch dieser Einwand ist sicherlich bedeutungsvoll und schwerwiegend. Man sagt uns, daß wir mit unserem Beitritt zum Europarat in Straßburg eine Vorleistung erbrächten, die nicht genügend honoriert werde. Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir doch gut daran täten, uns bei solcher Betrachtung auch des Jahres 1945 zu erinnern. Damit gebe ich kein Argument für die Verweigerung der Gleichberechtigung. Aber ich versuche, den mir richtig erscheinenden Weg aufzuzeigen, der mir darin zu liegen scheint, nicht Bedingungen für die Mitarbeit zu stellen, sondern sich in der Mitarbeit die Anerkennung der Gleichberechtigung zu erwerben.
Ich habe keinen Zweifel, daß wir auf diesem Wege der Mitarbeit die Gleichberechtigung eher und besser erreichen werden, als wenn wir sie durch Fernbleiben zu ertrotzen versuchen.
Wir hören auch, daß der Europarat bisher keine fruchtbare Arbeit geleistet habe; es wird manchmal auch gesagt, er habe seinen Höhepunkt schon überschritten und es sei von seinen Arbeiten keine wertvolle, befruchtende Anregung des europäischen Denkens und Handelns mehr zu erwarten. Die Kritik kommt nicht nur aus deutschem Munde, und sie scheint mir auch weitgehend berechtigt. Aber gerade weil wir von einer europäischen Zusammenarbeit in Straßburg mehr erhoffen, als sie bisher ohne uns gebracht hat, scheint es mir doch gut, auch hier einmal die Ergebnisse in wenigen Worten zu erwähnen.
Unter den Vorschlägen, die der Versammlung in Straßburg als Ergebnis der bisherigen Arbeit vorliegen, befinden sich die Konvention über die Menschenrechte, die Errichtung eines europäischen Gerichtshofes, die Verwirklichung einer europäischen
1 Zahlungsunion, die Errichtung einer europäischen Bank, die Konvention über die Kontrolle der europäischen Kartelle, die Konvention zur Einführung eines europäischen Passes, zur Vereinheitlichung der Posttarife und zur Regelung des Patentwesens. Dazu kommt eine Reihe von Anregungen, die zur Diskussion gestellt sind, darunter auch ein europäisches Grundgesetz für die soziale Sicherung, die Errichtung einer europäischen Kohle- und Stahlbehörde, eine Koordinierung der Investitionspolitik in den europäischen Grundstoffindustrien.
Man mag mir antworten, daß alle diese Vorschläge sich noch im Vorfeld der eigentlichen politischen Entscheidungen bewegen. Aber auch hier gilt es meines Erachtens, daß man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun kann, und wir sollten entschlossen sein, den starken dynamischen Kräften, die in der Straßburger Versammlung schon sichtbar geworden sind, die Unterstützung unseres deutschen Willens zuteil werden zu lassen.
Wir sollten glauben, daß die Dynamik dieser Kräfte in einer heute schon sichtbaren eigengesetzlichen Entwicklung stark genug sein wird, um die statischen Kräfte, wie sie sich im Ministerrat als dem Ausdruck noch vorhandener nationalstaatlicher Gegebenheiten ausdrücken, zu überwinden. Wir sollten bereit und entschlossen sein, unseren Beitrag dazu zu leisten. Wir sollten natürlich auch ohne falsche Illusionen und ohne falsche Utopien nach Straßburg gehen.
Erlauben Sie mir, daß ich in einem anderen Zusammenhang den gleichen zitiere, den der Herr Bundeskanzler zitiert hat, nämlich den Präsidenten der Konsultativ-Versammlung, Paul Henri Spaak, der am 28. Januar 1950 sagte:
Jede praktische Aktion ist mehr wert als alle
Träume der Welt. Man muß konkrete Maßnahmen treffen, selbst wenn sich diese in engen Grenzen halten. Wir dürfen nicht länger sagen: „Ich bin für die Organisation Europas", oder:
„Ich wünsche die Vereinigten Staaten von
Europa". Wir müssen handeln!
Ich glaube, daß wir hier jedes Wort unterschreiben können und daß wir uns auch sagen sollten, daß nach einem guten und bewährten französischen Sprichwort die Abwesenden immer unrecht haben.
Es gibt auch solche, die uns sagen, daß diese Entscheidung ja keine Eile habe, daß wir warten könnten, bis die Mitarbeit Deutschlands unter besseren Bedingungen und Vorzeichen möglich wäre. Meine Damen und Herren! Ich warne vor einer solchen Vorstellung, als ob die Zeit für die europäische Zusammenarbeit, als ob die Zeit für die Erhaltung der westlichen Demokratien und der demokratischen Freiheiten arbeite. Ich bin um so weniger der Auffassung, daß wir Zeit haben, als wir — und da stimme ich den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu — mit einem „Nein" zu Straßburg auch ein „Nein" zum Schuman-Plan sagen würden. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, daß ein „Nein" zu der Regierungsvorlage zwangsläufig auch eine Negation dieses Plans der französischen Regierung bedeuten würde; und gerade dieser SchumanPlan scheint mir den Weg zur Lösung des wohl brennendsten europäischen Problems zu zeigen, nämlich der deutsch-französischen Frage. Europa soll nicht von Deutschland und Frankreich gestaltet werden. Europa kann aber nur entstehen, wenn die historische Feindschaft, die diese Völker seit Jahrhunderten getrennt und die über diesen europäischen Kontinent schon so viel Unglück gebracht hat, durch
eine ehrliche und vertrauensvolle Freundschaft abgelöst wird. Wir glauben, daß gerade der Schuman-Plan hier ein geeignetes Instrument ist; denn die Verwirklichung des Schuman-Plans schließt wohl auch für einen phantasiebegabten Menschen die Möglichkeit einer nochmaligen kriegerischen Verwicklung dieser beiden Staaten für alle Zeiten aus.
Ich sagte, Deutschland und Frankreich sollen und werden Europa nicht allein gestalten. Ich kann auch hier nur den Wunsch des HerrnKanzlers aufnehmen, daß der Mitarbeit in Europa ebensowenig wie der Mitarbeit an der Verwirklichung des Schuman-Plans sich irgendeine europäische Macht — am wenigsten England — entziehen möge, wenn wir auch naturgemäß wissen, daß bei der besonderen staatsrechtlichen Struktur Englands mit seinen starken Verflechtungen und Verpflichtungen im Rahmen seines Commonwealth die Entscheidungen für dieses Land schwerer zu treffen sind als für andere europäische Länder.
Meine Damen und Herren! Wenn wir heute vor dieser Entscheidung stehen, dann sollten wir allerdings auch aufmerksam auf die hören, die uns hierhergeschickt haben. Ich glaube, sagen zu können, daß die Vorstellung einer europäischen Verständigung, daß der Gedanke an die Schaffung eines vereinten Europas zu den Ideen gehört, die am stärksten in unserem deutschen Volk und ganz besonders in der deutschen Jugend Widerhall gefunden haben.
Vielleicht wird mir Herr Kollege Schmid gestatten, daß ich aus seiner Rede, die er bei der konstituierenden Sitzung des deutschen Rates der Europabewegung am 13. September 1949 in Wiesbaden gehalten hat, einen kurzen Satz zitiere. Herr Kollege Schmid sagte:
Ich möchte schließen mit den Worten, die ich vor einiger Zeit in einem Kreis junger Leute hörte: Wenn die Alten über das notwendige Maß an Bedachtsamkeit hinaus zögern sollten, dann werden wir Jungen ihnen das Steuer aus der Hand nehmen; denn das Schiff unserer Zukunft
kommt nur mit einem Kurs zum guten Hafen: mit dem Kurs auf Europa!
Herr Kollege Schmid hat damals — ich unterstreiche, was er sagte — hinzugefügt: „Die Jugend dieses Kontinents wird diesen Kurs steuern!".
Wir sind entschlossen, auf diese Stimmen zu hören, die ich immer wieder höre, gleichgültig vor welchem Kreis ich spreche, auf diese Stimmen der jungen Generation, die nun einmal glaubt, daß dieser schreckliche Krieg mit einem echten europäischen Frieden allein seinen konstruktiven Abschluß finden muß. Wir wollen auf diese Jugend hören, die nach unabänderlichen biologischen Gesetzen uns hier ablösen wird und die uns dann vielleicht den Vorwurf machen würde, in einem historischen Augenblick versagt zu haben.
Darum, meine Damen und Herren — ich spreche das im Namen der Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union ebenso wie im Namen der Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei aus —, haben wir uns entschlossen, die Vorlage des Kabinetts anzunehmen. Ich glaube, daß wir damit das tun, was uns unsere Pflicht, unsere Gewissenspflicht als verantwortliche Abgeordnete vorschreibt. Wir
wollen nicht sagen: wir gehen nach Europa, sondern wir sollten sagen: wir bleiben in Europa, wo wir immer waren und wo wir bleiben wollen!
Wir wollen für diesen europäischen Kontinent, der ernstlich gefährdet ist, für diesen Kontinent, an dessen Wiege Humanismus und Christentum Pate gestanden haben, eintreten, und wir wollen ihn zu stärken versuchen, diesen Kontinent, zu dem nicht nur das Straßburger Münster, zu dem auch die Universität Königsberg gehört,
an der Kant seine Schrift „Vom ewigen Frieden" geschrieben hat, für den Kontinent und das Deutschland, zu dem nicht nur Köln, Frankfurt und München gehören, sondern ebenso die Bachstadt Leipzig, Danzig und Breslau.
Wir sind überzeugt, meine Damen und Herren, daß das richtig ist, was auch auf der ersten europäischen Konferenz im Haag von einem englischen Politiker gesagt wurde: „L'Europe ou la mort"; Europa wird sich zusammenschließen, oder es wird untergehen.
In einem Zeitalter, in dem ein Flugzeug von Rom nach London in zwei Stunden fliegt und dabei die Grenzen von acht oder neun Vaterländern übermißt, müssen wir Ernst zu machen versuchen mit dem Abbau von politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Vorstellungen, die der Vergangenheit angehören.
Deutschland gehört zu diesem Europa als integraler Bestandteil, und Europa ist ein integraler Teil nicht nur des deutschen politischen, sondern auch des deutschen geistigen Lebens. Seit Jahrhunderten haben sich die besten Menschen in Europa bemüht, den Weg zu einer Verständigung zu finden. Heute haben wir einmal die greifbare Möglichkeit hierzu. Wir sind gefragt worden, ob wir den Weg gehen wollen. Darauf gibt es, auch wenn man alle Bedenken ernst nimmt und nachdenklich überlegt, ob nicht vielleicht doch ein Gesichtspunkt gegen den Beitritt sprechen könnte, nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung meiner Freunde nur eine Antwort: den Mut zur Verantwortung, den Mut, eine Gewissensentscheidung zu fällen, bei der wir bereit und entschlossen sind, sie zu jeder Zeit vor unserem gesamten deutschen Volke zu vertreten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.
Meine Damen und Herren! Die Debatte am 10. März dieses Jahres hat in der Hauptfrage keine Einigung zwischen den Beteiligten gebracht. Sie erweckte aber die Hoffnung, daß durch die Besserung der Atmosphäre gewisse Annäherungen erfolgt sind, die für gemeinsame Ziele aller Deutschen wenn auch nicht gemeinsame Wege, so doch die Respektierung der Verschiedenheit der Wege mit sich bringen werden. Es ist uns danach von seiten des verantwortlichen Leiters der deutschen Politik erklärt worden, man wolle keine Politik machen ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Ausschuß und mit der Opposition. Nun stelle ich fest, daß seit dem 6. April keine Aussprache zwischen dem Herrn Bundeskanzler und
einem Verantwortlichen der Opposition stattgefunden hat.
Als der Herr Bundeskanzler am 16. Mai das Kabinett bewog, dem vorbehaltlosen Beitritt Deutschlands zum Europäischen Rat beizustimmen, hat er mich am 15. Mai informiert.
Zur gleichen Zeit war die gesamte deutsche Öffentlichkeit durch eine Rede des Herrn Bundeskanzlers auf einer Zonentagung der CDU in der britischen Zone bereits unterrichtet. Es ist vielleicht charakteristisch für den fehlenden Willen zur reibungslosen Gemeinsamkeit dort, wo sie möglich ist, daß diese Bekanntmachung des Herrn Bundeskanzlers mit einem Angriff gegen die Sozialdemokraten in den Länderregierungen gekoppelt wurde, die an der Verzögerung des sozialen Wohnungsbaus schuld sein sollten, eine Behauptung, die dem Herrn Bundeskanzler bereits einige sehr nachdrückliche Rügen durch die Länderminister und Länderregierungen eingetragen hat.
Der Herr Bundeskanzler hat es bis heute — ich betone: bis heute — noch nicht für notwendig gehalten, uns über den Inhalt der Saarnote zu unterrichten.
Das ist, glaube ich, ein Novum in der Geschichte der
parlamentarischen Demokratie, und wir möchten
doch feststellen: gerade in Dingen der Außenpolitik
haben wir allen Grund, zu beachten, daß der Staat
nicht identisch ist mit der Regierung und die Regierung nicht identisch ist mit dem Bundeskanzler.
Das Bemühen der Regierung sollte immer dahin gehen, das Gemeinsame in der Außenpolitik auch da zu erstreben, wo man verschiedene Standpunkte hat. Aber dazu sind Abstimmung und Zusammenarbeit, ist mindestens offene und vorbehaltlose Information nötig, besonders dann, wenn man sie ausdrücklich versprochen hat.
Ich entnehme dieser Haltung der maßgeblichen Herren der Bundesregierung, daß sie sich entweder nicht um einen gemeinsamen Boden bemühen wollen oder nicht dazu imstande sind. Ich entnehme aus dieser Haltung auch einen bedenklichen Mangel an Verständnis 'für den demokratischen Parlamentarismus.
Man soll nie übersehen: an der Regierung sein heißt nicht nur, die Chance haben, etwas für seine Anschauung herauszuholen. An der Regierung sein heißt auch, die Verpflichtung haben, wenigstens zu versuchen, das Ganze zu koordinieren.
Für uns ist diese Entwicklung besonders bedenklich, weil die Kette der Vorgänge eine genaue Wiederholung der Ereignisse vom November 1949 ist. Auch damals hat man geglaubt, diese Methode entschuldigen und erklären zu können, indem man einen reichlich unbegründeten Optimismus gepredigt hat. Ich möchte fragen: was ist geblieben vom Optimismus der Tage des Petersberger Abkommens?
Ich füge hinzu: eines Abkommens, dessen Rechtsgültigkeit die Sozialdemokratie nicht anerkennt,
weil es verfassungswidrig zustande gekommen ist.
Was der Herr Bundeskanzler heute in längeren Ausführungen vorgetragen hat, ist eine Reihe von technischen Maßnahmen und abkommenähnlichen Dingen.
Er hat vergessen, neben dieser positiven Liste die negative vorzutragen. Sie würde alle politischen Dinge umfassen.
Wenn der Herr Bundeskanzler von Erleichterungen aller Art einschließlich der Demontagen spricht, dann möchte ich darauf hinweisen, daß auch Erschwerungen aller Art, einschließlich der Demontagen, heute noch lebendig sind.
Übrigens sollte man nicht übersehen, daß jede Form der Erleichterung heute ja nicht einer bestimmten Regierung gewährt wird, daß jede Form der Erleichterung nicht als Begünstigung der einen oder anderen politischen Linie gemeint ist, sondern daß jede Form der Erleichterung von den westlichen Alliierten zwangsläufig gewährt wurde, um die deutsche Bundesrepublik überhaupt lebensfähig und konkurrenzfähig gegenüber dem östlichen Satellitensystem zu machen.
Meine Damen und Herren, die Zukunftsmusik des Petersberger Abkommens ist verrauscht, und in der Zwischenzeit hat man sich auf seiten der Bundesregierung um eine Reihe von diplomatischen Prestigeerfolgen bemüht, die sämtlich vereitelt wurden, obschon doch gerade von seiten der Westalliierten eine gewisse psychologische Erleichterung I für die Politik der Regierung hätte gegeben werden müssen. Es gibt keine juristische Konzession der Alliierten auf einem politischen Gebiet. Sie haben alle ihre Positionen nach wie vor voll besetzt gehalten.
Jetzt, meine Damen und Herren, sollen wir also
nach Straßburg gehen unter den Bedingungen der jetzigen Behandlung der Saarfrage, ohne die Gleichberechtigung, als ein Land des Besatzungsstatuts und der Hohen Kommissare und als ein Land, mit dem maßgebende Mitglieder des Europäischen Rates sich heute noch im Kriegszustand befinden, die es in London ausdrücklich abgelehnt haben, diesen Zustand zu beenden. Ich meine, etwas, worauf wir als ein politisches Nahziel alle zusammen unsere Kräfte konzentrieren sollten, wäre die Änderung des Besatzungsstatuts, gerade in dem Sinne. daß nicht durch seine Hilfe auch hier im Westen Zustände geschaffen werden, die rechtlich nur durch einen Friedensvertrag geregelt werden sollten.
Als Ergebnis der Debatte vom 10. März möchte ich doch eine Reihe von Wünschen nach Handlungen und Klärungen feststellen, die nach unserem Ermessen nicht erfüllt worden oder nicht erfolgt sind. Man hat die Saarnote verspätet abgesandt und man hat sie diesem Haus nicht bekanntgegeben.
Es ist keine Verwahrung dagegen eingelegt worden, daß das Saargebiet nicht die Erfordernisse des Art. 3 des Statuts des Europäischen Rates erfüllt und daß das Saargebiet als ein Polizeistaat dem Europäischen Rat in Straßburg als einem Gremium demokratischer Staaten nicht angehören kann.
Man hat damit die Alliierten auch der Beantwortung der Frage enthoben, inwieweit sie ihre eigenen Prinzipien überhaupt ernst nehmen.
Es ist von deutscher Seite keine Klärung der Eventualitäten und der Möglichkeiten eines Volksentscheides vorgenommen worden. Aber ich glaube, man kann doch das Saarproblem nicht in der Weise ignorieren, daß man an dieser Kardinalfrage vorübergeht, vor allen Dingen, weil in der Zwischenzeit eine weitergehende energische Französisierung der Saarbevölkerung eintritt. Ich möchte fragen: Was hat das Bundeskabinett getan, um diesen Prozeß aufzuhalten, der bei einer eventuell später einmal kommenden Volkabstimmung für uns sehr peinlich werden könnte?
Frankreich hat übrigens auch bis heute die Saarkonventionen nicht ratifiziert. Jetzt plötzlich taucht im Ausland die Nachricht auf, daß noch in diesem Monat die Konventionen ratifiziert werden sollen. Aber, verehrte Herren und Damen, wenn sie ratifiziert werden, nachdem Deutschland in den Europäischen Rat eingetreten ist, dann sind wir wieder einmal auf einem Gebiet überspielt worden.
Es ist auch sehr interessant, daß in keiner deutschen Zeitung eine Rede zu lesen war, die der für die deutsch-französischen Beziehungen nicht günstig wirkende Hohe Kommissar Grandval kürzlich, am 2. Juni, glaube ich, in Völklingen gehalten hat. Da erklärte er, die Beachtung und Respektierung der Saarkonventionen sei selbstverständliche Voraussetzung für den Schuman-Plan. Er betonte, daß er das im Namen seiner Regierung und höchster internationaler Instanzen erkläre.
Das scheint mir doch ein reichlich starker Tobak von Politik zu sein, die hinter unserem Rücken gemacht wird, ohne daß — ich muß es befürchten — die Bundesregierung auf dem Posten gewesen ist.
Wenn wir weiter den Charakter der Mitgliedschaft des Saargebiets prüfen, dann finden wir, daß diese Mitgliedschaft im Europäischen Rat angeblich unerläßlich und eine große nationale Prestigefrage unseres französischen Nachbarvolkes ist. Aber dasselbe Saargebiet ist in der Kommission, die den Schuman-Plan beraten soll, nur Mitglied der französischen Kommission.
Ich vermisse in der deutschen Diskussion, die bei einem Teil der Presse übrigens mit einem hohen Maß von Leichtfertigkeit und Ignoranz geführt worden ist,
auch von seiten der Regierung den Hinweis darauf, daß die Alliierten, die unseren Eintritt in den Euro-, päischen Rat mit moralischen Argumenten begründen, diese Forderung gegenüber Österreich nicht erhoben haben.
Nun gönnen wir das den Österreichern von ganzem Herzen. Wir möchten, daß jedes europäische Land das denkbare Optimum für seine Position erreicht. Aber man soll uns doch mit einer Moral in Ruhe lassen, bei der die Quantität der Länder die Qualität der Moral verändern kann.
Leider ist hier noch immer eine Hoffnung auf den Friedensvertrag, der ja nach dem Wortlaut der Versprechungen die Saarfrage erst endgültig regeln soll, laut geworden. Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie davor warnen; denn es gibt eine ganze Anzahl von Kriegs- und Nachkriegsabmachungen der Alliierten untereinander, die den Abschluß von Friedensverträgen einzelner alliierter Mächte mit ganz Deutschland oder Teilen Deutschlands ausdrücklich untersagen. Und wenn uns jetzt bei jeder Gelegenheit von maßgebenden Männern der alliierten Politik erklärt wird, daß erst der Friedensvertrag das Schicksal des Saargebiets regele — nun, in London, auf das der Herr Bundeskanzler Bezug genommen hat, ist ausdrücklich erklärt worden, daß Sowjetrußlands wegen ein Friedensvertrag mit Deutschland vorläufig leider nicht in Frage kommen könne.
Nun frage ich: wie redet man eigentlich mit diesem Volk? Man verspricht ihm die Lösung der Probleme durch den Friedensvertrag und erklärt kurz darauf, daß dieser Friedensvertrag leider nicht möglich sei. Nein, meine Damen und Herren, der Friedensvertrag, der einmal kommen wird, ist doch kein plötzlicher revolutionärer Akt der Rechtsschöpfung zugunsten der Deutschen, sondern er ist das Ergebnis der Mosaikzusammensetzung der vollendeten Tatsachen, gegen die die Deutschen an den entscheidenden Punkten nicht rechtzeitig und nachdrücklich genug Front gemacht haben.
Hier gibt es Ungeklärtheiten. Die Fülle der Ungeklärtheiten, die ich soeben kurz anstieß, enthält in jedem einzelnen Punkte Gefahren der Benachteiligung für die gegenwärtige und kommende Politik. Es wäre darum durchaus angebracht — und es hindert uns nur die Erhitzung der politischen Atmosphäre und die Besorgnnis, uns verdächtig zu machen, mit kleinen Mitteln einer großen Entscheidung ausweichen zu wollen den Antrag zu stellen, der in der Sache an sich nötig wäre, nämlich; die Entscheidung über den Beitritt in den Europäischen Rat so lange zurückzustellen, bis die von mir erwähnten Fragegruppen auch tatsächlich geklärt sind.
Nun begeht man in der Diskussion den entscheidenden Denkfehler, eine angeblich kleine Saarfrage einer angeblich großen und entscheidenden Europafrage gegenüberstellen zu wollen. Aber das Problem der Saar ist ja nicht in erster Linie der Saarkomplex. Das Problem der Saar ist doch die Frage nach dem. Prinzip, nach dem Europa errichtet werden soll; und man kann bei der Verschiedenheit aller tatsächlichen Voraussetzungen ein Prinzip im Westen nicht anders behandeln als im Osten. Tatsächlich ist auch im Ausland oder im Inland kein Argument vorgebracht worden, das unsere Besorgnisse bezüglich der Rückwirkung auf die Oder-Neiße-Linie hätte erschüttern können. Ich zweifle nicht an dem guten Willen der hier versammelten Damen und Herren, mit aller Kraft gegen die Oder-Neiße-Linie einzutreten. Aber ich zweifle, ob sie übersehen, daß der Gegner aus unserem schuldhaften Tun oder Unterlassen Argumente herleiten kann. Die Oder-Neiße-Linie ist ja nicht nur das Problem der deutschen Grenzen, die Oder-Neiße-Linie ist auch das Problem des Rückkehr- und Heimatrechts der Ostvertriebenen, zu dem wir uns bekennen müssen.
Nun ist der Herr Bundeskanzler leider den Weg gegangen, sich stark als Verbreiter meiner gesammelten Reden und Schriften zu engagieren.
Ich möchte nicht die Einzelheiten aufdecken, sondern werde bei dem Kardinalproblem darauf zurückkommen. Ich möchte aber sagen, als der Herr Bundeskanzler das Comisco nannte, habe ich mich ehrlich und aufrichtig gefreut. Herr Bundeskanzler, bei Comisco haben wir uns nicht mit der sogenannten SPS, der Sozialistischen Partei des Saargebiets, zusammengesetzt. Die Sozialisten des Saargebiets sind bei der Erörterung der Saarfrage vorgeladen worden; und mit einem gewissen Stolz kann ich sagen, das Ergebnis der Comisco-Sitzung vom 1. bis 3. Juni in Kopenhagen war eine Denkschrift, die ein so klares, eindeutiges Bekenntnis zur Berechtigung des deutschen Standpunkts in der Saarfrage enthält, daß wir das dem deutschen Volk nicht vorenthalten sollten.
Herr von Brentano mag mir verzeihen, wenn ich, durch die Bemerkung seines Kanzlers verlockt, darauf hinweise: wenn man schon von Zusammenkünften zwischen Parteien der Saar und deutschen Parteien sprechen will, dann möchte ich in aller Bescheidenheit an die Tage im schönen Sorrent in Italien erinnern, wo sich die christlich-demokratischen Parteien Europas getroffen haben und wo auch Herr von Brentano Gelegenheit gehabt hat, Herrn Johannes Hoffmann, den Ministerpräsidenten des Saargebiets, zu sehen und mit ihm in Fühlung zu kommen.
— Ich weiß wie das ist; aber das haben Sie nur Ihrem Kanzler zu verdanken.
Nun ist es sozialdemokratische Politik, ein poli- tisch und psychologisch starkes Europa zu schaffen, ein Europa, in dem jedes Volk sowohl seine europäische wie seine nationale Aufgabe in der Überwindung der totalitären und kommunistischen Gefahren sieht. Aber was jetzt in Straßburg zusammengezimmert wird, ist die Schaffung eines Europas, das schwächer ist, als es zu sein braucht, so schwach, daß es seine Funktion der Überwindung des Kommunismus nicht so gut und möglicherweise kaum erfüllen kann.
Das ist der Sinn unserer Politik: die Konzentration aller Einsichten und Kräfte auf ein gemeinsames, starkes Europa, aber nicht das Geschäftemachen mit dem europäischen Gedanken zugunsten von Nationalstaaten und Nationalwirtschaften.
— Wir kommen auch darauf. Beruhigen Sie sich doch nur! Mit dem antienglischen Komplex schaffen Sie Europa auch nicht.
Der Europäische Rat ist nur stark, wenn er kein Übereinkommen der Regierungen, sondern ein Pakt der Völker ist. Nur dann ist er auch das entscheidende Gewicht in der großen Waagschale des Friedens, das in keiner Gefahr als zu leicht befunden werden kann. Europa — und das ist unser kardinaler Vorwurf gegen den Europäischen Rat in Straßburg — darf keine Bestandteile antieuropäischer Politik haben.
Die stärkste Bedrohung des Friedens sowie der Freiheit und der Demokratie in Europa ist der man-
gelnde innere Ernst, mit dem man den eigenen Grundsätzen gegenübersteht.
Das mag man in London und in Paris und überall genau so hören wie hier in diesem Saal.
Die Zeitnot und die sachlichen Notwendigkeiten, die dahin drängen, sind doch Notwendigkeiten, die allen europäischen Ländern gemeinsam und nicht eine einseitige deutsche Belastung sind.
