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    Deutscher Bundestag. — 68. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950 2457 68. Sitzung Bonn, Dienstag, den 13. Juni 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2457C, 2502D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Schlange-Schöningen 2457C Eintritt des Abg. Horn in den Bundestag 2457C Anfrage Nr. 76 der Fraktion der FDP betr. Verwendung der als erste Hypothek ausgegebenen ERP-Mittel (Drucksachen Nr. 92G und 1012) 2457C Anfrage Nr. 81 der Fraktion der BP betr. Abkommen über die Inanspruchnahme von privatem Wohnraum und von Hotels durch die Besatzungsmächte (Drucksachen Nr. 959 und 1015) 2457D Interfraktionelle Erklärung betr. Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie 2457D Löbe (SPD), Alterspräsident . . 2457D Dr. von Brentano (CDU) (zur Geschäftsordnung) 2458B Abstimmung 2459A Unterbrechung der Sitzung 2458C, 2459A Ausschluß des Abg. Reimann für 30 Sitzungstage 2458D Unterbrechung der Sitzung . 2458D Erste und zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Eu- roparat (Drucksache Nr. 984) 2459B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 2459B Dr. von Brentano (CDU) 2466D Dr. Schumacher (SPD) 2470B Dr. Schäfer (FDP) 2478B Dr. Seelos (BP) 2481A Blücher, Vizekanzler 2484D Frau Wessel (Z) 2485B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2490A Dr. von Merkatz (DP) 2493B Tichi (WAV) 2496A Nuding (KPD) 2496C Dr. Miessner (DRP) 2500C Clausen (SSW) 2501B Dr. Dorls (SRP) 2501B Dr. Leuchtgens (DRP) (Persönliche Bemerkung) 2502C Nächste Sitzung 2502D Die Sitzung wird um 9 Uhr 24 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Und noch einen Gedanken bitte ich zu beachten, und zwar auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Sie wissen, daß wir im Jahre 1937 einen Einfuhrbedarf an Lebens- und Futtermitteln unter Zugrundeliegen einer Kalorienhöhe von 2 700 pro Person von eindreiviertel Milliarden RM hatten. Das bedeutet: wir mußten erst Devisen in Höhe von über drei Milliarden für Einfuhr von Rohstoffen schaffen, um durch deren


    (Dr. Becker [Hersfeld])

    1 Verarbeitung nun immer wieder neu die drei Milliarden für den Neueinkauf von Rohstoffen und die eindreiviertel Milliarden Überschuß für den Bedarf an Lebensmitteln und Futtermitteln zu schaffen. Das war damals bei 2 700 Kalorien. — Übrigens: wie lange ist es her, daß man nicht mehr von Kalorien spricht? Wir haben auch das schon wieder schnell vergessen! — Und wie sieht nun, da wir die Ostprovinzen, die landwirtschaftlichen Überschußprovinzen verloren haben, die Rechnung für Deutschland aus? Erhöhter Export ist notwendig, um uns auf dieser Höhe der Ernährung zu halten. Ferner: jedes andere europäische Land industrieller Art, Belgien, Holland, England, Italien, in gewissem Maße auch Frankreich, haben dieselbe Not. Ergebnis: Wenn alle getrennt vorgehen, ist die Folge, daß jeder getrennt mit dem andern Konkurrenz treiben muß, um seinen Export abzusetzen; denn die Absatzmärkte sind ja in der Welt geschwunden. Auch das hat sich noch nicht überall richtig herumgesprochen. Infolgedessen ist die einzige Konsequenz, die sich daraus ergibt, der Zusammenschluß der europäischen Mächte zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Denn die Summe des Einfuhrbedarfs der getrennt wirtschaftenden Länder ist größer als der Einfuhrbedarf eines Gesamteuropa, oder umgekehrt ausgedrückt: Die Summe der Exportnotwendigkeit getrennt wirtschaftender Länder ist kleiner als die Notwendigkeit des Exports für Gesamteuropa. Wir können mit dem Gesamteuropa, mit einer Gesamtwirtschaft im Innern uns von der Einfuhr etwas unabhängiger und in gleichem Maße von der Ausfuhr etwas unabhängiger machen, als wenn wir getrennt wirtschaften.

    (Abg. Rische: Wohin wollen Sie denn exportieren?)

    D Diese zwingende Notwendigkeit des Exports zwingt zu Europa; und deshalb sagen wir auch zu der Vorstufe eines geeinten Europa, nämlich zum Europarat ja.
    Und die weitere Konsequenz. Was sagt nun die Opposition gegen diese Vorschläge? Wir haben es
    heute morgen schon erörtert, insbesondere mein Freund Schäfer hat schon über die Dinge gesprochen. Abwarten, wie es der Zentrumsvorschlag mit sich bringt, ist überhaupt keine Politik.

    (Zuruf von der Mitte: Noch nie gewesen!)

