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    Deutscher Bundestag — 54. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950 1979 54. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1979C, 2030D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksachen Nr. 770 und 630) . . . . 1979C Dr. Arndt (SPD) 1979D Schröter (CDU) . . . . . . . 1980C Dr. Miessner (DRP) 1980C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplan und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 (Vorläufige Haushaltsordnung und vorläufiges Haushaltsgesetz 1949) (Drucksachen Nr. 768, 682, 670 bis 681 und 223) 1981A, 2004B Allgemeine Aussprache: Schoettle (SPD) 1981B Bausch (CDU) . . . . . . . . 1990A Dr. Bertram (Z) 1994A Unterbrechung der Sitzung . 1999D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . 1999D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 2004B Loritz (WAV) 2007D Dr. von Merkatz (DP) . . . . 2012B Dr. Leuchtgens (DRP) . . . . . 2016B Rische (KPD) . . . . . . . 2022C Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 2030C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über die Aufhebung der Immunität des Abg. Goetzendorff (Drucksache Nr. 787) . 2002C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 2002C Dr. Miessner (DRP) 2003D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2030D Die Sitzung wird um 10 Uhr 39 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion benutzt die Gelegenheit der dritten Lesung des vorläufigen Haushaltsgesetzes zu Bemerkungen über die Gesamtpolitik der Regierung. Wir sind der Meinung, daß der Haushaltsplan in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit nur ein Teil des gesamten politischen Komplexes ist.
    Was wir heute in der dritten Lesung beraten, ist schon an sich nur ein Teil, man kann noch nicht einmal sagen, ein Torso; es ist höchstens ein Glied eines Gesamtkörpers. Das sieht man schon, wenn man die Ziffern vergleicht. Wenn man sie im einzelnen analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, daß selbst innerhalb der bescheidenen Schlußziffer von etwas über 27 Millionen DM, die diesen Haushaltsplänen zugrunde liegt, das Gleichgewicht sehr ungleichmäßig verteilt ist und daß ein erheblicher Teil auf die Etablierung der gesetzgebenden Instanzen fällt. Trotzdem glaube ich, daß es wahr bleibt, daß Haushaltspläne, selbst wenn sie in dieser fragmentarischen Form vorliegen, zwei Dinge widerspiegeln, die man bei der Kritik und bei der Auseinandersetzung mit ihnen in Rechnung stellen muß. Einmal sind es allgemeine Notwendigkeiten und Bedürfnisse, über die in der Regel sehr wenig zwischen denen zu streiten ist, die sich der sachlichen Klärung dieser Notwendigkeiten befleißigen und die deshalb anerkennen, wo anzuerkennen ist. Daneben gibt es in jedem Haushnltsplan spezielle Tendenzen die aus politischen Machtverhältnissen und vielleicht nicht zuletzt aus persönlichen Eigenarten und aus parteipolitischem Kalkül entspringen. Diese beiden Dinge finden wir auch bei den vorliegenden Plänen.
    Ich möchte gleich vorweg sagen: die Sozialdemokratie feilscht nicht, wenn es um die Erfüllung anerkannter Notwendigkeiten geht. Wir haben das bei den Beratungen im Haushaltsausschuß bewiesen. Wir sind uns darüber klar, daß die allgemeinen Voraussetzungen für eine geordnete Verwaltung gegeben sein müssen und daß es keinen Sinn hat, hier aus bloßer Freude an der Negation dagegen zu sein. In gewissen Grenzen! Um so notwendiger ist es aber, daß wir zu den politischen Fragenkomplexen Stellung nehmen, die durch die Haushaltspläne nur angedeutet werden, die aber hinter ihnen stehen, weil auch der Staatshaushalt schließlich nichts anderes ist als ein Instrument, dessen sich die Regierung und die Verwaltung bedient, um ihre besondere politische Konzeption in die Wirklichkeit umzusetzen.

    (Abg. Renner: „Klassenhaushalt" hat man das genannt!)

    Man kann den Haushalt, wie er dem Hohen Hause vorliegt, nur in Zusammenhang sehen erstens mit dem in erster Lesung bereits verabschiedeten Ergänzungshaushalt, weiter mit der Steuergesetzgebung der Regierung, mit ihrer Wirtschaftspolitik, mit ihren außenpolitischen Aktionen und Unteriassungen, kurzum mit der ganzen Atmosphäre, die unsere Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Erst so hat man eine Grundlage für die Beurteilung der Bedeutung der .gegenwärtigen Beratung.
    Bleiben wir zunächst beim Haushaltsplan. Wir Sozialdemokraten glauben nicht, daß im personellen Aufbau der Verwaltung allzusehr über das Ziel geschossen worden ist. Wir haben im Haushaltsausschuß da, wo wir Streichungen für notwendig hielten, den Versuch gemacht, diese Streichungen durchzusetzen. Wir haben dabei gelegentlich auch die Bundesgenossenschaft von Kollegen und Kolleginnen aus dem Kreise der Regierungsparteien gefunden. Ich darf sagen: gelegentlich kamen die schärfsten Attacken sogar aus den Kreisen der Koalition. Ohne ein Geheimnis preiszugeben: man gewann manchmal den Eindruck, daß gerade diese Attacken nicht immer nur von sachlichen Überlegungen ausgingen, sondern mehr den Versuch darstellten, sich selber gegenüber der Öffentlichkeit zu salvieren.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    wir haben uns bei diesen Beratungen nie durch solche Überlegungen bestimmen lassen, sondern sind immer in der Richtung gegangen, sachliche Lösungen mit sachlichen Mitteln zu erstreben.
    Wenn wir auch nicht glauben, daß beim quantitativen Aufbau der Verwaltung sehr stark übers Ziel geschossen wurde, so haben wir doch im einzelnen gegen die persönliche Besetzung von Stellen starke Bedenken.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich im Namen meiner Fraktion aussprechen, daß wir nicht den Eindruck und die sichere Überzeugung haben, daß bei der Besetzung von Stellen, kurzum bei dem Gesamtkomplex, den man als Personalpolitik bezeichnet, stets nach sachlichen und nie nach parteipolitischen Gesichtspunkten verfahren wurde,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und ich weiß — auch da verrate ich kein Geheimnis —, daß auch bei manchen, die der Regierung näher stehen als wir Sozialdemokraten, Bedenken gegen eine gewisse autoritäre Art der Entschei-


    (Schoettle)

    dung bei Personalbesetzungen laut geworden sind. Wir haben in diesern Punkt die allersterkste Bedenken und wünschen dringend, daß hier eine Angering eintritt, soweit aas beim Vorhandensein bestimmter persönlicher Voraussetzungen denkbar und bei der Bereitschaft der Mehrheit dieses Hauses, gelegentlich beide Augen zuzudrücken, überhaupt möglich ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat also, wie gesagt, an dem Versuch, die Haushaltspläne im einzelnen zu korrigieren, aktiven Anteil genommen. Wir haben bei der zweiten Lesung Antrabe zu den einzelnen Plänen gestellt. Wir sind mit diesen Antragen unterlegen, aber ich kündige jetzt schon an — Sie haben es ja auch bei Ihren Drucksachen gefunden —, daß wir alle unsere Anträge bei der dritten Lesung wiederaufnehmen werden.
    Wir wenden uns ferner gegen jenen gesteigerten Aufwand, der aus politischen Motiven entstanden ist. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß aus politischen — aus koalitionspolitischen, um es genauer zu sagen — Gründen die Zahl der Ministerien unnötig vergrößert worden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir sind weiter der Meinung, daß sich aus dieser unnötigen Vergrößerung der Zahl der Ministerien Unklarheiten in der Verteilung der Zuständigkeiten ergeben haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß wir auf manchen Gebieten unserer Gesamtpolitik eine Mehrspurigkeit festzustellen haben, die nicht gut ist, die gelegentlich auch öffentlich bemerkt wird und zu unangenehmen Begleiterscheinungen führt. Ich denke da
    bei insbesondere an den Drang verschiedener Minister und Ministerien, auf eigene Faust außenpolitische Exkursionen zu unternehmen,

