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ID0106801200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag. — 68. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950 2457 68. Sitzung Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2457C, 2502D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Schlange-Schöningen 2457C Eintritt des Abg. Horn in den Bundestag 2457C Anfrage Nr. 76 der Fraktion der FDP betr. Verwendung der als erste Hypothek ausgegebenen ERP-Mittel (Drucksachen Nr. 92G und 1012) 2457C Anfrage Nr. 81 der Fraktion der BP betr. Abkommen über die Inanspruchnahme von privatem Wohnraum und von Hotels durch die Besatzungsmächte (Drucksachen Nr. 959 und 1015) 2457D Interfraktionelle Erklärung betr. Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie 2457D Löbe (SPD), Alterspräsident . . 2457D Dr. von Brentano (CDU) (zur Geschäftsordnung) 2458B Abstimmung 2459A Unterbrechung der Sitzung 2458C, 2459A Ausschluß des Abg. Reimann für 30 Sitzungstage 2458D Unterbrechung der Sitzung . 2458D Erste und zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Eu- roparat (Drucksache Nr. 984) 2459B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 2459B Dr. von Brentano (CDU) 2466D Dr. Schumacher (SPD) 2470B Dr. Schäfer (FDP) 2478B Dr. Seelos (BP) 2481A Blücher, Vizekanzler 2484D Frau Wessel (Z) 2485B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2490A Dr. von Merkatz (DP) 2493B Tichi (WAV) 2496A Nuding (KPD) 2496C Dr. Miessner (DRP) 2500C Clausen (SSW) 2501B Dr. Dorls (SRP) 2501B Dr. Leuchtgens (DRP) (Persönliche Bemerkung) 2502C Nächste Sitzung 2502D Die Sitzung wird um 9 Uhr 24 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich anschließen an die letzten Worte des Herrn Bundeskanzlers, der mit großem


    (Dr. von Brentano)

    Ernst darauf hingewiesen hat, daß heute der Deutsche Bundestag eine Entscheidung von schicksalhafter Bedeutung nicht nur für Deutschland, sondern in gleichem Maße für Europa, für den europäischen Kontinent und vielleicht für die Welt zu fällen hat. Denn es handelt sich darum, die Stellung des neuen Deutschland im weltpolitischen Kraftfeld zu präzisieren, es handelt sich um eine Entscheidung, die wir nicht nur mit dem Verstand als Politiker, sondern die wir auch vor unserm Gewissen und vor unserer Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk zu rechtfertigen haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Eine solche Entscheidung darf nicht aus der Emotionalität des Augenblicks getroffen werden; sie ist es wohl wert, daß wir uns auch mit den Einwänden, die einem Ja entgegenstehen, auseinanderzusetzen versuchen.
    Es ist von vielen Seiten nicht nur aus dem Inland — auch ausländische Stimmen haben dieses Argument aufgenommen— darauf hingewiesen worden, daß die politische und wirtschaftliche Lage des Deutschlands der Nachkriegszeit seine Neutralität erheische. Dabei wird uns dieser Begriff der Neutralität in den verschiedensten Farben geschildert. Die meisten, die davon sprechen, verbinden damit eine eigene Vorstellung, angefangen von der bewaffneten Neutralität bis zur Neutralität der Selbstaufgabe. Gerade diesem Einwand gegenüber sollten wir uns darüber klar sein, daß wir in einer welthistorischen Auseinandersetzung stehen, bei der es eine Neutralität nicht geben kann.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir können nicht neutral bleiben, wenn die Fragestellung lautet: Totalitarismus oder Demokratie;

    (Abg. Rische: Ach was, Krieg und Frieden lautet sie!)

    wenn die Fragestellung lautet: Freiheit oder Terror; wenn die Fragestellung lautet: Erhaltung und Sicherung der Würde des Menschen oder Vermassung und brutaler Zwang!

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte. -Abg. Rische: Dazu brauchen Sie dann Kriminalbullen!)

    Meine Damen und Herren! Wir sind nach Bonn gekommen und haben es uns zur Aufgabe gemacht, den neuen Staat nach dem Grundgesetz zu errichten, nicht nur das Grundgesetz zu achten, sondern es zu verwirklichen und zu schützen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In Art. 1 dieses Grundgesetzes haben wir anerkannt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist und daß es die oberste Pflicht aller staatlichen Gewalt sein muß, sie zu achten und zu schützen. Darum haben wir uns zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlagen der Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekannt. Dieses Bekenntnis verpflichtet uns auch, zu handeln. Wir haben diese unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte anerkannt, weil sie vorstaatlichen Charakter haben. Der Staat hat sie nicht zu verleihen; sondern der Staat hat sie zu schützen. Um so weniger hat irgendein Staat unter irgendeinem Vorwand das Recht, sie uns zu nehmen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn wir wirklich glaubten, daß wir in dieser Entscheidung, in dieser Auseinandersetzung noch frei wären, dann würden wir — und das fürchte ich — nicht nur gegen das gesetzte Recht des Grundgesetzes verstoßen, sondern wir würden auch gegen
    den Geist dieses Grundgesetzes verstoßen und uns damit schuldig machen. Es gibt meiner Überzeugung nach in dieser Situation des deutschen Volkes auch kein Ausweichen. Wir haben dem deutschen Volk gegenüber die Verantwortung übernommen und wir müssen den Mut haben, auch zu dieser Verantwortung zu stehen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn wir einer Entscheidung ausweichen, dann mögen die Gründe dafür noch so gut durchdacht und vorgebracht sein, — diejenigen, die sich die Unterdrückung der Freiheit zum Ziel gesetzt haben, werden darin den Ausdruck der Schwäche sehen,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien) und wir werden in der Vorstellung unseres eigenen Volkes einen leeren Raum schaffen. Wie können wir erwarten, daß das deutsche Volk an die Grundsätze dieser Verfassung der neuen Demokratie denkt und bereit und entschlossen ist, sie nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen und zu verteidigen, wenn wir selbst das Beispiel der Unentschlossenheit geben? Ich fürchte, daß wir dadurch allzu leicht einen luftleeren, einen nicht mit Lebensenergie gefüllten Raum schaffen und damit den starken Kräften, deren potentielle Energie wir nicht unterschätzen dürfen, den Anreiz geben, in diesen leeren Raum vorzustoßen.


    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    In den westlichen Demokratien, denen wir uns verwandt fühlen, weil sie sich ebenso wie wir dazu verpflichtet haben, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Mensch in ihnen ohne Furcht und Not leben kann, in diesen westlichen Demokratien und auch hier bei uns von einer kleinen Gruppe einmal abgesehen, mit der ich mich nicht auseinandersetzen möchte — denkt niemand daran, irgendwann und unter irgendwelchen Voraussetzungen mit den Feinden der Freiheit zu koalieren.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Aber gerade weil wir wissen, daß eine solche Entscheidung außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt, sollten wir auch den Mut zur Verantwortung in der heutigen Entscheidung aufbringen.
    Wir haben in der jüngsten Diskussion auch häufig den Hinweis auf den deutschen Osten gehört. Als wir in Bonn das Grundgesetz beraten haben, haben wir in der Präambel zum Ausdruck gebracht, daß wir auch für jene Deutschen gehandelt haben, denen mitzuwirken versagt war. Genau das gleiche gilt für die Entscheidung, vor der wir heute stehen,

    (Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Wir sprechen nicht von Westeuropa, sondern wir sprechen von Europa.

    (Beifall bei der CDU.)

