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ID0105402300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 54. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950 1979 54. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1979C, 2030D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksachen Nr. 770 und 630) . . . . 1979C Dr. Arndt (SPD) 1979D Schröter (CDU) . . . . . . . 1980C Dr. Miessner (DRP) 1980C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplan und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 (Vorläufige Haushaltsordnung und vorläufiges Haushaltsgesetz 1949) (Drucksachen Nr. 768, 682, 670 bis 681 und 223) 1981A, 2004B Allgemeine Aussprache: Schoettle (SPD) 1981B Bausch (CDU) . . . . . . . . 1990A Dr. Bertram (Z) 1994A Unterbrechung der Sitzung . 1999D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . 1999D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 2004B Loritz (WAV) 2007D Dr. von Merkatz (DP) . . . . 2012B Dr. Leuchtgens (DRP) . . . . . 2016B Rische (KPD) . . . . . . . 2022C Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 2030C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über die Aufhebung der Immunität des Abg. Goetzendorff (Drucksache Nr. 787) . 2002C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 2002C Dr. Miessner (DRP) 2003D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2030D Die Sitzung wird um 10 Uhr 39 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Herwart Miessner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DRP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Die Deutsche Reichspartei ist in dem Ausschuß für Immunität nicht vertreten, wie sie ja überhaupt außer im Ältestenrat in keinem Ausschuß vertreten ist. Ich muß daher die Erklärung, die wir abzugeben haben. nachdem Goetzendorff und Paschek bei uns im Hospitantenverhältnis stehen, hier verlesen:
    Die beiden Abgeordneten der WAV Goetzendorff und Paschek sind, wie sie im Schreiben an die DRP zum Ausdruck gebracht haben, aus der WAV ausgeschieden, weil die Konstituierung des Blocks der Heimatvertriebenen als Flüchtlingspartei diese Trennung forderte. Sie sind als Hospitanten der Gruppe „Deutsche Reichspartei" beigetreten.
    Der Abgeordnete Goetzendorff hat der Deutschen Reichspartei erklärt, daß er die Aufhe-


    (Dr. Miessner)

    bung seiner Immunität begrüßt, damit ein Gerichtsverfahren die Haltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen erweisen kann. Der Abgeordnete Goetzendorff ist der Überzeugung, daß der Vorwurf, er habe sich Diäten erschlichen, nichts anderes bedeutet als den offensichtlichen Versuch, einen politischen Gegner auszuschalten.
    Um dem Abgeordneten Goetzendorff Gelegenheit zu geben, diese Beschuldigung zurückzuweisen, wird auch die Gruppe „Deutsche Reichspartei" für die Aufhebung der Immunität stimmen.
    Wie der Abgeordnete Goetzendorff uns erklärt und zum Teil durch vorgelegte Originaldokumente nachgewiesen hat, wurde von den Beschuldigern bereits der Versuch unternommen, Goetzendorff zu erpressen.
    Ich erkläre abschließend namens der Gruppe der Deutschen Reichspartei, daß wir zu den Anwürfen zwar heute kein abschließendes Urteil abgeben können, -daß wir uns aber des fatalen Eindrucks nicht erwehren können, als schlügen uns in der Kontroverse WAV-Loritz einerseits und Block der HeimatvertriebenenGoetzendorff andererseits bereits die Schmutzwellen des beginnenden Landtagswahlkampfes in Bayern entgegen.

