Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin glücklich, daß mein Vorredner wieder die Note angeschlagen hat, die ich von dieser so wichtigen, hochpolitischen Debatte erwartet habe; denn das Blitzen und Donnern der politischen Olympier interessiert uns nicht so sehr. Es handelt sich
hier nicht um parteitaktische Fragen es handelt sich
um eine europäische Frage und nicht um die des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes.
Ich möchte mich auch nicht in solchen Polemiken ergehen, sondern diese Schicksalsfrage des deutschen Volkes behandeln; denn seit langen Jahren hat es keine so packende Idee wie diese europäische Idee gegeben. Damit sie nicht bloß ein Wunschtraum bleibe, sondern Verwirklichung finde, muß man ganz nüchtern und realistisch die Schritte tun, die uns Stück für Stück diesem Ziel näherbringen.
Aus diesem Grunde muß man den Schuman-Plan so sehr begrüßen, weil er eine praktische Tat zur Durchführung dieser europäischen Idee bedeuten kann. Wir sind allerdings der Überzeugung, daß ohne eine grundsätzliche Bejahung der politischen Europaidee auch eine wirtschaftliche Vereinigung und Zusammenarbeit Europas nicht verwirklicht werden kann. Eine übernationale Organisation, ein europäischer Bund ist schon deshalb notwendig, weil all die bereits bestehenden internationalen Organisationen in Europa wie das Marshallplanbüro der OEEC oder das künftige Büro des Schuman-Plans für die europäische Stahl-, Eisen- und Kohlenbewirtschaftung nicht im luftleeren Raum ohne demokratische Kontrolle als übergeordnete Wirtschaftsbehörden über den europäischen Staaten fungieren können.
Man soll sich auch hüten, wie es eben Herr Schumacher so stark hervorgehoben hat, dieses künftige Europa als eine dritte Macht zwischen den zwei Weltmächten USA und Sowjetrußland und als eine Art arbiter mundi gestalten zu wollen. Wir haben nun einmal die alte Machtstellung Europas in einer tragisch-grandiosen Selbstzerfleischung verspielt und müssen nur danach trachten, nicht in völlige Abhängigkeit von anderen außereuropäischen Mächten zu kommen. Wir wollen den europäischen Lebensstil wahren, die ethischen und kulturellen Lebensnotwendigkeiten Europas sichern und die wirtschaftlichen Grundlagen erneuern. Dieses Europa darf keinesfalls in einem Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika gebildet werden, sondern in gemeinsamer Zusammenarbeit. Nichts könnte der europäischen Idee mehr schaden, als wenn ihr Pate, die Vereinigten Staaten, das Gefühl bekämen, Europa wolle sich nur mit amerikanischen Geldern und Mitteln als wirtschaftlicher und politischer Konkurrent einigen. Wir dürfen nicht den Enthusiasmus brechen, mit dem die Vereinigten Staaten ihre junge Macht in den Dienst des Wiederaufbaues der Welt und besonders von Europa stellen. Wir wollen ihnen den Glauben an ihre Sendung lassen, für die wirtschaftliche und politische Integration Europas verantwortlich zu sein. Andererseits dürfen es uns aber die Amerikaner nicht verargen, wenn wir unsere europäische Tradition, unser Denken und Fühlen erhalten wollen. Es ist für uns vielleicht das letzte köstliche Gut, die abendländische Kultur im Rahmen einer notwendigen wirtschaftlichen Existenzsicherung zu erhalten, wenn schon die Vereinigten Staaten die europäische Ordnung der Welt abgelöst haben.