Wenn wir jetzt über die Frage des Eintritts diskutieren, dann warne ich davor, die europäische Idee praktisch zu einer propagandistischen Formel der Parteien zu machen.
Ich warne auch davor, unbesehen ausländische Kronzeugen zu zitieren. Kein Mensch wird es Herrn Spaak übelnehmen, wenn er als Präsident der Versammlung des Europäischen Rates für seine Institution wirbt. Aber alle Deutschen sollten doch eins darin sein, daß es keine gute Sache ist, wenn ein ausländischer Staatsmann zwei Tage vor Beginn einer großen Debatte und mitten in einem Wahlkampf in dieser Weise in eine interne deutsche Willensbildung eingreift.
— Ist das üblich? Werden Sie den Herrn Bundeskanzler auch nach Brüssel schicken, damit er in die Auseinandersetzungen über die belgische Königsfrage eingreift?
Meine Damen und Herren, es ist aber auch unvorsichtig deswegen, weil Herr Spaak ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß es bis zum Eintritt Deutschlands in den Ministerrat zwei Jahre dauern könne. Ich glaube, auf Leute, die diese Tendenzen oder diese Vorstellungen haben, sollte sich der Herr Bundeskanzler besser nicht berufen, abgesehen davon, daß Herr Spaak auch erklärt hat, der Mangel an Exekutivgewalt bringe den Europäischen Rat in die Gefahr, zu einer bloßen Akademie der Dispute zu werden.
Er hat auch nicht die Chance gezeigt, wie man dieser Gefahr begegnen und welche realen Voraussetzungen zur Überwindung dieser Gefahr vorhanden sein könnten.
Nun muß ich — ich glaube, das ergibt sich zwangsläufig — einige Gesichtspunkte herausstellen. Der eine betrifft die Häufung von opportunistischen Propagandaillusionen. Man diskutiert so, als ob Europa eine Frage der Gesinnungstüchtigkeit in der innerdeutschen Propaganda wäre. — Mit dieser Methode entläßt man ja die anderen europäischen Völker aus ihrer europäischen Verantwortung gegenüber unserem Kontinent.
Man tut so, als ob Europa als Idee und als realisierbares Ziel absolut identisch wäre mit dem Europäischen Rat, wie er sich heute unser aller Augen darbietet, einer Institution, die eine sehr vorübergehende und veränderliche Erscheinung ist.
Ich bedauere darum, wenn es in dem innerpolitischen Wahlkampf — im Lande Nordrhein-Westfalen zum Beispiel habe ich derartige Wahlplakate der CDU gesehen — jetzt so erscheint, als ob das
Bekenntnis zum Europäischen Rat das allein mögliche Bekenntnis zu Europa und der Wunsch, eine andere Konstellation erstehen zu lassen, eine Verneinung Europas wäre. Meine Damen und Herren, mit dieser Politik versuchen Sie, einen sehr ungewissen Tagesvorteil zu erreichen, aber bestimmt erreichen Sie damit eine Schwächung der europäischen Gesamtsituation!
Man spricht auch davon, allerdings mehr in der Flüsterpropaganda, daß jetzt die Alliierten wissen müßten, woran sie nun eigentlich mit den Deutschen sind. Ich glaube, die Leute, die nationalpolitisch und im Willen zur internationalen Versöhnung in den vergangenen fünf Jahren ihre Aufgabe erfüllt haben, haben nie eine Unklarheit darüber gelassen, daß Deutschland und sein Volk Bestandteile der Kultur und der gesellschaftlichen und demokratischen Auffassung des Westens sind. Ich weiß, daß gerade die Entschiedenheit dieser Stellungnahme uns in der jüngsten Vergangenheit noch die schwersten Vorwürfe wegen unserer „Einseitigkeit" eingebracht hat. Man sollte die Torheit unterlassen, in den Bünden, Verbänden und Kreisen so zu diskutieren, als ob der Unfug von der Neutralisierung ein Realpolitikum wäre und als ob die Deutschen die Möglichkeit einer Wahl hätten. Aber die Tatsache, daß wir die Möglichkeit einer Wahl nicht haben, sollte uns nicht gefügig machen, jedem Anspruch, der aus dem Westen an uns herangetragen wird, stattzugeben, nur weil er aus dem Westen kommt.
Sehen Sie, der Herr Bundeskanzler ist an einer Stelle — er mag es mir verzeihen, wenn ich es sehr akzentuiert ausspreche — entscheidend verunglückt. Er hat um unsere Zustimmung geworben und hat dabei drei Variationen gegeben. Erstens: Wir werden sehen, wer für den Europarat und damit für den Westen ist und wer gegen den Europarat und damit für den Osten ist.
Herr Bundeskanzler, mit dieser Formulierung zerschneiden Sie das Tischtuch endgültig!
— Einen Augenblick! Der Herr Bundeskanzler hat
sich dann korrigiert, nachdem er das gesagt hatte,
und hat erklärt: „Ich will nicht sagen, daß jeder, der gegen den Europarat ist, damit auch für den Osten ist". Auf neuerlichen Protest hat er sich dann noch einmal korrigiert und erklärt, er wolle nicht sagen, daß die Neinstimmen zum Europäischen Rat für den Osten seien, aber sie seien gegen den Westen.
Diese drei Lesarten hat der Herr Bundeskanzler
selbst vorgetragen; das Protokoll — das unkorrigierte Protokoll! — wird ja darüber Auskunft geben.
Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang auch wieder den eigentümlichen Geschmack gehabt, den Herrn Otto Strasser zu zitieren. Ich möchte sagen: der Herr Bundeskanzler übersieht, daß Herr Otto Strasser allmählich unter Duldung und Förderung sehr maßgeblicher politischer Freunde des Herrn Bundeskanzlers in anderen Ländern ein Bestandteil des Klerikalfaschismus geworden ist.
Der Herr Bundeskanzler hat sich auch dadurch nicht warnen lassen, daß seine Adjudanten ihm bei der außenpolitischen Auseinandersetzung im November vorigen Jahres eine Reihe von deutschnationalen Zitaten vorgelegt haben, die der Herr Bundeskanzler gegen uns abschießen zu können vermeinte. Wir haben damals — ich möchte sagen, aus einer gewissen Menschenfreundlichkeit heraus — über diesen Punkt weitere Ausführungen nicht gemacht. Denn wenn ich vor mich schaue, meine Damen und Herren, dann stelle ich fest, daß auch in der Partei des Herrn Bundeskanzlers eine ganze Anzahl von Herren sitzt, die damals Mitglied der Deutschnationalen Partei gewesen sind.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß es die Aufgabe des Herrn Bundeskanzlers sein sollte, gegen seine Parteifreunde dieser politischen Provenienz zu polemisieren. Gegen uns hat er jedenfalls mit diesen Zitaten nicht polemisiert.
Zur sachlichen Aufklärung über Konstruktion und Konsequenzen des Europarats möchte ich nun sagen, daß es bei den Diskussionen in diesem Lande und in diesem Hause gerade auch von seiten der Regierung an einer Menge von Aufklärung im Volke fehlt, in demselben Volke, das über Richtigkeit oder über Falschheit der einen oder anderen politischen Linie entscheiden soll! Es werden dem Europarat Dinge angeheimnißt und angehext, die er nach dem Willen seiner Gründer nicht hat und nach den realpolititischen Möglichkeiten der Veränderung auch in Zukunft nicht haben kann. Es fehlt eine ausreichende sachliche Unterrichtung darüber, daß die europäische Konzeption der Deutschen sehr viel enthusiastischer ist als die deutsche Konzeption der übrigen Europäer. Man geht zu sehr auf das Feld der konkurrierenden Bravheiten und der Gesinnungstüchtigkeit, und man argumentiert zu wenig mit dem, was tatsächlich ist und was gemacht werden kann.
In Straßburg mag sich sehr viel guter Wille konzentrieren; aber Straßburg ist für niemanden repräsentativ und Straßburg ist niemandem verantwortlich. Das, meine Damen und Herren, sollten Sie in diesem Zusammenhang doch auch erörtern, wenn Sie dieses Problem zu einer so großen Frage machen wollen. Ich glaube, niemand hat Straßburg jemals so scharf kritisiert wie der französische Ministerrat, als er — das wurde vom Herrn Bundeskanzler zitiert — am 9. Mai folgender Meinung Ausdruck gab:
Durch die Zusammenfassung der Grundproduktionen und die Errichtung einer neuen hohen Behörde schafft dieser Vorschlag die er st en festen Grundlagen zu einer für die Erhaltung des Friedens unerläßlichen europäischen Föderation.
Eine solche negative Wertung des Europarats, die in dieser Wertung des Schuman-Projekts liegt, hat sich nicht einmal die Sozialdemokratische Partei in Deutschland bisher zuschulden kommen lassen.
Nun hat man, meine Damen und Herren, hier — geistweise sagt man, glaube ich, im Schwedischen — von den Folgen des Eintritts und des Nichteintritts gesprochen. Ich meine, daß es ganz falsch ist, diesen Eintritt und Nichteintritt als Patentschlüssel zu einer Tür, die zu einer besseren oder zu einer verderblichen Zukunft führt, zu betrachten. Deutschland, auch wenn es nicht in den Europarat eintritt, bleibt nach dem Willen des deutschen Volkes ein unverzichtbarer Bestandteil des politischen Systems gegen den östlichen Totalitarismus und für die westliche Demokratie.
Im Falle des Nichteintritts können und wollen die Alliierten nicht auf die deutsche Kampfbastion verzichten. Und es ist falsch, die Deutschen jetzt in die Rolle eines bloßen Objekts hineindrängen zu lassen. Der deutsche Kampfeswille für die Demokratie, meine Damen und Herren, ist für die Demokratie der ganzen Welt unverzichtbar.
Wir stehen nicht in Gefahr, abgedrängt zu werden, und wir haben den Willen, uns nicht abdrängen zu lassen.
Unter den Gefahren, die die propagandistische Behandlung der Frage des Europarats, wie sie in den letzten Wochen — und Tagen ganz speziell — eingerissen ist, mit sich bringt, ist die größte Gefahr doch die Gefahr der Enttäuschung. Im Falle des Eintritts Deutschlands in den Europarat regeln sich weder geographische noch militärische Grenzen. Es wird keine Gleichberechtigung der Völker geschaffen und keine der Wirtschaftskrisen der europäischen Bevölkerung überwunden. Aber es gibt auch durch Straßburg keine Form der militärischen Sicherheit. Und wenn nun alles, was Menschen antreibt und bewegt, in keinem wichtigen Punkte auch nur annähernd gesichert ist, dann ist doch die notwendige Konsequenz: ein Rückschlag im europäischen Bewußtsein und im europäischen Willen, ein Rückschlag auf Grund von Enttäuschungen, die auch manches Mitglied dieses Hauses propagandistisch mitverschuldet hat.
Die klärende Aussprache wird erschwert durch die Verbindung dieser Aussprache mit der Erörterung des sogenannten Schuman-Plans. Es gibt ja gar keinen Schuman-Plan; es gibt nur einen Schuman-Vorschlag, einen Vorschlag zu Verhandlungen, und das, was der Plan ist, ist erst noch festzustellen. Man kann also den guten Willen begrüßen; man kann aber nicht, wie der Herr Bundeskanzler es tut, erklären, man werde den Plan durchführen. Denn man kann nicht etwas durchführen, von dem man noch gar nicht weiß, was es ist.
Nun haben die Franzosen der Weltöffentlichkeit, der gesamten deutschen Öffentlichkeit und, ich glaube, auch der Bundesregierung ausdrücklich erklärt, sie wünschten nicht die Verkoppelung der Erörterung des Eintritts in den Europarat mit dem Schuman-Plan.
Sie haben ausdrücklich erklärt, daß beide Dinge gar nichts miteinander zu tun haben. Nun aber kommt der maßgebende Mann, der Verhandlungskontrahent — der Herr Bundeskanzler — und erklärt, das eine sei die Voraussetzung für das andere. Wer hat nun recht? Die Franzosen oder der Bundeskanzler? Gesagt haben es beide; und vielleicht wird der Herr Bundeskanzler angesichts dieser Gegenüberstellung es nicht mehr als so - wie hat er gesagt? - „geschmacklos" oder „wenig poetisch" finden, wenn ich davon gesprochen habe, daß er seine Politik an dem starken Schwanze des französischen Gauls, nämlich des Schuman-Plans, über das Kampffeld ziehen lassen wolle. Ich behaupte ja auch nicht, daß mein Vergleich poetisch ist.
Ich weiß, daß mein Vergleich „haarig", aber richtig ist.
Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt eine Reihe von Erklärungen abgibt, so kann er diese Erklärungen nur in seinem Namen oder im Namen des Kabinetts, bestenfalls — ich weiß es nicht — im Namen der Regierungsparteien abgeben. Aber er kann diese Erklärung nicht für das deutsche Volk abgeben. Die Sozialdemokratie fühlt sich durch die Kundgebung des Herrn Bundeskanzlers in dieser Frage nicht gebunden und nicht einmal beeindruckt.
Wir müssen gleich von vornherein auch feststellen, daß die personelle Zusammensetzung nach dem, was wir bezüglich einiger Personen vor einigen Wochen aus der Presse der Partei des Herrn Bundeskanzlers entnommen haben, uns kein großes Vertrauen einflößt. Wir wissen auch nicht, was es mit dem Mann und den Männern auf sich hat, die einen deutschen Gegenvorschlag ausarbeiten sollen. Was wir auf dem Gebiet bisher gehört haben, zwingt uns dazu, auf das äußerste mißtrauisch zu sein; denn die Akteure aus den Interessentenkreisen sind ja schließlich Leute, die an der Schaffung der verderblichen Tatsachen in den letzten 40 Jahren deutscher und europäischer Geschichte einen maßgebenden Anteil gehabt haben.
Es wäre sehr wichtig, wenn der Herr Bundeskanzler bei diesem neuen Problem die Linie einmal einhalten würde — oft versprochen und immer wieder verlassen —, die Opposition zu informieren.
Ich stelle hiermit fest, daß der Bundeskanzler bis zum heutigen Tage kein einziges informatorisches Gespräch mit einem Vertreter der Opposition bzw. der sozialdemokratischen Oppositionspartei gehabt hat.
Ich glaube, bei einem Manne, der versuchen will, das Instrument der parlamentarischen Demokratie zu spielen, muß ein stärkeres Verständnis für Verteilung der Funktionen zwischen Regierung und Opposition vorhanden sein. Herr Bundeskanzler, die Welt hätte nicht sehr viel verloren, wenn Sie Ihren lehrhaften Vortrag über die Rolle der Opposition, wie Sie sie sich vorstellen, nicht gehalten. hätten.
Die Opposition ist jetzt nämlich am Zuge mit der Erklärung darüber, wie sie sich die Funktion der Regierung vorstellt.
Es ist gewiß erfreulich, wenn der Herr Bundeskanzler sich zu einer Linie des Westens bekennt, ich will hoffen, auch der westlichen Demokratie schlechthin,
ohne Einschränkung! Aber weil es der Herr Bundeskanzler gewesen ist, der die taktisch schwierige Aktion unternommen hat, sachlich notwendige und berechtigte Kritik mit einer Parteinahme für den Osten mindestens eventualissime gleichzusetzen, deswegen — und nur deswegen — fühle ich mich verpflichtet, hier ein Zitat aus der Zeit von Ende November 1948 vorzulesen, aus einer Zeit also, in der jeder Mensch in Deutschland die Klarheit der Fronten und die Endgültigkeit der Entscheidung bereits kennen mußte. Es ist ein Zitat aus einer Rede
vom 23. November 1948, wiedergegeben in der CDUZeitung „Der Tag" — Lizenzträger Jakob Kaiser — am 24. November 1948. Dort heißt es wörtlich:
Mir scheint es horrender Blödsinn zu sein, daß im Zeitalter der Atombombe zwischen Deutschland und Frankreich ein Krieg überhaupt möglich sei. Trotzdem fürchtet man in Frankreich noch immer eine Bedrohung durch ein wiedererstarktes Deutschland, das dann mit Rußland zusammengehen könnte. Mit wem das wiedererstarkte Deutschland zusammengehen wird, hängt ganz davon ab, wie das übrige Westeuropa Deutschland behandelt.
Das sollte man vor allem Frankreich, den Beneluxstaaten, aber auch England sagen.
— Der Redner hieß Konrad Adenauer und ist heute deutscher Bundeskanzler.
Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen: Wenn das — besonders zu dieser Zeit —
etwa ein Sozialdemokrat gesagt hätte, dann hätten wir ihn am nächsten Tag aus der Partei hinaus-
geworfen!
Bezüglich der Konstruktion des Europarats möchte ich vorweg eines sagen: Europa kann nicht auf der Grundlage vorwiegend geschäftlicher Interessen geschaffen werden. Es kann nicht geschaffen werden auf der Grundlage vorwiegend nationalgeschäftlicher, klassenmäßig- bzw. cliquenmäßiggeschäftlicher oder privatgeschäftlicher Interessen. Europa, meine Damen und Herren, ist etwas mehr als der Ausgleich der Stahlproduktion zugunsten der einen und der Ausgleich der Kohleproduktion eventuell zugunsten der anderen Seite. Europa ist wichtiger und wertvoller als der billige Ruhrkoks für die neue französische Stahlindustrie.
Europa wird, wenn unter diesen Gesichtspunkten zu diskutieren begonnen wird, doch dann die selbstverständliche Antwort der Selbstbehauptung anderer Stahlindustrien finden. Wir werden also vor lauter Kampf um die Stahlquote zu keiner Einigung der Völker, sondern bestenfalls zu einer widerwilligen Verteilung der Profite kommen.
Darum erklären wir: Wenn wir den Schuman-Plan — den wir im Grundsatz, gerade weil er französischer Initiative entspringt, begrüßen — fördern wollen, dann muß etwas mehr in Aktion treten als die Interessen und die Teile von Regierungen, die für die Interessen dieser Interessenten etwas zu viel Verständnis haben.
Wir möchten ausdrücklich sagen: Das wichtigste in der Organisation der neuen Hochbehörde im Schuman-Projekt ist doch die Verantwortlichkeit dieser Behörde. Aber dieser Diskussion geht man aus dem Wege. Nur einige ungeschickte deutsche Journaltölpel schreiben von den „freien Persönlichkeiten", die „niemand verantwortlich sein können", und meinen ganz naiv die Manager als diese „freien Persönlichkeiten." Wir haben im Dritten Reich gesehen, was das für „freie Persönlichkeiten" sind.
Ein Überstaat der Manager wäre unser Todfeind, weil wir in ihm das Ende der europäischen Demokratie und die objektive Begünstigung der Sowjets sehen.
Die Sozialdemokratie hat eine Reihe von Voraussetzungen präzisiert. Ich sprach von der Freiheit der Entscheidung unseres Volkes über das Eigentum an seiner großen Wirtschaft. Wir müssen aber auch die permanente Drohung der französischen Politik mit der einseitigen Internationalisierung deutschen Eigentums aus der Welt schaffen; sonst hat eine Verhandlung keinen Zweck. Wir müssen sehen, daß das Schuman-Projekt und das Bestehen des Ruhrstatutes und der Ruhrbehörde einander ausschließen und daß auf dieser Grundlage kein Gespräch möglich ist.
Wir müssen wissen, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, dieses Resteuropa noch einmal in zwei Teile zerschneiden zu helfen. Wenn wir lediglich die sechs Länder mit der verhältnismäßig hohen Arbeitslosigkeit und den niedrigen Reallöhnen zusammenfassen, dann ist das keine europäische Konzentration; um so weniger, ais sie dann auch noch gegen die anderen westeuropäischen Länder mit der Vollbeschäftigung und den relativ hohen Reallöhnen konkurrieren müssen.
Wir haben von Unvorsichtigen über gewisse Absichten gehört. Herr Pertinax ist natürlich in die Arena gestolpert. Wann stolpert er nicht? Und der deutsche Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard hat bezüglich des Schuman-Projektes nach einem Bericht der amerikanisch lizenzierten „Neuen Zeitung" wörtlich erklärt, ein Zusammenschluß Europas unter Beteiligung von Ländern mit sozialistischer Volkswirtschaft sei nicht möglich.
Meine Damen und Herren! Entweder reden Sie für Europa; dann werden wir uns positiv an der Disskusion beteiligen, und dann werden wir wissen, wie unsere Interessen und Überzeugungen gegeneinander abzuwägen sind, was möglich ist und was nicht möglich ist. Oder Sie wollen innerhalb Kleineuropas ein Kleinsteuropa des äußersten Westens. Aber dann wollen Sie nichts Europäisches. Dann wollen Sie auch nichts, mit dem die Europäer imstande wären, die Gefahren des ästlichen Totalitarismus zu überwinden.
Wir wollen kein System regionaler Pakte, die zu Spannungen führen müssen, die diese Mächtegruppierungen und die besonders Deutschland auszuhalten viel zu schwach wären.
Nun, meine Damen und Herren, entscheidet man aber mit dem Eintritt in den europäischen Rat ja gar nicht die Straßburg-Frage zentral. Man entscheidet mehrere Dinge, die hinter Straßburg stehen und viel bedeutsamer und machtvoller sind. Wenn wir in Straßburg in den europäischen Rat eingetreten sind, dann haben wir den einzigen außenpolitischen Trumpf aus der Hand gegeben, den unser Volk überhaupt zur Verfügung hat. Das einzige, was die Welt von uns will, ist ein freiwilliger Eintritt Deutschlands in eine von ihr geschaffene internationale Organisation. Wenn wir für den Eintritt in den europäischen Rat diesen Trumpf weggegeben haben, haben wir keinen Trumpf mehr in der Hand, wenn die Frage des Eintritts oder des
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit welchen außenpolitischen tatsächlichen machtmäßigen Gegebenheiten wollen Sie denn, wenn Sie zwangsweise vor diese Forderung gestellt werden, diesen Eintritt etwa in einen Hohen Rat des atlantischen Friedens, wie Bidault es am 16. April formuliert hat, verweigern? Alle Argumente, deren Ausspielen Sie fürchten, wenn jetzt die Deutschen nicht in den Straßburger europäischen Rat gehen, all die Argumente bestehen doch mindestens in der gleichen Stärke, wenn nicht stärker, auch dann, wenn Sie sagen, Sie möchten nicht in den atlantischen Rat.
Die Deutschen hätten dann also das einzige politische Mittel der Abwehr und der Selbstbestimmung trotz eigener Erkenntnis und aus eigenem Wollen aus der Hand gegeben. Dann bestimmen die anderen über die Frage des Eintritts und des Nichteintritts, die Bedingungen und den Umfang unserer Verflichtungen.
Dabei sollten Sie doch nicht übersehen: wenn wir in einen atlantischen Rat hineingezwungen werden würden, wenn wir bereits Mitglieder des europäischen Rates in Straßburg sind, dann wären wir doch in Straßburg minderen Rechtes, nach der Prophezeiung des Herrn Spaak auf etwa zwei Jahre. Was wird sich in diesen zwei Jahren ereignen! Die Deutschen sind dann als integrierender Bestandteil des euopäischen Rates, der seinerseits wieder integrierender Bestandteil des atlantischen Paktsystems ist, doch die Geführten. Die Führer aber sind ganz andere europäische Mächte.
Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß eine isolierte Dauerposition Europas gar nicht möglich ist. Zwei Weltkriege haben diesen Erdteil zerfleischt, und der Prozeß der wirtschaftlichen Entmachtung dieses Erdteils ist doch durch die Fortschritte in der Produktionstechnik außerhalb Europas rasend gefördert worden. Die Schrumpfung der Weltexportquoten ist doch hauptsächlich auf Kasten Europas vor sich gegangen. Darum ist Europa, wenn die Großen des atlantischen Systems es wollen, ein Bestandteil dieses Systems, und die Deutschen haben dann gar nicht mehr die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie selbst, als deutsches Volk, ein solcher Bestandteil sein wollen oder nicht;
sie sind — minoris iuris — bereits die Geführten im Europäischen Rat.
Hier, an dieser Stelle, meine Damen und Herren, zerplatzen gewisse Illusionen über die Möglichkeiten einer „dritten Macht". Ich bin sehr froh, daß dieses Problem heute nicht diskutiert worden ist. Schließlich ist doch Begriff und Idee der „dritten Macht" eine rein sozialdemokratisch-europäische Erfindung, und ich war sehr überrascht, daß die Assimilierungsfähigkeit der Herren der bürgerlichen Mitte sogar bis zur Akzeptierung sozialdemokratischer Formulierungen geht.
Diese dritte Macht, die versuchsweise einen Ring um eine eigene sozialökonomische Physiognomie unseres Kontinents schließen soll, ist als kapitalistische und konservative Konstruktion doch gar nicht möglich. Andere Konstruktionen dieser Ten-
Benz, die stärker waren, sind ja bereits vorhanden. Es ist die reine Blinddarmpolitik, die Sie hier mit einem pathetisch klingenden Wort treiben.
Entscheidend ist aber, meine Damen und Herren, daß das atlantische System ja nicht nur ein wirtschaftliches, sondern vor allem auch ein militärisches System ist.
Die Einbeziehung Deutschlands bedeutet, daß Deutschland auf dem Wege über den Europäischen Rat ein Bestandteil dieses Systems wird. Die deutsche Aufgabe ist jedoch eine Aufgabe des politischen Kampfes, aber nicht die eines sinnlosen militärischen Kampfes mit Deutschland als einer nicht zu verteidigenden Vorfeldposition.
Darum bedeutet Ihr Eintritt in den Europarat, daß Sie bereits den einzigen Trumpf aus der Hand geben, mit dem Sie mitstechen können, damit nicht die anderen darüber entscheiden, wann, wie und unter welchen Umständen Deutschland gezwungen sein wird, wiederaufzurüsten.
Hier, bei der Abstimmung über Straßburg, entscheiden Sie über das Recht der Selbstbestimmung in dieser Frage.
Nun, meine Damen und Herren, sind alle Gef ah-ren, so groß sie sind, noch immer an dem Hauptziel der deutschen Gegenwartspolitik zu messen und zu wägen. So vernebelt dieses Ziel auch sein mag, die deutsche Einheit — das ist das Entscheidende — ist nicht nur eine nationale Frage der Deutschen; die deutsche Einheit ist eine Frage der Selbstbehauptung der Völker Europas und der Weltdemokratie.
Wenn wir nach der Art der Behandlung der Saarfrage sowohl wie anderer Fragen, überhaupt nach der Art, wie man uns vom Ausland in den letztem Monaten angeredet hat, gewußt hätten, wir würden in Straßburg in eine europäische Gemeinschaft, in eine europäische Kameradschaft kommen, die begriffen hat, daß eine Frage, die im Vordergrund eine deutsche ist, doch eine Menschheitsfrage sein kann, dann wäre alles ganz anders. Aber die Methodik der Behandlung zeigt doch ganz eindeutig, daß manche Leute zwar widerwillig von der Notwendigkeit deutscher Einheit reden, daß sie aber an der Spaltung Deutschlands ein machtpolitisches Interesse haben.
Darum sage ich Ihnen: Ein Straßburg, bei dem eine Reihe von Mächten an der Teilung und Zerreißung Deutschlands profitiert, ist zur Ohnmacht verdammt. Wenn Straßburg oder eine daraus sich entwickelnde Organisation internationaler Art, bedingt durch Werte der Menschen, die allen Menschen gemeinsam sind, begreift, daß die deutsche Einheit ihre Einheit, die Position der Stärke Europas und der Geltung der Weltdemokratie ist, dann: Ja! Die Deutschen haben sich in vielem zu ändern; aber daß die andern mit ihrer heutigen Politik eine konstante Größe bleiben sollen, das wollen wir im Interesse Europas doch auch vermeiden helfen.