    Darum werden die deutschen Vertreter, die nach Straßburg gehen, auch nicht etwa ihre Aufgabe darin sehen, die Bundesrepublik oder die Bevölkerund der Bundesrepublik dort zu vertreten, sondern sie werden sich zu Sprechern des ganzen Deutschland machen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

    Sie werden sich insbesondere — hier möchte ich aufnehmen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat — verpflichtet und berechtigt fühlen, sich in Straßburg auch zum Sprecher der Stadt Berlin zu machen. Die augenblicksbedingten staatsrechtlichen Konstruktionen sind uns bei solchen politischen Entscheidungen gleichgültig.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)



    (Dr. von Brentano)

    Wir sind es den Deutschen in der Ostzone schuldig, daß wir ihre Anliegen dort vertreten, wo wir sie in Freiheit aussprechen dürfen,

    (Beifall bei der CDU)

    wir sind es aber um so mehr der Stadt Berlin schuldig.
    Vor kurzem las ich in dem Bericht über die erste Sitzung des Europarats eine Fragestellung des französischen Kammerpräsidenten Herriot, der damals das Deutschlandproblem angeschnitten und unter Hinweis auf die zurückliegenden Jahre gesagt hat: „Es liegt daher an Deutschland selbst, auf eine Frage zu antworten, die für uns ein sittliches und ein politisches Problem aufwirft." Meine Damen und Herren, daß diese konkrete Frage nun an uns gestellt worden ist und wir darauf antworten können, verdanken wir nicht zuletzt dem heldenhaften Freiheitskampf der Berliner Bevölkerung, die der Welt die Überzeugung vermittelt hat, daß es in Deutschland Demokraten gibt, die für die Erhaltung und Verteidigung ihrer Freiheit auch Opfer zu bringen bereit sind.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Vielleicht wird der Hinweis auf das Schicksal des deutschen Ostens demnächst wiederholt werden. Ich halte es — um eine mögliche Entwicklung vorwegzunehmen — für durchaus denkbar, daß man von Sowjetrußland aus die Entscheidung, vor der wir heute stehen, zwar nicht zum Anlaß, aber zum Vorwand nehmen wird, um die deutsche Ostzone noch mehr, als es bisher geschehen ist, aus dem Verband des deutschen Volkes zu lösen. Ich sage, man kann dies zum Vorwand, aber nicht zum Anlaß nehmen. Falls wir uns heute für den Eintritt in den Europarat entscheiden, sollte dann jemand ernstlich annehmen können, daß eine solche Entscheidung aggressiven Charakter haben kann? Unstreitig ist, daß jede Entscheidung, die wir treffen, wenn wir uns für die Freiheit aussprechen, polemischen Charakter gegen die Feinde der Freiheit trägt und tragen muß. Aber eine Zusammenarbeit der europäischen Völker zum Zweck der Erhaltung des europäischen Friedens kann nur von einem Narren oder von einem Böswilligen als Zeichen der Angriffslust betrachtet werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Abg. Rische: Sind Sie harmlos!)

    Meine Damen und Herren! Auch die Saarfrage, die der Herr Bundeskanzler schon angeschnitten hat, hat naturgemäß in der Diskussion eine Rolle gespielt. Auch über dieses Problem müssen wir ernst und nüchtern sprechen, ein Problem, das uns ja bereits vor einigen Monaten hier in Bonn im Bundestag beschäftigt hat. Ich habe bereits bei der Debatte, die im Anschluß an den Abschluß der Saar-Konventionen vom 3. März geführt wurde, zum Ausdruck gebracht, daß die einseitige Lösung eines politischen, wirtschaftlichen und territorialen Problems durch die Saar-Konventionen — ich betone: die einseitige Lösung, denn der zweite Kontrahent, der eine solche Lösung hätte treffen können, konnten und durften nur das deutsche Volk und die deutsche Regierung sein —

    (Sehr richtig! bei der CDU)

    eine Sünde am Geist der europäischen Verständigung war.

    (Beifall bei der CDU.)

    Auch die Begleiterscheinungen, die dieser Entscheidung vorausgegangen. und nachgefolgt sind,
    können mich nur veranlassen, diese Feststellung hier zu wiederholen.

    (Abg. Rische: Dabei war es die Tür nach Straßburg!)

    Ich denke beispielsweise an die Entscheidungen, die im Jahre 1947 getroffen worden sind, als man willkürlich und ebenso einseitig dem Saargebiet noch 29 Gemeinden angegliedert hat, die nicht einmal wirtschaftlich und politisch mit dem Saargebiet in unmittelbarem Zusammenhang standen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich denke ebenso auch an einseitige Grenzkorrekturen an anderer Stelle.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Was die Saarfrage angeht, so sollte sie uns aber nicht hindern, trotzdem nach Straßburg zu gehen; denn einmal haben wir die ausdrückliche und feierliche Erklärung der Alliierten, daß die endgültige Entscheidung über die Saar erst im Friedensvertrag getroffen werden wird.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Zuruf von der SPD: Stimmt ja nicht!)

    Wenn wir nach Straßburg gehen und in Europa mitarbeiten wollen, dann wollen wir es ja tun, um solche — lassen Sie mich sagen — voreuropäischen Lösungen wie die Lösung der Saarfrage zu verhindern und, soweit sie bereits erfolgt sind, für eine Revision in friedlicher, freundschaftlicher und ehrlicher Arbeit zu sorgen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ein weiterer Einwand ist der, daß der Deutschen Bundesrepublik in Straßburg die Gleichberechtigung verweigert wird. Auch dieser Einwand ist sicherlich bedeutungsvoll und schwerwiegend. Man sagt uns, daß wir mit unserem Beitritt zum Europarat in Straßburg eine Vorleistung erbrächten, die nicht genügend honoriert werde. Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir doch gut daran täten, uns bei solcher Betrachtung auch des Jahres 1945 zu erinnern. Damit gebe ich kein Argument für die Verweigerung der Gleichberechtigung. Aber ich versuche, den mir richtig erscheinenden Weg aufzuzeigen, der mir darin zu liegen scheint, nicht Bedingungen für die Mitarbeit zu stellen, sondern sich in der Mitarbeit die Anerkennung der Gleichberechtigung zu erwerben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe keinen Zweifel, daß wir auf diesem Wege der Mitarbeit die Gleichberechtigung eher und besser erreichen werden, als wenn wir sie durch Fernbleiben zu ertrotzen versuchen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

    Wir hören auch, daß der Europarat bisher keine fruchtbare Arbeit geleistet habe; es wird manchmal auch gesagt, er habe seinen Höhepunkt schon überschritten und es sei von seinen Arbeiten keine wertvolle, befruchtende Anregung des europäischen Denkens und Handelns mehr zu erwarten. Die Kritik kommt nicht nur aus deutschem Munde, und sie scheint mir auch weitgehend berechtigt. Aber gerade weil wir von einer europäischen Zusammenarbeit in Straßburg mehr erhoffen, als sie bisher ohne uns gebracht hat, scheint es mir doch gut, auch hier einmal die Ergebnisse in wenigen Worten zu erwähnen.
    Unter den Vorschlägen, die der Versammlung in Straßburg als Ergebnis der bisherigen Arbeit vorliegen, befinden sich die Konvention über die Menschenrechte, die Errichtung eines europäischen Gerichtshofes, die Verwirklichung einer europäischen


    (Dr. von Brentano)