    Die Frage der Saar ist auch bereits von meinem Vorredner, dem Kollegen Schäfer, gestreift worden. Wir beharren bei dem Beschluß des Bundestags, der sich gegen diese Saarkonvention richtet. Wir beharren bei dem Protestschreiben der Bundesregierung. Wir beharren bei der Erklärung, die heute morgen hier im Hause verlesen worden ist und die dahin geht, daß Änderungen des deutschen Gebiets im Osten und im Westen nur auf der Grundlage eines Friedensvertrags anerkannt werden können. Aber wir sind der Auffassung, daß diese Frage des Saargebiets mit der Frage des Eintritts in den Europarat nichts zu tun hat. Die Sozialdemokratie steht auf dem Standpunkt und bemüht sich, zu beweisen, daß der Eintritt in den Europarat gemeinsam mit der Saarregierung eine Anerkennung der Dinge sei, unter denen die Saarregierung zustande gekommen sei, und eine Anerkennung der Saarkonvention. Meine Herren, der Ausgangspunkt ist falsch. Sie bemühen sich, dieses Axiom aufzustellen und in die Welt zu stellen, obwohl die Tatsachen, nämlich unsere Protesterklärungen mannigfacher Art, die ich aufgezählt habe, gerade dagegen sprechen, und erst dadurch, daß Sie dieses Axiom aufstellen,
    schaffen Sie für eine spätere Zukunft anderen die
    Möglichkeit, mit diesem jetzt von Ihnen aus besonderen Gründen aufgestellten Axiom zu operieren.
    Diese Taktik ist falsch im allgemein deutschen Sinn!

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Und noch eins: Wenn wir der Meinung sind, daß der Abschluß der Saarkonvention, die Schaffung eines Saarstaats ohne echte demokratische Legitimation ein Fehler war, sind wir dann verpflichtet, auch einen neuen Fehler zu machen? Doch keineswegs! Sondern die richtige Politik besteht darin, Fehler zu vermeiden. Der Fehler, den wir vermeiden müssen, ist der, nun aus einem gewissen Trotz, aus Rechthaberei nicht in den Europarat hineinzugehen, obwohl er uns die Basis geben würde, von dort aus das, was zum Saargebiet zu sagen ist, zu korrigieren und zu rügen.

    (Zurufe von der SPD: Wie denn? Wieso denn?)

    Weiter wird in der Öffentlichkeit davon gesprochen: Wenn man in den Europarat hineinginge, bedeute dies ein Abschiednehmen von der Ostzone. Kein Wort ist davon wahr! Wer hat denn die Spaltung, um dieses „schöne" Wort zu gebrauchen, herbeigeführt? Doch der Osten! Der Osten hat ein politisches System des Drucks und des Terrors eingeführt und dadurch die Ostzone von uns getrennt. Der Osten hat ein wirtschaftliches System eingeführt, das mit dem westlichen nicht mehr zu vereinbaren ist. Und glaubt man umgekehrt im Volke, man müsse aus Gründen des Ressentiments diesen Schritt in den Europarat hinein unterlassen, um damit im Osten den Gedanken zu vermeiden, man werde ihn im Stich lassen, — glaubt man, daß sich, irgend etwas an dem tatsächlichen Geschehen dort ändert? Glauben Sie, daß, wenn wir heute den Beschluß nicht fassen, dann eine Spur Freiheit mehr jin der Ostzone ist? Glaubt man, daß dort etwa das Privateigentum, die freie Wahl des Arbeitsplatzes, die freie Berufswahl wieder eingeführt würde? Glaubt man, daß die wirkliche Zahl der Kriegsgefangenen und ihr Schicksal uns dann wahrheitsgemäß bekannt würden? Glaubt man, daß dieser Pakt von Warschau zerrissen werden würde?
    Ich glaube, wir brauchen nur diese Fragen zu stellen, und die Antwort liegt auf der Hand.
    Gambetta hat einmal gesagt: „Immer daran denken und nie davon sprechen!" Wir wollen den Satz abwandeln, wenn wir an die Ostzone, an die Gebiete östlich der Oder-Neiße denken: „Immer davon sprechen und immer daran denken und immer danach handeln!" Wenn wir in den Europarat hineingehen, wenn wir versuchen, hier den Westen wirtschaftlich gesund zu erhalten, wenn wir versuchen, hier den Geist der Freiheit hochzuhalten, dann schaffen wir wenigstens in einem Teile Deutschlands die Voraussetzungen, die es uns möglich machen, wenn der Tag der Einheit wieder gekommen ist, nun auch dem Osten wieder auf die Beine zu helfen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und CDU. — Zurufe von der KPD.)

    Nun zu dem weiteren Einwand: der Europarat sei nur ein schwächliches Gebilde. Richtig, absolut richtig! Er kann nur Empfehlungen geben, aber aus seiner Mitte heraus, aus diesem Straßburger Parlament ist schon der Entschluß gekommen, man solle aus ihm ein Europa in Form einer Union mit begrenzten Aufgaben, aber echten Vollmachten schaffen, also praktisch eine Konföderation, einen Bundesstaat. Das ist auch unsere Überzeugung.


