Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 54. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Karpf, die fehlenden Mitglieder bekanntzugeben.
In der heutigen Sitzung sind wegen Erkrankung folgende Damen und Herren des Hauses abwesend: die Abgeordneten Dr. Müller , Schütz, Frau Dr. Probst, Frau Dr. Gröwel, Dr. Gerstenmaier, Bettgenhäuser, Dr. Gülich, Schönauer, Frau Schroeder, Dirscherl, Dr. Becker (Hersfeld), Margulies, Wittmann, Nuding, Fisch, Frau Dr. Ilk, Dr. Middelhauve. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Kriedemann, Dr. Nölting, Henßler, Dr. Veit, Neumann, Brandt, Imig, Heimann, Müller (Offenbach), Müller (Hannover), Vesper, Dr. Richter, Reitzner, Dr: Bucerius. Außerdem fehlen die Abgeordneten Heiland und Wehner.
Präsident Dr. Köhler. Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung - es ist ein Druckfehler unterlaufen —, zur
Dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion sieht sich zu ihrem lebhaften Bedauern außerstande, dem Gesetz in der gegenwärtigen Fassung ihre Zustimmung zu erteilen, und beantragt da her, den Gesetzentwurf nochmals dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zusammen mit dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen.
Die Beratungen in diesen beiden Ausschüssen sind leider nicht mit der Gründlichkeit geführt worden, die der Wichtigkeit dieses Gesetzes angemessen ist. Das ist kein Vorwurf. Sie konnten nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit geführt werden. Es war ja bisher nur möglich, überstürzt in den frühen Morgenstunden mit der Aussicht, um 10 Uhr zum Plenum gehen zu müssen, zwei Sitzungen durchzuführen, in denen eine gründliche Erörterung der Probleme nicht stattfinden konnte. Außerdem hatte eine Reihe von Mitgliedern beider Ausschüsse nicht einmal Kenntnis von den Beratungen.
Die Gründe, die uns dazu bewegen, eine nochmalige Beratung zu erbitten, sind folgende. Hier wird vom Dach her gebaut. Es soll ein Bundesfinanzhof eingerichtet werden, ohne daß bisher überhaupt schon Klarheit über die Bundesfinanzverwaltung als solche besteht. Im § 1 des Gesetzes wird zwar auf Oberfinanzpräsidien angespielt. Aber wie sich im einzelnen die Bundesfinanzverwaltung gestalten wird, ist noch unbekannt, da, das Gesetz über die Bundesfinanzverwaltung ja erst in erster Lesung dem Hohen Hause vorgelegen hat und zur Beratung .ansteht. Es scheint uns unbedingt erforderlich, hier die notwendige Verbindung herzustellen.
Weiter ist in der vergangenen zweiten Lesung im Plenum plötzlich eine wesentliche Änderung
durch den Antrag eingetreten, den der Herr Kollege Schneider von der FDP gestellt hat. Durch diesen vom Hause angenommenen Antrag ist in § 3 ein dritter Absatz eingefügt worden, und zwar auch ohne hinreichende Erörterung. Diese eingefügte Bestimmung besagt, daß die Richter am Bundesfinanzhof, soweit sie nicht die Befähigung zum Richteramt besitzen, notwendigerweise die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erlangt haben müssen. Das ist eine Änderung gegenüber den Bestimmungen der Reichsabgabenordnung und, wie uns scheint, eine nicht hinreichend geprutie Abänderung, da erhebliche Unklarheiten darüber bestehen, was unter höherem Verwaltungsdienst zu verstehen ist. Die einzelnen landesrechtlichen Regelungen sind da durchaus verschieden.
Drittens — und das ist für uns der wichtigste Punkt — befindet sich in § 3 Abs. 2 Satz 2 die Bestimmung, daß über die Berufung der Richter am Bundesfinanzhof der Bundesfinanzminister gemeinsam mit einem Richterwahiausschuß entscheidet. Abgesehen davon, daß es ein Schönheitsfehler ist, eine Bestimmung des Grundgesetzes in einem einfachen Gesetz zu wiederholen, ist ja hier nicht das Geringste gesagt, wie dieser Richterwahlausschuß verfahren soll. Es erhebt sich da, wie Sie alle wissen, eine ganze Reihe von wichtigen verfassungsrechtlichen Fragen. Wir haben unsererseits dem Hohen Hause schon vor einigen Monaten ein Richterwahlgesetz vorgelegt, das auch in erster Lesung im Plenum gewesen ist und zur Zeit zur Beratung im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ansteht. In der ersten Lesung dieses Entwurfs hat sich damals bereits gezeigt, daß im einzelnen über die Funktionen, die Befugnisse und die Verfahrensweisen dieses Ausschusses vorerst erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Das ganze Gesetz könnte also gar nicht durchgeführt werden, ohne daß über den Richterwahlausschuß und seine Verfahrensweise gleichzeitig Klarheit geschaffen wird; denn ich hoffe, daß nicht die Absicht bestanden hat, diese schwierigen und grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen nun etwa im Wege einer Durchführungsverordnung durch den Herrn Bundesfinanzminister zu regeln. Eine derartige Maßnahme könnte keinesfalls in Betracht kommen. Wir haben hier das erste der oberen Bundesgerichte, und dieses erste der oberen Bundesgerichte kann aus dem Gesamtkomplex der oberen Bundesgerichte nicht herausgenommen werden. Wenn wir es einsetzen wollen, müssen wir gleichzeitig Klarheit schaffen, wie dieser Richterwahlausschuß verfährt, arbeitet und beschließt, ob das Initiativrecht bei allen Mitgliedern liegt oder nur beim Bundesfinanzminister, ob der Ausschuß die Personalakten anfordern und einsehen kann und wann er beschlußfähig ist. Also alles das, was in unserem Gesetzentwurf geregelt ist, müßte hier gleichzeitig geregelt werden. Ohne dies kann ein solches Gesetz gar nicht realisiert werden.
Wir sind uns darüber klar, daß ein dringendes Bedürfnis besteht, den Bundesfinanzhof unverzüglich 'und so bald wie möglich einzusetzen. Aber auch diese dringende Notwendigkeit kann uns nicht der Sorge entheben, daß wir ein Gesetz machen, das wirklich den begründeten Anforderungen entspricht und nicht für eines der oberen Bundesgerichte eine solch lückenhafte Regelung bringt. Aus diesem Grunde darf ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen, den Gesetzentwurf
nochmals zu einer gründlichen Beratung an die beiden Ausschüsse zurückzuüberweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Schröter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsparteien darf ich die Erklärung abgeben, daß wir dem Antrag der SPD zustimmen werden. Wir sprechen dabei die bestimmte Erwartung aus, daß der Ausschuß noch heute oder morgen zusammentritt, damit das Gesetz noch vor dem Auseinandergehen des Hohen Hauses verabschiedet werden kann.
Das Wort hat der Herr
Abgeordneter Dr. Miessner.
Meine Damen und Herren! Meine Ausführungen erübrigen sich insofern, als ich auch im Namen meiner Gruppe dem Antrag der SPD zustimmen wollte, nunmehr aber die Regierungsparteien ebenfalls die nochmalige Überprüfung im Ausschuß beantragt haben. Da wir aber als kleine Gruppe nicht im Ausschuß vertreten sind, bitte ich mir zu erlauben, hier im Plenum wenigstens kurz zu § 3 Abs. 3 des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof, der ja wohl der Hauptstreitpunkt ist, Stellung zu nehmen.
Es geht da um die Frage, ob und wieweit festgelegt werden soll, daß im Obersten Reichsfinanzhof nur Richter eingestellt werden können, die die Befähigung zum Richteramt haben. Ich selbst war nach dem Kriege mehrere Jahre Mitglied eines Finanzgerichts beim Oberfinanzpräsidium und glaube, Ihnen daher folgendes sagen zu müssen: Ein Finanzgericht ist nicht in allen Teilen mit einem Zivilgericht oder einem Strafgericht gleichzusetzen, das zweifellos in seiner obersten Instanz nur mit Berufsjuristen besetzt sein sollte. In der Finanzverwaltung gibt es unter den höheren Beamten — nehmen wir mal die Kategorie der Regierungsräte — doch etwa ein Drittel, die aus dem Inspektoren- oder aus dem Angestelltenstand, insbesondere aus der Sparte der Betriebsprüfung, hervorgegangen sind. Die Reichsfinanzverwaltung hat es selbst immer begrüßt und betont, daß das sogenannte Juristenmonopol bei ihr schon längst gebrochen ist. Die Finanzverwaltung sieht sich nämlich in der Lage, Tatbestände zu prüfen, die oft weniger rein juristischer als vielmehr wirtschaftlicher und insbesondere buchtechnischer Art sind. Es wird sich also als notwendig erweisen, auch im Obersten Finanzgericht, im Reichsfinanzhof in München, Sachverständige zum Beispiel des Bilanzwesens zu haben. Ich darf wohl die Juristenkollegen hier im Hause daran erinnern, daß es dem Juristen im allgemeinen nicht sehr sympathisch ist, mit Zahlen zu jonglieren. Judex non calculat!
Wenn Sie also im Ausschuß diesen § 3 Abs. 3 noch einmal beraten, dann möchte ich Ihnen als Angehöriger der Reichsfinanzverwaltung sagen: Beachten Sie bitte, daß in der Steuerverwaltung in erster Linie Tatbestände aus dem Wirtschaftsleben sehr komplizierter Art zu entscheiden sind, denen der reine Jurist allein nicht immer gewachsen ist. Eine gute Mischung wäre daher zu empfehlen.
Weitere Wortmeldungen erfolgen nicht. Dann darf ich nach den Erklärungen des Herrn Abgeordneten Schröter wohl das Einverständnis des Hauses feststellen, daß gemäß dem Antrag des Herrn Abgeordneten Arndt die dritte Beratung heute ausgesetzt wird und daß die Drucksachen Nr. 770 und Nr. 630 an die beiden zuständigen Ausschüsse, den Ausschuß für Finanz-und Steuerfragen und den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, zur nochmaligen Beratung zurückverwiesen werden. — Es ist demgemäß beschlossen.
Wir kommen dann zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 (Drucksachen Nr. 768, 682, 670 bis 681 und 223).
Gemäß Abmachung im Ältestenrat beginnen wir mit einer Generaldebatte ohne zeitliche Beschränkung. Das heißt, nach § 87 Abs. 1 der Geschäftsordnung beträgt die Höchstredezeit eine Stunde. Nach der Generaldebatte werden wir dann in die Beratung der Einzelpläne mit folgender Maßgabe eintreten: soweit keine Abänderungsanträge vorliegen, wird über den Einzelplan abgestimmt; soweit Abänderungsanträge vorliegen, erfolgt die Einzelbesprechung und dann die Abstimmung über den betreffenden Einzelplan.
In der Generaldebatte hat als erster das Wort Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion benutzt die Gelegenheit der dritten Lesung des vorläufigen Haushaltsgesetzes zu Bemerkungen über die Gesamtpolitik der Regierung. Wir sind der Meinung, daß der Haushaltsplan in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit nur ein Teil des gesamten politischen Komplexes ist.
Was wir heute in der dritten Lesung beraten, ist schon an sich nur ein Teil, man kann noch nicht einmal sagen, ein Torso; es ist höchstens ein Glied eines Gesamtkörpers. Das sieht man schon, wenn man die Ziffern vergleicht. Wenn man sie im einzelnen analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, daß selbst innerhalb der bescheidenen Schlußziffer von etwas über 27 Millionen DM, die diesen Haushaltsplänen zugrunde liegt, das Gleichgewicht sehr ungleichmäßig verteilt ist und daß ein erheblicher Teil auf die Etablierung der gesetzgebenden Instanzen fällt. Trotzdem glaube ich, daß es wahr bleibt, daß Haushaltspläne, selbst wenn sie in dieser fragmentarischen Form vorliegen, zwei Dinge widerspiegeln, die man bei der Kritik und bei der Auseinandersetzung mit ihnen in Rechnung stellen muß. Einmal sind es allgemeine Notwendigkeiten und Bedürfnisse, über die in der Regel sehr wenig zwischen denen zu streiten ist, die sich der sachlichen Klärung dieser Notwendigkeiten befleißigen und die deshalb anerkennen, wo anzuerkennen ist. Daneben gibt es in jedem Haushnltsplan spezielle Tendenzen die aus politischen Machtverhältnissen und vielleicht nicht zuletzt aus persönlichen Eigenarten und aus parteipolitischem Kalkül entspringen. Diese beiden Dinge finden wir auch bei den vorliegenden Plänen.
Ich möchte gleich vorweg sagen: die Sozialdemokratie feilscht nicht, wenn es um die Erfüllung anerkannter Notwendigkeiten geht. Wir haben das bei den Beratungen im Haushaltsausschuß bewiesen. Wir sind uns darüber klar, daß die allgemeinen Voraussetzungen für eine geordnete Verwaltung gegeben sein müssen und daß es keinen Sinn hat, hier aus bloßer Freude an der Negation dagegen zu sein. In gewissen Grenzen! Um so notwendiger ist es aber, daß wir zu den politischen Fragenkomplexen Stellung nehmen, die durch die Haushaltspläne nur angedeutet werden, die aber hinter ihnen stehen, weil auch der Staatshaushalt schließlich nichts anderes ist als ein Instrument, dessen sich die Regierung und die Verwaltung bedient, um ihre besondere politische Konzeption in die Wirklichkeit umzusetzen.
Man kann den Haushalt, wie er dem Hohen Hause vorliegt, nur in Zusammenhang sehen erstens mit dem in erster Lesung bereits verabschiedeten Ergänzungshaushalt, weiter mit der Steuergesetzgebung der Regierung, mit ihrer Wirtschaftspolitik, mit ihren außenpolitischen Aktionen und Unteriassungen, kurzum mit der ganzen Atmosphäre, die unsere Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Erst so hat man eine Grundlage für die Beurteilung der Bedeutung der .gegenwärtigen Beratung.
Bleiben wir zunächst beim Haushaltsplan. Wir Sozialdemokraten glauben nicht, daß im personellen Aufbau der Verwaltung allzusehr über das Ziel geschossen worden ist. Wir haben im Haushaltsausschuß da, wo wir Streichungen für notwendig hielten, den Versuch gemacht, diese Streichungen durchzusetzen. Wir haben dabei gelegentlich auch die Bundesgenossenschaft von Kollegen und Kolleginnen aus dem Kreise der Regierungsparteien gefunden. Ich darf sagen: gelegentlich kamen die schärfsten Attacken sogar aus den Kreisen der Koalition. Ohne ein Geheimnis preiszugeben: man gewann manchmal den Eindruck, daß gerade diese Attacken nicht immer nur von sachlichen Überlegungen ausgingen, sondern mehr den Versuch darstellten, sich selber gegenüber der Öffentlichkeit zu salvieren.
wir haben uns bei diesen Beratungen nie durch solche Überlegungen bestimmen lassen, sondern sind immer in der Richtung gegangen, sachliche Lösungen mit sachlichen Mitteln zu erstreben.
Wenn wir auch nicht glauben, daß beim quantitativen Aufbau der Verwaltung sehr stark übers Ziel geschossen wurde, so haben wir doch im einzelnen gegen die persönliche Besetzung von Stellen starke Bedenken.
Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich im Namen meiner Fraktion aussprechen, daß wir nicht den Eindruck und die sichere Überzeugung haben, daß bei der Besetzung von Stellen, kurzum bei dem Gesamtkomplex, den man als Personalpolitik bezeichnet, stets nach sachlichen und nie nach parteipolitischen Gesichtspunkten verfahren wurde,
und ich weiß — auch da verrate ich kein Geheimnis —, daß auch bei manchen, die der Regierung näher stehen als wir Sozialdemokraten, Bedenken gegen eine gewisse autoritäre Art der Entschei-
dung bei Personalbesetzungen laut geworden sind. Wir haben in diesern Punkt die allersterkste Bedenken und wünschen dringend, daß hier eine Angering eintritt, soweit aas beim Vorhandensein bestimmter persönlicher Voraussetzungen denkbar und bei der Bereitschaft der Mehrheit dieses Hauses, gelegentlich beide Augen zuzudrücken, überhaupt möglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat also, wie gesagt, an dem Versuch, die Haushaltspläne im einzelnen zu korrigieren, aktiven Anteil genommen. Wir haben bei der zweiten Lesung Antrabe zu den einzelnen Plänen gestellt. Wir sind mit diesen Antragen unterlegen, aber ich kündige jetzt schon an — Sie haben es ja auch bei Ihren Drucksachen gefunden —, daß wir alle unsere Anträge bei der dritten Lesung wiederaufnehmen werden.
Wir wenden uns ferner gegen jenen gesteigerten Aufwand, der aus politischen Motiven entstanden ist. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß aus politischen — aus koalitionspolitischen, um es genauer zu sagen — Gründen die Zahl der Ministerien unnötig vergrößert worden ist.
Wir sind weiter der Meinung, daß sich aus dieser unnötigen Vergrößerung der Zahl der Ministerien Unklarheiten in der Verteilung der Zuständigkeiten ergeben haben.
Wir sind der Meinung, daß wir auf manchen Gebieten unserer Gesamtpolitik eine Mehrspurigkeit festzustellen haben, die nicht gut ist, die gelegentlich auch öffentlich bemerkt wird und zu unangenehmen Begleiterscheinungen führt. Ich denke da
bei insbesondere an den Drang verschiedener Minister und Ministerien, auf eigene Faust außenpolitische Exkursionen zu unternehmen,
die dann immer wieder durch Dementis und Rückzieher korrigiert werden müssen. Ich glaube, das gibt unserer gesamten Politik den Charakter der Unstabilität und Unsicherheit, der uns allen nicht bekömmlich ist.
Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß eine andere Form der Mehrspurigkeit feststellen können. Es ist zwar ein Detail, aber ich muß es erwähnen. Wir haben eine relativ sehr gut ausgebaute und sowohl personell wie materiell außerordentlich gut dotierte Bundespressestelle. Über die Bedeutung und die Wirksamkeit dieser Bundespressestelle gehen die Meinungen naturgemäß stark auseinander, obwohl ich den Eindruck habe, daß nach den bisherigen Erfahrungen eine gewisse Skepsis überwiegt. Aber wir haben auch festgestellt, daß jedes Einzelministerium noch seine besondere Pressestelle hat,
und wir haben auf die Frage, in welcher Form denn die einzelnen Ministerien sich der dafür doch eigentlich geschaffenen Bundespressestelle bedienen, nicht immer eine befriedigende und ausreichende Antwort erhalten. Wir sind dadurch zu der Überzeugung gekommen, daß auf diesem Gebiete ein Aufwand getrieben wird, der schon aus sachlichen Gründen nicht immer notwendig ist und der tatsächlich auf das notwendige Maß reduziert werden könnte.
Wir haben im allgemeinen — das dürfen Sie vielleicht einem berufsmäßigen Journalisten gestatten, zu sagen — in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, daß amtliche Pressestellen nicht immer aus dem Drang, die Öffentlichkeit zu informieren, geschaffen worden sind. Man kann sehr wohl sagen, daß manche Pressestellen geradezu da sind, um die Information der Öffentlichkeit und des Staatsbürgers zu verhindern und zu kanalisieren. Wir wünschen nicht, daß die Institutionen, die im Rahmen der Bundesverwaltung zum Zwecke der Information geschaffen worden sind, nichts anderes als Sprachrohre der offiziellen Politik werden und dabei alles das hintanhalten, was die Öffentlichkeit tatsächlich interessiert.
Eine bessere Koordination, eine Zusammenfassung der Kräfte und eine wirklich wirksame Verbindung zwischen den amtlichen Organen der Bundesrepublik und den Organen der öffentlichen Meinung und damit der Öffentlichkeit halten wir für dringend notwendig. Wir glauben, daß auf diesem Gebiet noch einiges getan werden muß und getan werden kann.
Wir verkennen ganz gewiß nicht die Anfangsschwierigkeiten, die jede Regierung in der Bundesrepublik — ganz gleich, was immer ihre Zusammensetzung gewesen sein könnte — zu überwinden gehabt hätte. Diese Anfangsschwierigkeiten unterstellen wir als gegeben. Wir wissen auch um den Grad der Abhängigkeit, in dem sich unsere Politik entwickeln kann. Aber, meine Damen und Herren, schließlich ist es doch eine Tatsache, daß alle die Fragen, die vor uns stehen, die großen Fragen der Gestaltung einer neuen, sozialen Ordnung und einer Wirtschaftspolitik, die dieser neuen sozialen Ordnung gemäß ist, letzten Endes auch vom Zeitfaktor her bestimmt werden.
Wir brauchen nur einmal hinauszusehen und hinauszuhören ins Land, um festzustellen., daß sich die Verzögerung von Entscheidungen in unserem Volke zu einem politischen Gefahrenherd erster Ordnung ausgewirkt hat;
Dabei muß man doch offen zugestehen, meine Da- men und Herren, daß die offene Arbeitslosigkeit, die wir heute in Deutschland haben — selbst wenn wir eine gewisse rückläufige Entwicklung auf diesem Gebiet gar nicht leugnen können —, und die sicher beinahe in gleichem Umfange vorhandene versteckte Arbeitslosigkeit heute ebenfalls ein eminenter politischer Faktor geworden sind. Zum Teil aus demselben Grunde, aus dem viele Menschen, die sich in sozialer Notlage befinden, durch das Verzögern von Entscheidungen politisch in ein gefährliches Lager getrieben werden, ist die Arbeitslosigkeit und die Verzögerung ihrer ernsthaften Bekämpfung ein politisches Problem geworden.
Aber, meine Damen und Herren, auch in einem anderen Zusammenhang: Die Menschen, um die wir heute als einen Teil des künftigen einheitlichen Deutschlands ringen, die Menschen in der Ostzone, die Menschen im Saargebiet blicken auf dieses Deutschland, auf diese Bundesrepublik Deutschland, und ihr inneres Verhältnis zu diesem Lande wird nicht zuletzt von der Art und von der Methode bestimmt, mit der wir diese Probleme lösen.
Wenn wir sie nicht lösen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn eine gewisse Abkühlung eintreten würde; denn schließlich bestimmen ja Millionen Menschen ihr Verhältnis zu einem Lande nicht in erster Linie von dem Gefühl der nationalen Solidarität her, sondern auch von der Sorge um ihre eigene Existenz; und die Sorge vor der Arbeitslosigkeit — das düstere Gespenst, das heute in Deutschland hinter manchem Arbeiter steht, der noch brav und treu an seiner Werkbank steht — ist auch ein politischer Faktor, den wir nicht übersehen sollten.
Wir sind der Auffassung, meine Damen und Herren, dan dieser Staat der Treuhänder aller Deutschen, der Treuhänder der deutschen, Einheit sein soll. Er soll es aber nicht nur in seinen Deklamationen sein.
Er soll es sein durch die Art, wie er die sozialen und wirtschaftlichen Fragen löst, wie er im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit die Beziehungen Deutschlands zu seiner Umwelt und die Beziehungen der Deutschen untereinander gestaltet. Wir wollen gar keinen Zweifel darüber lassen — selbst auf die Gefahr hin, daß der Herr Kollege Renner hier aufmuckt, will ich es sagen —: Wir betrachten das, was sieh im Osten Deutschlands als „Regierung" etabliert hat, als eine Regierung der Usurpation deutscher Staatsgewalt.
Wir wissen, daß diese Regierung sich
noch keinen Tag auf eine echte demokratische Legitimation, die aus dem frei ausgesprochenen Willen der Wähler entstanden wäre, hat stützen können.
Wir wissen, daß diese Regierung jetzt —
— Herr Kollege Renner, ich will mich in diesem 1 Zusammenhang nicht mit Ihnen auf Auseinandersetzungen einlassen.
Ich glaube, wir haben hier Wichtigeres zu tun, als ihre vergeblichen Versuche zu beantworten, sich selber zu legitimieren.
Wir wissen, daß diese Regierung im Osten sich genau so räuspert, wie der große Einpeitscher hinter ihr spuckt!
Wir wissen, daß sie keinen Tag leben würde, wenn dieser große Einpeitscher nicht da wäre.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
jede Deklamation, jede Aktion gegen diesen Zustand im Osten unseres Landes muß ins Leere
gehen, wenn wir nicht selber in der Lage sind,
die sozialen und ökonomischen Spannungen zu beseitigen, die das Volk in Westdeutschland zerreißen.
Wir sind der Meinung, daß echte soziale Gerechtigkeit und echte wirtschaftliche Ordnung — nicht irgendeine Ordnung, die man mit theoretischen Begriffen umreißen mag, sondern eine Ordnung, in der die Menschen das Gefühl haben, daß sie in der Ordnung leben — wie ein Magnet auf alle diejenigen wirken können, die heute noch gezwungenermaßen außerhalb der freien Entscheidung eines demokratischen Volkes leben.
— Nun, wie stark die magnetische Kraft im Osten ist, sehen wir an dem Flüchtlingsstrom, der nach dem Westen kommt.
Ich habe noch keinen westdeutschen Kommunisten gefunden, den es mit dem Herzen nach drüben gezogen hätte,
vor allem wenn, er, wie mancher von Ihnen hier in diesem Hause, selber im stillen Kämmerlein leise Zweifel bekommen und gelegentlich von der Parteimaschine einen auf den Deckel bekommen hat.
Aber wir wollen zum Sachlichen zurückkommen!
Ich sagte: echte soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Ordnung können wie ein Magnet wirken. Vertagung und unzulängliche Lösungen aber vertiefen nicht nur die Gräben hier in unserem eigenen Bereich, sie vertiefen auch den Graben, den Gewalt und fremde Interessen quer durch unser Land gezogen haben.
Zu den Fundamenten der Demokratie, wie wir Sozialdemokraten sie uns wünschen, gehört neben sozialer Gerechtigkeit als zweites eine stets wachsende staatsbürgerliche Freiheit. Wir sind uns wahrscheinlich im Hause im wesentlichen über die
Grenzen und den Inhalt staatsbürgerlicher Freiheit einig; ob wir es im Hinblick auf die Methoden sind, mit denen der Grad dieser staatsbürgerlichen Freiheit vergrößert werden kann, ist eine offene Frage.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen, daß wir es als gefährlich betrachten, wenn da und dort die leise Andeutung einer Neigung zu autoritärer Entscheidung sichtbar wird. Solche Strömungen, solche Andeutungen ersticken die Bereitschaft zur inneren Freiheit, die letzten Endes — und das wollen wir unterstellen — in der großen Mehrheit der Deutschen schlummert und die nur geweckt werden will, damit sie diesen Staat mit blutvollem, echtem demokratischem Leben erfüllt.
Sie stärkt auf der andern Seite die echten und gefährlichen Gegner dieser Demokratie, auch wenn dieser Effekt nicht gewollt ist. Meine Damen und Herren, ich denke da an Debatten, die wir in diesem Hause gehabt haben, bei denen die Fronten offenkundig nicht ganz glücklich gewählt waren. Ich denke an die Debatte im Falle Hedler, bei der man den Eindruck gewinnen konnte, daß diejenigen die Demokratie verteidigen, die auf der Seite des Herrn Hedler stehen, und daß diejenigen die Feinde der Demokratie seien, die sich gegen diese Provokationen gewehrt haben.
Ich glaube, hier war etwas falsch im Akzent und in der Frontstellung.
Ich glaube, wenn da drüben reagiert wird — —
Es spricht der Abgeordnete Schoettle!
Lieber Herr Kollege Renner, darüber, ob ich ein Sozialist bin und was wir unter Sozialismus verstehen, möchte ich mich mit Ihnen nicht in eine Unterhaltung in diesem Hause einlassen. Ich würde es vorziehen, mit Ihnen einmal unter vier Augen zu sprechen, um zu erfahren, was Sie wirklich denken.
Ich glaube, ich würde dabei eine größere Überraschung erleben als Sie, denn Sie wissen es ja!
— Spaß muß sein, Herr Kollege Schmid!
Ein drittes Fundament, auf dem eine echte Demokratie ruhen sollte, muß in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden, weil es für die Gesamtpolitik der Regierung von großer Bedeutung ist. Das ist ein wachsender Grad nationaler Freiheit und staatlicher Bewegungsfreiheit im Rahmen einer echten europäischen Ordnung. Es ist Aufgabe jeder Regierung in diesem Lande, das unter den Folgen der nationalsozialistischen Politik noch Jahrzehnte zu leiden haben wird, einen ständigen Kampf um die Erweiterung dieser nationalen Bewegungsfreiheit mit den Besatzungsmächten zu führen. Es ist nur natürlich, daß die Besatzungsmächte die von ihnen etablierte Ordnung als etwas Statisches zu betrachten geneigt sind, und daß der Kampf um die Veränderung, um die Erweiterung der Grenzen, innerhalb deren wir uns bewegen können, auf
Widerstand stoßen wird. Aber wir müssen diesen Kampf mit den uns gegebenen Mitteln führen, wenn wir tatsächlich die Voraussetzungen schaffen wollen, unter denen dieses Land nicht etwa geduldet, sondern gleichberechtigt in eine neue Gemeinschaft der Nationen eintreten soll. Wir glauben, daß ein Erfolg dieser Bemühungen nur möglich ist, wenn wir — und da möchte ich meinen Parteifreund Schumacher aus seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung zitieren — uns hüten, wegen der angeblichen Eiligkeit eines Termins materielle Dinge preiszugeben.
Die sozialdemokratische Opposition sieht sich auch hier in der Rolle des ständigen Drängers und Mahners. Sie kann auf diese Rolle nicht verzichten, selbst wenn da und dort im Inland und im Ausland manche Leute dabei unbehagliche Gefühle haben sollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus diesen Bemerkungen ergibt sich unsere Kritik an Einzelheiten der Regierungspolitik. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Regierung im Tempo gelegentlich hinter dem Notwendigen zurückgeblieben sei. Wir haben in diesem Hause festgestellt, daß sie e i n m a l ein beträchtliches Tempo vorgelegt hat, und das war bei der Steuergesetzgebung. Die Steuergesetzgebung ist hier mit einer Eile betrieben worden, die anderen Objekten ebenfalls angemessen gewesen wäre.
Aber hier — ich weiß, es wird nicht gern gehört —
haben wir den Eindruck, daß die Regierung ein Versprechen einlösen mußte,
ein Versprechen, dessen Einlösung nach unserer Auffassung in einem bemerkenswerten Widerspruch zu den Tönen stand, die wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört haben, nämlich der Bemerkung, daß diese Regierung eine soziale Politik treiben, daß sie so sozial wie möglich — hier liegt ja auch schon eine Einschränkung - sein wolle.
— Herr Kollege von Rechenberg, wenn Sie das a u c h sagen, sind wir uns ja vollkommen einig. Ich habe dann nichts weiter dazu zu bemerken; aber ich darf nur feststellen, daß das Tempo, das wir bei der Steuergesetzgebung erlebt haben, in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den zaghaften und unzulänglichen Versuchen stand, auf anderen Gebieten gesetzgeberisch tätig zu sein.
Es scheint mir geradezu die Konsequenz dieser Steuergesetzgebung zu sein, daß man in Fragen der Kriegsopferversorgung und der Sozialpolitik überhaupt sehr viel zurückhaltender gewesen ist.
—Darüber werden wir zu gegebener Zeit noch
zu sprechen haben, Herr Kollege von Rechenberg, wenn erst einmal das eingetreten ist, was Sie erwarten. Die Sozialdemokraten sind immer gern bereit, Erfolge zuzugestehen, wenn sie eingetreten sind; aber Vorschußlorbeeren geben wir nicht gern.
Meine Damen und Herren! Es scheint sich eben doch auch hier zwar nicht die Erkenntnis, aber das Gewicht der Tatsache durchgesetzt zu haben, daß man nicht Steuergeschenke und Sozialpolitik zugleich machen kann,
daß das eine das andere, wenn nicht geradezu aufhebt, so doch erheblich beschränkt.
— Ich glaube, Herr Kollege Euler, diese Zwiegespräche haben wenig Sinn. Ich vertrete hier den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion, vertreten Sie den Ihrigen — das ist das Recht jeder Gruppe in diesem Hause —, und wenn es sich urn Zwiegespräche handelt, bin ich bereit, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, aber nicht hier.
Jedenfalls kommen wir hier auf den Kern des Problems, das uns gestellt ist. Wir haben es nicht damit zu tun, irgendwelche Theorien zu verwirklichen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns hier in stundenlangen Debatten über die Vorzüge oder Nachteile irgendeines ökonomischen Systems zu unterhalten, wie wir es leider manchmal getan haben. Worauf es ankommt, ist, von einer ehrlichen nationalen Bilanz her eine Vorstellung zu entwikkeln, wie wir die uns gegebenen Mittel rationell, vernünftig, politisch und sozial zweckmäßig einsetzen.
Wir haben ja oft über den angeblichen Gegensatz zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft gesprochen. Ich bin nie darüber hinweggekommen, daß aufgeklärte, gebildete Menschen so leicht bereit sind, eine bequeme politische Parole zu prägen, mit der man draußen in Versammlungen wirken kann, indem man Planung und Zwangswirtschaft auf einen Nenner bringt. Meine Damen und Herren, ich muß hier mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus einem Aufsatz zitieren, der mir dieser Tage zufällig in die Hände gefallen ist und der von einem bekannten Professor der Nationalökonomie stammt. In diesem Aufsatz steht folgendes zu lesen:
Schon in einem früheren Aufsatz wies ich darauf hin, daß zwischen planvoller Wirtschaft und voller Planwirtschaft Raum für unendlich viele Variationen der Beeinflussung und Lenkung der Wirtschaft bliebe und daß es deshalb unrichtig und unehrlich sei, hier mit absoluten Begriffen zu operieren.
Der eigentliche Gegensatz besteht nicht zwischen
freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Unsere Kritik richtet sich also nicht gegen die mannigfaltig auszudeutende Planwirtschaft. Vielleicht kann mir der Herr Bundeswirtschaftsminister Auskunft darüber geben, ob der Verfasser dieses Artikels, Herr Dr. Ludwig Erhard, etwa mit ihm identisch ist.
Meine Damen und Herren, wenn wir einmal nicht von theoretischen Streitpunkten, sondern von der Frage ausgehen, was uns not tut, und wenn wir dabei an die Menschen denken, die hinter diesen theoretischen Streitgesprächen in der Regel nur das Gezänk der Gelehrten und der Wissenschaftler vermuten, das an ihren eigenen Lebensfragen vollkommen vorbeigeht, dann kommen wir vielleicht, wenn auch unter schweren Kämpfen und nur unter der Voraussetzung, daß wir bereit sind, mutig die Konsequenzen aus unseren Einsichten zu ziehen, doch zu dem. Ergebnis, daß es mit den Methoden, die bisher in unserer Wirtschaftspolitik angewandt worden sind, nicht geht.
Gestern haben wir ja den Notschrei der Landwirtschaft gehört. Es ist in diesem Hause festgestellt worden, daß bei den gegenwärtigen Methoden der Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zwangsläufig ins Hintertreffen gekommen ist.
Die Landwirtschaft ist nur e i n großer Sektor unserer nationalen Wirtschaft. Wenn dann schon auf diesem einen Gebiet so etwas gesagt wird, was sollen dann die Millionen sagen, die mit einem ungenügenden Realeinkommen vor den Schaufenstern stehen und die schönen Auslagen bewundern können, ohne die Genugtuung zu haben, daß sie davon etwas kaufen können? Diese Leute sind in diesem Sinne ja auch Opfer dieser Wirtschaftspolitik. Sie sind auch bei den Maßnahmen vergessen worden, mit denen man versucht hat, unsere Wirtschaft in Ordnung zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, die eigentlich in die Beratungen über das Haushaltsgesetz gehört. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir ja das Haushaltsgesetz zu verabschieden, das den technischen und rechtlichen Rahmen für die Behandlung der Einzelpläne und für die Verwaltung darstellt. In diesem Haushaltsgesetz gibt es einen § 10, der Gegensand einer lebhaften Kontroverse zwischen dem Bundesrat — genauer gesagt: den Finanzministern der Länder --und dem Bundesfinanzministerium war. Es handelt sich da in erster Linie um die Frage, wer denn die Mittel dafür aufbringen muß, um den Ausgabenüberschuß, wie man neuerdings statt Defizit zu sagen pflegt, zu decken. Ich glaube, wir werden bei Beratung des Haushaltsgesetzes auf diese Frage noch im einzelnen zurückkommen müssen. Ich möchte jetzt schon darauf hinweisen, daß die Vorlage, die Sie in den Händen haben, nicht ganz korrekt ist, weil nämlich in dieser Vorlage gerade die Fassung des § 10 nicht mit der Fassung übereinstimmt, die aus den Beratungen des Haushaltsausschusses hervorgegangen ist. Es muß korrekterweise heißen, daß der Bundesfinanzminister im Benehmen mit dem Bundesrat zu entscheiden hat. Was steckt aber hinter dieser Kontroverse? Es steckt der Versuch der Länderminister dahinter, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Bund auf ein möglichst bescheidenes Maß zu fixieren und bei der endgültigen Feststellung des zu deckenden tatsächlichen Abmangels mit zu entscheiden, nicht etwa über die Höhe der Quote, die auf die einzelnen Länder entfällt, sondern über die Höhe des Betrags, den man als Abmangel feststellt.
Meine Damen und Herren, wir sind nahezu am Ende des Haushaltjahres. Jeder, der in der Finanzverwaltung tätig ist, weiß heute schon, wie hoch der tatsächliche Abmangel in zwei oder drei Tagen sein wird. Ich weiß nicht, warum von den Länderfinanzministern ein solcher Streit um die Frage geführt wird, ob der Bundesrat zustimmen oder nur gehört werden soll. Was soll denn der Bundesrat dabei feststellen? Er kann nur zur Kenntnis nehmen, daß das Defizit soundso viele Millionen beträgt, und er kann sich überlegen, woher die Länderfinanzminister das Geld nehmen, um
das Defizit zu decken; aber er kann nichts mehr feststellen. Die Feststellung ist Sache der Rechnungslegung. Das, was ausgegeben worden ist, ist nun eben einmal ausgegeben worden; und was zu decken ist, weisen die nüchternen Zahlen aus. Meine Fraktion wird sich deshalb erlauben, bei der Beratung des Haushaltsgesetzes die Wiederherstellung der Ausschußfassung zu beantragen, weil wir der Meinung sind, daß hier vom Bundesrat mit Kanonen nach Spatzen geschossen worden ist. Die Austragung dieses Streits war in diesem Augenblick völlig überflüssig. Ich bedaure aufrichtig, daß der Herr Bundesfinanzminister nach einem ursprünglichen Anlauf zur Stärke auch gegenüber den regionalen — vorsichtig sagt man sonst: föderativen — Interessen plötzlich weich in den Knien wurde und nach einem heftigen Widerstand seines eigenen Referenten im Haushaltsausschuß dann während der Mittagspause vor dem Bundesrat kapitulierte.