Das ist doch das Ziel unserer Politik gewesen.
Wenn es gelungen wäre, unser Volk in seiner überwiegenden Mehrheit — ausgedrückt durch eine
Abstimmung in diesem Hause — zu einem besonnenen, realistischen Nein zu veranlassen, dann wären doch die anderen gezwungen gewesen, dieses Nein als die Voraussetzung einer notwendigen neuen Verhandlung anzusehen.
Denn nicht nur wir brauchen die andern; gerade bei der Abwehr des Weltkommunismus brauchen die andern in demselben Umfange auch uns!
Die Chance der positiv-europäischen gestaltenden Kraft dieses Neins hat man im November vorigen Jahres übersehen, und ich wende mich an Sie, diese große deutsche und europäische Chance jetzt nicht endgültig aus der Hand zu geben; denn die Politik der Umwege wird schwieriger und anstrengender sein.
Der Bundesregierung möchten wir folgendes sagen. Nachdem wir ihre Belehrung über unsere nationale Verpflichtung entgegengenommen hab en — ich habe gar nicht gedacht, daß man so extremistische Nationalisten, wie nach den Worten verschiedener Herren in diesem Hause die Sozialdemokraten sein sollen, noch an ihre nationale Verpflichtungen erinnern muß —,
möchte ich erklären: wir halten gar nichts von Worten, für uns ist die soziale Hilfe für die arbeitenden und notleidenden Massen des Volkes die einzige nationale Tat, die in unseren Augen gilt.
Wir halten aber auch nichts von einer Linie illusionärer Vertröstung in den Dingen der deutschen Einheit. Der Herr Bundeskanzler hat formuliert, daß sich die Bundesregierung als Vertreter Berlins fühle. Mit dem „Fühlen", Herr Bundeskanzler und meine Herren Kabinettsmitglieder, ist es nicht getan. Wir haben z. B. mit dem Herrn Bundesfinanzminister auch einmal zusammen „gefühlt", nämlich den Geldsack; und in Sachen Berlins war er dann immer sehr klein und schmal geworden.
Uns ist eine Erklärung, die Bundesregierung fühle sich mit als Vertreter Berlins, in Anbetracht der Erfahrungen der letzten neun Monate zwar ein Versprechen, aber für den Grad unserer Wünsche und unseres Wollens ein noch nicht genügendes Versprechen.
Wir haben nicht nur dieses „Gefühl" in Rechnung zu stellen, sondern haben die Behandlung der Fragen der deutschen Einheit und insbesondere der Frage Berlins im Zeichen einer endlich aktiveren Bundespolitik zu sehen.
Der Magistrat von Berlin hat geschrieben: für den Fall, daß die deutsche Bundesrepublik in den Europarat eintreten solle, solle Berlin mit vertreten sein. Das läßt sich nur dadurch konkretisieren und realisieren, daß sich die politischen Parteien entsprechend verhalten.
Es nähert sich der Zeitpunkt, zu dem — erst effektiv und dann gleich darauf de jure - Berlin das
zwölfte Land der westdeutschen Bundesrepublik sein muß.
Berlin, das ist der Anspruch unseres Volkes auf die deutsche Einheit. In Sachen der deutschen Einheit wünsche ich dem Herrn Kanzler und seinen Ministern mehr Aktivität, mehr Planung, mehr propagandistische und politische Leistung.
Unsere Gefahr ist, daß unser Volk sich unter dem Druck der eigenen Not in seinen einzelnen Teilen abfindet, sich einrichtet und sich widerwilligen Herzens so halb und halb mit dem Zustand zufrieden gibt. Wenn wir auf diese Bahn kommen, dann ist Berlin in Gefahr, ausgeklammert zu werden, weil dann die deutsche Einheit nicht mehr intensiv genug angestrebt wird.
Deswegen, meine Damen und Herren, sehen wir im Interesse der deutschen Einheit jede Aktivierung der Bundespolitik gern als notwendig an, die ein ganzes Deutschland zum Bestandteil des Europäischen Rates zu machen anstrebt.
Wir haben nicht die Meinung, daß man in den Europäischen Rat oder in irgendeine Form der Organisation internationaler Natur erst dann gehen kann, wenn alle Voraussetzungen geklärt sind. Aber wir haben die Meinung, daß der Weg, der in den Europäischen Rat nach Straßburg führen soll, gerade dicht an Europa vorbeigeht. Deswegen stimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit nein und deswegen bittet sie über den Rahmen ihrer Partei hinaus die Damen und Herren dieses Hauses, mit nein zu stimmen, unseres Volkes wegen und Europas wegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, die Debatte ein wenig auf ihren eigentlichen Sinn zurückzuführen.
Man muß sich nämlich über den eigentlichen Sinn der großen Entscheidung, die zu treffen ist, über das große Ziel, das in der Form und auf dem Wege einer europäischen Föderation zu verwirklichen ist, klarwerden. Ich weiß nicht, ob man mit einer Perlenkette von kasuistischen Teiluntersuchungen mehr oder weniger negativer Art in der Lage ist, die Bedeutung und Größe einer solchen Konzeption im ganzen zu würdigen.
Meine Damen und Herren, sehen Sie: hier, an diesem Hause fließt der Rhein vorbei. An diesem Rhein und in seinen Seitentälern und auf den Uferhöhen seiner Nebenflüsse finden Sie tausenderlei Spuren einer unglücklichen Vergangenheit; da finden Sie die Wundmale einer Auseinandersetzung, die tausend Jahre hindurch die europäischen Völker und vor allen Dingen Deutschland und Frankreich immer wieder gegeneinander aufgebracht und schließlich immer wieder zu wechselseitiger Schädigung und zu wechselseitiger Störung ihres Aufstiegs veranlaßt hat. Ich glaube, man sollte mehr von dieser Erinnerung und Erfahrung ausgehen und daraus den Versuch ableiten, die gesamt-europäische Entwicklung und den Weg der europäischen Föderation so positiv zu sehen, wie es nur möglich ist.
Meine Damen und Herren, es ist am Anfang einer großen Wendung der Dinge zu einer neuen geschichtlichen Phase immer so, daß man das Ende nicht absehen kann und daß die ersten Stufen, die man beschreitet, unzulänglich sind. Tausenderlei Schwierigkeiten und Mühseligkeiten zeigen sich da. Die mangelnde Reife gegenüber der Größe eines Gedankens wird als menschliche Unzulänglichkeit sichtbar; tausend Widerstände und Widerwärtigkeiten treten auf. Es ist also eigentlich ungeheuer bequem und billig aneinanderzureihen, was denn nun noch alles unzulänglich und mangelhaft ist. Wenn man so in der Politik verfährt, dann wird man gegenüber dem großzügigen Entschluß kleinmütig und vergißt, die Kühnheit aufzubringen, die notwendig ist, um das Wagnis einer neuen Konstruktion, einer neuen Konzeption auf sich zu nehmen.
All diese Einwendungen, die im einzelnen gemacht worden sind, zu erörtern, lohnt sich also gar nicht. Sie sind bekannt, und sie sind ja im Grunde genommen selbstverständlich, weil wir erst im Beginn der Dinge stehen und weil unmittelbar nach einer furchtbaren Auseinandersetzung der Völker und Mächte ungeheure psychologische Hemmungen bestehen, weil in der Wandlung der wirtschaftlichen Struktur ungeheure Interessengegensätze vorhanden sind, die begreiflicherweise kreuz und quer wirken, das Bild undurchsichtig machen und jedem, der kritisieren will, billige und leichte Gelegenheiten geben, zu verwirren und herabzusetzen.
Das Entscheidende, glaube ich, liegt in den Zusammenhängen, die ich eben anzudeuten wagte, indem ich auf den Wesenskern des Geschichtsbildes verwies, das uns der Rhein und sein Schicksal zwischen den europäischen Völkern zu vermitteln vermag. Weil wir also sehen, wie die Widerstände und die gefahrvolle Möglichkeit von Reibungsverlusten zwischen den europäischen Völkern und Mächten gerade aus einem Fortbestand deutsch-französischer Gegensätze traditioneller Art bisher herausgewachsen sind, gewinnen wir gerade die Einsicht, zu sagen: Trotz aller bestehenden Hindernisse, trotz all dieser Unzulänglichkeiten, trotz der großen Restbestände eines vergangenheitshörigen Denkens wollen wir in die neue Form dieser europäischen Föderation hineingehen. Da wollen wir beweiskräftig machen, daß wir gewillt sind, dem französischen Sicherheitsverlangen Rechnung zu tragen. Wir erwarten aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeit, mit dem Eintritt in die europäische Föderation nun weitere Schritte zu tun und weitere Möglichkeiten zu höheren Stufen neuer deutscher Souveränität zu gewinnen. Wir bedauern dabei, daß sich in der jüngsten Vergangenheit immer deutlicher ein Zwiespalt zwischen verschiedenen Arten von europäischer Konzeption gezeigt hat. Da ist sehr deutlich in dem Zusammenhang mit den Erörterungen um den Schuman-Plan die Vorstellung einer kleineuropäischen Konzeption aufgetaucht; und da muß ich sagen: uns scheint sie nicht zu genügen. Wir werden auch da den vorläufig gangbaren Weg mitgehen und sind bereit, alles zu tun, um sein Ziel zu verwirklichen. Aber wir meinen, daß das größere Europa, das sich über den Kontinent hinaus ausdehnt, die eigentliche Grundlage einer echten gesamteuropäischen Entwicklung allein zu sein vermag.
Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner, Herr Dr. Schumacher, hat noch einmal sehr eineingehend die Saarfrage aufgegriffen und auf die Tatsache hingewiesen — da gehe ich mit ihm durchaus einig —, daß gegenüber dem Saargebiet ein politischer Akt vollzogen worden ist, der mit dem Gedanken der Demokratie und der Selbstbestimmung schlechterdings unvereinbar ist.
Wenn wir den Weg nach Europa oder über Straßburg zu Europa zu gehen bereit sind, dann wiederholen wir durchaus die Rechtsverwahrung, die wir seinerzeit ausgesprochen haben, als wir uns in diesem Hause über die Saarangelegenheiten, über die Vorgänge, über die politische und wirtschaftliche Handhabung und Ordnung der Dinge an der Saar unterhielten. Und ich kann auch nicht unterlassen zu sagen, daß die Deutungen, die Herr Grandval dem Schuman-Plan über die Entwicklung einer saarländischen Wirtschaft gegeben hat, in keiner Weise den Vorstellungen entsprechen, die wir von der Realisierbarkeit einer gesamteuropäischen Entwicklung auch auf der Grundlage des Schuman-Plans haben.
Wenn wir so bei dieser Entscheidung über Straßburg an die Problematik denken, die wir im Westen auf uns nehmen müssen — wir haben sie nicht geschaffen, die Bundesrepublik hat sie nicht geschaffen; die Verhältnisse an der Saar sind im Gegensatz zu unserer Überzeugung damals hergestellt worden, als die Bundesrepublik hier überhaupt noch nicht vorhanden war; es ist also die Methode, den Konkursverwalter für die Schäden eines Bankrotteurs verantwortlich zu machen, die angewandt wird, wenn man nun den Eindruck zu erwecken versucht, als wenn Unterlassungen der Bundesregierung die saarländische Entwicklung, die doch vor nunmehr schon zwei oder drei Jahren begann, veranlaßt oder zugelassen hätten —,
meine Damen und Herren, so wie wir also im Blick auf den Westen keineswegs von Besorgnissen und Bedenken frei sind, sagen wir aber: nicht obgleich, wie es vorhin einer der Redner ausgesprochen hat, sondern gerade w ei 1 die Dinge da so unerfreulich sind, fühlen wir uns veranlaßt, den gesamteuropäischen Weg zu gehen. Wir erhoffen gerade dadurch die praktische Möglichkeit, Verständnis für die Unhaltbarkeit von Gebietsregelungen zu gewinnen und zu wecken, die im Westen im Saargebiet und auch in anderen Grenzgebieten, die man uns genommen hat, eingetreten sind. Sehen Sie, meine Damen und Herren, gerade zur Berichtigung dieser Vorgänge glauben wir, die europäische Gesamtentwicklung fördern zu müssen.
Aber ebenso wie wir uns den westlichen Dingen zuwenden, ebenso haben wir natürlich auch den Blick auf den Osten gerichtet. Da ist der Einwand erhoben worden, die Entscheidung für die westliche Welt wäre so etwas wie eine Absage an die Gebiete, die unter dem Einflußbereich des neuen Byzantinismus des Ostens gekommen sind, es bedeute gewissermaßen eine Preisgabe der Deutschen in jenen Landen, wenn wir unsere Schritte und Blicke gen Westen richten.. Das Gegenteil ist der Fall. Bitte, können Sie sich vorstellen, daß, wenn es nach dem Rezept des Herrn Schumacher ginge, wenn nämlich Deutschland sich noch jahrelang irgendwie in eine splendid isolation versetzte und beharrte und seine nationalen Forderungen von der Wiederherstellung
der Einheit Deutschlands nur deklamierte, daß dann irgendwie ein Schritt praktischer Art, irgendeine Gewichtsverlagerung zugunsten solcher Forderungen innerhalb der Mächtekonstellation der Gegenwart überhaupt denkbar und möglich wäre? Nein, aber indem wir uns in eine gesamteuropäische Kombination, in eine gesamteuropäische Kräftegruppierung einfügen, bewirken wir damit auch die Gewichtsbildung und die Gewichtsverschiebung, die geeignet ist, auch diese Probleme der Lösung näher zu führen. Sie ergeben sich übrigens nicht nur in den deutschen Gebieten, die jenseits! der Oder-Neiße-Linie oder innerhalb der sowjetischen Besatzungszone von uns abgespalten worden sind, sondern sie bestehen auch bei den westslawischen Völkern, die ja durch gleiche Bedingungen verhindert sind, sich ihren traditionellen abendländischen Lebensformen zuzuwenden.
In diesem Zusammenhang kann ich hinzufügen: Wenn wir nach Straßburg gehen, dann bedeutet das keineswegs eine Verlagerung der Schwerpunkte unserer eigenen deutschen Entwicklung. Gerade in dieser Stunde grüßen wir die Stadt Berlin, grüßen wir die alte Reichshauptstadt, weil wir der Meinung sind, daß der Schritt nach Straßburg nicht eine Verabschiedung, sondern eine bessere Möglichkeit bedeutet, bald „Willkommen" zu sagen.
Ich habe mich bei den Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher zu erkennen bemüht, welche besseren Wege er nun eigentlich gehen möchte. Es war mir aber nicht möglich, irgendeine konstruktive Vorstellung von einer Wandlung im europäischen Raum zu erkennen, irgendwelche gangbaren Formen, Wege und Pläne zu sehen.
Mit der bloßen Verneinung kann man doch keine Politik machen, vor allen Dingen nicht in einem Volk, das so in die Tiefe fürchterlicher Abgründe hineingestürzt ist und nun mühsam wieder heraufkommen muß. Es genügt z. B. doch nicht, zu verkünden, man wolle für die Besserung der sozialen Verhältnisse, für die Erhöhung des Lebensstandards eintreten. Wie ist denn der praktische Weg dazu? Sollen wir etwa die europäischen Wirtschaften in einer fast balkanisch zersplitterten und willkürlichen Abgrenzung und Gemengelage mit allen ihren Schwierigkeiten halten, durch die eine richtige und sinnvolle, ökonomische Nutzung der produktiven Kräfte vermindert wird? Liegt nicht gerade in der Ausweitung des Wirtschaftsraums, die sich ja aus einer europäischen Föderation ergeben kann und soll, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Hoffnung, die Lebensverhältnisse und den Lebensstandard im westeuropäischen Raum so zu entwickeln, daß diese westliche Welt anziehend bleibt? Denn das, meine Damen und Herren, ist das Entscheidende: es ist nicht damit getan, daß man sich gegenüber dem Osten rein abwehrend verhält. Die entscheidende Wirkung gegenüber den abtrennenden und wegdrängenden Kräften, die im Osten wirksam sind, wird doch gerade dadurch ausgeübt, daß wir durch die Überlegenheit des Lebensstandards in unserem Gebiet ermöglichen, daß der Blick nach hier gerichtet bleibt bei allen Menschen, die noch nicht zu streben und zu hoffen aufgehört haben.
— Gerade dadurch!
Meine Damen und Herren, es ist dann gesagt worden, man habe einen Trumpf aus der Hand gegeben, indem man sich bereit erklärte, nach Straßburg zu gehen und Mitglied des Europarates unter Voraussetzungen zu werden, die — das gebe ich zu — im Augenblick noch keineswegs befriedigend sind, die aber die Möglichkeit zu einer besseren und günstigeren Situation in keiner Weise ausschließen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen, meine Damen und Herren! Grundsätzlich halte ich es für falsch, eine entscheidende Frage von einer solchen gestaltenden Bedeutung für die gesamte Entwicklung, ja, ich möchte sagen, für den Verlauf der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten, zum Gegenstand eines Schachers, zum Gegenstand von Gewinn- und Verlustrechnungen im Geiste kleinlicher Krämer zu machen.
Im Grunde genommen legt man sich dabei selbst herein. Sehen Sie, Sie können vorher Bedingungen stellen und können sie zugestanden erhalten; nun, schön, selbst wenn Sie das wirklich erreichen, dann bedeutet das aber, daß damit das Optimum dessen festgelegt ist, was Sie erreichen können. Vor dem Eintritt begrenzte Bedingungen bedeuten die Beschränkung der eigenen Entfaltungsmöglichkeit nach dem Eintritt.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also, von den Gründen und Einwänden, die hier angeführt worden sind, bleibt nur der eine übrig, nämlich der Vorwurf gegen den Herrn Bundeskanzler, daß er die Parteien der Opposition nicht ausreichend informiert und nicht genügend zur Mitberatung herangezogen hätte. Ich will jetzt gar keine Ausführungen über die Berechtigung oder Nichtberechtigung dieses Einwandes machen. Aber ich muß feststellen: Gegenüber der Größe unserer Entscheidung ist das geradezu ein lächerlicher Einwand.
Meine Damen und Herren, wegen der Verärgerung über mangelnde Gespräche kann ich doch nicht einfach die Entwicklung der gesamteuropäischen Verhältnisse zu neuen Formen aufhalten und verneinen wollen.
Meine Damen und Herren! Ein paar Bemerkungen dann noch zu dem Schuman-Plan. Er bedeutet eine Erweiterung und eine Ergänzung der Entwicklungen, die in den bisherigen Ergebnissen des Europarates zu vermissen sind. Dem Europarat sind große Hindernisse bereitet worden. Sie wissen alle, es sind viel Widerstände gewesen, es ist mancherlei Unfreundlichkeit um ihn erwiesen worden. Der Schuman-Plan tritt da in eine Lücke ein. Er bedeutet nämlich eins: Durch eine einheitliche Verknüpfung und Verbindung der Grundstoffindustrien der Kohle- und Eisenerzeugung bedeutet er die Bildung eines stählernen Skeletts zwischen den europäischen Volkswirtschaften.
Wenn man Frieden in einem bestimmten Raum sichern will, dann genügt es nicht, äußere Grenzen um ihn zu legen. Landschaften wachsen erst zusammen, wenn in ihnen gesellschaftliche Mächte lebendig werden, die kreuz und quer die Menschen in ihrem Raum verknüpfen und verbinden. In diesem Zusammenhang scheint uns der Schuman-Plan eine wesentliche Unterstützung und eine realistische
Förderung dessen, was wir anstreben, wenn wir in den Europarat einzutreten bereit sind.
Dabei sind wir uns darüber klar, daß sich hier bei falscher Ordnung der Dinge die Gefahr einer starken monopolistischen Machtkonzentration ergeben könnte. Hier wird es notwendig sein, Formen zu entwickeln für ein Höchstmaß freier Verbundenheit. Eines wird zuerst notwendig sein: mit Hilfe dieser Rohstoffplanung und der ihn tragenden und ihn vor allen Dingen zunächst einmal formenden Institutionen die Lücken zu schließen und die Mängel zu beheben, die sich bei der bisherigen Gestaltung des Europarates leider gezeigt haben.
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schumacher hat ausgeführt oder hat sich sogar dagegen gewandt, daß man die Frage des Eintritts in den Europarat zum Gegenstand parteipolitischer Erwägungen mache. Wir sind in diesem Falle wirklich mit ihm einverstanden.
Es geht heute nicht um die Frage, ob das innere Leben dieses künftigen Europas nach diesen oder jenen politischen oder gesellschaftlichen Prinzipien gestaltet wird.
Wir sind sicherlich bereit, für unsere Überzeugungen auch in der europäischen Entwicklung einzutreten. Aber es geht jetzt nicht darum, ob irgendein Europa nun nach diesem oder jenem Rezept im Sinne dieses oder jenes Lehrgebäudes errichtet wird. Ich muß dazu sagen: ich las in der Zeitung eine Äußerung von Herrn Dr. Schumacher auf dem Parteitag in Hamburg, in der er ein Europa, das seine innere Gestaltung unter Umständen nicht im Sinne seiner Parteiideologien finden könnte, ablehnte und ein sozialistisches Europa forderte. Da hat er doch erkennen lassen, daß es im Grunde genommen parteipolitische Maßstäbe gewesen sind, die in starkem Maße die Absicht, zu dem Europarat hier im Bundestag „nein" zu sagen, mindestens zunächst angeregt und angereizt haben.
— Nein, meine Damen und Herren, das ist keine Unterstellung. Wissen Sie, nach meinem Eindruck befinden Sie sich in einer merkwürdigen Gefahr.
— Nein, ich rede jetzt von Ihnen, und zwar sind Sie allmählich auf dem Wege, eine solche Politik zu machen, die man als die Methode der partiellen oder vielleicht sogar totalen Sonnenfinsternis bezeichnen könnte.
Sie machen es nämlich so, daß Sie vor die Lichtquelle die erstarrten und erkalteten Mondlandschaften aus abgestandenen Ideologien, aus längst verhärteten und versteinerten Vorstellungen und Doktrinen von der gesellschaftlichen Entwicklung und Gliederung stellen und infolgedessen wesentliche Teile Ihres Weltbildes fortgesetzt der tragischen Wirkung einer Unterbelichtung aussetzen und darum zu Mißdeutungen und Mißfolgerungen kommen, wie sie heute ausgesprochen worden sind.
Meine Damen und Herren! Über die Einzelheiten, die staatsrechtlichen, völkerrechtlichen und wirtschaftspolitischen Folgerungen, wie sie sich aus der Straßburger Erwartung ergeben, wird im einzelnen
mein Fraktionskollege Dr. Becker sprechen. Ich möchte mit einem kurzen Hinweis auf die besondere Umwelt schließen, in der wir hier verhandeln. Ich möchte, weil ich auf die großen Zusammenhänge der politischen Entwicklung hinweisen möchte wie ich es schon eingangs tat —, das Bewegende, das Dynamische dieser Entscheidung in den Vordergrund rücken. Da darf ich einmal auf die Tatsache hinweisen, daß in dieser Stadt Beethoven geboren ist, zu dessen grandiosesten Werken die Musik zu dem bewegenden Gedicht Schiller von den umschlungenen Millionen der ganzen Welt gehört. Sehen Sie, meine Damen und Herren. stellen Sie unter solche weite Aspekte die heutige Entscheidung. Es geht um die Spaltung der Völker oder die Zusammenführung der Völker, die Auflösung der Volkswirtschaften in zersplitterte Räume oder ihre Zusammenfassung zu großen Austauschgebieten. Stellen Sie Ihre Entscheidung vor diese Alternativen, und ich möchte den sehen, der vor ihnen nein sagt!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Becker. —
Meine Damen und Herren, ich habe mich eben mit Herrn Abgeordneten Dr. Becker verständigt. Frau Abgeordnete Wessel will um 14 Uhr weg. Zunächst hat Herr Abgeordneter Dr. Seelos das Wort erbeten; er bekommt es jetzt. Dann später Frau Wessel, weil sie nachher abreisen muß. Herr Abgeordneter Dr. Becker war so liebenswürdig, sich damit einverstanden zu erklären, daran anschließend zu sprechen.
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Seelos!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin glücklich, daß mein Vorredner wieder die Note angeschlagen hat, die ich von dieser so wichtigen, hochpolitischen Debatte erwartet habe; denn das Blitzen und Donnern der politischen Olympier interessiert uns nicht so sehr. Es handelt sich
hier nicht um parteitaktische Fragen es handelt sich
um eine europäische Frage und nicht um die des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes.
Ich möchte mich auch nicht in solchen Polemiken ergehen, sondern diese Schicksalsfrage des deutschen Volkes behandeln; denn seit langen Jahren hat es keine so packende Idee wie diese europäische Idee gegeben. Damit sie nicht bloß ein Wunschtraum bleibe, sondern Verwirklichung finde, muß man ganz nüchtern und realistisch die Schritte tun, die uns Stück für Stück diesem Ziel näherbringen.
Aus diesem Grunde muß man den Schuman-Plan so sehr begrüßen, weil er eine praktische Tat zur Durchführung dieser europäischen Idee bedeuten kann. Wir sind allerdings der Überzeugung, daß ohne eine grundsätzliche Bejahung der politischen Europaidee auch eine wirtschaftliche Vereinigung und Zusammenarbeit Europas nicht verwirklicht werden kann. Eine übernationale Organisation, ein europäischer Bund ist schon deshalb notwendig, weil all die bereits bestehenden internationalen Organisationen in Europa wie das Marshallplanbüro der OEEC oder das künftige Büro des Schuman-Plans für die europäische Stahl-, Eisen- und Kohlenbewirtschaftung nicht im luftleeren Raum ohne demokratische Kontrolle als übergeordnete Wirtschaftsbehörden über den europäischen Staaten fungieren können.
Man soll sich auch hüten, wie es eben Herr Schumacher so stark hervorgehoben hat, dieses künftige Europa als eine dritte Macht zwischen den zwei Weltmächten USA und Sowjetrußland und als eine Art arbiter mundi gestalten zu wollen. Wir haben nun einmal die alte Machtstellung Europas in einer tragisch-grandiosen Selbstzerfleischung verspielt und müssen nur danach trachten, nicht in völlige Abhängigkeit von anderen außereuropäischen Mächten zu kommen. Wir wollen den europäischen Lebensstil wahren, die ethischen und kulturellen Lebensnotwendigkeiten Europas sichern und die wirtschaftlichen Grundlagen erneuern. Dieses Europa darf keinesfalls in einem Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika gebildet werden, sondern in gemeinsamer Zusammenarbeit. Nichts könnte der europäischen Idee mehr schaden, als wenn ihr Pate, die Vereinigten Staaten, das Gefühl bekämen, Europa wolle sich nur mit amerikanischen Geldern und Mitteln als wirtschaftlicher und politischer Konkurrent einigen. Wir dürfen nicht den Enthusiasmus brechen, mit dem die Vereinigten Staaten ihre junge Macht in den Dienst des Wiederaufbaues der Welt und besonders von Europa stellen. Wir wollen ihnen den Glauben an ihre Sendung lassen, für die wirtschaftliche und politische Integration Europas verantwortlich zu sein. Andererseits dürfen es uns aber die Amerikaner nicht verargen, wenn wir unsere europäische Tradition, unser Denken und Fühlen erhalten wollen. Es ist für uns vielleicht das letzte köstliche Gut, die abendländische Kultur im Rahmen einer notwendigen wirtschaftlichen Existenzsicherung zu erhalten, wenn schon die Vereinigten Staaten die europäische Ordnung der Welt abgelöst haben.