    (Dr. Becker [Hersfeld])

    Es ist eine Ironie des Schicksals, daß heute, am 13. Juni, hier über Ja und Nein zum Europarat debattiert wird und daß morgen um 14 Uhr hier in diesem Hause die deutsche Sektion der Interparlamentarischen Union auf ein Referat des Herrn Kollegen Brill hin darüber debattieren wird, ob es nicht angezeigt ist, eine festere, straffere Organisation in Richtung auf einen europäischen Bundesstaat zu schaffen. Dieses Ziel entspricht auch unserer Auffassung. Ich gebe die Meinung meiner Freunde wieder, wenn ich sage: wir wünschen, daß, ähnlich wie der Parlamentarische Rat aus den Ländern Deutschlands eine einheitliche Bundesrepublik geschaffen hat, ein Parlamentarischer Rat für Europa geschaffen wird, gegründet auf allgemeine Wahlen, so daß die Bevölkerung in vollem Umfange daran teilnehmen kann, diesen Rat zu schaffen, und daß dieser Rat endlich die Konstitution schafft, die aus Europa mehr als nur dieses lockere Gebilde des Europarates macht.

    (Beifall bei der FDP und CDU.)

    Aber solange dieses lockere Gebilde als Vorstufe, als Entwicklungsphase besteht, wollen wir mit hineingehen. Draußenstehen ist eine Inaktivität, die nie Politik gewesen ist.
    Der Herr Kollege Schumacher hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser Europarat sehr schwach konstruiert ist, daß er wenig Rechte gibt. Aber Herr Kollege Schumacher hat in merkwürdigem Widerspruch mit sich selber dann ausgeführt, daß dieser Eintritt in den Europarat uns zwangsläufig in den Atlantikpakt und zwangsläufig — gegen unseren Willen sogar zur Wiederaufrüstung führen wird. Das ist eine innere Unlogik, mit der kaum jemand fertig werden kann.

    (Zurufe von der SPD: Na! Na!)

    Der Europarat ist auch in der verbesserten Form einer Union, eines Bundesstaates, wie wir es uns vor stellen, verglichen mit dem Atlantikpakt, also mit einem Staatsvertrag zwischen den ihm angeschlossenen Mächten, doch etwas Grundverschiedenes.
    In einem allerdings gehe ich mit Herrn Dr. Schumacher ebenso wie mit Herrn von Brentano einig, daß wir alle einer Politik der Neutralität — etwa als einer andern Lösung — absagen wollen. Neutralität — ein sehr guter Gedanke, schön, berauschend, aber gefährlich. Wenn es nur an uns läge, wir würden sofort neutral bleiben, denn das deutsche Volk wünscht nie wieder einen Krieg, weil es weiß, daß es das letzte Dach, das es über seinem Kopfe hat, aufs Spiel setzen würde, daß ein Krieg sich in seinem Lande abspielte. Aber die Neutralität hängt ja auch von anderen ab, von der Garantie, die andere geben können, und in letzter Linie hängt sie von der geopolitischen Lage ab, in der sich ein Volk befindet. Wenn Völker, wenn Heere von dem Osten nach dem Westen und von dem Westen nach dem Osten durch Europa ziehen, so müssen sie immer nördlich der Alpen ziehen, und es ist sicher, daß sie immer durch Deutschland, Frankreich und Polen ziehen werden. Es besteht die Gefahr, daß dann, wenn sich hier ein machtpolitisches Vakuum bildet, der Anreiz, diese Durchmarschmöglichkeit zu benutzen, sehr viel stärker als sonst ist. Infolgedessen sehe ich in einer Neutralitätserklärung, mit der oft im Volke gespielt wird, nichts als den Versuch, klares Denken zu vernebeln.
    Bei der Bildung des Europarates ist England erfreulicherweise beteiligt. Ich glaube freilich, annehmen zu sollen, daß diese Beteiligung Englands zur Folge gehabt hat, daß eine schärfere Zusammenfassung zu einer Konföderation im Augenblick seiner Entstehung nicht möglich war. Wir wünschen aber, daß auch in einem konföderierten Europa, wie wir es uns vorstellen und wie es sich aus dem Europarat entwickeln mag, England beteiligt ist. Wir wünschten, daß es auch bei dem Schuman-Monnet-Plan beteiligt wäre. Wir wünschen es unter anderem deshalb, weil dieses England im Jahre 1940, völlig auf sich allein gestellt gegenüber uns und unseren Verbündeten, die Idee der menschlichen Freiheit hochgehalten hat. Dieses Verdienst wollen wir als seine damaligen Gegner offen und rückhaltlos anerkennen. Gerade wegen dieses Bewußtseins der Freiheit, gerade deswegen, weil England den Geist der Freiheit damals geschützt und hochgehalten hat, soll es in einem künftigen Europa dabei sein. Es wird allerdings einer besonderen Regelung für England bedürfen, weil es zum Teil kontinental denken und handeln muß und zum Teil als Haupt des Commonwealth andere Interessen hat. Aber es wird andererseits nur dann eine Beteiligung an einem geeinten Europa möglich sein, wenn sich England entschließen kann, einen Teil der Souveränität an diese Konföderation Europa abzugeben. Diese Abgabe der Souveränität braucht in diesem Falle ebensowenig wie bei dem Monnet-Schuman-Plan zu schrecken; denn man muß sich immer wieder darüber klar sein, daß bei beiden ja nicht nur eine rein verwaltungsmäßige Spitze, eine pouvoir exécutif allein als Leitung vorhanden sein wird, sondern daß in beiden - auch im Monnet-Schuman-Plan — eine pouvoir juridique, eine rechtsprechende Gewalt geschaffen werden muß als Hort der Rechte und Freiheit der einzelnen damit verbundenen Länder, Korporationen und Personen.
    Wenn wir so den Wunsch haben, daß auch England beteiligt sein möge, und aus vollem Herzen zu diesem Europarat „ja" sagen, so wollen wir uns doch am Schluß noch über einen Punkt klar werden. Das ist der: Alle noch so guten Institutionen, aller so geschaffene wirtschaftliche Wohlstand hat auf die Dauer keinen Bestand, wenn hinter den Dingen nicht eine tragende Idee steht. Wir müssen darauf sehen und müssen insbesondere unsere Jugend damit erfüllen, daß hinter diesem Europa eine tragende Idee steht, eine Idee, die gegenüber der kommunistischen Idee, der Idee der Unfreiheit, der Idee des totalitären Staates, gegenüber diesem Irrlicht aus dem Osten ein wirklich leuchtendes Ideal darstellt.
    Dieses Ideal ist auf dem Boden der christlichabendländischen Kultur gewachsen, umfaßt die Freiheit der Persönlichkeit, den Geist der Humanität, rechtsstaatliches Denken und soziales Handeln.
    Diese unsere Jugend braucht — und das sei an die Adresse der Besatzungsmächte gesagt — zu den Ideen auch Symbole, die diese Ideen versinnbildlichen. Wenn von Einigkeit und Recht und Freiheit die Rede ist, dann darf man es vielleicht auch noch singen.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Es wird auch die Zeit kommen müssen — hoffentlich bald —, da sich aus dem Besatzungsstatut ein anderes Statut entwickelt. Wir sind gegen Neutralität. Wir verlangen für uns aber, weil wir entwaffnet worden sind, weil wir uns bedingungslos haben ergeben müssen, daß uns diese Siegermächte schützen. Wenn zu unserm Schutz hier im Lande Truppen gehalten werden, dann werden sie gleichzeitig noch zu einem andern Zweck gehalten, nämlich im Rahmen derjenigen Außenpolitik, die die