    1 Zahlungsunion, die Errichtung einer europäischen Bank, die Konvention über die Kontrolle der europäischen Kartelle, die Konvention zur Einführung eines europäischen Passes, zur Vereinheitlichung der Posttarife und zur Regelung des Patentwesens. Dazu kommt eine Reihe von Anregungen, die zur Diskussion gestellt sind, darunter auch ein europäisches Grundgesetz für die soziale Sicherung, die Errichtung einer europäischen Kohle- und Stahlbehörde, eine Koordinierung der Investitionspolitik in den europäischen Grundstoffindustrien.
    Man mag mir antworten, daß alle diese Vorschläge sich noch im Vorfeld der eigentlichen politischen Entscheidungen bewegen. Aber auch hier gilt es meines Erachtens, daß man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun kann, und wir sollten entschlossen sein, den starken dynamischen Kräften, die in der Straßburger Versammlung schon sichtbar geworden sind, die Unterstützung unseres deutschen Willens zuteil werden zu lassen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    Wir sollten glauben, daß die Dynamik dieser Kräfte in einer heute schon sichtbaren eigengesetzlichen Entwicklung stark genug sein wird, um die statischen Kräfte, wie sie sich im Ministerrat als dem Ausdruck noch vorhandener nationalstaatlicher Gegebenheiten ausdrücken, zu überwinden. Wir sollten bereit und entschlossen sein, unseren Beitrag dazu zu leisten. Wir sollten natürlich auch ohne falsche Illusionen und ohne falsche Utopien nach Straßburg gehen.
    Erlauben Sie mir, daß ich in einem anderen Zusammenhang den gleichen zitiere, den der Herr Bundeskanzler zitiert hat, nämlich den Präsidenten der Konsultativ-Versammlung, Paul Henri Spaak, der am 28. Januar 1950 sagte:
    Jede praktische Aktion ist mehr wert als alle
    Träume der Welt. Man muß konkrete Maßnahmen treffen, selbst wenn sich diese in engen Grenzen halten. Wir dürfen nicht länger sagen: „Ich bin für die Organisation Europas", oder:
    „Ich wünsche die Vereinigten Staaten von
    Europa". Wir müssen handeln!
    Ich glaube, daß wir hier jedes Wort unterschreiben können und daß wir uns auch sagen sollten, daß nach einem guten und bewährten französischen Sprichwort die Abwesenden immer unrecht haben.
    Es gibt auch solche, die uns sagen, daß diese Entscheidung ja keine Eile habe, daß wir warten könnten, bis die Mitarbeit Deutschlands unter besseren Bedingungen und Vorzeichen möglich wäre. Meine Damen und Herren! Ich warne vor einer solchen Vorstellung, als ob die Zeit für die europäische Zusammenarbeit, als ob die Zeit für die Erhaltung der westlichen Demokratien und der demokratischen Freiheiten arbeite. Ich bin um so weniger der Auffassung, daß wir Zeit haben, als wir — und da stimme ich den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu — mit einem „Nein" zu Straßburg auch ein „Nein" zum Schuman-Plan sagen würden. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, daß ein „Nein" zu der Regierungsvorlage zwangsläufig auch eine Negation dieses Plans der französischen Regierung bedeuten würde; und gerade dieser SchumanPlan scheint mir den Weg zur Lösung des wohl brennendsten europäischen Problems zu zeigen, nämlich der deutsch-französischen Frage. Europa soll nicht von Deutschland und Frankreich gestaltet werden. Europa kann aber nur entstehen, wenn die historische Feindschaft, die diese Völker seit Jahrhunderten getrennt und die über diesen europäischen Kontinent schon so viel Unglück gebracht hat, durch
    eine ehrliche und vertrauensvolle Freundschaft abgelöst wird. Wir glauben, daß gerade der Schuman-Plan hier ein geeignetes Instrument ist; denn die Verwirklichung des Schuman-Plans schließt wohl auch für einen phantasiebegabten Menschen die Möglichkeit einer nochmaligen kriegerischen Verwicklung dieser beiden Staaten für alle Zeiten aus.
    Ich sagte, Deutschland und Frankreich sollen und werden Europa nicht allein gestalten. Ich kann auch hier nur den Wunsch des HerrnKanzlers aufnehmen, daß der Mitarbeit in Europa ebensowenig wie der Mitarbeit an der Verwirklichung des Schuman-Plans sich irgendeine europäische Macht — am wenigsten England — entziehen möge, wenn wir auch naturgemäß wissen, daß bei der besonderen staatsrechtlichen Struktur Englands mit seinen starken Verflechtungen und Verpflichtungen im Rahmen seines Commonwealth die Entscheidungen für dieses Land schwerer zu treffen sind als für andere europäische Länder.
    Meine Damen und Herren! Wenn wir heute vor dieser Entscheidung stehen, dann sollten wir allerdings auch aufmerksam auf die hören, die uns hierhergeschickt haben. Ich glaube, sagen zu können, daß die Vorstellung einer europäischen Verständigung, daß der Gedanke an die Schaffung eines vereinten Europas zu den Ideen gehört, die am stärksten in unserem deutschen Volk und ganz besonders in der deutschen Jugend Widerhall gefunden haben.

    (Beifall bei der CDU.)

    Vielleicht wird mir Herr Kollege Schmid gestatten, daß ich aus seiner Rede, die er bei der konstituierenden Sitzung des deutschen Rates der Europabewegung am 13. September 1949 in Wiesbaden gehalten hat, einen kurzen Satz zitiere. Herr Kollege Schmid sagte:
    Ich möchte schließen mit den Worten, die ich vor einiger Zeit in einem Kreis junger Leute hörte: Wenn die Alten über das notwendige Maß an Bedachtsamkeit hinaus zögern sollten, dann werden wir Jungen ihnen das Steuer aus der Hand nehmen; denn das Schiff unserer Zukunft
    kommt nur mit einem Kurs zum guten Hafen: mit dem Kurs auf Europa!

    (Hört! Hört! und Bravo! bei der CDU.)

    Herr Kollege Schmid hat damals — ich unterstreiche, was er sagte — hinzugefügt: „Die Jugend dieses Kontinents wird diesen Kurs steuern!".

    (Bravo! bei der CDU.)

    Wir sind entschlossen, auf diese Stimmen zu hören, die ich immer wieder höre, gleichgültig vor welchem Kreis ich spreche, auf diese Stimmen der jungen Generation, die nun einmal glaubt, daß dieser schreckliche Krieg mit einem echten europäischen Frieden allein seinen konstruktiven Abschluß finden muß. Wir wollen auf diese Jugend hören, die nach unabänderlichen biologischen Gesetzen uns hier ablösen wird und die uns dann vielleicht den Vorwurf machen würde, in einem historischen Augenblick versagt zu haben.

    (Bravo! bei der CDU.)

    Darum, meine Damen und Herren — ich spreche das im Namen der Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union ebenso wie im Namen der Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei aus —, haben wir uns entschlossen, die Vorlage des Kabinetts anzunehmen. Ich glaube, daß wir damit das tun, was uns unsere Pflicht, unsere Gewissenspflicht als verantwortliche Abgeordnete vorschreibt. Wir


    (Dr. von Brentano)

    wollen nicht sagen: wir gehen nach Europa, sondern wir sollten sagen: wir bleiben in Europa, wo wir immer waren und wo wir bleiben wollen!

    (Beifall bei der CDU.)

    Wir wollen für diesen europäischen Kontinent, der ernstlich gefährdet ist, für diesen Kontinent, an dessen Wiege Humanismus und Christentum Pate gestanden haben, eintreten, und wir wollen ihn zu stärken versuchen, diesen Kontinent, zu dem nicht nur das Straßburger Münster, zu dem auch die Universität Königsberg gehört,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    an der Kant seine Schrift „Vom ewigen Frieden" geschrieben hat, für den Kontinent und das Deutschland, zu dem nicht nur Köln, Frankfurt und München gehören, sondern ebenso die Bachstadt Leipzig, Danzig und Breslau.

    (Bravo! bei der CDU.)

