Rede:
ID0106801000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 20
    1. der: 2
    2. Meine: 1
    3. Damen: 1
    4. und: 1
    5. Herren,: 1
    6. ich: 1
    7. eröffne: 1
    8. die: 1
    9. Aussprache: 1
    10. in: 1
    11. ersten: 1
    12. Beratung.: 1
    13. Das: 1
    14. Wort: 1
    15. hat: 1
    16. Herr: 1
    17. Abgeordnete: 1
    18. Dr.: 1
    19. von: 1
    20. Brentano.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag. — 68. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950 2457 68. Sitzung Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2457C, 2502D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Schlange-Schöningen 2457C Eintritt des Abg. Horn in den Bundestag 2457C Anfrage Nr. 76 der Fraktion der FDP betr. Verwendung der als erste Hypothek ausgegebenen ERP-Mittel (Drucksachen Nr. 92G und 1012) 2457C Anfrage Nr. 81 der Fraktion der BP betr. Abkommen über die Inanspruchnahme von privatem Wohnraum und von Hotels durch die Besatzungsmächte (Drucksachen Nr. 959 und 1015) 2457D Interfraktionelle Erklärung betr. Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie 2457D Löbe (SPD), Alterspräsident . . 2457D Dr. von Brentano (CDU) (zur Geschäftsordnung) 2458B Abstimmung 2459A Unterbrechung der Sitzung 2458C, 2459A Ausschluß des Abg. Reimann für 30 Sitzungstage 2458D Unterbrechung der Sitzung . 2458D Erste und zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Eu- roparat (Drucksache Nr. 984) 2459B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 2459B Dr. von Brentano (CDU) 2466D Dr. Schumacher (SPD) 2470B Dr. Schäfer (FDP) 2478B Dr. Seelos (BP) 2481A Blücher, Vizekanzler 2484D Frau Wessel (Z) 2485B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2490A Dr. von Merkatz (DP) 2493B Tichi (WAV) 2496A Nuding (KPD) 2496C Dr. Miessner (DRP) 2500C Clausen (SSW) 2501B Dr. Dorls (SRP) 2501B Dr. Leuchtgens (DRP) (Persönliche Bemerkung) 2502C Nächste Sitzung 2502D Die Sitzung wird um 9 Uhr 24 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen vor längerer Zeit eine Denkschrift zur Frage des Beitritts zum Europarat zugehen lassen. Ich darf ja annehmen, daß der Inhalt dieser Denkschrift bei Ihnen noch im Gedächtnis ist. Aber immerhin lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einige Fakten aus dieser Denkschrift wiederholen.
    Die Satzung des Europarates ist vom 5. Mai 1949 datiert. Der Grundcharakter und das Ziel des Europarates sind in der Präambel niedergelegt. Es heißt da: Ziel ist die Festigung des Friedens zum Schutze der menschlichen Gesellschaft und der Zivilisation.
    Das Statut des Europarates kennt zwei Arten von Mitgliedern: ordentliche und assoziierte. Die Länder, die nur assoziierte Mitglieder entsenden, haben keinen Vertreter im Ministerrat. Man hat diese Einrichtung von vornherein im Hinblick auf Deutschland geschaffen, da die Voraussetzung, volles Mit-
    glied zu sein — d. h. mit Vertretung im Ministerrat —, volle Souveränität des Staates, namentlich auf außenpolitischem Gebiete, sei. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt auf Einladung. Eine Einladung, als assoziiertes Mitglied beizutreten, ist am 31. März 1950 an die Bundesrepublik Deutschland ergangen; gleichzeitig ist auch die Saarregierung eingeladen worden, als assoziiertes Mitglied beizutreten.
    Dann, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Atlantikpakt sagen und in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß Europarat und Atlantikpakt, sowohl was die Zielsetzung als auch den Kreis der Mitglieder angeht, voneinander verschieden sind.

    (Zuruf von der KPD: Das meinen Sie!)

    Und nun, meine Damen und Herren, haben Sie in diesen Tagen darüber zu entscheiden, ob die Bundesrepublik Deutschland die an sie ergangene Einladung annimmt oder ob sie sie ablehnt. Zwischen diesen beiden Alternativen hat der Bundestag eine Entscheidung zu treffen.
    In die Denkschrift der Bundesregierung ist ein Abschnitt eingefügt, in dem die Gründe, die für die Annahme der Einladung sprechen, und die Gründe, die dagegen ins Feld geführt werden, gegeneinander abgewogen sind. Seit dem Erscheinen dieser Denkschrift hat sich die außenpolitische Situation wiederum, und zwar in erheblichem Maße geändert, so daß dieses Kapitel „Für und Wider" ergänzt werden muß. Ich nenne als solche neuen Tatsachen erstens den Schuman-Plan, zweitens die Londoner Konferenz, drittens den Beschluß des Hamburger Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,

    (Hört! Hört! bei der KPD)

    die Einladung abzulehnen.
    Ich möchte zunächst zu dem Schuman-Plan sprechen. Sie alle kennen, wie ich annehmen darf, den Beschluß des französischen Kabinetts, dessen wesentlicher Inhalt ist, daß die deutschen und die französischen Montanindustrien, Kohle, Stahl und Eisnnaus "'engebracht werden sollen

    (Abg. Rische: Kriegskartell!)

    und daß eine hohe Behörde neu geschaffen werden soll, die zwar nicht eine Einrichtung ist, die über den Mitgliedern, über denjenigen, die diesen Vertrag schließen, steht, auf die aber, wie es der französische Staatspräsident Auriol ausgedrückt hat, eine Assoziation von Souveränitätsrechten der verschiedenen Paktländer übertragen werden soll.

    (Abg. Rische: A la Comité des forges!)

    Mit anderen Worten, meine Damen und Herren, die Anweisungen dieser hohen Behörde, gegen die gewisse Rekurse vorgesehen sind — ich kann hier nicht auf Einzelheiten eingehen —, sollen auf dem Gebiet, das ihr eingeräumt ist, bindend sein.
    Der Schuman-Plan ist zunächst für Frankreich und Deutschland erdacht gewesen.

    (Abg. Rische: Und Amerika!)

    Aber es war von Anfang an vorgesehen, daß auch andere europäische Länder ihm beitreten können. Es sind auch sofort die italienische Regierung, die luxemburgische Regierung, die belgische Regierung und die holländische Regierung mit der Erklärung an die Öffentlichkeit getreten, daß sie bereit seien, auf der Grundlage dieses Programms des französischen Kabinetts zu Verhandlungen zusammenzukommen.
    Von seiten des Herrn Dr. Schumacher ist auf dem Sozialdemokratischen Parteitag an mich eine Reihe


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    von Fragen über den Schuman-Plan gestellt worden. Ich werde vielleicht im Laufe meiner Ausführungen noch darauf eingehen. Aber ich kann hier schon bemerken: die ganzen Antworten auf diese Fragen ergeben sich ohne weiteres aus der Erklärung des französischen Kabinetts. Ich betone: des französischen Kabinetts, weil auch insofern Herrn Dr. Schumacher ein Irrtum in seinen Ausführungen unterlaufen ist, als der Schuman-Plan die einmütige Zustimmung des französischen Kabinetts, der französischen Regierung, gefunden hat.
    Ich darf dann noch folgendes hierzu sagen. In der Erklärung des französischen Kabinetts ist ausdrücklich betont worden, daß Staatsverträge abgeschlossen werden sollen, die von den Parlamenten ratifiziert werden müssen, so daß also Sie, meine Damen und Herren vom Bundestag, wenn die Dinge gereift sind, das ganze Material erhalten werden und Sie dann die Entscheidung darüber zu treffen haben, ob der Vertrag angenommen oder abgelehnt wird.

    (Abg. Rische: Das bestimmt Acheson!)

    Es kann also in keiner Weise die Rede davon sein, daß irgendwie das Parlament ausgeschaltet oder in seinen Rechten auch nur im geringsten angetastet werden würde.
    Die großbritannische Regierung hat zu meinem sehr lebhaften Bedauern bisher nicht geglaubt, der Einladung der französischen Regierung Folge leisten zu sollen. Ich erkläre ausdrücklich, daß ich das außerordentlich bedauere und daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, daß im Laufe der Verhandlungen Großbritannien zu diesem Plan doch eine positivere Stellung einnehmen wird. Ich sage das nicht irgendwie aus wirtschaftlichen Gründen, wie ich überhaupt hier ausdrücklich erklären möchte — und ich befinde mich dabei in vollster Überreinstimmung nicht nur mit der französischen Regierung, sondern auch mit demjenigen Manne, der der Hauptmotor des ganzen Planes ist, mit Herrn Monnet —, daß die Bedeutung des ganzen Vorschlages in allererster Linie nicht eine wirtschaftliche, sondern eine polititische ist.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Erklärung des französischen Kabinetts — ich glaube, vom 7. oder 9. Mai — mit der Aufmerksamkeit lesen, die diesem Dokument gebührt, dann werden Sie an mehreren Stellen die ausdrückliche Erklärung finden, daß mit diesem Pakt der Anfang zu einem föderativen Aufbau Europas gemacht werden soll. Die politische Bedeutung des Vorschlages wird so stark wie nur denkbar unterstrichen, und aus persönlichen Gesprächen, die ich mit Herrn Monnet geführt habe, kann ich auch nur noch bestätigen, daß das politische Moment auch nach seiner Auffassung am meisten in die Waagschale fällt. Daß man, meine Damen und Herren, wenn man darauf ausging, die seit Jahrhunderten bestehenden Differenzen zwischen dem französischen Volk und dem deutschen Volk zu beseitigen, gerade an eine derartige Konstruktion bezüglich Eisen, Stahl und Kohle gedacht hat, hat einen sehr guten Grund,

    (Abg. Rische: Kann man wohl sagen!) den Sie alle verstehen werden.


