Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, an und für sich ist das Haushaltsgesetz und der Haushaltsplan, der uns heute in dritter Lesung vorliegt, von verhältnismäßig geringer Bedeutung. Man kann sagen: die Zeit ist abgelaufen, und was wir für diese sechs Monate im Etat bewilligen, ist zum großen Teil ausgegeben, und deshalb ist es zwecklos, überhaupt noch über diese Fragen zu sprechen.
So denke ich nicht. Zunächst sind die Ansätze noch nicht alle ausgegeben, und es wird sich um sehr viele Ansätze drehen, über deren Bewilligung wir zu entscheiden haben, die noch ausgegeben werden müsssen. Auf der andern Seite aber sind diese Beratungen doch von grundlegendem Wert. Zunächst ist es der erste Etat des deutschen Bundes, den wir hier beraten. Was in diesem Erat, in seinem Haushaltsgesetz und in seinem Haushaltsplan, uns vorgelegt wird, das wird mehr oder weniger beispielhaft, traditionell für die Zukunft wirken, ganz abgesehen davon, daß es auch rein ziffernmäßig und ansatzmäßig der Ausgangspunkt für die weiteren Beratungen ist.
Auf der andern Seite aber wird die Gestaltung der deutschen Republik und auch des Deutschen Reiches, dessen Wiederkehr wir ja alle sehnsüchtig erhoffen, von diesem Ausgangspunkt stark bestimmt sein, zumal er in einem großen Gegensatz zu dem steht, was man im Hitlerreich als Etatgrundsätze gekannt hat.
Und nun der dritte Punkt, warum ich diese Beratung für sehr wertvoll halte: das ist die Tatsache, daß dieser Haushaltsplan das Muster für die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sein soll, dessen grundsätzliche Auffassungen und auch praktische Ausgestaltung sie sich mehr oder weniger zum Vorbild dienen lassen müssen.
Gestatten Sie mir nun, kurz an die Ausgangsüberlegungen dieses Voranschlages zu denken. Man hätte ja eigentlich diese Generaldebatte in der zweiten Lesung halten sollen, ehe wir uns ins einzelne vertieften. Es ist nun von dem Ältestenrat so beschlossen worden, und so müssen wir uns heute erst in der dritten Lesung mit der Generaldebatte begnügen.
Die Ausgangsüberlegungen für einen Staatsetat liegen zweifellos in den gesamten GebietsBevölkerungs-, Wirtschafts- und Finanzverhältnissen der Bundesrepublik. Von ihnen müssen wir mehr oder weniger ausgehen, um von dort aus die Gesichtspunkte der Beurteilung für den Etat und seine Ansätze überhaupt zu gewinnen. Und da stelle ich ganz kurz drei Gesichtspunkte fest.
Wir haben in Deutschland — das sind Allgemeinplätze, die man vielleicht gar nicht anzuführen brauchte; es ist aber wichtig, sich immer wieder an diese allgemeinen Voraussetzungen unserer ganzen Beratung zu erinnern — ein Westdeutschland und ein Ostdeutschland. Das Deutsche Reich, das ja früher die Grundlage für alle Etatsberatungen gegeben hat und auf das wir uns sicher auch oft wieder berufen, war ein einheitlicher Staat. Heute haben wir es mit zwei Staaten zu tun.
Was nun den zweiten Gesichtspunkt angeht, so ist es die Bevölkerung. Wir hatten im Jahre 1937 im Westen Deutschlands, im Gebiet der jetzigen Bundesrepublik, etwa 36 Millionen Menschen; heute wohnen dort 48 Millionen. Das ist also für die gesamte Wirtschafts- und Haushaltsgestaltung von ganz grundlegender Bedeutung.
Und drittens ist auch wieder eine Tatsache ins Gedächtnis zu rufen, die ja auch einen Allgemeinplatz darstellt. Das ist die ungeheure Zerstörung der wirtschaftlichen und wohnlichen Unterkunftsräume und Anlagen. Unsere ganze Haushaltsberatung könnte von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, wenn diese grundlegenden Bedingungen nicht gegeben wären.
Weiter kommt hinzu, daß wir eine Besatzung haben,
daß wir der Besatzungsmacht unterstehen. Auch dieser Gesichtspunkt ist für die Gestaltung des Haushaltsplanes von der allergrößten Bedeutung, ganz abgesehen von den besonderen Bestimmungen, die die Besatzungsmächte nun darüber erlassen haben.