    (Abg. Loritz: Sehr gut!)

    die dann immer wieder durch Dementis und Rückzieher korrigiert werden müssen. Ich glaube, das gibt unserer gesamten Politik den Charakter der Unstabilität und Unsicherheit, der uns allen nicht bekömmlich ist.
    Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß eine andere Form der Mehrspurigkeit feststellen können. Es ist zwar ein Detail, aber ich muß es erwähnen. Wir haben eine relativ sehr gut ausgebaute und sowohl personell wie materiell außerordentlich gut dotierte Bundespressestelle. Über die Bedeutung und die Wirksamkeit dieser Bundespressestelle gehen die Meinungen naturgemäß stark auseinander, obwohl ich den Eindruck habe, daß nach den bisherigen Erfahrungen eine gewisse Skepsis überwiegt. Aber wir haben auch festgestellt, daß jedes Einzelministerium noch seine besondere Pressestelle hat,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und wir haben auf die Frage, in welcher Form denn die einzelnen Ministerien sich der dafür doch eigentlich geschaffenen Bundespressestelle bedienen, nicht immer eine befriedigende und ausreichende Antwort erhalten. Wir sind dadurch zu der Überzeugung gekommen, daß auf diesem Gebiete ein Aufwand getrieben wird, der schon aus sachlichen Gründen nicht immer notwendig ist und der tatsächlich auf das notwendige Maß reduziert werden könnte.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir haben im allgemeinen — das dürfen Sie vielleicht einem berufsmäßigen Journalisten gestatten, zu sagen — in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, daß amtliche Pressestellen nicht immer aus dem Drang, die Öffentlichkeit zu informieren, geschaffen worden sind. Man kann sehr wohl sagen, daß manche Pressestellen geradezu da sind, um die Information der Öffentlichkeit und des Staatsbürgers zu verhindern und zu kanalisieren. Wir wünschen nicht, daß die Institutionen, die im Rahmen der Bundesverwaltung zum Zwecke der Information geschaffen worden sind, nichts anderes als Sprachrohre der offiziellen Politik werden und dabei alles das hintanhalten, was die Öffentlichkeit tatsächlich interessiert.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Eine bessere Koordination, eine Zusammenfassung der Kräfte und eine wirklich wirksame Verbindung zwischen den amtlichen Organen der Bundesrepublik und den Organen der öffentlichen Meinung und damit der Öffentlichkeit halten wir für dringend notwendig. Wir glauben, daß auf diesem Gebiet noch einiges getan werden muß und getan werden kann.

    ( haben. Wir haben gegenüber dem sachlichen Aufwand nur dort wirklich ernsthafte Bedenken bezüglich der Höhe vorgebracht, wo wir der Meinung waren, daß — nicht etwa aus optischen, sondern aus sachlichen Gründen — eine Herabsetzung der Ansätze möglich wäre. Ich darf sagen, daß wir uns bei manchen unserer Vorstöße in guter Gesellschaft befanden und daß — ich spreche da vielleicht etwas zu sehr aus meiner Erfahrung als Vorsitzender des Haushaltsausschusses — diese Ansätze im allgemeinen auf ein erträgliches Maß herabgesetzt worden sind. Trotzdem möchte ich hier aussprechen, daß sich die sozialdemokratische Fraktion vorbehalten muß, die Frage der Kontrolle gewisser Fonds in einzelnen Ministerien bei passender Gelegenheit aufzugreifen. Ich will die Begründung unserer Abänderungsanträge zu den Einzelplänen der Beratung dieser Einzelpläne überlassen; ich weise Sie in diesem Zusammenhang nur auf die Drucksache Nr. 786 hin, auf der Sie eine Entschließung der Fraktion der SPD zu den Haushaltsberatungen finden. Ich werde in einem anderen Zusammenhang noch auf die Ziffer 1 dieser Entschließung zurückkommen müssen. Eine allgemeine Bemerkung über das Verhältnis von Parlament und Regierung. Es ist in der letzten Zeit die gefährliche Theorie aufgetaucht, daß die Regierung ihre Macht zu einem erheblichen Teil aus eigenem Recht ausübt. Nun wissen wir — und wir haben die Erfahrung hier in diesem Hause gemacht —, daß einzelne Ministerien — ich glaube, das gilt auch für die Gesamtregierung in manchen wichtigen Fragen eher Gott und die Welt als das Parlament unterrichten, aus dessen Entscheidung sie hervorgegangen sind. Manchmal erfährt das Parlament erst post festum von Absichten, die über den Rundfunk und durch die Presse bereits im Ausland verbreitet worden sind. Wir finden, daß das nicht gut ist. Meine Fraktion legt Wert darauf, in diesem Zusammenhang erneut festzustellen, daß auch nach dem Grundgesetz die Macht und die Befugnisse der Regierung von der Macht und den Befugnissen des Parlaments abgeleitet sind. Wir müssen eine parlamentarische Regierung im echten Sinne des Wortes bekommen, und wir müssen dem Versuch entgegentreten, in irgendeiner auch nur andeutungsweisen Form zu autoritären Methoden der Entscheidung und Willensbildung zurückzukommen. Die Regierung sollte sich möglichst schnell an den Gedanken gewöhnen, daß das Parlament — ganz gleich, wie unangenehm seine Debatten im einzelnen sein mögen, das läßt sich nicht immer verhindern — für die Regierung nicht eine Last, sondern ein Bundesgenosse sein müßte. Das kann das Parlament aber nur werden, wenn es von der Regierung auch entsprechend behandelt und gewürdigt wird. Aus dieser Haltung ergeben sich Konsequenzen, die nach unserer Auffassung in erster Linie der Regierungschef zu ziehen hätte. Vielleicht widerspricht eine allzu häufige Begegnung mit dem Parlament den persönlichen Neigungen des Herrn Bundeskanzlers zu einsamen Entschlüssen, wie es in diesem Hause einmal formuliert worden ist. Aber wir werden aus den Konflikten nicht herauskommen, wenn nicht die Konsequenzen aus dem natürlichen und organischen Verhältnis zwischen Regierung und Parlament einmal resolut gezogen werden. Darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Passus aus der Rede meines Freundes Ollenhauer zur Regierungserklärung ins Gedächtnis rufen? Herr Ollenhauer hat damals gesagt: Unsere Opposition — d. h. die Opposition der Sozialdemokratie gegen die Regierung ist nicht die Negation der Regierung. Unsere Opposition ist begründet auf unsere eigene Vorstellung über die zweckmäßigste Form des Aufbaus und der Verwaltung der Bundesrepublik und über den politischen und sozialen Inhalt des neuen Staatswesens. Von dieser eigenen, von uns selbst bestimmten Position allein können wir die Entscheidung über unser Verhältnis zur Regierung fällen. Es gibt in der Tat nur ein einziges Mittel für die Regierung und die Regierungsparteien, uns zu überzeugen: das sind die praktischen Handlungen der Regierung. Sie werden der Maßstab unserer Kritik oder unserer Zustimmung sein. Meine Damen und Herren, hat die Politik der Regierung in den vergangenen Monaten es vermocht die sozialdemokratische Fraktion im ganzen oder im einzelnen zu überzeugen? Ich glaube, daß die sozialdemokratische Fraktion diese Frage mit Recht verneinen kann. Es gab Oasen in der großen Wüste der Spannungen, die das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition ausmachen. Ich denke zum Beispiel an das, was wir gestern hier erlebt haben, an das Wohnungsbaugesetz. Es mag andere geben, an die ich mich im Augenblick nicht erinnere. Aber was in einem Fall möglich ist, das könnte auch in anderen Fällen möglich gemacht werden. Im allgemeinen muß man feststellen: gegenüber den großen Aufgaben, die diesem Staatswesen gestellt sind und die Regierung und Parlament gemeinsam zu lösen haben, hat die Opposition in den vergangenen Monaten in der Regel mit ihrer eigenen Initiative die Regierung um eine Nasenlänge geschlagen. denn alle die Menschen, die aus diesem oder jenem Grunde durch die Verzögerung politischer und sachlicher Entscheidungen zu leiden haben, reagieren auf diese Dinge nicht rational, sondern emotionell und werden in das große Heerlager der Unzufriedenen, der Mißvergnügten, der zu jedem Abenteuer Bereiten abgestoßen. Und deshalb, sagen wir, ist der Zeitfaktor, die Frage, ob man zur rechten Zeit das Rechte in genügendem Umfange tut, entscheidend. In wichtigen Fragen hat nach unserer Meinung die Regierung sich mehr Zeit gelassen, als gut und zweckmäßig war. Ich will nur ein Beispiel erwähnen. Es ist einmal in diesem Hause gesagt worden — bei der großen Debatte über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit —, die Regierung habe sich seit ihrem Amtsantritt mit dieser Frage befaßt. Aber, meine Damen und Herren, erinnern wir uns nicht alle daran, daß es erst des Drängens der Opposition in diesem hause und des Drängens anderer Faktoren außerhalb dieses Hauses bedurfte, um die Regierung zum tatsächlichen Handeln zu bewegen? (Sehr richtig! und Händeklatschen bei der SPD. — Abg. Renner: Und trotzdem mehr als zweieinhalb Millionen Erwerbslose!)