    (Abg. Rische: Sehr wohl! Sehr wohl!)

    Es gibt keine bessere Möglichkeit, dem französischen
    Volk die Zweifel an der Friedensliebe des deutschen
    Volkes zu nehmen, als wenn man diejenigen Produkte — Eisen und Stahl —, die nach wie vor die
    Hauptträger einer jeden Aufrüstung sein würden,
    in Frankreich und Deutschland so zusammenbringt,
    daß eben der französische Partner dieses Paktes über alles unterrichtet ist, was auf dem ganzen Gebiete von Eisen, Stahl und Kohle vor sich geht.

    (Abg. Rische: Das sind die amerikanischen Monopolisten, die Sie da meinen! — Abg. Niebergall: Das tut doch schon die Sicherheitsbehörde! — Unruhe bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Ich möchte von der Tribüne dieses Hauses aus erklären, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit mit wenigen Ausnahmen — das glaube ich sagen zu können —

    (Lachen bei der KPD)

    wünscht, daß zwischen Deutschland und Frankreich in Zukunft alle psychologischen Hemmnisse beseitigt werden, auf daß endlich Friede auch in Europa werde.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der KPD.)

    Ich möchte Ihnen dann, obgleich das streng genommen nicht so sehr zum Thema gehört, über den Schuman-Plan noch folgendes sagen. Nicht in den Europarat eintreten, Europa die Einladung ablehnen, bedeutet eine Negierung auch dieses Vorschlages Frankreichs.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Daran kann gar kein Zweifel bestehen; denn der politische Zweck dieses französischen Vorschlags. geht ja gerade auf die Schaffung einer europäischen Föderation, wie das in vollster Deutlichkeit ausgesprochen worden ist. Wir alle wissen, daß der Europarat, auch wenn er sicher noch kein vollkommenes Instrument ist, doch dieselbe Tendenz hat. Nun kann ich unmöglich die Einladung abschlagen und gleichzeitig sagen: ich will aber über den andern Weg zu einem föderativen Europa. Das, meine Damen und Herren, ist wirklich unmöglich. Derjenige, der die Einladung in den Europarat ablehnt, präjudiziert damit auch seine Stellung zum Schuman-Plan. Er braucht gar nicht mehr noch ausdrücklich vier oder sechs Bedingungen zu stellen.
    Ich habe eben gesagt, das zweite Ereignis, das seit der Herausgabe der Denkschrift eingetreten sei, sei die Londoner Konferenz. Die Londoner Konferenz ist seinerzeit in der großen Öffentlichkeit viel weniger gewertet worden, als sie es verdient hat. Denn diese Londoner Konferenz hat zum Schluß zwar keine großen, mehr oder weniger pathetischen Erklärungen formuliert; aber sie hat praktische Arbeit geleistet und praktische Arbeit vorbereitet. Lassen Sie mich Ihnen aus dem offiziellen Kommuniqué über die Londoner Konferenz doch hier folgendes vorlesen:
    Die Alliierten sind entschlossen, ihr in dem Washingtoner Abkommen vom April 1949 niedergelegtes und in dem Petersberger Protokoll bestätigtes Ziel weiter zu verfolgen, daß Deutschland schrittweise in die Gemeinschaft der freien Völker Europas wieder eintreten soll. Wenn dies voll erreicht ist, würde es von den Kontrollen befreit werden, denen es jetzt noch unterstellt worden ist, und es würde ihm Souveränität bis zum Höchstmaß, vereinbar mit der Grundlage des Besatzungsregimes, gewährt werden. Dieses Regime ist den Deutschen und Alliierten durch die Folgen der Teilung Deutschlands und der internationalen Lage auferlegt. Bis diese Situation geändert ist, muß es im gemeinsamen Interesse Deutschlands und Europas beibehalten werden. Die Westmächte


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    wünschen das Tempo des Fortschritts zu diesem Ziel so schnell als möglich zu sehen. Der Fortschritt wird abhängen von dem Grade der vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit seitens der Regierung und des Volkes der Bundesrepublik. In erster Linie wird das Tempo bestimmt durch das Ausmaß, in dem die Alliierten überzeugt sind, daß ihre eigene Sicherheit durch die Entwicklung des Wunsches nach Frieden und freundlicher Anlehnung an sie in Deutschland gewährleistet wird.
    Ich glaube nicht, daß eine Ablehnung des Eintritts in den Europarat durch die Bundesrepublik Deutschland auf westalliierter Seite als ein Zeichen „freundlicher Anlehnung- werden würde. Ich glaube, daß man gerade diese Londoner Konferenz bei der Entscheidung, die wir zu treffen haben, berücksichtigen muß.
    Ich habe eben gesagt, ein drittes neues Moment sei der Beschluß des Hamburger Parteitages der Sozialdemokratischen Partei, und ich muß hinzufügen — da der Beschluß aus sich heraus allein nicht zu versteifen sein würde -: auch die große Rede, die Herr Kollege Schumacher dort gehalten hat, und die Reden, die auch andere Herren aus seiner Fraktion und Partei an anderen Orten in den letzten Wochen gehalten haben. Ich möchte vorausschicken, daß ich in den Zitaten, die ich jetzt machen werde — und es sind erstaunliche und merkwürdige Zitate —, der Veröffentlichung im „Neuen Vorwärts" — das Datum habe ich jetzt nicht im Kopf — über den Hamburger Parteitag und insbesondere über die Rede des Herrn Dr. Schumacher folge.
    Lassen Sie mich noch etwas vorwegnehmen. Der Bundesregierung ist von Herrn Dr. Schumacher —ich weiß nicht, in welcher seiner Reden — gesagt worden, wir, die Bundesregierung, seien ein Wackelkontakt.

    (Heiterkeit.)

    Nun, meine Damen und Herren, lieber ein Wackelkontakt., als gar kein Kontakt.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das ist eine gefährliche Sache! — Zuruf von der KPD: Ein Kurzschluß!)

    — Nein, meine Damen und Herren, Sie verwechseln Wackelkontakt und Kurzschluß und allerhand solche Sachen! —

    (Heiterkeit.)

    Mir ist in der sozialdemokratischen Presse wiederholt vorgeworfen worden, daß ich „gewackelt" hätte, daß ich meine Stellungnahme geändert hätte, daß ich, als die Saarfrage angeschnitten worden sei, eine andere Stellung eingenommen hätte als jetzt.

    (Abg. Niebergall: Das kommt öfter vor!)

    Ich kann meine Kritiker nur bitten — wenn sie die Zeit haben, alte Reden nachzulesen —, einmal meine alten Reden zur Hand zu nehmen.

    (Abg. Niebergall: Das soll man besser nicht tun!)

    Ich werde mich darauf beschränken, Ihnen aus dem
    Schlußpassus einer Rede, die ich hier im Bundestag
    zu dem ganzen Komplex der Saarfrage am 10. März
    dieses Jahres gehalten habe, etwas vorzulesen:
    Ich komme zum Schluß. Unter keinen Umständen darf die Saarfrage zu einer Störung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen. . . . Die Saarverträge haben in weiten deutschen Kreisen Zweifel daran hervorgerufen, ob der Wunsch und die Hoffnung Deutschlands auf ein gutes
    freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich auch in Frankreich besteht. Es sind in Deutschland Zweifel daran entstanden, ob wirklich der ernstliche Wille vorhanden ist, Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der Völker wieder einzuführen, es zur Mitarbeit am Wiederaufbau Europas und der Welt heranzuziehen. Man darf weder bei uns noch außerhalb Deutschlands die Augen vor der Tatsache verschließen, daß solche Zweifel entstanden sind. Um alle diese Zweifel in Deutschland zu überwinden, um das deutsche Volk zur willigen, zur freudigen Mitarbeit zu bewegen, muß das gegenwartige Stadium des Stillstands und des Mißtrauens durch einen sichtbaren, durch einen entschiedenen Schritt nach vorwärts überwunden werden.
    Aus dieser Überzeugung heraus habe ich dem amerikanischen Journalisten Kingsbury Smith gegenüber den Vorschlag einer Europäischen Union gemacht. Der Gedanke ist kühn; ich weiß es. Seine Verwirklichung ist schwierig. Aber darum sollte man doch entschlossen an das Projekt herangehen.
    Dieser deutliche, sichtbare Schritt, der die durch die Entwicklung der ganzen Saarfrage entstandenen Zweifel des deutschen Volkes, ob man wirklich auf französischer Seite zu einer Verständigung mit Deutschland kommen wolle, beseitigen soll, liegt iur jeden, der sehen will, erkennbar in dem Schuman-Plan. Die verehrten Kritiker meiner „verwirrenden" Interviews können sich vielleicht doch sagen, daß der Vorschlag, den ich damals gemacht haue, durch den Plan Schumans seiner Verwirklichung ein sehr großes Stück näherkommt.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einige allgemeine Ausführungen — vielleicht sind sie hier doch am Platze — zu den Aufgaben und Pflichten einer parlamentarischen Opposition, wenigstens wie ich sie verstehe, machen.