    Wir sind überzeugt, meine Damen und Herren, daß das richtig ist, was auch auf der ersten europäischen Konferenz im Haag von einem englischen Politiker gesagt wurde: „L'Europe ou la mort"; Europa wird sich zusammenschließen, oder es wird untergehen.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    In einem Zeitalter, in dem ein Flugzeug von Rom nach London in zwei Stunden fliegt und dabei die Grenzen von acht oder neun Vaterländern übermißt, müssen wir Ernst zu machen versuchen mit dem Abbau von politischen, wirtschaftlichen und staatlichen Vorstellungen, die der Vergangenheit angehören.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Deutschland gehört zu diesem Europa als integraler Bestandteil, und Europa ist ein integraler Teil nicht nur des deutschen politischen, sondern auch des deutschen geistigen Lebens. Seit Jahrhunderten haben sich die besten Menschen in Europa bemüht, den Weg zu einer Verständigung zu finden. Heute haben wir einmal die greifbare Möglichkeit hierzu. Wir sind gefragt worden, ob wir den Weg gehen wollen. Darauf gibt es, auch wenn man alle Bedenken ernst nimmt und nachdenklich überlegt, ob nicht vielleicht doch ein Gesichtspunkt gegen den Beitritt sprechen könnte, nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung meiner Freunde nur eine Antwort: den Mut zur Verantwortung, den Mut, eine Gewissensentscheidung zu fällen, bei der wir bereit und entschlossen sind, sie zu jeder Zeit vor unserem gesamten deutschen Volke zu vertreten.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Die Debatte am 10. März dieses Jahres hat in der Hauptfrage keine Einigung zwischen den Beteiligten gebracht. Sie erweckte aber die Hoffnung, daß durch die Besserung der Atmosphäre gewisse Annäherungen erfolgt sind, die für gemeinsame Ziele aller Deutschen wenn auch nicht gemeinsame Wege, so doch die Respektierung der Verschiedenheit der Wege mit sich bringen werden. Es ist uns danach von seiten des verantwortlichen Leiters der deutschen Politik erklärt worden, man wolle keine Politik machen ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Ausschuß und mit der Opposition. Nun stelle ich fest, daß seit dem 6. April keine Aussprache zwischen dem Herrn Bundeskanzler und
    einem Verantwortlichen der Opposition stattgefunden hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Als der Herr Bundeskanzler am 16. Mai das Kabinett bewog, dem vorbehaltlosen Beitritt Deutschlands zum Europäischen Rat beizustimmen, hat er mich am 15. Mai informiert.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Zur gleichen Zeit war die gesamte deutsche Öffentlichkeit durch eine Rede des Herrn Bundeskanzlers auf einer Zonentagung der CDU in der britischen Zone bereits unterrichtet. Es ist vielleicht charakteristisch für den fehlenden Willen zur reibungslosen Gemeinsamkeit dort, wo sie möglich ist, daß diese Bekanntmachung des Herrn Bundeskanzlers mit einem Angriff gegen die Sozialdemokraten in den Länderregierungen gekoppelt wurde, die an der Verzögerung des sozialen Wohnungsbaus schuld sein sollten, eine Behauptung, die dem Herrn Bundeskanzler bereits einige sehr nachdrückliche Rügen durch die Länderminister und Länderregierungen eingetragen hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat es bis heute — ich betone: bis heute — noch nicht für notwendig gehalten, uns über den Inhalt der Saarnote zu unterrichten.

    (Lebhafte Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)

    Das ist, glaube ich, ein Novum in der Geschichte der
    parlamentarischen Demokratie, und wir möchten
    doch feststellen: gerade in Dingen der Außenpolitik
    haben wir allen Grund, zu beachten, daß der Staat
    nicht identisch ist mit der Regierung und die Regierung nicht identisch ist mit dem Bundeskanzler.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Das Bemühen der Regierung sollte immer dahin gehen, das Gemeinsame in der Außenpolitik auch da zu erstreben, wo man verschiedene Standpunkte hat. Aber dazu sind Abstimmung und Zusammenarbeit, ist mindestens offene und vorbehaltlose Information nötig, besonders dann, wenn man sie ausdrücklich versprochen hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich entnehme dieser Haltung der maßgeblichen Herren der Bundesregierung, daß sie sich entweder nicht um einen gemeinsamen Boden bemühen wollen oder nicht dazu imstande sind. Ich entnehme aus dieser Haltung auch einen bedenklichen Mangel an Verständnis 'für den demokratischen Parlamentarismus.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man soll nie übersehen: an der Regierung sein heißt nicht nur, die Chance haben, etwas für seine Anschauung herauszuholen. An der Regierung sein heißt auch, die Verpflichtung haben, wenigstens zu versuchen, das Ganze zu koordinieren.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Für uns ist diese Entwicklung besonders bedenklich, weil die Kette der Vorgänge eine genaue Wiederholung der Ereignisse vom November 1949 ist. Auch damals hat man geglaubt, diese Methode entschuldigen und erklären zu können, indem man einen reichlich unbegründeten Optimismus gepredigt hat. Ich möchte fragen: was ist geblieben vom Optimismus der Tage des Petersberger Abkommens?

    (Sehr richtig bei der SPD.)