    (Schoettle)


    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)


    (Sehr richtig! bei der SPD.)


    (Sehr richtig! bei der SPD.)


    (Sehr wahr! und Beifall bei der SPD.)


    (Sehr richtig! bei der SPD.)


    (Sehr wahr! und Händeklatschen bei der SPD.) Wir verkennen ganz gewiß nicht die Anfangsschwierigkeiten, die jede Regierung in der Bundesrepublik — ganz gleich, was immer ihre Zusammensetzung gewesen sein könnte — zu überwinden gehabt hätte. Diese Anfangsschwierigkeiten unterstellen wir als gegeben. Wir wissen auch um den Grad der Abhängigkeit, in dem sich unsere Politik entwickeln kann. Aber, meine Damen und Herren, schließlich ist es doch eine Tatsache, daß alle die Fragen, die vor uns stehen, die großen Fragen der Gestaltung einer neuen, sozialen Ordnung und einer Wirtschaftspolitik, die dieser neuen sozialen Ordnung gemäß ist, letzten Endes auch vom Zeitfaktor her bestimmt werden.


    (Sehr richtig! bei der SPD.) Wir brauchen nur einmal hinauszusehen und hinauszuhören ins Land, um festzustellen., daß sich die Verzögerung von Entscheidungen in unserem Volke zu einem politischen Gefahrenherd erster Ordnung ausgewirkt hat;


    (Sehr richtig! bei der SPD)


    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Schoettle)

    Dabei muß man doch offen zugestehen, meine Da- men und Herren, daß die offene Arbeitslosigkeit, die wir heute in Deutschland haben — selbst wenn wir eine gewisse rückläufige Entwicklung auf diesem Gebiet gar nicht leugnen können —, und die sicher beinahe in gleichem Umfange vorhandene versteckte Arbeitslosigkeit heute ebenfalls ein eminenter politischer Faktor geworden sind. Zum Teil aus demselben Grunde, aus dem viele Menschen, die sich in sozialer Notlage befinden, durch das Verzögern von Entscheidungen politisch in ein gefährliches Lager getrieben werden, ist die Arbeitslosigkeit und die Verzögerung ihrer ernsthaften Bekämpfung ein politisches Problem geworden.
    Aber, meine Damen und Herren, auch in einem anderen Zusammenhang: Die Menschen, um die wir heute als einen Teil des künftigen einheitlichen Deutschlands ringen, die Menschen in der Ostzone, die Menschen im Saargebiet blicken auf dieses Deutschland, auf diese Bundesrepublik Deutschland, und ihr inneres Verhältnis zu diesem Lande wird nicht zuletzt von der Art und von der Methode bestimmt, mit der wir diese Probleme lösen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn wir sie nicht lösen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn eine gewisse Abkühlung eintreten würde; denn schließlich bestimmen ja Millionen Menschen ihr Verhältnis zu einem Lande nicht in erster Linie von dem Gefühl der nationalen Solidarität her, sondern auch von der Sorge um ihre eigene Existenz; und die Sorge vor der Arbeitslosigkeit — das düstere Gespenst, das heute in Deutschland hinter manchem Arbeiter steht, der noch brav und treu an seiner Werkbank steht — ist auch ein politischer Faktor, den wir nicht übersehen sollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir sind der Auffassung, meine Damen und Herren, dan dieser Staat der Treuhänder aller Deutschen, der Treuhänder der deutschen, Einheit sein soll. Er soll es aber nicht nur in seinen Deklamationen sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Er soll es sein durch die Art, wie er die sozialen und wirtschaftlichen Fragen löst, wie er im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit die Beziehungen Deutschlands zu seiner Umwelt und die Beziehungen der Deutschen untereinander gestaltet. Wir wollen gar keinen Zweifel darüber lassen — selbst auf die Gefahr hin, daß der Herr Kollege Renner hier aufmuckt, will ich es sagen —: Wir betrachten das, was sieh im Osten Deutschlands als „Regierung" etabliert hat, als eine Regierung der Usurpation deutscher Staatsgewalt.

    (Starker Beifall bei der SPD.)

    Wir wissen, daß diese Regierung sich (Zurufe von der KPD)

    noch keinen Tag auf eine echte demokratische Legitimation, die aus dem frei ausgesprochenen Willen der Wähler entstanden wäre, hat stützen können.

    (Händeklatschen bei der SPD und bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

    Wir wissen, daß diese Regierung jetzt — (Abg. Renner: Die haben Fakten geschaffen, die hier fehlen!)

    — Herr Kollege Renner, ich will mich in diesem 1 Zusammenhang nicht mit Ihnen auf Auseinandersetzungen einlassen.

    (Sehr gut! bei der CDU und SPD.)