    (Lachen links. — Abg. Rische: Schulmeisterei!)

    Eine parlamentarische Opposition hat ati nicht nur
    parteipolitische Ziele im Auge zu halten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Eine parlamentarische Opposition

    (Zuruf von der SPD: Herr Dehler!)

    hat natürlich das gute Recht, die Regierung und die Regierungskoalition zu kritisieren; auch eine Oppositionspartei — und ich sage das auf Grund der Gesprache, die ich in den letzten Wochen mit maßgebenden ausländischen Persönlichkeiten gehabt habe, mit allem Nachdruck -und mit allem Ernst —, auch eine parlamentarische Opposition hat nationale Pflichten.

    (Hört! Hört! bei der KPD. — Abg. Rische: Was hat das mit dem Schuman-Plan zu tun?)

    — Sie (zu den Kommunisten) haben ja keine nationalen Pflichten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

    Eine Oppositionspartei hat die Gesamtinteressen des deutschen Volkes zu berücksichtigen, und sie muß sich die Fähigkeit bewahren, über ihren Parteiinteressen das Gesamtinteresse des Volkes zu sehen. Das Urteil darüber, ob die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Fraktion bei ihren Äußerungen und Stellungnahmen den Grundsätzen, die ich soeben skizziert habe und von denen ich annehmen möchte, daß sie im Grunde genommen auch von der Leitung der Sozialdemokratischen


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Partei selber akzeptiert werden und akzeptiert werden müssen, immer entspricht, das überlasse ich der Entscheidung der Öffentlichkeit und des deutschen Volkes.
    Ich beklage mich gar nicht darüber, daß von seiten der Opposition die Dinge so dargestellt werden, als wenn sich in den Häuptern der Mitglieder dieser Bundesregierung und bei den Koalitionsparteien die Summe der Dummheit, der Unklarheit, der Passivität vereinigt habe.

    (Heiterkeit.)

    Ich weiß nicht, ob nicht vielleicht mancher im deutschen Volke, der das liest, sich darüber wundert, daß nun — im Gegensatz dazu — bei der Oppositionspartei sich die Summe der Klugheit, die Summe der Voraussicht, die Summe der Aktivität findet.

    (Heiterkeit. — Zurufe von der KPD.)

    Im allgemeinen ist es doch im Leben wohl so, daß
    kein Mensch ganz schwarz und keiner ganz weiß ist.

    (Erneute Heiterkeit und Zustimmung. — Abg. Schoettle: Alles gleichmäßig verteilt! — Abg. Renner: Es kommt bloß auf den Prozentsatz des Schwarzen an, und der ist bei Ihnen 99,9!)

    — Sie haben wohl mal das Wort „Pharisäer" gehört!

    (Erneute Heiterkeit.)

    Aber daß wir nun geradezu so die konzentrierte Dummheit und Passivität sind und daß dort das Konzentrat von Klugheit, Voraussicht und Weisheit sein soll, das glaube ich nicht, und das glauben Sie selbst auch nicht!

    (Große Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Ich weiß nicht, wenn Sie zitieren, Herr Kanzler!)

    Was ich jedoch sehr bedauerlich finde und was ich auch nicht mit den Pflichten einer Oppositionspartei für vereinbar halte, das sind einige Ausführungen des Herrn Kollegen Schumacher, gegen die ich Einspruch einlegen muß. Wenn er zum Beispiel in seiner Hamburger Rede sagt, die soziale Passivität der Bundesregierung sei die Keimzelle des Faschismus und der Diktatur

    (Sehr wahr! bei der SPD; — Lachen bei den Regierungsparteien)

    — jetzt kommt der wesentlichste Satz —, der aus der sozialen Passivität kommende Mangel an Phantasie und Energie habe den Rechtsradikalismus in Westdeutschland zur Massenbewegung gemacht,

    (Heiterkeit und Rufe von den Regierungsparteien: Oho!)

    dann, meine Damen und Herren, glaube ich doch, daß Herr Kollege Schumacher — es tut mir leid, Ihnen (zur äußersten Rechten) das sagen zu müssen — Sie überschätzt;

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien) denn ich habe bisher nicht den Eindruck, daß der Rechtsradikalismus eine Massenbewegung geworden ist.


    (Abg. Rische: Sie schauen zu weit nach rechts!) Aber, meine Damen und Herren, das ist ein sehr gefährliches Wort


    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien) aus dem Munde eines Mannes wie des Herrn Dr. Schumacher.


    (Erneute lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: Ist aber Tatsache!)

    Das ist ein Wort, das draußen im Auslande wie Dynamit wirkt und gegen Deutschland wirkt.

    (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es ist doch die Wahrheit! — Zuruf von der FDP: Schwachstrom-Elektriker! — Zuruf von der KPD: Außerdem hat das Ausland auch Augen!)

    Lassen Sie mich noch ein anderes Wort aus der gleichen Rede zitieren, das ebenfalls geeignet ist, im Ausland ein sehr falsches und ein sehr gefährliches Bild über die Zustände in Deutschland hervorzurufen:
    Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist die einzige Partei Deutschlands in diesem Lande, in der das Spiel mit der östlichen Karte mit der Mitgliedschaft in dieser Partei unvereinbar ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei ist in diesem Lande die einzige Partei, die sich auch durch die Lockungen des roten Handels, durch die Exportchancen, nicht von der politischen Linie abbringen läßt.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Diese Partei ist doch schließlich die einzige Partei, die gegen eine Rapallo-Legende eindeutig und geschlossen auftritt.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf von den Regierungsparteien: Dazu gehört sehr viel Phantasie!)

    Meine Damen und Herren, das ist nicht richtig! Es besteht auch bei den anderen Parteien mit Ausnahme der äußersten Linken dieselbe Entschlossenheit gegenüber dem Osten und der SED wie bei der Sozialdemokratischen Partei.

    (Händeklatschen bei den Regierungsparteien.) Ich halte es nicht für richtig — im Interesse des deutschen Volkes und seines Ansehens —, daß man alle Parteien mit Ausnahme seiner eigenen Partei dahin kennzeichnet, daß sie eine zweideutige Politik zwischen Ost und West trieben.


    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich werde zum Schluß noch darauf zurückkommen.
    Die Abstimmung über den Eintritt in den Europarat wird zeigen, wer für Ost und wer für West ist!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe links.)

    Ich bin auch gezwungen, in aller Öffentlichkeit und von diesem Platze aus mein Bedauern über die Art und Weise auszudrücken, wie von Herrn Dr. Schumacher der Schuman-Plan behandelt worden ist. Der Schuman-Plan ist aus wirklich ehrlichen und ethischen Motiven heraus vorgeschlagen worden.

    (Abg. Renner: Der Krieg ein Ethos!)

    Den Schuman-Plan als Europarat A.G. zu bezeichnen, halte ich gegenüber der französischen Regierung nicht für richtig.

    (Abg. Dr. Schumacher: Es ist außerdem nicht wahr; das müssen Sie wissen! — Zurufe von der KPD.)

    Das gleiche gilt von weiteren Ausführungen über den Plan. Lassen Sie mich auch hier einige Zitate aus der Rede anführen:
    Der europäische Übereifer der großen Manager und Schwerindustriellen scheint mir nämlich darin zu ruhen, daß sie bei dem Weg auf das Ziel zusammen mit der französischen Schwerindustrie die Eventualität des Aus-


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    weichens vor der Sozialisierung und vor dem Mitbestimmungsrecht der Arbeiter erkennen. Und an einer anderen Stelle heißt es:
    Was hat die Bundesregierung daraus gemacht? Sie hat den Sinn des französischen Vorschlags schon so entscheidend verbogen, daß es keine agitatorische Übertreibung ist, wenn man vom Beginn der Verfälschung spricht, indem sie die Verhandlungslegitimation für sich okkupiert und den Plan auf der Grundlage von Sachverständigen diskutieren will.
    Nun, der Gedanke des Herrn Monnet und der französischen Regierung über die Art und Weise der Verhandlungen ist folgender. Man ist sich völlig darüber klar, daß, wenn erst einmal die technischen Sachverständigen von sechs Ländern sich zusammensetzen, diesen die technischen Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten so ungeheuerlich groß erscheinen, daß diese dann so ausführlich diskutiert werden, daß der ganze Plan in der Gefahr schwebt, zerredet zu werden. Herr Monnet möchte deshalb, daß auf der am 20. Juni in Paris zusammentretenden Konferenz von sämtlichen beteiligten Ländern keine technischen Sachverständigen anwesend sind. Er möchte, daß Leute mit weitem wirtschaftlichen Horizont anwesend sind,

    (Abg. Rische: Aus den Konzernen!)

    auf europäischem Boden stehend und europäisch denkend — das ist die Hauptsache —, und weiter Leute, die in der Lage sind, staatsrechtliche Verträge zu entwerfen und zu beraten.

    (Abg. Rische: Da ist Herr Pferdmenges der richtige Mann!)