    (Dr. Becker [Hersfeld])

    Besatzungsmächte nun von sich aus befolgen. Das wird dahin führen müssen, daß man uns im größtmöglichen Ausmaß Souveränität des Handelns auf allen Gebieten gibt, soweit es eben nur mit der Tatsache zu vereinbaren ist, daß hier zu unserm Schutz Garnisonen gehalten werden müssen. Man wird dann in aller Freundschaft auch die Frage der Kosten dieser Garnisonen aushandeln müssen.
    Dieser Gedanke der Souveränität gehört mit zu diesen tragenden Ideen, die wir für Europa und vor allen Dingen für unsere Jugend haben wollen. Wir möchten, daß sich die Jugend nicht in Drill und Dressur irgendwo trifft, sondern wir möchten, daß vielleicht die Jugend aller Nationen, insbesondere die Jugend von Frankreich und Deutschland, zusammenkommt, um sich gegenseitig kennenzulernen, vielleicht am Straßburger Münster, am Kölner Dom, auf dem Römer-Platz in Frankfurt am Main oder vor jenem eindrucksvollen Totendenkmal auf den Schlachtfeldern von Verdun. Dann mag unsere Jugend aus der Vergangenheit lernen; dann mag ihr erzählt werden, wie schon vor 25 Jahren Stresemann auf der Tribüne des Völkerbundes in Genf danach fragte: Wo bleibt die europäische Münze, wo bleibt die europäische Briefmarke? Man wird ihr davon sprechen, daß Stresemann damals, weil er sich mit Nein-Sagern herumschlagen mußte, von diesen als den Ewig-Gestrigen sprach. Man wird ihr erzählen, daß damals — 1924 — der Zentrums-Reichskanzler Marx in London und daß die sozialdemokratische Fraktion von damals in all den Jahren von damals mit dafür eingetreten sind, auch damals schon Völkerbundsideen zu verbreiten und für ein einheitliches Europa einzutreten.

    (Zuruf von der CDU: Breitscheid! — Widerspruch bei der SPD.)