    Ich glaube, wir haben hier Wichtigeres zu tun, als ihre vergeblichen Versuche zu beantworten, sich selber zu legitimieren.

    (Bravo! und Händeklatschen bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Wir wissen, daß diese Regierung im Osten sich genau so räuspert, wie der große Einpeitscher hinter ihr spuckt!

    (Heiterkeit.)

    Wir wissen, daß sie keinen Tag leben würde, wenn dieser große Einpeitscher nicht da wäre.

    (Händeklatschen bei der SPD. — Abg. Renner: Meinen Sie die USA hier?)

    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
    jede Deklamation, jede Aktion gegen diesen Zustand im Osten unseres Landes muß ins Leere
    gehen, wenn wir nicht selber in der Lage sind,
    die sozialen und ökonomischen Spannungen zu beseitigen, die das Volk in Westdeutschland zerreißen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß echte soziale Gerechtigkeit und echte wirtschaftliche Ordnung — nicht irgendeine Ordnung, die man mit theoretischen Begriffen umreißen mag, sondern eine Ordnung, in der die Menschen das Gefühl haben, daß sie in der Ordnung leben — wie ein Magnet auf alle diejenigen wirken können, die heute noch gezwungenermaßen außerhalb der freien Entscheidung eines demokratischen Volkes leben.

    (Abg. Paul [Düsseldorf] : In Westdeutschland fehlt doch die magnetische Kraft!)

    — Nun, wie stark die magnetische Kraft im Osten ist, sehen wir an dem Flüchtlingsstrom, der nach dem Westen kommt.

    (Große Heiterkeit und Händeklatschen bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

    Ich habe noch keinen westdeutschen Kommunisten gefunden, den es mit dem Herzen nach drüben gezogen hätte,

    (Sehr richtig! und Händeklatschen bei der SPD, in der Mitte und rechts; — Zuruf des Abg. Renner)

    vor allem wenn, er, wie mancher von Ihnen hier in diesem Hause, selber im stillen Kämmerlein leise Zweifel bekommen und gelegentlich von der Parteimaschine einen auf den Deckel bekommen hat.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD, den Regierungsparteien und rechts.)


    (Allgemeine Heiterkeit.)

    Aber wir wollen zum Sachlichen zurückkommen!
    Ich sagte: echte soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Ordnung können wie ein Magnet wirken. Vertagung und unzulängliche Lösungen aber vertiefen nicht nur die Gräben hier in unserem eigenen Bereich, sie vertiefen auch den Graben, den Gewalt und fremde Interessen quer durch unser Land gezogen haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Zu den Fundamenten der Demokratie, wie wir Sozialdemokraten sie uns wünschen, gehört neben sozialer Gerechtigkeit als zweites eine stets wachsende staatsbürgerliche Freiheit. Wir sind uns wahrscheinlich im Hause im wesentlichen über die


    (Schoettle)

    Grenzen und den Inhalt staatsbürgerlicher Freiheit einig; ob wir es im Hinblick auf die Methoden sind, mit denen der Grad dieser staatsbürgerlichen Freiheit vergrößert werden kann, ist eine offene Frage.
    In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen, daß wir es als gefährlich betrachten, wenn da und dort die leise Andeutung einer Neigung zu autoritärer Entscheidung sichtbar wird. Solche Strömungen, solche Andeutungen ersticken die Bereitschaft zur inneren Freiheit, die letzten Endes — und das wollen wir unterstellen — in der großen Mehrheit der Deutschen schlummert und die nur geweckt werden will, damit sie diesen Staat mit blutvollem, echtem demokratischem Leben erfüllt.

    (Händeklatschen bei der .SPD.)

    Sie stärkt auf der andern Seite die echten und gefährlichen Gegner dieser Demokratie, auch wenn dieser Effekt nicht gewollt ist. Meine Damen und Herren, ich denke da an Debatten, die wir in diesem Hause gehabt haben, bei denen die Fronten offenkundig nicht ganz glücklich gewählt waren. Ich denke an die Debatte im Falle Hedler, bei der man den Eindruck gewinnen konnte, daß diejenigen die Demokratie verteidigen, die auf der Seite des Herrn Hedler stehen, und daß diejenigen die Feinde der Demokratie seien, die sich gegen diese Provokationen gewehrt haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich glaube, hier war etwas falsch im Akzent und in der Frontstellung.

    (Widerspruch rechts.)

    Ich glaube, wenn da drüben reagiert wird — —

    (Abg. Renner: Das erreicht man, wenn man die wirtschaftliche und soziale Basis zerstört, Herr Sozialist Schoettle!)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es spricht der Abgeordnete Schoettle!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Lieber Herr Kollege Renner, darüber, ob ich ein Sozialist bin und was wir unter Sozialismus verstehen, möchte ich mich mit Ihnen nicht in eine Unterhaltung in diesem Hause einlassen. Ich würde es vorziehen, mit Ihnen einmal unter vier Augen zu sprechen, um zu erfahren, was Sie wirklich denken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, ich würde dabei eine größere Überraschung erleben als Sie, denn Sie wissen es ja!

    (Abg. Dr. Schmid: Sie müssen ihn nicht so überschätzen!)

    — Spaß muß sein, Herr Kollege Schmid!
    Ein drittes Fundament, auf dem eine echte Demokratie ruhen sollte, muß in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden, weil es für die Gesamtpolitik der Regierung von großer Bedeutung ist. Das ist ein wachsender Grad nationaler Freiheit und staatlicher Bewegungsfreiheit im Rahmen einer echten europäischen Ordnung. Es ist Aufgabe jeder Regierung in diesem Lande, das unter den Folgen der nationalsozialistischen Politik noch Jahrzehnte zu leiden haben wird, einen ständigen Kampf um die Erweiterung dieser nationalen Bewegungsfreiheit mit den Besatzungsmächten zu führen. Es ist nur natürlich, daß die Besatzungsmächte die von ihnen etablierte Ordnung als etwas Statisches zu betrachten geneigt sind, und daß der Kampf um die Veränderung, um die Erweiterung der Grenzen, innerhalb deren wir uns bewegen können, auf
    Widerstand stoßen wird. Aber wir müssen diesen Kampf mit den uns gegebenen Mitteln führen, wenn wir tatsächlich die Voraussetzungen schaffen wollen, unter denen dieses Land nicht etwa geduldet, sondern gleichberechtigt in eine neue Gemeinschaft der Nationen eintreten soll. Wir glauben, daß ein Erfolg dieser Bemühungen nur möglich ist, wenn wir — und da möchte ich meinen Parteifreund Schumacher aus seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung zitieren — uns hüten, wegen der angeblichen Eiligkeit eines Termins materielle Dinge preiszugeben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Opposition sieht sich auch hier in der Rolle des ständigen Drängers und Mahners. Sie kann auf diese Rolle nicht verzichten, selbst wenn da und dort im Inland und im Ausland manche Leute dabei unbehagliche Gefühle haben sollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus diesen Bemerkungen ergibt sich unsere Kritik an Einzelheiten der Regierungspolitik. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Regierung im Tempo gelegentlich hinter dem Notwendigen zurückgeblieben sei. Wir haben in diesem Hause festgestellt, daß sie e i n m a l ein beträchtliches Tempo vorgelegt hat, und das war bei der Steuergesetzgebung. Die Steuergesetzgebung ist hier mit einer Eile betrieben worden, die anderen Objekten ebenfalls angemessen gewesen wäre.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber hier — ich weiß, es wird nicht gern gehört —
    haben wir den Eindruck, daß die Regierung ein Versprechen einlösen mußte,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    ein Versprechen, dessen Einlösung nach unserer Auffassung in einem bemerkenswerten Widerspruch zu den Tönen stand, die wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört haben, nämlich der Bemerkung, daß diese Regierung eine soziale Politik treiben, daß sie so sozial wie möglich — hier liegt ja auch schon eine Einschränkung - sein wolle.