Und endlich wird die Wirtschaftslage in dem gesamten Bundesstaat, in der gesamten Westrepublik ins Auge zu fassen sein. Wenn man objektiv sieht, so kann man wohl ohne Übertreibung sagen, daß die Wirtschaftslage im westdeutschen Bundesgebiet trostlos ist.
Ich zitiere im folgenden eine Zusammenstellung aus den allmonatlich erscheinenden „Monatsberichten der Bank deutscher Länder". Vielleicht gehen sie Ihnen allen zu und haben Sie
Gelegenheit, darin zu lesen. Ich möchte sie als wissenschaftlich ganz bedeutend hinstellen und immer wieder auf sie zurückkommen, weil wir hier die einzige Berichterstattung vor uns haben, die mit größter Weite und Tiefe und auch Objektivität geführt wird. Wenn wir nun diese Monatsberichte der Bank deutscher Länder zu Rate ziehen - ich habe hier zu meinen Ausführungen den Bericht, der am 15. Februar erschienen ist und für den Januar gilt; inzwischen ist ein neuer Bericht erschienen, den ich aber nicht heranziehen will —, so ist vor allen Dingen festzustellen, daß sich das Kreditvolumen der Banken Ende Januar auf 10,5 Milliarden DM beläuft. Meine Damen und Herren, das ist ein ungeheurer Posten. Das Kreditvolumen, die bereits hingegebenen Kredite, sind 10,5 Milliarden DM. Die Nettoverschuldung der Geschäftsbanken beim deutschen Zentralbankensystem belief sich am 31. Januar 1950 auf 2 770 Millionen DM. Das ist auch eine ungeheure Summe. Die Verzinsung steigt stetig. Bankenakzepte und bankgirierte Warenwechsel lagen, soweit überhaupt Umsätze zustande kamen; wieder inn 1/8 % über dem Zentralbankdiskont. Sätze für Tagesgeld streiften Ende Januar um den Zentralbankdiskont herum. Die Zinslage ist also äußerst angespannt. Die mittel- und langfristigen Kredite der Banken an die Nicht-Banken-Kundschaft stiegen im Dezember und im Januar ganz bedenklich. Wer mit dem Bankwesen irgend etwas zu tun hat, weiß genau, daß die Kreditanträge heute zu den größten Schmerzen der Banken gehören, weil sie sie nicht in vollem Ausmaß befriedigen können, wie sie gefordert werden, und weil sie der Kundschaft immer wieder Kreditgesuche ablehnen müssen, die sie viel lieber bewilligen würden. Die Kreditanspannung ist also ungeheuerlich.
Das Sparkapital in den Banken wächst nur langsam. Der Wertpapierumsatz ist äußerst gering. Die Verschuldung der Länder, zu denen wir ja jetzt zum Ausgleich unseres Voranschlags unsere Zuflucht nehmen müssen, war bereits Ende Dezember auf 590 Millionen DM gestiegen. Die Steuerbelastung ist trotz aller Bemühungen, eine Erleichterung herbeizuführen, noch ungeheuerlich. Sie belief sich für die Länder im Kalenderjahr 1949 auf 15 Milliarden DM. Das sind auch wieder die Ausgangspunkte für die Beurteilung der Etats der Länder und des Bundes. Die schwebenden Schulden, die dem Bundesminister in Höhe von 800 Millionen DM vor einigen Wochen von uns zugestanden worden sind, sind bereits - so schreiben wenigstens die Monatsberichte; und es wird ja stimmen, was da geschrieben steht - zu über zwei Dritteln, also zu etwa 600 Millionen DM, in Anspruch genommen, vielleicht noch weit höher, denn seit der Bericht geschrieben wurde, sind ja wieder 11/2 Monate vergangen.
Die Entwicklung der Industrieproduktion liegt großenteils noch weit hinter den Ziffern von 1936, wenn auch die Eisen- und Stahlerzeugung nahezu an die Jahresrate von 11,1 Millionen heranreicht. Westdeutschland wurde am 13. April 1949 ein Abkommen über verbotene und beschränkte Industrien zugebilligt. Die dort festgesetzte Summe ist bei der Industrieproduktion bereits erreicht. Im übrigen ist festzuhalten, daß die Industrieproduktion im 'Vergleich zu den Ziffern von 1936 noch sehr weit zurück ist.