    Ich füge hinzu: eines Abkommens, dessen Rechtsgültigkeit die Sozialdemokratie nicht anerkennt,
    weil es verfassungswidrig zustande gekommen ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Was der Herr Bundeskanzler heute in längeren Ausführungen vorgetragen hat, ist eine Reihe von technischen Maßnahmen und abkommenähnlichen Dingen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Er hat vergessen, neben dieser positiven Liste die negative vorzutragen. Sie würde alle politischen Dinge umfassen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wenn der Herr Bundeskanzler von Erleichterungen aller Art einschließlich der Demontagen spricht, dann möchte ich darauf hinweisen, daß auch Erschwerungen aller Art, einschließlich der Demontagen, heute noch lebendig sind.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Übrigens sollte man nicht übersehen, daß jede Form der Erleichterung heute ja nicht einer bestimmten Regierung gewährt wird, daß jede Form der Erleichterung nicht als Begünstigung der einen oder anderen politischen Linie gemeint ist, sondern daß jede Form der Erleichterung von den westlichen Alliierten zwangsläufig gewährt wurde, um die deutsche Bundesrepublik überhaupt lebensfähig und konkurrenzfähig gegenüber dem östlichen Satellitensystem zu machen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, die Zukunftsmusik des Petersberger Abkommens ist verrauscht, und in der Zwischenzeit hat man sich auf seiten der Bundesregierung um eine Reihe von diplomatischen Prestigeerfolgen bemüht, die sämtlich vereitelt wurden, obschon doch gerade von seiten der Westalliierten eine gewisse psychologische Erleichterung I für die Politik der Regierung hätte gegeben werden müssen. Es gibt keine juristische Konzession der Alliierten auf einem politischen Gebiet. Sie haben alle ihre Positionen nach wie vor voll besetzt gehalten.
    Jetzt, meine Damen und Herren, sollen wir also
    nach Straßburg gehen unter den Bedingungen der jetzigen Behandlung der Saarfrage, ohne die Gleichberechtigung, als ein Land des Besatzungsstatuts und der Hohen Kommissare und als ein Land, mit dem maßgebende Mitglieder des Europäischen Rates sich heute noch im Kriegszustand befinden, die es in London ausdrücklich abgelehnt haben, diesen Zustand zu beenden. Ich meine, etwas, worauf wir als ein politisches Nahziel alle zusammen unsere Kräfte konzentrieren sollten, wäre die Änderung des Besatzungsstatuts, gerade in dem Sinne. daß nicht durch seine Hilfe auch hier im Westen Zustände geschaffen werden, die rechtlich nur durch einen Friedensvertrag geregelt werden sollten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Als Ergebnis der Debatte vom 10. März möchte ich doch eine Reihe von Wünschen nach Handlungen und Klärungen feststellen, die nach unserem Ermessen nicht erfüllt worden oder nicht erfolgt sind. Man hat die Saarnote verspätet abgesandt und man hat sie diesem Haus nicht bekanntgegeben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es ist keine Verwahrung dagegen eingelegt worden, daß das Saargebiet nicht die Erfordernisse des Art. 3 des Statuts des Europäischen Rates erfüllt und daß das Saargebiet als ein Polizeistaat dem Europäischen Rat in Straßburg als einem Gremium demokratischer Staaten nicht angehören kann.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man hat damit die Alliierten auch der Beantwortung der Frage enthoben, inwieweit sie ihre eigenen Prinzipien überhaupt ernst nehmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist von deutscher Seite keine Klärung der Eventualitäten und der Möglichkeiten eines Volksentscheides vorgenommen worden. Aber ich glaube, man kann doch das Saarproblem nicht in der Weise ignorieren, daß man an dieser Kardinalfrage vorübergeht, vor allen Dingen, weil in der Zwischenzeit eine weitergehende energische Französisierung der Saarbevölkerung eintritt. Ich möchte fragen: Was hat das Bundeskabinett getan, um diesen Prozeß aufzuhalten, der bei einer eventuell später einmal kommenden Volkabstimmung für uns sehr peinlich werden könnte?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Frankreich hat übrigens auch bis heute die Saarkonventionen nicht ratifiziert. Jetzt plötzlich taucht im Ausland die Nachricht auf, daß noch in diesem Monat die Konventionen ratifiziert werden sollen. Aber, verehrte Herren und Damen, wenn sie ratifiziert werden, nachdem Deutschland in den Europäischen Rat eingetreten ist, dann sind wir wieder einmal auf einem Gebiet überspielt worden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist auch sehr interessant, daß in keiner deutschen Zeitung eine Rede zu lesen war, die der für die deutsch-französischen Beziehungen nicht günstig wirkende Hohe Kommissar Grandval kürzlich, am 2. Juni, glaube ich, in Völklingen gehalten hat. Da erklärte er, die Beachtung und Respektierung der Saarkonventionen sei selbstverständliche Voraussetzung für den Schuman-Plan. Er betonte, daß er das im Namen seiner Regierung und höchster internationaler Instanzen erkläre.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das scheint mir doch ein reichlich starker Tobak von Politik zu sein, die hinter unserem Rücken gemacht wird, ohne daß — ich muß es befürchten — die Bundesregierung auf dem Posten gewesen ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn wir weiter den Charakter der Mitgliedschaft des Saargebiets prüfen, dann finden wir, daß diese Mitgliedschaft im Europäischen Rat angeblich unerläßlich und eine große nationale Prestigefrage unseres französischen Nachbarvolkes ist. Aber dasselbe Saargebiet ist in der Kommission, die den Schuman-Plan beraten soll, nur Mitglied der französischen Kommission.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich vermisse in der deutschen Diskussion, die bei einem Teil der Presse übrigens mit einem hohen Maß von Leichtfertigkeit und Ignoranz geführt worden ist,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    auch von seiten der Regierung den Hinweis darauf, daß die Alliierten, die unseren Eintritt in den Euro-, päischen Rat mit moralischen Argumenten begründen, diese Forderung gegenüber Österreich nicht erhoben haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nun gönnen wir das den Österreichern von ganzem Herzen. Wir möchten, daß jedes europäische Land das denkbare Optimum für seine Position erreicht. Aber man soll uns doch mit einer Moral in Ruhe lassen, bei der die Quantität der Länder die Qualität der Moral verändern kann.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Leider ist hier noch immer eine Hoffnung auf den Friedensvertrag, der ja nach dem Wortlaut der Versprechungen die Saarfrage erst endgültig regeln soll, laut geworden. Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie davor warnen; denn es gibt eine ganze Anzahl von Kriegs- und Nachkriegsabmachungen der Alliierten untereinander, die den Abschluß von Friedensverträgen einzelner alliierter Mächte mit ganz Deutschland oder Teilen Deutschlands ausdrücklich untersagen. Und wenn uns jetzt bei jeder Gelegenheit von maßgebenden Männern der alliierten Politik erklärt wird, daß erst der Friedensvertrag das Schicksal des Saargebiets regele — nun, in London, auf das der Herr Bundeskanzler Bezug genommen hat, ist ausdrücklich erklärt worden, daß Sowjetrußlands wegen ein Friedensvertrag mit Deutschland vorläufig leider nicht in Frage kommen könne.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nun frage ich: wie redet man eigentlich mit diesem Volk? Man verspricht ihm die Lösung der Probleme durch den Friedensvertrag und erklärt kurz darauf, daß dieser Friedensvertrag leider nicht möglich sei. Nein, meine Damen und Herren, der Friedensvertrag, der einmal kommen wird, ist doch kein plötzlicher revolutionärer Akt der Rechtsschöpfung zugunsten der Deutschen, sondern er ist das Ergebnis der Mosaikzusammensetzung der vollendeten Tatsachen, gegen die die Deutschen an den entscheidenden Punkten nicht rechtzeitig und nachdrücklich genug Front gemacht haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Hier gibt es Ungeklärtheiten. Die Fülle der Ungeklärtheiten, die ich soeben kurz anstieß, enthält in jedem einzelnen Punkte Gefahren der Benachteiligung für die gegenwärtige und kommende Politik. Es wäre darum durchaus angebracht — und es hindert uns nur die Erhitzung der politischen Atmosphäre und die Besorgnnis, uns verdächtig zu machen, mit kleinen Mitteln einer großen Entscheidung ausweichen zu wollen den Antrag zu stellen, der in der Sache an sich nötig wäre, nämlich; die Entscheidung über den Beitritt in den Europäischen Rat so lange zurückzustellen, bis die von mir erwähnten Fragegruppen auch tatsächlich geklärt sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nun begeht man in der Diskussion den entscheidenden Denkfehler, eine angeblich kleine Saarfrage einer angeblich großen und entscheidenden Europafrage gegenüberstellen zu wollen. Aber das Problem der Saar ist ja nicht in erster Linie der Saarkomplex. Das Problem der Saar ist doch die Frage nach dem. Prinzip, nach dem Europa errichtet werden soll; und man kann bei der Verschiedenheit aller tatsächlichen Voraussetzungen ein Prinzip im Westen nicht anders behandeln als im Osten. Tatsächlich ist auch im Ausland oder im Inland kein Argument vorgebracht worden, das unsere Besorgnisse bezüglich der Rückwirkung auf die Oder-Neiße-Linie hätte erschüttern können. Ich zweifle nicht an dem guten Willen der hier versammelten Damen und Herren, mit aller Kraft gegen die Oder-Neiße-Linie einzutreten. Aber ich zweifle, ob sie übersehen, daß der Gegner aus unserem schuldhaften Tun oder Unterlassen Argumente herleiten kann. Die Oder-Neiße-Linie ist ja nicht nur das Problem der deutschen Grenzen, die Oder-Neiße-Linie ist auch das Problem des Rückkehr- und Heimatrechts der Ostvertriebenen, zu dem wir uns bekennen müssen.

    (Starker Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Mitte.)

    Nun ist der Herr Bundeskanzler leider den Weg gegangen, sich stark als Verbreiter meiner gesammelten Reden und Schriften zu engagieren.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich möchte nicht die Einzelheiten aufdecken, sondern werde bei dem Kardinalproblem darauf zurückkommen. Ich möchte aber sagen, als der Herr Bundeskanzler das Comisco nannte, habe ich mich ehrlich und aufrichtig gefreut. Herr Bundeskanzler, bei Comisco haben wir uns nicht mit der sogenannten SPS, der Sozialistischen Partei des Saargebiets, zusammengesetzt. Die Sozialisten des Saargebiets sind bei der Erörterung der Saarfrage vorgeladen worden; und mit einem gewissen Stolz kann ich sagen, das Ergebnis der Comisco-Sitzung vom 1. bis 3. Juni in Kopenhagen war eine Denkschrift, die ein so klares, eindeutiges Bekenntnis zur Berechtigung des deutschen Standpunkts in der Saarfrage enthält, daß wir das dem deutschen Volk nicht vorenthalten sollten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr von Brentano mag mir verzeihen, wenn ich, durch die Bemerkung seines Kanzlers verlockt, darauf hinweise: wenn man schon von Zusammenkünften zwischen Parteien der Saar und deutschen Parteien sprechen will, dann möchte ich in aller Bescheidenheit an die Tage im schönen Sorrent in Italien erinnern, wo sich die christlich-demokratischen Parteien Europas getroffen haben und wo auch Herr von Brentano Gelegenheit gehabt hat, Herrn Johannes Hoffmann, den Ministerpräsidenten des Saargebiets, zu sehen und mit ihm in Fühlung zu kommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Er hat ihn nicht gern gesehen!)

    — Ich weiß wie das ist; aber das haben Sie nur Ihrem Kanzler zu verdanken.

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Nun ist es sozialdemokratische Politik, ein poli- tisch und psychologisch starkes Europa zu schaffen, ein Europa, in dem jedes Volk sowohl seine europäische wie seine nationale Aufgabe in der Überwindung der totalitären und kommunistischen Gefahren sieht. Aber was jetzt in Straßburg zusammengezimmert wird, ist die Schaffung eines Europas, das schwächer ist, als es zu sein braucht, so schwach, daß es seine Funktion der Überwindung des Kommunismus nicht so gut und möglicherweise kaum erfüllen kann.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das ist der Sinn unserer Politik: die Konzentration aller Einsichten und Kräfte auf ein gemeinsames, starkes Europa, aber nicht das Geschäftemachen mit dem europäischen Gedanken zugunsten von Nationalstaaten und Nationalwirtschaften.