    Dann wird aus diesen Strömungen und Zusammenkünften heraus der Geist geboren werden, der den Wiederaufbau in Europa leiten wird und der dann für unsere Jugend ein Ansporn sein wird, diesen Gedanken hochzuhalten, der ihr auch einen Halt geben wird, wenn gegenüber diesem Ideal der christlich-abendländischen Kultur das Irrlicht aus dem Osten wieder leuchten will.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Auftrage meiner Fraktion das Ja der Deutschen Partei zur Regierungsvorlage zu begründen. Es ist, nachdem so viele Worte über diesen Tatbestand bereits gefallen sind, nachdem die ganze Summe der Probleme und Gedanken ausgebreitet worden ist, nicht ganz einfach, noch etwas zu diesem Für und Wider zu bemerken. Ich möchte versuchen., das in Kürze zu tun, und lege Wert darauf, an den Anfang meiner Ausführungen die eine Feststellung namens meiner Fraktion zu stellen: Wir unterliegen mit diesem Ja, das uns sehr ernst ist, das ganz aus der Geschichte unserer Partei zu verstehen ist, keiner Moderichtung, sondern wir sind der Auffassung: Niemand kann es wagen oder versuchen, sich aus dem deutschen Schicksal — dieses Schicksal ist die Niederlage und ihre Folgen — in ein Europa hinauszudrücken. Wir sprechen dieses Ja vielmehr in der Erkenntnis, daß in dem Werden einer europäischen Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen, daß in dieser neuen internationalen Organisation, die sich sehr mühsam verwirklicht, der wichtigste Teil einer deutschen Aufgabe liegt.
    Es ist wahr, wenn die Opposition sagt, daß die Organisation, also das, was da in Straßburg nach vieler Mühe geschaffen worden ist, noch wenig effektiv sei. Aber es ist ja gerade die Aufgabe einer deutschen Politik, diese Möglichkeiten effektiv zu machen. Nach Auffassung meiner Fraktion sehen wir in dem Eintritt in den Europarat wieder den ersten großen Beitrag Deutschlands für eine konstruktive Politik. Wir sagen dieses Ja in der vollen Erkenntnis seiner Problematik. Wir wollen auch gar nicht vor den Schwierigkeiten ausweichen, die darin stecken; wir wollen jenen Sprung in eine ungewisse Zukunft tatsächlich mutig tun. Wir sagen dieses Ja in dem Bewußtsein, daß ein Nein gewollt oder ungewollt dem russischen Imperialismus in die Arme arbeitet.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Gewollt oder ungewollt! Es gibt Fragen für das Schicksal einer Nation, bei denen man sich entscheiden muß. Deshalb lehnen wir alle Kompromißlösungen ab. Deutschland ist keine Brücke zwischen Ost und West, sondern Deutschland ist ein wichtiger Teil des Abendlandes und hat stets in der Front zum Osten gestanden.

    (Zuruf von der SPD: Wo fängt der bei Ihnen an? — Zuruf von der KPD: Das ist aber allerhand!)

    — Wo dieser Osten bei mir anfängt? Darauf möchte ich mit den Worten Queuilles antworten: „Es ist die Aufgabe der europäischen Politik, die Grenzen Europas so weit nach Osten zu legen wie nur irgend möglich!"

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

    Wenn wir von der Fraktion der Deutschen Partei dieses Ja sprechen, dann klar und deutlich in dem einen Sinne: Befreiung unserer Menschen in der Ostzone, Befreiung Osteuropas, Einigung Deutschlands durch eine Einigung Europas! Das ist die große Aufgabe, die gelöst werden muß und die vielleicht noch Jahre dauert, bis sie endgültig zum europäischen Bewußtsein geworden ist. Wir müssen von der Souveränität zur Solidarität kommen und diesen Weg in Formen gehen, die die Schwierigkeiten zwischen Ost und West mit friedlichen Mitteln zu lösen imstande sind. Es ist nun einmal eine alte, geschichtliche Erscheinung, daß dort, wo ein Vakuum entsteht, der stärkere Lebensstrom eindringt. Wenn man die mühseligen, zögernden, ängstlichen und oft auch verlogenen Versuche der letzten Jahrzehnte betrachtet, Europa zu einigen, und demgegenüber die ungeheure Angriffskraft des Ostens zu werten weiß, mit deren Hilfe die Grenzen des Ostens so weit vorverlegt worden sind, dann kann uns Entsetzen darüber erfassen, daß diese Einigung nicht im letzten Ernst und im letzten Willen schon längst zustande gekommen ist!
    Wir von der Deutschen Partei lehnen jeden Versuch einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West ab. Unsere politische Konzeption ist westlich!

    (Beifall bei der DP.)

    Über die Frage Neutralisierung und jene Rapallo- oder gar Tauroggenvorstellungen, die in einer spielerisch-historischen Romantik noch irgendwo herumgeistern, hat mein Vorredner, Herr Abgeordneter Becker, bereits das Wesentliche gesagt. Wir erstreben mit dem Beitritt zum Europarat eine friedliche Lösung. Wir wollen, daß diese europäische


    (Dr. von Merkatz)

    Organisation zu gegenseitigem Nutzen wirksam wird, d. h. daß auch mit dem Osten wieder ein lebt hafter Warenaustausch einsetzt.

    (Zurufe von der KPD.)

    Dieser Warenaustausch ist wichtig.

    (Zuruf von der KPD: Schaukelpolitik!)

