Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion benutzt die Gelegenheit der dritten Lesung des vorläufigen Haushaltsgesetzes zu Bemerkungen über die Gesamtpolitik der Regierung. Wir sind der Meinung, daß der Haushaltsplan in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit nur ein Teil des gesamten politischen Komplexes ist.
Was wir heute in der dritten Lesung beraten, ist schon an sich nur ein Teil, man kann noch nicht einmal sagen, ein Torso; es ist höchstens ein Glied eines Gesamtkörpers. Das sieht man schon, wenn man die Ziffern vergleicht. Wenn man sie im einzelnen analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, daß selbst innerhalb der bescheidenen Schlußziffer von etwas über 27 Millionen DM, die diesen Haushaltsplänen zugrunde liegt, das Gleichgewicht sehr ungleichmäßig verteilt ist und daß ein erheblicher Teil auf die Etablierung der gesetzgebenden Instanzen fällt. Trotzdem glaube ich, daß es wahr bleibt, daß Haushaltspläne, selbst wenn sie in dieser fragmentarischen Form vorliegen, zwei Dinge widerspiegeln, die man bei der Kritik und bei der Auseinandersetzung mit ihnen in Rechnung stellen muß. Einmal sind es allgemeine Notwendigkeiten und Bedürfnisse, über die in der Regel sehr wenig zwischen denen zu streiten ist, die sich der sachlichen Klärung dieser Notwendigkeiten befleißigen und die deshalb anerkennen, wo anzuerkennen ist. Daneben gibt es in jedem Haushnltsplan spezielle Tendenzen die aus politischen Machtverhältnissen und vielleicht nicht zuletzt aus persönlichen Eigenarten und aus parteipolitischem Kalkül entspringen. Diese beiden Dinge finden wir auch bei den vorliegenden Plänen.
Ich möchte gleich vorweg sagen: die Sozialdemokratie feilscht nicht, wenn es um die Erfüllung anerkannter Notwendigkeiten geht. Wir haben das bei den Beratungen im Haushaltsausschuß bewiesen. Wir sind uns darüber klar, daß die allgemeinen Voraussetzungen für eine geordnete Verwaltung gegeben sein müssen und daß es keinen Sinn hat, hier aus bloßer Freude an der Negation dagegen zu sein. In gewissen Grenzen! Um so notwendiger ist es aber, daß wir zu den politischen Fragenkomplexen Stellung nehmen, die durch die Haushaltspläne nur angedeutet werden, die aber hinter ihnen stehen, weil auch der Staatshaushalt schließlich nichts anderes ist als ein Instrument, dessen sich die Regierung und die Verwaltung bedient, um ihre besondere politische Konzeption in die Wirklichkeit umzusetzen.
Man kann den Haushalt, wie er dem Hohen Hause vorliegt, nur in Zusammenhang sehen erstens mit dem in erster Lesung bereits verabschiedeten Ergänzungshaushalt, weiter mit der Steuergesetzgebung der Regierung, mit ihrer Wirtschaftspolitik, mit ihren außenpolitischen Aktionen und Unteriassungen, kurzum mit der ganzen Atmosphäre, die unsere Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Erst so hat man eine Grundlage für die Beurteilung der Bedeutung der .gegenwärtigen Beratung.
Bleiben wir zunächst beim Haushaltsplan. Wir Sozialdemokraten glauben nicht, daß im personellen Aufbau der Verwaltung allzusehr über das Ziel geschossen worden ist. Wir haben im Haushaltsausschuß da, wo wir Streichungen für notwendig hielten, den Versuch gemacht, diese Streichungen durchzusetzen. Wir haben dabei gelegentlich auch die Bundesgenossenschaft von Kollegen und Kolleginnen aus dem Kreise der Regierungsparteien gefunden. Ich darf sagen: gelegentlich kamen die schärfsten Attacken sogar aus den Kreisen der Koalition. Ohne ein Geheimnis preiszugeben: man gewann manchmal den Eindruck, daß gerade diese Attacken nicht immer nur von sachlichen Überlegungen ausgingen, sondern mehr den Versuch darstellten, sich selber gegenüber der Öffentlichkeit zu salvieren.
wir haben uns bei diesen Beratungen nie durch solche Überlegungen bestimmen lassen, sondern sind immer in der Richtung gegangen, sachliche Lösungen mit sachlichen Mitteln zu erstreben.
