Das geschah bereits im Frühjahr 1947, als Herr Schumacher ein Veto gegen
die Zusammenkunft der deutschen Ministerpräsidenten in München einlegte. Die Idee war aber zu gut und zu richtig, als daß die Konferenz nicht auch gegen den Widerstand Schumachers zustande gekommen wäre. Aber immerhin hat er es fertiggebracht, daß die damals schon geplante Repräsentanz des deutschen Volkes durch die Ministerpräsidenten verhindert wurde, scheiterte und die Staatwerdung eines wahrhaft föderalistischen Deutschlands weiter hinausgezögert wurde.
Dann, im Frühjahr 1948, hat Schumacher seinen Widerstand gegen die Bildung eines westdeutschen Staates beibehalten, der allein eine Rettung aus den damals unerträglichen Zuständen des Hungers und der wirtschaftlichen Auflösung bedeutet hat. Schließlich war es der Einsicht der Berliner und insbesondere von Oberbürgermeister Reuter zu danken, daß gerade im Interesse des deutschen Ostens die Notwendigkeit der Schaffung eines Weststaates sich gegen Herrn Schumacher durchsetzte.
Dann, wieder im Frühjahr 1949, hat Herr Schumacher monatelang eine wahrhaft föderalistische Bundesverfassung bekämpft und die Staatenbildung der deutschen Bundesrepublik wiederum verzögert.
„Lieber kein Deutschland als ein föderalistisches Deutschland!", das war das Motto in der Odeonstraße in Hannover.
Und jetzt ist Schumacher wieder gegen einen Beitritt zum Europarat, ohne uns eine Alternative aufzuzeigen. Es ist doch eine Utopie, daß wir so lange warten können, bis das gesamte Deutschland beisammen ist.
— Das hat er mehr oder weniger gesagt. Diese Politik Herrn Schumachers ist wahrhaft verhängnisvoll für Deutschland.
Es ist interessant, daß gerade die Kreise in der SPD, die die engste Verbindung mit der öffentlichen Meinung der Welt haben,, wie die Bremer und die Hamburger Kreise, und daß gerade auch die Berliner in ihrer Isolierung, in ihrer engen Zusammenarbeit mit den Alliierten zur Behauptung dieses europäischen Vorpostens gegenüber dem Osten diejenigen sind, die - in der Mehrzahl — Herrn Schumacher widersprechen.
— Herr Schumacher, lesen Sie doch die Rede Breitscheids anläßlich des Beitritts zum Völkerbund im Jahre 1925, der damals in flammenden Worten die Abgeordneten des Reichstags beschwor, von dieser Gelegenheit zur internationalen Zusammenarbeit Gebrauch zu machen.
Auch damals war die volle Gleichberechtigung Deutschlands nicht sofort gesichert, obwohl es damals weit mehr als heute über eine volle außenpolitische Handlungsfähigkeit verfügte.
Damals stimmten die Deutschnationalen dagegen.
Heute scheinen nun 130 Abgeordnete trotz aller
Gegengründe der Weisung Schumachers zu folgen.
Aber irgendwo muß ja auch in Deutschland die preußisch-deutsche Tradition der absoluten Kommandogewalt ihre Heimstätte haben.
Und so weit, Herr Schumacher, kann die inner-politische Ablehnung Adenauers doch nicht gehen, daß Sie darob außenpolitische Notwendigkeiten zur Verbesserung der Lage unseres Volkes preisgeben, Vorteile, die Sie, wenn Sie an der Regierung wären, als großen Erfolg buchen würden. Oder kann man dieses Europa und seinen ersten mutigen Schritt, den Schuman-Plan, bloß deshalb ablehnen, weil er nicht Ihrer Idee eines sozialistischen Europa entspricht?
Welches sind denn die Gründe für den Eintritt? Wo können wir besser für eine Lösung der Saarfrage wirken als innerhalb des Europarats, als in dauerndem Kontakt mit den friedlichen europäischen Staaten? Wo können wir die Unlogik der jetzigen Besatzungspolitik mit ihren Diskriminierungen und Härten besser aufzeigen als in einer Institution gleichberechtigter Staaten?