Ich glaube, so billig sollte man es nicht machen,
wenn es sich um eine immerhin etwas grundsätzliche Entscheidung handelt, nämlich um die Entscheidung der Frage, ob der Bundesrat bzw. die Länder bei der Festsetzung der Bedürfnisse des Bundes in dem Maße, wie es hier verlangt wird, mitwirken sollen. Das kann für die Zukunft Konsequenzen haben, die uns alle sehr unangenehm aufstoßen werden.
Da ich gerade beim Haushaltsgesetz bin, möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung zurückkommen, die in der zweiten Lesung gefallen ist. Mein verehrter Kollege aus dem Haushaltsausschuß Herr Professor Dr. Nöll von der Nahmer hat damals in diesem Hause eine Theorie aufgestellt. Er hat sie auch sonst öffentlich vertreten. Ich glaube, wir können in aller Freundschaft über diese Dinge reden. Wir haben uns nie gezankt, wenn wir auch gelegentlich verschiedener Meinung sind. Er hat eine Theorie aufgestellt, wonach man in Zukunft dazu kommen müsse, den Bundeshaushalt — und das gilt natürlich auch für alle andern Haushalte — von der Einnahmenseite her aufzubauen. Man müsse — das ist der Inhalt dieser These — zunächst einmal feststellen, welche möglichen Einnahmen man habe, und danach solle man die Ausgaben bestimmen.
Der Kollege Dr. Nöll von der Nahmer hat dabei das Beispiel der Hausfrau angeführt, die auch nur soviel ausgeben kann, wie sie oder der Mann einnimmt. Es ist ein bestechendes Beispiel; aber es ist prinzipiell falsch. Ich glaube, ein Staatshaushalt und ein Privathaushalt sind nicht unbedingt miteinander zu vergleichen. Beim Staatshaushalt bestehen einige Voraussetzungen, die beim Privathaushalt nicht gegeben sind. Wir haben im Staatshaushalt einige fixe Posten und einige unveränderliche Aufgaben, die man nicht mit den Methoden jener Theorie bewältigen kann. Man kann zu dieser Theorie des Herrn Kollegen Dr. Nöll von der Nahmer nur sagen: wenn sie einmal in die Praxis umgesetzt würde, würde dies das
Ende jeder Sozialpolitik in Deutschland bedeuten,
denn dann müßten Sie zunächst einmal den verehrlichen Steuerzahler befragen, wieviel er denn
eigentlich für die allgemeinen Aufgaben des Staates
zu leisten bereit ist, und ich habe noch keinen Steuerzahler gefunden, der bereit gewesen wäre, zu sagen: Im Hinblick auf die großen sozialen Verpflichtungen bin ich bereit, von heute ab 5 oder 10 Prozent mehr Steuern zu bezahlen. Ich glaube, wir werden ihn auch nicht durch die beste Politik schaffen, die wir hier in diesem Hause treiben. Deshalb sollte man vorsichtig mit solchen Theorien sein, die nur die öffentliche Diskussion irreführen und von den tatsächlichen Notwendigkeiten dieses Landes wegführen.
Soviel zu diesem Punkt.
Meine Damen und Herren, nun noch ein Wort zur Außenpolitik der Regierung. Wir haben Ihnen eine Entschließung vorgelegt, in deren Ziffer 1 wir — Sie werden darüber vielleicht etwas erstaunt sein — den Herrn Bundeskanzler ersuchen, im Rahmen des Bundeskanzleramts mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Staatssekretariat für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einzurichten, das den ganzen Bereich der mit der internationalen Politik zusammenhängenden Fragen, soweit das Besatzungsstatut keine Beschränkungen festlegt, betreuen und auch eine politische Abteilung enthalten soll.
Wenn man sich die Frage nach der Außenpolitik der Regierung vorlegt, so kommt einem unwillkürlich die Frage: Gibt es die denn überhaupt, die Außenpolitik der Regierung? Wir haben den Versuch des Herrn Bundeskanzlers erlebt, Außenpolitik zu machen. Das ist zweifellos eine seiner Aufgaben. In Ermangelung eines Auswärtigen Amts ist es im Bereich der Tätigkeit des Bundeskanzlers, der ja die Richtlinien der Politik festlegt, durchaus zu vertreten. daß er die außenpolitische Aktivität, soweit sie im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit möglich ist, führt, koordiniert, orientiert.
Wir haben daneben auch andere Versuche erlebt, Außenpolitik zu machen. Wir haben da den Versuch des Wirtschaftsministeriums, im Auslande neben den Vertretungen, die uns schon vom 1. April ab gestattet sind, eigene Vertretungen zu errichten. Wieweit dieser Versuch gediehen ist, ob er nicht bereits im Keime erstickt wurde — was ich wünschte —, das weiß ich nicht; jedenfalls ist dieser Versuch der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Wir haben weiter das ERP-Ministerium, und ich weiß nicht, was es sonst noch an außenpolitischen Aktivitäten gibt. Wo aber immer Persönlichkeiten der Regierung geredet haben, haben sie irgendwie Außenpolitik gemacht, und ich glaube, man kann, ohne Gefahr zu laufen, einen Ordnungsruf vom Herrn Präsidenten zu erhalten. doch sagen: es ist einiges Porzellan dabei zerbrochen worden.
Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß ich da nicht einmal aus den Kreisen der Koalitionsparteien allgemeinen Widerspruch finden werde.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu den Methoden unserer Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler, dessen Legitimation wir nicht bestreiten,
hat den Versuch gemacht, das Gespräch über Europa, über die deutsche Wiederaufrüstung, über diese oder jene Frage von internationaler Bedeutung in Gang zu bringen. Ich glaube, die Mittel, die
er dazu benutzt hat, waren nicht immer die richtigen. Ja, ich möchte etwas weitergehen und sagen: sie waren in mehreren entscheidenden Fällen ausgesprochen unzweckmäßig.
Meine Fraktion hält zum Beispiel nichts davon, daß man sich zur Lancierung bestimmter Absichten und Ansichten eines amerikanischen Journalisten bedient
und daß man dann in eine Serie von weiteren Interviews hineinschlittert, bei denen sich Mißverständnisse ergeben, die aufzuklären sind, Dementis, die wieder nicht verstanden werden, und alle möglichen Aktionen und Konteraktionen nur so durcheinander wirbeln.
Ich glaube, meine Damen und Herren, so kann man die Außenpolitik, die uns gestattet ist, auf die Dauer nicht machen, ohne schweren Schaden zu leiden.
Man sollte doch einmal ernsthaft überlegen, ob es nicht besser ist, auf die Methode der Improvisationen aus dem Augenblick heraus zu verzichten und statt dessen eine solide Konzeption zu entwickeln, wohin man eigentlich will.
Mit Noteinfällen, die einem aus der Verlegenheit des Augenblicks gerade zufliegen, kann man in dieser komplizierten Welt nicht durchkommen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion wünscht nichts mehr als eine gemeinsame Grundlage für Opposition und Regierung in Fragen der Außenpolitik.
Aber auf dem Wege, den wir bisher auf diesem Gebiet gewandelt sind, kommen wir nicht zu dieser gemeinsamen Grundlage!
Die „einsamen Entschlüsse" des Herrn Bundeskanzlers, die dann nachher doch Gelegenheit zu Auseinandersetzungen geben, sind keine solche Grundlage. Wir wollen uns nicht dazu hergeben, eine Gemeinsamkeit vorzutäuschen, die nur darin besteht, daß wir uns nach vollbrachter Tat hinten anschließen dürfen.
Wir sind uns in einem, wahrscheinlich in der
Theorie und in der allgemeinen Richtung, sehr
nahe: wir wollen doch, daß aus diesem fürchterlichen Debakel, das unsere Generation erlebt hat,
etwas anderes, etwas Solideres, etwas Besseres entsteht. Darüber, worin dieses Solidere, dieses Bessere besteht, gehen die Meinungen auseinander,
aber wir alle haben wahrscheinlich — mit wenigen
Ausnahmen, denen nicht zu helfen ist — begriffen,
daß dieses Deutschland sich wirklich nur wieder
entwickeln und leben kann, wenn es in eine größere Ordnung eingeht. Europa ist für uns nicht
irgendein fernes Traumgebilde, sondern eine lebendige Aufgabe der Gegenwart. Wir Sozialdemokraten haben da zwar im einzelnen vielleicht unsere
Auffassungen zu modifizieren, aber wir haben
keine Gesinnung zu ändern oder neu zu erwerben.
Unser Bekenntnis zu Europa ist nicht jüngsten Datums. Aber wir werfen es denen nicht vor, die erst neuerdings zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Wir halten es für gut, daß Menschen durch die bittere Erfahrung zu neuen Einsichten kommen. Wir wollen nach Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, und die Sozialdemokratie wird jeden Schritt begrüßen und aktiv fördern, der wirklich nach Europa führt. Aber ich möchte es gerade in diesem Augenblick ausgesprochen haben: Der Weg nach Europa kann nach der Meinung der Sozialdemokratie nicht durch das kaudinische Joch eines Junktims führen, das die Sieger für die Besiegten aufgerichtet haben.
Ich will hier keine Saardebatte entfesseln und mich deshalb auf diese paar Bemerkungen beschränken, zu diesem Thema aber abschließend sagen:
Wir müssen endlich — und das gilt nicht nur für uns Deutsche, das gilt auch für die anderen Partner in diesem noch nicht begonnenen Gespräch — Europapolitik auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens der Europäer machen und nicht, indem wir ein Europa vortäuschen, das in Wirklichkeit nur eine Kulisse für die Verteidigung oder für die Ausdehnung nationaler Interessengebiete darstellt.
— Herr Renner, ich lasse mich im Augenblick nicht von Ihnen verlocken; sonst gäbe es hier eine Kontroverse, an der Sie keine Freude hätten.
— Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen, die in dieses Kapitel gehört. Ich glaube, daß unsere offizielle Politik in der Tendenz bisher zwar versucht hat, Vertrauen herzustellen, daß aber ihre Methoden nicht dazu angetan waren, restloses Vertrauen zu wecken, sondern sehr -oft das Gegenteil bewirkt haben, weil auch hier alles nur improvisiert war, anstatt daß man nach einer klaren Konzeption geplant und gehandelt hätte. Wenn irgendwo Planung notwendig ist, dann gerade in den subtilen und empfindlichen Beziehungen eines geschlagenen und um seine Rehabilitierung ringenden Landes gegenüber seiner Umwelt, die an sich voll von Komplexen gegenüber diesem Neuankömmling ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dann noch auf die freundliche Aufforderung antworten, die der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Lesung, als es um die Beratung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen ging, an uns gerichtet hat. Der Herr Bundeskanzler hat damals der sozialdemokratischen Fraktion zugeredet, sie möchte doch ihre Entscheidung bezüglich dieses Ministeriums reiflich überlegen und bis zur dritten Lesung zurückstellen. Wir schätzen die gute Absicht. Aber wir sehen uns außerstande, ihr zu entsprechen und unsere Haltung zu ändern. Denn, meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es bei diesen Fragen nicht auf formale Lösungen ankommt, nicht auf die Schaffung von Ministerien, nicht auf die Schaffung von Behörden, nicht auf die Entsendung von Beauftragten irgendwohin, sondern auf das, was an spürbaren Realitäten hinter politischen Erklärungen steht.
Wir wünschten zum Beispiel — ich spreche das offen aus —, daß die Bundesregierung etwas mehr Wärme, etwas mehr Aktivität in ihren Beziehungen zu dem kämpfenden Berlin zeigen würde,
als das gegenwärtig festzustellen ist. Wir sind ferner der Meinung — auch das sprechen wir offen aus —, daß es für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen nur gesamtdeutsche Fragen gibt, daß sie ein gesamtdeutsches Kabinett sein müßte, das sich allen Fragen, die dieses ganze Deutschland angehen, widmet.
Aber dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine effektive, eine auf Gesamtdeutschland ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber kein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen.
Und nun muß ich noch Gelegenheit nehmen, eine Bemerkung zu einer Rede zu machen, die der Herr Bundeskanzler kürzlich in Bochum gehalten hat und in der er nach mancherlei Richtungen Zensuren erteilte. Ich habe mich hier nicht zum Sachwalter derjenigen aufzuwerfen, die zum Freundeskreis des Herrn Bundeskanzlers gehören.
Aber auf einige Bemerkungen, die an die Adresse der Sozialdemokratie gerichtet waren, möchte ich doch mit wenigen Sätzen eine Antwort geben, die. wie ich hoffe, nicht mißzuverstchen ist. Vielleicht klärt sich dann manches hier in diesem Hause; ich wage jedenfalls die Hoffnung auszusprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in Bochum der Sozialdemokratie den Vorwurf gemacht, daß sie ganz anders sei als die Sozialdemokratie vor 1933 und daß sie viel weniger Verantwortungsbewußtsein und Bereitschaft zur Mitarbeit zeige als vor 1933. Dazu, meine Damen und Herren, ist folgendes zu sagen. Jede Zeit hat ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Bedingungen, und ich gestehe ganz offen, daß ich, rückschauend, wünschte, die Sozialdemokratie vor 1933 hätte etwas mehr von dem militanten Geist gehabt, den wir Sozialdemokraten des Jahres 1950 zu entwickeln hoffen.
Gerade weil jede Zeit ihre eigenen Bedingungen
und Methoden hat, sage ich Ihnen ganz ehrlich:
Rechnen Sie nicht damit, daß die Sozialdemokratie
das entwickelt was der Herr Bundeskanzler vielleicht unter „Verantwortungsbewußtsein" versteht,
nämlich daß sie bereit wäre, Order zu parieren, wenn's gewünscht wird.
Gerade weil wir unsere Funktion als echte demokratische Opposition in diesem Staate und in diesem Hause erfüllen wollen, werden wir nur bei Entscheidungen mitwirken, die wir vor unserem Gewissen und nach reiflicher Überlegung auch mit unseren eigenen Vorstellungen von den notwendigen Lösungen in Einklang bringen können,
und wir werden nicht um einer billigen Einheitlichkeit willen unsere Grundsätze und unsere Auffassungen zum Opfer bringen, nur weil es so bequemer wäre. Wir wollen kein bequemer Partner
sein. Unsere Opposition gründet sich auf eigene
Vorstellungen von dem, was wir für die friedliche
Entwicklung unseres Volkes für notwendig halten.
Wir wollen selber die Grenzen dessen festsetzen,
was man uns zumuten kann und was wir Uns selber
kann und
zumuten wollen. In diesem Punkt muß sich der Herr Bundeskanzler schon an eine andere Adresse wenden, wenn er gefügigere Partner haben will. Wir gedenken ihm dort entgegenzukommen, wo er den ehrlichen Versuch macht, mit uns vor Entscheidungen zu sprechen und wo wir das Gefühl haben, daß wir uns auf einer gemeinsamen Ebene treffen. Auf allen anderen Gebieten wird die sozialdemokratische Fraktion ihre Politik der Politik der Regierung entgegenstellen, und im Ringen der Kräfte, in der echten Auseinandersetzung wollen wir dann versuchen, das zu erreichen, was möglich ist. Das scheint mir doch eigentlich der Sinn parlamentarischer Arbeit zu sein.
Da ich gerade bei der parlamentarischen Arbeit bin, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu der Arbeit dieses Hauses selber sagen, sicher nicht sehr Tiefgründiges, sicher nichts Revolutionäres, nur etwas, was im Grunde genommen in meinen ganzen Ausführungen mitgeschwungen hat. Sehen Sie, ich stehe hier oben, ich rede mehr zur Galerie als zu Ihnen, nicht weil ich es will, sondern weil ich es muß, weil die Anordnung dieses Hauses derart ist, daß der Redner gezwungen ist, da hinauf zu reden, anstatt sich in ein Gespräch mit den Damen und Herren dieses Hauses zu verwickeln. Jeder Versuch, hier ein Zwiegespräch zustande zu bringen, ist eine Störung der parlamentarischen Arbeit,
während es in Wirklichkeit der Inhalt der parlamentarischen Arbeit sein sollte. Der Herr Präsident thront in den Wolken, aber das ist ja vielleicht die Natur des Präsidenten.
Wenn man hier unten sitzt, dann hat man das Gefühl, daß zwischen Regierung und Parlament eine hohe Mauer errichtet ist. Sie ist es in der Tat.
Ich wünschte, wir würden mit der Reform der parlamentarischen Arbeit beginnen, indem wir die Schranken, die Regierung und Parlament voneinander trennen, wenigstens räumlich niederreißen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Architekten, die sicher mit viel Geschmack dieses Haus entworfen und gebaut haben, vielleicht in ihren ästhetischen Empfindungen gestört werden. Ich glaube, hier ist dem Ästhetischen etwas zu viel Tribut gezollt, und die parlamentarische Zweckmäßigkeit ist vernachlässigt worden.
Vielleicht ist das nur ein bescheidener Beitrag zum Thema; aber ich glaube, wir würden in diesem Hause sehr viel besser arbeiten können, wenn die menschliche Atmosphäre den politischen Gegensatz gelegentlich modifizieren und regulieren würde.
Denn diese Schranken: hier für den Bundestag, dort für die Regierung und sogar für das hohe Präsidium, sind symbolisch für das gegenwärtige Verhältnis von Parlament und Exekutive. Das sollte nicht sein.
Nun zum Schluß, meine Damen und Herren! Nach dem, was ich Ihnen vorgetragen habe, wird es für Sie selbstverständlich sein, wenn ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erkläre, daß wir das Haushaltsgesetz und die Einzelpläne in der Abstimmung in der dritten Lesung ablehnen werden, nicht, weil wir nicht im einzelnen die Notwendigkeiten des Aufbaues einer neuen Verwaltung akzeptieren und richtig einschätzen, sondern weil wir durch diese Haltung unsere grundsätzliche
Stellung, unsere Ablehnung gegenüber der Gesamtpolitik dieser Regierung bekunden wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des vorliegenden Haushaltsgesetzes mit den diesem beigefügten Einzelplänen ist ohne Zweifel ein Gesetzgebungsakt von ganz besonderer Bedeutung. Äußerlich gesehen ist das zu verabschiedende Gesetzgebungswerk zwar etwas unscheinbar. Wir beschließen einen Rumpfhaushalt, der sich nur auf ein halbes Jahr erstreckt; wir verabschieden zunächst nur die Haushalte der sogenannten neuen Bundesorgane und -verwaltungen, die zahlenmäßig gegenüber den alten Frankfurter Verwaltungen zurückstehen. Sie erfordern nur einen Zuschußbedarf von rund 27 Millionen DM und umfassen einen Personalbestand von zusammen etwa 1400 Köpfen, im einzelnen 450 Beamte, 570 Angestellte und 380 Arbeiter. Die bisherigen Frankfurter Verwaltungen sind — sowohl was den Zuschußbedarf wie auch was den Personalbestand anlangt — viel größer. Der Haushaltsausschuß wird sich in seinen nächsten Beratungen zuerst mit dem Ergänzungshaushalt befassen, der sich auf diese Frankfurter Verwaltungen bezieht.
Tatsache ist jedoch, daß mit der Verabschiedung des jetzt zur Beratung stehenden Haushaltsgesetzes auch die alten Verwaltungen mit ihren in Frankfurt beschlossenen Haushalten vom Bunde her ihre Legitimation erfahren. Damit wird endgültig ein Verwaltungsapparat der Bundesrepublik haushaltsrechtlich anerkannt und in Gang gebracht, der insgesamt mehrere tausend Köpfe an Personal umfaßt und der zweifellos einen sehr bedeutsamen Verwaltungskörper darstellt. Insofern stehen wir also vor einem Gesetzgebungsakt von besonderer Bedeutung.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß ich zunächst, ehe ich auf die weiteren Probleme eingehe, die diese Beratung für mich aufwirft, einige Feststellungen treffe zu dem, was mein Landsmann Schoettle soeben ausgeführt hat, einige Feststellungen, auf die ich nicht verzichten zu können glaube. Der Herr Kollege Schoettle hat geglaubt, erklären zu sollen, es sei den Mitgliedern der Regierungskoalition im Haushaltsausschuß bei ihren Forderungen und Stellungnahmen nicht in erster Linie um ihre sachlichen Anliegen und ihre prinzipiellen politischen Forderungen und deren Durchsetzung, sondern wohl nur darum gegangen sich selbst zu salvieren. Hier scheint ein grundsätzliches Mißverständnis vorzuliegen. Offenbar scheint der Herr Kollege Schoettle kein genügendes Verständnis für die Grundhaltung zu haben, mit der wir im Haushaltsausschuß an unsere Aufgabe herangegangen sind.
Diese Grundhaltung — ich spreche jetzt für die Vertreter meiner Fraktion im Haushaltsausschuß — war eine sehr einfache. Wir haben uns davon leiten lassen, das Gute anzuerkennen, wo immer es zu finden ist, und um das Gute zu kämpfen, wo immer es in Erscheinung tritt, sachlich nicht vertretbare Forderungen aber abzulehnen, und zwar auch dort, wo sie vielleicht von der eigenen Regierung vertreten werden. Eine solche Grundhaltung ist unbedingt richtig und vertretbar. Sie weicht vielleicht von der Grundhaltung ab, die die Partei des Herrn Kollegen Schoettle einzunehmen pflegt. Man hat dort die Gewohnheit, einheitlich nach gewissen parteistrategischen Punkten abzustimmen. Wir in der CDU kennen demgegenüber keinerlei Fraktionszwang.
— Wir haben das schon so oft durch die Tat bewiesen, daß es darüber gar keinen Zweifel geben kann. Wir verhalten uns genau so, wie es die Verfassung vorschreibt. Sie legt fest, daß die Abgeordneten nur an ihr Gewissen und an ihre Überzeugung, aber sonst an Aufträge nicht gebunden sind. Nach dieser Bestimmung der Verfassung haben wir uns verhalten. Wir sind damit gut gefahren. Wir gedenken uns auch weiterhin so zu verhalten. Ich glaube, in dieser Hinsicht könnten Sie sich ein gutes Beispiel an uns nehmen.
Es wäre wirklich interessant, zu sehen, was passieren würde, wenn es einmal in diesem Hause dazu käme, daß alle Abgeordneten nur nach ihrem Gewissen und nach ihrer Überzeugung stimmen würden. Ich glaube, dann kämen wir der echten Demokratie, der Demokratie, die so ist, wie sie sein soll, ein gutes Stück näher, als wir es heute sind.
Der Herr Kollege Schoettle hat vorhin von der Technik des Parlamentsbetriebs gesprochen. Ich glaube, wenn irgendwo und irgendwann die Technik des Parlamentsbetriebs geändert werden muß, und zwar gründlich geändert werden muß, dann muß sie an diesem Punkt des tatsächlich weithin ausgeübten Fraktionszwangs geändert werden.
Kein Mensch im Volke glaubt es, daß wir hier in diesem Hause heute schon zu einer Methode des parlamentarischen Tuns gekommen sind, die verfassungsgemäß ist. Fragen Sie einmal das Volk draußen, ob es Abgeordnete will, die nach dem Kommando ihrer Parteistrategen arbeiten und abstimmen, oder ob es Abgeordnete will, die nach ihrem Gewissen und nach ihrer Überzeugung arbeiten. Die Antwort des Volkes ist absolut klar und absolut eindeutig.
Dann hat der Herr Kollege Schoettle von der Bundespressestelle gesprochen. Ganz gewiß hat die Bundespressestelle ganz große Aufgaben. Wir haben im Haushaltsausschuß den Vertretern der Regierung gesagt, wir hätten den brennenden Wunsch, daß diese Bundespressestelle auch tatsächlich die Funktionen ausübe und die Aufgaben erfülle, die ihr gestellt seien. Ich will nur ein Beispiel nennen, aus dem zu ersehen ist, welche außerordentlichen Aufgaben der Bundespressestelle obliegen. Ich habe in letzter Zeit Nachrichten darüber bekommen, daß sämtliche Betriebsräte der Industrie und Wirtschaft Westdeutschlands laufend aus dem Osten Material über die Verhältnisse im Osten zugestellt bekommen, Material, das diese Verhältnisse im Osten nun eben so darstellt, wie man staatliche Dinge im Osten darzustellen pflegt. Ich möchte wünschen. daß unsere deutsche Demokratie viel mehr, als das bis jetzt der Fall ist, dazu kommt, unser Volk in allen seinen Schichten darüber aufzuklären, was in unserem Staate geschieht,
und daß die Bundespressestelle viel mehr als bisher auch die guten und positiven Seiten der Arbeit im Bundestag und in der Bundesregierung herausstellen würde.
Wir haben hier in Bonn schon sehr viel Gutes gearbeitet. An der Arbeit des Bundestages in Bonn wird heute überwiegend negative Kritik geübt. Und wenn die Presse heute vielleicht da und dort noch nicht soweit gekommen ist, auch die positiven Seiten unserer Arbeit darzustellen, dann sollte das um so mehr die Bundespressestelle tun. Dann sollte sie laufend die Öffentlichkeit mit allem Material versorgen, das ihr zur Verfügung steht.
Der Herr Kollege Schoettle hat auch Klagen über die nach seiner Auffassung oftmals in Erscheinung tretenden autoritären Neigungen des Herrn Bundeskanzlers geführt. Solche Klagen sind nicht neu. Ich möchte dazu nur eines sagen. Zum ersten wünschen wir einmal, meine Damen und Herren, daß die Regierung wirkliche und echte Autorität besitzt und daß sie diese Autorität ständig zur Geltung bringt. Denn wir wünschen, daß diese Regierung eine verfassungsmäßige Regierung ist. Nach der Verfassung aber bestimmt der Bundeskanzler die Grundlinien der Politik der Bundesregierung. Wir würden es der Regierung zum Vorwurf machen, wenn sie sich nicht an diese Bestimmungen der Verfassung halten würde. Wir wollen, daß die Regierung Initiative entfaltet. Wir wollen eine Regierung haben, die Autorität besitzt und fordern, daß die Regierung vorangeht.
Im übrigen ist mir beim Anhören der Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle ein Wort eingefallen, das ich einmal bei einer Diskussion über das Wesen der Demokratie gehört habe. Es wurde von den Diktatoren gesprochen und dann festgestellt: „Diktatoren gibt es nur dort, wo es keine Demokraten gibt." Wenn etwa irgendwann einmal bei der Bundesregierung diktatorische Neigungen in Erscheinung treten sollten — nun —, dann liegt es ja an uns Demokraten, solchen Neigungen der Regierung unverzüglich einen Riegel vorzuschieben.
Wir werden dann immer bereit sein, in solchen Fällen, sofern sie vielleicht einmal eintreten sollten, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. An unserer Bereitschaft zur Zusammenarbeit in diesem Sinne wird es ganz sicherlich nicht fehlen.
Sie brauchen da keine Sorge zu haben.
Schließlich hat Herr Kollege Schoettle eine Bemerkung über das neue Steuergesetz gemacht. Wir haben darüber schon viel diskutiert. Ich will auf diese Diskussion nicht nochmals eingehen. Nur zwei Feststellungen möchte ich treffen. Zum ersten sind doch die Steuertarife, wie wir sie bisher gehabt haben, von der Besatzungsmacht durch autoritäre Verfügung festgesetzt worden. Im ganzen deutschen Land gibt es eigentlich keinen vernünftigen Menschen, der glaubt, man hätte diese Steuertarife für die Dauer in Geltung lassen können. Sie mußten geändert werden. Zum zweiten möchte ich feststellen, daß das Einkommensteuergesetz, so wie es jetzt verabschiedet worden ist, fast allen grundsätzlichen Forderungen entsprochen hat, die von den Gewerkschaften aufgestellt worden sind.
— Bitte sehr, das ist seinerzeit hier von dem Redner unserer Fraktion festgestellt worden. Dieser Feststellung ist nach meiner Kenntnis von Ihrer Seite nicht widersprochen worden.
Was den § 10 des Haushaltsgesetzes anlangt, meine Damen und Herren, so soll der Herr Bundesfinanzminister vor dem Bundesrat kapituliert haben. Ich habe nicht diesen Eindruck. Die Sache ist ganz anders gelaufen. Das, was jetzt Inhalt des § 10 des Haushaltsgesetzes ist, stellt das Ergebnis eines Kompromisses dar, der im Haushaltsausschuß zwischen den Vertretern des Bundesrats und dem Finanzminister oder seinem Vertreter geschlossen worden ist. Der Bundesrat hat zugestimmt, daß der Absatz 2 des § 10, der dem Bundesrat anfänglich gar nicht gefallen hat, verbleibt. Andererseits hat der Herr Bundesfinanzminister zugestimmt, daß der Absatz 1 des § 10 nach der ursprünglichen Fassung geändert wurde. Ich glaube, daß das eine gute Methode war. Wenn Vertreter der Regierung und des Bundesrats sich bemühen, aufeinander zu hören, dann glaube ich, daß immer ein gutes Resultat erzielt werden wird. Dies ist ja überhaupt die große Kunst, die wir hier im Bundestag noch viel mehr lernen müssen: aufeinander zu hören, zu prüfen, wo der andere Recht hat, ihm dort recht zu geben, wo man ihm deshalb recht geben muß.
Dann werden die Dinge gut laufen.
Wir Deutsche haben eine geradezu phantastische Fähigkeit, Gegensätze herauszuarbeiten, sie zuzuspitzen und vielfach auch zu überspitzen. Wir sollten demgegenüber die Fähigkeit, die Gegensätze zu überbrücken und vom Zwiespalt zur Einheit und zur Zusammenarbeit zu kommen, viel, viel mehr entwickeln. Das ist die große und schwere Kunst. die wir in der Zukunft vor allem nötig haben.
Sodann ist von dem Redner der Opposition ein Wort über das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen gesagt worden. Damit ist der Streit darüber, ob dieses oder jenes der neugeschaffenen Ministerien gerechtfertigt sei oder nicht, neu entfacht worden. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß auch in meiner Partei die Meinungen darüber auseinandergingen, ob die Schaffung des einen oder anderen Ministeriums vertretbar sei oder nicht. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte nur darauf hinweisen, daß es in den Staaten der klassischen Demokratie zu einem wohl eingebürgerten Brauch geworden ist, für gewisse besonders dringliche staatliche Sonderaufgaben auch Sonderministerien zu schaffen.
Ich meine, deshalb sollte man den Entschluß des Bundeskanzlers, ein neues Ministerium mehr, etwa ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen zu schaffen, nicht so grundsätzlich bekämpfen, daß man darüber in die Gefahr kommt, zu übersehen, welche ungeheuer bedeutsame und wichtige Aufgabe uns im Blick auf die Stadt Berlin, im Blick auf die allgemeine Lage unseres Volkes und die Trennung unseres Volkes in zwei Teile gestellt ist.
Was die Technik des Parlamentsbetriebs anlangt, hätte ich gar keine Bedenken, den Vorschlägen des Herrn Kollegen Schoettle zu folgen. Diese Mauer vor der hohen Bundesregierung hat mir noch keinen Augenblick gefallen. Ich würde aber in den Vorschlägen zur Verbesserung der Technik des Parlamentsbetriebs viel weiter gehen. Kürzlich hatte ich Gelegenheit, an einer Sitzung eines Parlaments in den nordischen Ländern teilzunehmen. Da habe ich zum Beispiel gesehen, daß in diesem Parlament die Parteien nicht schön sauber für sich auf einem Haufen ihre Plätze eingenommen haben. Alle Parteien waren vollkommen durcheinandergewirbelt. Die Abgeordneten sind nach ihren Wahlkreisen
placiert worden. Wie wäre es, wenn wir uns auch einmal die Frage überlegen würden, die Abgeordneten nicht nach der traditionellen Ordnung der Parteien und ihrer Heerhaufen zu setzen, sondern sie etwas bunt durcheinanderzuschütteln und nach Wahlkreisen zu placieren? Das könnte sicher eine ganz interessante Überlegung sein.
Nach diesen Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle möchte ich mich aber jetzt nicht weiter mit den Einzelheiten der Haushalte befassen. Das haben wir im Haushaltsausschuß mit großer Gründlichkeit und Sorgfalt getan. Zu den vorliegenden Abänderungsanträgen werden wir bei der Einzeldebatte Stellung nehmen. Ganz gewiß kann man an dieser oder jener Stelle der Einzelhaushalte Kritik üben. Gewiß hätte man manches anders machen können. Auch mir hat manches nicht gefallen. Aber das ist nicht entscheidend. Jeder Staat bedarf eines Verwaltungsapparats. Nie wird ein solcher Verwaltungsapparat Selbstzweck sein dürfen. Nie wird er auch ohne Mängel sein.
Entscheidend ist allein die Frage, ob wir mit unserer neugeschaffenen Demokratie auf dem richtigen Wege sind.
Das ist die Frage, die mich heute in allererster Linie interessiert.
Eine gut funktionierende Demokratie, eine Demokratie. die ihre Aufgabe an Gesellschaft, Staat und Wirtschaft erfüllt, wird auch Mängel des Verwaltungsapparats hinnehmen und sie rasch zu überwinden vermögen. Eine schlecht funktionierende Demokratie wird trotz des besten Verwaltungsapparats auf die Dauer nicht existieren können.
Meine Damen und Herren! Wir kommen von einer Katastrophe her, wie es ihresgleichen kaum je in der Weltgeschichte gegeben hat. Die Verwirrung unter den Menschen ist heute noch riesengroß. Wir tun gut daran, uns über den Ernst der Lage, in der wir stehen, völlig klar zu sein. Wir sind noch nicht über den Berg. Wir wissen heute noch nicht, ob wir den Weg in die Zukunft finden werden. Hüten wir uns vor einem: Hüten wir uns vor falscher Sicherheit. Das wäre die gefährlichste Geisteshaltung, die es für uns geben könnte. Wir leben in einer Atempause der Weltgeschichte. Wie lange diese dauern wird, weiß tatsächlich niemand von uns.
Wir haben allen Anlaß, dankbar dafür zu sein, daß wir jetzt eine Chance haben, in Freiheit eine neue Gemeinschaftsordnung für unser Volk aufzubauen. Wer von uns — lassen Sie mich einmal diese Frage aufwerfen - hätte in den furchtbaren Bombennächten der letzten Kriegsmonate geglaubt, daß wir noch einmal eine solche Chance haben würden? Unsere Brüder und Schwestern im Osten sehen mit brennender Sehnsucht nach den Freiheiten, die uns im Westen gegeben sind und mit denen leider Teile unseres Volkes noch nichts anzufangen wissen. Kürzlich kam ein Student aus dem Osten in unser westliches Deutschland. Die erste Frage, die er stellte, war die nach der Bundesverfassung. Er hat diese Verfassung, als man sie ihm gab, einen ganzen Tag lang studiert. Und nachdem er sie studiert hatte, rief er aus: Was seid ihr Deutsche in der Westzone für glückliche Menschen!
Und wieviele Bewohner des westlichen Deutschland haben diese Verfassung auch nur einmal gelesen?
Wir sehen hier, welch große Aufgabe unserer Demokratie hier im Westen gestellt ist.
Meine Damen und Herren, ziehen wir aber auch die Lehren aus der Vergangenheit! Sie allein können uns den Weg in die Zukunft weisen, damit der neuen Demokratie nicht das Schicksal der Weimarer Demokratie zuteil wird. Diese Demokratie ist damals unter dem konzentrischen Angriff zweier militanter Ideologien zugrunde gegangen, in erster Linie deshalb, weil die Willensträger der Demokratie unter sich uneinig waren. Es gab damals keine ideologische Kraft, die sie fähig gemacht hätte, den Zwiespalt, der sie trennte, zu schließen, gemeinsam dem falschen Propheten zu begegnen o und Lösungen für die wichtigsten Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens zu finden.
Wir leben heute in einem ideologischen Zeitalter. Der Kampf um die Herrschaft über die Welt geht unaufhaltsam weiter. Er ist mit der Waffenruhe vor fünf Jahren nicht zum Stillstand gekommen. Ein Blick auf die Weltlage und die Lage Europas sowie die Lage innerhalb unseres Volkes zeigt das mit vollkommener Deutlichkeit. Der Kampf um die Herrschaft über die Welt wird mit der Waffe der Ideologie geführt. Wer in diesem Kampf ohne ausreichende geistige Rüstung ist, hat keinerlei Chance, diesen Kampf mit Erfolg zu bestehen, genau so wenig wie jemand eine Chance gehabt hätte, der im letzten Weltkrieg etwa versucht hätte, mit Pfeil und Bogen gegen Panzerwagen zu kämpfen. Eine Demokratie kann ohne Ideologie nicht existieren. Die Frage nach dem ideologischen Minimum für unsere Demokratie ist in den Debatten der letzten Tage mit vollem Recht gestellt worden. Diese Frage ist eine staatspolitische Frage allererster Ordnung für das heutige Deutschland und für die ganze demokratische Welt. Besitzt unsere Demokratie jene Kraft, die sie fähig macht, die Gegensätze zu überwinden, den Weg durch das oft undurchdringliche Dunkel der Zeit zu finden und konstruktive Lösungen für die wichtigsten Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens zu schaffen, oder wird sie eines Tages wieder vor dem Ansturm totalitärer Mächte kapitulieren müssen?
Mit dieser Frage müssen wir uns unablässig mit größtem Ernst auseinandersetzen. Wir dürfen hier nicht ausweichen. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um der Demokratie den
geistigen Gehalt zu geben, ohne den sie nicht leben kann.
Es hätte keinen Sinn, jetzt theoretische Darlegungen über den Inhalt einer Ideologie für die Demokratie anzustellen, die der Weltlage von 1950 entspricht. Irgendwie wird sich in dieser Ideologie die innerste Substanz widerspiegeln müssen, die der abendländischen Kultur zugrunde liegt. Diese Ideologie muß aus der Praxis des Lebens der Demokratie geboren werden. Sie muß aus dem Kampf und Widerstreit der Meinungen heraus entstehen. Sie muß durch die beispielhafte Haltung der an vorderster Stelle Verantwortlichen dargestellt und für das Volk sinnenfällig und anziehend gemacht werden. In unserem Volk lebt nach all dem entsetzlichen Geschehen der Vergangenheit eine geradezu brennende Sehnsucht nach einer Gemeinschaftsordnung, die die Menschen nicht trennt, sondern zusammenführt. Wir werden innerhalb der Diskussion immer verschiedene Meinungen haben. Das Volk wendet sich aber unwillig von der Demokratie ab, wenn ihre Träger ewig im Streit miteinander liegen.
Es findet dagegen ein außerordentliches Interesse
an der Demokratie. wenn die Parteien — unbeschadet ihrer verschiedenen Ansichten — anfangen. aufeinander zu hören und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit im Interesse des Volkes tu kommen.
In einer solchen Haltung sollte der Deutsche Bundestag führend vorangehen. Er könnte dann eine Quelle der Kraft und der Ermutigung für das Volk werden. Jeder Staatsbürger würde dadurch ermutigt, selbst Verantwortung für Staat und Volk zu übernehmen und durch seine beispielhafte Lebenshaltung in Familie und Beruf dafür zu sorgen, daß die Demokratie nicht nur Staatsform, sondern auch Lebensform des ganzen Volkes wird.