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Steuerpolitik war ein Wahlversprechen!)

    — Herr Kollege von Rechenberg, wenn Sie das a u c h sagen, sind wir uns ja vollkommen einig. Ich habe dann nichts weiter dazu zu bemerken; aber ich darf nur feststellen, daß das Tempo, das wir bei der Steuergesetzgebung erlebt haben, in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den zaghaften und unzulänglichen Versuchen stand, auf anderen Gebieten gesetzgeberisch tätig zu sein.

    (Abg. Renner: Etwa die Kriegsopferversorgung!)

    Es scheint mir geradezu die Konsequenz dieser Steuergesetzgebung zu sein, daß man in Fragen der Kriegsopferversorgung und der Sozialpolitik überhaupt sehr viel zurückhaltender gewesen ist.

    (Hört! Hört! und lebhafte Zustimmung bei der SPD und KPD. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Umgekehrt! Das soll erst die Möglichkeit zu guter Sozialpolitik schaffen!)

    —Darüber werden wir zu gegebener Zeit noch
    zu sprechen haben, Herr Kollege von Rechenberg, wenn erst einmal das eingetreten ist, was Sie erwarten. Die Sozialdemokraten sind immer gern bereit, Erfolge zuzugestehen, wenn sie eingetreten sind; aber Vorschußlorbeeren geben wir nicht gern.

    (Sehr gut! bei der SPD.)



    (Schoettle)

    Meine Damen und Herren! Es scheint sich eben doch auch hier zwar nicht die Erkenntnis, aber das Gewicht der Tatsache durchgesetzt zu haben, daß man nicht Steuergeschenke und Sozialpolitik zugleich machen kann,

    (Zustimmung bei der SPD)

    daß das eine das andere, wenn nicht geradezu aufhebt, so doch erheblich beschränkt.

    (Abg. Euler: Herr Schoettle, Sie wissen aber doch ganz genau, in wie erheblichem Umfange die überhöhten Steuern an unserer Wirtschaftslage schuld sind!)

    — Ich glaube, Herr Kollege Euler, diese Zwiegespräche haben wenig Sinn. Ich vertrete hier den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion, vertreten Sie den Ihrigen — das ist das Recht jeder Gruppe in diesem Hause —, und wenn es sich urn Zwiegespräche handelt, bin ich bereit, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, aber nicht hier.
    Jedenfalls kommen wir hier auf den Kern des Problems, das uns gestellt ist. Wir haben es nicht damit zu tun, irgendwelche Theorien zu verwirklichen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns hier in stundenlangen Debatten über die Vorzüge oder Nachteile irgendeines ökonomischen Systems zu unterhalten, wie wir es leider manchmal getan haben. Worauf es ankommt, ist, von einer ehrlichen nationalen Bilanz her eine Vorstellung zu entwikkeln, wie wir die uns gegebenen Mittel rationell, vernünftig, politisch und sozial zweckmäßig einsetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben ja oft über den angeblichen Gegensatz zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft gesprochen. Ich bin nie darüber hinweggekommen, daß aufgeklärte, gebildete Menschen so leicht bereit sind, eine bequeme politische Parole zu prägen, mit der man draußen in Versammlungen wirken kann, indem man Planung und Zwangswirtschaft auf einen Nenner bringt. Meine Damen und Herren, ich muß hier mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus einem Aufsatz zitieren, der mir dieser Tage zufällig in die Hände gefallen ist und der von einem bekannten Professor der Nationalökonomie stammt. In diesem Aufsatz steht folgendes zu lesen:
    Schon in einem früheren Aufsatz wies ich darauf hin, daß zwischen planvoller Wirtschaft und voller Planwirtschaft Raum für unendlich viele Variationen der Beeinflussung und Lenkung der Wirtschaft bliebe und daß es deshalb unrichtig und unehrlich sei, hier mit absoluten Begriffen zu operieren.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Der eigentliche Gegensatz besteht nicht zwischen
    freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Unsere Kritik richtet sich also nicht gegen die mannigfaltig auszudeutende Planwirtschaft. Vielleicht kann mir der Herr Bundeswirtschaftsminister Auskunft darüber geben, ob der Verfasser dieses Artikels, Herr Dr. Ludwig Erhard, etwa mit ihm identisch ist.

    (Hört! Hört! und Beifall bei der SPD. — Heiterkeit. — Abg. Renner: Das ist zweierlei!)

    Meine Damen und Herren, wenn wir einmal nicht von theoretischen Streitpunkten, sondern von der Frage ausgehen, was uns not tut, und wenn wir dabei an die Menschen denken, die hinter diesen theoretischen Streitgesprächen in der Regel nur das Gezänk der Gelehrten und der Wissenschaftler vermuten, das an ihren eigenen Lebensfragen vollkommen vorbeigeht, dann kommen wir vielleicht, wenn auch unter schweren Kämpfen und nur unter der Voraussetzung, daß wir bereit sind, mutig die Konsequenzen aus unseren Einsichten zu ziehen, doch zu dem. Ergebnis, daß es mit den Methoden, die bisher in unserer Wirtschaftspolitik angewandt worden sind, nicht geht.
    Gestern haben wir ja den Notschrei der Landwirtschaft gehört. Es ist in diesem Hause festgestellt worden, daß bei den gegenwärtigen Methoden der Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zwangsläufig ins Hintertreffen gekommen ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Landwirtschaft ist nur e i n großer Sektor unserer nationalen Wirtschaft. Wenn dann schon auf diesem einen Gebiet so etwas gesagt wird, was sollen dann die Millionen sagen, die mit einem ungenügenden Realeinkommen vor den Schaufenstern stehen und die schönen Auslagen bewundern können, ohne die Genugtuung zu haben, daß sie davon etwas kaufen können? Diese Leute sind in diesem Sinne ja auch Opfer dieser Wirtschaftspolitik. Sie sind auch bei den Maßnahmen vergessen worden, mit denen man versucht hat, unsere Wirtschaft in Ordnung zu bringen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, die eigentlich in die Beratungen über das Haushaltsgesetz gehört. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir ja das Haushaltsgesetz zu verabschieden, das den technischen und rechtlichen Rahmen für die Behandlung der Einzelpläne und für die Verwaltung darstellt. In diesem Haushaltsgesetz gibt es einen § 10, der Gegensand einer lebhaften Kontroverse zwischen dem Bundesrat — genauer gesagt: den Finanzministern der Länder --und dem Bundesfinanzministerium war. Es handelt sich da in erster Linie um die Frage, wer denn die Mittel dafür aufbringen muß, um den Ausgabenüberschuß, wie man neuerdings statt Defizit zu sagen pflegt, zu decken. Ich glaube, wir werden bei Beratung des Haushaltsgesetzes auf diese Frage noch im einzelnen zurückkommen müssen. Ich möchte jetzt schon darauf hinweisen, daß die Vorlage, die Sie in den Händen haben, nicht ganz korrekt ist, weil nämlich in dieser Vorlage gerade die Fassung des § 10 nicht mit der Fassung übereinstimmt, die aus den Beratungen des Haushaltsausschusses hervorgegangen ist. Es muß korrekterweise heißen, daß der Bundesfinanzminister im Benehmen mit dem Bundesrat zu entscheiden hat. Was steckt aber hinter dieser Kontroverse? Es steckt der Versuch der Länderminister dahinter, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Bund auf ein möglichst bescheidenes Maß zu fixieren und bei der endgültigen Feststellung des zu deckenden tatsächlichen Abmangels mit zu entscheiden, nicht etwa über die Höhe der Quote, die auf die einzelnen Länder entfällt, sondern über die Höhe des Betrags, den man als Abmangel feststellt.
    Meine Damen und Herren, wir sind nahezu am Ende des Haushaltjahres. Jeder, der in der Finanzverwaltung tätig ist, weiß heute schon, wie hoch der tatsächliche Abmangel in zwei oder drei Tagen sein wird. Ich weiß nicht, warum von den Länderfinanzministern ein solcher Streit um die Frage geführt wird, ob der Bundesrat zustimmen oder nur gehört werden soll. Was soll denn der Bundesrat dabei feststellen? Er kann nur zur Kenntnis nehmen, daß das Defizit soundso viele Millionen beträgt, und er kann sich überlegen, woher die Länderfinanzminister das Geld nehmen, um


