Meine Damen und Herren! Wenn ich die Rede des Herrn Abgeordneten Becker und insbesondere die Rede des Herrn Kollegen Merkatz nehme, so kommt mir der Gedanke, daß die Gesellschaft, die Sie verteidigen, nahezu 100 Jahre die Möglichkeit zur Vereinigung Europas hatte. In dieser Zeit hat sie sich als unfähig erwiesen. Das, was Sie heute versuchen, ist noch weniger wert als Ihre Versuche in der Vergangenheit; denn heute könnten Sie schon nur noch ein Rumpfeuropa einigen. Aber selbst dazu ist Ihnen die Möglichkeit genommen, weil Sie nur so weit gehen dürfen, wie der amerikanische Imperialismus es Ihnen erlaubt.
Eine andere Möglichkeit gibt es dabei nicht.
In der ganzen Diskussion kam zum Ausdruck, daß die Triebkraft für die Vereinigung Europas — und die Schaffung der westeuropäischen Union, muß man klar sagen — Furcht ist. Furcht wovor? — Das ist in verschiedenen Formen zum Ausdruck gebracht worden: Furcht vor den gewaltigen sozialen Kräften, die Sie nicht mehr im Banne halten können
und die Sie zu bekämpfen versuchen. Herr von Merkatz hat es mit den untauglichen Mitteln eines Metternich versucht, und der Rattenfänger von Braunau, wenn er leben würde, hätte sich an dieser Rede gefreut. Denn auch er wollte die Grenzen soweit wie möglich nach dem Osten verlegen.
Das Resultat seiner Schaukelpolitik war ein umgekehrtes. So wird es heute auch Ihnen gehen. Denn die Probleme, die zu lösen sind, lauten nicht: Koordination der Rüstungsgewinnler und Kriegstreiber aus Vergangenheit und Gegenwart, sondern: Schaffung anderer sozialer Zustände, die es den Menschen ermöglichen, in Frieden zu leben.
— Es haben schon einmal Leute über diese Reden gelacht. Die lachen heute nicht mehr!
Die sind in Nürnberg von denjenigen gehängt worden, mit denen Sie die Europaunion machen, für welche Ihr Herr Kollege Merkatz so warme Worte gesprochen hat.
Nun einige Bemerkungen zu der Rede des Herrn Bundeskanzlers. Der Herr Bundeskanzler hat zu Eingang seiner Rede etwa folgende These aufgestellt: Der Atlantikpakt und der Europarat sind Einrichtungen mit verschiedenen Zielen und verschiedenen Mitgliedern. — Ist dem wirklich so? Untersuchen wir einmal: Wer sind die Väter des westeuropäischen Zusammenschlusses nach dem zweiten Weltkrieg? Nach dem ersten Weltkrieg hatten diese Bestrebungen noch einen sehr europäischen Beigeschmack. Es waren damals zwar die gleichen Feinde des Fortschritt, aber sie versuchten, die Sache von Europa aus zu machen. Nach dem zweiten Weltkrieg ist es einzig und allein der amerikanische Imperialismus und mit ihm sind es diejenigen Kreise in Europa, die das erreichen wollen, was Hitler mit den gleichen Argumenten und unter den gleichen Vorwänden nicht erreicht hat.
Herr Adenauer und einige Redner dieses Hauses haben zum Ausdruck gebracht, man wolle den Zusammenschluß unter einem einzigen Signum, einer
einzigen Parole, nämlich: dem Druck, der vom Osten komme, einen Gegendruck entgegenzusetzen. Aber keiner, weder der Herr Bundeskanzler noch die Redner, die nach ihm gesprochen haben, hat dem Hohen Hause gesagt, worin nun eigentlich dieser Druck besteht.
Es hat eine Zeit gegeben, als in diesem Hohen Hause davon gesprochen worden ist, daß der Westen Deutschlands und Westeuropa Magnet werden solle für die Völker des Ostens.
Anscheinend ist die Magnetzeit vorbei;
eine andere Zeit ist gekommen. Da man unfähig ist, Magnet zu sein, also anzuziehen, muß man Druck ausüben. Natürlich, wenn man unfähig ist, den Menschen in Westeuropa und in Westdeutschland Arbeit und Brot zu geben, dann muß man ihnen, Hetze und Europa-Union geben.
Das ist der Sinn dieser westeuropäischen Union,
dieser Zusammenfassung der Kräfte gegen den
Druck, demgegenüber man nicht Magnet sein kann.
Und was ist der Atlantikpakt? Ich glaube, man braucht keine Gründe mehr anzuführen, um zu beweisen, daß er ein Kriegspakt ist; denn wir haben wahrlich schon genug Flugplätze im Westen Deutschlands gehabt. Wenn man heute sieht, wie ihre Zahl vermehrt wird und wie die direkte und indirekte Rüstungsproduktion anläuft, wie man alles darauf abstellt, die Menschen wieder für den Krieg reif zu machen, dann wird klar, daß dieser, Pakt einen Angriffscharakter hat, daß er nichts anderes bedeutet als die Vorbereitung eines Angriffes gegen den Osten. Das sprechen die Amerikaner von Truman über Eisenhower bis hinunter zu den vielen Publizisten ganz offen und brutal aus.