Meine Damen und Herren, auch das Ausland sieht auf uns. Auf Reisen im Ausland, insbesondere in den nordischen Ländern, ist mir immer wieder die Frage nach dem Schicksal der Demokratie in Deutschland gestellt worden. „Werden sie es in Deutschland diesmal fertig bringen, eine gute Demokratie zu machen, oder werden sie wieder scheitern "? Dies ist die Frage, die viele Europäer außerhalb Deutschlands bewegt. Die Welt erwartet und erhofft vielfach von uns etwas Grundlegendes und Entscheidendes. Ein geändertes Deutschland ist überall in der Welt willkommen. Für ein ungeändertes, stolzes und selbstgerechtes Deutschland besteht in der Welt kein Interesse und kein Bedarf. Wir Deutsche sind es der Welt, der wir so viel Leid zugefügt haben, schuldig, ihr durch eine neue Lebensqualität einen Beitrag zur Lösung auch ihrer Probleme zu geben.
Meine Damen und Herren! Ich kehre zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen zurück: „Sind wir mit unserer Demokratie auf dem richtigen Weg?" Daß es diesen richtigen Weg gibt, steht für mich außer allem Zweifel. Daß wir ihn immer gegangen wären, wage ich nicht zu behaupten. Es hat leider viele Pannen gegeben Jeder mag sich darauf besinnen, was er selbst tun kann, um solche Pannen in der Zukunft zu vermeiden. Anklagen gegen andere sind dabei völlig zwecklos. Jeder einzelne und jede Partei mag bei sich selbst anfangen, sich zu ändern und zu bessern. Ich wage aber zu behaupten, daß wir in einer ganzen Reihe vor,
Fällen in der Praxis der Demokratie heute schon über das Niveau der Weimarer Demokratie hinausgekommen sind.
Seit 1945 ist an den vordersten ideologischen Fronten unseres Volkes an vielen Stellen eine bessere Art des Zusammenlebens der Willensträger der Demokratie in Erscheinung getreten. In meinem Heimatlande — und sicher auch in anderen Ländern — hat es eine Reihe von Wahlkreisen gegeben, in denen bei den letzten Wahlkämpfen von einigen Kandidaten kaum ein Wort über ihre parteipolitischen Gegner gesagt wurde. Sie haben sich überwiegend und ganz entscheidend nur auf die Darlegung ihrer positiven Ziele konzentriert. Erstaunlicherweise haben diese Kandidaten bei der Wahl besonders gut abgeschnitten. Das Volk hat sich zu dieser Methode des politischen Kampfes bekannt. Auch die Verbesserung des Verhältnisses der großen Konfessionen zueinander ist als bedeutender Fortschritt in dieser Richtung zu werten.
Aber auch in den gesetzgebenden Körperschaften ist wichtige Aufbauarbeit geleistet worden, die der Prüfung auch bei Anlegung schärfster Maßstäbe standhält. Um ein Beispiel aus der Vergangenheit zu wählen: Da seinerzeit im Frankfurter Wirtschaftsrat das Soforthilfegesetz von den großen Parteien gemeinsam angenommen wurde, war für mich ein hochbedeutsamer Vorgang. Die Stellungnahme des Bundestags in der Saarfrage war ein musterhaftes Beispiel für gute Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen.
Gestern hat in diesem Hohen Hause die Aussprache über das Wohnungsbaugesetz stattgefunden. Dieses Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen worden, nachdem es vom Wohnungsbauausschuß einstimmig zur Annahme empfohlen worden war. Meine Damen und Herren, ich halte die- sen Vorgang für eines der bedeutsamsten Ereignisse seit dem Bestehen des Bundestags. Daß es möglich war, die bestehenden großen Gegensätze zu überbrücken und im Interesse des Volkes zu Lösungen zu kommen, die von fast allen Parteien angenommen werden konnten, wird das Ansehen und den Kredit des Bundestags im Volk nach meiner Überzeugung außerordentlich steigern.
Im Volk draußen ist es über dem Lärm des politischen Alltags auch viel zu wenig bekannt geworden, welch wertvolle, fleißige und sorgfältige Arbeit in aller Stille in vielen Ausschüssen des Bundestags geleistet wird. Auch die Arbeit im Haushaltsausschuß des Bundestags, der in 37 arbeitsreichen Sitzungen unter dem Vorsitz des Abg. Schoettle die Einzelhaushalte der neuen Verwaltungen beriet, war für mich in vielen Fällen ein Beispiel für ideologisch richtiges Verhalten der Willensträger der Demokratie. Ich habe mich über Geist und Atmosphäre vieler dieser Beratungen aufrichtig gefreut. Ich glaube, daß wir hier manchmal den guten Weg der Zusammenarbeit gefunden haben. Ich sage das trotz der Bemerkungen, die mein Landsmann Schoettle heute früh über die Beratungen des Haushaltsausschusses gemacht hat.
Meine Damen und Herren! Schreiten wir in dieser Richtung fort! Gehen wir mutig und entschlossen an die nächstwichtgen Probleme heran, die zur Entscheidung stehen: an den Lastenausgleich, das Mitbestimmungsrecht, die Reform der Technik des Parlamentsbetriebs, den wirksamen Schutz der Demokratie gegen ihre Feinde. Kämpfen wir geduldig und ohne Stolz, ohne Bitterkeit und ohne Überheblichkeit um einen Platz in der Familie der
europäischen Völker! Schaffen wir eine Demokratie, von der eine Leuchtkraft, eine wärmende Kraft besonders auch für unsere Brüder und Schwestern im Osten ausgeht! Betonen wir mehr das, was uns eint, statt dessen, was uns trennt! Dann haben wir das, was Menschen tun _können, getan. Wir werden dann eines Tages, wie wir alle hoffen, getrosten Mutes den Weg in eine neue Zukunft für unser Volk gehen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Wir haben hier über ein Haushaltsgesetz, das erste Haushaltsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, zu sprechen. Ob dieses Haushaltsgesetz von uns gebilligt werden kann oder nicht, das ist die eigentliche Frage, die hier für uns zur Debatte steht. Wenn wir uns diese Frage stellen, dann haben wir auch das Thema für unsere Besprechungen, und ich glaube, daß wir von diesem Thema her eigentlich die Debatte enger führen können, als sie bisher meine Herren Vorredner geführt haben.
Ein ausgeglichener Staatshaushalt sollte zwar immer die grundlegende Richtschnur für jede gesunde Finanzpolitik sein; ob wir aber einen ausgeglichenen Staatshaushalt haben oder nicht, können wir zur Zeit gar nicht beurteilen. Es ist zwar so, daß der Herr Bundesfinanzminister in seinen Ausführungen zur Vorlage des Einkommensteuergesetzes grundsätzliche Ausführungen über den gesamten Bundeshaushalt gemacht hat — er hat auch vor der Presse Ausführungen darüber gemacht —, uns jedoch sind hier im Rahmen des vor uns liegenden Gesetzes entsprechende Darlegungen nicht gemacht worden. Dabei schreibt die Reichshaushaltsordnung, die ja grundsätzlich nach diesem Gesetz maßgebend für uns sein soll, vor, daß alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden müssen.
Einen Haushalt, der dieser Bestimmung entsprochen hätte, haben wir bisher nicht zu sehen bekommen. Nun wird erwidert werden: dazu war die Zeit zu kurz, das war zu schwierig. Meines Erachtens ist dies kein Einwand. Wenn auch rein technisch ein vollendeter Haushaltsplan in diesem Sinne nicht möglich gewesen wäre, so hätte die Regierung doch die Verpflichtung gehabt, uns entsprechend den Grundgedanken der Haushaltsordnung einen Haushaltsplan in seinen Grundzügen hier vorzulegen und damit auch gleichzeitig uns ihre finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Absichten darzulegen. Nach der geltenden Rechtslage muß bei uns, in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb eines Jahres ein Haushaltsausgleich herbeigeführt werden. § 28 des Währungsgesetzes stellt eine solche Forderung auf. Diese Bestimmung ist bisher noch nicht beseitigt worden. Mir ist auch nichts davon bekannt, daß Anstrengungen gemacht worden wären, diese Bestimmung zu beseitigen. Ich bin der Ansicht, daß es eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung sein müßte, wenn sie überhaupt eine produktive Finanzwirtschaft betreiben will, diesen hinderlichen Paragraphen zu beseitigen.
In der ausländischen Finanzwirtschaft ist anerkannt, daß ein Haushalt nicht innerhalb eines Jahres ausgeglichen sein kann und ausgeglichen sein muß. Beispielsweise in Amerika sieht das Vollbeschäftigungsgesetz vom Jahre 1946 vor, daß der
Rede von: Unbekanntinfo_outline
erstens über den erforderlichen Stand von Produktion, Beschäftigung und Kaufkraft, zweitens über die gegenwärtige und voraussehbare Entwicklung des Standes von Produktion, Beschäftigung und Kaufkraft, und ferner, daß ein Programm der zur Erreichung des Zieles der Vollbeschäftigung notwendigen Politik und entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen vorgelegt werden soll. In diesem Gesetz ist die staatliche Ausgabenpolitik als das wesentliche Mittel zur Erreichung der Vollbeschäftigung besonders aufgeführt worden. Die Aufstellung wirtschaftlicher Ziele wird somit — so schreibt ein bekannter Kommentator zu diesem Gesetz — zu einer wesentlichen Grundlage für eine rationale Formulierung gesamtwirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Programme. Darüber hinaus muß die Bevölkerung auch das Vertrauen haben, daß die wirtschaftlichen Ziele, wenn möglich, durch die Kräfte des freien Marktes erreicht werden und daß diese Kräfte ihrerseits, wenn nötig, durch Regierungsprogramme beeinflußt und unterstützt werden.Wenn wir von diesen Grundsätzen eines marktwirtschaftlich bestimmten Staates ausgehen, so werden wir in dem uns vorliegenden Haushaltsgesetz vergeblich auch nur nach einer Andeutung wirtschaftspolitischer Ziele dieser Regierung suchen. Zwar hat an anderer Stelle die Regierung ein Arbeitsbeschaffungsprogramm angekündigt; doch beabsichtigt sie offenbar nicht, im Haushaltsjahr 1949 auch nur das Geringste zur Durchführung dieses Arbeitsbeschaffungsprogramms zu tun, da Mittel hierfür in den uns vorliegenden Etats nicht in Ausgabe gestellt worden sind, was ja nach dem Haushaltsgesetz notwendig gewesen wäre.Hinzu kommt aber noch ein weiteres. Der Haushaltsplan 1949 ist auch für das Jahr 1950 nach dem Zwölftel-Gesetz von erheblicher Bedeutung. Das endgültige Haushaltsgesetz 1950 wird frühestens im Herbst 1950 zur Verabschiedung kommen können. Bis dahin müssen wir uns damit behelfen, der Regierung jedesmal als Notetat ein oder mehrere Zwölftel des alten Haushaltsplanes als Arbeitsgrundlage zu bewilligen. Falls dann für derartige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder sonstige wirtschaftspolitische Ziele im Etat 1949 nichts vorgesehen ist, bedarf es jedesmal eines Sondergesetzes, um der Regierung die Möglichkeit zur Leistung von Ausgaben zu geben. Der Gesetzgebungsweg ist aber infolge der Bestimmungen des Grundgesetzes recht dornenreich und vor allem langwierig. Die erforderliche schnelle Arbeit wird kaum geleistet werden können, wenn nicht bereits im Haushaltsplan 1949 die entsprechenden Beträge vorgesehen sind.Der Haushaltsplan ist ein die Einnahmen und Ausgaben umfassendes, parlamentarisches Rechtsgeschäft zwischen der Regierung und dem Parlament. Das uns vorliegende Haushaltsgesetz gibt diesen Grundsatz in nur höchst unvollkommener Weise wieder. Wir haben nur einige kleine Etats vorgelegt bekommen, haben insbesondere aber in § 11 des Haushaltsgesetzes der Regierung eine ganz umfassende Ermächtigung gegeben, eine Ermächtigung, die in der geltenden Lage keine Berechtigung findet. Wir sind nicht in der Lage, dem Haushaltsgesetz mit dieser umfassenden Ermächtigung einerseits und ohne die Herausarbeitung wirtschaftspolitscher und finanzpolitischer Ziele andererseits unsere Zustimmung zu geben.
Ein zweiter grundsätzlicher Einwand gegen die Regierungsvorlage betrifft die starke Aufblähung des Beamtenapparats. Der Herr Vertreter der Soziardemokratischen Partei hat erklärt, dieser Punkt sei nicht so schlimm. Ich glaube aber, daß Sie, wenn ich Ihnen das Vergieichsmaterial vorlegen werde, doch in dieser Beziehung einige Bedenken mit mir teilen müssen. Als Vergieichspasen stehen einmal die Zahlen des Rechnungsjahres 1949 für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, zum anderen aber auch die Zahlen der früheren Reichsministerien und endlich das höchst sachverständige Gutachten, das Gutachten des Rechnungshofes im Vereinigten Wirtschaftsgebiet vom 1. März 1949 und das Gutachten der Ministerpräsidentenkonferenz zur Verfügung.Nach den bisherigen Effektivzahlen war ein etatmäßiger Bestand an Beamten, Angestellten und ausgeliehenen Länderbeamten im Vereinigten Wirtschaftsgebiet mit 10 814 Personen vorhanden. Die neuen Ministerien verlangen weitere 1877 Beamte, Angestellte und Arbeiter, so daß die Gesamtzahl der Etats auf 12 691 Personen emporgeschnellt ist. Demgegenüber hat das Gutachtendes Rechnungshofes fur die neuen Behörden nureine Gesamtzahl von 380 Personen, und zwar 50 Personen für den Bundespräsidenten, 120 Personen für den Bundeskanzler, 1o0 Personen für den Minister des Innern und 80 Personen für den Justizminister veranschlagt. Diese Zahlen sind . bei weitem überschritten worden. Das Gutachten der Ministerpräsidentenkonferenz kommt nur zu unwesentlich abweichenden und etwas höheren Zahlen als das Gutachten des Rechnungshofs. Nur der Bundespräsident hat statt der vorgesehenen 50 nur 34 Personen für sich in Ansatz bringen lassen.Ein Vergleich mit dem Personalbestand der früheren Reichsministerien ist besonders aufschlußreich. Die Präsidialkanzlei hatte 1924: 36 Personen, jetzt: 34, das Innenministerium: 272 Personen, Vorschlag: 130 Personen, jetzt: 219 Personen, das Finanzministerium im Jahre 1924: 900 Personen, Vorschlag: 170 Personen, tatsächlich: 400 Personen.Man muß bedenken, daß diese Ministerien an sich viel schwächer hätten sein können nach dem Vorschlage des Rechnungshofes, weil die Länderministerien ja gegenüber 1924 eine wesentlich stärkere Besetzung erfahren haben und einen großen Teil der Aufgaben, die früher z. B. das Reichsministerium der Finanzen erfüllen mußte, in eigener Zuständigkeit erfüllen können. Das Arbeitsministerium im Jahre 1924: 532 Personen, Vorschlag: 150 Personen, effektiv: 242 Personen, das Justizministerium im Jahre 1924: 128 Personen, Vorschlag: 80 Personen, effektiv: 140 Personen, die Reichskanzlei im Jahre 1924: 62 Personen, übrigens 1929: 63 Personen — die Zahlen von 1924 und 1929 differieren nur unwesentlich —, jetzt effektiv: 422 Personen. Im Etat der Reichskanzlei muß noch hinzugerechnet werden der Etat des Ministeriums des Äußeren. Deshalb hatte auch die Schlangenbader Ministerpräsidentenkonferenz rund 300 Personen vorgeschlagen. Dieser Vorschlag von 300 Personen ist aber mit 422 Personen effektiv um 122 Personen überschritten worden. Das Ministerium für Wirtschaft zählte 1Q24: 374 Personen heute: 1435 Personen.
Zu diesen 1435 kommen noch 418 Personen, die inden Fachstellen der gewerblichen Wirtschaft untergebracht sind. Das Ministerium für Ernährungund Landwirtschaft zählte 1924: 210 Personen. 1929: 175 Personen, heute: 1660 Personen.
Im Ministerium für Verkehr sind die Verhältnisse ähnlich: 180 Personen zu 535 Personen.
Sie sehen, daß bei einem Vergleich zwischen den Jahren 1924 bis 1929 und heute eine ganz wesentlich stärkere Besetzung mit Beamten festzustellen ist. Sie müssen bedenken, daß die damaligen Ministerien ebenso wie die heutigen zahlreiche Kriegsfolgearbeiten zu bewältigen hatten und es sich um Ministerien handelt, die das gesamte da- malige Reichsgebiet umfaßten. Heute haben wir aber in einem wesentlich kleineren Bundesgebiet einen ganz erheblich gesteigerten Personalbestand.Diese Vermehrung der Zahl der Beamten gegenüber dem Gutachten des Rechnungshofs bedeutet aber keineswegs, daß die Aufgaben der bezeichneten Ministerien vom Rechnungshof etwa nicht richtig gewürdigt worden wären. Das Gutachten — es ist ein dicker Band — geht in 108 Seiten auf jedes Referat in jedem einzelnen Ministerium genau ein und begründet Notwendigkeit und Zahl. Die wesentlich höhere Personalzahl der Ministerien ist bisher im Laufe der Debatte von keiner Seite begründet worden.Aber nicht nur die Zahl der Beamten und Angestellten ist um fast 1900 höher als im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, nicht nur übersteigt die Zahl um 1600 den Voranschlag des Rechnungshofs, auch die Zahl der Ministerien ist wesen lieh höher, als es vorgesehen war. Der Rechnungshof und die Ministerpräsidentenkonferenz schlugen 9 Ministerien vor und erwogen die Notwendigkeit der späteren Errichtung eines Ministeriums des Äußeren, wendeten sich aber insbesondere gegen ein Flüchtlingsministerium.Bereits zur zweiten Lesung hatte ich namens der Zentrumsfraktion zur Zahl der Ministerien einige grundsätzliche Ausführungen gemacht. Da damals die Vertreter der SPD nicht hier im Saal anwesend waren, gestatten Sie mir bitte, daß ich einige wenige Gedanken kurz wiederhole.Die Zahl der Ministerien ist nicht etwas Willkürliches. Eine Regierung muß die Funktionen, die ihr innerhalb der politischen Gewalten zugedacht sind, ausüben können. Sie muß daher auch ausreichend mit Ministerien versehen sein, wenn echte Funktionen für alle diese Ministerien tatsächlich vorliegen. Wir vom Zentrum verteidigen das parlamentarische System aus innerster Überzeugung, müssen aber Auswüchse, die dadurch entstehen, daß man Ministerien ohne echte Funktionen schafft, kennzeichnen und mit aller Deutlichkeit die Ausmerzung dieser Auswüchse verlangen.
Daß es sich bei diesen drei Ministerien um nicht notwendige Ministerien handelt, um Ministerien ohne echte Funktionen, werde ich Ihnen, wie ich glaube, darlegen können, und zwar trotz der Ausführungen, die in der zweiten Lesung von Regierungsmitgliedern gemacht worden sind.Wir alle wissen, daß eine Regierung, die über zu viele Ministerien, über Ministerien ohne echte Funktionen, verfügt, auch im eigenen Schoße erhebliche Schwierigkeiten bei der Meinungsbildung hat. Wir haben es in der Vergangenheit wiederholt erlebt, wozu diese internen Schwierigkeiten bei der einheitlichen Meinungsbildung der Regierung der Außenwelt gegenüber geführt haben. Wenn zunächst der Bundesminister für den Marshallplan
in der Debatte erklärt hat, die sachlichen Aufgaben seines Ministeriums seien zweifellos vorhanden, so ist doch darauf hinzuweisen, daß diese Aufgaben keineswegs neue, erst mit der Gründung des Ministeriums neu entstandene, sind. Diese Aufgaben bestanden bereits in vollem und gleichem Umfang bei der Verwaltung für Wirtschaft. Die Kontrolle der Gegenwertmittel, die internationale Zusammenarbeit im Rahmen der OEEC, die Liberalisierung des europäischen Handels, die Überwachung der europäischen Zahlungsbilanz waren Aufgaben, die in der Verwaltung für Wirtschaft — Hauptabteilung V — bereits vor Gründung dieses Ministeriums in vollem Umfang wie jetzt bearbeitet worden sind.Auch die Missionen in Paris und Washington sind keine Neuerungen. Neu ist lediglich die Notwendigkeit einer repräsentativen Unterbringung. Ich persönlich halte diese Art, mit geliehenen Geldern eine repräsentative Unterkunft zu schaffen, im Rahmen der gesamten Marshallplanverhandlungen für wenig erfolgversprechend. Ein Gläubiger will doch immer nur sehen, daß die von ihm hergegebenen Gelder produktiven Zwecken zugeführt, nicht jedoch, daß sie zur Entfaltung von Komfort ausgegeben werden. Es wäre sicherlich möglich gewesen, in Paris noch weiterhin in den bisherigen Räumlichkeiten zu verbleiben oder aber andere zu mieten, ohne daß dadurch das Gebäude der Hilfslieferungen für Deutschland ins Wanken geraten wäre.Wir würden uns gegen diesen Etat gar nicht einmal wenden, wenn entsprechende Beträge beim Wirtschaftsministerium eingespart worden wären. Davon ist mit keinem Wort die Rede. Wie stark die Doppelarbeit auf diesem Gebiet übrigens ist, die heute geleistet wird, ergibt die Tatsache, daß nicht nur auch jetzt noch im Bundeswirtschaftsministerium seine eigene OEEC-Abteilung bestehen geblieben ist und zur Zeit im Rahmen der Hauptabteilung V besonders neu organisiert wird, sondern daß auch das Bundesernährungsministerium, das im übrigen selbständig mit den europäischen Handelspartnern im Rahmen der Handelsvertragsverhandlungen zu verkehren pflegt, auch eine eigene Abteilung für diese Dinge besitzt.,
Die Fragen, die das Marshallplanministerium bearbeiten will, greifen in stärkstem Maße in die bestehenden Ministerien ein. Und falls demnächst auch ein Außenministerium oder entsprechend unserem Antrag ein Staatssekretariat für Äußeres geschaffen würde, dann würden auch die Missionen in Paris und Washington diesem Staatssekretariat für Äußeres zu unterstellen sein, wie es auch der Haushaltsausschuß bereits beschlossen hat.Die Bearbeitung der Fragen, die mit dem Marshallplan zusammenhängen, greift so tief in unser gesamtes öffentliches Leben ein, daß auch der gesamte Bundeshaushalt davon betroffen wird. Eine Frage aber, die nicht auf ein bestimmtes Sachgebiet zu beschränken ist, kann wegen des fachlichen Einteilungsprinzips unserer Ministerien aus logischen Gründen nicht einem einzigen Ministerium zugeteilt werden. Hier wäre nach unserer Meinung die Bildung eines besonderen Marshallplan-Koordinierungsamts, das gleichzeitig die Fragen des gesamtwirtschaftlichen Haushaltes mit zu bearbeiten hätte, die zweckmäßigere Organisationsform. Besondere Kosten wären hierfür nicht aufzuwenden, da die bestehenden Planungsabteilungen in den verschiedenen Ministerien nur zusammengefaßt zu werden brauchten.Die Errichtung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen ist damit begründet worden, daß es notwendig sei, dem Ausland gegenüber den deutschen Einigungswillen klar und deutlich kundzutun. Gerade das Zentrum hat mit als erste Partei die Notwendigkeit der Herausstellung des deutschen Einigungswillens betont. Dieser Zweck könnte aber in der gewählten Form meiner Ansicht nach nicht sehr gefördert werden. Wenn Sie einmal das Vorwort zum Einzelplan XVI durchlesen, so werden Sie feststellen, mit welcher Mühe man Aufgaben für dieses Ministerium zusammengesucht hat. Von den drei Aufgaben, die für die drei Hauptabteilungen dieses Ministeriums insgesamt aufgeführt sind, sind zwei bereits von einem anderen Ministerium, nämlich vom Bundeskanzleramt, übernommen worden.
- Ich habe den Etat ja hier. Es heißt dort: Angelegenheiten des deutschen Ostens, Vertretung des BBundesministeriums in Berlin, Angelegenheiten der Grenzgebiete. Die Angelegenheiten der Grenzgebiete sind vom Bundeskanzler selbst bearbeitet worden. Die rauhe politische wirklichen hat uns ja in der Saarfrage gezeigt, daß es auch gar nicht anders ging. Der Kanzler mußte mit seiner ganzen Autorität in diesem Punkte selber taug werden und konnte das nicht einem einzelnen Ministerium überlassen. Ebenso ist der zweite Punkt, die Vertretung des Bundesministeriums in Bertin, praktisch dadurch. überholt, daß ,der Bundeskanzler eine eigene Vertretung der gesamten Bundesregierung in der Dienststelle Dr. Vockel in Berlin eingerichtet hat.Es bleiben also nur noch die Angelegenheiten des deutschen Ostens. Soweit es sich darum handelt, aie Gebiete, die unter polnischer Verwaltung stehen, zu behandeld, ware diese Aufgabe zweckmaßigerweise beim Flüchtlingsministerium zu organisieren Soweit es sich aber um die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands handelt, wäre es meiner Ansicht nach Sache des Kanzlers, diese Angelegenheiten Seiber zu bearbeiten. Die Angelegenheiten dieser Zone sollen nicht durch ein eigenes Ministerium behandelt werden, sondern — uas ist viel wichtiger und richtiger — durch den Bundeskanzler selbst. ich glaube, daß es außenpolitisch wesentlich wirkungsvoller sein würde, wenn der Bundeskanzler auch ressortmäßig die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands als seine zentrale politische Aufgabe in seine eigenen Hande nähme und damit die wiedervereinigung Gesamtdeutschlands als die Aufgabe der Regierung herausstellte. Das wäre wie gesagt außenpolitisch wesentlich wirkungsvoller, als wenn ein einzelner Minister mit dieser Aufgabe betraut und diese damit praktisch auf ein Nebengleis abgeschoben wird, statt dorthin gelenkt zu werden, wohin sie gehört, nämlich in das Zentrum der gesamten Politik.
Wenn wir ferner beantragt haben, das Bundesratsministerium zu streichen, so will ich neben den Gesichtspunkten, die ich bereits in der vorigen Sitzung anführen durfte, nur noch auf folgendes hinweisen. Der Bundesrat hat sich ein ständiges Sekretariat geschaffen. Er ist dadurch über den laufenden Stand der Gesetzgebung und ihrer Behandlung hier im Bundestag besser unterrichtet, als es je ein Bundesminister sein könnte. Welche Aufgaben sollen noch für dieses Ministerium übrigbleiben? Auch nach den Ausführungen des Kollegen Dr. von Merkatz habe ich einen wirklichen Aufgabenbereich für dieses Ministerium nicht ent-
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Deutscher Bundestag — 34. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950
. 1997
decken können. Wir haben Ländervertretungen in Bonn, die doch unmittelbar mit den einzelnen Ministerien und den Ausschüssen des Bundestages sowie den Sekretariaten des Bundesrates verkehren. Die Repräsentation umgekehrt des Bundes bei den Ländern in der Regierungshauptstadt dürfte doch kaum Sache des Bundesratsministers sein. Ich kann mir also tatsächlich nicht vorstellen, welche Aufgaben für dieses Ministerium überhaupt noch übrigbleiben könnten.Die Ansicht, man wolle mit der Beseitigung des Bundesratsministeriums den föderalen Gedanken angreifen, ist abwegig. Föderalismus besteht, wie mein Kollege Dr. Hamacher neulich hier ausführte, im Spannungsausgleich; Föderalismus besteht nicht im Institutionellen. Den Spannungsausgleich zwischen Bund und Ländern herbeizuführen, ist aber alles getan. Die gemeinschaftliche Zusammenarbeit der Fachausschüsse des Bundesrates und des Bundestages hat sich sehr bewährt und bemerkenswerte Kompromißlösungen zutage gefördert. Die geistigen Auseinandersetzungen in diesen Gremien dienen dem Spannungsausgleich zwischen föderalen Interessen besser als eine irgendwie geartete Institution. Überflüssige und kostspielige Institutionen verletzen im Gegenteil die Achtung der Bevölkerung vor dem Föderalismus, so daß die Abschaffung dieses Ministeriums im wohlverstandenen Interesse des föderalen Prinzips liegen wird.Meine Damen und Herren, wir wollen doch nicht verkennen, daß die Beseitigung dieser Ministerien zu einer großen Ersparnis beitragen könnte. Ich habe bereits im einzelnen ausgeführt, daß für diese Ministerien entweder gar keine Aufgaben vorhanden sind — sie könnten also ersatzlos wegfallen - oder aber, soweit Aufgaben vorhanden sind, andere Dienststellen sich schon mit den gleichen Angelegenheiten befassen. Diese drei Ministerien kosten 8 Millionen DM. und diese 8 Millionen DM können zum größeren Teile eingespart werden.
Meine Damen und Herren! Der Haushalt soll nach anerkannter Staatsrechtslehre ein Vertrag zwischen Regierung und Parlament über den Umfang der zu leistenden Aufgaben sein. Besondere Bedingungen, denen der Haushalt entsprechen muß, sind im Laufe der Zeit von der Rechtslehre ausgearbeitet worden. Diese Grundsätze sind bei dem vorliegenden Haushalt in verschiedenen Punkten nicht eingehalten worden. Einzelne Punkte konnten nicht eingehalten werden, so die vorherige Genehmigung oder die Genauigkeit, die erreicht werden sollte. Insbesondere ist die Einheit des Budgets nicht gegeben. Im übrigen aber sind die von uns gemachten Einwendungen gegen den Haushalt weniger technischer als volkswirtschaftlicher Art.Es soll aber noch auf einen Gesichtspunkt hingewiesen werden, der im Zuge der Zunahme der Staatstätigkeit von ganz besonderer Bedeutung ist. Das Gesetz von den steigenden Staatsausgaben, das hier wiederholt zitiert wurde, hat mehr und mehr überragende Bedeutung erhalten. Wir sehen uns deshalb vor der Notwendigkeit einer elastischen Ausgabenbewilligung. Wir müssen hier im Parlament der Verwaltung in vielen Positionen relativ freie Hand lassen und müssen die Ausgabenbewilligung elastisch gestalten, weil sonst bei dem Umfang der Staatsverwaltung eine ordnungsmäßige Staatsverwaltung nicht durchführbar ist. Wenn wir aber eine elastische Etatbewilligung haben wollen, muß auf der anderen Seite - und das ist die Forderung, die wir erheben — eine laufende. Überwachung der Verwaltung hinsichtlich der zweckmäßigen und sparsamen Verwendung der einmal bewilligten Mittel durchgeführt werden.Der Haushaltsplan umfaßt infolge der Größenordnung in weitgehendem Umfange nur Annäherungswerte. Diese Dinge zu durchleuchten und zu . überwachen, ist Aufgabe des Parlaments. Zur Durchführung muß das Parlament eine Handhabe haben. Diese könnte entweder in der Ausgestaltung des Rechnungshofes oder aber in einer entsprechenden Kontrollinstanz liegen, wie wir sie beim Wirtschaftsrat im Sparkommissar oder bei dem früheren Reichstag ebenfalls im Sparkommissar hatten. Ich glaube, daß diese Institution ähnlich wie die des Sparkommissars als oberste Bundesbehörde umgehend wieder geschaffen werden muß. Diese Behörde müßte den Auftrag haben, ein eingehendes Berichtswesen aller Sparten der Verwaltung zu organisieren und die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsorganisation, aber auch die Zweckmäßigkeit der Durchführung der einzelnen Verwaltungsaufgaben laufend zu überwachen und zu einer ständigen Rationalisierung anzuregen.Ich habe mir einmal einige Zahlen notiert, die dieses Überwachungsorgan sofort überprüfen könnte, und zwar über den Aufwand der Bundesministerien für Kraftfahrzeuge. Der gesamte Aufwand nach den uns vorliegenden Etatsbeträgen für das Halbjahr 1949 beträgt 3 130 450 DM für Neuanschaffung und Erhaltung und Pflege der Kraftfahrzeuge. Vergleichen Sie demgegenüber einmal die folgenden Zahlen. 1929 hatte das Justizministerium ein Kraftfahrzeug. Heute sind sechs Kraftfahrzeuge vorgesehen. Das Ernährungs-und Landwirtschaftsministerium hatte zwei, das Verkehrsministerium einen, das Finanzministerium einen Kraftwagen. Wenn Sie damit die Zahl der Kraftfahrzeuge vergleichen, die jetzt in den Etats vorgesehen sind — allein beim Wirtschaftsministerium 45, beim Bundesratsministerium 3 —, dann sehen Sie, daß gerade bei diesem Kapitel eine solche Sparsamkeitsbehörde in ganz erheblichem Umfange Einsparungen vornehmen könnte und auch vornehmen sollte.
Man versteht es in der Bevölkerung einfach nicht, daß schon ein Oberregierungsrat morgens nur mit dem Dienst-PKW zum Bundesrat gefahren werden kann und daß die Benutzung von Omnibus und Wagen der Fahrbereitschaft für viele dieser Herren nicht mehr in Frage kommt.
Ob Sie lächeln oder nicht, wir sollten gerade auf diesem Gebiet zu den alten Traditionen preußischer Sparsamkeit zurückkehren und dafür sorgen, daß vielleicht der Minister und der Staatssekretär ihren PKW haben, daß im übrigen aber damit Schluß gemacht wird, daß jeder Ministerialdirektor und jeder Ministerialdirigent usw. einen PKW zu ihrer Verfügung haben. Wenn wir Fahrbereitschaften schaffen, werden wir weiterkommen und vor allem auch eines erreichen, nämlich das Vertrauen der Bevölkerung darauf erhalten, daß es uns mit Rücksicht auf die Notlage unseres Volkes mit dem Willen zu äußerster Sparsamkeit ernst ist.
Meine Damen und Herren, daß ich zu Anfang meiner Ausführungen auf die große Zahl von neu eingerichteten Beamtenstellen hingewiesen habe, hat noch einen weiteren Grund. Die Besetzung der Beamtenstellen erfolgt nach Gesichtspunkten, die
als ungewöhnlich bezeichnet werden müssen. Durch eine Pressemitteilung von Ende Januar dieses Jahres sind wir darauf hingewiesen worden, daß die von gewisser Seite aufgestellte Behauptung, die Bundesbehörden seien überwiegend katholisch zusammengesetzt, nicht richtig ist. Es ist uns eine Statistik überreicht worden, aus der sich vielmehr ergibt, daß in den neuen Ministerien und im Bundeskanzleramt von den höheren Beamten 128 evangelisch und 42 katholisch sind. Bei den Beamten und Angestellten des gehobenen Dienstes ist das Verhältnis 130 evangelische und 57 katholische. Wenn man berücksichtigt, daß es 1945 und 1946 vor der Durchführung der Entnazifizierung sehr schwierig war, leitende Beamte evangelischer Konfession zu finden, die sich zur Anstellung im öffentlichen Dienst eigneten, so ist das Ergebnis der Stellenbesetzung bei der neuen Bundesverwaltung besonders erstaunlich. Damals wurde die Ansicht vertreten, daß innerhalb des evangelischen Volksteils, soweit er im Staatsdienst tätig war, eine größere Anzahl als innerhalb des katholischen Volksteils der NSDAP angehört haben. Wenn sich das Verhältnis in der Stellenbesetzung beim Bundeskanzleramt und den neu gebildeten Ministerien so darstellt, wie ich es Ihnen eben mitteilte, so dürfte damit die Vermutung gerechtfertigt sein, daß die weit überwiegende Zahl jener höheren Beamten zuvor dem Dritten Reich gedient haben.
— Ich werde Ihnen gleich noch etwas dazu sagen. Das Zentrum hat namhch immer, und zwar auch schon zu einem Zeitpunkt, als es anuere Parteien noch nicht taten, den Stanupunkt vertreten, daß die Entnazifizierung innerlich ungerecht ist. Das haben wir in aller Öffentlichkeit zu einem Zeitpunkt ver- treten, ais andere Parteien das noch nicVerhältnischen wagten. Wir haben aber ebenso frühzeitig einen besonderen Gesetzentwurf verlangt, und wir tun das diesmal erneut. In den maßgebenden Posten der Staatsverwaltung sollten nur Menschen tätig sein, über deren demokratische geltende Besoldungsord wir Gewißheit haben.
Uns konnte es nicht genügen, daß jemand entnazifiziert worden ist, sonuern wir verlangten mehr; wir verlangten, daß in der Staatstuhrung nur Menschen stenen, von deren ruckhaitiosem Einsatz fur die Demokratie wir im vollen Umfange überzeugt sein können.
Oft ist das aber nicht der Fall. Die Regierung betreibt eben eine rechtsgerichtete Politik, wie es ihrem Charakter entspricht. Meine Damen und Herren, ich mochte eme Bemerkung machen: würde sich das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten anders dargestellt haben, so würden wir mit eben demselben Freimut fur eine Paritat zugunsten der protestanischen Beamten eingetreten sein. Für uns dreht es sich nicht darum, sich für den einen oder für den andern einzusetzen, sondern für uns dreht es sich darum, daß wir die Gerechtigkeit durchführen wollen.Wir haben uns bereits in der zweiten Lesung darüber unterhalten, welche beamtenrechtlichen Funktionen der parlamentarische Staatssekretär haben könnte. Um jedes Mißverständnis zu unterbinden, beantragen wir, daß bei allen Staatssekretariaten als Zusatz vermerkt wird: Für den Fall, daß der Staatssekretär aus den Reihen derAbgeordneten des Deutschen Bundestags bestimmt werden sollte, ruhen die Ansprüche auf Dienstgehalt, Dienstaufwandsentschädigung, Dienstwohnung usw. Derartige Staatssekretäre dürfen auch kein Weisungsrecht an die Ministerien haben, es sei denn in Vollmacht des zuständigen Ministers.Inzwischen ist Ihnen auch der Zusatzantrag we- gen der Einkünfte der Herren Minister vorgelegt worden. Diejenigen Minister, die zugleich Abgeordnete sind, beziehen neben ihrer Vergütung als Abgeordnete mit 7200 Mark jährlich noch die Dienstaufwandsentschädigung als Minister mit 7200 Mark und zusätzlich das Ministergehalt von 36 000 Mark. 1929 bezog der Minister 26 500 Mark, und die Dienstaufwandsentschädigung betrug 7200 Mark. Es ist deshalb nicht mehr als recht und billig, daß diejenigen Minister, die zugleich Abgeordnete sind, auf ihre Dienstaufwandsentschädigung im Rahmen des Ministeriums Verzicht zu leisten haben.Die Streichung der Dienstaufwandsentschädigung für die Staatssekretäre entspricht ebenfalls der wirtschaftlichen Stellung, die die Staatssekretäre früher gehabt haben. Zwar haben sie früher 4000 Mark Dienstaufwandsentschädigung erhalten; sie haben aber eine Grundentschadigung nur nach B 3 von 24 u00 gegenüber jetzt 26 500 Mark erhalten. Es kommt hinzu, daß die Regierungsparteien selber für das kommende Jahr, nämlich fur das Etatjahr 1950, eine Herabsetzung auf die Hälfte beantragt haben. Sie erkennen also an, daß die jetzige Regelung nicht in allen Teilen richtig ist. Wenn man aas schon für 1950 mit einem solchen Antrag anerkennt, dann wäre es notwendig, auch für 1949 entsprechend zu verfahren, nämlich das zu tun, anderen selber für 1950 empfiehlt.An der Höhe der Bezüge der Beamte haben wir keinerlei Kritik zu üben. Die Dotierung gerade der höheren Beamten ist in Deutschland — im Verhältniais England und Frankreich — schlecht. hin Ministerialdirektor erhielt, gerechnet nach der Kaufkraftparität, 1931 15 762 RM, während ein gleichrangiger Beamter in Frankreich 19 258 und in England sogar 22 908 RM erhielt. Die jetzt gel-tenue Besoldungsordnung sieht also für die höheren Gruppen Gehalter vor, aie mit den entsprechenden Gehaltern des Auslandes nicht verglichen werden können. Wir wollen deshalb vom Zentrum aus sondern Kürzung der Beamtengehälter, erstreben vielmehr unter allen Umständen die Wiederaufhebung der Verordnung über die 6% ige Gehaltskürzung. Die Beamten, die unserem Staate dienen, müssen gut bezahlt werden; wir verlangen ja auch entsprechende Leistungen von ihnen.Meine Damen und Herren! Die möglichen Ersparnisse, die sich aus der Gesamtbetrachtung des Etats ergeben, so, wie ich sie vor Ihnen ausbreiten durfte, betragen sicherlich ungefähr dasselbe, was der gesamte Bundestag kostet. Der Etat des Bundestages beträgt rund 9 Millionen DM Die Arbeit des Bundestages ist für unser gesamtes Staatsleben von zentraler Bedeutung. Wir haben bisher diese Bedeutung des Bundestages in unserem Staatsleben meines Erachtens nicht genügend betont. Wir hätten vor allem die Parlamentsberichte regelmäßig veröffentlichen sollen, und zwar mit auf Kosten des Presseamts im Bundeskanzleramt oder aus anderen Fonds, um auf diese Art und Weise eine tatsächliche Kenntnis der Verhandlungen hier im Parlament unter das Volk zu bringen. Die Verhandlungen hier im Parlament werden von der Presse im allgemeinen aus Zeitmangel oder
aus anderen Gründen nur ziemlich kursorisch gebracht.