    (Schoettle)

    das Defizit zu decken; aber er kann nichts mehr feststellen. Die Feststellung ist Sache der Rechnungslegung. Das, was ausgegeben worden ist, ist nun eben einmal ausgegeben worden; und was zu decken ist, weisen die nüchternen Zahlen aus. Meine Fraktion wird sich deshalb erlauben, bei der Beratung des Haushaltsgesetzes die Wiederherstellung der Ausschußfassung zu beantragen, weil wir der Meinung sind, daß hier vom Bundesrat mit Kanonen nach Spatzen geschossen worden ist. Die Austragung dieses Streits war in diesem Augenblick völlig überflüssig. Ich bedaure aufrichtig, daß der Herr Bundesfinanzminister nach einem ursprünglichen Anlauf zur Stärke auch gegenüber den regionalen — vorsichtig sagt man sonst: föderativen — Interessen plötzlich weich in den Knien wurde und nach einem heftigen Widerstand seines eigenen Referenten im Haushaltsausschuß dann während der Mittagspause vor dem Bundesrat kapitulierte.

    (Hört! Hört! bei der SPD und rechts.)

    Ich glaube, so billig sollte man es nicht machen,

    (Zuruf von der BP: Sehr interessant!)

    wenn es sich um eine immerhin etwas grundsätzliche Entscheidung handelt, nämlich um die Entscheidung der Frage, ob der Bundesrat bzw. die Länder bei der Festsetzung der Bedürfnisse des Bundes in dem Maße, wie es hier verlangt wird, mitwirken sollen. Das kann für die Zukunft Konsequenzen haben, die uns alle sehr unangenehm aufstoßen werden.
    Da ich gerade beim Haushaltsgesetz bin, möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung zurückkommen, die in der zweiten Lesung gefallen ist. Mein verehrter Kollege aus dem Haushaltsausschuß Herr Professor Dr. Nöll von der Nahmer hat damals in diesem Hause eine Theorie aufgestellt. Er hat sie auch sonst öffentlich vertreten. Ich glaube, wir können in aller Freundschaft über diese Dinge reden. Wir haben uns nie gezankt, wenn wir auch gelegentlich verschiedener Meinung sind. Er hat eine Theorie aufgestellt, wonach man in Zukunft dazu kommen müsse, den Bundeshaushalt — und das gilt natürlich auch für alle andern Haushalte — von der Einnahmenseite her aufzubauen. Man müsse — das ist der Inhalt dieser These — zunächst einmal feststellen, welche möglichen Einnahmen man habe, und danach solle man die Ausgaben bestimmen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Der Kollege Dr. Nöll von der Nahmer hat dabei das Beispiel der Hausfrau angeführt, die auch nur soviel ausgeben kann, wie sie oder der Mann einnimmt. Es ist ein bestechendes Beispiel; aber es ist prinzipiell falsch. Ich glaube, ein Staatshaushalt und ein Privathaushalt sind nicht unbedingt miteinander zu vergleichen. Beim Staatshaushalt bestehen einige Voraussetzungen, die beim Privathaushalt nicht gegeben sind. Wir haben im Staatshaushalt einige fixe Posten und einige unveränderliche Aufgaben, die man nicht mit den Methoden jener Theorie bewältigen kann. Man kann zu dieser Theorie des Herrn Kollegen Dr. Nöll von der Nahmer nur sagen: wenn sie einmal in die Praxis umgesetzt würde, würde dies das
    Ende jeder Sozialpolitik in Deutschland bedeuten,

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und bei der KPD)

    denn dann müßten Sie zunächst einmal den verehrlichen Steuerzahler befragen, wieviel er denn
    eigentlich für die allgemeinen Aufgaben des Staates
    zu leisten bereit ist, und ich habe noch keinen Steuerzahler gefunden, der bereit gewesen wäre, zu sagen: Im Hinblick auf die großen sozialen Verpflichtungen bin ich bereit, von heute ab 5 oder 10 Prozent mehr Steuern zu bezahlen. Ich glaube, wir werden ihn auch nicht durch die beste Politik schaffen, die wir hier in diesem Hause treiben. Deshalb sollte man vorsichtig mit solchen Theorien sein, die nur die öffentliche Diskussion irreführen und von den tatsächlichen Notwendigkeiten dieses Landes wegführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Soviel zu diesem Punkt.
    Meine Damen und Herren, nun noch ein Wort zur Außenpolitik der Regierung. Wir haben Ihnen eine Entschließung vorgelegt, in deren Ziffer 1 wir — Sie werden darüber vielleicht etwas erstaunt sein — den Herrn Bundeskanzler ersuchen, im Rahmen des Bundeskanzleramts mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Staatssekretariat für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einzurichten, das den ganzen Bereich der mit der internationalen Politik zusammenhängenden Fragen, soweit das Besatzungsstatut keine Beschränkungen festlegt, betreuen und auch eine politische Abteilung enthalten soll.
    Wenn man sich die Frage nach der Außenpolitik der Regierung vorlegt, so kommt einem unwillkürlich die Frage: Gibt es die denn überhaupt, die Außenpolitik der Regierung? Wir haben den Versuch des Herrn Bundeskanzlers erlebt, Außenpolitik zu machen. Das ist zweifellos eine seiner Aufgaben. In Ermangelung eines Auswärtigen Amts ist es im Bereich der Tätigkeit des Bundeskanzlers, der ja die Richtlinien der Politik festlegt, durchaus zu vertreten. daß er die außenpolitische Aktivität, soweit sie im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit möglich ist, führt, koordiniert, orientiert.

    (Abg. Renner: Siehe Besatzungsstatut!)