Die Ziele dieser beiden Institutionen sind also die gleichen, und die Menschen, die beide schaffen, sind ebenfalls dieselben. Wenn man Institutionen von solcher Bedeutung schallt, dann wissen die Menschen, die sie schaffen, daß sie damit ihre Interessen verteidigen. Die Imperialisten haben diesen Atlantikpakt geschaffen und werden weitere Einrichtungen schaffen, um ihre kapitalistischen Interessen zu verteidigen. Ob das zum Wohle der Menschheit ist oder nicht, das bleibt ihnen dabei gleich.
Betrachten wir in diesem Zusammenhang die Rolle eines weiteren Projekts, von dem der Herr Bundeskanzler heute gesprochen hat: die Rolle des Schuman-Plans von dem Gesichtspunkt der Vorbereitung einer Grenzverlegung. Herr Kollege von Merkatz, ich bin Ihnen dankbar für diese klare Formulierung. Von diesem von Ihnen angeführten Gesichtspunkt her ist es notwendig, daß man auch die entsprechende wirtschaftliche Maschinerie in Gang setzt. Um diesen Kriegspakt zu untermauern, will man die deutsche Kohlen- und die französische Stahlindustrie miteinander vereinigen, um ein großeres Kriegspotential zur Vorbereitung und Durchführung des dritten Weltkrieges zu schaffen.
Und das gibt man aus als eine Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes! Diese Vereinigung ist ja seit 25 Jahren der Traum des Herrn Bundeskanzlers.
— Er hat das ja selber erzählt. Lesen Sie seine Reden nicht? Das sollten Sie tun! Da kann man sehr viel lernen.
Es steht fest: Dieser Pakt wird nicht dazu führen, die Freundschaft zwischen dem deutschen Volke und dem französischen Volke zu begründen. Das, was kommen wird, ist etwas ganz anderes: Französische und deutsche Rüstungsindustrielle werden gemeinsam das deutsche und das französische Volk ausbeuten! Eine Aussicht allerdings besteht für die Jugend beider Länder: diese Jugend darf in dem von den amerikanischen Imperialisten vorbereiteten und gewünschten Kriege — nicht gegeneinander, sondern nebeneinander — für die gleichen Imperialisten sterben!
Und dagegen sind wir. Wir wollen das verhüten, und deshalb lehnen wir auch diesen Pakt der deutschen und französischen Industriellen ab.
Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zu der Stellungnahme der SPD zum Europarat und zur Union. Herr Schumacher hat das letzte getan, um auch den letzten Mann davon zu überzeugen, daß es für die rechte SPD-Führung gegenüber der Konzeption Adenauers sowohl im Westen Deutschlands als auch in bezug auf die Außenpolitik keine grundlegend andere Konzeption gibt. Die Differenzen beziehungsweise Nuancen hat Herr Dr. Schumacher klar zum Ausdruck gebracht. Er gibt sich vor als der bessere Garant im Kampfe gegen den Kommunismus. Nur haben ihn die Amerikaner noch nicht voll anerkannt. Vorläufig trauen sie Herrn Adenauer mehr. Aber man bewirbt sich ernstlich.
— Oh, ich traue ihm allerhand zu! — Man bewirbt sich ernstlich darum. Das ist die Quintessenz der Politik, die die SPD-Führung in dieser Frage betreibt; aber nicht nur in dieser Frage, sondern auch in allen anderen Fragen. Man beruft sich auf formale Gründe; die Form sei von der Regierung nicht eingehalten worden; im Prinzip sei man dafür, aber man wolle eine andere Konzeption. Das ging ja soweit, daß die SPD — lesen Sie einmal die Schlußausführungen in der Etatrede ihres Vertreters —, sich entschuldigte, daß sie als Opposition gezwungen sei, gegen den Etat zu stimmen. So liegen doch die Tatsachen!
Warum aber haben die beiden Herren, Herr Dr. Adenauer und Herr Schumacher, sich trotzdem so bekämpft? Der Öffentlichkeit wird es wahrscheinlich nicht so sehr bekannt werden, warum Herr Dr. Adenauer die heutige Sitzung haben wollte und' warum die SPD sie erst nach den Wahlen wünschte. Jetzt ist es klar und offensichtlich:
Man muß sich gegenseitig Wahlmaterial schaffen!
Und derjenige, der am längeren Hebel sitzt, hat die bessere Gelegenheit für sich ausgenutzt. Man hat einer Partei Erziehungslektionen erteilt, die immerhin Millionen von Wählern aufzuweisen hat; man hat ihr gesagt, was ihre Pflicht sei und wie sie sich' zu verhalten habe. Ich bin davon überzeugt, sie wird auch verstanden haben, um was es geht. Est geht darum, eine gemeinsame Front zu schaffen im Kampf gegen den Osten, um einen Druck gegen den Osten auszuüben. In dieser gemeinsamen Front werden sie weiter zusammenhalten. Die Adenauer-Politik wird durchgeführt werden, und „Seiner Majestät konstruktive Opposition" wird gegen Herrn
Dr. Adenauer nur die Argumente vorbringen, die sie benötigt, um die Massen ihrer Wähler bei der Stange zu halten.
Von dem Herrn Bundeskanzler ist das Argument der Oder-Neiße-Linie noch einmal in die Debatte geworfen worden. Diese Frage ist nicht von Deutschen gestellt worden, aber sie ist von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik im Interesse der beiden Völker und des Weltfriedens gelöst worden.
Daran ändert die von der äußersten Rechten bis hin zur SPD heute früh gebilligte brutale Unterdrückung der Minderheit dieses Hauses nicht einen Deut.