Zusammen mit den Vereinigten Staaten wollen wir eine atlantische Gemeinschaft bilden und aus dem militärischen Begriff des Atlantikpakts herauskommen. Durch den beschlossenen Beitritt Amerikas und Kanadas zur Marshallplanorganisation der OEEC wird der Wille dargetan, so wie es in anderer Form Bidault in seiner Atlantikidee tut, daß die atlantische Gemeinschaft keineswegs bloß eine militärische Basis haben soll. Nur eine friedliche atlantische Gemeinschaft wollen wir durch unseren Beitritt zum Europarat stärken, und wir weisen entschieden die Idee zurück, daß der Beitritt zum Europarat den Auftakt für die Einbeziehung in den atlantischen Militärpakt bedeute. Es ist gut, daß der Bundeskanzler so eindeutige Erklärungen in dieser Hinsicht abgegeben hat.
Wenn wir uns zu einem Beitritt in den Europarat entschließen. dann wollen wir nachdrücklich unterstreichen. daß es keinen europäischen Bund, kein einiges Europa und keinen Europarat gibt, wenn nicht unter gleichberechtigten Staaten. In dem Kampf regen die kommunistische Unfreiheit kann es kein Europa von freien und unfreien Staaten geben. Formal kann man wohl damit operieren, daß das Besatzungsstatut keine auswärtige deutsche Politik und keinen deutschen auswärtigen Minister versehe. daß daher eine Vertretung Deutschlands im Ministerrat in Straßburg technisch gar nicht möglich sei. Materiell bleibt jedenfalls eine Unterscheidung zwischen souveränen Staaten und einem nichtsouveränen Deutschland bestehen, die eben mit der Europaidee unvereinbar ist.
Allerdings entspricht diese Unterscheidung der tatsächlichen Lage, und hier möchte ich im Gegensatz zum Herrn Bundeskanzler doch darauf hin-
weisen, daß uns im Petersberger Abkommen keineswegs auch nur annähernd unsere Souveränität zurückgegeben wurde. Die verschiedenen Eingriffe der Hohen Kommissare schon acht Tage nach dem Beginn der Bundesrepublik und dem Amtsantritt der Regierung in der Kohlenpreisfrage reden eine deutliche Sprache. Praktisch ist die Wirksamkeit der Bundesregierung nur insoweit verstärkt, als sie jetzt, ohne ein Veto der Hohen Kommissare befürchten zu müssen, etwa bestimmen kann, ob es in Deutschland eine Sommerzeit geben soll oder nicht.
Was soll denn unser Volk davon halten, wenn wir unter Friedensschalmeien in die Straßburger europäische Familie einziehen sollen und gleichzeitig im sechsten Jahre nach Kriegsende die Hämmer und Bohrer ertönen, die große deutsche Werke wie das Werk in Töging am Inn, bei Krupp, in Watenstedt-Salzgitter und an anderen Orten demontieren? Wie soll das Volk an eine übernationale europäische Stahl- und Kohlenbehörde glauben, wenn noch heute das modernste Edelstahlwerk demontiert wird und wir von vornherein mit einem großen Handicap in diese europäische Wirtschaftsbehörde eintreten sollen?
Die Alliierten machen gemäß dem Kommuniqué der Londoner Konferenz vom Mai 1950 dann weitere Zugeständnisse in bezug auf die Wiederherstellung der deutschen Souveränität, wenn wir unsere demokratische Gesinnung beweisen. Dazu möchte ich folgendes sagen: Die Alliierten müssen uns eine demokratische Gesinnung ermöglichen.
Der Aufbau Deutschlands im Rahmen des Marshallplanes und Demontage schlagen sich gegenseitig tot. Demontage und Remontage der demontierten Werke mit Hilfe von Marshallplangeldern sind ein wirtschaftlicher Unsinn und eine Vergeudung von Kapital. Die Prozesse und die Verurteilungen von deutschen Kriegsangeklagten sechs Jahre nach Kriegsende unter völlig unzureichender Beweisführung sind unfaßlich. Der Verkauf der Botschaften gerade kurz vor der Zeit, in der man uns verspricht, daß wieder deutsche auswärtige Vertretungen möglich sind, ist ein Widerspruch. Die Beschlagnahme von 400 000 Wohnräumen in der beschränkten deutschen Westrepublik durch die Besatzung ohne jede Vereinbarung, ohne jede Besprechung mit den Deutschen, die Bundesgenossen sein sollen, ist nicht mehr tragbar. Es lassen sich immer erneute Beispiele für den Widerspruch und die Unlogik der Besatzungspolitik nachweisen, die den Glauben an die demokratischen Kräfte im deutschen Volke schwächen müssen und die Erziehung des deutschen Volkes zur Demokratie erschweren. Zum Beispiel erscheint auch die Schaffung einer zentralen Bundespolizei als ein Widerspruch, nachdem man kurz vorher, vor wenigen Wochen, in einem großen Land, nämlich in Bayern, eine Zentralisierung der Landespolizei verboten hat, weil sie den Sicherheitsbestimmungen widerspreche.
Wir bitten die Hohen Kommissare nachdrücklich, uns endlich von den Widersprüchen der alliierten Besatzungspolitik im sechsten Jahre nach Kriegsende zu befreien und den Weg zu einer Völkerversöhnung freizumachen. Das deutsche Volk will heraus aus seiner erdrückenden Enge. Die Jugend will endlich wieder Ideale sehen, und zwar ohne unnötig harte Belastungen, für die sie kein Verständnis hat und die sie nur verbittern. Man soll nicht Leuten wie Remer und Hedler Wasser auf ihre Mühlen gießen. Die Alliierten machen uns aber wehrlos gegen solche Bewegungen, wenn sie ihre derzeitige Politik nicht beschleunigt revidieren.
Mit tiefer Besorgnis hat es uns erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler zu der gleichen Zeit, in der der Beschluß der Bundesregierung zum Eintritt in den Europarat erfolgte, es für richtig gehalten hat, eine zentrale Bundespolizeibehörde von 25 000 Mann Stärke bei den Alliierten zu beantragen.
Ich erinnere den Bundestag daran, wie die Bayernpartei aufs schärfste angegriffen worden ist, weil sie von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht hat, eine Verfassungsänderung auf strafrechtlichem Gebiet zu beantragen. Nun wendet sich Bundeskanzler Adenauer, ohne vorher den Bundestag zu fragen, ohne vorher die Länder zu befragen oder auch nur zu informieren, an die Alliierten und verlangt mit dieser zentralen Polizei eine Verfassungsänderung, die an die Grundlagen der deutschen Bundesrepublik greift. Ich bin überzeugt, daß die Verfassung überhaupt nicht zustande gekommen wäre, wenn die Polizeizuständigkeit, die Polizeibefugnisse nicht den Ländern vorbehalten geblieben wären; denn sicherlich hätten sich dann nicht nur Bayern, sondern auch mehr als drei andere Länder mit einer solchen Regelung nicht abgefunden.
Wenn die Alliierten noch heute Besatzungsrecht
unserem Verfassungsrecht vorgehen lassen, dann
mögen sie das mit ihrem demokratischen Gewissen
vereinbaren. Es ist aber unerträglich, wenn der
deutsche Bundeskanzler über die Alliierten gewichtige Rechte der Länder beseitigen will. In diesem Vorgehen hat der Bundeskanzler alle Thesen
der Bayernpartei von den hemmungslosen zentralistischen Kräften der Bonner Regierung bestätigt.
Was will der Kanzler mit 25 000 Mann Bundespolizeitruppen? Es ist doch wohl kaum anzunehmen,
daß er so viele Doppelposten für die Bundesbehörden benötigt. Oder glaubt er, nur dann mit Sicherheit einer erfolgreichen Arbeit huldigen zu können,
wenn er eine eigene Truppe im Lande seines befreundeten Ministerpräsidenten Arnold unterhält?
Woher — so fragt man sich weiter — hat der Herr Bundesfinanzminister, der für die Kriegsopfer die Gelder nicht hat, die 200 Millionen, die die Einrichtung dieser 25 000 Mann starken Polizei erfordert? Was sagen die aus Bayern kommenden Bundesminister und Staatssekretäre zu diesem Vorgehen?
Sind diese Entwürfe mit Zustimmung des für die Polizeiangelegenheiten zuständigen Staatssekretärs von Lex gemacht worden?
Die Bundesregierung sollte aber vor allem bedacht sein, nicht den naheliegenden Verdacht einer anderen Verwendung dieser Polizeitruppe aufkommen zu lassen.
Wenn die Polizei verfassungsmäßig auf die Länder dezentralisiert wird und ihnen die etwa erforderliche kasernierte Bereitschaftspolizei zugewiesen wird, hat ein solcher Verdacht keine Berechtigung. Wenn Acheson vor einigen Tagen erklärt hat, daß die Vereinigten Staaten weiterhin an der Entmilitarisierung Deutschlands festhalten werden, dann kann nur bei einer solchen Handhabung der Poli-
zeifrage ein etwa bestehender internationaler Verdacht entkräftet werden.
Wenn mir wiederholt zugerufen wurde: „Europa", dann kann nicht ich etwas für diese Verquikkung, sondern dann soll die Bundesregierung nicht am gleichen Tage, an dem sie den Eintritt in den Europarat beschließt, 25 000 Mann Polizeitruppe beantragen. Sonst hat das einen suspekten Hintergrund.
Außer diesen Belastungen, mit denen Deutschland in den Europarat eintreten muß, ist auch noch auf das unnötige Vorgehen der französischen Regierung in der Saarfrage hinzuweisen, wie es die anderen Redner schon getan haben, das es den Deutschen nicht leicht macht, den Beitritt zu erklären. Immerhin bleibt die Hoffnung, daß der geniale Schritt Schumans eine Korrektur des deutschfranzösischen Verhältnisses im europäischen Rahmen bringt, so daß politische Rivalitäten alten Stils ihrer Bedeutung entkleidet werden. Wir wollen ferner hoffen, daß im Zeichen dieser Zusammenarbeit jedenfalls von Frankreich keinerlei Schritte in der Saarfrage erfolgen, die eine erneute Erschwerung der Situation erbringen würden. Ich weise, wie es schon verschiedene Herren getan haben, auf solch gefährliche Reden hin, wie sie der Kommissar Grandval jüngst gehalten hat. Vielleicht hätte man dem gleichzeitigen Beitritt der Saar etwas von seiner Bedeutung nehmen können, wenn man versucht hätte, Berlin, solange es nicht als zwölftes Land seinen Platz im Rahmen der Abordnung der deutschen Bundesrepublik einnehmen kann, gesondert bis zur Friedensregelung in den Europarat aufnehmen zu lassen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß es uns weder die Alliierten mit ihrer Besatzungspolitik noch der Herr Bundeskanzler mit seiner Regierungspolitik leicht machen, uns zu dem Beitritt zum Europarat zu bekennen und daß es eben manchen zu schwer wird, ein Ja zu sagen, und daß sich diese der Stimme enthalten werden. Wir sehen
aber im großen Ganzen in unserer Not keinen anderen Ausweg als Europa. Wir sehen keine Alternative unserer Außenpolitik. Herr Schumacher hat uns auch keine genannt, sondern nur gesagt, daß wir noch einige Jahre warten sollen.
Wir lehnen den Kommunismus ab, der das Ende unseres individuellen Lebens wäre. Wir wollen auch nicht bloß ein Brückenkopf Nordamerikas sein. Wir besitzen aber nicht den Wunderstab Moses', der ein neutrales Deutschland gegen die zwei Weltmächte gefeit erscheinen läßt. Deshalb kommen wir trotz aller Bedenken zu der Bejahung des Beitritts.
Insbesondere schreckt uns das Nein Schumachers, las er eben wieder ausgedrückt hat; denn Schumacher hat in der ganzen Nachkriegszeit die Staatwerdung der deutschen Bundesrepublik nur verzögert, und seine politischen Ansichten sind durch lie jeweilige Entwicklung immer widerlegt worden.
— Das war bereits in den letzten Nachkriegsjahren bewiesen!
Wenn Sie von einem Kollegen sprechen, bitte ich, zu sagen: Herr Kollege.
Das geschah bereits im Frühjahr 1947, als Herr Schumacher ein Veto gegen
die Zusammenkunft der deutschen Ministerpräsidenten in München einlegte. Die Idee war aber zu gut und zu richtig, als daß die Konferenz nicht auch gegen den Widerstand Schumachers zustande gekommen wäre. Aber immerhin hat er es fertiggebracht, daß die damals schon geplante Repräsentanz des deutschen Volkes durch die Ministerpräsidenten verhindert wurde, scheiterte und die Staatwerdung eines wahrhaft föderalistischen Deutschlands weiter hinausgezögert wurde.
Dann, im Frühjahr 1948, hat Schumacher seinen Widerstand gegen die Bildung eines westdeutschen Staates beibehalten, der allein eine Rettung aus den damals unerträglichen Zuständen des Hungers und der wirtschaftlichen Auflösung bedeutet hat. Schließlich war es der Einsicht der Berliner und insbesondere von Oberbürgermeister Reuter zu danken, daß gerade im Interesse des deutschen Ostens die Notwendigkeit der Schaffung eines Weststaates sich gegen Herrn Schumacher durchsetzte.
Dann, wieder im Frühjahr 1949, hat Herr Schumacher monatelang eine wahrhaft föderalistische Bundesverfassung bekämpft und die Staatenbildung der deutschen Bundesrepublik wiederum verzögert.
„Lieber kein Deutschland als ein föderalistisches Deutschland!", das war das Motto in der Odeonstraße in Hannover.
Und jetzt ist Schumacher wieder gegen einen Beitritt zum Europarat, ohne uns eine Alternative aufzuzeigen. Es ist doch eine Utopie, daß wir so lange warten können, bis das gesamte Deutschland beisammen ist.
— Das hat er mehr oder weniger gesagt. Diese Politik Herrn Schumachers ist wahrhaft verhängnisvoll für Deutschland.
Es ist interessant, daß gerade die Kreise in der SPD, die die engste Verbindung mit der öffentlichen Meinung der Welt haben,, wie die Bremer und die Hamburger Kreise, und daß gerade auch die Berliner in ihrer Isolierung, in ihrer engen Zusammenarbeit mit den Alliierten zur Behauptung dieses europäischen Vorpostens gegenüber dem Osten diejenigen sind, die - in der Mehrzahl — Herrn Schumacher widersprechen.
— Herr Schumacher, lesen Sie doch die Rede Breitscheids anläßlich des Beitritts zum Völkerbund im Jahre 1925, der damals in flammenden Worten die Abgeordneten des Reichstags beschwor, von dieser Gelegenheit zur internationalen Zusammenarbeit Gebrauch zu machen.
Auch damals war die volle Gleichberechtigung Deutschlands nicht sofort gesichert, obwohl es damals weit mehr als heute über eine volle außenpolitische Handlungsfähigkeit verfügte.
Damals stimmten die Deutschnationalen dagegen.
Heute scheinen nun 130 Abgeordnete trotz aller
Gegengründe der Weisung Schumachers zu folgen.
Aber irgendwo muß ja auch in Deutschland die preußisch-deutsche Tradition der absoluten Kommandogewalt ihre Heimstätte haben.
Und so weit, Herr Schumacher, kann die inner-politische Ablehnung Adenauers doch nicht gehen, daß Sie darob außenpolitische Notwendigkeiten zur Verbesserung der Lage unseres Volkes preisgeben, Vorteile, die Sie, wenn Sie an der Regierung wären, als großen Erfolg buchen würden. Oder kann man dieses Europa und seinen ersten mutigen Schritt, den Schuman-Plan, bloß deshalb ablehnen, weil er nicht Ihrer Idee eines sozialistischen Europa entspricht?
Welches sind denn die Gründe für den Eintritt? Wo können wir besser für eine Lösung der Saarfrage wirken als innerhalb des Europarats, als in dauerndem Kontakt mit den friedlichen europäischen Staaten? Wo können wir die Unlogik der jetzigen Besatzungspolitik mit ihren Diskriminierungen und Härten besser aufzeigen als in einer Institution gleichberechtigter Staaten?
Wie können wir für unsere Heimatvertriebenen eher Hilfe finden, als daß wir endlich für dieses unser schwerstes Problem das Ohr der Welt gewinnen? Da drüben in Amerika haben wir festgestellt, daß selbst einflußreiche politische Kreise überhaupt nicht wissen, daß wir in Westdeutschland 8 Millionen Heimatvertriebene haben. Wo können wir besser hoffen, einen Ersatz für die einseitig Deutschlands Souveränität beengende Ruhrbehörde zu finden? Wie könnten wir uns wirtschaftlich schneller erholen und unseren Produktionsindex auf gleiche Ebene mit den weit vorgeschrittenen anderen europäischen Staaten bringen als in einem wirtschaftlich einheitlichen Europa? Wir denken nicht daran, in der Europaidee nur eine Ausflucht zu suchen. um unsere Lasten auf Europa abzuwälzen, um einen europäischen Lastenausgleich zu propagieren. Unsere vier Millionen Toten. unsere Kriegsgefangenen, unsere Kriegsversehrten und unsere Ruinen kann uns kein europäisches Land abnehmen. Aber man kann zum Beispiel einen gewissen Ausgleich unseres Bevölkerungsüberschusses oder unseres Kapitalmangels finden.
Ein deutsches Nein, wie es Schumacher vorschlägt, bringt uns um all diese Möglichkeiten, und wir sehen eben die Gefahr, daß wir den Zeitpunkt versäumen könnten, in dem der Aufbau Europas mit der notwendigen Hilfe der Vereinigten Staaten noch möglich ist, die vielleicht selbst einmal nicht mehr willens oder in der Lage sind, weiterhin so großzügig Mittel nach Europa zu geben.
Weiter sehen wir in einem europäischen Bund die Sicherung gegen eine sich neu bildende preußisch-deutsche Kommandostelle. Wenn schon Herr Adenauer so zentralistische Touren reitet wie bei der Bundespolizei, dann wäre ein Kanzler Schumacher das totale Ende des Föderalismus.
Wir wünschen, daß dieser übergeordnete europäische Bund möglichst stark und umfassend
wird, damit sich in der deutschen Bundesrepublik nicht mehr ein undemokratischer Kommandogeist bilden kann, der uns abstößt.
Schließlich denken wir ganz einfach folgendes. Nun haben wir jahrelang gewartet, wir waren draußen vor den Türen der Welt, wir haben noch vor kurzem nicht hoffen können. daß wir so bald wieder in der europäischen Völkerfamilie mitarbeiten können. Das hat auch Herr Schäfer bereits zum Ausdruck gebracht. Wir haben jetzt die berechtigte Hoffnung. mit diesem Schritt auch bald unsere völlige Gleichberechtigung zu erhalten.
In diesem Augenblick sollten wir nein sagen? Allerdings richten wir an die Alliierten den dringenden Appell: Geben Sie uns schon jetzt die Zusicherung, daß die im September sich füllende Jahresfrist für die Änderung des Besatzungsstatuts zur Wiederherstellung unserer nationalen Souveränität führen wird und daß wir als Völkerrechtssubjekt auch wieder eine eigene Außenpolitik fuhren können. Wenn der heutige Schritt in möglichst großer Geschlossenheit und Einigkeit erfolgt, dann werden auch die Alliierten nicht zögern, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Nun besteht wohl bei allen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, Einigkeit in der grundsätzlichen Bejahung der Europaidee, nicht aber in der Frage des Eintritts in den Europarat. Könnte nicht folgender Gedanke die Bedenken der SPD ausräumen? Ich meine. daß wir zwar den Europarat betreten, die 18 Abgeordneten wählen. sie auch nach Straßburg entsenden, daß diese aber dort als stumme Beobachter in der beratenden Versammlung bleiben, bis der deutschen Bundesrepublik die volle Gleichberechtigung zugestanden wird.
Stumme Beobachter und ein stummer Vorwurf! Sollte eine dahingehende Erklärung auf Änderung des Besatzungsstatuts im September durch die Alliierten schon jetzt erfolgen, dann wäre die Situation wesentlich erleichtert. Jedenfalls sollten wir einer so großen Idee und so viel gutem Willen von amerikanischer und französischer Seite dadurch begegnen. daß wir im Bundestag irgendeine Lösung finden, um diesen Staater in der Gestaltung Europas mitzuhelfen.
Da wir als Volk weiter bestehen und leben wollen, bejahen wir den Europarat als die notwendige Lebensgemeinschaft der europäischen Völker, als Schutz vor dem Aufleben veralteter Nationalismen, als Pfand für die Erhaltung des Friedens.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers, der Herr Bundesminister Blücher, hat das Wort zu einigen wenigen Bemerkungen.
Blücher, Vizekanzler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den zügigen Lauf der Parteierklärungen nicht unterbrechen. Nun hat aber bei dem Herrn Abgeordneten Dr. Seelos die Frage eines angeblich von der Bundesregierung gestellten Antrags einen solchen Raum eingenommen, daß ich befürchte: nachdem
übereilige Meldungen schon Verwirrung genug angerichtet haben, wird nach dieser breiten Debatte die Verwirrung noch größer.
Ich erkläre daher: die Bundesregierung und ebensowenig der Herr Bundeskanzler persönlich haben in keiner Weise bei den Alliierten Antrag auf Genehmigung einer Bundespolizei in Stärke von 25 000 Mann gestellt.
Im Zuge der laufenden Besprechungen ist selbstverständlich auch früher schon die Frage der Polizei ebenso wie jede andere Verwaltungsfrage angeschnitten worden. Das ist weder etwas Neues noch etwas Ungewöhnliches, und es würde bei jedem Verhandlungsführer dasselbe sein.
— Verzeihen Sie! Ich glaube ja nun nicht, Herr Abgeordneter Dr. Seelos, daß das für irgendeinen nachdenkenden Bundestagsabgeordneten neu gewesen wäre, daß im Zuge der Besprechung aller Dinge nun auch derartige Fragen einmal angesprochen werden. Aber es ist nichts von dem, was Sie als Positivum behauptet haben, beantragt oder besprochen worden. Ich glaube, das genügt.
Ich möchte aber gleich eine sehr gefährliche Außerung, die nachher untergehen könnte, auch noch aufgreifen. Für die Bundesregierung ist es selbstverständlich, daß eine Lösung, wie sie der Herr Abgeordnete Dr. Seelos mit Beziehung auf Berlin hinsichtlich der Straßburger Institution erwähnte, auf keinen Fall tragbar wäre.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Ich darf bemerken, daß ein Antrag des Zentrums zu diesem Verhandlungsgegenstand vorliegt, und darf annehmen, daß Sie, Frau Abgeordnete Wessel, auf diesen Antrag eingehen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Auseinandersetzung über den Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat, wie wir sie in diesem Hohen Hause bis jetzt erlebt haben, bietet nach all dem, was in den letzten Monaten an öffentlicher Diskussion über den Europarat vor sich gegangen ist, eigentlich keine Überraschung; denn wir wußten ja, daß einer Front der Jasager, von denen nicht alle unbedenklich ja sagen, auch eine Front der Neinsager gegenübersteht, der — zu ihrem überwiegenden Teil — dieses Nein unendlich schwer fallen dürfte und die jedenfalls durch ihr Nein zum Europarat kein Nein zu Europa zum Ausdruck bringen möchte.
Weil uns diese parlamentarische Situation nicht überrascht hat, sondern vorbereitet antrifft, sind wir, meine Damen und Herren, offensichtlich zu leicht bereit, sie als etwas Gegebenes hinzunehmen und so die wirklich ernstzunehmende Tragik - das ist auch aus diesen Verhandlungen hervorgegangen — und auch die Möglichkeit nicht mehr zu sehen, daß hier eine Einheitsfront der leidenschaftlichen Befürworter der Einheit eines freien Europas doch noch zustande kommen könnte.
Meine politischen Freunde und ich haben uns wieder und wieder die Frage vorgelegt, ob wir uns trotz der ursprünglich gegebenen Voraussetzungen für ein Bekenntnis der überwiegenden
Mehrheit dieses Hauses zu Europa wirklich schon unserer Pflicht entledigt haben, ob wir nicht doch noch einmal an das Hohe Haus appellieren sollten. Ich glaube, man kann es keinem derjenigen, die bisher an dieser Stelle zum Europarat gesprochen haben, absprechen, daß er in Wahrheit für Europa gesprochen hat. Wir haben uns deshalb entschlossen, noch einmal an das Hohe Haus zu appellieren, ob es sich nicht doch zu einer gemeinsamen Aktion zusammenschließen könnte, die wirklich unserer gemeinsamen europäischen Überzeugung entspricht.
Ich habe mich vorwiegend deshalb hier zum Wort gemeldet, weil ich glaube, es könnte sowohl für die Regierungkoalition als auch für die sozialdemokratische Fraktion ein annehmbarer Vorschlag sein, einem Antrag zuzustimmen, der einerseits über unsere grundsätzliche Zustimmung zu der Vereinigung des freien Europas nicht den geringsten Zweifel läßt, der andererseits aber, wenn er durchgeführt wird, nicht etwa nur denjenigen, die heute eigentlich nein sagen wollen, sondern auch denen, die trotz Bedenken ja sen möchten, doch noch eine gemeinsame Aktion ermöglichen würde.
Es handelt sich bei diesem Antrag der Zentrumsfraktion, der dem Herrn Präsidenten bereits vorliegt, nicht um ein faules Kompromiß. Ich habe die Überzeugung und die Hoffnung, daß es uns gelungen ist, in diesem Antrag diejenigen wesentlichen Punkte zu präzisieren, die die große Mehrheit dieses Hauses als noch ungeklärt erkannt hat und die vielen von uns ernste Sorgen bereiten. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich Ihnen den Antrag meiner Fraktion zur Kenntnis bringe, und prüfen Sie dann einmal unvoreingenommen. Glauben Sie mir, daß uns nichts anderes leitet als der aufrichtige Wunsch, Mittel und Wege für eine Zusammenarbeit dieses Hohen Hauses zum Wohle Deutschlands und aller freien europäischen Völker aufzuzeigen. Es ist nicht ganz leicht, über die parteipolitischen Schatten zu springen. Wenn man dazu noch eine wahlpolitische Entscheidung fast unmittelbar vor sich hat, dann kann hie und da die Neigung zu Auseinandersetzungen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit etwas überwiegen. Aber, meine Damen und Herren, der Wahlkampf verrauscht, doch die jetzt fällig gewordene politische Entcheidung bleibt bestehen. Was wir heute versäumen, ist unwiderruflich versäumt. Ich bitte Sie, Ihre Haltung zu dem vorliegenden Antrag der Zentrumsfraktion in diesem Bewußtsein abzuwägen.
Unser Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, auf Grund der Vollmacht, die ihr von den Hohen Kommissaren zu unmittelbaren Verhandlungen mit den Regierungen anderer Staaten erteilt worden ist, mit .den Regierungen von Großbritannien, Frankreich, der Niederlande, von Belgien, Luxemburg, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, Irland, Griechenland, der Türkei und Italiens Verhandlungen aufzunehmen, um über folgende Punkte ein Übereinkommen zu erzielen:
1. Die Bundesrepublik Deutschland vertritt im Europarat Gesamtdeutschland, einschließlich der deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie.
2. Die beratende Versammlung des Europarats wird zu einem von den Regierungen der einzelnen Staaten unabhängigen europäischen Parlament ausgestaltet.
3. Die deutsche Forderung auf Ablehnung einer Remilitarisierung Deutschlands wird anerkannt.
4. Auf der Grundlage des Schuman-Plans soll eine vom Europarat kontrollierte politische und wirtschaftliche Vereinigung des freien Europas geschaffen werden.