    Wir haben daneben auch andere Versuche erlebt, Außenpolitik zu machen. Wir haben da den Versuch des Wirtschaftsministeriums, im Auslande neben den Vertretungen, die uns schon vom 1. April ab gestattet sind, eigene Vertretungen zu errichten. Wieweit dieser Versuch gediehen ist, ob er nicht bereits im Keime erstickt wurde — was ich wünschte —, das weiß ich nicht; jedenfalls ist dieser Versuch der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Wir haben weiter das ERP-Ministerium, und ich weiß nicht, was es sonst noch an außenpolitischen Aktivitäten gibt. Wo aber immer Persönlichkeiten der Regierung geredet haben, haben sie irgendwie Außenpolitik gemacht, und ich glaube, man kann, ohne Gefahr zu laufen, einen Ordnungsruf vom Herrn Präsidenten zu erhalten. doch sagen: es ist einiges Porzellan dabei zerbrochen worden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß ich da nicht einmal aus den Kreisen der Koalitionsparteien allgemeinen Widerspruch finden werde.

    (Heiterkeit.)

    Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu den Methoden unserer Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler, dessen Legitimation wir nicht bestreiten,

    (Abg. Dr. Schumacher: Formell!)

    hat den Versuch gemacht, das Gespräch über Europa, über die deutsche Wiederaufrüstung, über diese oder jene Frage von internationaler Bedeutung in Gang zu bringen. Ich glaube, die Mittel, die


    (Schoettle)

    er dazu benutzt hat, waren nicht immer die richtigen. Ja, ich möchte etwas weitergehen und sagen: sie waren in mehreren entscheidenden Fällen ausgesprochen unzweckmäßig.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Fraktion hält zum Beispiel nichts davon, daß man sich zur Lancierung bestimmter Absichten und Ansichten eines amerikanischen Journalisten bedient

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und daß man dann in eine Serie von weiteren Interviews hineinschlittert, bei denen sich Mißverständnisse ergeben, die aufzuklären sind, Dementis, die wieder nicht verstanden werden, und alle möglichen Aktionen und Konteraktionen nur so durcheinander wirbeln.
    Ich glaube, meine Damen und Herren, so kann man die Außenpolitik, die uns gestattet ist, auf die Dauer nicht machen, ohne schweren Schaden zu leiden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man sollte doch einmal ernsthaft überlegen, ob es nicht besser ist, auf die Methode der Improvisationen aus dem Augenblick heraus zu verzichten und statt dessen eine solide Konzeption zu entwickeln, wohin man eigentlich will.

    (Händeklatschen bei der SPD.)

    Mit Noteinfällen, die einem aus der Verlegenheit des Augenblicks gerade zufliegen, kann man in dieser komplizierten Welt nicht durchkommen!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion wünscht nichts mehr als eine gemeinsame Grundlage für Opposition und Regierung in Fragen der Außenpolitik.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber auf dem Wege, den wir bisher auf diesem Gebiet gewandelt sind, kommen wir nicht zu dieser gemeinsamen Grundlage!

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die „einsamen Entschlüsse" des Herrn Bundeskanzlers, die dann nachher doch Gelegenheit zu Auseinandersetzungen geben, sind keine solche Grundlage. Wir wollen uns nicht dazu hergeben, eine Gemeinsamkeit vorzutäuschen, die nur darin besteht, daß wir uns nach vollbrachter Tat hinten anschließen dürfen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir sind uns in einem, wahrscheinlich in der
    Theorie und in der allgemeinen Richtung, sehr
    nahe: wir wollen doch, daß aus diesem fürchterlichen Debakel, das unsere Generation erlebt hat,
    etwas anderes, etwas Solideres, etwas Besseres entsteht. Darüber, worin dieses Solidere, dieses Bessere besteht, gehen die Meinungen auseinander,
    aber wir alle haben wahrscheinlich — mit wenigen
    Ausnahmen, denen nicht zu helfen ist — begriffen,
    daß dieses Deutschland sich wirklich nur wieder
    entwickeln und leben kann, wenn es in eine größere Ordnung eingeht. Europa ist für uns nicht
    irgendein fernes Traumgebilde, sondern eine lebendige Aufgabe der Gegenwart. Wir Sozialdemokraten haben da zwar im einzelnen vielleicht unsere
    Auffassungen zu modifizieren, aber wir haben
    keine Gesinnung zu ändern oder neu zu erwerben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Unser Bekenntnis zu Europa ist nicht jüngsten Datums. Aber wir werfen es denen nicht vor, die erst neuerdings zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Wir halten es für gut, daß Menschen durch die bittere Erfahrung zu neuen Einsichten kommen. Wir wollen nach Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, und die Sozialdemokratie wird jeden Schritt begrüßen und aktiv fördern, der wirklich nach Europa führt. Aber ich möchte es gerade in diesem Augenblick ausgesprochen haben: Der Weg nach Europa kann nach der Meinung der Sozialdemokratie nicht durch das kaudinische Joch eines Junktims führen, das die Sieger für die Besiegten aufgerichtet haben.

    (Händeklatschen bei der SPD.)

    Ich will hier keine Saardebatte entfesseln und mich deshalb auf diese paar Bemerkungen beschränken, zu diesem Thema aber abschließend sagen:
    Wir müssen endlich — und das gilt nicht nur für uns Deutsche, das gilt auch für die anderen Partner in diesem noch nicht begonnenen Gespräch — Europapolitik auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens der Europäer machen und nicht, indem wir ein Europa vortäuschen, das in Wirklichkeit nur eine Kulisse für die Verteidigung oder für die Ausdehnung nationaler Interessengebiete darstellt.

    (Abg. Renner: Der USA!)

    — Herr Renner, ich lasse mich im Augenblick nicht von Ihnen verlocken; sonst gäbe es hier eine Kontroverse, an der Sie keine Freude hätten.

    (Abg. Renner: Ich wollte Ihnen nur helfen!)

    — Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit. (Abg. Dr. Schumacher: Herr Renner ist hier der Sanitäter! — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen, die in dieses Kapitel gehört. Ich glaube, daß unsere offizielle Politik in der Tendenz bisher zwar versucht hat, Vertrauen herzustellen, daß aber ihre Methoden nicht dazu angetan waren, restloses Vertrauen zu wecken, sondern sehr -oft das Gegenteil bewirkt haben, weil auch hier alles nur improvisiert war, anstatt daß man nach einer klaren Konzeption geplant und gehandelt hätte. Wenn irgendwo Planung notwendig ist, dann gerade in den subtilen und empfindlichen Beziehungen eines geschlagenen und um seine Rehabilitierung ringenden Landes gegenüber seiner Umwelt, die an sich voll von Komplexen gegenüber diesem Neuankömmling ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dann noch auf die freundliche Aufforderung antworten, die der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Lesung, als es um die Beratung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen ging, an uns gerichtet hat. Der Herr Bundeskanzler hat damals der sozialdemokratischen Fraktion zugeredet, sie möchte doch ihre Entscheidung bezüglich dieses Ministeriums reiflich überlegen und bis zur dritten Lesung zurückstellen. Wir schätzen die gute Absicht. Aber wir sehen uns außerstande, ihr zu entsprechen und unsere Haltung zu ändern. Denn, meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es bei diesen Fragen nicht auf formale Lösungen ankommt, nicht auf die Schaffung von Ministerien, nicht auf die Schaffung von Behörden, nicht auf die Entsendung von Beauftragten irgendwohin, sondern auf das, was an spürbaren Realitäten hinter politischen Erklärungen steht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir wünschten zum Beispiel — ich spreche das offen aus —, daß die Bundesregierung etwas mehr Wärme, etwas mehr Aktivität in ihren Beziehungen zu dem kämpfenden Berlin zeigen würde,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)



    (Schoettle)

    als das gegenwärtig festzustellen ist. Wir sind ferner der Meinung — auch das sprechen wir offen aus —, daß es für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen nur gesamtdeutsche Fragen gibt, daß sie ein gesamtdeutsches Kabinett sein müßte, das sich allen Fragen, die dieses ganze Deutschland angehen, widmet.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) Aber dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine effektive, eine auf Gesamtdeutschland ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber kein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen.