    Erst dann, meine Damen und Herren, wenn auf
    dieser Konferenz in Paris, auf der so schnell wie
    eben möglich gearbeitet werden soll, eine Verständigung über den Aufgabenkreis dieser Hohen Kommission erzielt ist und wenn eine Verständigung
    über das Schema der abzuschließenden Staatsverträge erfolgt ist und wenn dazu die Parlamente
    der sechs Länder Ja und Amen gesagt haben; erst
    dann, meine Damen und Herren. ist nach der Ansicht des Herrn Monnet, die ich für sehr richtig
    halte, das Feld offen für die technischen Berater.

    (Abg. Renner: Und wann schalten Sie die Gewerkschaften ein?)

    Herr Dr. Schumacher hat dann weiter ausgeführt, es solle auf der Grundlage der Ausführungen von Sachverständigen verhandelt werden. Ich habe eben schon gesagt, daß das ein absoluter Irrtum ist. Er hat ferner gesagt:
    Eine Reihe von Sachverständigennamen kennt man: es sind lauter Leute der Schwerindustrie, Alteigentümer oder Großmanager.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es ist eine Anzahl von Abgeordneten des Bundestags darunter, aber kein einziger sozialdemokratischer Deputierter oder Wirtschaftspolitiker.
    Meine Damen und Herren, alle diese Annahmen des Herrn Kollegen Schumacher sind falsch.

    (Abg. Rische: Das kann man revidieren!)

    Die Zusammensetzung der Deputation, die nach Paris gehen soll, steht noch nicht fest. Darüber werden noch Überlegungen angestellt. Aber Sie können sich fest darauf verlassen,

    (Abg. Dr. Schumacher: Nein!)

    daß alles das, was Herr Kollege Schumacher annimmt, sich schon in acht Tagen als ein Irrtum herausstellen wird, wenn wir die Namen der Mitglieder dieser Deputation veröffentlicht haben. (Abg. Rische: Nach den Wahlen!)

    Es ist klar, daß diese Deputation in ständiger Fühlungnahme mit der Bundesregierung und den Ministerien der Bundesregierung bleiben muß. Und so wird, genau so wie in Frankreich, auch unter meinem Vorsitz ein Ministerausschuß gebildet, der mit dieser nach Paris zu entsendenden Deputation in ständigem Kontakt bleibt.
    Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr wenig geschmackvoll, wenn Herr Kollege Schumacher — er liebt ja eine bilderreiche Sprache, ohne daß man diese Sprache immer als eine poetische Sprache bezeichnen kann — sagt, daß wir am Schwanze des französischen Gauls in den Europarat hineingingen.

    (Große Heiterkeit. — Abg. Renner: Das hat auch einer der Herren Minister gesagt!)


    (Heiterkeit.)

    Aber ich glaube, man sollte auch immer berücksichtigen, wie derartige Wendungen im Auslande wirken. Das muß man nach meiner Meinung namentlich dann tun, wenn man Vorsitzender einer großen deutschen Partei ist.

    (Abg. Schoettle: Das gilt auch für den Regierungschef als Parteiführer!)

    Herrn Abgeordneten Schoettle, der nicht nur, Politiker, sondern auch Mensch ist,

    (Abg. Schoettle: Gott sei Dank! — Heiterkeit)

    antworte ich immer gern auf einen Zwischenruf. Das gilt auch für den Regierungschef als Parteiführer; da haben Sie vollkommen recht.

    (Abg. Schoettle: Aber wenn wir Ihre Reden hier zur Debatte stellen würden, käme manchmal auch etwas heraus, was Ihnen nicht gefällt!)

    Meine Damen und Herren, man soll sich Reden im genauen Wortlaut beschaffen. So hat zum Beispiel Herr Kollege Schumacher — ich sage das nur im Anschluß daran — auch darüber gesprochen, daß ich vor dem Hamburger Parteitag einen Appell an seine Parteifreunde gerichtet hätte.

    (Abg. Dr. Schumacher: Richtig!)

    Wo habe ich das getan, Herr Schumacher?

    (Abg. Dr. Schumacher: In Köln! — Abg. Renner: Seit einer Viertelstunde machen Sie das sozusagen mit aller Liebe! — Große Heiterkeit.)

    Ich glaube, daß der Herr Kollege Schumacher nicht richtig unterrichtet ist, und ich freue mich, daß Herr Renner langsam in seinen früheren Ton zurückfällt.

    (Lebhafte Heiterkeit. — Abg. Renner: Wo ich Sie so gut kenne! — Erneute Heiterkeit.)

    Ehe ich weitergehe, muß ich noch etwas zu weiteren Äußerungen auf dem SPD-Parteitag in Hamburg sagen, und zwar muß ich das gerade wegen der Beschlüsse der Mehrheit dieses Hauses und der Geltung sagen, die diese Mehrheitsbeschlüsse im Ausland beanspruchen können. Herr Dr. Schumacher hat ausgeführt, eine Realisierung einer grundsätzlichen Politik ohne die Zustimmung der


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    deutschen Sozialdemokratie sei sehr wenig bedeutsam.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Hört! Hört! bei der KPD.)

    Er hat weiter gesagt, der Vorschlag der Franzosen richte sich an das ganze deutsche Volk, auch an die Opposition — das ist richtig —, vor allem an die Sozialdemokratie, ohne die es ja dann doch nicht gehe.

    (Zuruf von der CDU: Bescheiden!)

    Sehen Sie, das ist ein Irrtum. Ich sage Ihnen: Wenn Sie sich von der Mitarbeit distanzieren, dann wird es auch ohne Sie gehen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Aber ich meine, man sollte solche Äußerungen nicht machen, weil sie doch nur darauf ausgehen, die Mehrheit dieses Hauses und ihre Beschlüsse im Ausland so erscheinen zu lassen, als wenn die Mehrheit des deutschen Volkes nicht dahinterstünde. Wenn wir heute das deutsche Volk darüber abstimmen lassen könnten, ob wir die Einladung in den Europarat annehmen oder ablehnen sollen, — ich sage Ihnen: eine überwältigende Mehrheit wird für die Annahme stimmen.


    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Hamburger Parteitag hat die Ablehnung der Einladung, in den Europarat einzutreten, mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit beschlossen, und zwar hat er diesen Beschluß gefaßt, weil Herr Dr. Schumacher erklärt hat: Wir sagen nein zum Ersatz-Europa von Straßburg bei gleichzeitigem Eintritt der Saar. Dr. Schumacher hat über die Saarfrage noch weitere Ausführungen gemacht. Er hat gesagt:
    Nicht die Sozialdemokraten haben den Europarat und die Saarfrage gekoppelt. Es war im Juli 1949 zu unserem aufrichtigen Bedauern die französische Regierung, die diese Fragen gekoppelt hat.
    Er hat weiter gesagt:
    Die Saarfrage ist keine isolierte Frage. Die
    Saarfrage ist deswegen materiell nicht zu bagatellisieren. Die Anwesenheit von Saarvertretern im Europäischen Rat ist die Deklarierung eines Prinzips. Verbalproteste, Proteste
    der bloßen Worte helfen nicht. Hier hilft nur
    die Verweigerung der Anerkennung durch
    Tatsachen und durch Handeln. Es gibt kein
    Entweder-Oder zwischen dem Europarat und
    der Saarfrage, sondern die Behandlung der
    Saarfrage ist die Antwort auf die Frage der
    politischen Konstruktion von Straßburg.
    Ein Satz darin hat mich zum Kopfschütteln veranlaßt. Dr. Schumacher sagt: „Die Anwesenheit von Saarvertretern im Europäischen Rat ist die Deklarierung eines Prinzips." Schöner Satz! Aber wenn ich mich recht entsinne, waren doch Vertreter der Sozialdemokratischen Partei des Saargebiets, die ihre Leute in der Saarregierung hat, auf verschiedenen Comisco-Tagungen mit Vertretern der deutschen Sozialdemokratie zusammen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ich kann wirklich nicht einsehen: Wenn ich mich mit Vertretern der Sozialdemokratischen Partei, die hinter der Saarregierung steht, am Comisco-Tisch zusammensetzen kann, warum kann ich mich dann nicht in Straßburg im Europäischen Rat mit ihnen zusammensetzen?

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Weil das rechtliche Wirkungen hat und das andere nicht!)