    (Abg. Loritz: Unerhört!)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache über Drucksache Nr. 7R7. Wer fir den Antrag gemäß Drucksache Nr. 787 ist. den bitte ich. die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei wenigen Enthaltungen fast einstimmig angenommen. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir fahren in der
allgemeinen Aussprache Tiber den Bundeshaushaltsplan
fort. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Die Beratungen des vorläufigen Haushalts stellen in der Entwicklung unseres jungen und neuen Staatswesens für die erste Phase einen gewissen Abschluß dar. Dieser Staat wird auf der einen Seite aus dem Baugedanken seines Grundgesetzes und auf der andern Seite aus den materiellen und personellen Grundlagen. die in der Bestimmung und Begrenzung von Einrichtungen und Dienstleistungen durch den Haushalt bestehen, letzten Endes Wirklichkeit. Da ist es schon angebracht, auch rückschauend auf diese erste Phase der Entwicklung ein wenig einzugehen und Überlegungen darüber anzustellen, was geschehen ist, was richtig und was falsch war und ob Änderungen erwogen oder neue Wege der Entwicklung eingeschlagen werden müssen. Das hat der Herr Kollege Schoettle in seinen Darlegungen heute morgen weitgehend getan. Ich halte es durchaus für angezeigt, das in einem solchen Augenblick zu tun. Aber ich habe doch auch das Gefühl gehabt. daß gewisse Werturteile über die Regierungspolitik, über die Art und Weise, wie die Legislative und Exekutive dieses neuen Staates zu wirken begonnen haben, von Herrn Kollegen Schoettle gefällt worden sind, die in der breiten Öffentlichkeit nicht als eine oppositionelle Kritik an der Regierung verstanden werden, sondern Anlaß zu Zweifeln an der Möglichkeit geben könnten, dieses Staatswesen auf den begonnenen Grundlagen weiter auszubauen und durchzubilden. Herr Kollege Schoettle hat selbst auf die Gefahr einer solchen Verallgemeinerung kritischer Einwendungen aufmerksam gemacht, als er davon sprach, daß die öffentliche Meinung geneigt wäre, auf Erscheinungen, die sie beanstandet oder nicht versteht, mehr oder minder emotional ablehnend zu reagieren, in verallgemeinernder Weise Einzelerscheinungen zu verurteilen, zu kritisieren und sich dann auf diese Weise von dem ganzen Staatswesen abzuwenden.
    Meine Damen und Herren, an diese Gefahr muß gedacht werden. Wenn man sich bewußt ist, daß dieser Staat ja nicht allein aus seinen Einrichtungen besteht, sondern aus den lebendigen Kräften des Volkes, die ihn tragen müssen, dann ist es auch eine politische Notwendigkeit, zu warnen und Einwendungen zu erheben, wenn kritische Worte ausgesprochen werden, die - sagen wir einmal — übertrieben erscheinen oder sogar falsch erscheinen, weil die Maßstäbe, die angelegt werden, zuwenig dem Zwang der Realitäten Rechnung tragen.
    Wir haben es mit einer öffentlichen Meinung zu tun, die nur sehr schwer von dem Kenntnis bekommt, was denn wirklich im politischen Leben geschieht. Wir haben vielfach eine Berichterstattung, die gleichsam immer abblendet, wenn es sich darum handelt, die sachlich nüchternen werktäglichen Kernvorgänge der politischen Arbeit darzustellen

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    und die dann groß aufblendet, wenn es sich darum handelt, die Randverzerrungen des politischen Lebens sehr deutlich in Erscheinung treten zu lassen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zuruf: Siehe die Presse!)

    Sehen Sie, meine Damen und Herren, da entsteht eine große Gefahr in einem Volk, das durch diesen Gegensatz zwischen Sachlichkeit und Sensation sehr oft einfach unfähig gemacht wird, zu unterscheiden und Maß zu nehmen und abzuwägen und zu werten. Es besteht die große Gefahr, daß so das Staatsgefühl verkümmert.

    (Abg. Schoettle: Sehr gut!)

    Es besteht außerdem noch eine sehr verbreitete Neigung — und ich gebe zu, daß ich selbst nicht immer frei davon bin —, bei der Beurteilung oder der Darstellung politischer Vorgänge gern Beispiele oder Gleichnisse oder Bilder zu benutzen, die der Technik entlehnt sind. Dadurch wird vielfach 'der Eindruck verbreitet, als ob es sich beim staatlichen Leben um mechanische Vorgänge handelt. Das ist eine sehr gefährliche Gewohnheit. Sie verleitet nämlich oft dazu, zu übersehen, daß der Staat ein organisch wachsendes oder gewachsenes Gebilde ist und keine Maschine, die man am Zeichenbrett konstruiert.
    Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier stehen wir nun in dieser werdenden Republik vor einer eigenartigen Aufgabe: Die älteren Demokratien westlich von uns haben jahrzehntelang oder vielleicht sogar jahrhundertelang Zeit gehabt, in einer Fülle von Auseinandersetzun-


    (Dr. Schäfer)

    gen allmählich ihr eigenes demokratisches Leben zu entwickeln. Wir fangen diesen neuen Staat an ohne den unmittelbaren Zusammenhang mit einer anderen voraufgegangenen Entwicklung demokratischer Art, sondern in die ganze Entwicklung unseres politischen Lebens hat das Tausendjährige Reich einen Riesenbruch hineingebracht. Die deutsche Demokratie muß wieder von Grund auf neu w a c h s e n.
    Nun stehen wir vor der ungeheuer schwierigen Aufgabe, den Wachstumsprozeß, den andere Länder und Völker in Jahrzehnten entwickelt haben,