Wenn man die Verhandlungsberichte, die heute in der Presse erscheinen, mit denen von vor 1933 vergleicht, so ist ein himmelweiter Unterschied festzustellen.
Es wäre also unbedingt erforderlich, daß in dieser Hinsicht, als Selbsthilfeaktion des Parlaments, etwas geschieht und diese Verhandlungen des Parlaments einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.Ich erlaube mir eine weitere Anregung dahin, in verschiedenen Ausschüssen eine Art eingeschränkter Öffentlichkeit der Verhandlungen durch Zuziehung ausgewählter Pressevertreter herbeizuführen, um diesen Pressevertretern, die eine besondere Sachkunde nachzuweisen hätten, die Gelegenheit zu geben, dem Gange der Verhandlungen zu folgen. Die Veröffentlichung ihrer Berichte könnte von der vorherigen Zustimmung der Ausschußvorsitzenden abhängig gemacht werden.Heute ist hier mehrfach schon die Sitzanordnung in diesem Parlament zitiert worden. Ich will nur zur Illustration noch erwähnen, daß ich selbst von meinem Platz bis zu diesem hohen Podium 52 Schritte zu gehen habe und daß diese 52 Schritte jedesmal natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, die dann für die Verhandlungen im Hause fehlt.
— Gesund ist das für mich schon; ich fürchte nur, daß ich dann Ihre Zeit zu lange in Anspruch nehme.
Eine weitere Erleichterung dieser Arbeit unseres Parlaments könnte vielleicht auch durch eine andere Organisation des Büros des Bundestages erreicht werden. Wir haben soviel wissenschaftliche Assistenten angestellt, daß eine richtige Ausnutzung ihrer Arbeitskraft uns Abgeordneten eine wesentlich größere Unterstützung geben könnte. Wenn in Amerika die Senatoren für das zu ihrer Unterstützung geschaffene Büro, das sich nur aus Assistenten, Hilfskräften usw. zusammensetzt, jährlich 40 000 Dollar ausgeben dürfen und die Kongreßabgeordneten für ihr entsprechendes Büro jährlich 16 000 Dollar, dann werden Sie daraus erkennen, daß diese Funktion des Parlaments, die Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit, in Amerika sehr viel ernster genommen wird und dementsprechend auch sehr viel besser dotiert ist als bei uns. Wie sollen wir armen Abgeordneten
- aber, Frau Dr. Weber! —, gehetzt zwischen unserem Beruf und unserer Tätigkeit hier, wie sollen wir einen Gesamtetat von 24 Milliarden- das ist doch die Summe, die die öffentliche Hand heute ausgibt — sachgemäß und kritisch durcharbeiten, wenn uns nicht die entsprechenden Hilfsmittel und Hilfskräfte zur Verfügung gestellt werden?
Wie sollen wir vor allem ,die Wünsche der Wählerüberprüfen, wie sollen wir der Berechtigung oderder mangelnden Berechtigung von Wünschen derWähler nachgehen können, wenn für diese dochzeitraubende Arbeit nicht genügend Hilfskräfte zurVerfügung stehen? Gerade in dieser Hinsicht mußnach meiner Auffassung die Rolle des Parlaments wesentlich gestärkt werden. Die Kontrollfunktion des Parlamentes gegenüber einer übermächtig werdenden Bürokratie verlangt eine entsprechende Dotierung und eine entsprechende Organisation des gesamten Kontrollapparates. Das zeigt Ihnen ja das Zahlenverhältnis von 9 Millionen auf der einen Seite für den gesamten Bundestag einschließlich seiner vollen Hilfsmittel, Bibliothek, Assistenten usw., und von 24 Milliarden auf der anderen Seite, die insgesamt von der öffentlichen Hand ausgegeben werden. Also der Blick sowohl auf das Ausland wie auch auf dieses Zahlenverhältnis sollte uns veranlassen, bei der inneren Organisation und der Zurverfügungstellung von Hilfsmitteln wissenschaftlicher Art an die Abgeordneten einen grundsätzlich neuen Weg zu beschreiten.Meine Damen und Herren! Sie werden nach meinen Ausführungen verstehen, daß das Zentrum sich nicht in der Lage sieht, dem vorliegenden Haushaltsgesetz in seiner bruchstückhaften Form und mit Rücksicht auf die Einzelheiten, die ich Ihnen darlegen durfte, zuzustimmen. Wir werden deshalb das Haushaltsgesetz als Ganzes ablehnen.
Meine Damen und Herren! Es sitzen in diesem Raum nur noch 71 Abgeordnete. Wenn auch Haushaltsdebatten im allgemeinen nicht als kurzweilig angesehen werden können, so scheint es mir doch nicht richtig zu sein, daß die Redner zu einem der wichtigsten Gesetze des Jahres vor einem Hause sprechen, das nur zu etwa einem Fünftel besetzt ist.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Sitzung unterbrechen.
Ich bitte Sie, mich zu ermächtigen, entgegen der Abmachung des Ältestenrates zu handeln, also die Sitzung jetzt zu unterbrechen und um 14 Uhr 30 wiederaufzunehmen. Erhebt sich Widerspruch?
Dann unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 38 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich erkläre die Sitzung für wieder eröffnet und erteile als nächstem Redner Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff das Wort.
Dr. Dr. Höpker-Aschoff: Meine Damen und Herren! Ich beabsichtige nicht, hier eine politische Rede im eigentlichen Sinne des Wortes zu halten, sondern einige Ausführungen zum Haushalt selber zu machen. Wir haben ein vorläufiges Haushaltsgesetz
zu beraten, dessen Bewilligungen sich auf 27 Millionen DM belaufen. Für die Beratung dieses Gesetzes hat der Ausschuß 27 Tage gebraucht. Wir sollen demnächst einen Ergänzungshaushalt bewilligen, der mit einer Summe von 500 Millionen DM im Gleichgewicht ist. Wenn Sie dasselbe Tempo zugrunde legen, so werden wir dafür 500 Tage brauchen. Im nächsten Jahr haben wir das eigent-
liche Haushaltsgesetz, das mit 12 Milliarden bilanziert, zu erledigen. Wir werden dann nach derselben Rechnung 12 000 Tage brauchen.
Diese Rechnung ist natürlich genau so richtig und genau so falsch wie das Steuereinmaleins von Jonathan Swift. Aber ich mache diese Rechnung auch nur deshalb auf, um Ihnen zu zeigen, daß es mit dem bisherigen Arbeitstempo nicht geht,
sondern daß der Bundestag und seine Ausschüsse ein ganz anderes Tempo anschlagen müssen, wenn wir zu einer geordneten Haushaltsführung kommen wollen. Es geht unmöglich an, daß wir etwa im nächsten Jahr den Haushaltsplan auch am letzten Tage des Jahres verabschieden, so daß wir das ganze Jahr über ohne eine gesetzliche Grundlage sind. Dann hat der Haushaltsplan eigentlich nur noch Bedeutung für den Rechnungshof und für niemand anders. Das ist das eine!
Dann ein zweites. Durch einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ist hier gefordert worden, in dem § 10 Abs. 1 des vorläufigen Haushaltsgesetzes die Worte „im Benehmen mit dem Bundesrat" wiederherzustellen, wie es zunächst im Ausschuß beschlossen worden war. Zur Begründung dieses Antrages ist schon im Ausschuß geltend gemacht worden, daß der Bundesfinanzminister nach dem Grundgesetz einen Anspruch auf eine bedeutsame Steuermasse habe: Zölle, Verbrauchsteuern, Beförderungsteuer und Umsatzsteuer, und daß daher die Forderung, daß in der Zwischenzeit die Länder dem Bunde die erforderlichen Mittel — sagen wir — als Matrikularbeiträge zur Verfügung zu stellen haben, durchaus gerechtfertigt sei. Aber dieses Recht des Bundes, jederzeit auf eine bestimmte Steuermasse zurückzugreifen, ist nach den Übergangsbestimmungen dadurch bedingt, daß im selben Augenblick auch die entsprechenden Ausgaben vom Bund übernommen werden. Diese Bedingung kann nicht ohne weiteres erfüllt werden. Wenn also der Herr Bundesfinanzminister hier Matrikularbeiträge der Länder für dieses Jahr fordert, so gründet sich das nicht allein auf die eben von mir angedeutete, aber bedingte Rechtslage, sondern auch auf die Bereitschaft der Länder, in diesem Jahr mit Matrikularbeiträgen auszuhelfen.
Meine Damen und Herren! Was ist nun der Gegenstand des Streites? Wenn Sie diesen Haushalt, wie wir ihn jetzt vorläufig verabschieden, und den Ergänzungshaushalt zusammenfassen, so werden Sie feststellen, daß der Herr Bundesfinanzminister von den Ländern 215 Millionen fordert. Die Länder haben sich bereit erklärt, 100 Millionen zu zahlen. Vorschläge, wie man diese Differenz noch vermindern kann, sind vom Bundesrat gemacht. Ich glaube nicht, daß es bei diesem geringfügigen Unterschied gerechtfertigt sein würde, hier einen Konflikt mit dem Bundesrat heraufzubeschwören und Gefahr zu laufen, daß dieses vorläufige Haushaltsgesetz an dem Veto des Bundesrats scheitert. Damit müssen wir aber in der Tat rechnen, da die Herren vom Bundesrat uns erklärt haben, daß ihr Verlangen, anstelle des Benehmens die Zustimmung des Bundesrats in das Gesetz hineinzuschreiben, für sie eine conditio sine qua non sei. Ich glaube, es handelt sich in diesem Übergangsstadium wirklich nicht um eine grundsätzliche Frage, die einen solchen Konflikt lohnte. Wir sollten also versuchen, hier mit dem Bundesrat zu einer Verständigung zu kommen und die Zustimmung des Bundesrats zu erreichen. Ich halte das für durchaus möglich.
Dann aber möchte ich hier noch ein besonderes
Problem zur Sprache bringen. In Art. 110 des Grundgesetzes ist bestimmt, daß der Herr Bundesfinanzminister mit dem Haushaltsplan auch eine Ubersicht über das Vermögen und die Schulden des Bundes vorlegen soll. Natürlich konnte im Augenblick dieser Bestimmung nicht entsprochen werden. Aber ich nehme an, daß, wenn uns der Haushaltsplan für das Jahr 1950 vorgelegt werden wird, wir auch eine Übersicht über das Vermögen zum mindesten des Bundes bekommen werden.
Aber was ist denn das Vermögen des Bundes? Hier möchte ich mit ein paar Worten auf die sehr bedeutsame Frage eingehen, was denn eigentlich aus dem alten Reichsvermögen und dem alten preußischen Vermögen werden soll. Sie wissen alle, daß die Übergangsbestimmungen des Grundgesetzes hierüber einige Vorschriften enthalten. Die Sache wird verwickelt durch die Bestimmungen der Besatzungsmächte. Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, im Bayerischen Landtag habe man mit Befriedigung festgestellt, daß auf Grund des Gesetzes Nr. 19 der amerikanischen Militärregierung nunmehr 5 Milliarden in Bayern gelegenes Reichsvermögen bayerisches Eigentum geworden seien. Nun, so geht es ja nicht. Es haben zwischen dem Bund und den Ländern auch Verhandlungen stattgefunden über das alte Reichsvermögen und über das preußische Vermögen, einmal in München und einmal in Pyrmont. In München sind sehr trotzige Worte gesprochen worden. Man hat dort gesagt: Was wir vier Jahre verwaltet haben, lassen wir uns nicht mehr nehmen. Der Bund soll nicht auf unsere Kosten Risiken eingehen. Er bekommt nur, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht. Nun, man tagte in München. Es war ein schöner Herbsttag, und ein weiß-blauer Himmel wölbte sich über der schönen Isarstadt.
Und wenn der Himmel schon weiß-blau flaggt, kommen natürlich schwarz-rot-goldene Erwägungen schwer auf.
Aber der Appetit der Länder scheint zu wachsen, und es scheint mir daher notwendig zu sein, daß auch hier einmal vom Bundestag aus diese Fragen mit allem Ernst erörtert werden.
Wir haben im Art. 134 'des Grundgesetzes die Bestimmung, daß alles Reichsvermögen Bundesvermögen wird. Ich möchte hier mit allem Nachdruck feststellen, daß es sich nicht um ein Programm handelt, das etwa erst durch Bundesgesetze verwirklicht werden müßte, sondern daß hier der Grundsatz ausgesprochen wird: was einmal Reichsvermögen war, ist Bundesvermögen.
Ich freue mich, feststellen zu können, daß dies auch die Auffassung der Bundesregierung ist, wie aus der Beantwortung einer kleinen Frage, die von mir gestellt war, hervorgeht. Es ergibt sich auch ganz einwandfrei daraus, daß in den weiteren Bestimmungen dieses Art. 134 davon gesprochen wird, daß einige Bestandteile dieses Reichsvermögens an die Länder übertragen werden sollen, so das alte Reichsvermögen, das die Länder jetzt für Verwaltungszwecke auf denjenigen Gebieten brauchen, auf denen die Verwaltung in Zukunft ihre Sache ist. Wenn das aber erst auf die Länder übertragen werden soll, dann ergibt sich daraus völlig einwandfrei, daß der erste Satz des Art. 134 kein Programm ist, sondern daß hier klar und eindeutig festgestellt wird: was einmal Reichsvermögen war, ist Bundesvermögen.
Bei der Frage des preußischen Vermögens liegen die Dinge natürlich anders. Wir werden hier von dem Grundsatz auszugehen haben, daß das, was einmal preußisches Vermögen war, grundsätzlich Vermögen der Nachfolgestaaten wird. Aber auch dieser Grundsatz wird durch einige sehr klare Bestimmungen durchbrochen, insbesondere durch die Bestimmung des Abs. 6 des Art. 135, daß alle Beteiligungen des ehemaligen Landes Preußen an Unternehmen des privaten Rechts auf den Bund übergehen. Das sind sehr wertvolle und bedeutsame Vermögensobjekte. Es sind alte preußische Unternehmungen, die einmal in der preußischen Veba vereinigt waren, also das Vermögen der preußischen Elektra, der Preußag und der Hibernia in Recklinghausen. Es muß mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß auch dieses Vermögen nach den Übergangsbestimmungen der Verfassung Bundesvermögen ist und daß hieran nichts zu deuteln ist.
Es ist weiter zum Ausdruck gebracht, daß auch anderes preußisches Vermögen vom Bund in Anspruch genommen werden kann. Hier handelt es sich um eine Frage, die uns alle sehr angeht, nämlich um dieses Haus. Die alte Pädagogische Akademie war preußisches Eigentum, würde also nach diesem Grundsatz jetzt Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen werden. Aber es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß wir auf Grund der Verfassungsbestimmungen das Grundeigentum dieses Hauses, in dem wir selber tagen, für uns oder genauer gesagt für den Bund in Anspruch nehmen werden.
Nun, meine Damen und Herren, werden die Bestimmungen der Art. 134 und 135 des Grundgesetzes in einer sehr besorgniserregenden Weise durch einige Gesetze der Besatzungsmächte modifiziert. In der amerikanischen Zone ist durch das Gesetz Nr. 19 bestimmt, daß alles Reichsvermögen und alles Vermögen der Länder auf die Länder übergehen soll, also Eigentum der Länder werden soll. Das ist die Bestimmung, auf die sich die Länder berufen. Dieses amerikanische Gesetz enthält aber einen Generalvorbehalt, daß nämlich alle auf die Länder vorgenommenen Übertragungen rückgängig gemacht werden können, soweit sie dem Grundgesetz zuwiderlaufen. Es scheint mir unbedingt notwendig zu sein, daß hier die Bundesregierung alsbald mit den Besatzungsmächten Fühlung nimmt, um durch eine gesetzliche Regelung im Einvernehmen mit den Besatzungsmächten diesen Vorbehalt zu verwirklichen. Eine Sonderregelung sieht dann das Gesetz Nr. 19 hinsichtlich wichtiger Vermögen, der Zollgebäude, des Bahn- und Postvermögens vor. Hier wird in dem amerikanischen Gesetz Nr. 19 bestimmt, daß diese Vermögen erst dann Ländereigentum werden, wenn es der Bund nicht bis zum 23. 5. 1950 in Anspruch nimmt. Es scheint mir also, daß hier keine Zeit zu verlieren ist und daß in Ansehung dieser sehr bedeutsamen Vermögensmassen unter allen Umständen noch vor dem 23. 5. 1950 eine gesetzliche Regelung durch den Bund erfolgen muß.
Die Regelung in der französischen Zone entspricht in etwa derjenigen in der amerikanischen Zone. Aber das Gesetz Nr. 217 der französischen
Besatzungsmacht enthält nicht den Generalvorbehalt, den das Gesetz Nr. 19 für die amerikanische Zone enthält. Es wird also hier versucht werden müssen, mit der Besatzungsmacht auf Grund der Ziffer 7 des Besatzungsstatuts darüber zu verhandeln, daß auch hier das, was einmal Reichsvermögen war, auf den Bund übertragen wird.
Günstiger ist die Regelung in der britischen Zone insofern, als das britische Gesetz einfach auf das Bundesgesetz Bezug nimmt, es aber in Ansehung der Verwaltung bei den bisherigen Zuständen beläßt, so daß auch hier im wesentlichen Länderbehörden das alte Reichsvermögen verwalten.
Meine Damen und Herren! Diese Dinge sollten wir nicht leicht nehmen. Wir sollten vor allen Dingen hier unserer grundsätzlichen Überzeugung Ausdruck geben und an die Bundesregierung die dringende Bitte richten, im Einvernehmen mit den Besatzungsmächten sobald wie möglich eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, die das, was einmal Reichsvermögen war, nun auch ohne allen Einwand zum Vermögen des Bundes macht.
Denn der Bund ist nicht so reich, daß er auf diese
Dinge verzichten könnte, und er sieht sich außerordentlichen Ansprüchen von allen Seiten gegenüber.
Meine Damen und Herren! Ich habe das Bedürfnis, mit einigen Worten noch auf einen bestimmten Teil des Reichsvermögens und des preußischen Vermögens einzugehen und dabei die Frage zu erörtern, zu welcher Regelung man hier in der Zukunft kommen muß. Es handelt sich hier um die großen wirtschaftlichen Unternehmungen des Reiches und Preußens. Wenn Sie sich klarmachen, was hier an Reichsvermögen vorhanden ist — die Vereinigten Aluminium-Werke, die Vereinigten Leichtmetallwerke, dann die großen Wasserkraftwerke, das Innwerk, das Bayern-Werk, die Bayerischen Wasserkraftwerke, bei denen sich das Reich mit Bayern in das Eigentum teilte, dann die Reichselektrowerke, bei denen sich das Reich mit Preußen in das Eigentum teilte, dann die süddeutschen Kalkstickstoffwerke, die Ilseder Hütte und noch anderes mehr; endlich der ganze Hermann-GöringKonzern mit den Werken in Watenstedt-Salzgitter, aber mit so wertvollen Beteiligungen wie den beiden großen Zechen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Vereinigte Ewald-König Ludwig —, wenn Sie sich ferner klarmachen, über welche großen wirtschaftlichen Unternehmungen der preußische Staat verfügte, alles in der preußischen Veba vereinigt, die Preußische Elektra, die Preußag, Hibernia-Recklinghausen, Vermögensobjekte, die nach der Verfassung auch Bundeseigentum werden sollen, so sehen Sie schon an dieser Aufzählung, welche Dinge hier auf dem Spiel stehen und daß der Bund allen Anlaß hat, alles zu tun, um seine Rechte zu wahren. Dabei bin ich durchaus nicht der Meinung — ich weiß, daß unser ganzes Verfassungswerk in gewissem Sinne auf einer föderalistischen Grundlage beruht —, daß man nun hier rundweg jede Beteiligung der Länder ablehnen müsse. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß bei all diesen großen Unternehmungen denjenigen Ländern, in deren Bezirk diese Unternehmungen liegen, eine gewisse Minderheitsbeteiligung eingeräumt wird und daß man auch auf diesem Gebiete zu einer verständigen Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern kommen wird.
Die übrigen Bestandteile des Vermögens verlangen nicht dieses besondere Interesse, daß insbesondere diese großen wirtschaftlichen Unternehmungen herausfordern. Als alter preußischer Minister könnte ich hier auch noch einiges über das sonstige preußische Vermögen sagen. Ich habe nichts ,dagegen, daß im übrigen das preußische Vermögen auf die Nachfolgestaaten übergeht. Was da an Domänen und Forsten vorhanden ist, sollten ohne wei-
teres die Nachfolgestaaten haben; nach dem Grundgesetz haben sie darauf ja auch einen Anspruch. Wir wollen schließlich keine Bundesverwaltung für Domänen und Forsten aufziehen. Auch das, was an Kulturvermögen vorhanden ist, Schlösser, Gärten, Bibliotheken, Theater und dergleichen in Preußen, mag in Gottes Namen auf die preußischen Nachfolgestaaten übergehen. Ja, ich gehe hier sogar so weit, daß einiges von diesem Kulturvermögen, wenn es im Lande Bayern gelegen ist, in Gottes Namen auch den Bayern zufallen möge, obwohl Bayern nicht zu den preußischen Nachfolgestaaten gehört. Es ist darunter ein sehr hübsches Objekt. Der preußische Staat unterhielt in München ein Gesandtschaftsgebäude, das zur Zeit ausgerechnet dem Herrn Ministerpräsidenten Ehard und dem Bayerischen Staatsministerium als Arbeitsstätte dient.
Mit diesem Hause ist die alte Schack-Galerie verbunden, die auch auf Grund des im Jahre 1926 abgeschlossenen Vertrages Eigentum des preußischen Staates geworden ist. Der bayerische Ministerpräsident hat sehr schöne Arbeitsräume, und er kann etwas, was kein anderer kann: er kann eine große Tür öffnen und von seinem Arbeitsraum in den Feuerbachsaal der Schack-Galerie treten
und sich dort von dem Kummer erholen, den ihm die Bayernpartei manchmal bereitet.
Wir wollen ihm das nicht mißgönnen; er mag es in Gottes Namen behalten. Aber vielleicht werden dann die Bayern doch großzügig sein und wenigstens ein paar Geschenke herausgeben, wenn wir hier in Bonn einmal das Palais unseres Bundespräsidenten einrichten.
Vielleicht können sie auch so freundlich sein, unserem Kollegen Lehr einen besonderen Wunsch zu erfüllen. Sie wissen, daß die Wittelsbacher auch einmal im Herzogtum Berg regiert haben. Als sie dann auf Geheiß von Napoleon dieses Land verlassen mußten — sie bekamen dafür allerdings als Entschädigung preußisches Gut, die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth —, da haben sie nicht versäumt, alle Kunstschätze mitzunehmen, die in Düsseldorf waren,
all die schönen Sammlungen, die Jan Wellem einmal mit dem Gelde seiner Untertanen im Herzogtum Berg aufgekauft hatte, herrliche Sachen niederländischer, flämischer, holländischer Kunst, die dann später den Grundstock der alten Pinakothek gebildet haben. Herr Kollege Lehr scheint nicht da zu sein. Ich weiß, daß ihn das heute noch wurmt. Darum sollte Bayern hier auch großzügig sein und wenigstens ein paar schön Stücke wieder an die Stadt Düsseldorf oder an das Land Nordrhein-Westfalen herausgeben.
Aber Scherz beiseite! Alles, was ich Ihnen vorgetragen habe, schließt ein sehr ernstes Problem ein, nicht nur das Verhältnis des Bundes zu den Ländern, sondern auch unser Verhältnis zu den Besatzungsmächten betreffend. Ich glaube, wir sollten alle unsere Bemühungen darauf richten, daß hier dem Bund nicht noch etwas genommen wird, auf das er einen rechtlichen Anspruch hat. Denn
schließlich ist es ja unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß auch der Bund zu dem Seinigen kommt.
Ich darf die Generaldebatte über den heute zur Beratung stehenden Gegenstand einen Moment unterbrechen. Ich bitte Sie, die Drucksache Nr. 787 zur Hand zu nehmen, die ich zunächst erledigen möchte. Das ist der
Mündliche Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über die Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Goetzendorff.
Dazu erteile ich Herrn Abgeordneten Ritzel das Wort als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten wurde im Parlament davon geraunt, daß ein Mitglied des Hohen Hauses unberechtigterweise Gebühren in Anspruch genommen habe und daß damit der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der Kasse des Bundestages erfüllt sei. Vor etwa vier Wochen hat die Fraktion der WAV laut den mir vorliegenden Akten von dem Herrn Bundestagspräsidenten eine eingehende Nachprüfung der Berechnungen erbeten, die das Mitglied dieses Hauses, der Herr Abgeordnete Goetzendorff, bisher Mitglied der Fraktion der WAV, vorgenommen hat. In Versammlungen draußen haben auch Abgeordnete dieses Hauses von übermäßig hohen Bezügen, die mit der Realität in keirier Weise im Einklang stehen könnten, gesprochen. Auch in den Sitzungen des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ist wiederholt von derartigen Fragen die Rede gewesen. Konkrete Unterlagen, die es erlaubt haben würden, im Interesse des Ansehens und der Würde des Deutschen Bundestages eine klare und unmißverständliche Aufklärung des Sachverhalts zu verschaffen, lagen his jetzt nicht vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei meinem letzten Aufenthalt in Passau erhielt ich die in Urschrift beiliegende eidesstattliche Erklärung des Kraftfahrers des Herrn Bundestagsabgeordneten Günter Goetzendorff. Ich halte mich für verpflichtet, dem Präsidenten des Deutschen Bundestags davon Kenntnis zu geben.
Diese eidesstattliche Erklärung hat folgenden Wortlaut:
Freiwillig und im Bewußtsein, daß eine wissentlich falsche eidesstattliche Erklärung mit Gefängnis bedroht ist und diese eidesstattliche Erklärung zur Vorlage an die Bundesfinanzbehörde bzw. an das ordentliche Gericht verwendet werden soll, erkläre ich hiermit an Eidesstatt folgendes:
Ich, Rudolf Stadler, Automechaniker und Kraftfahrer in Passau, Maierhof 40 1/7, war vom März 1947 bis 1. Februar 1950 als Kraftfahrer im Dienst des früheren Provinzredakteurs und jetzigen Bundestagsabgeordneten Günter Goetzendorff beschäftigt. Wegen verschiedener Differenzen und vor allem wegen des unkorrekten Verhaltens des Herrn Günter Goetzendorff habe ich mein Dienstverhältnis zu ihm gelöst. Ich beschuldige den Abgeordneten Günter Goetzendorff folgenden unkorrekten Verhaltens.
Goetzendorff hat tatsächlich mit seinem Pkw folgende Fahrten von Bonn nach Passau durchgeführt: 25. 9. 49, 9. 10. 49, 22. 10. 49, 6. 11. 49, 20. 11. 49, 8. 12. 49, 22. 1. 49,
— das soll wohl heißen „50" —
5. 2. 49.
— Das muß wohl auch „50" heißen. —
Mir ist als sein Chauffeur bestimmt bekannt, daß Goetzendorff mindestens drei Fahrten nach Passau verrechnet hat, die nicht gefahren worden sind. Er hat also den deutschen Bundesstaat um mindestens DM 1200,— betrogen. Goetzendorff hat einmal angeordnet, daß ich bei ihm in Godesberg übernachte, um den Anschein zu erwecken, daß wir Bonn verlassen haben. Er wollte dadurch verhindern, daß ich von den Kraftfahrern der übrigen Bundestagsabgeordneten und von der Fahrbereitschaft gesehen werde.
Im Monat Oktober 1949 hatte der Abgeordnete Goetzendorff versucht, eine Mietautorechnung in Höhe von DM 450,— der Abrechnungsstelle in Bonn vorzulegen. Es handelt sich hierbei um eine Sonntagsfahrt zur Abholung eines Mädchens aus der Gegend von Hannover.
Die Rechnung wurde von ihm auf einen Werktag vordatiert, so daß ihr der Charakter einer Dienstfahrt verliehen wurde. Bundestagspräsident Dr. Köhler hat jedoch die Bezahlung abgelehnt.
Zu weiteren mündlichen Aussprachen bin ich gerne bereit.
Gezeichnet: Rudolf Stadler.
Der Herr Abgeordnete Goetzendorff hat in einem Schreiben an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags vom 27. März 1950 zu der Frage dieser Berechnungen folgendes erklärt:
Der von mir entlassene Kraftfahrer Stadler hat diese Anschuldigungen als Mittel benützt, von mir finanzielle Zuwendungen zu erhalten. Er hat sich, als ihm dies nicht glückte, zu einer politischen Partei Bayerns begeben. Dort wurde die vorliegende eidesstattliche Erklärung in skrupellosester Weise formuliert. Die Persönlichkeit des Menschen, der die Niederschrift formulierte, ist mir bekannt. Ich bin in der Lage, die Hintergründe und die Unwahrheit dieser Behauptungen durch Zeugen, die unter Eid aussagen werden, zu beweisen.
Der Herr Abgeordnete Loritz hat namens der Fraktion der WAV einen Beschluß dieser Fraktion mitgeteilt und auch gestern dem Hohen Hause bekanntgegeben, dessen Wortlaut ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen darf:
Die WAV-Fraktion fordert den Abgeordneten Günter Goetzendorff auf, gegen sich selbst sofort ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft zu beantragen zur Klärung der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen in bezug auf die eidesstattliche Erklärung des Fahrers Rudolf Stadler und die bei der Staatsanwaltschaft Offenburg niedergelegten Erklärungen eines Flüchtlings.
Der Abgeordnete Goetzendorff wird aufgefordert, bis zur Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe den Sitzungen des Bundestags und der Fraktion fernzubleiben. Falls Goetzendorff nicht sofort Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft gegen sich stellt, wird die Fraktion der WAV von sich aus Strafanzeige gegen Goetzendorff erstatten.
Gezeichnet: Loritz.
Inzwischen ist mir mitgeteilt worden, daß am 27. März von der Fraktion der WAV bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Passau wegen Betrugs zum Nachteil der Kasse des Deutschen Bundestags Strafanzeige erstattet worden ist.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich mit dieser Frage in mehreren Sitzungen befaßt. Ihm lagen auch über andere angebliche Verfehlungen des Herrn Abgeordneten Goetzendorff Akten vor. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität ist zu dem Antrag gekommen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, zur Aufklärung des Tatbestandes in der Frage des angeblichen Betrugs zum Nachteil der Bundeskasse den Beschluß zur Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Goetzendorff fassen zu wollen.
Der Ausschuß ließ sich dabei von der Erwägung leiten, daß es im Interesse des Ansehens und der Sauberkeit des deutschen Parlaments liege. derartige Beschuldigungen unter allen Umständen so rasch und so lückenlos wie möglich aufzuklären.
Das Hohe Haus hat einen Ruf zu verlieren, und es würde von den Mitgliedern des Ausschusses, die diesen Beschluß einmütig gefaßt haben, nicht verstanden werden können, wenn der Weg zur Durchführung der Strafuntersuchung in diesem Falle von dem Parlament nicht freigegeben würde. Ich bitte Sie daher, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen im Interesse einer nicht allzu langen Unterbrechung der Generalaussprache über unseren heutigen Tagesordnungsgegenstand — ich glaube, dabei im Sinne des Ältestenrats zu handeln — gemäß § 88 der Geschäftsordnung den Vorschlag einer Begrenzung der Redezeit machen, und zwar dahingehend, für jeden Redner, der sich zu dieser Sache meldet, die Redezeit auf 5 Minuten zu begrenzen. Darf ich das Einverständnis des Hauses dazu annehmen? —
Danke; es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.
Meine Damen und Herren! Die Deutsche Reichspartei ist in dem Ausschuß für Immunität nicht vertreten, wie sie ja überhaupt außer im Ältestenrat in keinem Ausschuß vertreten ist. Ich muß daher die Erklärung, die wir abzugeben haben. nachdem Goetzendorff und Paschek bei uns im Hospitantenverhältnis stehen, hier verlesen:
Die beiden Abgeordneten der WAV Goetzendorff und Paschek sind, wie sie im Schreiben an die DRP zum Ausdruck gebracht haben, aus der WAV ausgeschieden, weil die Konstituierung des Blocks der Heimatvertriebenen als Flüchtlingspartei diese Trennung forderte. Sie sind als Hospitanten der Gruppe „Deutsche Reichspartei" beigetreten.
Der Abgeordnete Goetzendorff hat der Deutschen Reichspartei erklärt, daß er die Aufhe-
bung seiner Immunität begrüßt, damit ein Gerichtsverfahren die Haltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen erweisen kann. Der Abgeordnete Goetzendorff ist der Überzeugung, daß der Vorwurf, er habe sich Diäten erschlichen, nichts anderes bedeutet als den offensichtlichen Versuch, einen politischen Gegner auszuschalten.
Um dem Abgeordneten Goetzendorff Gelegenheit zu geben, diese Beschuldigung zurückzuweisen, wird auch die Gruppe „Deutsche Reichspartei" für die Aufhebung der Immunität stimmen.
Wie der Abgeordnete Goetzendorff uns erklärt und zum Teil durch vorgelegte Originaldokumente nachgewiesen hat, wurde von den Beschuldigern bereits der Versuch unternommen, Goetzendorff zu erpressen.
Ich erkläre abschließend namens der Gruppe der Deutschen Reichspartei, daß wir zu den Anwürfen zwar heute kein abschließendes Urteil abgeben können, -daß wir uns aber des fatalen Eindrucks nicht erwehren können, als schlügen uns in der Kontroverse WAV-Loritz einerseits und Block der HeimatvertriebenenGoetzendorff andererseits bereits die Schmutzwellen des beginnenden Landtagswahlkampfes in Bayern entgegen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über Drucksache Nr. 7R7. Wer fir den Antrag gemäß Drucksache Nr. 787 ist. den bitte ich. die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei wenigen Enthaltungen fast einstimmig angenommen. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir fahren in der
allgemeinen Aussprache Tiber den Bundeshaushaltsplan
fort. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer das Wort.
Meine Damen und Herren! Die Beratungen des vorläufigen Haushalts stellen in der Entwicklung unseres jungen und neuen Staatswesens für die erste Phase einen gewissen Abschluß dar. Dieser Staat wird auf der einen Seite aus dem Baugedanken seines Grundgesetzes und auf der andern Seite aus den materiellen und personellen Grundlagen. die in der Bestimmung und Begrenzung von Einrichtungen und Dienstleistungen durch den Haushalt bestehen, letzten Endes Wirklichkeit. Da ist es schon angebracht, auch rückschauend auf diese erste Phase der Entwicklung ein wenig einzugehen und Überlegungen darüber anzustellen, was geschehen ist, was richtig und was falsch war und ob Änderungen erwogen oder neue Wege der Entwicklung eingeschlagen werden müssen. Das hat der Herr Kollege Schoettle in seinen Darlegungen heute morgen weitgehend getan. Ich halte es durchaus für angezeigt, das in einem solchen Augenblick zu tun. Aber ich habe doch auch das Gefühl gehabt. daß gewisse Werturteile über die Regierungspolitik, über die Art und Weise, wie die Legislative und Exekutive dieses neuen Staates zu wirken begonnen haben, von Herrn Kollegen Schoettle gefällt worden sind, die in der breiten Öffentlichkeit nicht als eine oppositionelle Kritik an der Regierung verstanden werden, sondern Anlaß zu Zweifeln an der Möglichkeit geben könnten, dieses Staatswesen auf den begonnenen Grundlagen weiter auszubauen und durchzubilden. Herr Kollege Schoettle hat selbst auf die Gefahr einer solchen Verallgemeinerung kritischer Einwendungen aufmerksam gemacht, als er davon sprach, daß die öffentliche Meinung geneigt wäre, auf Erscheinungen, die sie beanstandet oder nicht versteht, mehr oder minder emotional ablehnend zu reagieren, in verallgemeinernder Weise Einzelerscheinungen zu verurteilen, zu kritisieren und sich dann auf diese Weise von dem ganzen Staatswesen abzuwenden.
Meine Damen und Herren, an diese Gefahr muß gedacht werden. Wenn man sich bewußt ist, daß dieser Staat ja nicht allein aus seinen Einrichtungen besteht, sondern aus den lebendigen Kräften des Volkes, die ihn tragen müssen, dann ist es auch eine politische Notwendigkeit, zu warnen und Einwendungen zu erheben, wenn kritische Worte ausgesprochen werden, die - sagen wir einmal — übertrieben erscheinen oder sogar falsch erscheinen, weil die Maßstäbe, die angelegt werden, zuwenig dem Zwang der Realitäten Rechnung tragen.
Wir haben es mit einer öffentlichen Meinung zu tun, die nur sehr schwer von dem Kenntnis bekommt, was denn wirklich im politischen Leben geschieht. Wir haben vielfach eine Berichterstattung, die gleichsam immer abblendet, wenn es sich darum handelt, die sachlich nüchternen werktäglichen Kernvorgänge der politischen Arbeit darzustellen
und die dann groß aufblendet, wenn es sich darum handelt, die Randverzerrungen des politischen Lebens sehr deutlich in Erscheinung treten zu lassen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, da entsteht eine große Gefahr in einem Volk, das durch diesen Gegensatz zwischen Sachlichkeit und Sensation sehr oft einfach unfähig gemacht wird, zu unterscheiden und Maß zu nehmen und abzuwägen und zu werten. Es besteht die große Gefahr, daß so das Staatsgefühl verkümmert.