In der Landwirtschaft ist die Lage mehr oder weniger trostlos geworden. Diese Trostlosigkeit zeigt sich heute noch nicht im vollen Ausmaß, aber die Liberalisierung des Handels, zu der wir aus anderen Gründen übergegangen sind und an der wir grundsätzlich vielleicht auch nicht vorbeikommen können, bedroht die Landwirtschaft in einem kaum zu übersehenden Ausmaß. Es wird der Weisheit und der Entschlußkraft dieses Hohen Hauses in den nächsten Wochen und Monaten ebenso wie der Entschlußkraft und der Voraussicht der Regierung bedürfen, um die schlimmsten Folgen für die Landwirtschaft abzuwenden.
Die Arbeitslosigkeit wächst trotz aller Bemühungen der Regierung, sie einzudämmen, bedenklich. Die Zahlen der letzten Wochen liegen mir nicht vor, ich glaube aber nicht, daß sich die Arbeitslosigkeit wesentlich verringert hat. Preise und Löhne haben sich keineswegs auf den Stand der Währung und auf die Kaufkraft der Bevölkerung eingespielt, noch weniger auf die Entwicklung des Weltmarktes. Die Preise und Löhne sind, je nach dem Gesichtspunkt, unter dem man sie sieht, zum Teil viel zu hoch, zum Teil zu niedrig. Der Außenhandel steht unter dem drohenden Zeichen einer Verschlechterung der Handelsbilanz und einer sich verschärfenden Passivität der Zahlungbilanz im auswärtigen Zahlungsverkehr. Das scheint mir überhaupt die schlechte Seite unserer ganzen wirtschaftlichen Bilanz zu sein, daß die Handelsbilanz wie auch die Zahlungsbilanz nicht zum Ausgleich kommen und daß auch noch keine Anzeichen vorhanden sind, -daß sie zum Ausgleich gebracht werden können. Wenn wir trotz aller Schwierigkeiten noch einige Hoffnungen in unserem Wirtschaftsleben haben, so sind es die ERP-Mittel, die Mittel des Marshallplans, die uns helfen. Ohne den Marshallplan ständen wir mitten in einem wirtschaftlichen Bankrott, und wenn wir uns diese Tatsache vor Augen stellen, meine Damen und Herren, dann werden wir uns mit aller Schärfe zu überlegen haben: was können wir denn ausgeben und was können wir in den Ansätzen unserer Etats überhaupt noch verantworten?
Unser Finanz- und Wirtschaftssystem beruht — Gott sei es geklagt - in einer unglaublichen Breite und Tiefe auf Kredit. Der Kreditwahn beherrscht alle Wirtschafts- und Finanzplanung in allen Kreisen der Wirtschafts- und Finanzbeflissenen. Wenn wir uns vor Augen halten, was wir im Bundestag an den verschiedensten Ausgaben bewilligt haben die Berlin-Hilfe, den Wohnungsbau oder was es auch sei —, so erkennen wir, daß mehr oder weniger alles auf die Erwartung gestellt wird, daß der notwendige Kredit aus der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden kann. Ob sich -die Hoffnungen jemals erfüllen, muß der Zukunft überlassen bleiben. Zweifellos — das darf man ohne Übertreibung sagen - tut der Finanzmann immer klug daran, die Dinge schwarz und nicht optimistisch zu sehen. Ich habe hier oft den Eindruck, daß man gerade von finanzieller Seite aus die Dinge viel zu rosig malt und sich selber Bilder vormacht, wie es scheinen könnte, wie es aber nicht wirklich ist. Wenn irgendwo der Ruf nach Realpolitik, nach realistischer Einstellung erhoben werden muß, so muß es im Staatsleben in bezug auf die Finanzen geschehen. Wir stehen in einer
schreckenerregenden Situation. Es bleibt uns nur eine Alternative: entweder geraten wir in die Inflation hinein, wenn wir die Kredite in dem Maße erweitern und zur Kreditpolitik in dem Maße fortschreiten, wie wir es seither getan haben, oder wir stehen vor einer vollständigen Wirtschaftskrise. Diese Alternative muß man sich als Finanzpolitiker immer vor Augen halten und muß sie auch vor allem im Auge haben, wenn wir hier Bewilligungen vornehmen. Wir haben gestern einmütig für das Wohnungsbauprogramm gestimmt, und es war erfreulich, daß das Hohe Haus einmal im großen und ganzen einig war; ich habe mich auch über den Schwung gefreut, der hinter diesen Beratungen stand, obgleich ich selber nicht gesprochen habe.