    Der Herr Kollege Dr. Schumacher hat weiter gesagt, „daß diese Anerkennung — er meint damit den Eintritt in den Europarat gleichzeitig mit der Saarregierung — von verhängnisvoller Rückwirkung auf die juristisch-moralische Position beim Kampf gegen die Oder-Neiße-Linie sei und daß diese Anerkennung gefährlich, wenn nicht tödlich wirken könnte gegen die Rückkehr und den Heimatanspruch unserer Ostvertriebenen. Daran müssen wir denken."
    Nun, gerade in diesen Tagen ist zwischen der Ostzonenregierung und Polen eine Abmachung wegen der Oder-Neiße-Linie geschlossen worden. Ich habe die gesamte Presse der SED, der KPD und, soweit möglich, von Satellitenstaaten und Sowjetrußlands daraufhin durchsehen lassen, ob irgendwie bei dieser Gelegenheit die Saarkonventionen erwähnt worden sind. Ich habe feststellen müssen, daß es dort keinem Menschen eingefallen ist, die Saarkonventionen in dem Zusammenhang überhaupt zu erwähnen.
    Ich möchte noch folgendes feststellen. Es ist ausdrücklich seitens der Hohen Kommissare erklärt worden — Sie finden das in der Denkschrift —, daß die Einladung an die Saarregierung nicht eine Vorwegnahme der Entscheidung beim Friedensvertrag bedeute.
    Ein weiteres darf ich hier sagen. Das Saarproblem verliert durch den Schuman-Plan in ganz großem Maße an Bedeutung,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    weil die Saargruben und die Saarhüttenwerke in dieses Abkommen fallen. Ich bin der Überzeugung, daß dann, wenn dieser Schuman-Plan realisiert wird und wenn wir der Saar bis zu den nächsten Wahlen, die dort stattfinden, Zeit lassen, sich die Saarfrage ohne weiteres lösen wird.
    Aber, Eintritt der Saarregierung in den Europarat und Ablehnung der Einladung durch Deutschland: das sind wirklich nicht vergleichbare Größen. Es heißt gar nicht, daß durch den Eintritt der Saarregierung irgendwie ein Prinzip statuiert wird. Ich habe immer noch den dringenden Wunsch — und, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, der Wunsch ist mir sehr ernst —, daß Sie im Laufe der Beratungen doch zu der Überzeugung kommen: die Dinge liegen zur Zeit in Europa und in der Welt so, daß auch Sie dem Eintritt in den Europarat zustimmen können.
    Ich habe mit den Hohen Kommissaren, als die Einladung in Sicht war, einen Briefwechsel gehabt, um dieses oder jenes noch zu erreichen. Ich habe diesen nicht geführt, weil es für mich nötig gewesen wäre, meine Überzeugung in dem zu festigen, was wir tun müssen, sondern ich habe versucht, der sozialdemokratischen Fraktion die Möglichkeit zu geben, zuzustimmen. Es ist ganz klar, daß ich als Chef dieser Regierung Wert darauf lege, daß in diesem Hause der Vorschlag der Bundesregierung mit einer sehr großen Mehrheit angenommen wird. Wenn er aber nicht mit einer sehr großen Mehrheit angenommen wird, wenn er auch nicht eine so große Mehrheit findet, nun, meine Damen und Herren, dann wird trotzdem entsprechend gehandelt werden; und der Beschluß wird im Ausland auch entsprechend gewertet werden.

    (Bravo! bei den Regierungsparteien.)

    Zum Schluß dieses Teils meiner Ausführungen möchte ich doch die sozialdemokratische Fraktion auf das hinweisen, was Herr Spaak in diesen Tagen in Dortmund gesagt hat. Herr Spaak ist, wie


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Sie alle wissen, Sozialist, und er ist ein Mann von europäischer Bedeutung. Er hat am 11. dieses Monats in Dortmund ausgeführt, der deutsche Beitritt habe auch nicht im geringsten etwas mit der Frage des deutschen Ostens oder mit der Saarfrage zu tun. Der Gedanke, daß ein deutscher Beitritt einen Verzicht auf das Saarland oder die Gebiete östlich von Oder und Neiße bedeuten werde, sei seiner Ansicht nach vollkommnen falsch. Es sei der Wille aller Mitglieder in Straßburg, ganz Europa zu erschließen, einschließlich der Gebiete, die heute noch außerhalb stehen. Für ihre Forderung auf Rückgabe der Ostprovinzen und seinen — Spaaks — und ihren Wunsch nach der Einheit Deutschlands werde die Bundesrepublik in Straßburg Alliierte und keine Gegner finden. Auch andere deutsche Probleme wie vor allem die Flüchtlingsfrage ließen sich nach seiner Ansicht nur in europäischer Zusammenarbeit und keinesfalls in einem isolierten Deutschland lösen.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Aber von einer anderen Seite ist das Verhalten des sozialdemokratischen Parteitags sehr anerkennend gewürdigt worden, und vielleicht gibt doch den Herren und Damen von der sozialdemokratischen Fraktion eine Anerkennung von dieser Seite Anlaß zum Nachdenken. Scharfe Angriffe richtet Otto Strasser in seinem letzten Rundbrief „Für Deutschlands Erneuerung", den er von Kanada aus an seine deutschen Filialen versendet, gegen die Bundesregierung. Er beschuldigt sie der haltlosen Nachgiebigkeit gegenüber den Alliierten und bezeichnet sie als die Hacha-Regierung in Bonn, die jetzt den Kanossagang nach Straßburg angetreten habe. Dagegen ist die Haltung der Sozialdemokratie unter Führung Schumachers nach Strassers Ansicht erfreulich national.

    (Hört! Hört! rechts. — Zuruf rechts: Herzlichen Glückwunsch!)

    — Meinen herzlichsten Glückwunsch, meine Damen und Herren, zu diesem Lob eines Mannes wie Otto Strasser!

    (Abg. Renner: Wie ist das billig! — Abg. Dr. Schumacher: Ein Niveau!! — Abg. Renner: Die reinste Wahlrede! — Unruhe.)

    Ein Wort darf ich noch einschieben. Der Bundesrat, meine Damen und Herren, hat mit 27 gegen 16 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen das Gesetz, das sich für den Eintritt in den Europarat ausspricht, befürwortet. Ich war bei der Debatte anwesend. Diese Debatte stand auf einer wohltuenden Höhe. Bemerkenswert war, daß diejenigen Länder dagegen stimmten, die unter sozialistischer Führung stehen. Es war schade, daß die Bundesratssitzung nicht vor dem Parteitag stattfinden konnte; vielleicht wäre dann das Stimmenverhältnis der Ja-Sager zu den Nein-Sagern noch besser ausgefallen.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Der Vertreter Berlins hat in der Bundesratssitzung die Forderung erhoben, uns, wenn wir in den Europarát gehen, als Vertreter Berlins zu fühlen. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß wir das tun werden und daß wir auch als solche in Straßburg angesehen werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bedeutung der Entscheidung, die Sie, meine Damen und Herren, nun zu fällen haben, muß ich
    Ihnen im letzten Teil meiner Ausführungen noch einmal vor Augen führen. Das Ziel der Bundesregierung auf außenpolitischem Gebiete war von Anfang an, Deutschland als gleichverpflichtet und gleichberechtigt in die Gemeinschaft der Völker einzuführen. Dieser Weg ist natürlich deshalb besonders schwer, weil es infolge der Spannungen zwischen den beiden großen Mächtegruppen bis jetzt zu einer Friedensregelung nicht kommen konnte. Trotzdem ist es gelungen, wesentliche Etappen auf diesem Wege zu erreichen.
    Der erste Abschnitt, meine Damen und Herren, ist durch das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 gekennzeichnet, das von der Opposition in seiner Bedeutung bisher nicht richtig erkannt worden ist.

    (Abg. Rische: Siehe Salzgitter!)

    Die Bundesregierung ist hier zum ersten Male als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit den alliierten Regierungen aufgetreten, die durch ihre Hochkommissare vertreten waren.

    (Abg. Rische: Bloß die anderen sprengen die Fundamente in Salzgitter!)

    Einer der wesentlichen Punkte war der Abschluß der Demontagen. Wenn wir zu dem Petersberger Abkommen nicht ja gesagt hätten, was wäre in der Zwischenzeit demontiert worden?!

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es wird ja demontiert! An 12 Punkten wird zur Zeit demontiert!)

    Weiter sind wir auf Grund des Petersberger Abkommens prinzipiell gleichberechtigt zu internationalen Organisationen zugelassen worden. Wir haben die Genehmigung zur Errichtung konsularischer und wirtschaftlicher Vertretungen im Ausland bekommen, und das Petersberger Abkommen enthielt die erste Ankündigung der Vorarbeiten zur Beendigung des Kriegszustandes.

    (Abg. Rische: Ewige Besatzung!)

    Lassen Sie mich nur einen Teil der internationalen Organisationen aufzählen, an denen wir auf Grund des Petersberger Abkommens teilnehmen können. Wir haben am 15. Dezember mit der Regierung der Vereinigten Staaten als gleichberechtigter Partner das zweiseitige ECA-Abkommen abgeschlossen.

    (Zuruf von der KPD.)

    Wir sind aufgenommen in den Internationalen Weizenrat, in das Internationale Olympische Komitee, in die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt. Wir nehmen teil an den Arbeiten des Internationalen Arbeitsamtes, der Internationalen Gesundheitsorganisation, am Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen,

    (Abg. Rische: Vergessen Sie die Ruhrbehörde nicht!)

    an der Internationalen Union für die Veröffentlichung der Zolltarife, an der Studiengruppe für die europäische Zollunion und der UNESCO. Gleichzeitig haben wir das Recht bekommen, selbständig Handelsverträge zu schließen, die allerdings genehmigt werden müssen.

    (Zurufe links: Aha!)

    Aber, meine Damen und Herren, bis dahin durften
    wir überhaupt noch keine Verhandlungen führen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir haben infolgedessen eine ganz große Anzahl von Handelsverträgen abschließen können, die zur wirtschaftlichen Belebung sehr stark beigetragen haben.


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Die Londoner Konferenz, die ich eben schon erwähnte, übt jetzt schon ihre Wirkungen aus. Die Vorarbeiten für eine Revision des Besatzungstatuts sind eingeleitet. Wir werden daran beteiligt werden. Eine Verlautbarung der Londoner Konferenz stellt in Aussicht, daß schon im Laufe einer nahen Zeit die Art und der Zweck der Besatzung gewandelt werden.