    (Zuruf von der FDP: Fragen Sie einmal Dalton!) — Wir kommen auch darauf. Beruhigen Sie sich doch nur! Mit dem antienglischen Komplex schaffen Sie Europa auch nicht.


    (Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts.)

    Der Europäische Rat ist nur stark, wenn er kein Übereinkommen der Regierungen, sondern ein Pakt der Völker ist. Nur dann ist er auch das entscheidende Gewicht in der großen Waagschale des Friedens, das in keiner Gefahr als zu leicht befunden werden kann. Europa — und das ist unser kardinaler Vorwurf gegen den Europäischen Rat in Straßburg — darf keine Bestandteile antieuropäischer Politik haben.
    Die stärkste Bedrohung des Friedens sowie der Freiheit und der Demokratie in Europa ist der man-


    (Dr. Schumacher)

    gelnde innere Ernst, mit dem man den eigenen Grundsätzen gegenübersteht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das mag man in London und in Paris und überall genau so hören wie hier in diesem Saal.

    (Starker Beifall bei der SPD.)

    Die Zeitnot und die sachlichen Notwendigkeiten, die dahin drängen, sind doch Notwendigkeiten, die allen europäischen Ländern gemeinsam und nicht eine einseitige deutsche Belastung sind.
    Wenn wir jetzt über die Frage des Eintritts diskutieren, dann warne ich davor, die europäische Idee praktisch zu einer propagandistischen Formel der Parteien zu machen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich warne auch davor, unbesehen ausländische Kronzeugen zu zitieren. Kein Mensch wird es Herrn Spaak übelnehmen, wenn er als Präsident der Versammlung des Europäischen Rates für seine Institution wirbt. Aber alle Deutschen sollten doch eins darin sein, daß es keine gute Sache ist, wenn ein ausländischer Staatsmann zwei Tage vor Beginn einer großen Debatte und mitten in einem Wahlkampf in dieser Weise in eine interne deutsche Willensbildung eingreift.

    (Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien.) — Ist das üblich? Werden Sie den Herrn Bundeskanzler auch nach Brüssel schicken, damit er in die Auseinandersetzungen über die belgische Königsfrage eingreift?


    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lachen bei den Regierungsparteien. — Zuruf: Spaak hat sich nicht schicken lassen!)

    Meine Damen und Herren, es ist aber auch unvorsichtig deswegen, weil Herr Spaak ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß es bis zum Eintritt Deutschlands in den Ministerrat zwei Jahre dauern könne. Ich glaube, auf Leute, die diese Tendenzen oder diese Vorstellungen haben, sollte sich der Herr Bundeskanzler besser nicht berufen, abgesehen davon, daß Herr Spaak auch erklärt hat, der Mangel an Exekutivgewalt bringe den Europäischen Rat in die Gefahr, zu einer bloßen Akademie der Dispute zu werden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Er hat auch nicht die Chance gezeigt, wie man dieser Gefahr begegnen und welche realen Voraussetzungen zur Überwindung dieser Gefahr vorhanden sein könnten.

    (Zuruf von den Regierungsparteien: Aber mit England ist alles in Ordnung!?)

    Nun muß ich — ich glaube, das ergibt sich zwangsläufig — einige Gesichtspunkte herausstellen. Der eine betrifft die Häufung von opportunistischen Propagandaillusionen. Man diskutiert so, als ob Europa eine Frage der Gesinnungstüchtigkeit in der innerdeutschen Propaganda wäre. — Mit dieser Methode entläßt man ja die anderen europäischen Völker aus ihrer europäischen Verantwortung gegenüber unserem Kontinent.

    (Sehr- wahr! bei der SPD.)

    Man tut so, als ob Europa als Idee und als realisierbares Ziel absolut identisch wäre mit dem Europäischen Rat, wie er sich heute unser aller Augen darbietet, einer Institution, die eine sehr vorübergehende und veränderliche Erscheinung ist.
    Ich bedauere darum, wenn es in dem innerpolitischen Wahlkampf — im Lande Nordrhein-Westfalen zum Beispiel habe ich derartige Wahlplakate der CDU gesehen — jetzt so erscheint, als ob das
    Bekenntnis zum Europäischen Rat das allein mögliche Bekenntnis zu Europa und der Wunsch, eine andere Konstellation erstehen zu lassen, eine Verneinung Europas wäre. Meine Damen und Herren, mit dieser Politik versuchen Sie, einen sehr ungewissen Tagesvorteil zu erreichen, aber bestimmt erreichen Sie damit eine Schwächung der europäischen Gesamtsituation!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Man spricht auch davon, allerdings mehr in der Flüsterpropaganda, daß jetzt die Alliierten wissen müßten, woran sie nun eigentlich mit den Deutschen sind. Ich glaube, die Leute, die nationalpolitisch und im Willen zur internationalen Versöhnung in den vergangenen fünf Jahren ihre Aufgabe erfüllt haben, haben nie eine Unklarheit darüber gelassen, daß Deutschland und sein Volk Bestandteile der Kultur und der gesellschaftlichen und demokratischen Auffassung des Westens sind. Ich weiß, daß gerade die Entschiedenheit dieser Stellungnahme uns in der jüngsten Vergangenheit noch die schwersten Vorwürfe wegen unserer „Einseitigkeit" eingebracht hat. Man sollte die Torheit unterlassen, in den Bünden, Verbänden und Kreisen so zu diskutieren, als ob der Unfug von der Neutralisierung ein Realpolitikum wäre und als ob die Deutschen die Möglichkeit einer Wahl hätten. Aber die Tatsache, daß wir die Möglichkeit einer Wahl nicht haben, sollte uns nicht gefügig machen, jedem Anspruch, der aus dem Westen an uns herangetragen wird, stattzugeben, nur weil er aus dem Westen kommt.
    Sehen Sie, der Herr Bundeskanzler ist an einer Stelle — er mag es mir verzeihen, wenn ich es sehr akzentuiert ausspreche — entscheidend verunglückt. Er hat um unsere Zustimmung geworben und hat dabei drei Variationen gegeben. Erstens: Wir werden sehen, wer für den Europarat und damit für den Westen ist und wer gegen den Europarat und damit für den Osten ist.

    (Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien: Das hat er nicht gesagt!)

    Herr Bundeskanzler, mit dieser Formulierung zerschneiden Sie das Tischtuch endgültig!

    (Erneuter lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    — Einen Augenblick! Der Herr Bundeskanzler hat
    sich dann korrigiert, nachdem er das gesagt hatte,

    (lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien: Nein!)

    und hat erklärt: „Ich will nicht sagen, daß jeder, der gegen den Europarat ist, damit auch für den Osten ist". Auf neuerlichen Protest hat er sich dann noch einmal korrigiert und erklärt, er wolle nicht sagen, daß die Neinstimmen zum Europäischen Rat für den Osten seien, aber sie seien gegen den Westen.

    (Zuruf von Regierungsparteien: So ist es auch!)