Wenn wir auch nicht glauben, daß beim quantitativen Aufbau der Verwaltung sehr stark übers Ziel geschossen wurde, so haben wir doch im einzelnen gegen die persönliche Besetzung von Stellen starke Bedenken.
Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich im Namen meiner Fraktion aussprechen, daß wir nicht den Eindruck und die sichere Überzeugung haben, daß bei der Besetzung von Stellen, kurzum bei dem Gesamtkomplex, den man als Personalpolitik bezeichnet, stets nach sachlichen und nie nach parteipolitischen Gesichtspunkten verfahren wurde,
und ich weiß — auch da verrate ich kein Geheimnis —, daß auch bei manchen, die der Regierung näher stehen als wir Sozialdemokraten, Bedenken gegen eine gewisse autoritäre Art der Entschei-
dung bei Personalbesetzungen laut geworden sind. Wir haben in diesern Punkt die allersterkste Bedenken und wünschen dringend, daß hier eine Angering eintritt, soweit aas beim Vorhandensein bestimmter persönlicher Voraussetzungen denkbar und bei der Bereitschaft der Mehrheit dieses Hauses, gelegentlich beide Augen zuzudrücken, überhaupt möglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat also, wie gesagt, an dem Versuch, die Haushaltspläne im einzelnen zu korrigieren, aktiven Anteil genommen. Wir haben bei der zweiten Lesung Antrabe zu den einzelnen Plänen gestellt. Wir sind mit diesen Antragen unterlegen, aber ich kündige jetzt schon an — Sie haben es ja auch bei Ihren Drucksachen gefunden —, daß wir alle unsere Anträge bei der dritten Lesung wiederaufnehmen werden.
Wir wenden uns ferner gegen jenen gesteigerten Aufwand, der aus politischen Motiven entstanden ist. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß aus politischen — aus koalitionspolitischen, um es genauer zu sagen — Gründen die Zahl der Ministerien unnötig vergrößert worden ist.
Wir sind weiter der Meinung, daß sich aus dieser unnötigen Vergrößerung der Zahl der Ministerien Unklarheiten in der Verteilung der Zuständigkeiten ergeben haben.
Wir sind der Meinung, daß wir auf manchen Gebieten unserer Gesamtpolitik eine Mehrspurigkeit festzustellen haben, die nicht gut ist, die gelegentlich auch öffentlich bemerkt wird und zu unangenehmen Begleiterscheinungen führt. Ich denke da
bei insbesondere an den Drang verschiedener Minister und Ministerien, auf eigene Faust außenpolitische Exkursionen zu unternehmen,
die dann immer wieder durch Dementis und Rückzieher korrigiert werden müssen. Ich glaube, das gibt unserer gesamten Politik den Charakter der Unstabilität und Unsicherheit, der uns allen nicht bekömmlich ist.
Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß eine andere Form der Mehrspurigkeit feststellen können. Es ist zwar ein Detail, aber ich muß es erwähnen. Wir haben eine relativ sehr gut ausgebaute und sowohl personell wie materiell außerordentlich gut dotierte Bundespressestelle. Über die Bedeutung und die Wirksamkeit dieser Bundespressestelle gehen die Meinungen naturgemäß stark auseinander, obwohl ich den Eindruck habe, daß nach den bisherigen Erfahrungen eine gewisse Skepsis überwiegt. Aber wir haben auch festgestellt, daß jedes Einzelministerium noch seine besondere Pressestelle hat,
und wir haben auf die Frage, in welcher Form denn die einzelnen Ministerien sich der dafür doch eigentlich geschaffenen Bundespressestelle bedienen, nicht immer eine befriedigende und ausreichende Antwort erhalten. Wir sind dadurch zu der Überzeugung gekommen, daß auf diesem Gebiete ein Aufwand getrieben wird, der schon aus sachlichen Gründen nicht immer notwendig ist und der tatsächlich auf das notwendige Maß reduziert werden könnte.