    (Abg. Rische: Sie werden eine eigene Wehrmacht bekommen! — Abg. Renner: Garantiebesatzung!)

    Die Wahrscheinlichkeit, daß wir noch im Laufe dieses Jahres das Recht zu politischen Vertretungen im Ausland bekommen, ist sehr groß. Ich kann Ihnen auch sagen, daß Verhandlungen im. Gange sind, um, wenn wir in den Europarat eingetreten sind, eine Verbindung zwischen uns und dem Ministerkomitee herzustellen.
    Alle diese Fortschritte, meine Damen und Herren, haben wir im Laufe von neun Monaten erreicht. Dem, der uns vor neun Monaten prophezeit haben würde, daß wir den Schuman-Plan vorgelegt bekommen, würde keiner geglaubt haben.

    (Sehr richtig! rechts und in der Mitte. — Lachen bei der KPD.)

    Wenn wir aber jetzt die Einladung ablehnen, meine Damen und Herren, dann ist diese Entwicklung abgeschnitten; denn Sie haben ja in dem offiziellen Kommuniqué von der Londoner Konferenz, das ich Ihnen vorlas, gehört, daß die „freundschaftliche Anlehnung" an die Westalliierten die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung auf diesem Wege sei.
    Ich will nicht sagen, daß jeder von denenigen, die für die Ablehnung des Gesetzentwurfes sind, sich damit für den Osten erklären will.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das ist ja toll!)


    (Zuruf von der SPD: Das war billig! — Abg. Dr. Schumacher: Wir brauchen Ihre Anerkennung nicht! Das ist eben ein übles Stück gewesen!)

    — Ach, Herr Schumacher, — na, ich will lieber schweigen!

    (Lachen bei der SPD. — Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf von der SPD: Das ist auch besser! — Zurufe von der KPD.)

    Meine Damen und Herren, ich wiederhole den Satz nochmals. Ich erkläre nicht. daß derjenige, der sich für die Ablehnung der Einladung ausspricht, sich damit für den Osten erklärt. Aber, meine Damen und Herren, das eine steht fest: wer sich für die Ablehnung der Einladung erklärt, der erklärt sich gegen den Westen.

    (Lachen und Zurufe bei der SPD.)

    Sicher, meine Damen und Herren, ist der Europarat ein erster Versuch, Westeuropa zu einer Konföderation zusammenzufassen.

    (Abg. Renner: Für den Krieg!)

    Alle sind sich darüber klar, daß, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland nicht am Europarat beteiligt, damit der Europarat gescheitert und dieser Versuch, eine europäische Konföderation herbeizuführen, erledigt ist. Wir müssen uns loch wohl alle darüber klar sein, daß gegenüber dem Druck vom Osten eine Zusammenfassung der europäischen Länder, die die Kräfte dieser einzelnen Länder vervielfältigt, absolut 'notwendig ist. So
    allein wird Westeuropa befähigt, dem Druck vom Osten her Widerstand zu leisten.

    (Abg. Rische: Das ist das Kriegsspiel! — Abg. Renner: Und wir sind die Muschkoten!)

    Ich will hierzu nur ein Zitat des Herrn Dr. Schumacher, allerdings aus dem Jahre 1947, wiedergeben.

    (Abg. Dr. Schumacher: Zitieren Sie doch mal Goethe! Heiterkeit. — Abg. Renner: Mit dem ist er nicht verwandt!)

    — Ja, verehrter Herr Schumacher, zwischen Ihnen und Goethe bestehen Unterschiede!

    (Erneute Heiterkeit! — Zuruf des Abg. Dr. Schumacher.)

    Herr Dr. Kurt Schumacher hat am 1. Juni 1947 in einer Rede, die er in Frankfurt gehalten hat, gesagt: „Europa wird entweder eine gemeinsame ökonomische und politische Grundlinie einer Entwicklung finden, oder es wird zwischen zwei großen Mühlsteinen zerrieben werden."

    (Hört! Hört! in der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig! Heute noch gültig! — Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren des Deutschen Bundestages! Die Entscheidung, die Sie zu fällen haben, ist von einer historischen Bedeutung, und jeder von uns, der berufen ist, an dieser Entscheidung — positiv oder negativ — mitzuwirken, wird einst vor seinem Gewissen und dem deutschen Volke Rechenschaft darüber ablegen müssen.

    (Sehr richtig! bei der KPD. — Abg. Renner: Das ist unsere einzige Hoffnung, daß die mal kommen muß! — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Es handelt sich um eine Entscheidung, die für Deutschland, für Europa und für die Welt von gleich großer Bedeutung ist.

    (Abg. Renner: Die heißt Krieg in der Endentwicklung!)

    Wenn Sie sich vorstellen würden, was die KPDZeitungen, was die SED-Zeitungen, was die sowjetrussischen Zeitungen schreiben würden, wenn die Einladung in den Europarat vom Bundestag abgelehnt werden würde, dann erst, meine Damen und Herren, können Sie sich ein Bild darüber machen, was eine solche Ablehnung in Wirklichkeit bedeuten würde.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Darum, meine Damen und Herren, darf diese Einladung im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse der deutsch-französischen Verständigung,

    (Abg. Rische: Sagen Sie doch lieber: der Industrie!)

    weil durch die Ablehnung dieser Einladung zugleich auch der Schuman-Plan erledigt würde, im Interesse Europas und im Interesse des Weltfriedens nicht abgelehnt werden.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Daran glauben Sie ja gar nicht!)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich anschließen an die letzten Worte des Herrn Bundeskanzlers, der mit großem


    (Dr. von Brentano)

    Ernst darauf hingewiesen hat, daß heute der Deutsche Bundestag eine Entscheidung von schicksalhafter Bedeutung nicht nur für Deutschland, sondern in gleichem Maße für Europa, für den europäischen Kontinent und vielleicht für die Welt zu fällen hat. Denn es handelt sich darum, die Stellung des neuen Deutschland im weltpolitischen Kraftfeld zu präzisieren, es handelt sich um eine Entscheidung, die wir nicht nur mit dem Verstand als Politiker, sondern die wir auch vor unserm Gewissen und vor unserer Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk zu rechtfertigen haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Eine solche Entscheidung darf nicht aus der Emotionalität des Augenblicks getroffen werden; sie ist es wohl wert, daß wir uns auch mit den Einwänden, die einem Ja entgegenstehen, auseinanderzusetzen versuchen.
    Es ist von vielen Seiten nicht nur aus dem Inland — auch ausländische Stimmen haben dieses Argument aufgenommen— darauf hingewiesen worden, daß die politische und wirtschaftliche Lage des Deutschlands der Nachkriegszeit seine Neutralität erheische. Dabei wird uns dieser Begriff der Neutralität in den verschiedensten Farben geschildert. Die meisten, die davon sprechen, verbinden damit eine eigene Vorstellung, angefangen von der bewaffneten Neutralität bis zur Neutralität der Selbstaufgabe. Gerade diesem Einwand gegenüber sollten wir uns darüber klar sein, daß wir in einer welthistorischen Auseinandersetzung stehen, bei der es eine Neutralität nicht geben kann.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir können nicht neutral bleiben, wenn die Fragestellung lautet: Totalitarismus oder Demokratie;

    (Abg. Rische: Ach was, Krieg und Frieden lautet sie!)

    wenn die Fragestellung lautet: Freiheit oder Terror; wenn die Fragestellung lautet: Erhaltung und Sicherung der Würde des Menschen oder Vermassung und brutaler Zwang!

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte. -Abg. Rische: Dazu brauchen Sie dann Kriminalbullen!)

    Meine Damen und Herren! Wir sind nach Bonn gekommen und haben es uns zur Aufgabe gemacht, den neuen Staat nach dem Grundgesetz zu errichten, nicht nur das Grundgesetz zu achten, sondern es zu verwirklichen und zu schützen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In Art. 1 dieses Grundgesetzes haben wir anerkannt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist und daß es die oberste Pflicht aller staatlichen Gewalt sein muß, sie zu achten und zu schützen. Darum haben wir uns zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlagen der Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekannt. Dieses Bekenntnis verpflichtet uns auch, zu handeln. Wir haben diese unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte anerkannt, weil sie vorstaatlichen Charakter haben. Der Staat hat sie nicht zu verleihen; sondern der Staat hat sie zu schützen. Um so weniger hat irgendein Staat unter irgendeinem Vorwand das Recht, sie uns zu nehmen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn wir wirklich glaubten, daß wir in dieser Entscheidung, in dieser Auseinandersetzung noch frei wären, dann würden wir — und das fürchte ich — nicht nur gegen das gesetzte Recht des Grundgesetzes verstoßen, sondern wir würden auch gegen
    den Geist dieses Grundgesetzes verstoßen und uns damit schuldig machen. Es gibt meiner Überzeugung nach in dieser Situation des deutschen Volkes auch kein Ausweichen. Wir haben dem deutschen Volk gegenüber die Verantwortung übernommen und wir müssen den Mut haben, auch zu dieser Verantwortung zu stehen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn wir einer Entscheidung ausweichen, dann mögen die Gründe dafür noch so gut durchdacht und vorgebracht sein, — diejenigen, die sich die Unterdrückung der Freiheit zum Ziel gesetzt haben, werden darin den Ausdruck der Schwäche sehen,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien) und wir werden in der Vorstellung unseres eigenen Volkes einen leeren Raum schaffen. Wie können wir erwarten, daß das deutsche Volk an die Grundsätze dieser Verfassung der neuen Demokratie denkt und bereit und entschlossen ist, sie nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen und zu verteidigen, wenn wir selbst das Beispiel der Unentschlossenheit geben? Ich fürchte, daß wir dadurch allzu leicht einen luftleeren, einen nicht mit Lebensenergie gefüllten Raum schaffen und damit den starken Kräften, deren potentielle Energie wir nicht unterschätzen dürfen, den Anreiz geben, in diesen leeren Raum vorzustoßen.