    Diese drei Lesarten hat der Herr Bundeskanzler
    selbst vorgetragen; das Protokoll — das unkorrigierte Protokoll! — wird ja darüber Auskunft geben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang auch wieder den eigentümlichen Geschmack gehabt, den Herrn Otto Strasser zu zitieren. Ich möchte sagen: der Herr Bundeskanzler übersieht, daß Herr Otto Strasser allmählich unter Duldung und Förderung sehr maßgeblicher politischer Freunde des Herrn Bundeskanzlers in anderen Ländern ein Bestandteil des Klerikalfaschismus geworden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Der Herr Bundeskanzler hat sich auch dadurch nicht warnen lassen, daß seine Adjudanten ihm bei der außenpolitischen Auseinandersetzung im November vorigen Jahres eine Reihe von deutschnationalen Zitaten vorgelegt haben, die der Herr Bundeskanzler gegen uns abschießen zu können vermeinte. Wir haben damals — ich möchte sagen, aus einer gewissen Menschenfreundlichkeit heraus — über diesen Punkt weitere Ausführungen nicht gemacht. Denn wenn ich vor mich schaue, meine Damen und Herren, dann stelle ich fest, daß auch in der Partei des Herrn Bundeskanzlers eine ganze Anzahl von Herren sitzt, die damals Mitglied der Deutschnationalen Partei gewesen sind.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß es die Aufgabe des Herrn Bundeskanzlers sein sollte, gegen seine Parteifreunde dieser politischen Provenienz zu polemisieren. Gegen uns hat er jedenfalls mit diesen Zitaten nicht polemisiert.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Zur sachlichen Aufklärung über Konstruktion und Konsequenzen des Europarats möchte ich nun sagen, daß es bei den Diskussionen in diesem Lande und in diesem Hause gerade auch von seiten der Regierung an einer Menge von Aufklärung im Volke fehlt, in demselben Volke, das über Richtigkeit oder über Falschheit der einen oder anderen politischen Linie entscheiden soll! Es werden dem Europarat Dinge angeheimnißt und angehext, die er nach dem Willen seiner Gründer nicht hat und nach den realpolititischen Möglichkeiten der Veränderung auch in Zukunft nicht haben kann. Es fehlt eine ausreichende sachliche Unterrichtung darüber, daß die europäische Konzeption der Deutschen sehr viel enthusiastischer ist als die deutsche Konzeption der übrigen Europäer. Man geht zu sehr auf das Feld der konkurrierenden Bravheiten und der Gesinnungstüchtigkeit, und man argumentiert zu wenig mit dem, was tatsächlich ist und was gemacht werden kann.
    In Straßburg mag sich sehr viel guter Wille konzentrieren; aber Straßburg ist für niemanden repräsentativ und Straßburg ist niemandem verantwortlich. Das, meine Damen und Herren, sollten Sie in diesem Zusammenhang doch auch erörtern, wenn Sie dieses Problem zu einer so großen Frage machen wollen. Ich glaube, niemand hat Straßburg jemals so scharf kritisiert wie der französische Ministerrat, als er — das wurde vom Herrn Bundeskanzler zitiert — am 9. Mai folgender Meinung Ausdruck gab:
    Durch die Zusammenfassung der Grundproduktionen und die Errichtung einer neuen hohen Behörde schafft dieser Vorschlag die er st en festen Grundlagen zu einer für die Erhaltung des Friedens unerläßlichen europäischen Föderation.
    Eine solche negative Wertung des Europarats, die in dieser Wertung des Schuman-Projekts liegt, hat sich nicht einmal die Sozialdemokratische Partei in Deutschland bisher zuschulden kommen lassen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nun hat man, meine Damen und Herren, hier — geistweise sagt man, glaube ich, im Schwedischen — von den Folgen des Eintritts und des Nichteintritts gesprochen. Ich meine, daß es ganz falsch ist, diesen Eintritt und Nichteintritt als Patentschlüssel zu einer Tür, die zu einer besseren oder zu einer verderblichen Zukunft führt, zu betrachten. Deutschland, auch wenn es nicht in den Europarat eintritt, bleibt nach dem Willen des deutschen Volkes ein unverzichtbarer Bestandteil des politischen Systems gegen den östlichen Totalitarismus und für die westliche Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im Falle des Nichteintritts können und wollen die Alliierten nicht auf die deutsche Kampfbastion verzichten. Und es ist falsch, die Deutschen jetzt in die Rolle eines bloßen Objekts hineindrängen zu lassen. Der deutsche Kampfeswille für die Demokratie, meine Damen und Herren, ist für die Demokratie der ganzen Welt unverzichtbar.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir stehen nicht in Gefahr, abgedrängt zu werden, und wir haben den Willen, uns nicht abdrängen zu lassen.
    Unter den Gefahren, die die propagandistische Behandlung der Frage des Europarats, wie sie in den letzten Wochen — und Tagen ganz speziell — eingerissen ist, mit sich bringt, ist die größte Gefahr doch die Gefahr der Enttäuschung. Im Falle des Eintritts Deutschlands in den Europarat regeln sich weder geographische noch militärische Grenzen. Es wird keine Gleichberechtigung der Völker geschaffen und keine der Wirtschaftskrisen der europäischen Bevölkerung überwunden. Aber es gibt auch durch Straßburg keine Form der militärischen Sicherheit. Und wenn nun alles, was Menschen antreibt und bewegt, in keinem wichtigen Punkte auch nur annähernd gesichert ist, dann ist doch die notwendige Konsequenz: ein Rückschlag im europäischen Bewußtsein und im europäischen Willen, ein Rückschlag auf Grund von Enttäuschungen, die auch manches Mitglied dieses Hauses propagandistisch mitverschuldet hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die klärende Aussprache wird erschwert durch die Verbindung dieser Aussprache mit der Erörterung des sogenannten Schuman-Plans. Es gibt ja gar keinen Schuman-Plan; es gibt nur einen Schuman-Vorschlag, einen Vorschlag zu Verhandlungen, und das, was der Plan ist, ist erst noch festzustellen. Man kann also den guten Willen begrüßen; man kann aber nicht, wie der Herr Bundeskanzler es tut, erklären, man werde den Plan durchführen. Denn man kann nicht etwas durchführen, von dem man noch gar nicht weiß, was es ist.
    Nun haben die Franzosen der Weltöffentlichkeit, der gesamten deutschen Öffentlichkeit und, ich glaube, auch der Bundesregierung ausdrücklich erklärt, sie wünschten nicht die Verkoppelung der Erörterung des Eintritts in den Europarat mit dem Schuman-Plan.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Sie haben ausdrücklich erklärt, daß beide Dinge gar nichts miteinander zu tun haben. Nun aber kommt der maßgebende Mann, der Verhandlungskontrahent — der Herr Bundeskanzler — und erklärt, das eine sei die Voraussetzung für das andere. Wer hat nun recht? Die Franzosen oder der Bundeskanzler? Gesagt haben es beide; und vielleicht wird der Herr Bundeskanzler angesichts dieser Gegenüberstellung es nicht mehr als so - wie hat er gesagt? - „geschmacklos" oder „wenig poetisch" finden, wenn ich davon gesprochen habe, daß er seine Politik an dem starken Schwanze des französischen Gauls, nämlich des Schuman-Plans, über das Kampffeld ziehen lassen wolle. Ich behaupte ja auch nicht, daß mein Vergleich poetisch ist.

    (Heiterkeit bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Ich weiß, daß mein Vergleich „haarig", aber richtig ist.

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt eine Reihe von Erklärungen abgibt, so kann er diese Erklärungen nur in seinem Namen oder im Namen des Kabinetts, bestenfalls — ich weiß es nicht — im Namen der Regierungsparteien abgeben. Aber er kann diese Erklärung nicht für das deutsche Volk abgeben. Die Sozialdemokratie fühlt sich durch die Kundgebung des Herrn Bundeskanzlers in dieser Frage nicht gebunden und nicht einmal beeindruckt.

    (Zuruf von der CDU: Wir haben aber eine Demokratie!)