Der Bundestag setzt die Beratung des Gesetzentwurfs über den Eintritt in den Europarat aus, bis die Bundesregierung das Ergebnis ihrer Verhandlungen dem Bundestag vorlegt.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mit größtem Nachdruck unterstreichen, daß es sich bei dem Antrage meiner Fraktion durchaus nicht um den Versuch handelt, der Bundesregierung auf dem Gebiete der Außenpolitik irgendwelche besonderen Schwierigkeiten zu bereiten. Ich bestreite nicht, daß die außenpolitische Aktivität des Herrn Bundeskanzlers uns manchmal etwas befremdet hat und uns nicht immer zweckmäßig erschienen ist. Aber es sind nicht die außenpolitischen Probleme, sondern die wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme, die meine Freunde und mich, wie ich gestehe, zu einer manchmal sehr erheblichen Reserve gegenüber der Bundesregierung veranlaßt haben. Die außenpolitische Entwicklung scheint uns dagegen im wesentlichen zwangsläufig zu sein. Trotzdem ist es nicht notwendig, ihr etwa mit einer solchen Eile zu folgen, daß wir Deutschen dabei, obgleich wir gemeinsam das gleiche Ziel haben, auseinandergeraten und damit wirklich fatale Gegensätze heraufbeschwören, wie wir das heute hier erlebt haben.
Die Bundesregierung hat nicht den geringsten Anlaß, meiner Fraktion die Einbringung dieses Antrags zu verübeln; denn er behandelt alle die Fragen, die in diesem Hause schon dargelegt worden sind und die wahrscheinlich auch diejenigen, die dem Eintritt in den Europarat zustimmen möchten, noch mit Sorge erfüllen.
Ich darf hervorheben, daß zum Beispiel der Punkt 1 unseres Antrags, wonach Anerkennung dafür angestrebt wird, daß die Bundesregierung im Europarat das ganze Deutschland einschließlich der deutschen ,Gebiete jenseits der OderNeiße-Linie vertritt, nichts anderes darstellt als die Konsequenz dessen, worüber wir heute morgen hier in diesem Hohen Hause abgestimmt haben. Wenn es nämlich auch in der Präambel zum Grundgesetz heißt, daß wir hier im Westen auch für jene Menschen handeln, denen mitzuwirken versagt ist, so ist das doch wohl eine nicht nur auf das Grundgesetz zu beziehende Feststellung.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, darf ich das Hohe Haus aber auch bitten, von der allgemeinen Situation — der deutschen Lage und der europäischen Lage — die Motive herzuleiten, die meine Fraktion zur Einbringung ihres Antrags veranlaßt haben. Wir anerkennen durchaus, daß die an Deutschland ergangene Einladung nach Straßburg, international gesehen, hinsichtlich der völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Einschränkung der deutschen Souveränität außergewöhnlich ist. Wir verschließen uns auch nicht den Ausführungen der Befürworter des Europarats, die in ihm eine Etappe zum Weltfrieden sehen möchten, wie man es auch bei der Gründung der UNO geglaubt hat und nunmehr beim Uberschauen der Weltsituation - genau wie beim Völkerbund — doch feststellen muß, daß eine Weltvereinigung zur Sicherung des Friedens eine Utopie ist. Die Machtlosigkeit der UNO, des Weltsicherheitsrats und aller damit verbundenen Gremien zeigt, daß kriegerische Konflikte nicht vermieden werden, und der Glaube daran ist evident. Wir müssen nüchtern die tatsächlichen Möglichkeiten und die Weltsituation sehen, um daran unsere eigenen Entschlüsse zu messen. Vielleicht war nie die Gefahr so groß wie heute, daß man im Gegensatz zur Wirklichkeit Hoffnungen hegt, die in einer Welt von Realitäten eben doch Hoffnungen bleiben müssen.
Da das deutsche Volk in unserer von ungeheueren Spannungen und Drohungen erfüllten Welt mitten im Brennpunkt des Geschehens steht, ist die Verantwortung, die wir als deutsche Politiker zu tragen haben, ungleich schwerer und von einer für unser Volk geschichtlich gesehen viel größeren Bedeutung, als die Verantwortung der Politiker anderer Länder und anderer Staaten.
Die gegenwärtige Weltenstunde, meine Damen und Herren, zeigt wieder einmal die Tragik des deutschen Menschen auf, wie es so oft schon in der langen Zeit seiner Geschichte der Fall gewesen ist. Entweder sind wir Hammer oder wir sind Amboß. Daß Europa am Leben bleibt, ist doch unser aller Anliegen. Nach welchen Methoden es geschieht, ob allein der Europarat das Gremium ist, das dazu dienen kann, das ist die Frage, die uns heute gestellt ist und mit der wir uns auseinanderzusetzen haben.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schumacher hat erklärt — und es sind von dem Herrn Bundeskanzler auch Ausführungen von ihm hier angeführt worden —, daß seine Partei für Europa, aber gegen eine europäische Aktiengesellschaft sei. Nach seiner Auffassung ist der Europarat in seiner heutigen Gestalt und seine Einlagerung in die Kräfteverhältnisse der Welt nicht identisch mit Europa schlechthin; Europa als der Ausdruck der Zusammenarbeit freier Völker trage einen unerschütterlich hohen Wert in sich. - Es scheint mir doch notwendig zu sein, angesichts der Debatten, die hier geführt worden sind, dieses gemeinsame Anliegen, ich glaube auch das Anliegen des Herrn Kollegen Schumacher und seiner Partei, hinsichtlich Europas festzuhalten, damit wir uns in dieser Frage hier in diesem Hause nicht noch mehr auseinanderdebattieren, wir, die wir für den europäischen Gedanken gekämpft haben und die ihm vielleicht auch nach dem Zusammenbruch treu geblieben sind. Nicht treu geblieben sind ihm vielfach die Kreise und die Parteien, die sich heute als die „echten Europäer" gegen Straßburg erklärt haben.
Jedenfalls darf ich, meine Damen und Herren, für die Zentrumspartei aussprechen, daß wir immer leidenschaftliche Vertreter des europäischen Zusammenschlusses gewesen sind, und ich darf für mich persönlich in Anspruch nehmen, daß ich bereits am 11. August 1946 in einer Broschüre
„Von der Weimarer Republik zum demokratischen Volksstaat" geschrieben habe:
Das zweite große Ziel des neuen demokratischen Staates, der zukunftsbejahend seine Aufgabe sieht,
— nachdem ich als erste Forderung die soziale Gestaltung der Demokratie gestellt habe —
ist das Bemühen um Europa.
Jeder spürt, daß große Wandlungen im europäischen Raum im Gange sind, und die Zahl derer, die an die Formen und an die Festigkeit des Bodens, auf dem sie stehen, glauben, wird immer kleiner. Was heute aus Asien über Rußland nach Europa einströmt, ist die große Unbekannte der Zeit. Europa ist ganz anders in Bewegung geraten als etwa zur Zeit der großen Französischen Revolution. Das Schicksal steht heute vor Europas Tür.
Meine Damen und Herren! Es gibt Menschen — vielleicht sind sie deswegen die besten Europäer, weil sie um die Grenzen Europas wissen, weil sie den Standort kennen, den die Zeit heute bestimmt —, die in der dunkelsten Zeit an Europa glaubten und bereit waren, ihr Land in Europa aufgehen zu lassen und die heute — in der Tat gehört es zu dem, was man Tragik nennen darf —, vor der Schwelle des Europarats in Straßburg stehen und nicht wissen, ob sie eintreten sollen. Meine politischen Freunde und ich gehen in der Bewertung des Europarates auch nicht so weit — auch das möchte ich einmal erwähnen —, wie es zum Beispiel Kollege Dr. Schumacher tat, daß er nichts anderes als eine europäische Aktiengesellschaft sei. Noch weniger teilen wir die Auffassung der Kommunisten, daß der Europarat als eine amerikanische Firma zu betrachten sei, die gleichsam alle Tochtergesellschaften des amerikanischen Kapitalismus auf westeuropäischem Boden sich angliedern will, nachdem diese vorher alle pleite gegangen sind. Wir lehnen auch die nationalistischen Überspitzungen jener Rechtskreise ab, die in völliger Verkennung der Wirklichkeiten und Realitäten in der deutschen Situation sich gleichsam als den Nabel der Weltpolitik sehen.
Wir müssen nach allem, was das Hitler-Deutschland an Schrecken und Leid über die Welt gebracht hat, dankbar sein für das, was seit den Tagen des Zusammenbruchs uns an Hilfe von den Weststaaten gewährt worden ist; wir müssen auch dankbar sein für jene politischen Freiheiten, die sich gegenüber dem Leben in der sowjetischen Besatzungszone so beglückend abheben.
Maßgebend für die Stellung der Zentrumsfraktion zum jetzigen Eintritt in den Europarat ist vor allem die Beurteilung der deutschen Situation, wie wir sie als Kriegsfolge heute vor uns sehen. Es sind vor allem zwei Tatsachen, die die deutsche Situation charakterisieren: Die Vertriebenenfrage und die Teilung Deutschlands. Diese Tatsachen sind nicht durch die Deutschen, sondern durch die Siegerstaaten im deutschen Raum geschaffen worden. Man muß in diesem Zusammenhang auch einmal aussprechen, daß es nicht nur die Tragik Deutschlands, sondern die Tragik Europas ist, daß die Kriegsgegner Deutschlands 12 Millionen deutschen Menschen ihre Heimat und ihre Lebensexistenz genommen haben, zum Teil auch in jenen Ländern, die heute die Satelliten Rußlands sind. Diese Vertriebenen sind aber, abgesehen von aller gefühlsbetonten Beurteilung ihres menschlichen Schicksals, die stärkste Hypothek, die die deutsche Bundesrepublik einzulösen hat.
Auch die andere Tatsache, die Teilung Deutschlands, wird sich zu einer Katastrophe nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa auswirken, wenn sie eine dauernde bliebe. Wir wissen es doch aus der Geschichte Europas, welch schweres Unglück schon die Teilung Polens über Europa gebracht und wie sie zu einem dauernden Unruheherd geführt hat. Gewiß, die Erfahrung der Zeit zwischen den beiden Kriegen und seit 1945 muß uns Deutschen die Lehre geben, daß es keinen Sinn hat, auch bei allem Idealismus für Europa und für den Gedanken Europas. sich über Probleme hinwegzutäuschen und der Wirklichkeit nicht ins Auge zu sehen. Die Wirklichkeit ist aber nicht nur die Teilung Deutschlands, sondern die Teilung Europas. Man spricht hier dauernd von Europa, während es sich doch in Wirklichkeit nur um Westeuropa handeln kann. Wir Deutsche müssen in diesen Debatten, wenn wir von Europa sprechen, auch das ganze, das gemeinsame Europa sehen. Ich will nicht verkennen, daß auch in der heutigen Debatte gewiß viele zwingende Gründe dafür sprechen — wie sie auch von den Vorrednern dargelegt worden sind —, daß sich wenigstens das westliche Europa, weil ihm Hilfe geboten wird, vor dem Untergang zu retten versucht. Aber ich glaube, doch aussprechen zu müssen: Alles Mühen wäre letzten Endes nutzlos, wenn nicht eine Rettung ganz Europas im Auge behalten wird.
Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: Der zweite Weltkrieg hat Europa vollends um seine beherrschende Stellung in der Welt gebracht. Dieses Europa, zu dem wir nicht nur geographisch, sondern — lassen Sie mich das so ausdrücken — zu dessen Kultur- und Lebenskreis wir hier in Deutschland gehören, ist ja in Wirklichkeit nur noch ein Torso, nachdem fast die Hälfte durch den Eisernen Vorhang getrennt worden ist, fast die Hälfte, wenn sie das europäische Rußland nicht mehr zu Europa zählen.
In wirtschaftlicher Hinsicht möchte ich die Ausführungen, die von Herrn Dr. Schumacher gemacht worden sind, noch mit einigen Zahlen unterstützen. 1913 verfügte Europa über ein Auslandsguthaben von 150 Milliarden Goldmark in der außereuropäischen Welt. Das bedeutete, daß es jährlich 10 Milliarden Goldmark allein an Zinsen verbrauchen konnte. Nachdem Europa zwei Weltkriege hinter sich hat, ist heute nichts mehr davon vorhanden. Europas Anteil an der Weltausfuhr ist seit 1913 von 60 auf 30 %, also um die Hälfte, sein Anteil an der Weltindustrieproduktion von 50 auf 25 bis 30 % zurückgegangen. Das sind die Ursachen, weshalb Europa heute immer tiefer in die Schuld der USA geraten ist. Die Reden der europäischen Staatsmänner mögen noch so interessant und gescheit sein, wenn es sich aber um die 'entscheidenden Themen der Sicherheit und des Wohlstandes ihrer Länder handelt, dann richten sie doch ihre hilfesuchenden Blicke nach Washington. Das bedeutet, daß die wichtigen Entscheidungen für Europa heute vornehmlich nicht von europäischen, sondern von außereuropäischen Staaten getroffen werden.
Nun hat gewiß die Außenministerkonferenz, von der vor allen Dingen der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, und auch die Tagung der am Atlantikpakt beteiligten Staaten ergeben, daß wir
an einem Wendepunkt unserer Nachkriegspolitik stehen, von dem es wesentlich abhängt, ob wir auf einen Zusammenschluß Europas und den Frieden oder auf dem bisherigen Weg der Zweiteilung der Welt mit der Gefahr eines dritten Weltkrieges marschieren. Gleichsam über Nacht hat das Thema Europa ein anderes Gesicht bekommen, und die Verfechter der Rettung Europas um des europäischen Geistes und Erbes willen sind doch in etwa aus dem Sattel geworfen worden. An ihre Stelle sind getreten die Befürworter des Kalten Krieges und der totalen Diplomatie. Der Zusammenschluß Europas steht doch nicht mehr, wie es heute vielfach aus den Reden durchgeklungen ist, einzig und allein im Zeichen kultureller Gemeinschaft, wirtschaftlicher Vernunft oder politischer Thesen. Seine leitende Idee ist doch heute die Verteidigung, noch genauer gesagt, das Verteidigungspotential geworden.
Der kürzlich verstorbene Franzose Emanuel Monier, dessen ganze Arbeit von. echt europäischem Geist erfüllt war, hat in einem Artikel „Versäumte Gelegenheiten" die europäische Stellung und Aufgabe Deutschlands mit folgenden Sätzen charakterisiert:
Es ist als neues Reich der Mitte berufen, die endgültige Spaltung Europas zu verhindern, die auch die endgültige Spaltung des deutschen Vaterlandes und wahrscheinlich ein neues Blutbad auf seinem Boden mit sich bringen würde. Wenn aber Europa in sich selbst die Mittel finden kann, sich dieses Unglück zu ersparen, so ist Deutschland durch seine geographische Lage dazu berufen, diese Mittel aufzuspüren.
Wir im Zentrum glauben, daß wir dem europäischen Gedanken am tiefsten dienen, wenn wir die endgültige Spaltung Europas verhindern. Wir müssen unser Bemühen darauf richten, daß wir aus der Versteifung und Erstarrung wieder herauskommen, in die Ost und West immer mehr hineingeraten sind. Nur dann wird die Welt zur Ruhe kommen, nur dann wird Europa aus einer wirklichen oder vermeintlichen Gefahr der Bedrohung seiner Existenz herauskommen. Was für ein Gewinn würde das für die gequälten und in Angst lebenden Menschen unserer Zeit sein!
Wir haben deshalb die Forderung begrüßt, die McCloy in der Richtung auf gesamtdeutsche Wahlen ausgesprochen hat. Wir dürfen, wenn auch das Echo darauf bisher aus der Ostzone nicht so laut geworden ist, trotzdem nicht darauf verzichten, für diese Forderung das ganze deutsche Volk in seiner Gesamtheit zu gewinnen und den Willen zur Einheit Deutschlands so stark zum Ausdruck zu bringen, daß sich in absehbarer Zeit doch alle Besatzungsmächte gezwungen sehen, sich mit dieser deutschen Bewegung auseinanderzusetzen.
Sie werden sich erinnern, meine Damen und Herren, daß ich wiederholt in diesem Hohen Hause versucht habe, die Mauer der Gegensätze zwischen Ost und West nicht höher zu ziehen, vielmehr eine Brücke zwischen den beiden Deutschland diesseits und jenseits der Zonengrenze zu schlagen. Diese' wohlabgewogene Haltung der Zentrumsfraktion in der Ostfrage schien mir notwendig zu sein aus der Erkenntnis, daß ohne diese Entwicklung es nie zu einer Einheit Deutschlands kommen kann.
Wir denken aber nicht daran — und ich möchte das ebenso deutlich aussprechen —, wenn wir von der Notwendigkeit einer Verständigung zwischen Ost und West gesprochen haben, mit dem Gedanken zu spielen, daß man eines Tages mit den Russen gehen könne, etwa auf der Ebene von Rapallo. Seit dem Vertrag von Rapallo hat sich vieles zwischen Deutschland und Rußland ereignet, wobei nicht zuletzt das Verhalten Rußlands in der Kriegsgefangenenfrage und seine Verwaltungsmethoden in der Ostzone zu erwähnen sind, als daß uns eine solche Politik möglich erscheint. Gewiß wird ein geeintes Deutschland seine Beziehungen zum russischen Volk und zur russischen Regierung haben, wie es entsprechende Beziehungen zu anderen Völkern der Welt hat; aber es muß Klarheit darüber bestehen, daß wir uns jeder Beeinflussung unseres nationalen Eigenlebens oder gar der Russifizierung unseres Landes mit allen Mitteln widersetzen werden und hier zu keinerlei Kompromissen mit einer SED bereit sein können. Wohl aber haben wir .die Realitäten zu erkennen. Wir wissen, daß vieles an eigenen Ideologien und an fremden Befehlen in den beiden Deutschland diesseits und jenseits der Zonengrenze herrscht. Wir können weder die Realität der verschiedenen Besatzungsregime aus der Welt räumen, noch können wir es verhindern, daß drüben andere Gesetze gelten als hier. Aber wir sollten doch auch sehen, daß es noch vieles gibt, was die Menschen der Ost- und Westzone verbindet, was in dem Lärm und dem Haß um die Gegensätze in der Welt nicht untergehen darf. Deutschland gehört uns immer noch gemeinsam, uns, den 40 Millionen und mehr Menschen hier in den Westzonen und den 18 Millionen drüben in der Ostzone. Mögen wir auch verschiedene politische Vorstellungen haben, .die Idee Deutschland darf nie in der Diskussion untergehen. Das gemeinsame, das einheitliche Deutschland für die Zukunft zu retten, ist auch uns hier im Bundestag als die entscheidende Aufgabe gestellt. Es ist eine schwere Aufgabe, vielleicht die schwerste, die jemals deutschen Staatsmännern und deutschen Abgeordneten gestellt worden ist.
Meine Damen und Herren! Die in der Politik wesentliche Kunst des Abwartens und des Erwartenkönnens beherrschen wir Deutschen leider nur spärlich. Wir sollten sie mehr üben. Wenn je die Notwendigkeit dazu bestand — und ich glaube, daß das auch aus der Debatte hervorgegangen ist —, die Dinge auf uns und zu uns sich entwickeln zu lassen, dann besteht sie heute.
Von dieser Haltung aus sehen meine politischen Freunde und ich auch die Frage des Eintritts Deutschlands in den Europarat. Lassen Sie mich hier noch eine ausländische Stimme anführen, die des „Manchester Guardian", der dazu feststellte, daß jede Konzeption Westeuropas und seiner Beziehungen zum Osten in starkem Maße von der Rolle abhängt, die man Deutschland zudiktiert. Er sagte wörtlich:
Wenn wir die Bundesrepublik in die EuropaUnion aufnehmen und diese Partnerschaft darüber hinaus noch auf gleicher Ebene sein soll, d. h. mit gleichen politischen Rechten und einer Armee, so tragen wir erheblich dazu bei, daß die Spaltung Deutschlands nie behoben wird.
Und in der „Times" vom 5. April 1950 heißt es: Wenn Westdeutschland in ein vereinigtes
Europa eingegliedert wird, muß es selbstverständlich eines Tages seinen Anteil an den Verantwortungen und an den Vorrechten der Verteidigung übernehmen. Der Europarat ist ein kooperatives Element des Atlantikpaktes. Das Ganze ist ein konstruktives System. Innerhalb eines solchen Systems kann man sich nicht das eine aussuchen und das andere meiden.
Meine Damen und Herren! Das sind genau die Fragen, die uns bewegen, daß der Eintritt Deutschlands in den Europarat jetzt und zu dieser Zeit in seiner weittragenden Konseqeunz auch die Einbeziehung Deutschlands in den Atlantikpakt und als weiteres unsere Wiederaufrüstung zur Folge haben könnte. Und das, meine Damen und Herren, zu einer Zeit, in der der Kriegszustand mit Deutschland, fünf Jahre nach seiner totalen Kapitulation, noch nicht für beendet erklärt ist! Ich möchte deshalb hier im Namen der Zentrumsfraktion unabhängig davon, wie die Frage des Eintritts in den Europarat entschieden wird, erklären, daß wir uns mit aller Leidenschaft und Entschiedenheit gegen jede Remilitarisierung und Wiederaufrüstung Deutschlands aussprechen.
Wenn wir uns so entschieden gegen diese Wiederaufrüstung aussprechen, dann denken wir an die Millionen unserer Toten, die Millionen der Opfer der Heimat, an die Kriegsverletzten und Kriegshinterbliebenen. an die Witwen und Waisen und die Millionen unserer Vertriebenen. Sie fordern von uns, daß wir ihr Schicksal über all unserm Tun nicht vergessen. Die deutschen Frauen und Mütter, die schon zweimal die Schrecken eines Krieges erlebt haben und ihre liebsten Menschen hergeben mußten, fordern von uns, alles daran zu setzen, daß nicht ein drittes Mal die Blüte unseres Volkes auf den Schlachtfeldern Europas vermodert.
Mit allem Nachdruck, meine Damen und Herren, möchte ich hier auch das unterstreichen, was die letzte Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland erklärt hat:
Kriege entstehen nicht von selbst. Menschen sind es, die den Krieg beginnen.
Und wer die Mentalität unseres Volkes kennt, wird sich über eine so selbstverständliche Feststellung nicht wundern. Die Apathie und die so häufig gehörte Meinung, Kriege seien eben Schicksal für die Völker, so wie Gewitter und Sturmfluten kommen, lähmen so leicht die Wachsamkeit und die Widerstandskraft gegen alle tatsächlichen Kriegsvorbereitungen.
Wir bitten deshalb — so fährt die Synode der Evangelischen Kirche fort —
alle Glieder unseres Volkes: Haltet euch fern von dem Geist des Hasses und der Feindschaft! Laßt Euch nicht zum Werkzeug einer Propaganda machen, durch die Feindschaft zwischen den Völkern gefördert und der Krieg vorbereitet wird. Verfallt nicht dem Wahn, es könne unserer Not durch einen neuen Krieg abgeholfen werden! Wir begrüßen es dankbar, daß die Regierungen der Welt diesen Schutz gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und der Fürbitte der Kirche gewiß sein.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal daran erinnern, daß die Zentrumsfraktion bereits am 6. 12. 1949
mit dem Antrag Drucksache Nr. 276 die Bundesregierung aufgefordert hat, in einem Gesetz die im Grundgesetz garantierte Kriegsdienstverweigerung zu manifestieren. Wir stellen diese Forderung heute erneut an die Bundesregierung.
Lassen Sie mich noch eine Stimme anführen, die auch, glaube ich, bezeichnend für die Situation ist, in die man Deutschland hineinbringen möchte. In der „Daily Mail" las man vor einigen Wochen eine verblüffende Begründung für die Notwendigkeit einer deutschen Aufrüstung. Bliebe Deutschland abgerüstet — so hieß es darin, so wäre es von einer ungeheuren Finanzlast befreit und könnte es die anderen Länder von allen Weltmärkten verdrängen. Wenngleich dazu zu sagen ist, daß auch ohne Aufrüstung Deutschland als Folge der beiden Weltkriege genug Finanzlasten zu tragen hat, die es nicht gerade zu einem leichten Sturm auf den Weltmarkt befähigen — ich brauche hier nur auf die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer hinzuweisen, daß der Staat den Unterhalt von rund 15 Millionen Rentenempfängern und Versorgungsberechtigten zu tragen hat —, so lohnt es sich immerhin, festzustellen, welche Arten der Argumentation heute möglich sind.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, in meinen Ausführungen dargelegt zu haben, welche Stellung und welche Aufgaben wir der Bundesrepublik zur Befriedung Deutschlands, aber auch zur Befriedung Europas zuerkennen. Wir haben mit großem Interesse die Reden von London gehört. Wir verstehen, daß dort angesichts der allgemeinen politischen Lage nach einem Westeuropa gerufen wird. Wir aber verlangen Europa schlechthin. Wir sind für kein Westeuropa und für kein Osteuropa; denn wir wissen, daß Europa nur in der Einheit das wahre Europa ist, das geistige Europa, einerlei wie gestern oder heute oder morgen infolge irgendwelcher vorübergehender Erscheinungen die Kräfte in einem Lande spielen. Wir alle leben in einem kleinen und begrenzten Zeitabschnitt; aber die Völker haben alle eine Substanz, die in der Geschichte entstanden ist und sich in der Geschichte auswirkt. Auch Europa ist nicht von heute auf morgen geworden. Es befindet sich in ständiger Entwicklung, und wir hoffen doch alle: auch in ständigem Fortschritt. Und wenn der Sinn der Menschheitsgeschichte Fortschritt bedeutet, dann haben wir die Hoffnung, daß Europas Rolle trotz aller Schicksalsschläge nicht ausgespielt ist.
Und so komme ich zum Schluß. Ich möchte noch einmal, meine Damen und Herren, den Antrag meiner Fraktion zur Erwägung stellen, in dem Fragen aufgeworfen sind, von denen ich weiß, daß sie nicht nur manches Mitglied dieses Hohen Hauses, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit stark bewegen. Der Antrag meiner Fraktion enthält konkrete Vorschläge, wie diese Fragen, von denen hier gesprochen worden ist, gelöst werden können. Ich meine, daß er darüber hinaus auch Anregungen dafür bietet, wie Straßburg wirklich zum Ausgangspunkt und zur Wiege des vereinten und freien Europas gestaltet werden kann.
Wir sind gewiß bereit, uns auch mit anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses darüber zu verständigen, daß einige Formulierungen vielleicht noch geändert und anders gefaßt werden. Wir möchten deshalb vorschlagen, daß unser Antrag in der für morgen, Mittwoch, vorgesehenen Sitzung des außenpolitischen Ausschusses mit behandelt wird.
Noch einmal möchte ich Sie bitten, meine Damen und Herren, diesen Zentrumsantrag unvorein-
genommen zu prüfen und nicht das Gefühl zu haben, unter irgendwelchem Zeitdruck sofort und unaufschiebbar handeln zu müssen. Es ist doch besser, einen Schritt ganz und in voller Klarheit als ihn halb und in Ungewißheit zu tun.
Wir stehen — davon bin ich überzeugt — mit unseren Sorgen um Europa keineswegs allein, und wir brauchen nicht zu befürchten, die westliche Welt würde verkennen, daß eine Zustimmung dieses Hohen Hauses zu dem von uns vorgelegten Antrag den Ausdruck eines Bekenntnisses zu Europa und zu einem aufrichtigen Friedenswillen bedeutet und letztlich von dem Ziel bestimmt ist, in diesem Hohen Hause eine entsprechend breite Front für diesen Gedanken zu gewinnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Hause am heutigen Tag so oft von Europa gesprochen worden, daß, wenn Europa mit Deklamationen zu schaffen wäre, es längst stehen müßte. Aber ich habe immer wieder den Eindruck, daß man nur deklamiert und vergißt, zur Tat zu schreiten und zum Ziel zu kommen.