Es besteht außerdem noch eine sehr verbreitete Neigung — und ich gebe zu, daß ich selbst nicht immer frei davon bin —, bei der Beurteilung oder der Darstellung politischer Vorgänge gern Beispiele oder Gleichnisse oder Bilder zu benutzen, die der Technik entlehnt sind. Dadurch wird vielfach 'der Eindruck verbreitet, als ob es sich beim staatlichen Leben um mechanische Vorgänge handelt. Das ist eine sehr gefährliche Gewohnheit. Sie verleitet nämlich oft dazu, zu übersehen, daß der Staat ein organisch wachsendes oder gewachsenes Gebilde ist und keine Maschine, die man am Zeichenbrett konstruiert.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier stehen wir nun in dieser werdenden Republik vor einer eigenartigen Aufgabe: Die älteren Demokratien westlich von uns haben jahrzehntelang oder vielleicht sogar jahrhundertelang Zeit gehabt, in einer Fülle von Auseinandersetzun-
gen allmählich ihr eigenes demokratisches Leben zu entwickeln. Wir fangen diesen neuen Staat an ohne den unmittelbaren Zusammenhang mit einer anderen voraufgegangenen Entwicklung demokratischer Art, sondern in die ganze Entwicklung unseres politischen Lebens hat das Tausendjährige Reich einen Riesenbruch hineingebracht. Die deutsche Demokratie muß wieder von Grund auf neu w a c h s e n.
Nun stehen wir vor der ungeheuer schwierigen Aufgabe, den Wachstumsprozeß, den andere Länder und Völker in Jahrzehnten entwickelt haben,
bei uns, in einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum zusammengepreßt, nachzuholen, gewissermaßen mit der Methode des Zeitraffers, der eine ganze Fülle von Entwicklungsphasen in einem kurzen Ablauf zusammendrängt. Das schafft eine besondere Problematik unseres politischen Wirkens. Sie bedeutet für diejenigen, die an der Formgebung und an der Inhaltsgestaltung dieses neuen Staatswesens beteiligt sind, eine Verpflichtung, wie sie eigentlich noch nie einer Demokratie oder Republik in der Vergangenheit zugemutet worden ist.
Es kommt nun noch weiter hinzu, daß diese neue Demokratie auf einem — wie soll ich sagen — Betätigungsfeld ins Leben tritt, auf dem ungeheuer viel Hindernisse vorhanden sind, ja, auf dem ganz absonderliche Wachstumsbedingungen bestehen, wie sie auch kaum irgendwie verglichen werden können mit anderen Erscheinungen einer staatlichen Entwicklung.
Wir haben zunächst das grauenvolle Erbe, das der Zusammenbruch des Reiches und die Despotie mit allen ihren Gewaltakten und Wahnsinnstaten hinterlassen hat, auf uns nehmen müssen. Das ist der erste Anfang, unter dem begonnen werden muß.
Wir haben dann weiter diesen neuen Staat, diese neue Demokratie unter Fremdherrschaft, unter fremder Besatzung zu entwickeln. Es ist sehr schwer, eine Demokratie glaubwürdig zu machen und für sie Überzeugungskräfte zu gewinnen oder zu wecken bei einem solchen Maß inneren Widerspruchs, bei dem unter fremder Besatzungsmacht ein Staat der Volkssouveränität entstehen soll. Das gibt tausend Reibungen. das gibt tausend Schwierigkeiten, das gibt tausend Irrtümer, das gibt tausend Verzerrungen der demokratischen Entwicklung.
Wir haben dann weiter erlebt, daß jenes Staatswesen, das wir einst hatten, restlos auseinandergebrochen war. Wir haben erst wieder Gemeinden entwickeln müssen, und dann sind sie wieder zu Ländern verbunden worden, und dann ist über diesen Ländern erst der Bund entstanden. Diese Zusammensetzung eines deutschen Staatswesens aus auseinandergebrochenen Teilen erschwert natürlich auch die Entwicklung, verlangsamt diesen Wachstumsprozeß von dem ich sprach, und macht ihn sehr mühsam und belastet ihn mit außerordentlich viel inneren Widerständen und Reibungsverlusten.
Wir haben zugleich mit einer merkwürdigen, unter den Nachkriegsverhältnissen, unter der Fragwürdigkeit und Bedrücktheit des Lebens entstandenen sehr labilen Seelenverfassung unseres Volkes zu rechnen. Meine Damen und
Herren, schauen Sie auf Straßen und Märkten herum, wenn Sie Zeichen dafür sehen wollen, wie sogar ganze Serien von Zeitschriften wesentlich von Horoskopen oder sonstiger Wahrsagerei leben. Das bedeutet die Flucht in eine Art von Ersatzreligiosität oder in phantastische Selbstbetäubung durch irgendeine mysteriöse Schicksalsdeutung. Das bedeutet aber Verwirrung oder Lähmung von Willenskräften, und es bedeutet vor allen Dingen eine Abkehr von der praktischen Vernunft da, wo sie am ernsthaftesten walten sollte, nämlich in der Beurteilung politischer und staatlicher Vorgänge.
Und schließlich, meine Damen und Herren, haben wir unter uns selbst eine Wachstumsnot, von der bei uns selbst einmal gesprochen werden muß. Infolge des Zerfalls des alten Staates ist auch bei den politischen Willensträgern eine gewisse Problematik gegeben, die im parlamentarischen Leben zunächst keineswegs vereinfachend wirkt; auch hier ist nämlich ein Entwicklungsprozeß nachzuholen. Die politischen Parteien, die die Abgeordneten in dieses Haus entsandt haben, sind aus Länderparteien entstanden. Ein großer Teil unserer Kollegen ist hier zum erstenmal vor über ihr Land hinausreichende politische, wirtschaftliche und rechtliche Fragen gestellt worden. Das macht natürlich einen besonderen Umfang der Diskussion unvermeidlich; es vereinfacht die Erörterungen keineswegs so, wie man sie etwa haben würde, wenn die politischen Parteien, die Fraktionen dieses Hauses, sehr alte traditionsreiche Gebilde wären. Wie anders ist das in einer ausgereiften Demokratie, in der bei jeder Wahl ein paar Leute ausgewechselt werden. Hier haben die Parteien eine Entwicklung der Routine, der Gepflogenheit und des Brauchtums schon hinter sich und brauchen nur selten einem Integrations- und Amalgamierungsprozeß unterworfen werden.
Wenn man all diese Bedingungen und Bedingtheiten unseres Staatsbeginns bedenkt, dann kann man sich doch nicht immer auf den Standpunkt stellen: Dies ist versäumt worden und jenes ist versäumt worden, es hätten große Wunder geschehen können. Meine Damen und Herren, wo in aller Welt hat eine Exekutive, hat eine Regierung unter solchen Umständen einen neuen Staat einrichten müssen!
Da wir nun einmal von den inneren Bedingungen unserer politischen Arbeit sprechen, darf ich auch an die Bemerkungen anknüpfen, die der Kollege Schoettle über den politischen Stil machte, den wir pflegen und entwickeln müssen, wenn wir auch die Arbeit dieses Hauses, unsere eigene Arbeit, mit größerer Überzeugungskraft und besserer Eindrucksfähigkeit versehen wollen. Ich weiß nicht, ob in diesem Zusammenhang das Selbstlob des Herrn Kollege Schoettle richtig gewesen ist, als er davon sprach, daß die Opposition angesichts der Notwendigkeiten der politischen Entwicklung gewissermaßen so eine Art von Schnelligkeitsrekord im Wettlauf mit der Regierung aufgestellt hätte. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, ich hatte statt dessen manchmal den Eindruck einer überhitzten Be-
triebsamkeit, beispielsweise wenn Gesetzesvorlagen, Initiativanträge kamen, obwohl man wußte, daß gleichartige Vorlagen längst in Vorbereitung bei der Regierung waren.
Sie war demgegenüber gezwungen, erst einen mühsamen Apparat zur gründlicheren Gesetzesvorbereitung in Gang zu setzen, ehe die Vorlagen über den Bundesrat usw. hier ans Haus kamen. Ist nicht durch die schwelgerische Fülle von Anträgen und Entschließungen und Initiativvorlagen eigentlich auch sehr viel Leerlauf bei uns entstanden?
Ich bitte Sie, auch diese Frage einmal sehr ruhig und ernsthaft abzuwägen. Es geht für keinen von uns darum, unter allen Umständen recht zu behalten; sondern im Hinblick auf die Verantwortung, die wir vor unserer politischen Entwicklung haben, kommt es darauf an, daß wir uns in diesem Abschnitt, an diesem Abschluß der ersten Phase unseres neuen staatlichen Lebens, gründlich überlegen: Was könnte richtig und falsch gemacht werden?
Nachdem wir von der Betriebsamkeit gesprochen haben, nun auch einmal etwas, was sehr leicht damit zusammenhängt. Die Gehetztheit unseres politischen Daseins hat eine gewisse Reizbarkeit auftreten lassen. Ich weiß nicht, ob manche Auseinandersetzungen in diesem Hause nicht hätten sanfter verlaufen können, wenn man nicht so überempfindlich gewesen wäre auf der einen Seite und nicht so gereizt auf der andern Seite. Das, meine Damen und Herren, bedeutet nicht ein Urteil nach der einen oder nach der anderen Seite dieses Hauses; ich möchte beinahe sagen, daß von diesem Vorwurf einer gewissen Gereiztheit und Überempfindlichkeit keine Richtung und kein Teil dieses Hauses auszunehmen ist.
Nun müssen wir ja wohl etwas tun, um mit diesen Dingen fertig zu werden. Es ist vorgeschlagen worden, geschäftsordnungmäßige Formen zu ändern, Ausschüsse zu vereinfachen, zusammenzulegen, gewisse Beschränkungen der Redezeit oder etwas Ähnliches festzulegen. Schön, das mag ja alles ganz gut sein. Es ist ja auch als Vorschlag in der Öffentlichkeit erörtert worden, das Plenum für bestimmte Aufgabengebiete durch einen Hauptausschuß zu ersetzen und dergleichen mehr. Ich glaube, meine Damen und Herren, das allein reicht nicht aus. Mit Maßregeln allein wird man gegenüber diesem Überdruck der Verpflichtungen nicht fertig und bestimmt nicht nur mit den ausgetüftelten Normen und Formen einer organisatorischen Systematik. Es kommt vielmehr darauf an, einen parlamentarischen Stil, eine gewisse Haltung zueinander zu entwickeln, wobei — das gilt für alle möglichen Erscheinungen, die wir in diesen sieben Monaten erlebt haben — die Erkenntnis vorhersehen muß, daß höher als die Selbstsucht des subjektiven Meinungsausdrucks im Grunde genommen doch immer noch die Tatbereitschaft zur Gemeinsamkeit des Handelns steht. Und weil es so ist, glaube ich, müssen wir ganz bewußt darauf sehen, daß sich unser Leben hier nicht nur in Ordnungen und Gesetzen vollzieht,
sondern daß es allmählich so etwas wie gebräuchliche Formen, eine gewisse Übung, eine gewisse Routine bekommt, daß eine gewisse Empirie durchgesetzt wird und sichtbar wird, die es vermeiden läßt, daß an nebensächlichen Dingen Zeit und Kraft vergeudet wird.
Die Gemeinsamkeit des Handelns setzt natürlich auch die Bereitschaft zu politischen Gruppenbildungen da voraus, wo sie notwendig sind, etwa in der Form der Koalition. Ich glaube, daß trotz allen Geredes von angeblichen Koalitionskrisen hier einmal festgestellt werden kann, daß die Koalition doch einen starken Zusammenhalt erwiesen hat, und daß gegenüber der Darstellungsweise, die bei der, sagen wir einmal: Schmetterlingsjagd der Neuigkeitenfänger immer wieder benutzt wurde, um da und dort Koalitionskrisen zu wittern und an die Wand zu malen, gesagt werden kann: es ist doch zumindest in 90, wenn nicht 95 % aller Fälle eine durchaus wirksame Übereinstimmung der Regierungskoalitionsparteien sichtbar gewesen.
— Ich glaube, Sie überschätzen das, weil Sie offenbar auch ein Opfer der Krisenkünder geworden sind, die nun einmal reizvoller erscheinen und sich besser zu Schlagzeilen eignen als die Darstellung eines ruhigen, sachlichen, alltäglichen Arbeitsdaseins.
Meine Damen und Herren, in der heutigen Aussprache ist — ich glaube, vom Herrn Kollegen Bertram — auf gewisse Zahlenunterschiede in der personellen Besetzung der neuen Ämter gegenüber der Weimarer Republik hingewiesen worden, und es sind wieder von anderen Sprechern des Hauses gewisse Einschränkungen und Abstriche vorgeschlagen worden; man hat Personaleinschränkungen und Minderung sachlicher Aufwendungen gefordert. Ich möchte Sie einmal auf folgenden Zusammenhang aufmerksam machen: Wenn wir wollen, daß dieser Bund kräftig und lebensfähig wird und daß dieser Bund als Verkörperung des Ganzen gegenüber seinen Teilen auch an Gewicht gewinnt, dann muß man auch bereit sein, personelle und materielle Energien, Kräfte und Dinge zur Verfügung zu stellen. Wer die Funktionen des Bundes in materieller und personeller Hinsicht allzu stark zu beschneiden versucht, der schwächt den Bund und schwächt damit das Gewicht der zusammenfassenden und einigenden Kräfte, die wir für dieses Staatswesen brauchen.
— Die Qualität macht es, aber — das will ich Ihnen einmal sagen — unter einer bestimmten Qantität geht es auch nicht. Wissen Sie, die Auffassung, die Sie da vertreten, erinnert mich immer an jemanden, der meint, man könnte eine Heil- und Pflegeanstalt zu besonderen Heiler-
folgen führen, wenn man das Pflegepersonal beschränkt und sehr kümmerlich versorgt.
Ich will nicht im einzelnen noch Fragen der Außenpolitik anschneiden. Aber, Herr Kollege Schoettle, zu dem, was Sie ausgeführt haben, eine Bemerkung! Das, was wir in der Außenpolitik tun oder was wir glauben, tun zu müssen, beruht sehr weitgehend auf bloßen Schätzungen der Situation. Die Außenpolitik ist keine exakte Wissenschaft, zumindest nicht bei der Dürftigkeit der Informationsmöglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, und infolgedessen sollten wir alles vermeiden, was auf Grund von, sagen wir einmal: bescheidenen außenpolitischen Arbeitshypothesen zur Verhärtung und Verschärfung der gegenseitigen Standpunkte führen könnte.
Nun, meine Damen und Herren, ich habe soviel von unserem Hause gesprochen. Ich habe von den Möglichkeiten gesprochen, unseren politischen Stil, auf den es sehr weitgehend ankommt und der sich nicht in Gesetzen und Maßregeln ausdrückt, aber an den man auch einmal denken muß, weiterzubilden. Ich will damit keineswegs bestreiten, daß es auf der andern Seite auch wieder notwendig ist, echte D politische Spannungen zu haben; denn aus den Spannungen, aus den Gegensätzen, aus dem Wettbewerb und auch aus den Rivalitäten entstehen ja die Kräfte, die letzten Endes den Wirkungsgrad aller politischen Tätigkeit' erhöhen. Aber, meine Damen und Herren, eins darf, glaube ich, bei der Pflege dieser Spannungen nicht allzu stark in den Vordergrund treten: eine gewisse Selbstgerechtigkeit. und da möchte ich einmal mit aller Deutlichkeit aussprechen, daß für keine politische Partei in diesem Hause das Recht besteht, ein Monopol in Anspruch zu nehmen, nämlich das Monopol der alleinseligmachenden Form demokratischer Einsicht und demokratischer Erkenntnis.
Wenn Sie einen wirklichen Schutz der Demokratie entwickeln wollen, genügt es nicht, Schutzgesetze zu machen — die sind nur kleine Behelfsmittel —, sondern viel wichtiger ist es, die demokratischen Überzeugungskräfte gerade dadurch lebendig zu machen, ja, sie zu betonen, sie geradezu zu fördern. daß man sie nicht immer bei dem andern bestreitet und leugnet, sondern bejaht und anerkennt.
Die Art und Weise der Diskussion, wie wir sie hier manchmal geführt haben, bei der immer wieder das demokratische und soziale Wollen des einen vom andern bestritten wurde, scheint mir nicht ganz der Notwendigkeit zu entsprechen, die
demokratischen Überzeugungskräfte lebendig und dauerhaft zu machen.
— Es hängt sehr von den Taten ab. Wissen Sie, was eine der wichtigsten Taten ist, wenn man sich zur Freiheit bekennt? Man muß zunächst. einmal von der Achtung vor dem Freiheitsrecht des andern ausgehen.
— Warum sind Sie denn so unruhig?
Ich habe Sie doch auch ganz friedlich angehört.
Zum zweiten. Gegenüber allen Versuchen, ein freiheitliches Wollen und eine individualistische Tendenz der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu deuten oder zu mißdeuten, möchte ich mit einer Feststellung schließen: Das. was man so gemeinhin Persönlichkeit zu nennen pflegt, ist keineswegs identisch mit dem isolierten und egozentrischen Individuum, sondern Persönlichkeit ist der dem Zweck eines Ganzen mit der Besonderheit seiner Gaben dienende Mensch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte gibt, so wie das in allen Ländern der Fall ist, auch bei uns in Westdeutschland Anlaß, sich mit der allgemeinen Politik der Regierung einmal eingehend zu befassen, einmal eingehend zu untersuchen, was die Regierung, die die Genehmigung des Haushalts von uns wünscht, bisher geleistet hat. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen namens der WAV-Fraktion hierzu folgendes ausführen.
Wir von der WAV sind zutiefst unzufrieden mit dem, was die Regierung Adenauer bisher getan hat.
— Ich werde Ihnen auf Ihre törichten Zwischenrufe nicht antworten, Herr Kollege!
Wir werden jetzt hier im einzelnen einige der Beanstandungen, die wir haben, offen aussprechen. Und ich bitte Sie. mich reden zu lassen und mich nicht bei jedem Satz zu unterbrechen.
Meine Damen und Herren, zunächst unsere Beanstandungen auf dem Gebiete der Außenpolitik. Wir wollen gleich das Gebiet erwähnen, auf dem die Regierung am sorgfältigsten und subtilsten vorgehen müßte; denn wenn e i n Staat besonders sorgfältige Außenpolitik treiben muß, dann ist es der, der besiegt am Boden liegt. Wir können nicht verstehen, daß Bundeskanzler Adenauer nicht sofort, nachdem diese denkbar unglückselige Rede Dr. Dehlers gehalten worden
I
ist, die Konsequenzen daraus gezogen und Dr. Dehler abberufen hat.
Da er dies nicht tat, hat er, Dr. Adenauer, seine Regierung in Mitleidenschaft gezogen;
darüber gibt es gar keinen Zweifel. Es genügte nach außen hin keineswegs, daß Dr. Adenauer sagte, er identifiziere sich nicht mit den Worten seines Bundesjustizministers und wolle öffentlich davon abrücken.
Das ist nicht die einzige unglückselige Sache, die in den Monaten seit dem Regierungsantritt Adenauers passiert ist. Solche Erklärungen — ich möchte fast sagen: Erklärungen am laufenden Band —, die der Herr Bundeskanzler gegenüber auswärtigen Journalisten abgibt, Erklärungen, die für ganz Deutschland von entscheidender Bedeutung sind, Erklärungen, in denen es sich um die Zukunft unseres Landes und darum handelt, was Dr. Adenauer mit unserem Lande anfangen will, solche Erklärungen darf man nicht abgeben — irgendwelchen Presseleuten schon gleich gar nicht, aber auch nicht anderen Regierungen gegenüber —, ohne daß man vorher das Parlament befragt und zu Rate zieht! Denn wir haben doch eine Demokratie! Wenn z. B. ein Vorschlag kommt, Deutschland solle aufhören, als selbständiger Staat zu bestehen, Deutschland solle in eine Union mit irgendeinem andern Staat eintreten, dann handelt es sich doch wohl um ein Problem, zu dem, zuerst das ganze deutsche Volk und zuerst mindestens auch die Vertreter des deutschen Volkes im Bundestag gefragt werden müßten. Man darf sich nicht demokratische Regierung heißen, wenn man hier autoritäre Erklärungen abgibt, wenn man Erklärungen abgibt, ohne daß das Parlament vorher auch nur irgendeinen Funken einer Kenntnis davon hat. Merkt der Herr Bundeskanzler und merkt seine Regierung nicht, wie er durch solche Erklärungen aus dem Stegreif diese Erklärungen selber entwertet? Merkt er wirklich nicht, wie im Ausland denen, die es nicht gut mit uns meinen, dadurch geradezu Gelegenheit gegeben wird, zu sagen: das ist doch alles bedeutungslos, was hier Dr. Adenauer sagt, dahinter steht ja doch niemand; dazu ist ja der Bundestag nicht gefragt worden, noch viel weniger das deutsche Volk! Dr. Adenauer würde, weiß Gott, gut tun, wenn er, bevor er nochmals außenpolitische Erklärungen von größter Tragweite abgibt, zuerst die Volksvertretung und am besten das Volk darüber fragen würde.
Meine Damen und Herren, wenn es wahr ist, was in den Zeitungen stand — es wurde nicht dementiert —, diese Erklärung des Bundeskanzlers nämlich anläßlich des Ausganges der englischen Parlamentswahlen, wenn es wirklich wahr ist, daß Dr. Adenauer Journalisten gegenüber erklärte, er, Dr. Adenauer, möchte nicht mit so wenigen Stimmen Mehrheit Minister sein und regieren, wie das bei Attlee der Fall ist, dann ist das — wenn es wahr ist! — eine so ungeheuerliche Verkennung der Situation der Regierung Adenauer, daß sich eigentlich jedes Wort darüber erübrigen sollte; denn wenn man selber mit einer Stimme Mehrheit gewählt worden ist, darf man schon deshalb nichts an auswärtigen Staatschefs aussetzen, die immerhin mit einer etwas größeren Mehrheit gewählt worden sind. Ganz abgesehen davon: man darf sich nicht in irgendwelche innerpolitischen Dinge anderer Staaten einmischen. Es ist Sache der Engländer, welche Regierung sie gewählt haben, es ist ihre Sache, mit welcher Stimmenmehrheit sie die Regierung gewählt haben. Für uns ist jede englische Regierung, die gewählt worden ist, die Vertreterin des englischen Staates, und das gilt genau so gut bei allen anderen Regierungen.
Wir müssen auch vorsichtig sein mit Erklärungen -- auch diese Erklärung stand wieder in der Zeitung und wurde nicht dementiert —, es sollten hier in Bonn im Bundeshaus keine französischen Zustände einreißen. Das darf man insbesondere dann nicht sagen, wenn man einige Tage vorher den Franzosen angeboten hat, man wolle sich mit ihnen verschmelzen,
so daß also französische Zustände ohne weiteres dann auch, hier Platz greifen müßten. Ganz abgesehen davon, daß doch weiß Gott das französische Volk gar nichts dafür kann, wenn einige Sendlinge Moskaus im Auftrage von Moskau irgendwelche Lärmszenen im französischen Parlament heraufbeschwören.
— Sie rufen hier dazwischen, Herr Kollege von der CDU, das sei gar nicht wahr. Ich habe leider ein solches Dementi Dr. Adenauers auf diese Presseerklärung hin bisher vermißt. Ich wäre als Deutscher außerordentlich zufrieden, wenn ein solches Dementi kommen würde oder vielleicht gekommen wäre. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler würde am besten den Weg über das Plenum des Parlamentes wählen, um solche Nachrichten zu dementieren, damit in aller Öffentlichkeit auch vor Hunderten von Pressevertretern dann klargestellt wird, was Dr. Adenauer angeblich nicht gesagt hat.
Und dabei handelt es sich bei all diesen Dingen, die bisher geschehen sind, nicht um Einzelfälle. All das gibt ein außenpolitisches Mosaik, bei dem uns weiß Gott nicht mehr wohl ist, ein außenpolitisches Mosaik, das wir von unserem Standpunkt aus nur als bis jetzt sehr verunglückt bezeichnen können und müssen.
Außenpolitik muß heute bei uns in Deutschland subtiler betrieben werden als in jedem andern Staat in der Welt. Wir müssen Sympathien im Auslande gewinnen, bei allen Staaten der Welt. Wir müssen vermeiden, irgendwelche Leute im Auslande, sei es eifersüchtig, sei es mißtrauisch zu machen oder ihnen sonstwie Anlaß zu geben, an dem ehrlichen Wollen unseres deutschen Volkes, das Frieden und Freundschaft mit allen Staaten der Welt will, irgendwie zu zweifeln.
Wie sieht es nun auf dem Gebiete der Innon-
politik aus? Was wurde hier seit September, seit die Regierung Adenauer im Amte ist, geleistet?
— Wir sind nicht in der Regierung drin. Sie dürfen nicht an u n s die Frage stellen, was wir geleistet haben.
Ich spreche hier von der Regierungspolitik! Wollen Sie mich bitte jetzt nicht mehr unterbrechen. Die Opposition nimmt Ihnen die Verantwortung für Ihre Fehler nicht ab, seien Sie überzeugt davon!
Also zurück zur Innenpolitik. Ich teile da den Gedanken, den der Herr Vizepräsident Dr. Schäfer hier soeben zum Ausdruck gebracht hat:
daß man für die bisher abgelaufene Zeit nicht alles verlangen kann. Das tut aber kein Mensch von uns! Kein Mensch verlangt, daß die Regierung Adenauer jetzt schon alle die drängenden Probleme hätte meistern sollen und
müssen denen wir gegenüberstehen.
- Nein, wir verlangen etwas ganz anderes: wir verlangen, bei der Regierung Adenauer hätte wenigstens et w a s an Leistungen bisher sichtbar werden sollen, Leistungen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in der Eingliederung der Heimatvertriebenen in die deutsche Wirtschaft, in der Besserstellung der Kriegsopfer.
Das alles sind Dinge, bei denen die Regierung Adenauer schon manches hätte leisten können und müssen. Wenn da etwas sichtbar in Erscheinung getreten wäre, dann wären wir von der WAV die ersten gewesen, die gesagt hätten: Bitte, die Regierung hat immerhin schon etwas fertiggebracht. sehen wir weiter zu, vielleicht wird sie in den nächsten Monaten noch weitere Dinge dazu fertigbringen."
Aber was ist denn hier geschehen, seit die Regierung Adenauer im Amt ist? Die Zahl der Arbeitslosen ist vom September bis jetzt sprunghaft gestiegen. Wenn in den letzten Tagen eine Abnahme zu verzeichnen ist, so sage ich Ihnen, daß ich über diese niederen Ziffern der Abnahme geradezu bestürzt bin; denn jetzt, nachdem das Bauwetter in ganz Deutschland wieder normal ist. müßten mindestens 500 000 jetzt arbeitslose Bauarbeiter wieder Arbeit bekommen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich empfehle, den Herrn Redner ruhig anzuhören.
— Es hat hier jeder das Recht, seine Meinung vorzutragen. Je ruhiger sie vorgetragen wird und
je ruhiger der Redner angehört wird, um so reibungsloser wird, glaube ich, die Debatte verlaufen.
Ich darf fortfahren. Wir haben jetzt, wie ich bereits sagte, bestes Wetter zum Bauen, und trotzdem ist die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland nur unwesentlich zurückgegangen. Woher kommt das? Das kommt einmal davon her, daß Bauten erst in viel zu geringem Umfang in Angriff genommen wurden. Aber es gibt noch einen zweiten Grund, und der ist noch schlimmer: daß nämlich die Zahl der jetzt wieder in Arbeit einströmenden Bauarbeiter
weitgehend dadurch paralysiert wird, daß in anderen Branchen, die nicht etwa saisonbedingt sind,
weiterhin Arbeitslose zuwachsen, so daß trotz des Beginnes günstiger Witterung die Arbeitslosenzahl noch nicht so heruntergeht. wie sie heruntergehen könnte.
Und nun darf ich Ihnen eines sagen: Wir haben alle noch die Worte des Herrn Bundeskanzlers und seiner Minister, des Herrn Ministers Storch, des Herrn Ministers Erhard usw. in den Ohren, die im September, Oktober, November und noch später dem Hohen Hause immer wieder erklärten, mit der Arbeitslosigkeit sei es nicht so tragisch, es handele sich hier lediglich um normale Erscheinungen, usw. Wir alle haben das gehört, und Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, werden nicht in der Lage sein, das zu bestreiten!
- Das Arbeitsbeschaffungsprogramm? Ja, das ist viel zu spät gekommen, und bis jetzt, Herr Zwischenrufer, sehe ich noch keine Verwirklichung dieses Programms, sonst müßten Sie mindestens 4- bis 500 000 arbeitslose Bauarbeiter schon wieder eingegliedert haben! Aber allein schon die Tatsache, daß die Regierung Adenauer so lange Monate hindurch — September, Oktober, November, Dezember, sogar noch Januar,
also gerade die wichtigsten und wertvollsten Monate hindurch — die Bedeutung der Arbeitslosigkeit nicht erkannt hat,
das allein schon ist ein Faktum, das wirklich n i ch t zugunsten der Regierung Adenauer spricht!
— Zugunsten derer, die rechtzeitig davor gewarnt haben. Herr Zwischenrufer! Dazu haben wir gehört, und dazu haben auch noch andere Leute in diesem Hause gehört. Aber Sie haben diese Warnungen leider nicht berücksichtigt, sondern Sprüche hier herinnen im Parlament machen lassen,
als sei das eigentlich gar nicht von Bedeutung.
Meine Damen und Herren! Diese Mißachtung des Arbeitslosenproblems in seiner ganzen Tragweite ist einer der Hauptfehler, die die Regierung Adenauer bisher begangen hat.
Ein zweiter Hauptfehler der Regierung Adenauer ist dieser: daß sie nichts getan hat. um von sich aus die Wirtschaft dadurch wirklich anlaufen zu lassen, daß man es endlich einmal gewissen Großbanken verunmöglichen würde, den Sparern, die ihr Geld zur Bank tragen, nur 21/20/o Zinsen zu geben, aber selbst 9, 10 und noch mehr Prozent Zinsen zu verlangen, selbst auf allererste Sicherheiten und erste Hypotheken.
Wenn ein kleiner Kaufmann im Lande draußen eine Ware, die er um 10 Mark bekommt, um 30 und 40 Mark weiterverkaufen würde, würde man ihn mit Recht wegen Wuchers zur Anzeige bringen. Die großen Bankdirektoren aber dürfen mit Unterstützung. dieser Regierung, die dafür verantwortlich ist, daß die Spanne zwischen den Einlagezinsen und den Zinsen für entnommene Gelder so groß ist, aber nichts dagegen tut, unerhörte Gewinne machen mit den Ersparnissen unseres Volkes! Jeder, der von der Wirtschaft, von der Bauwirtschaft oder von was sonst etwas versteht,
weiß, daß es zu teuer ist, wenn ein Geld 9 oder 10 oder noch mehr Prozent Zinsen pro Jahr kostet. Jeder Einsichtige weiß. daß unter solchen Umständen die Privatwirtschaft nicht bauen kann und auch nicht in der Lage ist. ihre Unternehmen zu erweitern. daß die Landwirtschaft nicht in der Lage ist, große Meliorationsprojekte durchzuführen, und daß auch keine Privatgesellschaft und kein gemischtes Unternehmen, also öffentlich und privat zusammen, hergehen wird, irgendwelche Kraftwerksbauten durchzuführen, wen n Geld nur zu so unerhört hohen Zinssätzen zu haben ist. All das hätte die Regierung Adenauer tun müssen!
Sie hätte auch dafür sorgen müssen und können, daß Millionen von Menschen sich mehr Lebensmittel kaufen können, als ihnen das jetzt möglich ist. Millionen von Arbeitslosen, Heimatvertriebenen, kleineren Angestellten und Arbeitern
könnten sich mehr leisten, wenn nicht unerhört hohe Handelsspannen da und dort, und zwar beim Großhandel,
nicht etwa bei den kleinen Leuten, das verzögern würden. Ja, rufen Sie nur dazwischen „Eierpreis"! Schade, daß nicht S i e damals den Antrag auf Einfuhr der Eier vom Ausland gestellt haben, wie das die WAV getan hat!
Sie haben damit gewartet, Sie haben es uns, der
kleinen Fraktion der WAV, überlassen! Und das
Ergebnis war, daß allein auf diese Ankündigung hin
der Preis heruntergegangen ist! Jawohl, das sind die Tatsachen! Da brauchen Sie nur die entsprechenden — —
— Was sind das für tolle Zurufe: „Sie gackern!" Wenn Sie nichts Besseres zwischenzurufen verstehen, dann beteiligen Sie sich bitte nicht hier an der Diskussion! Sie werden damit nur der Demokratie schaden, wenn Sie mit solch lächerlichen Zwischenrufen daherkommen.
Meine Damen und Herren! Auch auf anderen Gebieten ist ein unerhörter Wucher bei den Großhandelsspannen getrieben worden. Wir haben diese Anträge eingereicht. Immer und immer wieder wird jetzt die Behandlung dieser Dinge im Plenum hinausgeschoben. Schon lange war sie überfällig. Wir werden Ihnen dann noch einiges mit nackten Ziffern zu sagen haben, damit Sie sehen, wie hier durch Versäumnisse der Regierung Preise hochgehalten werden. an denen der Bauer, der Kleinhändler und der Verbraucher nichts haben, deren Gewinne lediglich in die Taschen einiger weniger zehntausend Großverdiener fließen.
Und gerade hier hat die Regierung auch versagt.
durch entsprechende Gesetze einzugreifen und
hier dafür zu sorgen. daß das Produzierte wirklich zu anständigen Preisen an die Verbraucher gelangen kann.
Wir haben hier such kein Programm der Regierung vor uns. Oder wollen Sie vielleicht das Ausnendelnlassen als ein Programm bezeichnen? Wollen Sie ein reines Laisser-faire. Laisser-aller, ein reines Zulassen und Hingehenlassen vielleicht als Programm und als etwas. was der Regierung zugute gerechnet werden kann. bezeichnen? Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich auf diesen Standpunkt stellen!
— Herr Präsident, „wirtschaftlicher Eunuch" hat er gesagt der Abgeordneter Strauß! Ich verbitte mir das jetzt bald.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was haben Sie jetzt gesagt, Herr Abgeordneter Strauß?
Sie werden mich nicht mehr aus der Ruhe bringen können! Hören Sie endlich einmal mit diesen Störungen auf!
Ich sagte, auf dem Gebiet der Großhandelsspannen hat die Regierung nichts getan. Auf dem
Gebiet der Verbilligung des Geldes, von der die Belebung der Privatwirtschaft abhängt, hat sie nichts getan.
Bezüglich der Eingliederung der Flüchtlinge in das heimische Erwerbsleben hat sie nach unserer Auffassung viel zuwenig getan Wir würden der Regierung dringendst empfehlen, endlich einmal den Flüchtlingsindustrien, die für uns eine Goldgrube sein könnten — für die Einheimischen und die Flüchtlinge —, etwas andere Summen zur Verfügung zu stellen, als sie das bisher getan hat oder hat tun lassen; nicht etwa bloß einen Tropfen auf den heißen Stein, sondern wirklich Beträge, mit denen diese Industrien aufgebaut werden können, und dafür weniger Geld zum Fenster hier für Bonn hinausschmeißen zu lassen, das den deutschen Steuerzahlern weiß Gott schon allerhand Millionen gekostet hat.
Hier hat die Regierung leider auch nicht das gemacht, was unser Volk von ihr erwartet hat,
und unsere Regierung hat auch nicht das gemacht, was unser Volk gegenüber den Kriegsversehrten erwartete. Wir stellen fest, daß das, was für die Kriegsopfer bisher geschehen ist, viel zuwenig war. Man komme uns bitte nicht mit der Einrede: Ja, wir haben nicht mehr Geld zur Verfügung. Wir haben bedeutend mehr Gelder zur Verfügung dafür,
0 als hergegeben worden sind, dann nämlich, wenn diese Ausgabenwirtschaft, wie sie zur Zeit betrieben wird, auch vom Bund etwas reduziert wird. Wir haben Ihnen Anträge, Kürzungsanträge, eingereicht; hier z. B. bei der ersten und der zweiten Beratung des Haushaltsplanes. Sie sind jedesmal von Ihnen überstimmt worden. Sie haben sich gar nicht die Mühe gegeben, das eingehend durchzuprüfen; wir wurden einfach überstimmt. Sie können das heute mit dem Recht des Stärkeren, mit dem Recht der größeren Stimmenzahl. Aber wenn Sie unsere Anträge prüfen würden und geprüft hätten, dann hätten Sie sich sagen müssen, daß dies Vorschläge sind, deren Durchführung das Volk von Ihnen verlangt! Hier hätte man Summen einsparen können, die dazu hätte verwendet werden können, nun wirklich den Kriegsopfern und Heimatvertriebenen und den Ausgebombten etwas zur Verfügung zu stellen. Das haben Sie nicht gemacht!
Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, haben auch völlig versagt in der Frage der Abschöpfung der Riesen-Währungsreformgewinne, die gemacht worden sind. Sie haben es zugelassen, ,daß in Deutschland die großen Unternehmungen heute ihre Bilanzen bzw. ihr Vermögen in den Bilanzen sehr oft im Verhältnis 1 zu 1, viel weniger oft im Verhältnis 2 zu 1, umstellen. Sie lassen es hier zu, daß diese Leute ihr
Betriebsvermögen über die zwei Abwertungen im Verhältnis 1 zu 1 oder 2 zu 1 hinweggerettet haben. Wieviel haben wir alle, die wir nicht Großindustrielle sind, über die Abwertungen hinwegretten können? Sie kennen selbst den lächerlichen Satz, den man uns gegeben hat! Bitte, den sollen auch diese Großindustriellen für ihre Unternehmungen haben. Das will ich ihnen nicht wegnehmen. Wir sind keine Kommunisten!
Wir wollen aber, daß diese Herren bei ihren Betriebsbilanzen genau mit denselben Abwertungsziffern rechnen müssen wie jeder andere Privatmann auch! Und was darüber hinaus ist, gehört erfaßt zugunsten des Lastenausgleichs. Da wollen S i e aber nicht heran!
(Zuruf von der CDU: Die war bei der
Währungsreform ja noch gar nicht da!)
- Die war bei der Währungsreform nicht da? Was ist das für ein Zwischenruf, Herr Kollege? Die ist jetzt da seit dem September vorigen Jahres, und sie hat jetzt noch die Möglichkeit, das abzuschöpfen! Immer noch hat sie die Möglichkeit, zu verhindern, daß diese Betriebe solche Bilanzen machen können. Diese Möglichkeit besteht für die Regierung immer noch. Ich fürchte aber sehr, die Regierung wird nichts tun, sie wird so lange nichts tun, bis die armen Teufel vor Verzweiflung nicht mehr ein noch aus wissen.