    Wir müssen gleich von vornherein auch feststellen, daß die personelle Zusammensetzung nach dem, was wir bezüglich einiger Personen vor einigen Wochen aus der Presse der Partei des Herrn Bundeskanzlers entnommen haben, uns kein großes Vertrauen einflößt. Wir wissen auch nicht, was es mit dem Mann und den Männern auf sich hat, die einen deutschen Gegenvorschlag ausarbeiten sollen. Was wir auf dem Gebiet bisher gehört haben, zwingt uns dazu, auf das äußerste mißtrauisch zu sein; denn die Akteure aus den Interessentenkreisen sind ja schließlich Leute, die an der Schaffung der verderblichen Tatsachen in den letzten 40 Jahren deutscher und europäischer Geschichte einen maßgebenden Anteil gehabt haben.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es wäre sehr wichtig, wenn der Herr Bundeskanzler bei diesem neuen Problem die Linie einmal einhalten würde — oft versprochen und immer wieder verlassen —, die Opposition zu informieren.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich stelle hiermit fest, daß der Bundeskanzler bis zum heutigen Tage kein einziges informatorisches Gespräch mit einem Vertreter der Opposition bzw. der sozialdemokratischen Oppositionspartei gehabt hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich glaube, bei einem Manne, der versuchen will, das Instrument der parlamentarischen Demokratie zu spielen, muß ein stärkeres Verständnis für Verteilung der Funktionen zwischen Regierung und Opposition vorhanden sein. Herr Bundeskanzler, die Welt hätte nicht sehr viel verloren, wenn Sie Ihren lehrhaften Vortrag über die Rolle der Opposition, wie Sie sie sich vorstellen, nicht gehalten. hätten.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Opposition ist jetzt nämlich am Zuge mit der Erklärung darüber, wie sie sich die Funktion der Regierung vorstellt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es ist gewiß erfreulich, wenn der Herr Bundeskanzler sich zu einer Linie des Westens bekennt, ich will hoffen, auch der westlichen Demokratie schlechthin,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    ohne Einschränkung! Aber weil es der Herr Bundeskanzler gewesen ist, der die taktisch schwierige Aktion unternommen hat, sachlich notwendige und berechtigte Kritik mit einer Parteinahme für den Osten mindestens eventualissime gleichzusetzen, deswegen — und nur deswegen — fühle ich mich verpflichtet, hier ein Zitat aus der Zeit von Ende November 1948 vorzulesen, aus einer Zeit also, in der jeder Mensch in Deutschland die Klarheit der Fronten und die Endgültigkeit der Entscheidung bereits kennen mußte. Es ist ein Zitat aus einer Rede
    vom 23. November 1948, wiedergegeben in der CDUZeitung „Der Tag" — Lizenzträger Jakob Kaiser — am 24. November 1948. Dort heißt es wörtlich:
    Mir scheint es horrender Blödsinn zu sein, daß im Zeitalter der Atombombe zwischen Deutschland und Frankreich ein Krieg überhaupt möglich sei. Trotzdem fürchtet man in Frankreich noch immer eine Bedrohung durch ein wiedererstarktes Deutschland, das dann mit Rußland zusammengehen könnte. Mit wem das wiedererstarkte Deutschland zusammengehen wird, hängt ganz davon ab, wie das übrige Westeuropa Deutschland behandelt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das sollte man vor allem Frankreich, den Beneluxstaaten, aber auch England sagen. (Zuruf von der CDU: Na ja, und?)

    — Der Redner hieß Konrad Adenauer und ist heute deutscher Bundeskanzler.

    (Unruhe und Zuruf von der CDU: Was leiten Sie daraus her?)

    Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen: Wenn das — besonders zu dieser Zeit —

    (Zuruf von der SPD: Das ist ihnen peinlich!) etwa ein Sozialdemokrat gesagt hätte, dann hätten wir ihn am nächsten Tag aus der Partei hinaus-

    geworfen!

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Bezüglich der Konstruktion des Europarats möchte ich vorweg eines sagen: Europa kann nicht auf der Grundlage vorwiegend geschäftlicher Interessen geschaffen werden. Es kann nicht geschaffen werden auf der Grundlage vorwiegend nationalgeschäftlicher, klassenmäßig- bzw. cliquenmäßiggeschäftlicher oder privatgeschäftlicher Interessen. Europa, meine Damen und Herren, ist etwas mehr als der Ausgleich der Stahlproduktion zugunsten der einen und der Ausgleich der Kohleproduktion eventuell zugunsten der anderen Seite. Europa ist wichtiger und wertvoller als der billige Ruhrkoks für die neue französische Stahlindustrie.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Europa wird, wenn unter diesen Gesichtspunkten zu diskutieren begonnen wird, doch dann die selbstverständliche Antwort der Selbstbehauptung anderer Stahlindustrien finden. Wir werden also vor lauter Kampf um die Stahlquote zu keiner Einigung der Völker, sondern bestenfalls zu einer widerwilligen Verteilung der Profite kommen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Darum erklären wir: Wenn wir den Schuman-Plan — den wir im Grundsatz, gerade weil er französischer Initiative entspringt, begrüßen — fördern wollen, dann muß etwas mehr in Aktion treten als die Interessen und die Teile von Regierungen, die für die Interessen dieser Interessenten etwas zu viel Verständnis haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir möchten ausdrücklich sagen: Das wichtigste in der Organisation der neuen Hochbehörde im Schuman-Projekt ist doch die Verantwortlichkeit dieser Behörde. Aber dieser Diskussion geht man aus dem Wege. Nur einige ungeschickte deutsche Journaltölpel schreiben von den „freien Persönlichkeiten", die „niemand verantwortlich sein können", und meinen ganz naiv die Manager als diese „freien Persönlichkeiten." Wir haben im Dritten Reich gesehen, was das für „freie Persönlichkeiten" sind.

    (Zuruf bei der SPD: Die sind noch da!)



    (Dr. Schumacher)

    Ein Überstaat der Manager wäre unser Todfeind, weil wir in ihm das Ende der europäischen Demokratie und die objektive Begünstigung der Sowjets sehen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie hat eine Reihe von Voraussetzungen präzisiert. Ich sprach von der Freiheit der Entscheidung unseres Volkes über das Eigentum an seiner großen Wirtschaft. Wir müssen aber auch die permanente Drohung der französischen Politik mit der einseitigen Internationalisierung deutschen Eigentums aus der Welt schaffen; sonst hat eine Verhandlung keinen Zweck. Wir müssen sehen, daß das Schuman-Projekt und das Bestehen des Ruhrstatutes und der Ruhrbehörde einander ausschließen und daß auf dieser Grundlage kein Gespräch möglich ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir müssen wissen, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, dieses Resteuropa noch einmal in zwei Teile zerschneiden zu helfen. Wenn wir lediglich die sechs Länder mit der verhältnismäßig hohen Arbeitslosigkeit und den niedrigen Reallöhnen zusammenfassen, dann ist das keine europäische Konzentration; um so weniger, ais sie dann auch noch gegen die anderen westeuropäischen Länder mit der Vollbeschäftigung und den relativ hohen Reallöhnen konkurrieren müssen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben von Unvorsichtigen über gewisse Absichten gehört. Herr Pertinax ist natürlich in die Arena gestolpert. Wann stolpert er nicht? Und der deutsche Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard hat bezüglich des Schuman-Projektes nach einem Bericht der amerikanisch lizenzierten „Neuen Zeitung" wörtlich erklärt, ein Zusammenschluß Europas unter Beteiligung von Ländern mit sozialistischer Volkswirtschaft sei nicht möglich.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Entweder reden Sie für Europa; dann werden wir uns positiv an der Disskusion beteiligen, und dann werden wir wissen, wie unsere Interessen und Überzeugungen gegeneinander abzuwägen sind, was möglich ist und was nicht möglich ist. Oder Sie wollen innerhalb Kleineuropas ein Kleinsteuropa des äußersten Westens. Aber dann wollen Sie nichts Europäisches. Dann wollen Sie auch nichts, mit dem die Europäer imstande wären, die Gefahren des ästlichen Totalitarismus zu überwinden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir wollen kein System regionaler Pakte, die zu Spannungen führen müssen, die diese Mächtegruppierungen und die besonders Deutschland auszuhalten viel zu schwach wären.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, entscheidet man aber mit dem Eintritt in den europäischen Rat ja gar nicht die Straßburg-Frage zentral. Man entscheidet mehrere Dinge, die hinter Straßburg stehen und viel bedeutsamer und machtvoller sind. Wenn wir in Straßburg in den europäischen Rat eingetreten sind, dann haben wir den einzigen außenpolitischen Trumpf aus der Hand gegeben, den unser Volk überhaupt zur Verfügung hat. Das einzige, was die Welt von uns will, ist ein freiwilliger Eintritt Deutschlands in eine von ihr geschaffene internationale Organisation. Wenn wir für den Eintritt in den europäischen Rat diesen Trumpf weggegeben haben, haben wir keinen Trumpf mehr in der Hand, wenn die Frage des Eintritts oder des