Zusammen mit den Vereinigten Staaten wollen wir eine atlantische Gemeinschaft bilden und aus dem militärischen Begriff des Atlantikpakts herauskommen. Durch den beschlossenen Beitritt Amerikas und Kanadas zur Marshallplanorganisation der OEEC wird der Wille dargetan, so wie es in anderer Form Bidault in seiner Atlantikidee tut, daß die atlantische Gemeinschaft keineswegs bloß eine militärische Basis haben soll. Nur eine friedliche atlantische Gemeinschaft wollen wir durch unseren Beitritt zum Europarat stärken, und wir weisen entschieden die Idee zurück, daß der Beitritt zum Europarat den Auftakt für die Einbeziehung in den atlantischen Militärpakt bedeute. Es ist gut, daß der Bundeskanzler so eindeutige Erklärungen in dieser Hinsicht abgegeben hat.
Wenn wir uns zu einem Beitritt in den Europarat entschließen. dann wollen wir nachdrücklich unterstreichen. daß es keinen europäischen Bund, kein einiges Europa und keinen Europarat gibt, wenn nicht unter gleichberechtigten Staaten. In dem Kampf regen die kommunistische Unfreiheit kann es kein Europa von freien und unfreien Staaten geben. Formal kann man wohl damit operieren, daß das Besatzungsstatut keine auswärtige deutsche Politik und keinen deutschen auswärtigen Minister versehe. daß daher eine Vertretung Deutschlands im Ministerrat in Straßburg technisch gar nicht möglich sei. Materiell bleibt jedenfalls eine Unterscheidung zwischen souveränen Staaten und einem nichtsouveränen Deutschland bestehen, die eben mit der Europaidee unvereinbar ist.
Allerdings entspricht diese Unterscheidung der tatsächlichen Lage, und hier möchte ich im Gegensatz zum Herrn Bundeskanzler doch darauf hin-
weisen, daß uns im Petersberger Abkommen keineswegs auch nur annähernd unsere Souveränität zurückgegeben wurde. Die verschiedenen Eingriffe der Hohen Kommissare schon acht Tage nach dem Beginn der Bundesrepublik und dem Amtsantritt der Regierung in der Kohlenpreisfrage reden eine deutliche Sprache. Praktisch ist die Wirksamkeit der Bundesregierung nur insoweit verstärkt, als sie jetzt, ohne ein Veto der Hohen Kommissare befürchten zu müssen, etwa bestimmen kann, ob es in Deutschland eine Sommerzeit geben soll oder nicht.
Was soll denn unser Volk davon halten, wenn wir unter Friedensschalmeien in die Straßburger europäische Familie einziehen sollen und gleichzeitig im sechsten Jahre nach Kriegsende die Hämmer und Bohrer ertönen, die große deutsche Werke wie das Werk in Töging am Inn, bei Krupp, in Watenstedt-Salzgitter und an anderen Orten demontieren? Wie soll das Volk an eine übernationale europäische Stahl- und Kohlenbehörde glauben, wenn noch heute das modernste Edelstahlwerk demontiert wird und wir von vornherein mit einem großen Handicap in diese europäische Wirtschaftsbehörde eintreten sollen?
Die Alliierten machen gemäß dem Kommuniqué der Londoner Konferenz vom Mai 1950 dann weitere Zugeständnisse in bezug auf die Wiederherstellung der deutschen Souveränität, wenn wir unsere demokratische Gesinnung beweisen. Dazu möchte ich folgendes sagen: Die Alliierten müssen uns eine demokratische Gesinnung ermöglichen.
Der Aufbau Deutschlands im Rahmen des Marshallplanes und Demontage schlagen sich gegenseitig tot. Demontage und Remontage der demontierten Werke mit Hilfe von Marshallplangeldern sind ein wirtschaftlicher Unsinn und eine Vergeudung von Kapital. Die Prozesse und die Verurteilungen von deutschen Kriegsangeklagten sechs Jahre nach Kriegsende unter völlig unzureichender Beweisführung sind unfaßlich. Der Verkauf der Botschaften gerade kurz vor der Zeit, in der man uns verspricht, daß wieder deutsche auswärtige Vertretungen möglich sind, ist ein Widerspruch. Die Beschlagnahme von 400 000 Wohnräumen in der beschränkten deutschen Westrepublik durch die Besatzung ohne jede Vereinbarung, ohne jede Besprechung mit den Deutschen, die Bundesgenossen sein sollen, ist nicht mehr tragbar. Es lassen sich immer erneute Beispiele für den Widerspruch und die Unlogik der Besatzungspolitik nachweisen, die den Glauben an die demokratischen Kräfte im deutschen Volke schwächen müssen und die Erziehung des deutschen Volkes zur Demokratie erschweren. Zum Beispiel erscheint auch die Schaffung einer zentralen Bundespolizei als ein Widerspruch, nachdem man kurz vorher, vor wenigen Wochen, in einem großen Land, nämlich in Bayern, eine Zentralisierung der Landespolizei verboten hat, weil sie den Sicherheitsbestimmungen widerspreche.
