Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte gibt, so wie das in allen Ländern der Fall ist, auch bei uns in Westdeutschland Anlaß, sich mit der allgemeinen Politik der Regierung einmal eingehend zu befassen, einmal eingehend zu untersuchen, was die Regierung, die die Genehmigung des Haushalts von uns wünscht, bisher geleistet hat. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen namens der WAV-Fraktion hierzu folgendes ausführen.
Wir von der WAV sind zutiefst unzufrieden mit dem, was die Regierung Adenauer bisher getan hat.
— Ich werde Ihnen auf Ihre törichten Zwischenrufe nicht antworten, Herr Kollege!
Wir werden jetzt hier im einzelnen einige der Beanstandungen, die wir haben, offen aussprechen. Und ich bitte Sie. mich reden zu lassen und mich nicht bei jedem Satz zu unterbrechen.
Meine Damen und Herren, zunächst unsere Beanstandungen auf dem Gebiete der Außenpolitik. Wir wollen gleich das Gebiet erwähnen, auf dem die Regierung am sorgfältigsten und subtilsten vorgehen müßte; denn wenn e i n Staat besonders sorgfältige Außenpolitik treiben muß, dann ist es der, der besiegt am Boden liegt. Wir können nicht verstehen, daß Bundeskanzler Adenauer nicht sofort, nachdem diese denkbar unglückselige Rede Dr. Dehlers gehalten worden
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ist, die Konsequenzen daraus gezogen und Dr. Dehler abberufen hat.
Da er dies nicht tat, hat er, Dr. Adenauer, seine Regierung in Mitleidenschaft gezogen;
darüber gibt es gar keinen Zweifel. Es genügte nach außen hin keineswegs, daß Dr. Adenauer sagte, er identifiziere sich nicht mit den Worten seines Bundesjustizministers und wolle öffentlich davon abrücken.
Das ist nicht die einzige unglückselige Sache, die in den Monaten seit dem Regierungsantritt Adenauers passiert ist. Solche Erklärungen — ich möchte fast sagen: Erklärungen am laufenden Band —, die der Herr Bundeskanzler gegenüber auswärtigen Journalisten abgibt, Erklärungen, die für ganz Deutschland von entscheidender Bedeutung sind, Erklärungen, in denen es sich um die Zukunft unseres Landes und darum handelt, was Dr. Adenauer mit unserem Lande anfangen will, solche Erklärungen darf man nicht abgeben — irgendwelchen Presseleuten schon gleich gar nicht, aber auch nicht anderen Regierungen gegenüber —, ohne daß man vorher das Parlament befragt und zu Rate zieht! Denn wir haben doch eine Demokratie! Wenn z. B. ein Vorschlag kommt, Deutschland solle aufhören, als selbständiger Staat zu bestehen, Deutschland solle in eine Union mit irgendeinem andern Staat eintreten, dann handelt es sich doch wohl um ein Problem, zu dem, zuerst das ganze deutsche Volk und zuerst mindestens auch die Vertreter des deutschen Volkes im Bundestag gefragt werden müßten. Man darf sich nicht demokratische Regierung heißen, wenn man hier autoritäre Erklärungen abgibt, wenn man Erklärungen abgibt, ohne daß das Parlament vorher auch nur irgendeinen Funken einer Kenntnis davon hat. Merkt der Herr Bundeskanzler und merkt seine Regierung nicht, wie er durch solche Erklärungen aus dem Stegreif diese Erklärungen selber entwertet? Merkt er wirklich nicht, wie im Ausland denen, die es nicht gut mit uns meinen, dadurch geradezu Gelegenheit gegeben wird, zu sagen: das ist doch alles bedeutungslos, was hier Dr. Adenauer sagt, dahinter steht ja doch niemand; dazu ist ja der Bundestag nicht gefragt worden, noch viel weniger das deutsche Volk! Dr. Adenauer würde, weiß Gott, gut tun, wenn er, bevor er nochmals außenpolitische Erklärungen von größter Tragweite abgibt, zuerst die Volksvertretung und am besten das Volk darüber fragen würde.
Meine Damen und Herren, wenn es wahr ist, was in den Zeitungen stand — es wurde nicht dementiert —, diese Erklärung des Bundeskanzlers nämlich anläßlich des Ausganges der englischen Parlamentswahlen, wenn es wirklich wahr ist, daß Dr. Adenauer Journalisten gegenüber erklärte, er, Dr. Adenauer, möchte nicht mit so wenigen Stimmen Mehrheit Minister sein und regieren, wie das bei Attlee der Fall ist, dann ist das — wenn es wahr ist! — eine so ungeheuerliche Verkennung der Situation der Regierung Adenauer, daß sich eigentlich jedes Wort darüber erübrigen sollte; denn wenn man selber mit einer Stimme Mehrheit gewählt worden ist, darf man schon deshalb nichts an auswärtigen Staatschefs aussetzen, die immerhin mit einer etwas größeren Mehrheit gewählt worden sind. Ganz abgesehen davon: man darf sich nicht in irgendwelche innerpolitischen Dinge anderer Staaten einmischen. Es ist Sache der Engländer, welche Regierung sie gewählt haben, es ist ihre Sache, mit welcher Stimmenmehrheit sie die Regierung gewählt haben. Für uns ist jede englische Regierung, die gewählt worden ist, die Vertreterin des englischen Staates, und das gilt genau so gut bei allen anderen Regierungen.