So ist es auch noch bei einer ganzen Reihe anderer Gebiete. Man hat wichtigste Artikel des täglichen Bedarfs verteuert:
Benzin, Dieselöl und Kohle wurden verteuert.
Hier hat die Regierung ihr Versprechen nicht eingelöst, daß sie sich für die Interessen des kleinen Mittelstandes einsetzen wird, zu dem die Transportunternehmer gehören, zu dem die Kohleverbraucher gehören, soweit sie nicht Großindustrielle sind. Nichts ist auf diesem Gebiete geschehen, so gut wie gar nichts!
Man hat ein Einkommensteuergesetz geschaffen, das bei den Heimatvertriebenen, den Kriegsopfern, den Ausgebombten eine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Zustand gebracht hat.
Wir haben Ihnen das das letzte Mal vorgerechnet!
Die Anrechnungsmöglichkeit ist nunmehr beschränkt auf wenige hundert D-Mark pro Jahr,
bei den eben erwähnten Personen, während sie vorher unbeschränkt war.
Alles das brauche ich nicht im einzelnen nochmals zu erklären. Wir haben schon eingehend darüber gesprochen. Hier überall hat die Regierung keine Politik gemacht zugunsten der Kleinen und wirtschaftlich Schwachen, zugunsten der Mittelständler in Stadt und Land, zugunsten der Angestellten und Arbeiter. Nein! Sie hat vielmehr eine Politik gemacht, die den Interessen der Großindustrie und des großen Bankgewerbes entgegengekommen ist.
Aus allen diesen Gründen ist es uns unmöglich, der Regierung unser Vertrauen auszudrücken.
Dies würde mit einer Zustimmung zum Haushaltsplan ja ohne weiteres zum Ausdruck kommen. Sie wissen ja: die Zustimmung zum Haushaltsplan bedeutet Vertrauen zur Regierung. Dazu hat die WAV nicht die geringste Veranlassung nach alledem, was in den Monaten geschehen ist, seitdem die Regierung Adenauer am Ruder ist.
Das Versagen der Regierung auf außenpolitischem Gebiet, das Versagen auf innerpolitischem und wirtschaftlichem Gebiet macht es der WAV unmöglich, für den Haushaltsplan zu stimmen, und wir werden deswegen gegen den Haushaltsplan stimmen.
S i e haben es uns unmöglich gemacht, auch nur Verbessserungsanträge durchzubringen. Um so mehr werden wir Ihnen und nur Ihnen allein, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, die Verantwortung vor dem Volke für diese Politik der Regierung Adenauer überlassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generaldebatte über den Haushaltsplan ist meist ein Anlaß zu einem ganzen Bukett der Kritik. Sie sollte zugleich aber auch ein Anlaß für eine gewisse Besinnung sein. Dieser erste vorläufige Haushaltsplan steht an der Schwelle unseres neuen, unter ganz einzigartigen Bedingungen aufgebauten jungen Staates. In dieser Situation ist es ein besonderes Anliegen auch meiner politischen Freunde, der Besinnung stattzugeben.
Der Herr Kollege Schoettle hat heute morgen diese Debatte mit einer grundlegenden Rede der Opposition eingeleitet. Ich persönlich darf die Darlegungen des Herrn Kollegen Schoettle in dem Geist bejahen, daß er. zum Schluß als das Allerwichtigste herausgestellt hat, daß in diesem Staate, in diesem Parlament und insbesondere in dieser Demokratie eine menschliche Atmosphäre herrschen müsse, die die Grundlage für die politische Arbeit abgeben müsse. Ich glaube, daß das ein sehr bedeutungsvolles Wort am Anfang unseres Staates ist.
Wir unterschreiben diese Notwendigkeit. Denn für eine Demokratie, bei der ein Riß im Grundsätzlichen zwischen den politischen Gruppen aufgetan ist, ist ein solcher Riß tödlich. Ein autoritärer Staat ist in der Lage, die allerhärtesten Spannungen mit den Mitteln der Gewalt und des Zwangs zu überwinden; und das auch nicht lange. Denn niemals läßt sich eine menschliche Gemeinschaft auf die Gewalt und auf den Zwang gründen. Eine Demokratie aber lebt von dem im Menschlichen begründeten Vertrauen, das letzthin zwischen allen Gruppen herrschen muß. Ich verhehle nicht, daß meine politischen Freunde und ich in der Idee vollkommen anderer Meinung sind als die sozialdemokratische .Fraktion, die hier in diesem Hause in der Opposition steht. Wir sind bereit und wir halten es für notwendig, daß um die Idee gerungen wird, auch hart gerungen wird; aber in den grundsätzlichen Fragen, die unser politisches Gemeinwesen angehen, muß die menschliche Achtung, das menschliche Verständnis als Basis der grundsätzlichen Zusammenarbeit gegeben sein.
Darin sehen wir unsere besondere Verantwortung und Aufgabe als Abgeordnete dieses Hauses. Gerade wir von der konservativen Gruppe, wenn ich mich dieses nicht ganz zutreffenden Wortes bedienen darf
(Abg. Dr. Schmid: Wir haben mehrere
Traditionen, Herr von Merkatz!)
- Es ist immer im geschichtlichen Sinne, Herr Professor, die große Aufgabe, daß man von den „mehreren Traditionen", die in der Seele eines jeden Volkes leben, die gute Tradition durchsetzt. Wir haben in mancherlei Katastrophen — ich darf darauf noch kommen — schon eine gute Tradition entwickelt. Ich erinnere daran, daß wir als deutsches Volk den Weg des Religionsausgleichs gegangen sind. Wir haben doch diesen
damals Europa im Innersten zerreißenden Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus in einer das Geistesleben ganz Europas tief befruchtenden Weise gelöst. Das ist ein Teil dieser deutschen Tradition, die grundlegend für unsere Zukunft sein kann, nämlich die Toleranz, die Achtung und das menschliche Verständnis, begründet auf dem Boden der Freiheit.
Wir von der Deutschen Partei sind die entschiedensten Gegner jeder totalitären Verirrung. Wir gehen davon aus, daß es bei dem kulturellen Reichtum unseres Volkes mehrere Richtungen geben muß und daß nur aus der fruchtbaren Spannung der Verschiedenheit der Auffassungen ein lebendiges Zusammenleben hervorgehen kann. Wir lehnen daher jeden Machtanspruch, jede einseitige Geltendmachung eines Willens ab, der für sich das Monopol der Staatsidee und der staatlichen Macht in Anspruch nehmen könnte.
Herr Kollege Schoettle hat heute morgen in seinen grundlegenden Darlegungen eine Darstellung des Verhältnisses zwischen der Regierung und dem Parlament gegeben. Man kann dieses Verhältnis der Exekutive und der Legislative auch hier im Rahmen der Haushaltsdebatte als das Problem des Unterschiedes zwischen der Organisationsgewalt der Regierung und dem Budgetrecht des Parlaments bezeichnen. Herr Kollege Schoettle hat Wert darauf gelegt, daß nach dem Grundgesetz die Regierung in diesem Hause wurzelt, daß sie dort ihren eigentlichen Boden hat, daß sie keine Macht aus eigenem Recht ausübt. Es ist unbedingt richtig, die Regierung so zu betrachten. Aber der Unterschied zwischen dem exekutiven Voranschreiten und der Legislative, die die Richtlinien gibt und die Handlungen der Regierung überwacht, ist doch beträchtlich. Es wäre eine verhängnisvolle Fehlentwicklung des Parlamentarismus, wenn man das Initiativrecht der Regierung infizieren, kränken oder beschneiden wollte, wenn eine Art der Kritik und der Überwachung stattfinden sollte, die bereits das Entstehen der Handlung in ihren Anfängen zerstört, zermürbt und zersetzt. Das Grundgesetz hat ganz bewußt eine gewisse Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament gewollt und geschaffen. Ich glaube, wenn man die Entwicklung des modernen Staates im 20. Jahrhundert betrachtet, jene Entwicklung zum Verwaltungsstaat und zu einer Massendemokratie hin, dann wird man doch dem einen Erfordernis Rechnung tragen müssen: die Demokratie bedarf der Autorität, und es muß möglich sein, insbesondere in einer Situation, wie wir sie in Deutschland haben, daß wir uns zu einer echten Autorität bekennen, daß man erst einmal gewähren läßt und seine Kritik dann einsetzt, wenn das Fertige, das Ausgereifte und oft so mühselig und schwierig Geschaffene dasteht. ° Ich bin nicht der Auffassung, daß sich das Parlament durch seine Kontrollfunktion in einer indirekten Weise exekutive Maßnahmen, durch Ausschüsse oder wie das auch sein mag, anmaßen dürfte. Das Parlament hat mit der Kritik gegenüber der Regierung erst dann einzusetzen, wenn das Vollendete, das, was verantwortet werden muß, dasteht. Es ist ein sehr großer Unterschied zwischen der Autorität, die eine freiheitliche Demokratie entwickelt, und der Totalität, die aus einer verkollektivierten Massendemokratiie hervorgeht. Autorität und Freiheit sind die beiden Pole, zwischen denen das menschliche Gemeinschaftsleben zustande kommt. Totalität und Knechtschaft sind die beiden anderen Gegensätze. Wir haben Erfahrung auf diesem Gebiet. Wir wissen, was es heißt, in eine Totalität und in eine Knechtschaft der Massendemokratie zu versinken. Denn diese Totalität wächst ja aus dem anarchischen Milieu der Massendemokratie heraus. Wir haben einige Erfahrungen darin und wir wünschen nichts sehnlicher, als daß aus dem Boden der Freiheit auch echte, gute Autorität erwächst. Autorität bedeutet ja nicht nur die Wirkung von oben her, sondern auch die Fähigkeit, Autorität anzuerkennen, selber im freiwilligen Gehorsam seine Ehre zu finden, indem man das, was hier als Autorität herausgestellt ist, als sein Eigenes empfindet.
Es wurde von dem einsamen Weg des Kanzlers gesprochen. Das ist eine Metapher, vielleicht keine sehr passende Metapher. Denn wenn wir unsere Situation in diesem Lande und unsere
eigene Tätigkeit in diesem Hauser richtig betrachten, wenn wir uns überhaupt die Atmosphäre unserer Zeit verständlich machen, so werden wir viele einsame Wege finden. Jeder ist irgendwie ganz in seine eigene Verantwortung hineingestellt. Es wird schwierig sein, wieder zu einer Ordnung zu kommen, die ein wahres Gemeinschaftsgefühl unter allen bewußt machen kann.
Durch die Art, wie die Opposition in diesem Hause ausgeübt wurde, ist eine ziemliche Hast, eine Überlastung an Arbeit zustande gekommen. Ich weiß nicht, ob es für die Gesetzgebung günstig war — auch wenn man die Arbeit in den Ausschüssen betrachtet —, daß oft bis in die späten Nachtstunden hinein ein Gesetzgebungsinstrument geschliffen werden mußte und dabei eine gewisse Gereiztheit aufkam, die der Sache bestimmt nicht dienlich war. Ich denke hier an manche Nachtsitzung, die in diesem Hause durchgeführt wurde. Immerhin muß man dabei bedenken, daß wir an den Anfängen stehen und daß der gute, der anständige Wille, hier einen demokratischen, freiheitlichen Staat aufzubauen, von allen Beteiligten geteilt wird. Wenn man die Entwicklung dieses halben Jahres überblickt, dann ist es kein übertriebener Optimismus, festzustellen, daß vieles, was im Anfang Empörung und Kritik hervorgerufen hat, sich gebessert hat. Das alles ist auch nicht eine Sache, die dem freien Willen unterworfen ist, sondern es handelt sich hier um Entwicklungen, die aus der Situation unseres so schwer zusammengebrochenen Volkes hervorgehen.
Hinsichtlich der innenpolitischen Aufgaben haben meine politischen Freunde einen Weg im Sinn, den man vielleicht mit folgendem einfachen Satz umschreiben darf. Wir wünschen den Frieden nach außen durch die Befriedung im Innern. Das schließt alles das mit ein, was an Wiederaufbaumaßnahmen erforderlich ist, um unser durch den Krieg so schwer geschlagenes Volk wieder aufzurichten.
Es ist mit Recht auf die psychologische Bedeutung des rechtzeitigen Handelns hingewiesen worden. Herr Kollege Schoettle hat die Gefahren aufgezeigt, die in diesem unserem Lande aus dem Emotionalen hervorgehen. Wir sind, um
dieses Schlagwort zu wiederholen, allerdings der Meinung, daß eine gute Wirtschaftspolitik immer die beste Sozialpolitik sein wird. Wir sind dabei keine Dogmatiker auf wirtschaftlichem Gebiet und sind Gegner der Schlagworte. Herr Kollege Schoettle hat heute morgen mit Recht darauf hingewiesen, wie mit den Worten Planwirtschaft und Marktwirtschaft in einer absolut oberflächlichen Weise herumgeworfen wird. Es gibt
darüber sind wir uns vollkommen klar — sehr viele Nuancen, sehr viele Unterschiede in der Art, in der man einen Wirtschaftskörper beeinflussen kann, mit ganz gelinden indirekten Lenkungsmaßnahmen angefangen bis zu einer totalen Planwirtschaft, die bei einer Mangellage sehr leicht in eine Zwangswirtschaft umschlägt. Wir glauben, daß es in unserer Situation, die wir doch noch weitgehend von fremdem Geld leben, müßig ist, uns in diesen dogmatischen Streit einzulassen. Aber auf eines legen meine politischen Freunde und ich den allergrößten Wert. Wir dürfen nicht den Versuch machen, durch irgendwelche erdachten Schwindelkunststücke unser wirtschaftliches Leben anzuregen und damit eine scheinbare Vollbeschäftigung mit einem künstlich erzeugten Mangel auf allen Gebieten in die Wege zu leiten. Wir legen den allergrößten Wert darauf, daß wir eine gesunde Währung behalten und sie durch unser wirtschaftliches Arbeiten solide gründen. Es ist auch ein Unterschied, ob man von der Planwirtschaft spricht und damit verschiedene Lenkungsmaßnahmen meint oder ob man eine sozialistische Planwirtschaft anstrebt, die etwas ganz anderes ist, die den Wirtschaftskörper in einer totalen Weise umklammert und die zwangsmäßige Ein-griffe unter gar keinen Umständen entbehren kann, um zu funktionieren. Diese sozialistische Planwirtschaft, dieses aus der sozialistischen Idee hervorgehende Einwirken des Staates auf den freien Ablauf der Wirtschaft lehnen wir ab und müssen wir nach der Grundlage unserer ganzen Konzeption ablehnen. Allerdings sind wir uns auch bewußt, daß der wirtschaftliche Weg, den wir gegangen sind und sehen müssen, auf landwirtschaftlichem Gebiet bereits zu großen Schwierigkeiten geführt hat. Wir würden wünschen, daß es der Regierung und den gemeinsamen Anstrengungen aller Ressorts, die im Interesse der landwirtschaftlichen Belange zusammenarbeiten, gelänge, der wachsenden Not besonders der mittleren und kleinen Bauern mit wirksamen, undogmatischen Maßnahmen zu steuern.
Es ist nicht möglich, hier in dieser kurzen Zeit irgendwelche Rezepte zu geben; es ist auch gar nicht denkbar, daß diese Fragen nach irgendwelchen dogmatischen Rezepten gelöst werden. Hier muß je nach dem besonderen Fall, je nach dem besonderen Bedürfnis, das von Landschaft zu Landschaft verschieden sein wird, gearbeitet und das Geeignete gefunden werden. Dann soll auch die Kritik nicht nur aus dem Dogmatischen herkommen, und man soll sich gegenseitig nicht nur vorwerfen, man sei Planwirtschaftler oder man sei es nicht. Das ist außerordentlich nebensächlich.
Genau dieselben Schwierigkeiten, die sich auf dem landwirtschaftlichen Gebiet ergeben, stellen sieh jetzt auch beim kleinen Mittelstand, insbesondere beim Handwerker heraus. Meine politischen Freunde und ich legen den größten Wert darauf, daß dieser Entwicklung gesteuert wird, daß man eine gesunde — nicht vom Interessenstandpunkt aus, sondern vom sozialen Standpunkt aus gesehene — Mittelstandspolitik treibt. Es ist in einem Land, das sozial — und zwar durch den Bombenkrieg und durch die Vertreibung von nahezu 13 Millionen aus den Ostgebieten — derart zerstört worden ist wie Deutsch-. land, klar und eindeutig, daß allzu krasse soziale Gegensätze verhindert und vermieden werden müssen. Es kommt hier sehr viel auf den sozialen Takt an.
Wir gehen aber diesen sozialen Problemen unter gar keinen Umständen damit zu Leibe, daß wir uns in dem Gefälle der historischen Ideologien aufhalten und die Rezepte des 19. Jahrhunderts in diesem 20. Jahrhundert, das ganz andere Voraussetzungen hat, anzuwenden versuchen. Es ist hier das Wort gefallen, daß ein Steuergeschenk im Widerspruch zu einer sozialen Politik stehe. Ich glaube, diese Kontroverse zwischen der Steuersenkung und der Sozialpolitik verkennt den Zusammenhang gründlich und schiebt diese Frage auf ein vollkommen falsches Gleis. Vielleicht verstehen wir uns auf diesem Gebiet nicht, aber das eine darf ich seitens meiner politischen Freunde sagen: für uns ist diese von der Bundesregierung eingeleitete Steuerreform die Voraussetzung für eine gesunde und gute Sozialpolitik.
Wir legen Wert darauf, daß keinerlei Versuche unternommen werden zu zaubern. Wir wollen eine realistische Wirtschaftspolitik, wir wollen alle Bemühungen dareinsetzen, daß dieser geduldige, aber solide Weg, der letzthin zu einer Hebung des Wohlstandes führt, mit aller Energie gegangen wird. Es gilt hier, den Schwierigkeiten zu steuern, die gemütsmäßig dabei auftreten. Es kommt darauf an, daß man dem Tun all der Narren, die versuchen, bei dieser schwierigen Situation Deutschlands im Trüben zu fischen, wehrt, daß man den Gefahren, die aus dieser Verbitterung, dem Elend unseres Volkes und aus der Radikalisierung hervorgehen, begegnet, damit die Ruhe und Stetigkeit unserer ganzen Entwicklung gewahrt bleiben, um einen wahrhaft soliden Wirtschaftsaufbau herzustellen, der nicht von irgendwelchen Wunschvorstellungen und Illusionen getrieben wird, sondern der auf der Realität gesunden Wirtschaftens, d. h. der Schaffung neuer Werte aufbaut.
Ich glaube, wenn es uns so gelingt, nicht unsere gesamte wirtschaftliche Vorstellung einer Vollbeschäftigungskulisse bei schlechter Währung, Zwang und Mangellage zu opfern, sondern eine wahrhaft solide Arbeitsbeschaffung in die Wege zu leiten, daß wir damit dann gegenüber der östlichen Totalität den Beweis erbracht haben, daß aus dem Kern unseres abendländischen Denkens heraus eine Meisterung der großen sozialen Spannungen und Schwierigkeiten dieses Jahrhunderts möglich geworden ist, daß wir damit die große Anziehungskraft nach Osten ausüben und den Schutzwall unserer abendländischen Ordnung gegenüber dem neuen Nomos, der da drüben aufgestellt ist, begründen. Es handelt sich nicht darum, daß wir die materiellen Grund-
lagen unseres Daseins zur Steuerung der Not beschneiden. Es geht nicht darum, die letzten Ordnungen eines überkommenen Wirtschaftssystems zu zerstören und einzuebnen; es kommt vielmehr darauf an, daß man nicht verteilt, sondern daß man Neues schafft und daß man allen Menschen die Geborgenheit des Arbeitsplatzes und des Lebens verschafft, die für sie erforderlich ist, um in seelischer Gesundheit als Staatsbürger dem Gemeinwesen zu dienen.
Nichts ist leichter bei einer solchen Generaldebatte, als an der Außenpolitik der Regierung Kritik zu üben. Kaum ein Gebiet ist so der Kritik ausgesetzt und von jeher so als kritikwürdig betrachtet worden. Ich möchte mich hier einer näheren Stellungnahme enthalten und nur einige Grundsätze meiner politischen Freunde zum Ausdruck bringen.
Es wurde von Herrn Kollege Schoettle heute nach der außenpolitischen Konzeption gefragt. Ich glaube, daß diese außenpolitische Konzeption bei uns allen die gleiche sein wird.
Immerhin steht unter den geistigen Vätern dieser Bewegung der Deutschen Partei Constantin Frantz, dessen Schriften, wenn man sie heute noch einmal liest, bei manchem, was veraltet und verklungen ist — —
— Ich weiß, warum Sie warnen, Herr Professor. Ich habe ihn ziemlich ganz gelesen. Aber gerade das, was er auf diesem Gebiet des abendländischen Gedankens zu geben wußte, war eine bedeutende Vorausschau der Dinge. Es sind auch noch andere Traditionen, die auf diesem alten Gedanken beruhen, daß sich die europäischen Völker als Glied einer Familie fühlen, so wie das einmal in Zeiten vor der Reformation als eine Selbstverständlichkeit in Europa galt. Dieser guten Tradition, die noch in unseren Städten, in unserer Kunst, in unserem Geistesleben spürbar geblieben ist, wollen wir dienen. Denn ohne den geistigen Hintergrund, ohne das eigentlich Oberzeugende, was in den Dingen ist, läßt sich der Weg in die europäische Gemeinschaft nicht gehen.
Wir verkennen dabei nicht, daß eine ganze Reihe praktischer und realer Erkenntnisse diese geistige Linie ergänzen müssen. Ich glaube, daß man dann, wenn man zur Methodik dieser Diplomatie Stellung nehmen soll —, in dem Zustand der Suzeränität, in dem wir uns befinden, und bei der exzeptionellen Lage, in der sich unser ganzes Volk befindet, von neuartigen Gesichtspunkten ausgehen muß. Denn eine solche soziale Zerstörung, wie sie Deutschland erlebt hat, hat
es in Europa vielleicht noch nicht gegeben. Wenn man hier eine richtige Methode der Diplomatie entwickeln will, so wird man den Kern- und Schwerpunkt in den einfachen menschlichen Beziehungen finden müssen. Ich glaube, daß wir vielen Methoden der diplomatischen Technik, wie sie in der Vergangenheit üblich waren und wie sie das 18. Jahrhundert zu einer Perfektion entwickelt hat, nicht zu folgen vermögen und daß der außenpolitische Stil, der unseren Weg kennzeichnet, seitdem wir wieder zu einem Staatsgebilde heranzuwachsen uns bemühen, von diesen neuartigen Bedingungen sehr stark bestimmt sein muß und bestimmt ist.
Wir dürfen dabei auch die außerordentlich schwierige innerpolitische Situation in den Ländern, die uns umgeben, nicht verkennen. Denn nicht nur wir haben soziale Spannungen und Schwierigkeiten; auch die anderen Völker Europas und unsere Sieger haben unter den Folgen des Krieges auf das allerschwerste zu leiden. Ich glaube, daß nur die Selbstbeherrschung, die Selbstdisziplin und die große Tugend der Geduld uns zu Erfolgen führen kann.
Meine politischen Freunde und ich lehnen eine Politik der Illusionen ab. Es reift uns nichts zu. Gewiß, wir haben ein gewisses Gewicht der Bevölkerungszahl und der geographischen Lage nach. Aber das Leben ist immer Entscheidung, und in unserer gefährlichen Lage müssen insbesondere wir dessen eingedenk sein, daß uns nichts in den Schoß fällt. Es ist vollkommen richtig — und ich glaube, diese Ansicht wird von allen Fraktionen dieses Haues geteilt —, daß wir Grenzen setzen müssen, daß wir nicht bei einer Entwicklung mitmachen dürfen, die Deutschland als ein Volk minderen Rechtes in dieses Europa einzugliedern versuchte, also eine Schwindelkonstruktion dieses Europas darstellen würde. Eine europäische Gemeinschaft der Zusammenarbeit kann überhaupt nicht existieren, wenn man in diesem Jahrhundert mit seiner komplizierten technischen und sozialen Kultur den Versuch machen wollte, ein Volk minderen Rechtes — und das noch in der Mitte Europas — bestehen zu lassen. Es ist immerhin in der Mantelnote, mit der das Besatzungsstatut überreicht wurde, ausgeführt worden, daß es das Ziel der Besatzungspolitik ist, die Eingliederung dieses Volkes, und zwar des gesamten Deutschlands, in eine Gemeinschaft und Zusammenarbeit der europäischen Völker zu gegenseitigem Nutzen zu ermöglichen. Ich glaube, diese Eingliederung unter Schaffung der Voraussetzungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art ist die große deutsche Aufgabe und der Kernpunkt einer außenpolitischen Konzeption. Darin liegt das wahre Wesen der Verständigung. So kann und soll man den Weg der Bundesregierung begreifen. Jedenfalls kann das Hineinwachsen in Europa, in die europäische Gemeinschaft nicht nach der Methode des diplomatischen Geschäfts geschehen. Hier gibt es nichts ein- und auszuhandeln. Der historische Prozeß, der dahintersteht, ist weit tiefergreifend, weit schicksalhafter und schwerer, als daß man mit solchen Äußerlichkeiten etwas erreichen könnte. Es wird darauf ankommen, in der Zukunft einen gereiften Zustand im deutschen Volk hervorzurufen, eine wahrhafte, neue europäische Tradition aufzubauen und durch diese Vorbildlichkeit un-
seres politischen Ethos die Gefahren der Radikalisierung zu überwinden.
Meine Freunde und ich bekennen uns zur christlichen Freiheit und Menschenwürde als den beiden großen Grundpfeilern, die unser Gemeinschaftsleben im Abendlande tragen. Diese christliche Freiheit und Menschenwürde — ein Freiheitsbegriff, der nur aus dem Christentum heraus verständlich ist —
gilt es zu verteidigen, und dazu gehört die Toleranz.
Es ist heute hier ein böses Wort von einer Relation zwischen evangelischer und nationalsozialistischer Gesinnung gefallen. Ich glaube wohl nicht, daß der Herr Redner das in dieser massiven Weise gemeint hat. Aber ich möchte doch nochmals namens meiner politischen Freunde darauf hinweisen: Wenn wir zu all den Nöten und innerlichen Schwierigkeiten nun auch noch konfessionelle Gegensätze hinzufügen wollten, dann wären wir vollkommen wahnsinnig.
Es ist doch die große Leistung unseres Volkes — ich deutete es schon an —, daß wir diesen Gegensatz überwunden haben und damit eine Liberalität und Toleranz als Grundlage unseres Gemeinschaftswesens entwickelt haben, die wir gerade für die Zukunft und am Rande des totalitären Bereiches so dringend nötig haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, an und für sich ist das Haushaltsgesetz und der Haushaltsplan, der uns heute in dritter Lesung vorliegt, von verhältnismäßig geringer Bedeutung. Man kann sagen: die Zeit ist abgelaufen, und was wir für diese sechs Monate im Etat bewilligen, ist zum großen Teil ausgegeben, und deshalb ist es zwecklos, überhaupt noch über diese Fragen zu sprechen.
So denke ich nicht. Zunächst sind die Ansätze noch nicht alle ausgegeben, und es wird sich um sehr viele Ansätze drehen, über deren Bewilligung wir zu entscheiden haben, die noch ausgegeben werden müsssen. Auf der andern Seite aber sind diese Beratungen doch von grundlegendem Wert. Zunächst ist es der erste Etat des deutschen Bundes, den wir hier beraten. Was in diesem Erat, in seinem Haushaltsgesetz und in seinem Haushaltsplan, uns vorgelegt wird, das wird mehr oder weniger beispielhaft, traditionell für die Zukunft wirken, ganz abgesehen davon, daß es auch rein ziffernmäßig und ansatzmäßig der Ausgangspunkt für die weiteren Beratungen ist.
Auf der andern Seite aber wird die Gestaltung der deutschen Republik und auch des Deutschen Reiches, dessen Wiederkehr wir ja alle sehnsüchtig erhoffen, von diesem Ausgangspunkt stark bestimmt sein, zumal er in einem großen Gegensatz zu dem steht, was man im Hitlerreich als Etatgrundsätze gekannt hat.
Und nun der dritte Punkt, warum ich diese Beratung für sehr wertvoll halte: das ist die Tatsache, daß dieser Haushaltsplan das Muster für die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sein soll, dessen grundsätzliche Auffassungen und auch praktische Ausgestaltung sie sich mehr oder weniger zum Vorbild dienen lassen müssen.
Gestatten Sie mir nun, kurz an die Ausgangsüberlegungen dieses Voranschlages zu denken. Man hätte ja eigentlich diese Generaldebatte in der zweiten Lesung halten sollen, ehe wir uns ins einzelne vertieften. Es ist nun von dem Ältestenrat so beschlossen worden, und so müssen wir uns heute erst in der dritten Lesung mit der Generaldebatte begnügen.
Die Ausgangsüberlegungen für einen Staatsetat liegen zweifellos in den gesamten GebietsBevölkerungs-, Wirtschafts- und Finanzverhältnissen der Bundesrepublik. Von ihnen müssen wir mehr oder weniger ausgehen, um von dort aus die Gesichtspunkte der Beurteilung für den Etat und seine Ansätze überhaupt zu gewinnen. Und da stelle ich ganz kurz drei Gesichtspunkte fest.
Wir haben in Deutschland — das sind Allgemeinplätze, die man vielleicht gar nicht anzuführen brauchte; es ist aber wichtig, sich immer wieder an diese allgemeinen Voraussetzungen unserer ganzen Beratung zu erinnern — ein Westdeutschland und ein Ostdeutschland. Das Deutsche Reich, das ja früher die Grundlage für alle Etatsberatungen gegeben hat und auf das wir uns sicher auch oft wieder berufen, war ein einheitlicher Staat. Heute haben wir es mit zwei Staaten zu tun.
Was nun den zweiten Gesichtspunkt angeht, so ist es die Bevölkerung. Wir hatten im Jahre 1937 im Westen Deutschlands, im Gebiet der jetzigen Bundesrepublik, etwa 36 Millionen Menschen; heute wohnen dort 48 Millionen. Das ist also für die gesamte Wirtschafts- und Haushaltsgestaltung von ganz grundlegender Bedeutung.
Und drittens ist auch wieder eine Tatsache ins Gedächtnis zu rufen, die ja auch einen Allgemeinplatz darstellt. Das ist die ungeheure Zerstörung der wirtschaftlichen und wohnlichen Unterkunftsräume und Anlagen. Unsere ganze Haushaltsberatung könnte von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, wenn diese grundlegenden Bedingungen nicht gegeben wären.
Weiter kommt hinzu, daß wir eine Besatzung haben,
daß wir der Besatzungsmacht unterstehen. Auch dieser Gesichtspunkt ist für die Gestaltung des Haushaltsplanes von der allergrößten Bedeutung, ganz abgesehen von den besonderen Bestimmungen, die die Besatzungsmächte nun darüber erlassen haben.
Und endlich wird die Wirtschaftslage in dem gesamten Bundesstaat, in der gesamten Westrepublik ins Auge zu fassen sein. Wenn man objektiv sieht, so kann man wohl ohne Übertreibung sagen, daß die Wirtschaftslage im westdeutschen Bundesgebiet trostlos ist.
Ich zitiere im folgenden eine Zusammenstellung aus den allmonatlich erscheinenden „Monatsberichten der Bank deutscher Länder". Vielleicht gehen sie Ihnen allen zu und haben Sie
Gelegenheit, darin zu lesen. Ich möchte sie als wissenschaftlich ganz bedeutend hinstellen und immer wieder auf sie zurückkommen, weil wir hier die einzige Berichterstattung vor uns haben, die mit größter Weite und Tiefe und auch Objektivität geführt wird. Wenn wir nun diese Monatsberichte der Bank deutscher Länder zu Rate ziehen - ich habe hier zu meinen Ausführungen den Bericht, der am 15. Februar erschienen ist und für den Januar gilt; inzwischen ist ein neuer Bericht erschienen, den ich aber nicht heranziehen will —, so ist vor allen Dingen festzustellen, daß sich das Kreditvolumen der Banken Ende Januar auf 10,5 Milliarden DM beläuft. Meine Damen und Herren, das ist ein ungeheurer Posten. Das Kreditvolumen, die bereits hingegebenen Kredite, sind 10,5 Milliarden DM. Die Nettoverschuldung der Geschäftsbanken beim deutschen Zentralbankensystem belief sich am 31. Januar 1950 auf 2 770 Millionen DM. Das ist auch eine ungeheure Summe. Die Verzinsung steigt stetig. Bankenakzepte und bankgirierte Warenwechsel lagen, soweit überhaupt Umsätze zustande kamen; wieder inn 1/8 % über dem Zentralbankdiskont. Sätze für Tagesgeld streiften Ende Januar um den Zentralbankdiskont herum. Die Zinslage ist also äußerst angespannt. Die mittel- und langfristigen Kredite der Banken an die Nicht-Banken-Kundschaft stiegen im Dezember und im Januar ganz bedenklich. Wer mit dem Bankwesen irgend etwas zu tun hat, weiß genau, daß die Kreditanträge heute zu den größten Schmerzen der Banken gehören, weil sie sie nicht in vollem Ausmaß befriedigen können, wie sie gefordert werden, und weil sie der Kundschaft immer wieder Kreditgesuche ablehnen müssen, die sie viel lieber bewilligen würden. Die Kreditanspannung ist also ungeheuerlich.
Das Sparkapital in den Banken wächst nur langsam. Der Wertpapierumsatz ist äußerst gering. Die Verschuldung der Länder, zu denen wir ja jetzt zum Ausgleich unseres Voranschlags unsere Zuflucht nehmen müssen, war bereits Ende Dezember auf 590 Millionen DM gestiegen. Die Steuerbelastung ist trotz aller Bemühungen, eine Erleichterung herbeizuführen, noch ungeheuerlich. Sie belief sich für die Länder im Kalenderjahr 1949 auf 15 Milliarden DM. Das sind auch wieder die Ausgangspunkte für die Beurteilung der Etats der Länder und des Bundes. Die schwebenden Schulden, die dem Bundesminister in Höhe von 800 Millionen DM vor einigen Wochen von uns zugestanden worden sind, sind bereits - so schreiben wenigstens die Monatsberichte; und es wird ja stimmen, was da geschrieben steht - zu über zwei Dritteln, also zu etwa 600 Millionen DM, in Anspruch genommen, vielleicht noch weit höher, denn seit der Bericht geschrieben wurde, sind ja wieder 11/2 Monate vergangen.
Die Entwicklung der Industrieproduktion liegt großenteils noch weit hinter den Ziffern von 1936, wenn auch die Eisen- und Stahlerzeugung nahezu an die Jahresrate von 11,1 Millionen heranreicht. Westdeutschland wurde am 13. April 1949 ein Abkommen über verbotene und beschränkte Industrien zugebilligt. Die dort festgesetzte Summe ist bei der Industrieproduktion bereits erreicht. Im übrigen ist festzuhalten, daß die Industrieproduktion im 'Vergleich zu den Ziffern von 1936 noch sehr weit zurück ist.
In der Landwirtschaft ist die Lage mehr oder weniger trostlos geworden. Diese Trostlosigkeit zeigt sich heute noch nicht im vollen Ausmaß, aber die Liberalisierung des Handels, zu der wir aus anderen Gründen übergegangen sind und an der wir grundsätzlich vielleicht auch nicht vorbeikommen können, bedroht die Landwirtschaft in einem kaum zu übersehenden Ausmaß. Es wird der Weisheit und der Entschlußkraft dieses Hohen Hauses in den nächsten Wochen und Monaten ebenso wie der Entschlußkraft und der Voraussicht der Regierung bedürfen, um die schlimmsten Folgen für die Landwirtschaft abzuwenden.
Die Arbeitslosigkeit wächst trotz aller Bemühungen der Regierung, sie einzudämmen, bedenklich. Die Zahlen der letzten Wochen liegen mir nicht vor, ich glaube aber nicht, daß sich die Arbeitslosigkeit wesentlich verringert hat. Preise und Löhne haben sich keineswegs auf den Stand der Währung und auf die Kaufkraft der Bevölkerung eingespielt, noch weniger auf die Entwicklung des Weltmarktes. Die Preise und Löhne sind, je nach dem Gesichtspunkt, unter dem man sie sieht, zum Teil viel zu hoch, zum Teil zu niedrig. Der Außenhandel steht unter dem drohenden Zeichen einer Verschlechterung der Handelsbilanz und einer sich verschärfenden Passivität der Zahlungbilanz im auswärtigen Zahlungsverkehr. Das scheint mir überhaupt die schlechte Seite unserer ganzen wirtschaftlichen Bilanz zu sein, daß die Handelsbilanz wie auch die Zahlungsbilanz nicht zum Ausgleich kommen und daß auch noch keine Anzeichen vorhanden sind, -daß sie zum Ausgleich gebracht werden können. Wenn wir trotz aller Schwierigkeiten noch einige Hoffnungen in unserem Wirtschaftsleben haben, so sind es die ERP-Mittel, die Mittel des Marshallplans, die uns helfen. Ohne den Marshallplan ständen wir mitten in einem wirtschaftlichen Bankrott, und wenn wir uns diese Tatsache vor Augen stellen, meine Damen und Herren, dann werden wir uns mit aller Schärfe zu überlegen haben: was können wir denn ausgeben und was können wir in den Ansätzen unserer Etats überhaupt noch verantworten?
Unser Finanz- und Wirtschaftssystem beruht — Gott sei es geklagt - in einer unglaublichen Breite und Tiefe auf Kredit. Der Kreditwahn beherrscht alle Wirtschafts- und Finanzplanung in allen Kreisen der Wirtschafts- und Finanzbeflissenen. Wenn wir uns vor Augen halten, was wir im Bundestag an den verschiedensten Ausgaben bewilligt haben die Berlin-Hilfe, den Wohnungsbau oder was es auch sei —, so erkennen wir, daß mehr oder weniger alles auf die Erwartung gestellt wird, daß der notwendige Kredit aus der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden kann. Ob sich -die Hoffnungen jemals erfüllen, muß der Zukunft überlassen bleiben. Zweifellos — das darf man ohne Übertreibung sagen - tut der Finanzmann immer klug daran, die Dinge schwarz und nicht optimistisch zu sehen. Ich habe hier oft den Eindruck, daß man gerade von finanzieller Seite aus die Dinge viel zu rosig malt und sich selber Bilder vormacht, wie es scheinen könnte, wie es aber nicht wirklich ist. Wenn irgendwo der Ruf nach Realpolitik, nach realistischer Einstellung erhoben werden muß, so muß es im Staatsleben in bezug auf die Finanzen geschehen. Wir stehen in einer
schreckenerregenden Situation. Es bleibt uns nur eine Alternative: entweder geraten wir in die Inflation hinein, wenn wir die Kredite in dem Maße erweitern und zur Kreditpolitik in dem Maße fortschreiten, wie wir es seither getan haben, oder wir stehen vor einer vollständigen Wirtschaftskrise. Diese Alternative muß man sich als Finanzpolitiker immer vor Augen halten und muß sie auch vor allem im Auge haben, wenn wir hier Bewilligungen vornehmen. Wir haben gestern einmütig für das Wohnungsbauprogramm gestimmt, und es war erfreulich, daß das Hohe Haus einmal im großen und ganzen einig war; ich habe mich auch über den Schwung gefreut, der hinter diesen Beratungen stand, obgleich ich selber nicht gesprochen habe.