    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    In den westlichen Demokratien, denen wir uns verwandt fühlen, weil sie sich ebenso wie wir dazu verpflichtet haben, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Mensch in ihnen ohne Furcht und Not leben kann, in diesen westlichen Demokratien und auch hier bei uns von einer kleinen Gruppe einmal abgesehen, mit der ich mich nicht auseinandersetzen möchte — denkt niemand daran, irgendwann und unter irgendwelchen Voraussetzungen mit den Feinden der Freiheit zu koalieren.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Aber gerade weil wir wissen, daß eine solche Entscheidung außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt, sollten wir auch den Mut zur Verantwortung in der heutigen Entscheidung aufbringen.
    Wir haben in der jüngsten Diskussion auch häufig den Hinweis auf den deutschen Osten gehört. Als wir in Bonn das Grundgesetz beraten haben, haben wir in der Präambel zum Ausdruck gebracht, daß wir auch für jene Deutschen gehandelt haben, denen mitzuwirken versagt war. Genau das gleiche gilt für die Entscheidung, vor der wir heute stehen,

    (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Wir sprechen nicht von Westeuropa, sondern wir sprechen von Europa.

    (Beifall bei der CDU.)

    Darum werden die deutschen Vertreter, die nach Straßburg gehen, auch nicht etwa ihre Aufgabe darin sehen, die Bundesrepublik oder die Bevölkerund der Bundesrepublik dort zu vertreten, sondern sie werden sich zu Sprechern des ganzen Deutschland machen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

    Sie werden sich insbesondere — hier möchte ich aufnehmen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat — verpflichtet und berechtigt fühlen, sich in Straßburg auch zum Sprecher der Stadt Berlin zu machen. Die augenblicksbedingten staatsrechtlichen Konstruktionen sind uns bei solchen politischen Entscheidungen gleichgültig.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)



    (Dr. von Brentano)

    Wir sind es den Deutschen in der Ostzone schuldig, daß wir ihre Anliegen dort vertreten, wo wir sie in Freiheit aussprechen dürfen,

    (Beifall bei der CDU)

    wir sind es aber um so mehr der Stadt Berlin schuldig.
    Vor kurzem las ich in dem Bericht über die erste Sitzung des Europarats eine Fragestellung des französischen Kammerpräsidenten Herriot, der damals das Deutschlandproblem angeschnitten und unter Hinweis auf die zurückliegenden Jahre gesagt hat: „Es liegt daher an Deutschland selbst, auf eine Frage zu antworten, die für uns ein sittliches und ein politisches Problem aufwirft." Meine Damen und Herren, daß diese konkrete Frage nun an uns gestellt worden ist und wir darauf antworten können, verdanken wir nicht zuletzt dem heldenhaften Freiheitskampf der Berliner Bevölkerung, die der Welt die Überzeugung vermittelt hat, daß es in Deutschland Demokraten gibt, die für die Erhaltung und Verteidigung ihrer Freiheit auch Opfer zu bringen bereit sind.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Vielleicht wird der Hinweis auf das Schicksal des deutschen Ostens demnächst wiederholt werden. Ich halte es — um eine mögliche Entwicklung vorwegzunehmen — für durchaus denkbar, daß man von Sowjetrußland aus die Entscheidung, vor der wir heute stehen, zwar nicht zum Anlaß, aber zum Vorwand nehmen wird, um die deutsche Ostzone noch mehr, als es bisher geschehen ist, aus dem Verband des deutschen Volkes zu lösen. Ich sage, man kann dies zum Vorwand, aber nicht zum Anlaß nehmen. Falls wir uns heute für den Eintritt in den Europarat entscheiden, sollte dann jemand ernstlich annehmen können, daß eine solche Entscheidung aggressiven Charakter haben kann? Unstreitig ist, daß jede Entscheidung, die wir treffen, wenn wir uns für die Freiheit aussprechen, polemischen Charakter gegen die Feinde der Freiheit trägt und tragen muß. Aber eine Zusammenarbeit der europäischen Völker zum Zweck der Erhaltung des europäischen Friedens kann nur von einem Narren oder von einem Böswilligen als Zeichen der Angriffslust betrachtet werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Abg. Rische: Sind Sie harmlos!)

    Meine Damen und Herren! Auch die Saarfrage, die der Herr Bundeskanzler schon angeschnitten hat, hat naturgemäß in der Diskussion eine Rolle gespielt. Auch über dieses Problem müssen wir ernst und nüchtern sprechen, ein Problem, das uns ja bereits vor einigen Monaten hier in Bonn im Bundestag beschäftigt hat. Ich habe bereits bei der Debatte, die im Anschluß an den Abschluß der Saar-Konventionen vom 3. März geführt wurde, zum Ausdruck gebracht, daß die einseitige Lösung eines politischen, wirtschaftlichen und territorialen Problems durch die Saar-Konventionen — ich betone: die einseitige Lösung, denn der zweite Kontrahent, der eine solche Lösung hätte treffen können, konnten und durften nur das deutsche Volk und die deutsche Regierung sein —

    (Sehr richtig! bei der CDU)

    eine Sünde am Geist der europäischen Verständigung war.

    (Beifall bei der CDU.)

    Auch die Begleiterscheinungen, die dieser Entscheidung vorausgegangen. und nachgefolgt sind,
    können mich nur veranlassen, diese Feststellung hier zu wiederholen.

    (Abg. Rische: Dabei war es die Tür nach Straßburg!)

    Ich denke beispielsweise an die Entscheidungen, die im Jahre 1947 getroffen worden sind, als man willkürlich und ebenso einseitig dem Saargebiet noch 29 Gemeinden angegliedert hat, die nicht einmal wirtschaftlich und politisch mit dem Saargebiet in unmittelbarem Zusammenhang standen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich denke ebenso auch an einseitige Grenzkorrekturen an anderer Stelle.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Was die Saarfrage angeht, so sollte sie uns aber nicht hindern, trotzdem nach Straßburg zu gehen; denn einmal haben wir die ausdrückliche und feierliche Erklärung der Alliierten, daß die endgültige Entscheidung über die Saar erst im Friedensvertrag getroffen werden wird.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Zuruf von der SPD: Stimmt ja nicht!)

    Wenn wir nach Straßburg gehen und in Europa mitarbeiten wollen, dann wollen wir es ja tun, um solche — lassen Sie mich sagen — voreuropäischen Lösungen wie die Lösung der Saarfrage zu verhindern und, soweit sie bereits erfolgt sind, für eine Revision in friedlicher, freundschaftlicher und ehrlicher Arbeit zu sorgen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ein weiterer Einwand ist der, daß der Deutschen Bundesrepublik in Straßburg die Gleichberechtigung verweigert wird. Auch dieser Einwand ist sicherlich bedeutungsvoll und schwerwiegend. Man sagt uns, daß wir mit unserem Beitritt zum Europarat in Straßburg eine Vorleistung erbrächten, die nicht genügend honoriert werde. Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir doch gut daran täten, uns bei solcher Betrachtung auch des Jahres 1945 zu erinnern. Damit gebe ich kein Argument für die Verweigerung der Gleichberechtigung. Aber ich versuche, den mir richtig erscheinenden Weg aufzuzeigen, der mir darin zu liegen scheint, nicht Bedingungen für die Mitarbeit zu stellen, sondern sich in der Mitarbeit die Anerkennung der Gleichberechtigung zu erwerben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe keinen Zweifel, daß wir auf diesem Wege der Mitarbeit die Gleichberechtigung eher und besser erreichen werden, als wenn wir sie durch Fernbleiben zu ertrotzen versuchen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

    Wir hören auch, daß der Europarat bisher keine fruchtbare Arbeit geleistet habe; es wird manchmal auch gesagt, er habe seinen Höhepunkt schon überschritten und es sei von seinen Arbeiten keine wertvolle, befruchtende Anregung des europäischen Denkens und Handelns mehr zu erwarten. Die Kritik kommt nicht nur aus deutschem Munde, und sie scheint mir auch weitgehend berechtigt. Aber gerade weil wir von einer europäischen Zusammenarbeit in Straßburg mehr erhoffen, als sie bisher ohne uns gebracht hat, scheint es mir doch gut, auch hier einmal die Ergebnisse in wenigen Worten zu erwähnen.
    Unter den Vorschlägen, die der Versammlung in Straßburg als Ergebnis der bisherigen Arbeit vorliegen, befinden sich die Konvention über die Menschenrechte, die Errichtung eines europäischen Gerichtshofes, die Verwirklichung einer europäischen


    (Dr. von Brentano)