    (Sehr gut! bei der SPD)

    Und nun muß ich noch Gelegenheit nehmen, eine Bemerkung zu einer Rede zu machen, die der Herr Bundeskanzler kürzlich in Bochum gehalten hat und in der er nach mancherlei Richtungen Zensuren erteilte. Ich habe mich hier nicht zum Sachwalter derjenigen aufzuwerfen, die zum Freundeskreis des Herrn Bundeskanzlers gehören.

    (Heiterkeit.)

    Aber auf einige Bemerkungen, die an die Adresse der Sozialdemokratie gerichtet waren, möchte ich doch mit wenigen Sätzen eine Antwort geben, die. wie ich hoffe, nicht mißzuverstchen ist. Vielleicht klärt sich dann manches hier in diesem Hause; ich wage jedenfalls die Hoffnung auszusprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in Bochum der Sozialdemokratie den Vorwurf gemacht, daß sie ganz anders sei als die Sozialdemokratie vor 1933 und daß sie viel weniger Verantwortungsbewußtsein und Bereitschaft zur Mitarbeit zeige als vor 1933. Dazu, meine Damen und Herren, ist folgendes zu sagen. Jede Zeit hat ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Bedingungen, und ich gestehe ganz offen, daß ich, rückschauend, wünschte, die Sozialdemokratie vor 1933 hätte etwas mehr von dem militanten Geist gehabt, den wir Sozialdemokraten des Jahres 1950 zu entwickeln hoffen.

    (Händeklatschen bei der SPD )

    Gerade weil jede Zeit ihre eigenen Bedingungen
    und Methoden hat, sage ich Ihnen ganz ehrlich:
    Rechnen Sie nicht damit, daß die Sozialdemokratie
    das entwickelt was der Herr Bundeskanzler vielleicht unter „Verantwortungsbewußtsein" versteht,

    (Sehr gut! bei der SPD )

    nämlich daß sie bereit wäre, Order zu parieren, wenn's gewünscht wird.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Gerade weil wir unsere Funktion als echte demokratische Opposition in diesem Staate und in diesem Hause erfüllen wollen, werden wir nur bei Entscheidungen mitwirken, die wir vor unserem Gewissen und nach reiflicher Überlegung auch mit unseren eigenen Vorstellungen von den notwendigen Lösungen in Einklang bringen können,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)

    und wir werden nicht um einer billigen Einheitlichkeit willen unsere Grundsätze und unsere Auffassungen zum Opfer bringen, nur weil es so bequemer wäre. Wir wollen kein bequemer Partner
    sein. Unsere Opposition gründet sich auf eigene
    Vorstellungen von dem, was wir für die friedliche
    Entwicklung unseres Volkes für notwendig halten.
    Wir wollen selber die Grenzen dessen festsetzen,
    was man uns zumuten kann und was wir Uns selber
    kann und
    zumuten wollen. In diesem Punkt muß sich der Herr Bundeskanzler schon an eine andere Adresse wenden, wenn er gefügigere Partner haben will. Wir gedenken ihm dort entgegenzukommen, wo er den ehrlichen Versuch macht, mit uns vor Entscheidungen zu sprechen und wo wir das Gefühl haben, daß wir uns auf einer gemeinsamen Ebene treffen. Auf allen anderen Gebieten wird die sozialdemokratische Fraktion ihre Politik der Politik der Regierung entgegenstellen, und im Ringen der Kräfte, in der echten Auseinandersetzung wollen wir dann versuchen, das zu erreichen, was möglich ist. Das scheint mir doch eigentlich der Sinn parlamentarischer Arbeit zu sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Da ich gerade bei der parlamentarischen Arbeit bin, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu der Arbeit dieses Hauses selber sagen, sicher nicht sehr Tiefgründiges, sicher nichts Revolutionäres, nur etwas, was im Grunde genommen in meinen ganzen Ausführungen mitgeschwungen hat. Sehen Sie, ich stehe hier oben, ich rede mehr zur Galerie als zu Ihnen, nicht weil ich es will, sondern weil ich es muß, weil die Anordnung dieses Hauses derart ist, daß der Redner gezwungen ist, da hinauf zu reden, anstatt sich in ein Gespräch mit den Damen und Herren dieses Hauses zu verwickeln. Jeder Versuch, hier ein Zwiegespräch zustande zu bringen, ist eine Störung der parlamentarischen Arbeit,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    während es in Wirklichkeit der Inhalt der parlamentarischen Arbeit sein sollte. Der Herr Präsident thront in den Wolken, aber das ist ja vielleicht die Natur des Präsidenten.

    (Heiterkeit.)

    Wenn man hier unten sitzt, dann hat man das Gefühl, daß zwischen Regierung und Parlament eine hohe Mauer errichtet ist. Sie ist es in der Tat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich wünschte, wir würden mit der Reform der parlamentarischen Arbeit beginnen, indem wir die Schranken, die Regierung und Parlament voneinander trennen, wenigstens räumlich niederreißen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Architekten, die sicher mit viel Geschmack dieses Haus entworfen und gebaut haben, vielleicht in ihren ästhetischen Empfindungen gestört werden. Ich glaube, hier ist dem Ästhetischen etwas zu viel Tribut gezollt, und die parlamentarische Zweckmäßigkeit ist vernachlässigt worden.

    (Lebhafte Zustimmung auf allen Seiten des Hauses.)

    Vielleicht ist das nur ein bescheidener Beitrag zum Thema; aber ich glaube, wir würden in diesem Hause sehr viel besser arbeiten können, wenn die menschliche Atmosphäre den politischen Gegensatz gelegentlich modifizieren und regulieren würde.

    (Allseitiger Beifall.)

    Denn diese Schranken: hier für den Bundestag, dort für die Regierung und sogar für das hohe Präsidium, sind symbolisch für das gegenwärtige Verhältnis von Parlament und Exekutive. Das sollte nicht sein.

    (Abg. Renner: Das ist aber im Grundgesetz verankert!)

    Nun zum Schluß, meine Damen und Herren! Nach dem, was ich Ihnen vorgetragen habe, wird es für Sie selbstverständlich sein, wenn ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erkläre, daß wir das Haushaltsgesetz und die Einzelpläne in der Abstimmung in der dritten Lesung ablehnen werden, nicht, weil wir nicht im einzelnen die Notwendigkeiten des Aufbaues einer neuen Verwaltung akzeptieren und richtig einschätzen, sondern weil wir durch diese Haltung unsere grundsätzliche


    (Schoettle)

    Stellung, unsere Ablehnung gegenüber der Gesamtpolitik dieser Regierung bekunden wollen. (Lebhafter Beifall bei der SPD.)