Der Herr Vertreter der Opposition Dr. Schumacher hat sein Nein damit begründet, daß er zu Europa an sich unter den und jenen Voraussetzungen ja sagte, dann aber so ein halbes Dutzend „Aber" daran knüpfte, um mit einem Nein zu enden. Und meine verehrte Vorrednerin brachte aus dem sympathischen Gedanken, eine Einheitsfront herzustellen, einen Vermittlungsvorschlag, der voller Irrealitäten steckt, während sie gleichzeitig davon spricht, man müsse den Dingen real ins Auge schauen. Da scheint es mir richtig zu sein, die Notwendigkeit, daß Europa endlich wirklich zum Zuge kommt, mit ein paar Worten zu begründen.
Die älteren unter uns werden sich aus ihrer eigenen Jugend noch an die Zeit des Boxeraufstandes
und an die Zeit erinnern, in der der deutsche Botschafter in Peking ermordet wurde, in der dann Europa geschlossen auftrat
und ein chinesischer Prinz als Sühneprinz mit all dem Gepränge, das die damalige Zeit auszeichnete, nach Berlin kommen und Kotau machen mußte. Wenn Sie sich demgegenüber überlegen, daß im August des vergangenen Jahres das letzte Kanonenboot einer europäischen Macht unter den Schüssen der Maotsetung-Armee den Jangtsekiang verließ, dann wissen wir und merken wir alle, was in diesen noch nicht fünfzig Jahren geschehen ist: ein Abstieg der europäischen Macht in einem heute noch erst von sehr Wenigen erkannten Ausmaß.
Am 27. Dezember 1949 ging in Batavia die holländische Fahne nieder, und an Stelle des niederländischen Kolonialreichs entstand der Staat Indodesien. Ein Jahr zuvor entstanden die Staaten Pakistan mit 80 Millionen und Hindustan mit 300 Millionen Einwohnern. Sie bedeuten das Ende der europäischen Kolonialherrschaft in weiten Gebieten der Erde. Eine Umstellung auch der wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Mutterländern wird wahrscheinlich die Folge sein. Alle diese Dinge bedeuten einen Umsturz in einem Ausmaße, dessen wir uns noch gar nicht bewußt geworden sind. Und dann steht dieses Europa da mit Staaten von 4 Millionen, 7 Millionen, 8 Millionen, 250 00 usw. Einwohnern und begreift noch nicht, was die Uhr in Wirklichkeit geschlagen hat.
Kürzlich wurde bei unseren französischen Nachbarn die Erinnerung an die Schlacht auf den Katalaunischen Gefilden, an jene Zeit wachgerufen, als im Raume von Paris bei Reims der Ansturm der Hunnen aus dem Osten endlich von Westeuropa zum Stehen gebracht wurde. Die Menschheit hat leider vergessen, was von jener Zeit an späterhin, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, geschehen war. Da hat es im Laufe dieser Jahrhunderte das deutsche Volk fertiggebracht, alle diejenigen Völkerschaften, die je und je aus dem Innern des asiatischen Raumes nach Westen vorstießen, zum Stehen zu bringen. Ich nenne die Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg, die Entsetzung des belagerten Wien, und zwar auch mit Hilfe des polnischen Königs Sobieski und die Eroberung von Belgrad. Und was war das Ergebnis alles dessen? Als wir älteren zur Schule gingen, lernten wir damals noch, daß die Grenzen Europas am Ural verliefen. Als der erste Weltkrieg vorbei war, verlegte man die Ostgrenzen Europas an die Pripetsümpfe, an die Ostgrenze Polens. Und wenn wir uns heute die Entwicklung der Geschichte anschauen, dann könnten wir versucht sein zu glauben, die Ostgrenze Europas sei zur Zeit auf der Linie LübeckTriest zu suchen. Das sind die Tatsachen, wenn wir nun schon mal von Realitäten und ihrer Beachtung sprechen wollen, die wir zu bedenken haben. Und wenn daraus nicht folgt, daß nun endlich nicht mehr mit den Methoden Richelieus oder Choiseuls, sondern mit den Methoden europäischer Gemeinsamkeit, europäischen Denkens außenpolitisch gehandelt werden muß, dann kann diesem Europa nicht mehr geholfen werden!
Es war uns eine besondere Freude, daß wir nach den Debatten über die Saar nun heute auch den Schuman-Monnet-Plan als einen Ausdruck echt europäischen Denkens und echt europäischen Wollens begrüßen können. Wir beglückwünschen die französische Regierung zu diesem Vorschlag. Wir beglückwünschen sie zu der Initiative und Tatkraft, mit der sie die Dinge nun in europäischem Geist zur Tat voranbringt.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker!
Und noch einen Gedanken bitte ich zu beachten, und zwar auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Sie wissen, daß wir im Jahre 1937 einen Einfuhrbedarf an Lebens- und Futtermitteln unter Zugrundeliegen einer Kalorienhöhe von 2 700 pro Person von eindreiviertel Milliarden RM hatten. Das bedeutet: wir mußten erst Devisen in Höhe von über drei Milliarden für Einfuhr von Rohstoffen schaffen, um durch deren
1 Verarbeitung nun immer wieder neu die drei Milliarden für den Neueinkauf von Rohstoffen und die eindreiviertel Milliarden Überschuß für den Bedarf an Lebensmitteln und Futtermitteln zu schaffen. Das war damals bei 2 700 Kalorien. — Übrigens: wie lange ist es her, daß man nicht mehr von Kalorien spricht? Wir haben auch das schon wieder schnell vergessen! — Und wie sieht nun, da wir die Ostprovinzen, die landwirtschaftlichen Überschußprovinzen verloren haben, die Rechnung für Deutschland aus? Erhöhter Export ist notwendig, um uns auf dieser Höhe der Ernährung zu halten. Ferner: jedes andere europäische Land industrieller Art, Belgien, Holland, England, Italien, in gewissem Maße auch Frankreich, haben dieselbe Not. Ergebnis: Wenn alle getrennt vorgehen, ist die Folge, daß jeder getrennt mit dem andern Konkurrenz treiben muß, um seinen Export abzusetzen; denn die Absatzmärkte sind ja in der Welt geschwunden. Auch das hat sich noch nicht überall richtig herumgesprochen. Infolgedessen ist die einzige Konsequenz, die sich daraus ergibt, der Zusammenschluß der europäischen Mächte zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Denn die Summe des Einfuhrbedarfs der getrennt wirtschaftenden Länder ist größer als der Einfuhrbedarf eines Gesamteuropa, oder umgekehrt ausgedrückt: Die Summe der Exportnotwendigkeit getrennt wirtschaftender Länder ist kleiner als die Notwendigkeit des Exports für Gesamteuropa. Wir können mit dem Gesamteuropa, mit einer Gesamtwirtschaft im Innern uns von der Einfuhr etwas unabhängiger und in gleichem Maße von der Ausfuhr etwas unabhängiger machen, als wenn wir getrennt wirtschaften.
D Diese zwingende Notwendigkeit des Exports zwingt zu Europa; und deshalb sagen wir auch zu der Vorstufe eines geeinten Europa, nämlich zum Europarat ja.
Und die weitere Konsequenz. Was sagt nun die Opposition gegen diese Vorschläge? Wir haben es
heute morgen schon erörtert, insbesondere mein Freund Schäfer hat schon über die Dinge gesprochen. Abwarten, wie es der Zentrumsvorschlag mit sich bringt, ist überhaupt keine Politik.
Die Frage der Saar ist auch bereits von meinem Vorredner, dem Kollegen Schäfer, gestreift worden. Wir beharren bei dem Beschluß des Bundestags, der sich gegen diese Saarkonvention richtet. Wir beharren bei dem Protestschreiben der Bundesregierung. Wir beharren bei der Erklärung, die heute morgen hier im Hause verlesen worden ist und die dahin geht, daß Änderungen des deutschen Gebiets im Osten und im Westen nur auf der Grundlage eines Friedensvertrags anerkannt werden können. Aber wir sind der Auffassung, daß diese Frage des Saargebiets mit der Frage des Eintritts in den Europarat nichts zu tun hat. Die Sozialdemokratie steht auf dem Standpunkt und bemüht sich, zu beweisen, daß der Eintritt in den Europarat gemeinsam mit der Saarregierung eine Anerkennung der Dinge sei, unter denen die Saarregierung zustande gekommen sei, und eine Anerkennung der Saarkonvention. Meine Herren, der Ausgangspunkt ist falsch. Sie bemühen sich, dieses Axiom aufzustellen und in die Welt zu stellen, obwohl die Tatsachen, nämlich unsere Protesterklärungen mannigfacher Art, die ich aufgezählt habe, gerade dagegen sprechen, und erst dadurch, daß Sie dieses Axiom aufstellen,
schaffen Sie für eine spätere Zukunft anderen die
Möglichkeit, mit diesem jetzt von Ihnen aus besonderen Gründen aufgestellten Axiom zu operieren.
Diese Taktik ist falsch im allgemein deutschen Sinn!
Und noch eins: Wenn wir der Meinung sind, daß der Abschluß der Saarkonvention, die Schaffung eines Saarstaats ohne echte demokratische Legitimation ein Fehler war, sind wir dann verpflichtet, auch einen neuen Fehler zu machen? Doch keineswegs! Sondern die richtige Politik besteht darin, Fehler zu vermeiden. Der Fehler, den wir vermeiden müssen, ist der, nun aus einem gewissen Trotz, aus Rechthaberei nicht in den Europarat hineinzugehen, obwohl er uns die Basis geben würde, von dort aus das, was zum Saargebiet zu sagen ist, zu korrigieren und zu rügen.
Weiter wird in der Öffentlichkeit davon gesprochen: Wenn man in den Europarat hineinginge, bedeute dies ein Abschiednehmen von der Ostzone. Kein Wort ist davon wahr! Wer hat denn die Spaltung, um dieses „schöne" Wort zu gebrauchen, herbeigeführt? Doch der Osten! Der Osten hat ein politisches System des Drucks und des Terrors eingeführt und dadurch die Ostzone von uns getrennt. Der Osten hat ein wirtschaftliches System eingeführt, das mit dem westlichen nicht mehr zu vereinbaren ist. Und glaubt man umgekehrt im Volke, man müsse aus Gründen des Ressentiments diesen Schritt in den Europarat hinein unterlassen, um damit im Osten den Gedanken zu vermeiden, man werde ihn im Stich lassen, — glaubt man, daß sich, irgend etwas an dem tatsächlichen Geschehen dort ändert? Glauben Sie, daß, wenn wir heute den Beschluß nicht fassen, dann eine Spur Freiheit mehr jin der Ostzone ist? Glaubt man, daß dort etwa das Privateigentum, die freie Wahl des Arbeitsplatzes, die freie Berufswahl wieder eingeführt würde? Glaubt man, daß die wirkliche Zahl der Kriegsgefangenen und ihr Schicksal uns dann wahrheitsgemäß bekannt würden? Glaubt man, daß dieser Pakt von Warschau zerrissen werden würde?
Ich glaube, wir brauchen nur diese Fragen zu stellen, und die Antwort liegt auf der Hand.
Gambetta hat einmal gesagt: „Immer daran denken und nie davon sprechen!" Wir wollen den Satz abwandeln, wenn wir an die Ostzone, an die Gebiete östlich der Oder-Neiße denken: „Immer davon sprechen und immer daran denken und immer danach handeln!" Wenn wir in den Europarat hineingehen, wenn wir versuchen, hier den Westen wirtschaftlich gesund zu erhalten, wenn wir versuchen, hier den Geist der Freiheit hochzuhalten, dann schaffen wir wenigstens in einem Teile Deutschlands die Voraussetzungen, die es uns möglich machen, wenn der Tag der Einheit wieder gekommen ist, nun auch dem Osten wieder auf die Beine zu helfen.
Nun zu dem weiteren Einwand: der Europarat sei nur ein schwächliches Gebilde. Richtig, absolut richtig! Er kann nur Empfehlungen geben, aber aus seiner Mitte heraus, aus diesem Straßburger Parlament ist schon der Entschluß gekommen, man solle aus ihm ein Europa in Form einer Union mit begrenzten Aufgaben, aber echten Vollmachten schaffen, also praktisch eine Konföderation, einen Bundesstaat. Das ist auch unsere Überzeugung.
Es ist eine Ironie des Schicksals, daß heute, am 13. Juni, hier über Ja und Nein zum Europarat debattiert wird und daß morgen um 14 Uhr hier in diesem Hause die deutsche Sektion der Interparlamentarischen Union auf ein Referat des Herrn Kollegen Brill hin darüber debattieren wird, ob es nicht angezeigt ist, eine festere, straffere Organisation in Richtung auf einen europäischen Bundesstaat zu schaffen. Dieses Ziel entspricht auch unserer Auffassung. Ich gebe die Meinung meiner Freunde wieder, wenn ich sage: wir wünschen, daß, ähnlich wie der Parlamentarische Rat aus den Ländern Deutschlands eine einheitliche Bundesrepublik geschaffen hat, ein Parlamentarischer Rat für Europa geschaffen wird, gegründet auf allgemeine Wahlen, so daß die Bevölkerung in vollem Umfange daran teilnehmen kann, diesen Rat zu schaffen, und daß dieser Rat endlich die Konstitution schafft, die aus Europa mehr als nur dieses lockere Gebilde des Europarates macht.
Aber solange dieses lockere Gebilde als Vorstufe, als Entwicklungsphase besteht, wollen wir mit hineingehen. Draußenstehen ist eine Inaktivität, die nie Politik gewesen ist.
Der Herr Kollege Schumacher hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser Europarat sehr schwach konstruiert ist, daß er wenig Rechte gibt. Aber Herr Kollege Schumacher hat in merkwürdigem Widerspruch mit sich selber dann ausgeführt, daß dieser Eintritt in den Europarat uns zwangsläufig in den Atlantikpakt und zwangsläufig — gegen unseren Willen sogar zur Wiederaufrüstung führen wird. Das ist eine innere Unlogik, mit der kaum jemand fertig werden kann.
Der Europarat ist auch in der verbesserten Form einer Union, eines Bundesstaates, wie wir es uns vor stellen, verglichen mit dem Atlantikpakt, also mit einem Staatsvertrag zwischen den ihm angeschlossenen Mächten, doch etwas Grundverschiedenes.
In einem allerdings gehe ich mit Herrn Dr. Schumacher ebenso wie mit Herrn von Brentano einig, daß wir alle einer Politik der Neutralität — etwa als einer andern Lösung — absagen wollen. Neutralität — ein sehr guter Gedanke, schön, berauschend, aber gefährlich. Wenn es nur an uns läge, wir würden sofort neutral bleiben, denn das deutsche Volk wünscht nie wieder einen Krieg, weil es weiß, daß es das letzte Dach, das es über seinem Kopfe hat, aufs Spiel setzen würde, daß ein Krieg sich in seinem Lande abspielte. Aber die Neutralität hängt ja auch von anderen ab, von der Garantie, die andere geben können, und in letzter Linie hängt sie von der geopolitischen Lage ab, in der sich ein Volk befindet. Wenn Völker, wenn Heere von dem Osten nach dem Westen und von dem Westen nach dem Osten durch Europa ziehen, so müssen sie immer nördlich der Alpen ziehen, und es ist sicher, daß sie immer durch Deutschland, Frankreich und Polen ziehen werden. Es besteht die Gefahr, daß dann, wenn sich hier ein machtpolitisches Vakuum bildet, der Anreiz, diese Durchmarschmöglichkeit zu benutzen, sehr viel stärker als sonst ist. Infolgedessen sehe ich in einer Neutralitätserklärung, mit der oft im Volke gespielt wird, nichts als den Versuch, klares Denken zu vernebeln.
Bei der Bildung des Europarates ist England erfreulicherweise beteiligt. Ich glaube freilich, annehmen zu sollen, daß diese Beteiligung Englands zur Folge gehabt hat, daß eine schärfere Zusammenfassung zu einer Konföderation im Augenblick seiner Entstehung nicht möglich war. Wir wünschen aber, daß auch in einem konföderierten Europa, wie wir es uns vorstellen und wie es sich aus dem Europarat entwickeln mag, England beteiligt ist. Wir wünschten, daß es auch bei dem Schuman-Monnet-Plan beteiligt wäre. Wir wünschen es unter anderem deshalb, weil dieses England im Jahre 1940, völlig auf sich allein gestellt gegenüber uns und unseren Verbündeten, die Idee der menschlichen Freiheit hochgehalten hat. Dieses Verdienst wollen wir als seine damaligen Gegner offen und rückhaltlos anerkennen. Gerade wegen dieses Bewußtseins der Freiheit, gerade deswegen, weil England den Geist der Freiheit damals geschützt und hochgehalten hat, soll es in einem künftigen Europa dabei sein. Es wird allerdings einer besonderen Regelung für England bedürfen, weil es zum Teil kontinental denken und handeln muß und zum Teil als Haupt des Commonwealth andere Interessen hat. Aber es wird andererseits nur dann eine Beteiligung an einem geeinten Europa möglich sein, wenn sich England entschließen kann, einen Teil der Souveränität an diese Konföderation Europa abzugeben. Diese Abgabe der Souveränität braucht in diesem Falle ebensowenig wie bei dem Monnet-Schuman-Plan zu schrecken; denn man muß sich immer wieder darüber klar sein, daß bei beiden ja nicht nur eine rein verwaltungsmäßige Spitze, eine pouvoir exécutif allein als Leitung vorhanden sein wird, sondern daß in beiden - auch im Monnet-Schuman-Plan — eine pouvoir juridique, eine rechtsprechende Gewalt geschaffen werden muß als Hort der Rechte und Freiheit der einzelnen damit verbundenen Länder, Korporationen und Personen.
Wenn wir so den Wunsch haben, daß auch England beteiligt sein möge, und aus vollem Herzen zu diesem Europarat „ja" sagen, so wollen wir uns doch am Schluß noch über einen Punkt klar werden. Das ist der: Alle noch so guten Institutionen, aller so geschaffene wirtschaftliche Wohlstand hat auf die Dauer keinen Bestand, wenn hinter den Dingen nicht eine tragende Idee steht. Wir müssen darauf sehen und müssen insbesondere unsere Jugend damit erfüllen, daß hinter diesem Europa eine tragende Idee steht, eine Idee, die gegenüber der kommunistischen Idee, der Idee der Unfreiheit, der Idee des totalitären Staates, gegenüber diesem Irrlicht aus dem Osten ein wirklich leuchtendes Ideal darstellt.
Dieses Ideal ist auf dem Boden der christlichabendländischen Kultur gewachsen, umfaßt die Freiheit der Persönlichkeit, den Geist der Humanität, rechtsstaatliches Denken und soziales Handeln.
Diese unsere Jugend braucht — und das sei an die Adresse der Besatzungsmächte gesagt — zu den Ideen auch Symbole, die diese Ideen versinnbildlichen. Wenn von Einigkeit und Recht und Freiheit die Rede ist, dann darf man es vielleicht auch noch singen.
Es wird auch die Zeit kommen müssen — hoffentlich bald —, da sich aus dem Besatzungsstatut ein anderes Statut entwickelt. Wir sind gegen Neutralität. Wir verlangen für uns aber, weil wir entwaffnet worden sind, weil wir uns bedingungslos haben ergeben müssen, daß uns diese Siegermächte schützen. Wenn zu unserm Schutz hier im Lande Truppen gehalten werden, dann werden sie gleichzeitig noch zu einem andern Zweck gehalten, nämlich im Rahmen derjenigen Außenpolitik, die die
Besatzungsmächte nun von sich aus befolgen. Das wird dahin führen müssen, daß man uns im größtmöglichen Ausmaß Souveränität des Handelns auf allen Gebieten gibt, soweit es eben nur mit der Tatsache zu vereinbaren ist, daß hier zu unserm Schutz Garnisonen gehalten werden müssen. Man wird dann in aller Freundschaft auch die Frage der Kosten dieser Garnisonen aushandeln müssen.
Dieser Gedanke der Souveränität gehört mit zu diesen tragenden Ideen, die wir für Europa und vor allen Dingen für unsere Jugend haben wollen. Wir möchten, daß sich die Jugend nicht in Drill und Dressur irgendwo trifft, sondern wir möchten, daß vielleicht die Jugend aller Nationen, insbesondere die Jugend von Frankreich und Deutschland, zusammenkommt, um sich gegenseitig kennenzulernen, vielleicht am Straßburger Münster, am Kölner Dom, auf dem Römer-Platz in Frankfurt am Main oder vor jenem eindrucksvollen Totendenkmal auf den Schlachtfeldern von Verdun. Dann mag unsere Jugend aus der Vergangenheit lernen; dann mag ihr erzählt werden, wie schon vor 25 Jahren Stresemann auf der Tribüne des Völkerbundes in Genf danach fragte: Wo bleibt die europäische Münze, wo bleibt die europäische Briefmarke? Man wird ihr davon sprechen, daß Stresemann damals, weil er sich mit Nein-Sagern herumschlagen mußte, von diesen als den Ewig-Gestrigen sprach. Man wird ihr erzählen, daß damals — 1924 — der Zentrums-Reichskanzler Marx in London und daß die sozialdemokratische Fraktion von damals in all den Jahren von damals mit dafür eingetreten sind, auch damals schon Völkerbundsideen zu verbreiten und für ein einheitliches Europa einzutreten.
Dann wird aus diesen Strömungen und Zusammenkünften heraus der Geist geboren werden, der den Wiederaufbau in Europa leiten wird und der dann für unsere Jugend ein Ansporn sein wird, diesen Gedanken hochzuhalten, der ihr auch einen Halt geben wird, wenn gegenüber diesem Ideal der christlich-abendländischen Kultur das Irrlicht aus dem Osten wieder leuchten will.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Auftrage meiner Fraktion das Ja der Deutschen Partei zur Regierungsvorlage zu begründen. Es ist, nachdem so viele Worte über diesen Tatbestand bereits gefallen sind, nachdem die ganze Summe der Probleme und Gedanken ausgebreitet worden ist, nicht ganz einfach, noch etwas zu diesem Für und Wider zu bemerken. Ich möchte versuchen., das in Kürze zu tun, und lege Wert darauf, an den Anfang meiner Ausführungen die eine Feststellung namens meiner Fraktion zu stellen: Wir unterliegen mit diesem Ja, das uns sehr ernst ist, das ganz aus der Geschichte unserer Partei zu verstehen ist, keiner Moderichtung, sondern wir sind der Auffassung: Niemand kann es wagen oder versuchen, sich aus dem deutschen Schicksal — dieses Schicksal ist die Niederlage und ihre Folgen — in ein Europa hinauszudrücken. Wir sprechen dieses Ja vielmehr in der Erkenntnis, daß in dem Werden einer europäischen Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen, daß in dieser neuen internationalen Organisation, die sich sehr mühsam verwirklicht, der wichtigste Teil einer deutschen Aufgabe liegt.
Es ist wahr, wenn die Opposition sagt, daß die Organisation, also das, was da in Straßburg nach vieler Mühe geschaffen worden ist, noch wenig effektiv sei. Aber es ist ja gerade die Aufgabe einer deutschen Politik, diese Möglichkeiten effektiv zu machen. Nach Auffassung meiner Fraktion sehen wir in dem Eintritt in den Europarat wieder den ersten großen Beitrag Deutschlands für eine konstruktive Politik. Wir sagen dieses Ja in der vollen Erkenntnis seiner Problematik. Wir wollen auch gar nicht vor den Schwierigkeiten ausweichen, die darin stecken; wir wollen jenen Sprung in eine ungewisse Zukunft tatsächlich mutig tun. Wir sagen dieses Ja in dem Bewußtsein, daß ein Nein gewollt oder ungewollt dem russischen Imperialismus in die Arme arbeitet.
Gewollt oder ungewollt! Es gibt Fragen für das Schicksal einer Nation, bei denen man sich entscheiden muß. Deshalb lehnen wir alle Kompromißlösungen ab. Deutschland ist keine Brücke zwischen Ost und West, sondern Deutschland ist ein wichtiger Teil des Abendlandes und hat stets in der Front zum Osten gestanden.
— Wo dieser Osten bei mir anfängt? Darauf möchte ich mit den Worten Queuilles antworten: „Es ist die Aufgabe der europäischen Politik, die Grenzen Europas so weit nach Osten zu legen wie nur irgend möglich!"
Wenn wir von der Fraktion der Deutschen Partei dieses Ja sprechen, dann klar und deutlich in dem einen Sinne: Befreiung unserer Menschen in der Ostzone, Befreiung Osteuropas, Einigung Deutschlands durch eine Einigung Europas! Das ist die große Aufgabe, die gelöst werden muß und die vielleicht noch Jahre dauert, bis sie endgültig zum europäischen Bewußtsein geworden ist. Wir müssen von der Souveränität zur Solidarität kommen und diesen Weg in Formen gehen, die die Schwierigkeiten zwischen Ost und West mit friedlichen Mitteln zu lösen imstande sind. Es ist nun einmal eine alte, geschichtliche Erscheinung, daß dort, wo ein Vakuum entsteht, der stärkere Lebensstrom eindringt. Wenn man die mühseligen, zögernden, ängstlichen und oft auch verlogenen Versuche der letzten Jahrzehnte betrachtet, Europa zu einigen, und demgegenüber die ungeheure Angriffskraft des Ostens zu werten weiß, mit deren Hilfe die Grenzen des Ostens so weit vorverlegt worden sind, dann kann uns Entsetzen darüber erfassen, daß diese Einigung nicht im letzten Ernst und im letzten Willen schon längst zustande gekommen ist!
Wir von der Deutschen Partei lehnen jeden Versuch einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West ab. Unsere politische Konzeption ist westlich!
Über die Frage Neutralisierung und jene Rapallo- oder gar Tauroggenvorstellungen, die in einer spielerisch-historischen Romantik noch irgendwo herumgeistern, hat mein Vorredner, Herr Abgeordneter Becker, bereits das Wesentliche gesagt. Wir erstreben mit dem Beitritt zum Europarat eine friedliche Lösung. Wir wollen, daß diese europäische
Organisation zu gegenseitigem Nutzen wirksam wird, d. h. daß auch mit dem Osten wieder ein lebt hafter Warenaustausch einsetzt.
Dieser Warenaustausch ist wichtig.
— Wenn Sie das Schaukelpolitik nennen wollen, dann irren Sie sich auf das gründlichste! Unsere Entscheidung ist eindeutig. Aber ich lasse keine Zweifel darüber, wir wünschen die gute Nachbarschaft auch nach Osten hin, nachdem sichergestellt ist, daß unsere eigenen Menschen und die Staaten Osteuropas dort, wo abendländische Kultur waltet, wieder in Freiheit, Frieden und Sicherheit existieren können.
— Sie werden vielleicht dafür sorgen, daß wir es nicht mehr erleben; das kann sein.
Wir glauben an die Möglichkeit, den Frieden durch eine große moralische Kraftanstrengung herzustellen. Das ist die deutsche Aufgabe. Deshalb müssen wir gerade bei der Frage des Europarats, wo es darauf ankommt, das Mißtrauen gegen unser Land zu zerstreuen, einen ganz eindeutigen, klaren Kurs steuern.
— Ich spreche nicht von dem Hohenfriedberger Marsch, obwohl ich ihn gern höre!
— Das ist nicht wahr, ich bin im Wahlkreis und hier derselbe.