Wir haben im allgemeinen — das dürfen Sie vielleicht einem berufsmäßigen Journalisten gestatten, zu sagen — in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, daß amtliche Pressestellen nicht immer aus dem Drang, die Öffentlichkeit zu informieren, geschaffen worden sind. Man kann sehr wohl sagen, daß manche Pressestellen geradezu da sind, um die Information der Öffentlichkeit und des Staatsbürgers zu verhindern und zu kanalisieren. Wir wünschen nicht, daß die Institutionen, die im Rahmen der Bundesverwaltung zum Zwecke der Information geschaffen worden sind, nichts anderes als Sprachrohre der offiziellen Politik werden und dabei alles das hintanhalten, was die Öffentlichkeit tatsächlich interessiert.
Eine bessere Koordination, eine Zusammenfassung der Kräfte und eine wirklich wirksame Verbindung zwischen den amtlichen Organen der Bundesrepublik und den Organen der öffentlichen Meinung und damit der Öffentlichkeit halten wir für dringend notwendig. Wir glauben, daß auf diesem Gebiet noch einiges getan werden muß und getan werden kann.
Wir verkennen ganz gewiß nicht die Anfangsschwierigkeiten, die jede Regierung in der Bundesrepublik — ganz gleich, was immer ihre Zusammensetzung gewesen sein könnte — zu überwinden gehabt hätte. Diese Anfangsschwierigkeiten unterstellen wir als gegeben. Wir wissen auch um den Grad der Abhängigkeit, in dem sich unsere Politik entwickeln kann. Aber, meine Damen und Herren, schließlich ist es doch eine Tatsache, daß alle die Fragen, die vor uns stehen, die großen Fragen der Gestaltung einer neuen, sozialen Ordnung und einer Wirtschaftspolitik, die dieser neuen sozialen Ordnung gemäß ist, letzten Endes auch vom Zeitfaktor her bestimmt werden.
Wir brauchen nur einmal hinauszusehen und hinauszuhören ins Land, um festzustellen., daß sich die Verzögerung von Entscheidungen in unserem Volke zu einem politischen Gefahrenherd erster Ordnung ausgewirkt hat;
Dabei muß man doch offen zugestehen, meine Da- men und Herren, daß die offene Arbeitslosigkeit, die wir heute in Deutschland haben — selbst wenn wir eine gewisse rückläufige Entwicklung auf diesem Gebiet gar nicht leugnen können —, und die sicher beinahe in gleichem Umfange vorhandene versteckte Arbeitslosigkeit heute ebenfalls ein eminenter politischer Faktor geworden sind. Zum Teil aus demselben Grunde, aus dem viele Menschen, die sich in sozialer Notlage befinden, durch das Verzögern von Entscheidungen politisch in ein gefährliches Lager getrieben werden, ist die Arbeitslosigkeit und die Verzögerung ihrer ernsthaften Bekämpfung ein politisches Problem geworden.
Aber, meine Damen und Herren, auch in einem anderen Zusammenhang: Die Menschen, um die wir heute als einen Teil des künftigen einheitlichen Deutschlands ringen, die Menschen in der Ostzone, die Menschen im Saargebiet blicken auf dieses Deutschland, auf diese Bundesrepublik Deutschland, und ihr inneres Verhältnis zu diesem Lande wird nicht zuletzt von der Art und von der Methode bestimmt, mit der wir diese Probleme lösen.
Wenn wir sie nicht lösen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn eine gewisse Abkühlung eintreten würde; denn schließlich bestimmen ja Millionen Menschen ihr Verhältnis zu einem Lande nicht in erster Linie von dem Gefühl der nationalen Solidarität her, sondern auch von der Sorge um ihre eigene Existenz; und die Sorge vor der Arbeitslosigkeit — das düstere Gespenst, das heute in Deutschland hinter manchem Arbeiter steht, der noch brav und treu an seiner Werkbank steht — ist auch ein politischer Faktor, den wir nicht übersehen sollten.
Wir sind der Auffassung, meine Damen und Herren, dan dieser Staat der Treuhänder aller Deutschen, der Treuhänder der deutschen, Einheit sein soll. Er soll es aber nicht nur in seinen Deklamationen sein.
Er soll es sein durch die Art, wie er die sozialen und wirtschaftlichen Fragen löst, wie er im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit die Beziehungen Deutschlands zu seiner Umwelt und die Beziehungen der Deutschen untereinander gestaltet. Wir wollen gar keinen Zweifel darüber lassen — selbst auf die Gefahr hin, daß der Herr Kollege Renner hier aufmuckt, will ich es sagen —: Wir betrachten das, was sieh im Osten Deutschlands als „Regierung" etabliert hat, als eine Regierung der Usurpation deutscher Staatsgewalt.