    1 Zahlungsunion, die Errichtung einer europäischen Bank, die Konvention über die Kontrolle der europäischen Kartelle, die Konvention zur Einführung eines europäischen Passes, zur Vereinheitlichung der Posttarife und zur Regelung des Patentwesens. Dazu kommt eine Reihe von Anregungen, die zur Diskussion gestellt sind, darunter auch ein europäisches Grundgesetz für die soziale Sicherung, die Errichtung einer europäischen Kohle- und Stahlbehörde, eine Koordinierung der Investitionspolitik in den europäischen Grundstoffindustrien.
    Man mag mir antworten, daß alle diese Vorschläge sich noch im Vorfeld der eigentlichen politischen Entscheidungen bewegen. Aber auch hier gilt es meines Erachtens, daß man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun kann, und wir sollten entschlossen sein, den starken dynamischen Kräften, die in der Straßburger Versammlung schon sichtbar geworden sind, die Unterstützung unseres deutschen Willens zuteil werden zu lassen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    Wir sollten glauben, daß die Dynamik dieser Kräfte in einer heute schon sichtbaren eigengesetzlichen Entwicklung stark genug sein wird, um die statischen Kräfte, wie sie sich im Ministerrat als dem Ausdruck noch vorhandener nationalstaatlicher Gegebenheiten ausdrücken, zu überwinden. Wir sollten bereit und entschlossen sein, unseren Beitrag dazu zu leisten. Wir sollten natürlich auch ohne falsche Illusionen und ohne falsche Utopien nach Straßburg gehen.
    Erlauben Sie mir, daß ich in einem anderen Zusammenhang den gleichen zitiere, den der Herr Bundeskanzler zitiert hat, nämlich den Präsidenten der Konsultativ-Versammlung, Paul Henri Spaak, der am 28. Januar 1950 sagte:
    Jede praktische Aktion ist mehr wert als alle
    Träume der Welt. Man muß konkrete Maßnahmen treffen, selbst wenn sich diese in engen Grenzen halten. Wir dürfen nicht länger sagen: „Ich bin für die Organisation Europas", oder:
    „Ich wünsche die Vereinigten Staaten von
    Europa". Wir müssen handeln!
    Ich glaube, daß wir hier jedes Wort unterschreiben können und daß wir uns auch sagen sollten, daß nach einem guten und bewährten französischen Sprichwort die Abwesenden immer unrecht haben.
    Es gibt auch solche, die uns sagen, daß diese Entscheidung ja keine Eile habe, daß wir warten könnten, bis die Mitarbeit Deutschlands unter besseren Bedingungen und Vorzeichen möglich wäre. Meine Damen und Herren! Ich warne vor einer solchen Vorstellung, als ob die Zeit für die europäische Zusammenarbeit, als ob die Zeit für die Erhaltung der westlichen Demokratien und der demokratischen Freiheiten arbeite. Ich bin um so weniger der Auffassung, daß wir Zeit haben, als wir — und da stimme ich den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu — mit einem „Nein" zu Straßburg auch ein „Nein" zum Schuman-Plan sagen würden. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, daß ein „Nein" zu der Regierungsvorlage zwangsläufig auch eine Negation dieses Plans der französischen Regierung bedeuten würde; und gerade dieser SchumanPlan scheint mir den Weg zur Lösung des wohl brennendsten europäischen Problems zu zeigen, nämlich der deutsch-französischen Frage. Europa soll nicht von Deutschland und Frankreich gestaltet werden. Europa kann aber nur entstehen, wenn die historische Feindschaft, die diese Völker seit Jahrhunderten getrennt und die über diesen europäischen Kontinent schon so viel Unglück gebracht hat, durch
    eine ehrliche und vertrauensvolle Freundschaft abgelöst wird. Wir glauben, daß gerade der Schuman-Plan hier ein geeignetes Instrument ist; denn die Verwirklichung des Schuman-Plans schließt wohl auch für einen phantasiebegabten Menschen die Möglichkeit einer nochmaligen kriegerischen Verwicklung dieser beiden Staaten für alle Zeiten aus.
    Ich sagte, Deutschland und Frankreich sollen und werden Europa nicht allein gestalten. Ich kann auch hier nur den Wunsch des HerrnKanzlers aufnehmen, daß der Mitarbeit in Europa ebensowenig wie der Mitarbeit an der Verwirklichung des Schuman-Plans sich irgendeine europäische Macht — am wenigsten England — entziehen möge, wenn wir auch naturgemäß wissen, daß bei der besonderen staatsrechtlichen Struktur Englands mit seinen starken Verflechtungen und Verpflichtungen im Rahmen seines Commonwealth die Entscheidungen für dieses Land schwerer zu treffen sind als für andere europäische Länder.
    Meine Damen und Herren! Wenn wir heute vor dieser Entscheidung stehen, dann sollten wir allerdings auch aufmerksam auf die hören, die uns hierhergeschickt haben. Ich glaube, sagen zu können, daß die Vorstellung einer europäischen Verständigung, daß der Gedanke an die Schaffung eines vereinten Europas zu den Ideen gehört, die am stärksten in unserem deutschen Volk und ganz besonders in der deutschen Jugend Widerhall gefunden haben.

    (Beifall bei der CDU.)

    Vielleicht wird mir Herr Kollege Schmid gestatten, daß ich aus seiner Rede, die er bei der konstituierenden Sitzung des deutschen Rates der Europabewegung am 13. September 1949 in Wiesbaden gehalten hat, einen kurzen Satz zitiere. Herr Kollege Schmid sagte:
    Ich möchte schließen mit den Worten, die ich vor einiger Zeit in einem Kreis junger Leute hörte: Wenn die Alten über das notwendige Maß an Bedachtsamkeit hinaus zögern sollten, dann werden wir Jungen ihnen das Steuer aus der Hand nehmen; denn das Schiff unserer Zukunft
    kommt nur mit einem Kurs zum guten Hafen: mit dem Kurs auf Europa!

    (Hört! Hört! und Bravo! bei der CDU.)

    Herr Kollege Schmid hat damals — ich unterstreiche, was er sagte — hinzugefügt: „Die Jugend dieses Kontinents wird diesen Kurs steuern!".

    (Bravo! bei der CDU.)

    Wir sind entschlossen, auf diese Stimmen zu hören, die ich immer wieder höre, gleichgültig vor welchem Kreis ich spreche, auf diese Stimmen der jungen Generation, die nun einmal glaubt, daß dieser schreckliche Krieg mit einem echten europäischen Frieden allein seinen konstruktiven Abschluß finden muß. Wir wollen auf diese Jugend hören, die nach unabänderlichen biologischen Gesetzen uns hier ablösen wird und die uns dann vielleicht den Vorwurf machen würde, in einem historischen Augenblick versagt zu haben.

    (Bravo! bei der CDU.)

    Darum, meine Damen und Herren — ich spreche das im Namen der Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union ebenso wie im Namen der Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei aus —, haben wir uns entschlossen, die Vorlage des Kabinetts anzunehmen. Ich glaube, daß wir damit das tun, was uns unsere Pflicht, unsere Gewissenspflicht als verantwortliche Abgeordnete vorschreibt. Wir


    (Dr. von Brentano)

    wollen nicht sagen: wir gehen nach Europa, sondern wir sollten sagen: wir bleiben in Europa, wo wir immer waren und wo wir bleiben wollen!

    (Beifall bei der CDU.)

    Wir wollen für diesen europäischen Kontinent, der ernstlich gefährdet ist, für diesen Kontinent, an dessen Wiege Humanismus und Christentum Pate gestanden haben, eintreten, und wir wollen ihn zu stärken versuchen, diesen Kontinent, zu dem nicht nur das Straßburger Münster, zu dem auch die Universität Königsberg gehört,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    an der Kant seine Schrift „Vom ewigen Frieden" geschrieben hat, für den Kontinent und das Deutschland, zu dem nicht nur Köln, Frankfurt und München gehören, sondern ebenso die Bachstadt Leipzig, Danzig und Breslau.

    (Bravo! bei der CDU.)

    Wir sind überzeugt, meine Damen und Herren, daß das richtig ist, was auch auf der ersten europäischen Konferenz im Haag von einem englischen Politiker gesagt wurde: „L'Europe ou la mort"; Europa wird sich zusammenschließen, oder es wird untergehen.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    In einem Zeitalter, in dem ein Flugzeug von Rom nach London in zwei Stunden fliegt und dabei die Grenzen von acht oder neun Vaterländern übermißt, müssen wir Ernst zu machen versuchen mit dem Abbau von politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Vorstellungen, die der Vergangenheit angehören.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Deutschland gehört zu diesem Europa als integraler Bestandteil, und Europa ist ein integraler Teil nicht nur des deutschen politischen, sondern auch des deutschen geistigen Lebens. Seit Jahrhunderten haben sich die besten Menschen in Europa bemüht, den Weg zu einer Verständigung zu finden. Heute haben wir einmal die greifbare Möglichkeit hierzu. Wir sind gefragt worden, ob wir den Weg gehen wollen. Darauf gibt es, auch wenn man alle Bedenken ernst nimmt und nachdenklich überlegt, ob nicht vielleicht doch ein Gesichtspunkt gegen den Beitritt sprechen könnte, nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung meiner Freunde nur eine Antwort: den Mut zur Verantwortung, den Mut, eine Gewissensentscheidung zu fällen, bei der wir bereit und entschlossen sind, sie zu jeder Zeit vor unserem gesamten deutschen Volke zu vertreten.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)