Aber man kann das doch machen; man kann doch — ich wünschte, es wäre mehr der Fall — dabei sein, ohne daß man spricht.
Wie sind die Dinge nun zu meistern? Nach meiner Ansicht nur durch deflatorische Maßnahmen, nur dadurch, daß wir zur größten Sparsamkeit zurückkehren, daß wir uns von jeder Steigerung unserer Ansprüche auf Konsumgüter und Genußmittel abkehren und daß wir überhaupt zu der früheren Stufe der Lebenseinfachheit und des Lebensgenusses zurückkehren. Davon wollen heute sehr viele Leute nichts wissen. Ich greife hier gar nicht einzelne Parteien heraus; ich weiß, daß einzelne Parteien vielfach in der gleichen Lage sind. Der Fortschritt ist das große Wort. Ich selbst bin auch ein Mann, der für den Fortschritt ist. Es muß aber alles mit Maß und Ziel gemacht werden. Wir müssen wissen, was schon so oft gesagt worden ist: wir haben den Krieg verloren und stehen vor einer vollständig zerrütteten Wirtschaft. Diese Auffassung müssen wir uns nicht nur im Staatsleben, sondern auch im persönlichen Leben und in den sozialen Besprechungen vor Augen halten.
Vor uns liegt nun der Etat. Was wir heute zu beraten haben, ist allerdings nur der kleinere Teil des Etats; es handelt sich um 27,5 Millionen. Wir wissen genau, daß sich die Ausgaben des Gesamtetats, die bereits vom Wirtschaftsrat in Frankfurt genehmigt worden sind, auf nahezu eine Milliarde belaufen und daß wir weiter noch einen Ergänzungsetat zu erwarten haben, der über 570 Millionen liegt, so daß die Gesamtbelastung, die wir dem deutschen Volk in diesem Wirtschaftsjahr zumuten, sich auf über anderthalb Milliarden beläuft. Daß wir das jetzt vom Bund aus nicht können, ist schon wiederholt erwähnt worden. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß gerade die Gegensätzlichkeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag auf der einen Seite und dem Bundesrat auf der anderen Seite dadurch entstanden ist, daß der Bundesrat die Fehlbeträge, wie man sie nun auch schätzen möge, aus den Länderetats zu leisten hat. Sie betragen nach meiner Auffassung, wie aus den vorgelegten Plänen hervorgeht, über 215 Millionen, während die Finanzminister der Länder nur bereit sind, etwas über 100 Millionen zu geben. Darüber ist ja schon mehr gesprochen worden, und ich will das nicht weiter vertiefen.
Man wird jedenfalls, wenn man sich diese Beträge insgesamt vor Augen hält und nicht bloß
diejenigen, um die es heute geht, zu der größten Sparsamkeit kommen müssen. Die Ziffern sind für jeden Volkswirt und für jeden Finanzmann, der sich ein ruhiges Urteil bewahrt hat, unverständlich und grotesk. Bei der Wirtschaftslage, die ich hier an Hand eines Monatsberichts der Bank deutscher Länder gekennzeichnet habe, sind sie nicht begreiflich. Es gehört ein unglaubliches Maß von Mut und vielleicht auch von Unbesorgtheit dazu, unter den geschilderten Verhältnissen überhaupt einen solchen Voranschlag vorzulegen. Ich will damit der Regierung keinen Vorwurf machen; aber ich erhebe trotzdem die Forderung, daß auf der ganzen Linie gespart wird und Abstriche gemacht werden. Es ist nicht eine besondere Vorliebe von mir, aus Sparsamkeitsgründen willkürlich Abstriche zu machen, sondern ich fordere diese Abstriche, weil unsere Wirtschaft in der Tat so gestellt ist, daß wir auf die Dauer die geforderten Beträge ja doch nicht aufbringen können.
Der Herr Finanzminister hat, soviel ich gelesen habe, vor kurzem in einem Interview gesagt, daß ihm der kommende Haushaltsplan große Sorgen mache, weil in Ausgabe nahezu 15 Milliarden stehen, während in Einnahme nur etwa 11 Milliarden — —.
Herr Abgeordneter Leuchtgens, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich selber um den besten Erfolg bringen, wenn Sie sich vom Mikrophon entfernen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— während nur 11 Milliarden als Deckungsmittel vorhanden sind; er bemühe sich, den Differenzbetrag von über 3 Milliarden durch „drastische Maßnahmen" — so hieß es in der Pressemeldung, wenn ich mich noch recht entsinne - aufzubringen. Sie hören also auch von einer andern, politisch vielleicht ganz unverdächtigen Stelle die Feststellung, daß wir in der größten Finanznot sind. Es hat wirklich keinen Sinn, sich mit hoffnungsvollen Redensarten und mit Begeisterung über diese Verhältnisse hinwegzuschwingen, wenn wir Realpolitik treiben wollen. Wir müssen vielmehr versuchen, daß wir in irgendeiner Form eine Besserung herbeiführen.
Die Wurzel alles Übels liegt nach meiner Ansicht - die politischen Parteien, die anderer Meinung sind, sollen mir das nicht übelnehmen — in dem Grundgesetz des Bonner Parlamentarischen Rats. Man hätte hier von vornherein der Bildung von Ländern in so großem Ausmaß entgegentreten sollen, und man müßte es heute noch tun. Wir können es auf die Dauer nicht ertragen, daß wir heute noch zwölf Länder haben, von denen jedes seinen Ministerpräsidenten und seine Minister hat, so daß die Gesamtzahl der Ministerpräsidenten und Minister sich annähernd wohl auf 120 oder 125 beläuft. Ich will mich auf diese Zahl nicht festlegen; aber annähernd wird es diese Zahl sein. Wenn ich als Finanzpolitiker auf die Bundespolitik entscheidenden Einfluß gehabt hätte, wie ich ihn nicht habe, wäre ich vor allen Dingen an die Frage der Verminderung der Zahl der deutschen Länder herangegangen. Ich habe das hier -schon
Deutscher Bundestag — 54. ,Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950. 2019
einmal gesagt. Wir haben zwölf Länder, die nicht leben und nicht sterben können, weil sie zu klein sind und weil die Steuerleistungen nicht so hoch sind, daß sie ihnen ein staatliches Eigenleben ermöglichen. Ich bitte die Regierung darum, daß sie in der nächsten Zeit, und zwar sobald wie möglich, an die Umgestaltung der deutschen Länder auf Grund des Artikels 29 der Verfassung herangeht, damit die Forderungen, die die Länder stellen, und die Finanzpolitik. die die Länder treiben, auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden.
Die Steuern und die Ausgaben, die wir hier im Bund haben, sind auf die Dauer auch zu hoch. Die Bundesverwaltung ist nach meiner Auffassung viel zu umfangreich. Ich ziehe zum Vergleich nicht die Zahlen vom alten Deutschen Reichstag, auch nicht die Zahlen von der Ministerpräsidentenkonferenz, die sich mit dieser Frage befaßt hat, auch nicht die Zahlen, die der Rechnungshof gegeben hat. heran. Heute morgen ist das schon einmal kurz berührt worden. Wenn man die ursprünglichen Zahlen mit den hier gegebenen Zahlen vergleicht, muß man sagen, daß unsere Bundesverwaltung, wie sie neuerdings gestaltet worden ist, aber auch so. wie sie in Frankfurt gestaltet war, aufgebläht ist. Wir haben zuviel Beamte; daran kann man nichts ändern. Der Herr Finanzminister wird wohl schon im kommenden Jahr, um überhaupt der Finanzmisere Herr werden zu können, den Verwaltungsapparat wesentlich einschränken müssen.
D Bei der Armut unseres Volkes, die wir draußen beim Bauernstand, beim Gewerbe, bei den Flüchtlingen und überall sonst sehen, ist die Übersetzung des Verwaltungs- und Beamtenapparats nicht tragbar. Wir müssen die- Aufgaben des Staates vermindern. Wir müssen seinen Aufgabenkreis verkleinern. Ich weiß, daß diejenigen, die von einer gelenkten und geleiteten Wirtschaft sprechen, diesen Gedanken nicht gerne hören; aber mangels der Deckungsmittel für einen solchen großen Apparat werden sie gezwungen, sich anders zu besinnen.
Eine weitere Feststellung, die wir treffen müssen, ist die, daß die Beamtenhierarchie in einem jeden Staat mehr oder weniger führend ist. In meinen Augen sind die Minister noch nicht einmal führend, sondern führend ist die Beamtenhierarchie, voran die Staatssekretäre.
Wir haben das nun festgestellt. Wir haben es erlebt, daß die Staatssekretäre mit ihren Plänen gekommen sind. Wer im Finanzausschuß dabeigewesen ist, hat bemerkt, daß selten die Minister kamen — sie kamen ja gelegentlich auch —, sondern meistens die Staatssekretäre erschienen.
Das soil auch kein Vorwurf sein, sondern ich will nur darauf hinweisen, daß es immer wieder die Beamtenhierarchie war, die die Einteilung in Referate und die einzelnen Beamtenstellen mit allem Nachdruck verteidigt hat. Wir haben die Überzeugung, daß das auf die Dauer nicht geht.
Wenn wir genügend Mittel hätten, könnten wir das ja befürworten; denn ich habe die Überzeugung, daß die Beamten in Deutschland sehr tüchtige Menschen sind.
So wie die deutschen Gewerbetreibenden, die deutschen Kaufleute, die deutschen Gelehrten tüchtige und gründliche Arbeiter sind, sind es auch die deutschen Beamten; aber sie denken immer zu sehr an das, was ihnen nun gerade am Herzen liegt. Es ist ihnen ja kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie den Beamtenapparat in dem Umfang erhalten wollen, in dem er nun einmal da ist. Wir wissen genau, mit welcher Hartnäckigkeit im einzelnen um besondere Positionen gekämpft worden ist. Ich will die Dinge aus dem Haushaltsausschuß hier nicht mehr weiter anführen, aber als Tatsache wird man hinnehmen müssen, -daß auch der Haushaltsausschuß oft zu nachgiebig und zu schwach gegenüber der führenden Beamtenbürokratie gewesen ist. In Zukunft wird für eine sparsamere Politik zu sorgen sein, und der Haushaltsausschuß wird dazu gezwungen sein, weil er auf der anderen Seite keine Deckungsmittel mehr hat.
Ich bekenne mich auch zu der Auffassung, die der Herr Kollege Dr. Nöll von der Nahmer gestern hier vorgetragen hat, auch im Staatshaushalt von den Einnahmen auszusgehen und nicht von den Ausgaben. Ich habe diese Theorie schon vor 30 Jahren im hessischen Landtag zu vertreten versucht. Ich weiß, daß sie sich nicht überall durchführen läßt. Es gibt auch zwangsläufige Ausgaben, die geleistet werden müssen, aber im großen und ganzen müssen die Einnahmemöglichkeiten, die sich ohne übertriebene Steuerbelastung ergeben, doch der Ausgangspunkt sein; denn es hat keinen Wert, eine Kuh, von der man Milch haben will. zu schlachten. Wenn wir die Wirtschaft allzu stark besteuern, dann gleichen wir Leuten, die das tun.
Wir müssen also diesen Forderungen, den hierarchisch aufgebauten Beamtenkörper immer mehr zu erweitern und dadurch die Staatsaufgaben und die Staatsausgaben zu vermehren, mit allem Nachdruck entgegentreten. Zu dieser Forderung kommen wir nicht aus politischen Gründen, sondern einfach deswegen, weil das im in teresse unseres Wirtschaftslebens erforderlich ist.
Um die Herrschaft der Bürokratie zu brechen und Einsparungen im Etat zu erzielen, muß man zunächst an unnütze Ministerien herangehen und ihre Beseitigung zu erreichen versuchen. Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen hier sagen, daß wir einen neuen Antrag vorbereitet haben, einen Antrag, in dem wir die alten Anträge zusammenzufassen versuchen. Es ist mir nicht gelungen, 10 Unterschriften zu bekommen.
Infolgedessen kann ich diesen Antrag nicht vorlegen, weil es dazu nach § 44, glaube ich, für die dritte Lesung 10 Unterschriften bedarf.
— Das mag sein, aber lassen Sie sich vielleicht
einmal von den Steuerzahlern eine andere Erklärung über diese Sache geben. Jedenfalls sind
eine große Anzahl von Anregungen, die in die-
sem Antrag enthalten sind - die übrigens auch zum Teil andere Parteien gegeben haben —, durchaus beachtenswert bei der Finanznot, in der wir nun einmal sind.
Ich habe also nur 5 Unterschriften bekommen und bekenne meinen Bankrott auf diesem Gebiet,
da ist nun gar nichts anderes zu sagen.
— Ja, wenn Sie, Herr Mellies, der Sie doch auch einen guten Einblick in den Etat haben, mit Ihren Freunden mitgeholfen hätten, hätte ich meine 10 Unterschriften bekommen. Sie haben das nicht getan. Sie haben es nicht getan, nicht etwa, weil Sie vielleicht im wesentlichen anderer Auffassung wären, sondern weil Sie die Unterschrift aus politischen Gründen nicht leisten wollen.
- Nun, es soll mich freuen, wenn ich mich geirrt habe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, obwohl ich den Antrag leider, wie ich schon sagte, nicht einreichen konnte, Ihnen doch ganz kurz sagen, worum es sich dabei dreht.
— Sie brauchen jetzt nicht „Um Gottes willen" zu sagen, Frau Kollegin Weber. Fürchten Sie nicht, daß ich sehr lange sprechen werde.
Fürchten Sie nicht, daß ich allgemeine Gegensätze hervorhebe. Natürlich werden Sie bei der CDU früher oder später zu derselben Auffassung kommen. Das ist mir so sicher wie die Tatsache, daß der Rhein da draußen fließt. Durch die Wirtschaftsentwicklung werden Ihnen von der CDU und den übrigen Regierungsparteien dieselben Forderungen aufgedrängt werden, weil auch Sie der Entwicklung der deutschen Wirtschaft, wie sie sich nun einmal aus verschiedenen Gründen in dieser Nachkriegszeit ergeben hat, nicht ausweichen können.
Zunächst haben wir, wie wir das schon bei der zweiten Lesung getan haben, die drei Ministerien und die dazu gehörigen Einzelpläne, das Ministerium für den Marshallplan, Einzelplan V, das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, Einzelplan XVI, und das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrats, Einzelplan XVII, zu streichen beabsichtigt.
- Dazu brauchen wir keine Unterschriften. Ich möchte aber ausdrücklich sagen, daß wir diesen Antrag in der dritten Lesung stellen wollten. Sie haben ihn ja bereits gestellt und werden ihn wohl auch in der dritten Lesung vorbringen. Da wird uns ja Gelegenheit gegeben sein, mitzustimmen. Wir tun das, Sie tun es nicht! Wenn ich den Antrag gestellt hätte, hätten Sie aus
parteipolitischer Opposition nicht mit mir gestimmt!
Wir wollen über diese Dinge heute nicht weiter reden; ich habe Ihnen das nur gesagt als meine Auffassung.
Für diese drei Ministerien wird ein Betrag von immerhin 7 916 000 Mark gefordert. Ich weiß ganz genau, daß diese Ausgaben nicht ohne weiteres beseitigt werden können, weil ja die Arbeiten zum Teil anderen Ministerien über-. wiesen werden müssen.
Von diesen rund 8 Millionen, die die drei Ministerien kosten, würde ein erheblicher Betrag zu sparen sein, wenn wir sie in andere Ministerien eingliedern würden. Ich will auf die Frage, wie das möglich ist oder wie das nicht möglich ist, nicht weiter eingehen; darüber ist ja schon soviel gesprochen worden, und ich will auch das Haus nicht weiter damit aufhalten.
Was die persönlichen Verwaltungsausgaben betrifft, so möchte ich auch wieder hervorheben, daß wir die Bezüge des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, der Minister und auch die der Staatssekretäre, die ja nicht viel darunter liegen, für viel zu hoch halten.
Ich will die Dinge nicht im einzelnen wiederholen, denn diese Anträge lagen ja in der zweiten Beratung vor. Ich will nur nochmals darauf hinweisen, daß der Bundespräsident 50 000 Mark bezieht. Wir glauben, daß er mit 36 000 Mark auch auskäme. Der Bundeskanzler bekommt 45 000 Mark. Wir sind der Meinung, daß er mit 30 000 Mark auskäme.
Die Minister, die 36 000 Mark Jahresgehalt haben, müssen auch mit 24 000 Mark auskommen. Das ist immerhin ein sehr schönes Gehalt. Ich bin nicht der Meinung, daß sich die Bedeutung eines Menschen lediglich danach bemißt, welches Gehalt er bezieht, obgleich man das bei einer Beamtenhierarchie ja auch im Gehalt zum Ausdruck bringen muß. Die Staatssekretäre kriegen 26 500 Mark.
Dieses Gehalt kann natürlich auch nicht so hoch bleiben, wenn die Ministergehälter heruntergesetzt werden.
Im übrigen kommen dann noch die Aufwandsgelder hinzu, für den Bundespräsidenten von 100 000 Mark bzw. 50 000 Mark. Ich bin der Meinung, daß diese Beträge auf 60 000 bzw. 30 000 Mark gekürzt werden können. Ferner kommen die Dienstaufwandsentschädigungen hinzu. Sie belaufen sich in den acht Ministerien, deren Etat uns hier vorliegt — fünf der Ministerien werden in unserem Voranschlag ja gar nicht behandelt, da deren Etats auf den Bewilligungen in Frankfurt beruhen —, auf eine Summe von 497 000 Mark. Also beinahe eine halbe Million geben wir allein für Dienstaufwandsentschädigungen aus. Wir sind der Meinung, daß diese
Dienstaufwandsentschädigungen, wie es unser
Antrag verlangte, unbedingt wegfallen müßten.
- Hindenburg ist ja nicht mehr da.
Ich bin schon der Auffassung, daß das ein überholtes Problem ist: damit brauchen wir uns heute nicht zu beschäftigen.
Für die acht Ministerien, deren Etat wir hier zu beraten haben, sind nicht weniger als 1613 Beamten-, Angestellten- und Arbeiterstellen vorgesehen.
Wir würden, wenn ich meinen Antrag hätte einbringen können, nach wie vor vorgeschlagen haben, 20 % dieser Stellen zu streichen.
Dann wären es immer noch genug und immer noch mehr, als früher vorgeschlagen worden sind. Die Gesamtausgaben, die persönlichen Verwaltungskosten allein für diese acht Ministerien betragen 6 235 600 Mark. Rechnen Sie davon einen Betrag von 20 % ab, dann ergibt sich nicht nur eine Einsparung von 1,5 Millionen Mark, sondern dann haben wir überhaupt wesentlich weniger Ausgaben.
Nun kommen die sächlichen Verwaltungsausgaben. Hier, meine Damen und Herren, wimmelt es nun geradezu von unmöglichen Ausgaben. Da haben wir zunächst die Geschäftsbedürfnisse der einzelnen Ministerien, die sich insgesamt auf 616 700 Mark belaufen. Wir wissen aus dem Haushaltsausschuß, daß die Ansätze für diese Geschäftsbedürfnisse vielfach übersteigert sind und daß wir gut ein Drittel davon abstreichen könnten, ohne daß irgendwelche Not einträte.
Für Unterhaltung und Ergänzung der Geräte und Ausstattungsgegenstände in den Diensträumen — es handelt sich jeweils um den Tit. 12 des Kap. 1, da kann es jeder nachlesen — sind allein 118 000 Mark angefordert. Auch hier würde eine dreißigprozentige Kürzung durchaus möglich sein, ohne den Dienstbetrieb irgendwie zu beeinträchtigen.
Dann die Beträge für Anschaffung von Büchern. Wir haben schon oft genug darüber gesprochen,
daß wir nicht in jedem Ministerium und in jeder Dienststelle eine große Bibliothek brauchen, sondern daß man das zusammenfassen könnte. Es dreht sich hier um einen Betrag von 150 000 Mark, die in den einzelnen Stellen, die durchaus verstreut liegen, allein für Bücher ausgegeben werden sollen. Ich glaube, es wäre für manchen Beamten hier und da ganz gut, wenn er einmal einen Spaziergang machte, wenn er
einmal durch die Luft ginge, wenn er in die Bibliothek gehen muß, falls er dort gerade mal etwas braucht.
Er muß ja nicht immer gleich ein Buch zur Hand haben.
— Einige Herren werden sie brauchen, die gehen
dann eben zur Hauptbibliothek; das weiß ich ja.
Für die Unterhaltung der Dienstgebäude sind hier, obgleich es sich im wesentlichen um neue Dienstgebäude handelt, 170 500 Mark angesetzt. Auch hier wäre eine Streichung von 30 % durchaus zu rechtfertigen.
Die Beträge, die für Bewirtschaftung von Dienstgrundstücken und Diensträumen in Tit. 16 des Kap. 1 vorgesehen sind, belaufen sich auf insgesamt 415 000 Mark. Auch hier wäre eine Kürzung um 30 % angebracht.
Über die Zahl der Kraftwagen haben wir auch schon mehrfach gesprochen. Es sind hier insgesamt 55 angefordert. Ich glaube, daß man diese Zahl ganz gut um 15 vermindern könnte; dann hätte man immer noch 40, und die würden es auch tun.
Ich will mich mit diesen etwas banalen Feststellungen begnügen und die Dinge nicht im einzelnen nachzuweisen versuchen. Das würde Sie viel zulange aufhalten und Ihre Geduld noch mehr reizen, als ich das sowieso schon tue.
Dann haben wir hier noch die Verfügungssummen, deren Gesamtansatz sich auf 526 800 Mark beläuft. Auch diese Aufwendungen wären nach unserer Meinung nicht nötig.
Meine Damen und Herren! Ich bin am Ende meiner Ausführungen.
Gestatten Sie mir aber, noch ein paar Worte
.über unsere Innen- und Außenpolitik zu sagen,
und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil das heute von einzelnen Rednern schon mehr oder weniger zum Gegenstand ihrer Ausführungen gemacht worden ist.
Zur Innenpolitik habe ich nicht sehr viel zu sagen. Nur dies eine: wir wollen in den Am-tern und Ministerien ein sparsames, einfaches Leben zu führen versuchen und damit den anderen, nachgeordneten Dienststellen beweisen, wie man's auch gut machen kann.
Dann würde es notwendig sein, auch in dem Hohen Hause hier, was seine Ausschüsse angeht, Ordnung zu schaffen. Denn, wie die Dinge heute sind - ich habe schon mal darüber gesprochen —, kommen wir mit den ungeheuer vielen und großen Ausschüssen in der sachlichen Beratung nicht weiter.
- Ja, ich möchte auch dabei sein. Wenn soviele
dabei sind, wird es auch nicht darauf ankom-
men, wenn ich auch noch dabei bin. Ich könnte wahrscheinlich auch meinen Anteil — ohne mich rühmen zu wollen — zu den allgemeinen Beratungen beitragen, wenn ich erst Mitglied wäre. Ich bin es ja nicht. Ich glaube also, daß wir in diesem Punkt noch sehr fruchtbare Arbeit leisten können. Ich freue mich. daß ich mich hier in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundeskanzler befinde, der ja in einem kurzen Presseinterview auf dieselben Übelstände hingewiesen hat, daß wir 39 Ausschüsse oder — mit Unterausschüssen — 60 Ausschüsse haben und daß diese in der großen Zahl gar nicht die ersprießliche Arbeit leisten können, die notwendig wäre.
Was nun die Außenpolitik angeht, so lassen Sie mich darüber auch nur ganz kurz einiges sagen. Ich weiß, daß man sich heute in unserer Außenpolitik — sowohl in der Presse als auch im Parlament und in Privatunterhaltungen — sehr stark über zwei Dinge unterhält: das ist die Verständigung mit Frankreich, und das ist der Beitritt zum Europarat. Wir haben hier schon einmal darüber gesprochen. Es ist nun ein merkwürdiger Doktrinarismus in Deutschland, daß man sich unbedingt an diese zwei Dinge hält, weil man glaubt, wir könnten uns aus unserer Isolierung und aus unserer Armut und aus dem Mißtrauen, das man uns entgegenbringt, nur über diesen Weg retten. Ich bin der Meinung, daß man das tun soll. Ich gehöre auch zu den Anhängern dieser Theorie, und ich habe von Anfang an zu den Anhängern einer westeuropäischen Union gehört. Da man uns aber so, wie man das seither getan hat, behandelt, indem man uns die Saarkonvention aufgedrängt hat, müssen wir aus Gründen der Selbstachtung zunächst die Verhandlungen über eine Verständigung mit Frankreich einstellen.
Der Herr Bundeskanzler hat ja bereits zu der Frage Stellung genommen. Die Regierung hat auch in einem Weißbuch die ganzen Dinge klargelegt, wie sie sich in der Saarkonvention darstellen. Solange Frankreich uns diese Demütigungen zumutet, solange es uns ein Stück Land an der Westgrenze vom Leibe reißt — denn etwas anderes ist es ja nicht —, so lange können wir keine Verständigungsverhandlungen führen. Es würde unserer nationalen Würde widersprechen. Ich glaube, ich bin hier mit dem ganzen Hause einmütig, wenn ich das sage, daß wir nun nicht um eine Verständigung mit Frankreich buhlen sollten. Solange Frankreich von sich aus nicht die Einsicht hat, daß es unsere alten Grenzen schonen muß, daß das Saargebiet ein deutsches Land ist und nicht zu Frankreich gehört, so lange müssen wir jede Verständigungsverhandlung ablehnen.
Glauben Sie nicht, daß der Hinweis darauf zutrifft, daß nun der Friedensvertrag andere Verhältnisse, daß der Friedensvertrag uns das, was wir erhoffen, bringen würde. Ich habe die Überzeugung, die der Herr Bundeskanzler auch ausgesprochen hat, daß die Dinge, wenn sie sich einmal im Saargebiet eingespielt haben, auch durch einen Friedensvertrag nicht mehr beseitigt werden. Fangen wir also beizeiten an und sagen wir: wir verhandeln nicht mehr über eine Verständigung mit Frankreich, solange die Saarkonvention nicht zurückgezogen ist!
Dasselbe gilt auch für die Europa-Union. Auch hier wollen wir, wenn es möglich ist, die Dinge in der Richtung gestalten. Aber solange man uns mit der Saarkonvention kommt, so lange müssen wir sagen: Das machen wir aus Gründen dei Selbstachtung nicht mit! Man kann sich über Winston Churchill freuen, der immer wieder und nun erneut die Forderung stellt, Deutschland muß mit den Weststaaten gleichberechtigt werden und zwischen Frankreich, England und Deutschland muß eine Verständigung herbeigeführt werden. Ich bin dem Staatsmann, der meine volle Hochachtung als Staatsmann genießt, dankbar, daß er das Problem immer wieder in dieser Richtung aufreißt. Ich bin aber auch der Meinung, daß wir, solange wir die Saarkonvention haben, auch Winston Churchill gegenüber sagen müssen: Sorgt dafür, daß erst diese Vergewaltigung im Saarland abgeschafft wird, dann wollen wir uns auch wieder zu Gesprächen zusammenfinden!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rische.
Meine Damen und Herren! Unsere Stellung zum Haushalt
- Sie haben recht — wird bestimmt durch den reaktionären Charakter der Adenauer-Regierung. Über diesen reaktionären Charakter der Adenauer-Regierung haben wir von dieser Stelle aus sehr oft und ausführlich gesprochen. Es ist eine Regierung, die die Interessen des Volkes mißachtet, eine Regierung, die bisher keinesfalls den Beweis geliefert hat und auch nicht liefern wird, daß sie den wirklichen sozialen Belangen der werktätigen Menschen in Westdeutschland in irgendeiner Form gerecht werden will.
Zur gegenwärtigen Etatdebatte kann man sagen, daß bei seiner Natur .selbstverständlich die Personalpolitik der Regierung weit im Vordergrund stehen mußte. Ich möchte hinzufügen, daß wir Kommunisten von vornherein keinerlei Illusionen über die Errichtung der Bonner Verwaltungsstellen hatten, über die Personalpolitik der Regierung und auch über den Grundcharakter der von dem Herrn Bundeskanzler geführten Politik der Gewinnung von besonderen Personen für seine Verwaltungsstellen. Vor der Bildung der Bundesregierung hat einmal der Herr Bundeskanzler meinem Fraktionskollegen Renner im Düsseldorfer Landtag auf die Frage: Werden Sie, Herr Bundeskanzler, linkseingestellte und SPD-Beamte in die Bonner Verwaltung einstellen? – folgendes erklärt: Wozu, Herr Renner, haben wir denn gesiegt?
Das, meine Damen und Herren, ist der Charakter der Personalpolitik der gegenwärtigen Regierung.
Diese Personalpolitik dient seit jeher in den Demokratien des kapitalistischen Westens zur rücksichtslosen Durchsetzung volksfeindlicher Maßnahmen. Sie schafft ein geeignetes Verwaltungsinstrument in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Volkes.
Aus der ehemals für Bonn vorgesehenen Zahl von 3000 Bediensteten — das wurde damals der Öffentlichkeit immer wieder aus Agitationsgründen vorerzählt — sind unterdessen bereits 6000 Bedienstete geworden. Und diese Entwicklung geht munter weitere. Kein Wunder, wenn die Regierung aus Gründen der Koalition, eben weil sie auf so schwachen Füßen steht und stand, gleich 14 Ministerien bilden mußte, die nun auch ihre Daseinsberechtigung durch eine entsprechende Auffüllung ihrer Ministerien mit Bediensteten unter Beweis stellen wollen. Der geduldige Steuerzahler in Westdeutschland muß selbstverständlich alles zahlen.
Wir Kommunisten stellen aber nun die Frage an die Regierung: Wo bleibt des Versprechen in der Regierungserklärung, größte Sparsamkeit bei der EL der Regierungsstellen in Bonn zu üben? Ich stelle diese Frage und will sie gleich beantworten, weil die Regierung doch schweigen wird. Dieses Versprechen ist seitens der Adenauer-Regierung, wie in so vielen anderen Fragen ihrer Politik, nicht eingehalten worden.
Der gegenwärtige Bundeshaushalt und der kommende Übergangsetat umfassen einen Gesamtbetrag von rund 1,5 Milliarden DM. Das ist, wenn Sie wollen, erst der erste Abschlag, wie man im Ruhrgebiet sagt. Es gibt aber schon angesichts dieser Summe, wie Sie alle wissen, in der Öffentlichkeit eine starke Kritik. Die Menschen kritisieren mit Recht das Anschwellen der Bonner Regierungsbürokratie. Eigentümlicherweise geschieht diese Aufblähung der Bürokratie gerade von jenen Parteien und ihren Ministern, die im Wahlkampf so laut gegen die Verbürokratisierung des Lebens in Westdeutschland wetterten und einen radikalen Abbau der Bürokratie an allen Fronten forderten. Mit Erstaunen werden jedoch die gequälten Staatsbürger Westdeutschlands in den nächsten Wochen, wenn sie die volle Rechnung für Bonn und die Bonner Politik offengelegt bekommen, feststellen, daß Bonn ein Faß ohne Boden ist.
Im Bundeshaushalt 1950 wird, wie man vernehmen kann, eine Etatsumme von 11 bis 12 Milliarden zu Buche stehen, eine unerhört hohe Summe, die man letzten Endes aus den Groschen der Steuerzahler, insbesondere selbstverständlich der Werktätigen, aufbringen wird. Schon heute geistert in den Büchern des Herrn Finanzministers ein, wie man sagt, Fehlbetrag von rund 4 Milliarden DM herum. Das ist fast der Betrag, der im kommenden Etatsjahr 1950 von der westdeutschen Bevölkerung an Besatzungskosten zur Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft der Hohen Kommission, einer Institution der amerikanischen Monopole, aufgebracht werden soll. Nichts hat man heute in den Reden von der Sozialdemokratischen Partei und auch in den Reden der anderen Fraktionen über diesen großen und größten Etatposten in Westdeutschland gehört. Hier ist ein bemerkenswertes Schweigen festzustellen gewesen.
Um den mit Sicherheit zu erwartenden Ausfall zu decken, hat man schon seitens der Regierung erwogen, die Lebensmittelsubventionen im Sommer auslaufen zú lassen. Das bedeute eine erneute erhebliche Belastung der Verbraucher, die noch nichts und gar nichts von der so oft verkündeten „sozialen Marktwirtschaft" der Adenauer-Regierung verspürt haben. Dies ist die Politik aller kapitalistischen Staaten, aller kapitalistischen Demokratien, wenn Finanzschwierigkeiten im Budget auftreten, sofort daran zu denken, die Sozialausgaben zu kürzen, um den Ausgleich auf Kosten der Werktätigen herbeizuführen.
Meine Damen und Herren! Wir Kommunisten haben bereits unsere grundsätzlichen Bedenken gegen die einzelnen Etats der Minister, die in den vergangenen Tagen zur Debatte standen, in aller Ausführlichkeit von dieser Stelle aus bekanntgegeben. Interessant war dabei, daß diese Regierung, insbesondere auch der Herr Vizekanzler, uns die Antwort schuldig geblieben ist. Die Antwort blieb uns auch Herr Kaiser schuldig, der vom Herrn Bundeskanzler abgehalten wurde, von dieser Stelle aus entsprechend der Devise „Freiheit der Persönlichkeit und Freiheit des Wortes" Stellung zu der
Kritik an seinem Etat zu nehmen.
Wir haben zur dritten Lesung noch eine Reihe grundsätzlicher Anträge gestellt. Das Haus kann also erneut beweisen, welche Haltung es den Forderungen der Werktätigen gegenüber einnimmt. Das gilt auch für die sozialdemokratische Fraktion, für eine Fraktion, die draußen bei den Massen immer wieder betont, daß sie in Bonn eine starke Opposition gegen die Politik der Regierung durchführe. Aber wenn es sich um die Zustimmung zu kommunistischen Anträgen handelt, dann bezieht sie aus ihrer tiefen, unverständlichen Abneigung gegen die Kommunisten eine Stellung gegen das werktätige Volk.
Die Adenauer-Regierung hat nun sieben Monate des „Regierens" hinter sich, in denen sie hätte beweisen können, wie sie die von ihr in der Regierungserklärung gegebenen Versprechungen in der Praxis des Lebens durchzusetzen versteht. Ich sage: in der Praxis des Lebens, und zwar auch darum, weil ich auch heute wieder von so vielen Rednern so viele schöne Worte über den Status der jungen Demokratie in Westdeutschland hörte. Worte, die immer wieder zwar von der Bundesregierung sprachen, aber das Wort Deutschland, Gesamtdeutschland, wie in vielen anderen Fragen sehr wohl zu verschweigen verstanden.
Meine Damen und Herren! Es ist darum an der Zeit, einmal eine Bilanz der Tätigkeit dieser Regierung zu geben, eine Bilanz, die auf den Realitäten des Lebens beruht. Hier nutzen nicht die schönen Worte, die wir beispielsweise vom Kollegen Merkatz hörten, die an einen bestimmten aufgeklärten Absolutismus erinnerten; hier ist auch nicht viel getan mit der schwärmerischen Rhetorik des Herrn Schäfer.
Um welche Versprechungen handelt es sich? In der Regierungserklärung hieß es klipp und klar: ..Auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik werden wir die in Frankfurt so erfolgreich eingeschlagene Richtung weiter verfolgen." Schon zur Zeit der Frankfurter Wirtschaftspolitik gab es im Volke eine starke Opposition, ja ein starkes Aufbegehren gegen diese angeblich erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die zum Generalstreik führte. Diese Frank-
furter Wirtschaftspolitik ist auf immer verbunden beispielsweise mit der lächerlichen Komödie der damaligen Untersuchung der Speisekammern; sie ist aber auch verbunden mit der von deutschen Kräften unterstützten Durchführung der separaten Währungsreform. Sie ist auch auf das innigste verbunden mit der Politik des Marshallplans.
Das Ergebnis dieser Politik von Frankfurt und Bonn läßt sich heute an einigen Tatsachen schlagend beweisen und zusammenfassen.
Immer neue Industriezweige werden heute in Westdeutschland von Krisenerscheinungen erfaßt. Es besteht — das stelle man sich vor! — in Westdeutschland heute schon ein Absatzmangel in einigen Industriezweigen, obwohl wir nach wie vor unter den besonderen Ereignissen der NachkriegsWirtschaftsentwicklung stehen. Wir müssen schon wieder feststellen, daß dieser Absatzmangel eine Folge der mangelnden Kaufkraft der werktätigen Menschen ist.
Teilweise ist auch die starke Produktionsausweitung in vielen Wirtschaftszweigen, die seit der Währungsreform festzustellen war, längst einer Stagnation gewichen. Ich habe noch die Sondermeldung genau im Gedächtnis, die das Organ der britischen Militärregierung „Die Welt" brachte, als sie verkünden konnte: Produktionsstand des Jahres 1936 in Westdeutschland erreicht. Seit diese Sondermeldung in der Zeitung der britischen Besatzungsbehörden veröffentlicht wurde. ist es allerdings mit den Indexmeldungen in Westdeutschland ein klein wenig ruhiger geworden. Ich will gar nicht daran erinnern, daß sich auch die Statistiker der einzelnen Ämter allerhand Kunststückchen erlaubt haben, um den werktätigen Menschen in Westdeutschland immer wieder nachzuweisen, daß sich ihr Lebensstandard in den letzten Wochen doch um einige Punkte verbessert habe. Wenn man von der Produktion ausgeht, dann zeigt sich heute schon an vielen Punkten der Industrie ein ernstes Zurückweichen. Gewiß gibt es Schwankungen. Im wesentlichen muß aber festgestellt werden. daß es nicht einmal, obwohl große Möglichkeiten für Westdeutschland gegeben sind — hier ist der Kern der Industrie —, gelungen ist. die Produktionsleistung des Jahres 193g zu erreichen, sondern daß die Produktion zurückgeht.
Infolgedessen ist es auch kein Wunder, daß heute die Millionenarmee der Arbeitslosen und Kurzarbeiter in Westdeutschland maßgeblich auf den ganzen Wirtschaftsvorgang drückt. Diese Millionenarmee der Arbeitslosen und Kurzarbeiter ist sozusagen das Symbol der Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Sie ist einfach aus der Wirtschaftspolitik der Adenauer-Regierung nicht fortzudenken. Dabei ergeben sich dann die eigentümlichen Nachrichten über den jeweiligen Stand der Arbeitslosigkeit. Der Herr Arbeitsminister Storch hat sich immer wieder darin gefallen, zu den verschiedensten Anlässen — schon im vergangenen Jahr — zu betonen: Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit ist erreicht. Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Abklingen, erklärte er mehr als einmal. Das gleiche hat er auch wieder vor einigen Tagen getan, und wieder einmal — zum wievielten Male wohl schon? — hat er erklärt: der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit ist überschritten. Diese Meldung über die Äußerung des Herrn Arbeitsministers wurde bezeichnenderweise mit einer Stellungnahme eines hohen Beamten der Hohen Kommission wiedergegeben, der erklärte, der Arbeitslosenrückgang sei nur saisonbedingt.