    — Wenn Sie das Schaukelpolitik nennen wollen, dann irren Sie sich auf das gründlichste! Unsere Entscheidung ist eindeutig. Aber ich lasse keine Zweifel darüber, wir wünschen die gute Nachbarschaft auch nach Osten hin, nachdem sichergestellt ist, daß unsere eigenen Menschen und die Staaten Osteuropas dort, wo abendländische Kultur waltet, wieder in Freiheit, Frieden und Sicherheit existieren können.

    (Abg. Rische: Das werden Sie nicht mehr erleben!)

    — Sie werden vielleicht dafür sorgen, daß wir es nicht mehr erleben; das kann sein.
    Wir glauben an die Möglichkeit, den Frieden durch eine große moralische Kraftanstrengung herzustellen. Das ist die deutsche Aufgabe. Deshalb müssen wir gerade bei der Frage des Europarats, wo es darauf ankommt, das Mißtrauen gegen unser Land zu zerstreuen, einen ganz eindeutigen, klaren Kurs steuern.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Warum dann den Hohenfriedberger Marsch statt politischer Argumente in den Wahlversammlungen, Herr von Merkatz?)

    — Ich spreche nicht von dem Hohenfriedberger Marsch, obwohl ich ihn gern höre!

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber so machen Sie Ihre Politik draußen; so nähern Sie sich Ihren Wählern, und nicht mit den Argumenten hier!)

    — Das ist nicht wahr, ich bin im Wahlkreis und hier derselbe.
    Ich möchte kurz auf die Argumente der Regierung eingehen. Sie gipfeln in zwei Punkten: Wahrung des Friedens und Wiederherstellung der deutschen Einheit. In diesen beiden Punkten, die die Politik des Bundeskanzlers und seiner Regierung beherrschen, stimmen wir restlos überein. Wir sind auch der Überzeugung, daß der Schuman-Plan, daß dieser französische Vorschlag ohne einen Eintritt in den Europarat undurchführbar wird. Dieser Plan ist nach unserer Auffassung der erste Kern einer wirklichen wirtschaftlichen Einigung als Vorläufer einer politischen Einigung. Wir fassen diesen Plan auf als das, was er ist, in allererster Linie als ein politisches Instrument, als den großen, kühnen Versuch, die Frage der Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich als den Ausgangspunkt und die Grundlage für eine europäische Einigung nun einmal praktisch in Angriff zu nehmen. Es wäre unverantwortlich, sich in dieser Stunde durch das Nein zum Europarat der Verwirklichung auch dieses Planes zu entziehen, und es wäre unverantwortlich, durch unser Fernbleiben wieder einmal wie nach dem ersten Weltkrieg die Möglichkeit einer europäischen Einigung auf Jahre zu verschieben und vielleicht für immer unmöglich zu machen.
    Der Herr Bundeskanzler hat das Besatzungsregime in einen logischen Zusammenhang mit den Wegen gebracht, die die deutsche Politik zu beschreiten hat. Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir geduldig und zäh anpacken müssen und die nicht gleich große Erfolge herbeiführen kann. Das Besatzungsregime ist in seiner ganzen Grundlage eine vollkommene Neuerung im europäischen Völkerrecht und im Weltvölkerrecht. Die Aufgabe einer deutschen Politik ist es, die in ihren Grundlagen fehlkonstruierte Entwicklung in eine gesunde Organisation internationaler Zusammenarbeit umzubiegen. Soweit ich sehe, ist dieser Weg mehr und mehr mit Erfolg beschritten worden. Es ist immerhin eine Entwicklungskette über die Jahre der Strafbesetzung, über den Parlamentarischen Rat zum Grundgesetz, dann auch zum Petersberger Abkommen sowie zum Europarat und zu der Möglichkeit des Schuman-Plans. Es liegt hier ein Wandel in den Grundlagen einer Situation vor, der von uns beachtet werden muß.
    Ich bin nicht der Auffassung, daß wir irgendwelche Trümpfe in den Händen haben, und ich glaube gemeinsam mit den Vorrednern der Regierungskoalition auch nicht, daß eine Möglichkeit besteht, durch Passivität, durch das alleinige Geltendmachen des Gewichts unserer Bevölkerungszahl und unserer geographischen Lage einen politischen Erfolg zu erzwingen. Es ist in Wahrheit nicht so, daß man uns unbedingt braucht. Ich glaube, daß alle diejenigen, die aus mancherlei Gründen zu einem Nein kommen, in etwa doch die deutschen Möglichkeiten überschätzen.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Jenes Anpassen an einen sehr harten Willen, ohne sich innerlich, moralisch und auch im Grundsätzlichen zu unterwerfen, das allmähliche Hineinschreiten in Formen einer internationalen Organisation, ohne sich und seine Seele preiszugeben, ist meines Erachtens die einzige Möglichkeit, das, was als Gewicht in unserem Lande zurückblieb, zur Geltung und zum Tragen zu bringen. Eine Politik der Passivität und des Sichversagens würde tatsächlich nichts anderes sein als der außenpolitische Ausdruck des Vakuums, das in unserem Lande zurückgeblieben ist. Ich sprach davon, daß das Schicksal eines solchen Vakuums meistens das ist, daß der stärkere Lebensstrom dort eindringt, um es auszufüllen.
    Wenn ich die Gründe der Opposition zusammenfassen darf, so handelt es sich um zwei Hauptpunkte. Sie sagen nein, weil dieser Europarat uns nicht als einen gleichberechtigten Staat empfängt; sie sagen nein, weil das Saarstatut, das durch die widerrechtlichen Konventionen geschaffen wurde, de facto anerkannt würde. Ich kann mich diesen Argumenten nicht anschließen. Was die Frage der Gleichberechtigung betrifft, so wird es selbstverständliches Ziel einer deutschen Politik sein und bleiben müssen, Freiheit und Gleichberechtigung zurückzuerlangen. Daß wir aber, um Freiheit und Gleichberechtigung zurückzuerlangen, noch irgendwelche Trümpfe in den Händen hielten, kann ich nicht einsehen. Im Gegenteil, indem wir die Frage der europäischen Einigung, das Übergehen von der Souveränität zur Solidarität, zum Gegenstand eines Handels machen, entwerten wir den Gedanken und geben damit den Kern, die Moralität der ganzen Angelegenheit preis.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Dann noch etwas anderes, und da muß ich als ein Mensch, der aus der Gegend östlich der Oder-Neiße-Linie kommt, doch einen starken Widerspruch anmelden. Seitens der Opposition ist in der Frage des Saargebiets und in dem Verbrechen der Oder-Neiße-Linie eine Parallelität behauptet worden. Diese Parallelität kann ich als Ostdeutscher unter gar keinen Umständen anerkennen.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Von der Opposition wurde ausgeführt: In der Frage
    des Saargebiets geht es uns um ein Prinzip, nämlich