Ich möchte kurz auf die Argumente der Regierung eingehen. Sie gipfeln in zwei Punkten: Wahrung des Friedens und Wiederherstellung der deutschen Einheit. In diesen beiden Punkten, die die Politik des Bundeskanzlers und seiner Regierung beherrschen, stimmen wir restlos überein. Wir sind auch der Überzeugung, daß der Schuman-Plan, daß dieser französische Vorschlag ohne einen Eintritt in den Europarat undurchführbar wird. Dieser Plan ist nach unserer Auffassung der erste Kern einer wirklichen wirtschaftlichen Einigung als Vorläufer einer politischen Einigung. Wir fassen diesen Plan auf als das, was er ist, in allererster Linie als ein politisches Instrument, als den großen, kühnen Versuch, die Frage der Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich als den Ausgangspunkt und die Grundlage für eine europäische Einigung nun einmal praktisch in Angriff zu nehmen. Es wäre unverantwortlich, sich in dieser Stunde durch das Nein zum Europarat der Verwirklichung auch dieses Planes zu entziehen, und es wäre unverantwortlich, durch unser Fernbleiben wieder einmal wie nach dem ersten Weltkrieg die Möglichkeit einer europäischen Einigung auf Jahre zu verschieben und vielleicht für immer unmöglich zu machen.
Der Herr Bundeskanzler hat das Besatzungsregime in einen logischen Zusammenhang mit den Wegen gebracht, die die deutsche Politik zu beschreiten hat. Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir geduldig und zäh anpacken müssen und die nicht gleich große Erfolge herbeiführen kann. Das Besatzungsregime ist in seiner ganzen Grundlage eine vollkommene Neuerung im europäischen Völkerrecht und im Weltvölkerrecht. Die Aufgabe einer deutschen Politik ist es, die in ihren Grundlagen fehlkonstruierte Entwicklung in eine gesunde Organisation internationaler Zusammenarbeit umzubiegen. Soweit ich sehe, ist dieser Weg mehr und mehr mit Erfolg beschritten worden. Es ist immerhin eine Entwicklungskette über die Jahre der Strafbesetzung, über den Parlamentarischen Rat zum Grundgesetz, dann auch zum Petersberger Abkommen sowie zum Europarat und zu der Möglichkeit des Schuman-Plans. Es liegt hier ein Wandel in den Grundlagen einer Situation vor, der von uns beachtet werden muß.
Ich bin nicht der Auffassung, daß wir irgendwelche Trümpfe in den Händen haben, und ich glaube gemeinsam mit den Vorrednern der Regierungskoalition auch nicht, daß eine Möglichkeit besteht, durch Passivität, durch das alleinige Geltendmachen des Gewichts unserer Bevölkerungszahl und unserer geographischen Lage einen politischen Erfolg zu erzwingen. Es ist in Wahrheit nicht so, daß man uns unbedingt braucht. Ich glaube, daß alle diejenigen, die aus mancherlei Gründen zu einem Nein kommen, in etwa doch die deutschen Möglichkeiten überschätzen.
Jenes Anpassen an einen sehr harten Willen, ohne sich innerlich, moralisch und auch im Grundsätzlichen zu unterwerfen, das allmähliche Hineinschreiten in Formen einer internationalen Organisation, ohne sich und seine Seele preiszugeben, ist meines Erachtens die einzige Möglichkeit, das, was als Gewicht in unserem Lande zurückblieb, zur Geltung und zum Tragen zu bringen. Eine Politik der Passivität und des Sichversagens würde tatsächlich nichts anderes sein als der außenpolitische Ausdruck des Vakuums, das in unserem Lande zurückgeblieben ist. Ich sprach davon, daß das Schicksal eines solchen Vakuums meistens das ist, daß der stärkere Lebensstrom dort eindringt, um es auszufüllen.
Wenn ich die Gründe der Opposition zusammenfassen darf, so handelt es sich um zwei Hauptpunkte. Sie sagen nein, weil dieser Europarat uns nicht als einen gleichberechtigten Staat empfängt; sie sagen nein, weil das Saarstatut, das durch die widerrechtlichen Konventionen geschaffen wurde, de facto anerkannt würde. Ich kann mich diesen Argumenten nicht anschließen. Was die Frage der Gleichberechtigung betrifft, so wird es selbstverständliches Ziel einer deutschen Politik sein und bleiben müssen, Freiheit und Gleichberechtigung zurückzuerlangen. Daß wir aber, um Freiheit und Gleichberechtigung zurückzuerlangen, noch irgendwelche Trümpfe in den Händen hielten, kann ich nicht einsehen. Im Gegenteil, indem wir die Frage der europäischen Einigung, das Übergehen von der Souveränität zur Solidarität, zum Gegenstand eines Handels machen, entwerten wir den Gedanken und geben damit den Kern, die Moralität der ganzen Angelegenheit preis.
Dann noch etwas anderes, und da muß ich als ein Mensch, der aus der Gegend östlich der Oder-Neiße-Linie kommt, doch einen starken Widerspruch anmelden. Seitens der Opposition ist in der Frage des Saargebiets und in dem Verbrechen der Oder-Neiße-Linie eine Parallelität behauptet worden. Diese Parallelität kann ich als Ostdeutscher unter gar keinen Umständen anerkennen.
Von der Opposition wurde ausgeführt: In der Frage
des Saargebiets geht es uns um ein Prinzip, nämlich
um das Prinzip, daß die anderen Mächte ihre Grundsätze der Demokratie und der Freiheit und das, was sie versprochen haben, auch wirklich ernst nehmen.
— Und des Rechts! Ich stimme dieser Folgerung vollinhaltlich zu. Aber wenn das auch so ist, wenn es sich hier auch um große Schwierigkeiten handelt, wie wollen wir sie denn anders meistern? Wie wollen wir von dieser Bundesrepublik aus anders um diesen Teil Deutschlands kämpfen als auf dem Wege, den die Regierung eingeschlagen hat? Durch Passivität — ich wiederhole es noch einmal — wird der Trümmerhaufen nur noch größer. Es kommt darauf an, auch den kleinsten Fetzen einer Möglichkeit, um diese unsere Menschen zu ringen, wahrzunehmen.
Indem wir unseren Glauben und unsere Hoffnung nicht aufgeben und das ganze Gewicht unseres einheitlichen Willens als Mitglieder des Europarats in der Beratenden Versammlung dafür einsetzen, daß nicht durch Schaffung tatsächlicher Zustände der staatlichen Zugehörigkeit der Saarbevölkerung Gewalt angetan wird, wie das an der Bevölkerung der Ostzone geschehen ist, indem wir also für den Standpunkt der Gerechtigkeit eintreten, beschreiten wir den einzigen Weg, der uns geblieben ist, benutzen wir die einzige Möglichkeit, die es für uns noch gibt. Diesen Weg geht die Bundesregierung. Wenn wir hier zusehen, dann wird kein Schuman-Plan kommen, dann wird dieser Plan nicht die letzte Möglichkeit erschließen, auch über die Saar ein Übereinkommen und eine Verständigung zu finden, die unserer nationalen Verpflichtung Rechnung trägt und zugleich dem Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland und damit dem Frieden in Europa dient.
Ich muß mich dagegen wenden, daß die Opposition aus dem Eintritt in den Europarat trotz des Protestes der Bundesregierung eine Anerkennung de facto folgern will. Wenn wir so dem Osten die Argumente liefern, mit denen uns der Osten entgegentreten kann, so ist mir das restlos unverständlich. Will man hier wirklich eine Parallelität sehen, jene Vertreibung von 15 Millionen Menschen, jenes Vernichten und buchstäbliche Zerstören eines Gebietes bis zur Oder-Neiße-Linie, jenes vielleicht größte Verbrechen, das unter den Völkern jemals begangen worden ist? Wenn man das in eine Parallelität zur Saarfrage stellen wollte, so bedeutete das eine verhängnisvolle Verkennung der Bedeutung beider Vorgänge, der ich keineswegs zustimmen kann. Ich hoffe, daß es der Opposition möglich sein wird, ihre Auffassung von der gleichen Bedeutung des verletzten Prinzips bei der Saarfrage und der Oder-Neiße-Linie zu revidieren. Diese Revision ist notwendig, wenn wir auf der Rückkehr der Heimatvertriebenen mit Hilfe der westlichen Alliierten bestehen wollen.
Zum Schluß darf ich noch auf einen wichtigen Punkt eingehen. Wir lasen heute morgen in der „Welt" die sehr dezidierte Stellungnahme der englichen Sozialistischen Partei gegen jeden Gedanken an eine wirtschaftliche oder politische Union Europas, gegen eine übernationale hohe Behörde, eine neutrale Macht in Europa und die weitere Liberalisierung des europäischen Handels. Diese scharfe Ablehnung der großen englischen Partei, die sich auffällig mit dem Nein ihrer Schwesterpartei zum Eintritt in den Europarat deckt, bedeutet tatsächlich
ein schweres Hemmnis für das, was in Europa werden soll. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein Europa ohne England kein wirkliches Europa sein könnte. Es gehört nun einmal zu Europa etwas Wesentliches hinzu, die Weite über See, die Beziehungen über die Meere, die seit der Neuzeit tief in unser soziales und wirtschaftliches Leben gestaltend eingegriffen haben. Ohne England, ohne diesen weiten Blick über die See ist Europa unvollständig und ein Torso. Auf der anderen Seite bedeutet es aber doch ein außerordentliches Hemmnis, die Frage der europäischen Einigung klassenpolitisch oder ideologisch zu sehen. Wir befürchten, daß seitens der Opposition gegen den Eintritt in den Europarat Stellung genommen wird, weil dieser Eintritt unter Umständen bedeuten kann, daß Europa nicht nach einer Parteiideologie organisiert werden soll.
Ich möchte seitens meiner Fraktion deutlich erklären: es gibt weder ein sozialistisches noch ein sonstwie gefärbtes Europa, sondern es kann immer nur ein einziges Europa geben, das auf seinen Grundprinzipien aufgebaut ist.
— Dieses Attribut, das Sie, Herr Professor, wünschen, will ich auch noch nennen. Es gibt nur ein einziges Attribut, das man diesem Europa geben kann. Das ist nämlich ein christliches, ein innerlich souveränes, freies Europa, das die gesamten Schöpferkräfte, die es der Welt einmal geschenkt hat, wieder schenken kann. Das ist das Europa.
Ich stimme mit der Opposition darin überein: es ist etwas anders geworden seit dem 19. Jahrhundert; wir stehen in diesem 20. Jahrhundert vor ganz neuen Aufgaben. Es wird notwendig sein, auch die soziale Legitimität als eine Grundlage europäischen Denkens zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Es ist das große Ziel der Erhöhung des Wohlstandes für alle. Es ist das große Ziel, nicht nach unten, sondern nach oben hin zu nivellieren
und durch eine praktische Arbeit insbesondere auf dem Gebiete der Sozialpolitik hier Angleichungen, gemeinsame Auffassungen zu erzielen, die das Gesamte fördern, und die Voraussetzungen dazu zu schaffen. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Ich gebe zu, was da in Straßburg entstanden ist, ist noch lange nicht genug, um solche Ziele zu verwirklichen. Aber tun wir doch dann auch alles dazu, um das Mehr, das erforderlich ist, zu schaffen.
Ich möchte hier Ihre Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nehmen und nur folgendes abschließend feststellen. Wir von der Deutschen Partei wollen kein sozialistisches, kein bolschewistisches, kein faschistisches und auch kein kapitalistisches Europa.
Wir wollen ein christliches Europa.
— Herr Professor, wenn wir heute einen Metternich
hätten, der Europa vor den Gefahren bewahren
könnte, der Rußland wieder zurückzudrängen wüßte
— wie Metternich es konnte —, dann könnten wir glücklich sein.
Wir wollen ein christliches Europa, das heißt ein Europa der persönlichen Freiheit, der Rechtlichkeit und Gerechtigkeit, des Wohlstandes für alle, der kulturellen Blüte, ein Europa als Faktor des Friedens, das seiner schöpferischen Aufgabe in der Welt zurückgegeben ist. Was wir wollen, ist letzthin eine europäische Erneuerung, letzthin also eine gewaltige konservative Revolution, die die verschütteten abendländischen Werte wieder ans Licht bringen soll, um mit ihrer Kraft die drängenden Probleme sozialer, wirtschaftlicher und politischer Art, die diesem Jahrhundert aufgegeben sind, zu lösen. Glauben Sie, es liegt in dem Gedanken des Konservativen, nämlich in der eigentlichen Kernsubstanz, auf der unser Abendland beruht, eine starke, eine revolutionäre Kraft, vielleicht die Kraft, die die eigentliche Lösung bringt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tichi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade die ungeheuerlichen Ereignisse im Osten, die jedem Deutschen die Schamröte ins Gesicht treiben und die heute früh in diesem Saal so stürmischen Widerhall fanden, haben uns bestimmt, zur Frage des Europarats eine klare Stellung zu beziehen. Ich habe deshalb im Namen meiner Fraktion nachstehende Erklärung abzugeben.
Mir und meinen Freunden ist es klar, daß der Bundestag vor einer bedeutsamen außenpolitischen Entschließung steht, die in ihrer Folge und in ihren Zusammenhängen aufs engste mit dem kommenden Weltgeschehen verbunden ist. Die Fraktion der WAV hat schwerste Bedenken gegen einen Beitritt zum Europarat im gegenwärtigen Zeitpunkt. Wenn die WAV-Fraktion trotzdem der Beitrittserklärung zustimmen wird, dann nur deshalb, damit im Ausland eine Weigerung, dem Europarat beizutreten, nicht etwa falsch aufgefaßt werden könnte, als wolle Deutschland eine Zusammenarbeit mit den Mächten der westlichen Zivilisation irgendwie ablehnen. Die Fraktion der WAV erklärt mit aller Entschiedenheit, daß eine Zustimmung zur Beitrittserklärung keineswegs irgendeine Anerkennung des selbständigen Charakters des Saargebiets oder eine nachträgliche Anerkennung der Unterschrift der Regierung unter das Rubrstatut bedeuten würde. Ebenso erklärt meine Fraktion feierlich. daß die Einheit der Deutschen im Osten und im Westen für sie eine unverzichtbare Forderung ist. die wir niemals preisgeben werden und können. Die WAV-Fraktion hofft. daß der Weg 7U einer völligen Gleichberechtigung Deutschlands im Europarat nach erfolgtem Beitritt möglichst abgekürzt werden kann, damit endlich einmal Frieden und Freundschaft unter den Völkern Europas und der Welt einkehrt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nuding.
Meine Damen und Herren! Wenn ich die Rede des Herrn Abgeordneten Becker und insbesondere die Rede des Herrn Kollegen Merkatz nehme, so kommt mir der Gedanke, daß die Gesellschaft, die Sie verteidigen, nahezu 100 Jahre die Möglichkeit zur Vereinigung Europas hatte. In dieser Zeit hat sie sich als unfähig erwiesen. Das, was Sie heute versuchen, ist noch weniger wert als Ihre Versuche in der Vergangenheit; denn heute könnten Sie schon nur noch ein Rumpfeuropa einigen. Aber selbst dazu ist Ihnen die Möglichkeit genommen, weil Sie nur so weit gehen dürfen, wie der amerikanische Imperialismus es Ihnen erlaubt.
Eine andere Möglichkeit gibt es dabei nicht.
In der ganzen Diskussion kam zum Ausdruck, daß die Triebkraft für die Vereinigung Europas — und die Schaffung der westeuropäischen Union, muß man klar sagen — Furcht ist. Furcht wovor? — Das ist in verschiedenen Formen zum Ausdruck gebracht worden: Furcht vor den gewaltigen sozialen Kräften, die Sie nicht mehr im Banne halten können
und die Sie zu bekämpfen versuchen. Herr von Merkatz hat es mit den untauglichen Mitteln eines Metternich versucht, und der Rattenfänger von Braunau, wenn er leben würde, hätte sich an dieser Rede gefreut. Denn auch er wollte die Grenzen soweit wie möglich nach dem Osten verlegen.
Das Resultat seiner Schaukelpolitik war ein umgekehrtes. So wird es heute auch Ihnen gehen. Denn die Probleme, die zu lösen sind, lauten nicht: Koordination der Rüstungsgewinnler und Kriegstreiber aus Vergangenheit und Gegenwart, sondern: Schaffung anderer sozialer Zustände, die es den Menschen ermöglichen, in Frieden zu leben.
— Es haben schon einmal Leute über diese Reden gelacht. Die lachen heute nicht mehr!
Die sind in Nürnberg von denjenigen gehängt worden, mit denen Sie die Europaunion machen, für welche Ihr Herr Kollege Merkatz so warme Worte gesprochen hat.
Nun einige Bemerkungen zu der Rede des Herrn Bundeskanzlers. Der Herr Bundeskanzler hat zu Eingang seiner Rede etwa folgende These aufgestellt: Der Atlantikpakt und der Europarat sind Einrichtungen mit verschiedenen Zielen und verschiedenen Mitgliedern. — Ist dem wirklich so? Untersuchen wir einmal: Wer sind die Väter des westeuropäischen Zusammenschlusses nach dem zweiten Weltkrieg? Nach dem ersten Weltkrieg hatten diese Bestrebungen noch einen sehr europäischen Beigeschmack. Es waren damals zwar die gleichen Feinde des Fortschritt, aber sie versuchten, die Sache von Europa aus zu machen. Nach dem zweiten Weltkrieg ist es einzig und allein der amerikanische Imperialismus und mit ihm sind es diejenigen Kreise in Europa, die das erreichen wollen, was Hitler mit den gleichen Argumenten und unter den gleichen Vorwänden nicht erreicht hat.
Herr Adenauer und einige Redner dieses Hauses haben zum Ausdruck gebracht, man wolle den Zusammenschluß unter einem einzigen Signum, einer
einzigen Parole, nämlich: dem Druck, der vom Osten komme, einen Gegendruck entgegenzusetzen. Aber keiner, weder der Herr Bundeskanzler noch die Redner, die nach ihm gesprochen haben, hat dem Hohen Hause gesagt, worin nun eigentlich dieser Druck besteht.
Es hat eine Zeit gegeben, als in diesem Hohen Hause davon gesprochen worden ist, daß der Westen Deutschlands und Westeuropa Magnet werden solle für die Völker des Ostens.
Anscheinend ist die Magnetzeit vorbei;
eine andere Zeit ist gekommen. Da man unfähig ist, Magnet zu sein, also anzuziehen, muß man Druck ausüben. Natürlich, wenn man unfähig ist, den Menschen in Westeuropa und in Westdeutschland Arbeit und Brot zu geben, dann muß man ihnen, Hetze und Europa-Union geben.
Das ist der Sinn dieser westeuropäischen Union,
dieser Zusammenfassung der Kräfte gegen den
Druck, demgegenüber man nicht Magnet sein kann.
Und was ist der Atlantikpakt? Ich glaube, man braucht keine Gründe mehr anzuführen, um zu beweisen, daß er ein Kriegspakt ist; denn wir haben wahrlich schon genug Flugplätze im Westen Deutschlands gehabt. Wenn man heute sieht, wie ihre Zahl vermehrt wird und wie die direkte und indirekte Rüstungsproduktion anläuft, wie man alles darauf abstellt, die Menschen wieder für den Krieg reif zu machen, dann wird klar, daß dieser, Pakt einen Angriffscharakter hat, daß er nichts anderes bedeutet als die Vorbereitung eines Angriffes gegen den Osten. Das sprechen die Amerikaner von Truman über Eisenhower bis hinunter zu den vielen Publizisten ganz offen und brutal aus.
Die Ziele dieser beiden Institutionen sind also die gleichen, und die Menschen, die beide schaffen, sind ebenfalls dieselben. Wenn man Institutionen von solcher Bedeutung schallt, dann wissen die Menschen, die sie schaffen, daß sie damit ihre Interessen verteidigen. Die Imperialisten haben diesen Atlantikpakt geschaffen und werden weitere Einrichtungen schaffen, um ihre kapitalistischen Interessen zu verteidigen. Ob das zum Wohle der Menschheit ist oder nicht, das bleibt ihnen dabei gleich.
Betrachten wir in diesem Zusammenhang die Rolle eines weiteren Projekts, von dem der Herr Bundeskanzler heute gesprochen hat: die Rolle des Schuman-Plans von dem Gesichtspunkt der Vorbereitung einer Grenzverlegung. Herr Kollege von Merkatz, ich bin Ihnen dankbar für diese klare Formulierung. Von diesem von Ihnen angeführten Gesichtspunkt her ist es notwendig, daß man auch die entsprechende wirtschaftliche Maschinerie in Gang setzt. Um diesen Kriegspakt zu untermauern, will man die deutsche Kohlen- und die französische Stahlindustrie miteinander vereinigen, um ein großeres Kriegspotential zur Vorbereitung und Durchführung des dritten Weltkrieges zu schaffen.
Und das gibt man aus als eine Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes! Diese Vereinigung ist ja seit 25 Jahren der Traum des Herrn Bundeskanzlers.
— Er hat das ja selber erzählt. Lesen Sie seine Reden nicht? Das sollten Sie tun! Da kann man sehr viel lernen.
Es steht fest: Dieser Pakt wird nicht dazu führen, die Freundschaft zwischen dem deutschen Volke und dem französischen Volke zu begründen. Das, was kommen wird, ist etwas ganz anderes: Französische und deutsche Rüstungsindustrielle werden gemeinsam das deutsche und das französische Volk ausbeuten! Eine Aussicht allerdings besteht für die Jugend beider Länder: diese Jugend darf in dem von den amerikanischen Imperialisten vorbereiteten und gewünschten Kriege — nicht gegeneinander, sondern nebeneinander — für die gleichen Imperialisten sterben!
Und dagegen sind wir. Wir wollen das verhüten, und deshalb lehnen wir auch diesen Pakt der deutschen und französischen Industriellen ab.
Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zu der Stellungnahme der SPD zum Europarat und zur Union. Herr Schumacher hat das letzte getan, um auch den letzten Mann davon zu überzeugen, daß es für die rechte SPD-Führung gegenüber der Konzeption Adenauers sowohl im Westen Deutschlands als auch in bezug auf die Außenpolitik keine grundlegend andere Konzeption gibt. Die Differenzen beziehungsweise Nuancen hat Herr Dr. Schumacher klar zum Ausdruck gebracht. Er gibt sich vor als der bessere Garant im Kampfe gegen den Kommunismus. Nur haben ihn die Amerikaner noch nicht voll anerkannt. Vorläufig trauen sie Herrn Adenauer mehr. Aber man bewirbt sich ernstlich.
— Oh, ich traue ihm allerhand zu! — Man bewirbt sich ernstlich darum. Das ist die Quintessenz der Politik, die die SPD-Führung in dieser Frage betreibt; aber nicht nur in dieser Frage, sondern auch in allen anderen Fragen. Man beruft sich auf formale Gründe; die Form sei von der Regierung nicht eingehalten worden; im Prinzip sei man dafür, aber man wolle eine andere Konzeption. Das ging ja soweit, daß die SPD — lesen Sie einmal die Schlußausführungen in der Etatrede ihres Vertreters —, sich entschuldigte, daß sie als Opposition gezwungen sei, gegen den Etat zu stimmen. So liegen doch die Tatsachen!
Warum aber haben die beiden Herren, Herr Dr. Adenauer und Herr Schumacher, sich trotzdem so bekämpft? Der Öffentlichkeit wird es wahrscheinlich nicht so sehr bekannt werden, warum Herr Dr. Adenauer die heutige Sitzung haben wollte und' warum die SPD sie erst nach den Wahlen wünschte. Jetzt ist es klar und offensichtlich:
Man muß sich gegenseitig Wahlmaterial schaffen!
Und derjenige, der am längeren Hebel sitzt, hat die bessere Gelegenheit für sich ausgenutzt. Man hat einer Partei Erziehungslektionen erteilt, die immerhin Millionen von Wählern aufzuweisen hat; man hat ihr gesagt, was ihre Pflicht sei und wie sie sich' zu verhalten habe. Ich bin davon überzeugt, sie wird auch verstanden haben, um was es geht. Est geht darum, eine gemeinsame Front zu schaffen im Kampf gegen den Osten, um einen Druck gegen den Osten auszuüben. In dieser gemeinsamen Front werden sie weiter zusammenhalten. Die Adenauer-Politik wird durchgeführt werden, und „Seiner Majestät konstruktive Opposition" wird gegen Herrn
Dr. Adenauer nur die Argumente vorbringen, die sie benötigt, um die Massen ihrer Wähler bei der Stange zu halten.
Von dem Herrn Bundeskanzler ist das Argument der Oder-Neiße-Linie noch einmal in die Debatte geworfen worden. Diese Frage ist nicht von Deutschen gestellt worden, aber sie ist von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik im Interesse der beiden Völker und des Weltfriedens gelöst worden.
Daran ändert die von der äußersten Rechten bis hin zur SPD heute früh gebilligte brutale Unterdrückung der Minderheit dieses Hauses nicht einen Deut.
Herr Abgeordneter Nuding, in diesem Hause ist keine Minderheit brutal unterdrückt worden. Ich rufe Sie zur Ordnung!
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, daß ich meine Gefühle hier vorgebracht habe!
Der Herr Bundeskanzler hat sich in diesem Zusammenhang Mühe gegeben, die Führung der SPD davon zu überzeugen, daß die Argumente der Kommunisten gar nicht so waren, wie die SPD-Führung es sich gedacht hat. Für uns ist bei der Argumentation zu dieser Frage eines maßgebend: Wir gehen aus von der Stellungnahme, wie sie in den Potsdamer Beschlüssen festgelegt ist.
— Das tun Sie nur, wenn Sie es brauchen.
Sie tun nur das, was Ihnen parteipolitisch angenehm ist, ohne die Gesamtinteressen des Volkes zu betrachten. Ansonsten erfüllen Sie das, was in der Willkür-Politik eines Churchill und der amerikanischen Imperialisten in Verbindung mit den Beschlüssen von Potsdam zum Ausdruck kommt. Wir sind glücklich, daß dieser Vertrag mit Polen geschlossen wurde
und damit ein Abschluß im Interesse beider Völker und im Interesse des Weltfriedens zustande kam. Ich bin mir klar darüber, daß Sie glücklicher gewesen wären, wenn dort die Kanonen gedonnert hätten.
Herr Adenauer hat mit Recht die Stellungnahme der Saar-SPD ausgespielt, mit der die Westzonen-SPD in der Comisco zusammensitzt. Es wäre aber richtig gewesen, wenn er dem Hohen Hause gesagt hätte, daß die Saar-Separatisten, die die Saar an Frankreich verschachert haben, im wesentlichen auch CDU-Leute waren.
Wenn er damit zu trösten versuchte, daß mit dem Schuman-Plan endlich auch die Lösung der Saarfrage gefunden werden kann, so kann man dazu nur sagen, daß umgekehrt ein Schuh daraus wird. Denn in der Saarfrage hat der stärkere Partner entschieden. In der deutsch-französischen Union, im Europarat und in der Europa-Union wird auch der Stärkere entscheiden. Wenn Herr Adenauer nachdenkt, wird er feststellen müssen, daß er mit dem Anschluß Westdeutschland nur in den Schuh hineindrückt, in dem die Saar bereits steckt.
Er hat die Bedenken verschwiegen, die gegenüber der Europa-Union selbst in Kreisen der Industrie Westdeutschlands zum Ausdruck kamen. Er hat auch die Bedenken verschwiegen, die sogar in den Regierungsparteien ausgesprochen wurden.
Im Anschluß an diese Ausführungen möchte ich dem Hohen Hause eine Erklärung meiner Partei
zur Frage des Anschlusses Westdeutschlands an die Europa-Union zur Kenntnis bringen:
Der Anschluß Westdeutschlands an die Europa-Union und der Zusammenschluß der Schwerindustrie des Ruhrgebiets mit der Frankreichs, Luxemburgs und Belgiens ist ein entscheidender Bestandteil der Kriegspläne des amerikanischen Imperialismus, der durch einen dritten Weltkrieg seine Weltherrschaft errichten möchte.
Um Westdeutschland entsprechend seiner zentralen Lage in Europa als Operationsbasis für den Krieg ausbauen zu können, haben die anglo-amerikanischen Imperialisten mit Hilfe westdeutscher Politiker systematisch das Potsdamer Abkommen gebrochen, den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland verhindert und die Politik der Spaltung Deutschlands betrieben.