Meine Damen und Herren! Beim Studium der Dokumente der Regierung, deren gibt es Gott sei Dank schon eine ganze Reihe, muß man doch feststellen, daß diese Regierung selbst der Öffentlichkeit gegenüber erklärt hat, daß die Arbeitslosigkeit eine Dauererscheinung in der westdeutschen Wirtschaft sein wird. Diese Dauerarbeitslosigkeit wird vielfach auch von einigen „Wirtschaftstheoretikern" der rechten Seite des Hauses als ein sogenannter „Gesundungsprozeß der Wirtschaft" dargestellt.
— Ja, das kommt gelegentlich auch vor. Der Herr Wirtschaftsminister ist immer sehr bereit, von solchen „Gesundungs"-Prozessen zur Sanierung der kapitalistischen Profitwirtschaft zu sprechen.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort auch zur Lage der Bauernschaft. Dank der Liberalisation des Herrn Vizekanzlers und ERP-Marshall-„Rückwärts" ist es praktisch heute zu einer außerordentlich schwierigen Lage der bäuerlichen Bevölkerung gekommen.
Dies äußert sich darin, daß vielerorts die Bauern nicht einmal mehr in der Lage sind, ihre Saat, die jetzt in die Erde gehört, aus den normalen Betriebsergebnissen ihrer Arbeit, ihres bäuerlichen Anwesens zu bezahlen. Die Soforthilfeabgabe hat außerdem eine unerhörte Empörung bei den Bauern hervorgerufen, weil diese sich naturgemäß nicht gegen diese Soforthilfeabgaben wehren können, während die Vertreter der großen Gesellschaften, die gleich ein Dutzend Syndizi zur Verfügung haben, Stundungsanträge stellten, denen die Behörden auch jederzeit stattgegeben haben. Im Zuge der Liberalisierung, besser gesagt: Kolonialisierung der westdeutschen Wirtschaft, ergibt es sich, daß die Landwirtschaft heute in dem armen Westdeutschland schon eine „Überproduktion" an Getreide, Fleisch und Gemüse besitzt, die nicht abzusetzen ist. Dieser Widerspruch. dieser Widersinn muß doch geradezu auf alle Manschen wie ein Hammerschlag wirken. Er muß bei allen Menschen geradezu die Frage hervorrufen : wie ist es möglich, daß heute in Westdeutschland heim Vorhandensein noch großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten, ia beim Vorhandensein des effektiven Hungers noch hei vielen Menschen die eigene Landwirtschaft ihre Produkte nicht mehr loswerden kann? Das ist auch ein „Erfolg" der Wirtschaftspolitik dieser Regierung. die mit den Interessen des deutschen Volkes nichts gemein hat.
Die vollen Schaufenster in Westdeutschland sind auch nur der Schein einer Prosperität: denn dahinter versteckt sich und dahinter steht der Pump und die Verschuldung. Diese Verschuldung hat heute bereits einen Grad ereicht daß keiner mehr davon zu sprechen vermag, daß die westdeutschen Regierungsbehörden in irgendeiner Form auch nur einen Deut der Selbständigkeit — die sie ja nie hatten — zu beanspruchen vermögen. Diese Verschuldung wird sich in Zukunft als ein Faustpfand iener Regierungen erweisen. die mit den deutschen Menschen. mit dem deutschen Territorium und mit dar deutschen Industrie gegen die fortschrittlichen Völker Politik machen wollen.
Dies ist in kurzen Zügen eine Bilanz der, wie Sie sagen, erfolgreichen Fortsetzung dar Frankfurter Wirtschaftspolitik. die sich auch fälschlicherweise „soziale Marktwirtschaft" nennt. Vielfach
wurde von seiten der Rechtsparteien erklärt, diese „soziale Marktwirtschaft" oder Politik aus „christlicher Verantwortung" diene dazu, ruhige wirtschaftliche und politische Verhältnisse in Westdeutschland zu schaffen. Was ist aber in Wirklichkeit eingetreten? In der Regierungserklärung heißt es bespielsweise über die Demontagen, die nach wie vor die Menschen in Westdeutschland aufwühlen, die nach wie vor an das Weltgewissen appellieren und den nationalen Notstand zeigen:
Die Demontagefrage ist auch eine Frage von
großer psychologischer Bedeutung. Man ver-
steht in weiten Kreisen des Volkes nicht, daß
man mit der einen Hand ihm wirtschaftliche
Hilfe gibt und mit der anderen Hand wirtschaftliche Werte zerstört.
Gut und schön, meine Damen und Herren! Das ist aber nur die eine Seite. In Wirklichkeit ist es doch so, daß die deutschen Menschen an den verschiedensten Punkten heute einen wirklichen Verzweiflungskampf um die Erhaltung ihrer Produktionsstätten führen müssen. In achtzehn Betrieben im Bundesgebiet wird zur Zeit demontiert, obwohl einige Betriebe gemäß dem Petersberger Abkommen mit der Bundesregierung von der Demontage
ausgenommen sind. Ich erinnere hier an die Demontage bei Thyssen in Duisburg, wo die Feinblechwalzenstraße 3 zur Zeit abgebaut wird. obwohl es in einem Abkommen mit der Bundesregierung heißt, daß alle Demontagen in Duisburg unterbleiben. Ferner wird in Essen demontiert, wo über 4500 Kruppianer zur Zeit der Arbeitslosigkeit entgegengehen.
Aber das größte Drama unserer Zeit ist zweifellos der Kampf der Werktätigen der ehemaligen Reichswerke in Watenstedt-Salzgitter um die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes. Die dramatischen Vorgänge in Watenstedt-Salzgitter haben uns — zum wievielten Male? — bewiesen, wo die Feinde des deutschen Volkes stehen, welche Politik die imperialistischen Feinde des deutschen Volkes durchführen. Nur weil die Betriebe der ehemaligen Reichswerke wenige Kilometer von der Zonengrenze entfernt liegen, werden sie auf Befehl der britischen Besatzungsmächte im „Kalten Krieg" rücksichtslos in die Luft gesprengt. In WatenstedtSalzgitter haben sich Verzweiflungszenen der um ihren Arbeitsplatz kämpfenden Menschen abgespielt. Was aber tat die Bundesregierung? Sie sehi ckte. wie wir wissen, ihren Arbeitsminister nach Watenstedt-Salzgitter, um dort die Situation einmal zu prüfen. Er kommt nach Bonn zurück und erklärt der Regierung: Die Unruhen in WatenstedtSalzgitter sind darauf zurückzuführen, daß zweihundert in der Deutschen Demokratischen Republik ausgebildete Agenten dort unter den Arbeitern Unruhe stiften.
Mit einer solchen wirklich lächerlichen Erklärung kann der Herr Bundesarbeitsminister doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Menschen in Watenstedt-Salzgitter wirklich um die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes kämpfen. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, worum es dort geht. Es geht darum, daß man im „Kalten Krieg" einen Betrieb demontiert und in die Luft sprengt, der eben in die strategischen Pläne des Atlantikpaktes nicht hineinpaßt. Das ist die eine Tatsache. Die zweite Tatsache besteht in der Fortsetzung der Politik der rücksichtslosen Konkurrenz-Demontage der englischen Industrieherren, die um ihren Absatz fürchten.
Die dritte Tatsache betrifft eine deutsche Angelegenheit. Hier wende ich mich an die Regierung. In den letzten Tagen wurde von höherer Stelle bekannt, daß die Adenauer-Regierung schon seit längerer Zeit von den Zerstörungen in WatenstedtSalzgitter gewußt haben soll — dies wurde von General Robertson erklärt — und daß sie diese Zerstörungen in Watenstedt-Salzgitter ruhig vor sich gehen lassen werde.
Meine Damen und Herren, ich fordere die Regierung anläßlich der heutigen Etatsdebatte auf, zu dieser unerhörten Tatsache der Vernichtung eines ganzen Wirtschaftsgebiets in aller Offenheit einmal Stellung zu nehmen. Das ganze deutsche Volk hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Regierung zu Watenstedt-Salzgitter steht und ob die Reichswerke in Watenstedt-Salzgitter mit ihrem Wissen zerstört wurden.
Wenn es stimmt, dann verstehe ich den Sinn jener Anträge nicht, die von der rechten Seite des Hauses ausgingen, um in Watenstedt-Salzgitter im Gelände der ehemaligen Reichswerke neue Industrie anlagen zu erichten. Ich verstehe den Sinn dieser Anträge nicht, da mittlerweile ja mit Billigung der Bundesregierung die Fundamente, auf denen diese neuen Industrieanlagen errichtet werden sollten, in die Luft gejagt wurden. Meine Damen und Herren! Hier erwartet das ganze deutsche Volk eine Antwort.
Ich will nicht noch auf die übrigen Zusammenhänge in Watenstedt-Salzgitter eingehen. Aber um Watenstedt-Salzgitter rankt sich noch ein anderes deutsches Problem, nämlich die Frage der Immunität von Abgeordneten. die Frage der Freizügigkeit der Persönlichkeit in Ihrer so gelobten Demokratie. Unter Mißachtung aller in der Notverfassung Niedersachsens und im Grundgesetz gegebenen Versprechungen wurden kommunistische Abgeordnete verhaftet und vor die Richter der Kolonialjustiz gezerrt. Das Beispiel der Abgeordneten Landwehr und Lehmann zeigte wieder einmal, wer die wahren Herren in Westdeutschland sind.
Nun, meine Damen und Herren, noch zu einigen anderen Punkten des Petersberger Abkommens. Da ist erstens die Ruhrbehörde. Bekanntlich wurde gemäß dem Petersberg-Abkommen bestimmt, daß deutsche Vertreter in die internationale Ruhrbehörde entsandt werden sollten. Es hat sich dabei eine nette Koalition ergeben: der Herr Vizekanzler und ERP-Planer und der sozialdemokratische Gewerkschafter Potthoff, sie beide sind in der Ruhrbehörde die deutschen Vertreter.
Ich erinnere hier an die Kritik. die von aller, ten des Hauses an der Errichtung der Ruhrbehörde geübt wurde, und erstaunlicherweise wurden wenige Wochen später deutsche Vertreter in die Ruhrbehörde entsandt. Diese Ruhrbehörde hat heute neue Aufgaben erhalten. Sie wird nicht nur die Kontrolle von Kohle und Stahl für die Zukunft sichern. sondern sie bereitet vielmehr jetzt unmittelbar ihr administratives Eingreifen in alle Produktionsvorgänge vor. Zu diesem Zweck soll die kombinierte Kohlenkontrolle in Essen und die kombinierte Stahlkontrolle in Düsseldorf in der Ruhrbehörde aufgehen, um damit eine stärkere Konzentration der Amerikaner auf die gesamte westdeutsche Industrie vorzunehmen, d. h. eine
stärkere Kontrolle und Beherrschung der Ruhrindustrie durch die amerikanischen Monopole zu sichern.
Eine sehr wichtige Frage des Petersberg-Abkommens betraf schließlich den deutschen Schiffsbau. Es gibt bei der Mehrzahl, ich möchte sagen, bei allen deutschen Menschen überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es eine Lebensnotwendigkeit für die Wirtschaft und auch den Erhalt des ganzen Volkes ist, daß wir wieder eine eigene deutsche Schiffahrt bekommen. Aber in Durchführung des Petersberg-Abkommens zeigen sich heute in Hamburg die Schwierigkeiten. Kein Reeder ist bereit, ein Schiff zu bauen, das nur elf Knoten läuft, wenn die anderen Nationen heute Schiffe mit sechzehn bis achtzehn Knoten und mehr bauen.
Die Amerikaner, meine Damen und Herren, die, wie es heißt, ihre Marshallhilfe aus Wohltätigkeit dem deutschen Volk gegenüber bieten, haben jetzt sogar untersagt, daß Marshallplangelder zum Bau von deutschen Schiffen verwendet werden dürfen. Die Engländer haben dann das Maß voll geschüttet und haben uns den Kauf von einigen für England nicht mehr rationellen alten Schiffen angeboten. Wir sollen ihren Schrott kaufen, damit nur nicht die deutsche Wirtschaft lebensfähig wird, damit es uns nicht möglich wird, den Transit auf eigenen Schiffen vorzunehmen.
Und schließlich und endlich, meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Dekartellisierungspolitik, einer wesentlichsten Angelegenheit der gegenwärtigen Wirtschaftspolitk überhaupt, weil es hier um die neuen Organe der Wirtschaft geht, die wir demnächst erhalten sollen. Wie sie alle wissen, hat die Hohe Kommission seit einiger Zeit über Gesetz Nr. 75 beraten. Es gab zunächst einige Schwierigkeiten und Einwände seitens der Franzosen, und schließlich kam, wie Sie alle wissen, heraus, daß die Präambel zum Gesetz Nr. 75 verändert werden soll. Diese Veränderung hat es in sich. Es war nämlich nach Gesetz Nr. 75 vorgesehen, daß deutsche Behörden, deutsche parlamentarische Instanzen endgültig über die Eigentumsfrage in der Schwerindustrie entscheiden sollten. Nach der vorgesehenen Veränderung jedoch behält sich die Hohe Kommission ausdrücklich vor, zukünftig bei solchen Entscheidungen das letzte Wort zu haben. Ferner ist bekanntgeworden, daß im Zuge der Durchführung des Gesetzes Nr. 75 die Aktionäre der alten Gesellschaften für ihre alten Aktien neue Aktien der neuen Gesellschaften erhalten sollen. Hier sieht man also schon die Tendenzen der Wiedererrichtung des deutschen Monopolkapitals. Hier zeigen sich verdächtige ausländische Freundschaften, und hier zeigt sich auch eine große Gefahr für unser Volk.
Und schließlich ein kurzes Wort zur Steuerpolitik der Regierung. Diese Steuerpolitik der Kapitalisten-Regierung wird unter dem Motto der Kapitalbildung durchgeführt. Ich kann sagen, daß die Adenauer-Regierung dieses in ihrer Regierungserklärung gegebene Versprechen an die Industrie tatsächlich erfüllt hat, ganz im Gegensatz zu den anderen Versprechen. Eine Milliarde erhielten erst kürzlich die Besitzer mittlerer und höherer Vermögen von dieser Regierung der Reichen geschenkt. In der Regierungserklärung heißt es so ganz schön:
Wenn durch die Steuersenkung die Möglichkeit einer großen Kapitalbildung geschaffen
wird, so muß ein Anreiz gegeben werden, damit nicht der Konsum in unnötiger Weise gesteigert, sondern wirklich Kapital gebildet wird.
Nun, meine Damen und Herren, Sie alle haben noch in Erinnerung, daß der Herr Wirtschaftsminister am 15. Februar 1950 anläßlich der Investitionsdebatte zu diesem Problem von dieser Stelle aus Stellung genommen hat. Er erklärte — sehr stolz —, daß im zweiten Jahr nach der Währungsreform eine Kapitalgüterproduktion in Höhe von 18 Milliarden und zu gleicher Zeit Neuinvestitionen im Werte von 12 Milliarden in der westdeutschen Wirtschaft vorgenommen werden konnten. Fürwahr, für die westdeutsche Schwerindustrie an Rhein und Ruhr ein sichtbarer Erfolg der Politik ihrer Regierung! Denn darum handelt es sich doch. Es handelt sich bei der Adenauer-Regierung nicht um eine Regierung des Volkes, sondern der Industriellen.
Dagegen steht die katastrophale Lage der Lohnempfänger im westdeutschen Bundesstaat. Nach den Angaben des Gewerkschaftsorgans „Welt der Arbeit" vom 17. Februar 1950 betrug das durchschnittliche Lohnniveau gewerblicher Arbeiter 250 DM monatlich, das Existenzminimum einer vierköpfigen Familie wurde jedoch mit 340 DM monatlich von dieser Gewerkschaftszeitung ermittelt. Das bedeutet, daß nur Familien, in denen ein weiteres Familienmitglied mitarbeitet, das Existenzminimum erreichen, und daß zwischen dem durchschnittlichen Nettoeinkommen und dem volkswirtschaftlich notwendigen Existenzminimum eine Spanne von 80 bis 100 DM besteht. „Diese Feststellung", so schreibt das Zentralorgan der westdeutschen Gewerkschaften, „ist für das lohnpolitische Bild entscheidend". Die Politik der Kapitalbildung, dieses Versprechen an die Industrie, wurde somit auf Kosten dieser Arbeiter, die heute keine Lebensexistenz im Bundesgebiet mehr finden, ermöglicht.
Kollege Böckler vom Deutschen Gewerkschaftsbund hat in diesen Tagen zu dieser Frage Stellung genommen und in einer Erklärung sehr eindringlich darauf hingewiesen, daß die versprochene Preissenkung nicht eingetreten ist und daß darum die Lohnforderungen der werktätigen Massen nur gerecht sind; und er hat ein deutliches Wort gesagt, er sprach von der Anwendung aller gewerkschaftlichen Mittel, wenn nicht endlich bei den entsprechenden Kreisen in Westdeutschland Einsicht vorhanden ist, damit die Lohnforderungen der Arbeiter erfüllt werden können. Wir Kommunisten haben keine Illusionen.
Wir wissen auch, daß die Unternehmer diese Drohung des Kollegen Böckler nicht allzu ernst nehmen, wie Ihr Lachen schon allzu deutlich beweist, aber wir wissen, daß dahinter die Realität der Massen steht, die um ihren Lohn zu kämpfen verstehen werden, die es nicht mehr dulden, daß auf Kosten ihrer Arbeitskraft sich die Unternehmer sanieren.
Ein besonderes Problem für Westdeutschland ist seit 1945 der Lastenausgleich. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung in dieser Hinsicht einige sehr interessante Ausführungen gemacht. Ich will sie nicht noch einmal wiederholen. Er hat aber ein bindendes Versprechen gegeben, daß noch in diesem Jahr der Lastenausgleich — der soziale Lastenausgleich, wie er sagte — verwirklicht werden sollte. Aber der Herr Finanzminister, der, wie mir scheint, eine außerordentlich starke
Persönlichkeit in dem Kabinett Adenauer ist, erklärte kürzlich in Stuttgart: ein Lastenausgleich, jawohl, aber ohne Illusionen!
Sein Staatssekretär — verehrte Kollegin Weber, horen Sie einmal recht gut zu — erklärte auf einer Tagung der CSU-Wirtschaftsauschusse: das Damoklesschwert des endgültigen Lastenausgleichs bedeutet ein schweres Hindernis für die Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, dies ist die Politik, wie ich sie hier schon einmal kennzeichnete: die Reichen werden alles fur die Armen tun, nur nicht von deren Rücken heruntersteigen.
Der soziale Lastenausgleich, wie er in der Regierungserklärung
verkundet wurde, ist jedenfalls begraben, und es ist nicht damit zu rechnen, daß diese Negierung, wenn nicht der Druck der Massen kommt, uberhaupt bereit sein wird, eben weil sie an die Schwerindustrie gebunden ist und ihre Interessen vertreten muß, diesen Lastenausgleich zu gewähren.
Die Regierungserklärung stellte sich die Aufgabe, das Vertrauen des ausländischen Kapitals in Westdeutschland wieder zurückzugewinnen. Nun gibt es zur Zeit unter vielen Stellungnahmen amerikanischer Finanzkreise auch eine Stellungnahme des Nationalen Außenhandelsrats — dies ist die größte der amerikanischen Außenhandelsorganisationen — zur Frage der Lieferung ausländischen Kapitals in das Bundesgebiet. Hier werden gleich drei Bedingungen dieser Kapitalgeldgeber an die Bundesregierung gestellt; sie lauten: erstens die Aufhebung der einschränkenden Bestimmungen über die blockierten Guthaben in Deutschland und über Neuinvestierungen; zweitens eine drastische Herabsetzung der deutschen Besteuerung ausländischer Unternehmen, und drittens wird betont, daß auch die Frage, ob sich Deutschland zu einer Nation mit privatem Unternehmertum oder mit verstaatlichter Industrie entwickele, von entscheidender Bedeutung für die Anlage amerikanischen Kapitals in Deutschland sei. Das sind die drei Bedingungen, meine Damen und Herren, die die ausländischen Kapitallieferanten an die Bundesregierung stellen. Sie verlangen Gewinnchancen und wollen Garantien gegen die berechtigte Forderung der Sozialisierung durch die Arbeiterschaft. Ich bin mir bewußt, daß diese Regierung, die eine Regierung der amerikanischen Monopole ist, wenn es um USA-Kapital geht, diese Bestimmungen einhalten wird.
Dieses Versprechen an die Finanzherren in Wallstreet in der Regierungserklärung wird zweifellos von der Bundesregierung erfüllt werden.
Nun zur Sozialpolitik. In der Regierungserklärung heißt es, daß die beste Sozialpolitik eine gesunde Wirtschaftspolitik ist, die möglichst vielen Arbeit und Brot gibt. Mit diesen Worten, meine Damen und Herren, ausgehend von der siebenmonatigen Entwicklung, die wir nun überblicken können, hat sich die Regierung selbst demaskiert. Die Flüchtlinge warten nach wie vor in Westdeutschland auf Hilfe und Anerkennung ihrer Rechte. Die Kriegsopfer warten noch immer auf eine Erhöhung ihrer Pensionen. Das Volk wurde
um alle Hoffnungen, die ehemals bestanden, durch diese Regierung betrogen.
Meine Damen und Herren, nun zu einem besonderen Abschnitt meiner heutigen Ausfuhrungen. Wir erklärten sehr oft: die Adehauer-Regierung ist eine Regierung der Millionäre!
Dies, meine Damen und Herren, will ich beweisen. Der Herr Vizepräsident sprach heute, wie Sie sich erinnern können, von der Problematik der politischen Willensträger.
Er erklärte außerdem: viele Politiker oder viele politische Parteien haben in Westdeutschland noch keine 'Tradition. Ich mochte hinzufügen, es ist leider eine Tatsache, dad die Problematik der politischen Willensträger Westdeutschlands besteht und daß die Politiker in dieser Regierung leider eine 'Tradition besitzen. Die Verbindungen der Minister zur Schwerindustrie und zu einige anderen wirtschaftlichen Interessengruppen sind eine nicht zu leugnende Tatsache.
Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß meine jetzigen Ausführungen eine große Bedeutung haben.
Ich will versuchen — nämlich vom Standpunkt Ihres Widerspruchs aus —, sie so sachlich wie moglich darzustellen.
Der Herr Bundeskanzler war vor 1933 Mitglied in fünfzehn Vorständen oder Aufsichtsräten von Großgesellschaften,
u. a. Deutsche Bank, Rheinische A. G. für Braunkohlenbergbau, Ruhrgas-A. G., Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke A. G.,
Lufthansa
und noch in einigen anderen Aufsichtsräten der Großwirtschaft.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich außerdem zur Entwicklungsgeschichte des Herrn Bundeskanzlers, seiner politischen Entwicklung, noch einiges hinzufüge.
Im Jahre 1927 veröffentlichte die Zeitschrift „Europäische Gespräche" eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers:
Das Deutsche Reich muß unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reich selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung. Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum mehr Kolonien.
Im Jahre 1946 erklärte der Herr Bundeskanzler auf der Kölner CDU-Versammlung:
Unsere Partei hat die Sache des Herrn Pferdmenges zu der ihrigen gemacht.
In diesem Zusammenhang einige Charakteristiken, die es über den Herrn Bundeskanzler gibt, natürlich Charakteristiken politischer Natur. Ich will nicht alle Charakteristiken, die mir vorliegen, hier vortragen. Aber ich will doch die Charakteristik seines eigenen Zentralorgans bekanntgeben. Die „Allgemeine Kölnische Rundschau" schrieb: „Autokrat, konservativ, aber das gehört zu einem christlichen Politiker."
Und die franco-faschistische Zeitung „Arriba" schrieb sogar: „Adenauer, eine der scharfsinnigsten und vollkommensten Persönlichkeiten der internationalen Politik!"
— Meine Damen und Herren, Sie sind stolz darauf, Ihren Herrn Bundeskanzler von einer faschistischen Zeitschrift so gelobt zu sehen. Sehr bezeichnend für Ihre Politik, Ihre politische Einstellung!
Der Herr Vizekanzler ist ein Mann, der das seltene Glück hatte, nicht der NSDAP anzugehören,
und der darum erst nach 1945 so richtig ins politische Leben kam. Aber schon im Jahre 1933 war er Geschäftsführer in der holzverarbeitenden Industrie und hatte Funktionen in Bankhäusern.
Er beschäftigte sich, wie wir wissen, während der nazistischen Zeit mit nazistischer Wirtschaftspolitik. Wir halten ihm zugute, daß er dies kritisch tat .1938 war er in führender Position, Bankdirektor oder dergleichen in Essen.
0 Aber nach 1945 begann sein politischer Lebenslauf. Bald wurde er dann Mitglied des FARDIP-Ausschusses, des Ausschusses zur Entflechtung der IGFarbenindustrie, und später dann, wie Sie wissen, deutscher Vertreter in der Ruhrbehörde. Von Ihrem Standpunkt aus gesehen ist das eine durchaus lobenswerte Entwicklung und zeugt nur davon, daß ein Mann Erfolg haben i ann. Von unserem Standpunkt aus aber, meine Damen und Herren, ist dies der Beweis, daß in solche Funktionen auch nur solche Menschen hineinkommen können, die das Vertrauen der Schwerindustrie genießen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat ebenfalls schon eine wild bewegte Vergangenheit.
im Jahre 1919 beteiligte er sich schon aktiv — das ist eine sehr ernste Angelegenheit — an der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik.
— Ich möchte, daß insbesondere die Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion von diesem rasanten Beifall der Rechten Kenntnis nehmen.
Am 8. April 1933 erklärte der Herr Bundesfinanzminister im „Regensburger Anzeiger", daß die jetzige Reichsregierung einen nationalen Aufstieg erringen und deutsches Recht und deutsche Freiheit erkämpfen werde.
Im Jahre 1945 wurde er als bayerischer Ministerpräsident von der Militärregierung abgesetzt, weil er den politischen Säuberungsmaßnahmen der Militärregierung wiederholt Widerstand leistete.
In einem Schreiben der Militärregierung an den Landesvorstand der CSU wurde darauf hingewiesen, daß er belastete Beamte, darunter ehemalige Generalstabsoffiziere, unter anderem auch den früheren Reichswehrminister Gessler, ohne Genehmigung in bayerische Dienste wieder einstellte.
Schließlich konnte im Jahre 1948 dann doch, vielleicht unter Mithilfe der Militärregierung, erreicht werden, daß er seine politische Tätigkeit wieder aufnehmen konnte.
Interessant wäre auch noch der wirtschaftliche Lebenslauf des Herrn Verkehrsministers Seepohm.
— Du hast recht, Kollege Heinz. Es stimmt, er hat glänzende Verbindungen zur Schwerindustrie, zur Bergwerksindustrie, zu den Ölfirmen in Norddeutschland. Ist es ein Wunder, daß ausgerechnet ein solcher Mann im Bundesgebiet schließlich Verkehrsminister wurde?
Schließlich der Wiederaufbauminister Wildermuth. Es ist bekannt, daß er in den verschiedensten Banken, unter anderem im Vorstand der Deutschen Bau- und Bodenbank AG, der Deutschen Wohnstätten-Hypothekenbank AG während des zweiten Weltkrieges tätig war und ab 1949 wieder im Vorstand der Deutschen Bau- und Bodenbank und der Deutschen Wohnstätten- und Hypothekenbank tätig ist. Hier zeigt sich eine enge Verquickung von Wirtschaftsinteressen auf der einen
und Politik auf der anderen Seite. Ich denke, das ist nach Ihren demokratischen Prinzipien nicht zu rechtfertigen!
Ich will es mir ersparen, noch zu den anderen Ministern Stellung zu nehmen.
Das ist jedenfalls der Beweis der Verbindung dieser Regierung zu den Interessenorganisationen der Wirtschaft. Eine solche Regierung mit solchen Verbindungen kann keine Politik des Volkes verwirklichen. Und das ist dann, Kollege Schäfer, der „politische Stil", und dieser politische Stil ergibt sich aus den Verbindungen der Regierung zur Schwerindustrie an Rhein und Ruhr.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zur Außenpolitik dieser Regierung. Es ist klar und mittlerweile allen Menschen bekanntgeworden,
daß diese Bundesregierung keine Selbständigkeit hat,
aber sie versucht ständig, ein Ankaufen von Zugeständnissen durchzuführen.
ihre erste außenpolitische Maßnahme war, wie Sie alle wissen, das Angebot, 40 Prozent der westdeutschen Industrie an französische Kapitalherren zu verschachern. Das war der erste außenpolitische Schritt dieser Regierung; er erfolgte bezeichnenderweise auf Anregung des Konsortiums der Vereinigten Stahlwerke.
Diese Regierung führt ihre Außenpolitik mit der Methode der interviews durch. ich werde dabei an die Politik eines anderen sehr autokratischen
und diktatorischen früheren deutschen Bundeskanzlers erinnert. Ich denke an die Politik der Emser Depesche und an die Folgen dieser Politik für das deutsche Volk und für Europa.
Zur Saarfrage hat diese Regierung in ihrer Regierungserklärung einen Standpunkt eingenommen, der nur für wenige Tage Geltung hatte. Denn kurz nach dieser Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers erging sein Angebot an die französischen Wirtschaftsinteressenten auf Bildung einer deutsch-französischen Wirtschaftsunion. Diese deutsch-französischen Wirtschaftsunion aber wurde vom Herrn Bundeskanzler angeregt, nachdem vorher gewisse Verhandlungen mit einem gewissen Herrn der Hohen Kommission gepflogen worden sind. Meine Damen und Herren, es liegt im Interesse der amerikanischen Monopole, einen einheitlichen westeuropäischen Wirtschaftsraum zu schaffen; dies dient der besseren Durchdringung Westeuropas mit ihren Kapitalien, der besseren Vorbereitung
abenteuerlicher Unternehmungen gegen die fortschrittlichen Völker des Ostens.
Meine Damen und Herren, Ihnen sind die drei Bedingungen des Herrn Bundeskanzlers für den Eintritt in den Europarat bekannt. Ich möchte in diesem Zusammenhang in aller Deutlichkeit erklären, daß die Politik des Kokettieren um den Europarat in Wirklichkeit nichts anderes bedeutet als die beabsichtigte Eingliederung der westdeutschen Wirtschaft, des westdeutschen Territoriums und der westdeutschen Menschen in das Kriegspotential des Atlantikpaktes! Sie können es nicht vergessen haben, wer der Vater der Europa-Union ist. Der Vater der Europa-Union ist kein anderer als der Redner von Fulton, Mr. Churchill, jener Churchill, der wenige Monate nach Beendigung des zweiten Weltkrieges in seiner Fultoner Rede ganz offen zum Krieg gegen die Völker des Ostens aufrief, obwohl die Wunden des zweiten Weltkrieges nicht einmal in England vernarbt waren. Dieser Herr Churchill, der zum Kriege treibt, ist der Gründer und Initiator des Europarates in Straßburg. Der Zweck des Europarates ist nichts anderes ais ein Bündnis der Herren von Wallstreet, der Manchester-Gruppe der englischen Schwerindustrie und des Comité des Forges mit dem wiederauferstandenen Reichsverband der Deutschen Industrie, ist nichts anderes als ein Bündnis zwischen Churchill, De Gaulle und Adenauer unter dem Protektorat der amerikanischen Monopole.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort auch zur Außenpolitik der SPD. Die SPD hat auch heute durch ihren Sprecher, den Kollegen Schoettle, ein Bekenntnis zu diesem Europarat abgeben lassen.
— Ich weiß, Herr Schoettle, daß Sie Ihre eigenen Ansichten über Europa haben;
das will ich Ihnen zugute halten. — Aber in diesem Europa, das unter der Ägide Churchills gebildet wird, und in diesem Europarat in Straßburg regieren die Männer des Comité des Forges, die Männer der Manchester-Gruppe und die Männer der Wallstreet,
und kein anderer wird dort regieren.
Sie wissen genau, daß es eine Erklärung des ehemaligen Oberdirektors Pünder gibt, die ganz klar ausdrückte: Wir werden alles tun müssen, damit keine sozialistischen Vertreter nach Straßburg entsandt werden, und das ist die Linie der Politik, die von der rechten Seite auch in dieser Frage vertreten wird. Die SPD-Arbeiter werden es zu spät merken, daß Sie wieder einmal zum Schaden der deutschen Werktätigen von der Reaktion überspielt und mißbraucht worden sind, wenn sie es nicht schon jetzt wissen sollten.
Meine Damen und Herren! Der Kollege Schoettle sprach in diesem Zusammenhang auch davon, daß die Politik dieser Regierung darauf ausgerichtet sein müsse, eine Art Anziehungskraft auf die Völker des Ostens, vornehmlich auf das deutsche Volk in der Deutschen Demokratischen Republik, zu erzeugen. Ich frage die sozialdemokratischen Wähler und Arbeiter: Soll etwa diese Adenauersche Wirtschaftspolitik für die Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik eine Anziehungskraft sein? Sollen etwa diese zwei Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter für die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik eine Anziehungskraft sein?
Wir verstehen Ihre Unruhe und, was die Reaktion unter Ihren Worten versteht, und Sie können sich darauf verlassen — das wußte auch Bebel schon —: wer von der Reaktion frißt, stirbt daran; denn da haben Sie die ganzen Fakten richtig vor sich.
Meine Damen und Herren, dieser Haltung der rechten SPD-Führer entsprechen auch die Vorschläge der Sozialdemokratischen Partei, die in der Entschließung zum Haushalt vorliegen.
— Beruhigen Sie sich; Sie werden noch einiges zu hören bekommen. Sie müssen etwas Geduld haben, werter Herr Kollege!
In der Entschließung der SPD wird gefordert, der Bundeskanzler solle im Rahmen des Bundeskanzleramtes mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Staatssekretariat für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einrichten, das den ganzen Bereich der mit der internationalen Politik zusammenhängenden Fragen, soweit das Besatzungsstatut keine Beschränkungen festlegt, betreuen und auch eine politische Abteilung enthalten soll. Ich frage die sozialdemokratischen Kollegen: Haben Sie so viel Vertrauen zu dieser Regierung, daß Sie gerade dieser reaktionären Regierung noch ausdrücklich derartige Funktionen in die Hände legen wollen? Die sozialdemokratischen Arbeiter die von
der Politik dieser Regierung tief enttäuscht sind, werden sich für diese Entschließung der sozialdemokratischen Fraktion bedanken.
Die ganze „Außenpolitik" dieser Regierung — das haben die Reden anläßlich der Regierungserklärung und auch die später nachfolgenden Reden fast aller Fraktionen des Hauses gezeigt — ist vom Haß gegen die sozialistische Sowjetunion abgestempelt; sie ist vom Haß gegen die Völker des Ostens erfüllt.
Und dabei ist der außenpolitische Rückhalt dieser Regierung doch so minimal; dabei ist die außenpolitische Stellung dieser Regierung doch auf so schwache Füße gestellt! Ich möchte sagen: diese Regierung ist von der fortschrittlichen Welt isoliert und wird von der westlichen Welt als Spielball ihrer Interessen benutzt, und diese Politik des Ausnutzens der westdeutschen Bundesregierung für die Interessen der amerikanischen Monopole enthält große Gefahren für das gesamte europäische und in erster Linie für das deutsche Volk.
In diesem Zusamenhang ist es notwendig, auch daran zu erinnern, daß von einigen Ministern dieser Regierung sehr oft die Remilitarisierung gefordert worden ist. Die Remilitarisierung ist tatsächlich heute die Grundlage der Außenpolitik dieser Regierung.
Sie zeugt davon, daß zukünftig deutsche junge Menschen für die Interessen des ausländischen Monopolkapitals geopfert werden sollen.
Das ist der „Anreiz", werter Kollege Schoettle, den die Menschen drüben in der Deutschen Demokratischen Republik von dieser Wirtschaft und Außenpolitik erhalten sollen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Nun zur Haltung der SPD gegenüber dem Etat. Sie hat diesen Etat zwar abgelehnt, aber, wie ich sagen möchte, nur mit halbem Herzen und mehr symbolisch.
Noch am vergangenen Sonntag hat Carlo Schmid auf einer Bezirksveranstaltung der SPD von einer möglichen großen Koalition gesprochen. Das sind die Tendenzen der sozialdemokratischen Politik gegenüber dieser Regierung. Ich möchte aber sagen: gegen diese Regierung, Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, muß man unermüdlich kämpfen; denn sie ist ein Unglück für unser Volk. Meine Damen und Herren, es gibt einen Ausweg. Dieser Ausweg heißt die Schaffung einer neuen deutschen Regierung, die Schaffung einer deutschen unabhängigen Regierung.
Dieser Ausweg bedeutet Abzug der Besatzungstruppen und Abschluß eines Friedensvertrags. Für
diese Forderungen, meine Damen und Herren, werden im wachsenden Maße Millionen Menschen eintreten;
sie werden eintreten für die Front des nationalen Widerstandes, für die Front des nationalen Kampfes um die deutschen Interessen.
Und diese Nationale Front des demokratischen Deutschland wird unbesiegbar sein.
Wir lehnen den Haushalt einer Regierung ab, die nur die Versprechen an die Reichen erfüllte, aber das Volk verzweifeln läßt. Unsere Forderung lautet: eine einheitliche demokratische, republikanische deutsche Regierung mit dem Volk für das Volk!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sämtliche Parteien haben wiederholt Gelegenheit gehabt, in diesem Hause ihre grundsätzlichen politischen, wirtschaftlichen, außenpolitischen Auffassungen bekanntzugeben, angefangen von der grundsätzlichen Debatte im September vorigen Jahres, sodann der Debatte anläßlich der Saarfrage bis hin zu den Debatten bei anderen außenpolitischen Anlässen. Ich bin nicht der Auffassung, daß die heutige Generaldebatte zum Haushalt irgendwelche neuen wesentlichen Erkenntnisse gebracht hat
oder daß wir dabei von den einzelnen Parteien etwas erfahren haben, was wir in bezug auf ihre Haltung noch nicht gewußt haben.
Sie kennen auch unsere Einstellung zu den verschiedensten Problemen. Wir haben sie wiederholt hier kundgetan. Ich möchte deshalb heute darauf verzichten, anläßlich dieser Generaldebatte nochmals Dinge zu sagen, die nur eine Wiederholung wären.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Die Beratung ist damit geschlossen.
Wir werden in der Behandlung der Tagesordnung in der nächsten Sitzung fortfahren, die ich auf morgen vormittag 10 Uhr einberufe.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß sich der Ältestenrat morgen um 9 Uhr versammelt. Ferner findet morgen vormittag 9 Uhr 30 eine Sitzung des Ausschusses für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz statt. Der Sitzungsraum wird am Schwarzen Brett bekanntgegeben.
Die Sitzung ist geschlossen.