    (Dr. von Merkatz)

    um das Prinzip, daß die anderen Mächte ihre Grundsätze der Demokratie und der Freiheit und das, was sie versprochen haben, auch wirklich ernst nehmen.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Und des Rechts!) — Und des Rechts! Ich stimme dieser Folgerung vollinhaltlich zu. Aber wenn das auch so ist, wenn es sich hier auch um große Schwierigkeiten handelt, wie wollen wir sie denn anders meistern? Wie wollen wir von dieser Bundesrepublik aus anders um diesen Teil Deutschlands kämpfen als auf dem Wege, den die Regierung eingeschlagen hat? Durch Passivität — ich wiederhole es noch einmal — wird der Trümmerhaufen nur noch größer. Es kommt darauf an, auch den kleinsten Fetzen einer Möglichkeit, um diese unsere Menschen zu ringen, wahrzunehmen.


    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Es ist leider keine Möglichkeit!)

    Indem wir unseren Glauben und unsere Hoffnung nicht aufgeben und das ganze Gewicht unseres einheitlichen Willens als Mitglieder des Europarats in der Beratenden Versammlung dafür einsetzen, daß nicht durch Schaffung tatsächlicher Zustände der staatlichen Zugehörigkeit der Saarbevölkerung Gewalt angetan wird, wie das an der Bevölkerung der Ostzone geschehen ist, indem wir also für den Standpunkt der Gerechtigkeit eintreten, beschreiten wir den einzigen Weg, der uns geblieben ist, benutzen wir die einzige Möglichkeit, die es für uns noch gibt. Diesen Weg geht die Bundesregierung. Wenn wir hier zusehen, dann wird kein Schuman-Plan kommen, dann wird dieser Plan nicht die letzte Möglichkeit erschließen, auch über die Saar ein Übereinkommen und eine Verständigung zu finden, die unserer nationalen Verpflichtung Rechnung trägt und zugleich dem Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland und damit dem Frieden in Europa dient.
    Ich muß mich dagegen wenden, daß die Opposition aus dem Eintritt in den Europarat trotz des Protestes der Bundesregierung eine Anerkennung de facto folgern will. Wenn wir so dem Osten die Argumente liefern, mit denen uns der Osten entgegentreten kann, so ist mir das restlos unverständlich. Will man hier wirklich eine Parallelität sehen, jene Vertreibung von 15 Millionen Menschen, jenes Vernichten und buchstäbliche Zerstören eines Gebietes bis zur Oder-Neiße-Linie, jenes vielleicht größte Verbrechen, das unter den Völkern jemals begangen worden ist? Wenn man das in eine Parallelität zur Saarfrage stellen wollte, so bedeutete das eine verhängnisvolle Verkennung der Bedeutung beider Vorgänge, der ich keineswegs zustimmen kann. Ich hoffe, daß es der Opposition möglich sein wird, ihre Auffassung von der gleichen Bedeutung des verletzten Prinzips bei der Saarfrage und der Oder-Neiße-Linie zu revidieren. Diese Revision ist notwendig, wenn wir auf der Rückkehr der Heimatvertriebenen mit Hilfe der westlichen Alliierten bestehen wollen.
    Zum Schluß darf ich noch auf einen wichtigen Punkt eingehen. Wir lasen heute morgen in der „Welt" die sehr dezidierte Stellungnahme der englichen Sozialistischen Partei gegen jeden Gedanken an eine wirtschaftliche oder politische Union Europas, gegen eine übernationale hohe Behörde, eine neutrale Macht in Europa und die weitere Liberalisierung des europäischen Handels. Diese scharfe Ablehnung der großen englischen Partei, die sich auffällig mit dem Nein ihrer Schwesterpartei zum Eintritt in den Europarat deckt, bedeutet tatsächlich
    ein schweres Hemmnis für das, was in Europa werden soll. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein Europa ohne England kein wirkliches Europa sein könnte. Es gehört nun einmal zu Europa etwas Wesentliches hinzu, die Weite über See, die Beziehungen über die Meere, die seit der Neuzeit tief in unser soziales und wirtschaftliches Leben gestaltend eingegriffen haben. Ohne England, ohne diesen weiten Blick über die See ist Europa unvollständig und ein Torso. Auf der anderen Seite bedeutet es aber doch ein außerordentliches Hemmnis, die Frage der europäischen Einigung klassenpolitisch oder ideologisch zu sehen. Wir befürchten, daß seitens der Opposition gegen den Eintritt in den Europarat Stellung genommen wird, weil dieser Eintritt unter Umständen bedeuten kann, daß Europa nicht nach einer Parteiideologie organisiert werden soll.