Wir bitten die Hohen Kommissare nachdrücklich, uns endlich von den Widersprüchen der alliierten Besatzungspolitik im sechsten Jahre nach Kriegsende zu befreien und den Weg zu einer Völkerversöhnung freizumachen. Das deutsche Volk will heraus aus seiner erdrückenden Enge. Die Jugend will endlich wieder Ideale sehen, und zwar ohne unnötig harte Belastungen, für die sie kein Verständnis hat und die sie nur verbittern. Man soll nicht Leuten wie Remer und Hedler Wasser auf ihre Mühlen gießen. Die Alliierten machen uns aber wehrlos gegen solche Bewegungen, wenn sie ihre derzeitige Politik nicht beschleunigt revidieren.
Mit tiefer Besorgnis hat es uns erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler zu der gleichen Zeit, in der der Beschluß der Bundesregierung zum Eintritt in den Europarat erfolgte, es für richtig gehalten hat, eine zentrale Bundespolizeibehörde von 25 000 Mann Stärke bei den Alliierten zu beantragen.
Ich erinnere den Bundestag daran, wie die Bayernpartei aufs schärfste angegriffen worden ist, weil sie von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht hat, eine Verfassungsänderung auf strafrechtlichem Gebiet zu beantragen. Nun wendet sich Bundeskanzler Adenauer, ohne vorher den Bundestag zu fragen, ohne vorher die Länder zu befragen oder auch nur zu informieren, an die Alliierten und verlangt mit dieser zentralen Polizei eine Verfassungsänderung, die an die Grundlagen der deutschen Bundesrepublik greift. Ich bin überzeugt, daß die Verfassung überhaupt nicht zustande gekommen wäre, wenn die Polizeizuständigkeit, die Polizeibefugnisse nicht den Ländern vorbehalten geblieben wären; denn sicherlich hätten sich dann nicht nur Bayern, sondern auch mehr als drei andere Länder mit einer solchen Regelung nicht abgefunden.
Wenn die Alliierten noch heute Besatzungsrecht
unserem Verfassungsrecht vorgehen lassen, dann
mögen sie das mit ihrem demokratischen Gewissen
vereinbaren. Es ist aber unerträglich, wenn der
deutsche Bundeskanzler über die Alliierten gewichtige Rechte der Länder beseitigen will. In diesem Vorgehen hat der Bundeskanzler alle Thesen
der Bayernpartei von den hemmungslosen zentralistischen Kräften der Bonner Regierung bestätigt.
Was will der Kanzler mit 25 000 Mann Bundespolizeitruppen? Es ist doch wohl kaum anzunehmen,
daß er so viele Doppelposten für die Bundesbehörden benötigt. Oder glaubt er, nur dann mit Sicherheit einer erfolgreichen Arbeit huldigen zu können,
wenn er eine eigene Truppe im Lande seines befreundeten Ministerpräsidenten Arnold unterhält?
Woher — so fragt man sich weiter — hat der Herr Bundesfinanzminister, der für die Kriegsopfer die Gelder nicht hat, die 200 Millionen, die die Einrichtung dieser 25 000 Mann starken Polizei erfordert? Was sagen die aus Bayern kommenden Bundesminister und Staatssekretäre zu diesem Vorgehen?