Der Anschluß Westdeutschlands an die Europa-Union würde die Spaltung Deutschlands vertiefen und für unabsehbare Zeit aufrechterhalten. Diese Tatsache wird von der Adenauer-Regierung bewußt gegenüber dem deutschen Volk verschwiegen. Durch Propagandaerklärungen über die gesamtdeutschen Wahlen möchte Dr. Adenauer sich selbst als einen Vorkämpfer für die Einheit Deutschlands dem deutschen Volke empfehlen. Daß die Propaganda-Erklärungen über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche Wahlen nur der Täuschung des deutschen Volkes dienen sollen, während Adenauer bewußt die Politik der Spaltung Deutschlands betreibt, beweist u. a. ein von ihm der amerikanischen Zeitschrift „U. S. News and World Report" gegebenes Interview. In diesem Interview, das am 19. Mai dieses Jahres dem Korrespondenten der Zeitschrift in Bonn gegeben und welches noch richt in Deutschland veröffentlicht wurde, sagt Herr Dr. Adenauer wörtlich:
Wenn wir in den Europarat eintreten, dann wird dies die Spaltung in Deutschland zwischen Ost- und Westdeutschland vertiefen.
Ebenso wie Dr. Adenauer dem deutschen Volke verschweigt, daß der Beitritt zur Europa-Union die Spaltung Deutschlands vertieft. so verschweigt er auch die anderen verhängnisvollen Folgen. die für das deutsche Volk aus einem solchen Beitritt Westdeutschlands entstehen müßten.
In ihrer Denkschrift zur Frage des Beitritts zum Europarat erwähnt die Bundesregierung, daß der reaktionäre Graf Coudenhove-Kalergi der geistige Vater der Pan-Europa-Idee ist. Sie verschweigt aber dem deutschen Volk, daß dieser reaktionäre Graf
in seinem Buch „Pan-Europa-ABC", das 1931 in Wien erschien, den Faschismus propagierte, indem er schrieb: „Der Faschismus will die abendländische Kultur erhalten". In dem gleichen Buch fordert dieser Graf die Schaffung einer Europa-Kriegsmacht zum Kampf gegen die Sowjet-Union. So ist die Pan-Europa-Idee, die die geistige Grundlage der Europa-Union darstellt, von vornherein mit faschistischem Gedankengut verbunden. Um so bedauerlicher ist es, daß sozialdemokratische Parteiführer den Gedanken der Europa-Union bejahen und den Beitritt Westdeutschlands zur Europa-Union im Augenblick nur aus taktischen Gesichtspunkten ablehnen.
Die Denkschrift der Bundesregierung bezieht sich in ihrer Geschichte des Europarates auf den französischen Staatsmann Briand, der im Anschluß an den Locarno-Vertrag eine Art Europa-Union propagierte. In der Tat sollte der Vorschlag der Bundesregierung über den Eintritt Westdeutschlands in die Europa-Union Anlaß sein, kritisch die Lehren der Außenpolitik der Weimarer Republik zu ziehen. Diese Außenpolitik könnte charakterisiert werden durch zwei Verträge, deren einer der Vertrag von Rapallo ist. Rapallo war das erste Mal nach 1918,
daß eine europäische Großmacht, die Sowjet-Union, mit Deutschland auf der Basis der Gleichberechtigung einen Vertrag abschloß, der dem deutschen Volke große Möglichkeiten in der Außenpolitik, vor allen Dingen in der Entwicklung seines Außenhandels eröffnete. Der Außenminister, der diesen Weg beschritt, wurde von faschistischen Mördern erschossen,
der von ihm beschrittene Weg in der Außenpolitik sehr bald von der Regierung verlassen. Statt dessen beschritt die deutsche Regierung einen Weg, der über Locarno zu einer einseitigen Bindung an die Westmächte mit der Spitze gegen die Sowjetunion führte. Das Ergebnis dieses Weges war die Weltwirtschaftskrise, der Sieg des Faschismus in Deutschland und der Krieg mit all seinen Folgen.
Auch heute gibt es für das deutsche Volk zwei Wege der Außenpolitik: den Weg des Friedens und der Freundschaft mit allen Völkern, der von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gegangen wird und der bereits zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Staaten führte, in denen 800 Milionen Menschen leben auf der Basis der Gleichberechtigung. Der andere Weg ist der Weg, den die sogenannte Bundesregierung im Auftrage der Hohen Kommission beschreitet und der über den Anschluß an die Europa -Union Westdeutschland zum Bestandteil eines neuen Kriegsblocks macht, der sich gegen die Sowjet-Union, die Volksdemokratien und die Deutsche Demokratische Republik richtet. Dieser Weg ist der Weg in eine neue Katastrophe für unser Volk.
Der Beitritt Westdeutschlands zur Europa-Union hat sofort schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. In Westdeutschland gibt es trotz günstiger Bedingungen zur Zeit mehr als 1,5 Millionen Arbeitslose. Diese Menschen können nur wieder in Arbeit gebracht werden und damit eine menschenwürdige Existenz erhalten, wenn der innerdeutsche Handel mit der Deutschen Demokratischen Republik und die Handelsbeziehungen mit der Sowjet-Union, den Volksdemokratien und der Volksrepublik China ausgebaut und stärkstens entwickelt werden.
Der Anschluß Westdeutschlands an die Europa-Union, die Verwirklichung des Schuman-Planes, die
Unterordnung unter die Kriegspolitik des angloamerikanischen Imp erialismus unterwirft Westdeutschland Handelsbeschränkungen und Kontrollen, die aufs schwerste die Lebensinteressen unseres Volkes, besonders der werktätigen Bevölkerung, bedrohen.
In dem bereits erwähnten Interview Dr. Adenauers findet man folgendes Frage- und Antwortspiel zwischen dem Korrespondenten und Dr. Adenauer:
Frage des Korrespondenten: Erfordert der Wohlstand Deutschlands Handelsbeziehungen mit den Ost-Staaten, den Ländern des Sowjetblocks?
Adenauer: Früher hatten wir einen regen Handelsaustausch mit dem Osten. Damals bestand eine große Nachfrage nach deutschen Waren. Wenn es die politische Entwicklung zuläßt, würde es unsere Lage bedeutend erleichtern, wenn wir durch Verkäufe an den Osten wieder etwas von unseren Waren absetzen könnten.
Nächste Frage: Sie bezogen sich auf die politische Entwicklung, die es gestatten könnte, erhöhten Handel mit dem Osten zu betreiben. An was für eine Entwicklung denken Sie dabei?
Adenauer: An die Atmosphäre zwischen den USA und Rußland; wenn sich diese Atmosphäre bessert, wäre mehr Handel möglich.
Dr. Adenauer gibt hiermit zu, daß die Entwicklung des Handels mit der Sowjet-Union und den Ländern der Volksdemokratien lebenswichtig für Deutschland ist. Die Entwicklung dieses Handels hängt jedoch nicht von der Atmosphäre zwischen den USA und der Sowjet-Union, sondern ausschließlich von den Beziehungen Deutschlands zu der Sowjet-Union und den Volksdemokratien ab. Wer die Interessen des deutschen Volkes den imperialistischen Interessen der USA unterordnet, wie Dr. Adenauer dies offensichtlich tut, schadet damit den nationalen Interessen des deutschen Volkes.
Dem Beitritt Westdeutschlands zur Europa-Union folgt unmittelbar der Beitritt zum Atlantikpakt Europa-Union und Atlantikpakt sind unlösbar miteinander verbunden. Der Atlantikpakt verfolgt Angriffsziele. Er besitzt einen aggressiven, kriegerischen Charakter. Offen verlangen amerikanische Politiker und Militärs, verlangt der englische Kriegshetzer Churchill eine aggressive Politik gegen die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder. Oft mit brutaler Offenheit erklärt Churchill: der größte Fehler der Sieger des ersten Weltkrieges sei gewesen, daß sie nicht damals schon die Sowjet-Union durch einen Schlag vernichtet hätten. Offen verlangt er die Zurückeroberung Ost-Europas. Ebenso offen erklären amerikanische Politiker, daß der Krieg heute für die USA günstiger sei als in einigen Jahren, da heute die Sowjet-Union angeblich noch nicht über genügend Atom-Bomben verfüge.
Bei der Durchführung ihrer Kriegspläne gedenken die amerikanischen Imperialisten wie in der Vergangenheit, andere Völker für ihre Interessen in den Krieg zu schicken. Darum sehen die Pläne der Atlantikpakt-Mächte vor, daß die USA Langstreckenbomber und Marinefahrzeuge zum Einsatz bringen, während die Infanterie von den europäischen kontinentalen Ländern gestellt werden soll. Vor allen Dingen soll die deutsche Jugend für den Infanteriedienst unter amerikanischem Kommando herangezogen werden. So schreibt Walter Lippmann, der bekannteste Publizist der USA am 7. Juni dieses Jahres:
Die Folgerung, daß die Londoner Beschlüsse
große Armeen von zwangsweise Einberufenen
in Frankreich, den Niederlanden und schließlich in Deutschland erforderlich machen, hat
Verzweiflung und Erbitterung hervorgerufen. Walter Lippmann spricht also von großen Armeen zwangsweise Einberufener in Westdeutschland. Und in der Tat, dieses wäre eine unmittelbare Folge des Beitritts Westdeutschlands zur Europa-Union.
Die Bereitschaft dazu hat Dr. Adenauer in seinem berüchtigten Interview im Herbst des vergangenen Jahres ausdrücklich gegeben. Die Aufstellung der von ihm geforderten Bundespolizei soll heute schon dazu dienen, die nötigen Ausbildungskader für ein zukünftiges deutsches Kontingent in einer europäischen Wehrmacht zu schaffen. Der Korrespondent der „Frankfurter Neuen Presse" berichtet aus Washington darüber:
In Washington befürworten Militärkreise die sofortige Organisation einer deutschen Bundespolizei, die den Kern für die späteren Ausbildungskader eines deutschen militärischen Kontingents zur Verteidigung Europas bilden würde.
Die Kriegsvorbereitungen des amerikanischen Imperialismus sind so offensichtlich geworden, daß kein aufrichtig denkender und den Frieden wünschender Mensch davor die Augen verschließen kann. Dies kommt nicht zuletzt auch zum Ausdruck in der Erklärung des Chefkorrespondenten des Reuter-Büros in Berlin, der nicht gewillt ist, noch länger die von seinen Auftraggebern gewünschten Lügenberichte anzufertigen, und erklärt, er weigere sich, der Komplice der amerikanischen Kriegshetzer zu sein.
Ebenso offensichtlich wie die Kriegsvorbereitungen des amerikanischen Imperialismus ist die Friedenspolitik der Sozialistischen Sowjet-Union.
Die Sowjetunion hat in ihrer ganzen Geschichte noch keinen Krieg gegen andere Völker begonnen.
Vom ersten Tage ihrer Existenz steht die sowjetische Außenpolitik im Zeichen des Kampfes für den Frieden.
In den Vereinten Nationen, die durch den Atlantikpakt mehr und mehr lahmgelegt werden, ist die Sowjetunion für das Verbot der Atomwaffe und für die Einrichtung einer strengen internationalen Kontrolle über die Durchführung dieses Verbots eingetreten. Sie schlug den Großmächten die Herabsetzung aller Kriegsrüstungen und Militärausgaben vor. Sie forderte in bezug auf Deutschland den Abschluß eines gerechten Friedensvertrags und den Abzug aller Besatzungstruppen aus ganz Deutschland. Diese Forderung würde bei ihrer Verwirklichung der Menschheit und insbesondere auch dem deutschen Volk einen dauerhaften Frieden garantieren.
Die Durchführung dieser Forderungen der Sowj etunion, insbesondere für Deutschland, fürchtet Herr Dr. Adenauer — und Herr Becker hat es hier offen ausgesprochen —, damit seiner Regierung nicht der Boden unter den Füßen genommen wird. Er betreibt mit dem Eintritt Westdeutschlands in die Europa-Union und dem Anschluß an den Atlantikpakt die Aufrechterhaltung der militärischen Besetzung Deutschlands auf lange Zeit und die Einbeziehung Westdeutschlands in die Kriegspläne der amerikanischen Imperialisten. Diese Kriegsziele
aber liegen nicht im Interesse des deutschen Volkes.
Der Anschluß an die Europa-Union vertieft die
Spaltung, verstärkt die Remilitarisierung, soll die
Kriegsvorbereitungen erleichtern. Das deutsche
Volk aber braucht seine Einheit und den Frieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.
Meine Damen und Herren! Namens der Deutschen Reichspartei habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Erstens: Der Herr Bundeskanzler hat in seiner heutigen Rede vor dem Bundestag ausgeführt, daß man die Frage des Eintritts in den Europarat und die Frage der Saarkonventionen nicht als gleiche Größen nebeneinanderstellen könne. Das mag bei äußerlicher Betrachtung so scheinen. Wesentlicher aber ist uns, die wir als einzige Partei die nationale Rechtsopposition darstellen, der Geist, der sich in der erwähnten Saarkonvention offenbart hat. Der Kanzler selbst hat vor einigen Wochen in schärfster Form die französischen Methoden bei Behandlung der Saarfrage gebrandmarkt. Wir können nicht umhin, hier an dieser Stelle festzustellen, daß der Geist der Verständigung innerhalb des französischen Volkes noch nicht die notwendigen Fortschritte gemacht hat, die zu einer so festen gegenseitigen Bindung, wie sie der Europarat darstellt, erforderlich sind. Es will uns geradezu als ein Fanal erscheinen, wenn im Augenblick, in dem man sich anschickt, Europa zu formen, von den verantwortlichen Staatsmännern Frankreichs ein solcher Giftpfeil wie die Saarfrage auf das deutsche Volk abgeschossen wird, der nun wie ein Keil zwischen den beiden Völkern sitzt. Die Deutsche Reichspartei kann sich daher nicht der Argumentation des Herrn Bundeskanzlers anschließen, der die Bedeutung der Saarfrage in ihrem tieferen Kern zu verkleinern suchte.
Zweitens: Der Herr Bundeskanzler hat am Schluß seiner Ausführungen gesagt, daß derjenige, der gegen den Eintritt in den Europarat stimmt, sich zwar nicht unbedingt für den Osten, aber jedenfalls gegen den Westen erklärt. Unsere Antwort dazu ist folgende: In der Politik ist — wie wir es ja aus dem Tauziehen um den heutigen Termin selbst erlebt haben, nämlich vor oder nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen — oft nicht die Entscheidung selbst, sondern ist manchmal noch mehr der Zeitpunkt der Entscheidungen von wesentlichster Bedeutung. Man kann nicht durch die Annahme einer Einladung zu ungelegener Zeit politisch ungünstige Folgerungen auf sich nehmen. Das aber täten wir, wenn wir uns durch diese Einladung zum Beitritt in den Europarat nicht nur das Gesetz des Handelns, sondern sogar den Zeitpunkt des Handelns vorschreiben ließen.
Drittens: Die Deutsche Reichspartei sagt sehr wohl ja zu Europa. Wir wollen aber lieber ein halbes Jahr später als gleichberechtigter Partner in den Europarat eintreten als heute durch ungleiche Bedingungen einen Start, der für uns und unsere Kindeskinder bindend sein wird, beginnen. Die Frage der Souveränität ist kein leeres Wort. Das Blut unseres deutschen Volkes steht auf dem Spiel! Treten wir erst einmal ohne volle Souveränität, d. h. unter ungleichen Bedingungen, in den Europarat ein, so sind wir nicht mehr Herr der Entscheidung über Krieg und Frieden und damit den Einsatz
!unseres eigenen Blutes, wie heute morgen schon an dieser Stelle gesagt worden ist. Gerade die Deutsche Reichspartei aber, die einen sehr großen Teil der ehemaligen Berufssoldaten vertritt, muß dieses mit aller Deutlichkeit hier klarstellen.
Ich fasse zusammen: Der Giftpfeil der Saarkonvention sowie die noch immer bestehende Diffamierung Deutschlands mit den sich daraus ergebenden Folgerungen sind unserer Meinung nach nicht dazu angetan, heute schon eine geeignete Grundlage für eine wirkliche Völkerversöhnung der beiden Völker Frankreichs und Deutschlands zu bilden, die wir an sich mit ganzem Herzen bejahen. Die Deutsche Reichspartei warnt daher die Bundesregierung nachdrücklichst vor einem vorzeitigen Eintritt in den Europarat. Sie wird bei der Abstimmung gegen den Eintritt stimmen.
Meine Damen und Herren, es liegen nun noch zwei Wortmeldungen von Abgeordneten vor, die keiner Fraktion angehören. Der Ältestenrat hat versäumt, eine Redezeit auch für solche Redner vorzusehen. Ich schlage dem Hause vor, entsprechend der den übrigen Fraktionen zugeteilten Redezeit in diesem Fall eine solche von 10 Minuten zur Verfügung zu stellen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; ich sehe es so beschlossen an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Clausen.
Meine Damen und Herren! Seit Beendigung des ersten Weltkrieges ist so ungeheuer ) viel über europäische Zusammenarbeit und Verständigung und über die Vereinigten Staaten von Europa geschrieben und geredet worden. Nach zwei unheilvollen Kriegen sollten sich Vertreter der deutschen Bundesrepublik so schnell wie möglich mit Vertretern anderer Länder Europas an einen Tisch setzen, um eine gemeinsame Grundlage für ein friedliches Zusammenleben zu finden.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Europarats muß es sein, für die Sicherung der demokratischen menschlichen Freiheiten und für die Sicherung der Grundrechte zu sorgen, zu denen auch das Selbstbestimmungsrecht gehört. Alle Bedenken müßten zurückgestellt werden; denn ich bin der Überzeugung, daß die Völker auf diesem Gebiete endlich Taten sehen wollen.
Als Vertreter des Südschleswigschen Wählerverbandes und damit der dänischen Minderheit werde ich meine Stimme für den Gesetzentwurf abgeben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Doris.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Sozialistischen Reichspartei und der mit ihr verbundenen Nationaldemokratischen Partei in Hessen gebe ich hiermit zur Frage des Eintritts der Bundesrepublik Westdeutschland in den Europarat folgende Erklärung ab.
Die Bundesregierung hat unsere volle Zustimmung, wenn sie den gegenwärtigen Machthabern in der Sowjetzone unmißverständlich das Recht abspricht, in gesamtdeutschen Fragen irgendeine — gleichwie geartete — verbindliche Entscheidung zu treffen, insbesondere wenn es sich um die Gebiete
ostwärts der Oder-Neiße-Linie handelt. Darüber hinaus sind wir âber der Meinung, daß auch Westdeutschland als Teilstaatenbund nicht befugt ist, Maßnahmen zu treffen, die von einer gesamtdeutschen Bedeutung und Bindungskraft sein werden. Der Eintritt in den Europarat stellt eine solche Bindung dar. Gesamtdeutsche Fragen können nur durch ein Gesamtdeutschland bindend geregelt werden.
Der heute zur Debatte stehende Eintritt Westdeutschlands in den Europarat kann nur als Teilstück einer politischen Konzeption aufgefaßt werden, die seit 1945 die Zweiteilung der Weit zu einem Dogma erhoben hat. Die Träger dieses Dualismus, Sowjetrußland und USA, bauen die Randgebiete ihrer Herrschaftsbereiche Ost- und Südasien ebenso wie in Europa zum Festungs- und Vorgelände des eigentlichen Machtkerns aus. Alle in dem betreffenden Abhängigkeitsbereich liegenden Lander sind daher nichts anderes als Satelliten der wirklichen Machthaber, auch wenn man sie höflicherweise assoziierte Partner nennt. Innerhalb des westeuropäischen Festungsgeländes ist Frankreich die Stellung des Statthalters zugedacht. Da sein wirtschaftliches und militärisches Potential für eine solche Rolle völlig unzureichend ist, soll durch den Schuman-Plan Frankreich vorerst auf das westdeutsche Wirtschaftspotential zurückgreifen können. Die Montanindustrie Westdeutschlands und nach weiteren Vorschlägen auch die Kohlenveredlungs-
und Energiewirtschaft, die Chemie- und sogar die Agrarwirtschaft sollen der Erhöhung des militärisch-wirtschaftlichen Potentials dieses Statthalters dienen. Das bedeutet die völlige Auslieferung der westdeutschen Rohstoffe und des arbeitsmäßigen Menschenpotentials einseitig an eine der beiden militärischen Machtgruppen. Die Erfassung des Menschenpotentials von der rein militärischen Seite ist dann nur noch eine Frage der Zeit.
Die SRP betont ausdrücklich, daß sie die gleichberechtigte Koordinierung der wirtschaftlichen Kräfte Westeuropas mit dem Ziel, ein Gesamteuropa wirtschaftlich anzubahnen, voll bejaht. Sie lehnt es aber ebenso eindeutig ab, diesen Gedanken für einseitige politische und militärische Zielsetzungen mißbrauchen zu lassen. Denn daß es sich in Wirklichkeit bei dem Schuman-Plan nicht um eine echte Koordinierung von Wirtschaftszentren handelt, wird aus der Tendenz der französischen Regierung ersichtlich, dem Monnet-Plan folgend, die Marshall-PlanGelder zum Auf- und Ausbau der französischen Stahlindustrie ohne Rücksicht auf die deutschen Verhüttungsmöglichkeiten zu verwenden. Das erste Opfer dieser Politik ist Watenstedt-Salzgitter.
Die uns zugedachte Rolle wird aber vollends dadurch deutlich, daß trotz der Einbeziehung unseres wirtschaftlichen und menschlichen Potentials in die westliche Machtsphäre Westdeutschland aus dem Verteidigungsfeld ausgeklammert, also ohne die geringste militärische Sicherheit bleiben soll; denn Frankreich ist bestrebt, einer möglichen Ostaggression eine neue politische Maginotlinie entgegenzustellen, ohne dem Angsttraum einer gesamtdeutschen Reaktivierung ausgesetzt zu sein.
Welche Stellung Westdeutschland in Straßburg politisch zugedacht ist, wird durch diese vorgesehene Rolle im Schuman-Plan gekennzeichnet. In beiden Fällen handelt es sich darum, Westdeutschland zum Werkzeug einer separaten westeuropäischen Politik zu machen, die bereit ist, mit der Verneinung der unabdingbaren Funktion des mittel- und osteuropäischen Raumes Gesamteuropa aufzugeben.
i Straßburg und der einseitig politische Schuman-Plan sind somit nicht voneinander zu trennen. Es handelt sich zweifelsfrei nur um zwei Seiten eines und desselben Vorhabens. Wir stimmen der von amerikanischer Seite geäußerten Feststellung zu, daß die Koordinierung der westeuropäischen Industrien nur dann durchgeführt werden kann, wenn sie der Kern Gesamt- und nicht Westeuropas wird.,
Die SRP war sich von vornherein darüber klar, daß die Bundesregierung bei ihrer außenpolitischen Tendenz ihre ursprünglich geäußerten schweren Bedenken hinsichtlich der gesonderten Behandlung des Saargebiets bei der Europaratsfrage praktisch zurückstellen würde. Die Ausschaltung des Saargebiets bei der Errichtung der westdeutschen Bundesrepublik, sein selbständiges Auftreten im Europarat und schließlich die vorgesehene alleinige Vertretung seiner wirtschaftlichen Interessen innerhalb des Schuman-Plans durch Frankreich bedeuten die Anerkennung jener völkerrechtswidrigen Loslösung der Saar vom Reich, die für die Reichsteile östlich der Oder-Neiße-Linie ein gefährliches Präjudiz bedeutet. Die Vertröstung auf eine endgültige Entscheidung erst in einem zukünftigen Friedensvertrag kann unsere Bedenken um so weniger beseitigen, als die Stimmen sich mehren, die den Krieg statt durch einen Vertrag durch die Erklärung des de-factoFriedenszustandes beendigen wollen.
Das aber würde die endgültige Anerkennung der gegenwärtigen Zerreißung Deutschlands und den völligen Verzicht auf den Gedanken des Reiches und seiner unersetzbaren Funktion für Gesamteuropa bedeuten. Die Zerschlagung der Donau-Monarchie 1918 mit ihrer notwendigen Folge, daß Osteuropa heute an Sowjetasien ausgeliefert ist, sollte als Lehre dienen und eine Warnung sein, nicht auch noch Mitteleuropa demselben Schicksal zuzuführen. 'Die Politik der Zweiteilung der Welt beschwört durch den direkten regionalen Zusammenprall der weltpolitischen Gegensätze den drohenden Schatten eines dritten Welt- oder Weltbürgerkrieges herauf. Aus der europäischen Verantwortung heraus lehnt deshalb die Sozialistische Reichspartei den Beitritt zum Europarat und damit den Schuman-Plan in seiner jetzigen einseitigen französischen Tendenz ab.
Europa wird leben, wenn es als Europa zu leben gewillt ist. Die ins Gigantische gesteigerte Maginot-Psychose des politischen Westens aber ist Ausdruck einer Lebensschwäche, die aus Furcht die deutsche Reaktivierung verneint, obgleich nur diese ein Gesamteuropa ermöglichen könnte.
Meine Damen und Herren! Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich die Aussprache in der ersten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Der Abgeordnete Leuchtgens hat sich zu einer persönlichen Bemerkung gemäß § 84 der Geschäftsordnung nach Schluß der Beratung gemeldet. Ich mache darauf aufmerksam, daß bei persönlichen Bemerkungen lediglich zu persönlichen Angriffen oder Berichtigungen gesprochen werden darf. Redezeit 5 Minuten. Bitte, Herr Abgeordneter Leuchtgens!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Dorls hat soeben seine Erklärung im Namen der National-Demokratischen Partei Hessens abgegeben. Dazu ist er nicht berechtigt.
Die National-Demokratische Partei ist ein Bestandteil der Deutschen Reichspartei. Was Herr Doris meinte, ist eine Absplitterung, die Herr Priester vor- genommen hat, und im Namen des Herrn Priester hat Herr Doris diese Erklärung abgegeben.
Ich darf dem Hause mitteilen, daß bei dem Landgericht Wiesbaden eine Klage unsererseits schwebt, daß der Herr Priester den Namen „National-Demokratische Partei" zu Unrecht gebraucht. Herr Dr. Doris war deshalb nicht berechtigt, im Namen der National-Demokratischen Partei zu sprechen.
Meine Damen und Herren! Gemäß § 88 der Geschäftsordnung habe ich Ihnen folgende Vereinbarung des Ältestenrates zu unterbreiten: Die
zweite Beratung
des Gesetzentwurfs, die bereits auf der heutigen Tagesordnung steht, soll ohne neue Debatte stattfinden. Anschließend soll der Gesetzentwurf an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden. Ich erbitte die Zustimmung des Hauses dazu. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist demgemäß beschlossen.
Ich rufe demnach nach Drucksache Nr. 984 auf: Wer für Art. I, Art. II und Art. III ist, den bitte ich; die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit.
Ich rufe weiter auf: Wer für die Überschrift und die Einleitung ist, den bitte ich ebenfalls, die Hand l zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit.
Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen. Ich darf das Einverständnis des Hauses feststellen, daß das Gesetz nunmehr dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen worden ist.
Die Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten findet nach einer Mitteilung des Herrn Vorsitzenden dieses Ausschusses morgen früh um 9 Uhr statt.
Im Einverständnis mit den Herrn Antragstellern vom Zentrum gilt gleichzeitig der von der Frau Abgeordneten Wessel vorhin vorgetragene Antrag als dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung, die 69. Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Donnerstag, den 15. Juni, vormittags 9 Uhr ein.
Ich schließe die 68. Sitzung des Deutschen Bundestages.