Aber man kann das doch machen; man kann doch — ich wünschte, es wäre mehr der Fall — dabei sein, ohne daß man spricht.
Wie sind die Dinge nun zu meistern? Nach meiner Ansicht nur durch deflatorische Maßnahmen, nur dadurch, daß wir zur größten Sparsamkeit zurückkehren, daß wir uns von jeder Steigerung unserer Ansprüche auf Konsumgüter und Genußmittel abkehren und daß wir überhaupt zu der früheren Stufe der Lebenseinfachheit und des Lebensgenusses zurückkehren. Davon wollen heute sehr viele Leute nichts wissen. Ich greife hier gar nicht einzelne Parteien heraus; ich weiß, daß einzelne Parteien vielfach in der gleichen Lage sind. Der Fortschritt ist das große Wort. Ich selbst bin auch ein Mann, der für den Fortschritt ist. Es muß aber alles mit Maß und Ziel gemacht werden. Wir müssen wissen, was schon so oft gesagt worden ist: wir haben den Krieg verloren und stehen vor einer vollständig zerrütteten Wirtschaft. Diese Auffassung müssen wir uns nicht nur im Staatsleben, sondern auch im persönlichen Leben und in den sozialen Besprechungen vor Augen halten.
Vor uns liegt nun der Etat. Was wir heute zu beraten haben, ist allerdings nur der kleinere Teil des Etats; es handelt sich um 27,5 Millionen. Wir wissen genau, daß sich die Ausgaben des Gesamtetats, die bereits vom Wirtschaftsrat in Frankfurt genehmigt worden sind, auf nahezu eine Milliarde belaufen und daß wir weiter noch einen Ergänzungsetat zu erwarten haben, der über 570 Millionen liegt, so daß die Gesamtbelastung, die wir dem deutschen Volk in diesem Wirtschaftsjahr zumuten, sich auf über anderthalb Milliarden beläuft. Daß wir das jetzt vom Bund aus nicht können, ist schon wiederholt erwähnt worden. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß gerade die Gegensätzlichkeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag auf der einen Seite und dem Bundesrat auf der anderen Seite dadurch entstanden ist, daß der Bundesrat die Fehlbeträge, wie man sie nun auch schätzen möge, aus den Länderetats zu leisten hat. Sie betragen nach meiner Auffassung, wie aus den vorgelegten Plänen hervorgeht, über 215 Millionen, während die Finanzminister der Länder nur bereit sind, etwas über 100 Millionen zu geben. Darüber ist ja schon mehr gesprochen worden, und ich will das nicht weiter vertiefen.
Man wird jedenfalls, wenn man sich diese Beträge insgesamt vor Augen hält und nicht bloß
diejenigen, um die es heute geht, zu der größten Sparsamkeit kommen müssen. Die Ziffern sind für jeden Volkswirt und für jeden Finanzmann, der sich ein ruhiges Urteil bewahrt hat, unverständlich und grotesk. Bei der Wirtschaftslage, die ich hier an Hand eines Monatsberichts der Bank deutscher Länder gekennzeichnet habe, sind sie nicht begreiflich. Es gehört ein unglaubliches Maß von Mut und vielleicht auch von Unbesorgtheit dazu, unter den geschilderten Verhältnissen überhaupt einen solchen Voranschlag vorzulegen. Ich will damit der Regierung keinen Vorwurf machen; aber ich erhebe trotzdem die Forderung, daß auf der ganzen Linie gespart wird und Abstriche gemacht werden. Es ist nicht eine besondere Vorliebe von mir, aus Sparsamkeitsgründen willkürlich Abstriche zu machen, sondern ich fordere diese Abstriche, weil unsere Wirtschaft in der Tat so gestellt ist, daß wir auf die Dauer die geforderten Beträge ja doch nicht aufbringen können.
Der Herr Finanzminister hat, soviel ich gelesen habe, vor kurzem in einem Interview gesagt, daß ihm der kommende Haushaltsplan große Sorgen mache, weil in Ausgabe nahezu 15 Milliarden stehen, während in Einnahme nur etwa 11 Milliarden — —.