Sind diese Entwürfe mit Zustimmung des für die Polizeiangelegenheiten zuständigen Staatssekretärs von Lex gemacht worden?
Die Bundesregierung sollte aber vor allem bedacht sein, nicht den naheliegenden Verdacht einer anderen Verwendung dieser Polizeitruppe aufkommen zu lassen.
Wenn die Polizei verfassungsmäßig auf die Länder dezentralisiert wird und ihnen die etwa erforderliche kasernierte Bereitschaftspolizei zugewiesen wird, hat ein solcher Verdacht keine Berechtigung. Wenn Acheson vor einigen Tagen erklärt hat, daß die Vereinigten Staaten weiterhin an der Entmilitarisierung Deutschlands festhalten werden, dann kann nur bei einer solchen Handhabung der Poli-
zeifrage ein etwa bestehender internationaler Verdacht entkräftet werden.
Wenn mir wiederholt zugerufen wurde: „Europa", dann kann nicht ich etwas für diese Verquikkung, sondern dann soll die Bundesregierung nicht am gleichen Tage, an dem sie den Eintritt in den Europarat beschließt, 25 000 Mann Polizeitruppe beantragen. Sonst hat das einen suspekten Hintergrund.
Außer diesen Belastungen, mit denen Deutschland in den Europarat eintreten muß, ist auch noch auf das unnötige Vorgehen der französischen Regierung in der Saarfrage hinzuweisen, wie es die anderen Redner schon getan haben, das es den Deutschen nicht leicht macht, den Beitritt zu erklären. Immerhin bleibt die Hoffnung, daß der geniale Schritt Schumans eine Korrektur des deutschfranzösischen Verhältnisses im europäischen Rahmen bringt, so daß politische Rivalitäten alten Stils ihrer Bedeutung entkleidet werden. Wir wollen ferner hoffen, daß im Zeichen dieser Zusammenarbeit jedenfalls von Frankreich keinerlei Schritte in der Saarfrage erfolgen, die eine erneute Erschwerung der Situation erbringen würden. Ich weise, wie es schon verschiedene Herren getan haben, auf solch gefährliche Reden hin, wie sie der Kommissar Grandval jüngst gehalten hat. Vielleicht hätte man dem gleichzeitigen Beitritt der Saar etwas von seiner Bedeutung nehmen können, wenn man versucht hätte, Berlin, solange es nicht als zwölftes Land seinen Platz im Rahmen der Abordnung der deutschen Bundesrepublik einnehmen kann, gesondert bis zur Friedensregelung in den Europarat aufnehmen zu lassen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß es uns weder die Alliierten mit ihrer Besatzungspolitik noch der Herr Bundeskanzler mit seiner Regierungspolitik leicht machen, uns zu dem Beitritt zum Europarat zu bekennen und daß es eben manchen zu schwer wird, ein Ja zu sagen, und daß sich diese der Stimme enthalten werden. Wir sehen
aber im großen Ganzen in unserer Not keinen anderen Ausweg als Europa. Wir sehen keine Alternative unserer Außenpolitik. Herr Schumacher hat uns auch keine genannt, sondern nur gesagt, daß wir noch einige Jahre warten sollen.
Wir lehnen den Kommunismus ab, der das Ende unseres individuellen Lebens wäre. Wir wollen auch nicht bloß ein Brückenkopf Nordamerikas sein. Wir besitzen aber nicht den Wunderstab Moses', der ein neutrales Deutschland gegen die zwei Weltmächte gefeit erscheinen läßt. Deshalb kommen wir trotz aller Bedenken zu der Bejahung des Beitritts.
Insbesondere schreckt uns das Nein Schumachers, las er eben wieder ausgedrückt hat; denn Schumacher hat in der ganzen Nachkriegszeit die Staatwerdung der deutschen Bundesrepublik nur verzögert, und seine politischen Ansichten sind durch lie jeweilige Entwicklung immer widerlegt worden.
— Das war bereits in den letzten Nachkriegsjahren bewiesen!