Wir wissen, daß diese Regierung sich
noch keinen Tag auf eine echte demokratische Legitimation, die aus dem frei ausgesprochenen Willen der Wähler entstanden wäre, hat stützen können.
Wir wissen, daß diese Regierung jetzt —
— Herr Kollege Renner, ich will mich in diesem 1 Zusammenhang nicht mit Ihnen auf Auseinandersetzungen einlassen.
Ich glaube, wir haben hier Wichtigeres zu tun, als ihre vergeblichen Versuche zu beantworten, sich selber zu legitimieren.
Wir wissen, daß diese Regierung im Osten sich genau so räuspert, wie der große Einpeitscher hinter ihr spuckt!
Wir wissen, daß sie keinen Tag leben würde, wenn dieser große Einpeitscher nicht da wäre.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
jede Deklamation, jede Aktion gegen diesen Zustand im Osten unseres Landes muß ins Leere
gehen, wenn wir nicht selber in der Lage sind,
die sozialen und ökonomischen Spannungen zu beseitigen, die das Volk in Westdeutschland zerreißen.
Wir sind der Meinung, daß echte soziale Gerechtigkeit und echte wirtschaftliche Ordnung — nicht irgendeine Ordnung, die man mit theoretischen Begriffen umreißen mag, sondern eine Ordnung, in der die Menschen das Gefühl haben, daß sie in der Ordnung leben — wie ein Magnet auf alle diejenigen wirken können, die heute noch gezwungenermaßen außerhalb der freien Entscheidung eines demokratischen Volkes leben.
— Nun, wie stark die magnetische Kraft im Osten ist, sehen wir an dem Flüchtlingsstrom, der nach dem Westen kommt.
Ich habe noch keinen westdeutschen Kommunisten gefunden, den es mit dem Herzen nach drüben gezogen hätte,
vor allem wenn, er, wie mancher von Ihnen hier in diesem Hause, selber im stillen Kämmerlein leise Zweifel bekommen und gelegentlich von der Parteimaschine einen auf den Deckel bekommen hat.
Aber wir wollen zum Sachlichen zurückkommen!
Ich sagte: echte soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Ordnung können wie ein Magnet wirken. Vertagung und unzulängliche Lösungen aber vertiefen nicht nur die Gräben hier in unserem eigenen Bereich, sie vertiefen auch den Graben, den Gewalt und fremde Interessen quer durch unser Land gezogen haben.
Zu den Fundamenten der Demokratie, wie wir Sozialdemokraten sie uns wünschen, gehört neben sozialer Gerechtigkeit als zweites eine stets wachsende staatsbürgerliche Freiheit. Wir sind uns wahrscheinlich im Hause im wesentlichen über die
Grenzen und den Inhalt staatsbürgerlicher Freiheit einig; ob wir es im Hinblick auf die Methoden sind, mit denen der Grad dieser staatsbürgerlichen Freiheit vergrößert werden kann, ist eine offene Frage.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal sagen, daß wir es als gefährlich betrachten, wenn da und dort die leise Andeutung einer Neigung zu autoritärer Entscheidung sichtbar wird. Solche Strömungen, solche Andeutungen ersticken die Bereitschaft zur inneren Freiheit, die letzten Endes — und das wollen wir unterstellen — in der großen Mehrheit der Deutschen schlummert und die nur geweckt werden will, damit sie diesen Staat mit blutvollem, echtem demokratischem Leben erfüllt.
Sie stärkt auf der andern Seite die echten und gefährlichen Gegner dieser Demokratie, auch wenn dieser Effekt nicht gewollt ist. Meine Damen und Herren, ich denke da an Debatten, die wir in diesem Hause gehabt haben, bei denen die Fronten offenkundig nicht ganz glücklich gewählt waren. Ich denke an die Debatte im Falle Hedler, bei der man den Eindruck gewinnen konnte, daß diejenigen die Demokratie verteidigen, die auf der Seite des Herrn Hedler stehen, und daß diejenigen die Feinde der Demokratie seien, die sich gegen diese Provokationen gewehrt haben.
Ich glaube, hier war etwas falsch im Akzent und in der Frontstellung.
Ich glaube, wenn da drüben reagiert wird — —