Wie können wir für unsere Heimatvertriebenen eher Hilfe finden, als daß wir endlich für dieses unser schwerstes Problem das Ohr der Welt gewinnen? Da drüben in Amerika haben wir festgestellt, daß selbst einflußreiche politische Kreise überhaupt nicht wissen, daß wir in Westdeutschland 8 Millionen Heimatvertriebene haben. Wo können wir besser hoffen, einen Ersatz für die einseitig Deutschlands Souveränität beengende Ruhrbehörde zu finden? Wie könnten wir uns wirtschaftlich schneller erholen und unseren Produktionsindex auf gleiche Ebene mit den weit vorgeschrittenen anderen europäischen Staaten bringen als in einem wirtschaftlich einheitlichen Europa? Wir denken nicht daran, in der Europaidee nur eine Ausflucht zu suchen. um unsere Lasten auf Europa abzuwälzen, um einen europäischen Lastenausgleich zu propagieren. Unsere vier Millionen Toten. unsere Kriegsgefangenen, unsere Kriegsversehrten und unsere Ruinen kann uns kein europäisches Land abnehmen. Aber man kann zum Beispiel einen gewissen Ausgleich unseres Bevölkerungsüberschusses oder unseres Kapitalmangels finden.
Ein deutsches Nein, wie es Schumacher vorschlägt, bringt uns um all diese Möglichkeiten, und wir sehen eben die Gefahr, daß wir den Zeitpunkt versäumen könnten, in dem der Aufbau Europas mit der notwendigen Hilfe der Vereinigten Staaten noch möglich ist, die vielleicht selbst einmal nicht mehr willens oder in der Lage sind, weiterhin so großzügig Mittel nach Europa zu geben.
Weiter sehen wir in einem europäischen Bund die Sicherung gegen eine sich neu bildende preußisch-deutsche Kommandostelle. Wenn schon Herr Adenauer so zentralistische Touren reitet wie bei der Bundespolizei, dann wäre ein Kanzler Schumacher das totale Ende des Föderalismus.
Wir wünschen, daß dieser übergeordnete europäische Bund möglichst stark und umfassend
wird, damit sich in der deutschen Bundesrepublik nicht mehr ein undemokratischer Kommandogeist bilden kann, der uns abstößt.
Schließlich denken wir ganz einfach folgendes. Nun haben wir jahrelang gewartet, wir waren draußen vor den Türen der Welt, wir haben noch vor kurzem nicht hoffen können. daß wir so bald wieder in der europäischen Völkerfamilie mitarbeiten können. Das hat auch Herr Schäfer bereits zum Ausdruck gebracht. Wir haben jetzt die berechtigte Hoffnung. mit diesem Schritt auch bald unsere völlige Gleichberechtigung zu erhalten.
In diesem Augenblick sollten wir nein sagen? Allerdings richten wir an die Alliierten den dringenden Appell: Geben Sie uns schon jetzt die Zusicherung, daß die im September sich füllende Jahresfrist für die Änderung des Besatzungsstatuts zur Wiederherstellung unserer nationalen Souveränität führen wird und daß wir als Völkerrechtssubjekt auch wieder eine eigene Außenpolitik fuhren können. Wenn der heutige Schritt in möglichst großer Geschlossenheit und Einigkeit erfolgt, dann werden auch die Alliierten nicht zögern, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Nun besteht wohl bei allen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, Einigkeit in der grundsätzlichen Bejahung der Europaidee, nicht aber in der Frage des Eintritts in den Europarat. Könnte nicht folgender Gedanke die Bedenken der SPD ausräumen? Ich meine. daß wir zwar den Europarat betreten, die 18 Abgeordneten wählen. sie auch nach Straßburg entsenden, daß diese aber dort als stumme Beobachter in der beratenden Versammlung bleiben, bis der deutschen Bundesrepublik die volle Gleichberechtigung zugestanden wird.
Stumme Beobachter und ein stummer Vorwurf! Sollte eine dahingehende Erklärung auf Änderung des Besatzungsstatuts im September durch die Alliierten schon jetzt erfolgen, dann wäre die Situation wesentlich erleichtert. Jedenfalls sollten wir einer so großen Idee und so viel gutem Willen von amerikanischer und französischer Seite dadurch begegnen. daß wir im Bundestag irgendeine Lösung finden, um diesen Staater in der Gestaltung Europas mitzuhelfen.
Da wir als Volk weiter bestehen und leben wollen, bejahen wir den Europarat als die notwendige Lebensgemeinschaft der europäischen Völker, als Schutz vor dem Aufleben veralteter Nationalismen, als Pfand für die Erhaltung des Friedens.