    (Zustimmung bei der DP.)

    Ich möchte seitens meiner Fraktion deutlich erklären: es gibt weder ein sozialistisches noch ein sonstwie gefärbtes Europa, sondern es kann immer nur ein einziges Europa geben, das auf seinen Grundprinzipien aufgebaut ist.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Irgendein Attribut muß es ja haben! Sie sprachen vorhin von einem Vakuum!)

    — Dieses Attribut, das Sie, Herr Professor, wünschen, will ich auch noch nennen. Es gibt nur ein einziges Attribut, das man diesem Europa geben kann. Das ist nämlich ein christliches, ein innerlich souveränes, freies Europa, das die gesamten Schöpferkräfte, die es der Welt einmal geschenkt hat, wieder schenken kann. Das ist das Europa.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich stimme mit der Opposition darin überein: es ist etwas anders geworden seit dem 19. Jahrhundert; wir stehen in diesem 20. Jahrhundert vor ganz neuen Aufgaben. Es wird notwendig sein, auch die soziale Legitimität als eine Grundlage europäischen Denkens zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Es ist das große Ziel der Erhöhung des Wohlstandes für alle. Es ist das große Ziel, nicht nach unten, sondern nach oben hin zu nivellieren

    (Sehr gut! bei der DP)

    und durch eine praktische Arbeit insbesondere auf dem Gebiete der Sozialpolitik hier Angleichungen, gemeinsame Auffassungen zu erzielen, die das Gesamte fördern, und die Voraussetzungen dazu zu schaffen. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Ich gebe zu, was da in Straßburg entstanden ist, ist noch lange nicht genug, um solche Ziele zu verwirklichen. Aber tun wir doch dann auch alles dazu, um das Mehr, das erforderlich ist, zu schaffen.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber zur Freiheit gehört ja die Emanzipation!)

    Ich möchte hier Ihre Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nehmen und nur folgendes abschließend feststellen. Wir von der Deutschen Partei wollen kein sozialistisches, kein bolschewistisches, kein faschistisches und auch kein kapitalistisches Europa.

    (Lachen links.)

    Wir wollen ein christliches Europa.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Sie wollen Metternich mit der heiligen Allianz haben! Das war auch Europa!)

    — Herr Professor, wenn wir heute einen Metternich
    hätten, der Europa vor den Gefahren bewahren
    könnte, der Rußland wieder zurückzudrängen wüßte


    (Dr. von Merkatz)

    — wie Metternich es konnte —, dann könnten wir glücklich sein.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Mit allem, was dazu gehört! Metternich ist unteilbar, Herr von Merkatz! Als Student haben Sie es anders gesagt!)

    Wir wollen ein christliches Europa, das heißt ein Europa der persönlichen Freiheit, der Rechtlichkeit und Gerechtigkeit, des Wohlstandes für alle, der kulturellen Blüte, ein Europa als Faktor des Friedens, das seiner schöpferischen Aufgabe in der Welt zurückgegeben ist. Was wir wollen, ist letzthin eine europäische Erneuerung, letzthin also eine gewaltige konservative Revolution, die die verschütteten abendländischen Werte wieder ans Licht bringen soll, um mit ihrer Kraft die drängenden Probleme sozialer, wirtschaftlicher und politischer Art, die diesem Jahrhundert aufgegeben sind, zu lösen. Glauben Sie, es liegt in dem Gedanken des Konservativen, nämlich in der eigentlichen Kernsubstanz, auf der unser Abendland beruht, eine starke, eine revolutionäre Kraft, vielleicht die Kraft, die die eigentliche Lösung bringt.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Abg. Rische: Darauf können Sie sich verlassen. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Die haben Sie verbaut!)