Wir müssen auch vorsichtig sein mit Erklärungen -- auch diese Erklärung stand wieder in der Zeitung und wurde nicht dementiert —, es sollten hier in Bonn im Bundeshaus keine französischen Zustände einreißen. Das darf man insbesondere dann nicht sagen, wenn man einige Tage vorher den Franzosen angeboten hat, man wolle sich mit ihnen verschmelzen,
so daß also französische Zustände ohne weiteres dann auch, hier Platz greifen müßten. Ganz abgesehen davon, daß doch weiß Gott das französische Volk gar nichts dafür kann, wenn einige Sendlinge Moskaus im Auftrage von Moskau irgendwelche Lärmszenen im französischen Parlament heraufbeschwören.
— Sie rufen hier dazwischen, Herr Kollege von der CDU, das sei gar nicht wahr. Ich habe leider ein solches Dementi Dr. Adenauers auf diese Presseerklärung hin bisher vermißt. Ich wäre als Deutscher außerordentlich zufrieden, wenn ein solches Dementi kommen würde oder vielleicht gekommen wäre. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler würde am besten den Weg über das Plenum des Parlamentes wählen, um solche Nachrichten zu dementieren, damit in aller Öffentlichkeit auch vor Hunderten von Pressevertretern dann klargestellt wird, was Dr. Adenauer angeblich nicht gesagt hat.
Und dabei handelt es sich bei all diesen Dingen, die bisher geschehen sind, nicht um Einzelfälle. All das gibt ein außenpolitisches Mosaik, bei dem uns weiß Gott nicht mehr wohl ist, ein außenpolitisches Mosaik, das wir von unserem Standpunkt aus nur als bis jetzt sehr verunglückt bezeichnen können und müssen.
Außenpolitik muß heute bei uns in Deutschland subtiler betrieben werden als in jedem andern Staat in der Welt. Wir müssen Sympathien im Auslande gewinnen, bei allen Staaten der Welt. Wir müssen vermeiden, irgendwelche Leute im Auslande, sei es eifersüchtig, sei es mißtrauisch zu machen oder ihnen sonstwie Anlaß zu geben, an dem ehrlichen Wollen unseres deutschen Volkes, das Frieden und Freundschaft mit allen Staaten der Welt will, irgendwie zu zweifeln.
Wie sieht es nun auf dem Gebiete der Innon-
politik aus? Was wurde hier seit September, seit die Regierung Adenauer im Amte ist, geleistet?
— Wir sind nicht in der Regierung drin. Sie dürfen nicht an u n s die Frage stellen, was wir geleistet haben.
Ich spreche hier von der Regierungspolitik! Wollen Sie mich bitte jetzt nicht mehr unterbrechen. Die Opposition nimmt Ihnen die Verantwortung für Ihre Fehler nicht ab, seien Sie überzeugt davon!
Also zurück zur Innenpolitik. Ich teile da den Gedanken, den der Herr Vizepräsident Dr. Schäfer hier soeben zum Ausdruck gebracht hat:
daß man für die bisher abgelaufene Zeit nicht alles verlangen kann. Das tut aber kein Mensch von uns! Kein Mensch verlangt, daß die Regierung Adenauer jetzt schon alle die drängenden Probleme hätte meistern sollen und
müssen denen wir gegenüberstehen.
- Nein, wir verlangen etwas ganz anderes: wir verlangen, bei der Regierung Adenauer hätte wenigstens et w a s an Leistungen bisher sichtbar werden sollen, Leistungen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in der Eingliederung der Heimatvertriebenen in die deutsche Wirtschaft, in der Besserstellung der Kriegsopfer.
Das alles sind Dinge, bei denen die Regierung Adenauer schon manches hätte leisten können und müssen. Wenn da etwas sichtbar in Erscheinung getreten wäre, dann wären wir von der WAV die ersten gewesen, die gesagt hätten: Bitte, die Regierung hat immerhin schon etwas fertiggebracht. sehen wir weiter zu, vielleicht wird sie in den nächsten Monaten noch weitere Dinge dazu fertigbringen."
Aber was ist denn hier geschehen, seit die Regierung Adenauer im Amt ist? Die Zahl der Arbeitslosen ist vom September bis jetzt sprunghaft gestiegen. Wenn in den letzten Tagen eine Abnahme zu verzeichnen ist, so sage ich Ihnen, daß ich über diese niederen Ziffern der Abnahme geradezu bestürzt bin; denn jetzt, nachdem das Bauwetter in ganz Deutschland wieder normal ist. müßten mindestens 500 000 jetzt arbeitslose Bauarbeiter wieder Arbeit bekommen haben.