    (Zuruf: In Jahrhunderten!)

    bei uns, in einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum zusammengepreßt, nachzuholen, gewissermaßen mit der Methode des Zeitraffers, der eine ganze Fülle von Entwicklungsphasen in einem kurzen Ablauf zusammendrängt. Das schafft eine besondere Problematik unseres politischen Wirkens. Sie bedeutet für diejenigen, die an der Formgebung und an der Inhaltsgestaltung dieses neuen Staatswesens beteiligt sind, eine Verpflichtung, wie sie eigentlich noch nie einer Demokratie oder Republik in der Vergangenheit zugemutet worden ist.
    Es kommt nun noch weiter hinzu, daß diese neue Demokratie auf einem — wie soll ich sagen — Betätigungsfeld ins Leben tritt, auf dem ungeheuer viel Hindernisse vorhanden sind, ja, auf dem ganz absonderliche Wachstumsbedingungen bestehen, wie sie auch kaum irgendwie verglichen werden können mit anderen Erscheinungen einer staatlichen Entwicklung.
    Wir haben zunächst das grauenvolle Erbe, das der Zusammenbruch des Reiches und die Despotie mit allen ihren Gewaltakten und Wahnsinnstaten hinterlassen hat, auf uns nehmen müssen. Das ist der erste Anfang, unter dem begonnen werden muß.
    Wir haben dann weiter diesen neuen Staat, diese neue Demokratie unter Fremdherrschaft, unter fremder Besatzung zu entwickeln. Es ist sehr schwer, eine Demokratie glaubwürdig zu machen und für sie Überzeugungskräfte zu gewinnen oder zu wecken bei einem solchen Maß inneren Widerspruchs, bei dem unter fremder Besatzungsmacht ein Staat der Volkssouveränität entstehen soll. Das gibt tausend Reibungen. das gibt tausend Schwierigkeiten, das gibt tausend Irrtümer, das gibt tausend Verzerrungen der demokratischen Entwicklung.
    Wir haben dann weiter erlebt, daß jenes Staatswesen, das wir einst hatten, restlos auseinandergebrochen war. Wir haben erst wieder Gemeinden entwickeln müssen, und dann sind sie wieder zu Ländern verbunden worden, und dann ist über diesen Ländern erst der Bund entstanden. Diese Zusammensetzung eines deutschen Staatswesens aus auseinandergebrochenen Teilen erschwert natürlich auch die Entwicklung, verlangsamt diesen Wachstumsprozeß von dem ich sprach, und macht ihn sehr mühsam und belastet ihn mit außerordentlich viel inneren Widerständen und Reibungsverlusten.
    Wir haben zugleich mit einer merkwürdigen, unter den Nachkriegsverhältnissen, unter der Fragwürdigkeit und Bedrücktheit des Lebens entstandenen sehr labilen Seelenverfassung unseres Volkes zu rechnen. Meine Damen und
    Herren, schauen Sie auf Straßen und Märkten herum, wenn Sie Zeichen dafür sehen wollen, wie sogar ganze Serien von Zeitschriften wesentlich von Horoskopen oder sonstiger Wahrsagerei leben. Das bedeutet die Flucht in eine Art von Ersatzreligiosität oder in phantastische Selbstbetäubung durch irgendeine mysteriöse Schicksalsdeutung. Das bedeutet aber Verwirrung oder Lähmung von Willenskräften, und es bedeutet vor allen Dingen eine Abkehr von der praktischen Vernunft da, wo sie am ernsthaftesten walten sollte, nämlich in der Beurteilung politischer und staatlicher Vorgänge.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Und schließlich, meine Damen und Herren, haben wir unter uns selbst eine Wachstumsnot, von der bei uns selbst einmal gesprochen werden muß. Infolge des Zerfalls des alten Staates ist auch bei den politischen Willensträgern eine gewisse Problematik gegeben, die im parlamentarischen Leben zunächst keineswegs vereinfachend wirkt; auch hier ist nämlich ein Entwicklungsprozeß nachzuholen. Die politischen Parteien, die die Abgeordneten in dieses Haus entsandt haben, sind aus Länderparteien entstanden. Ein großer Teil unserer Kollegen ist hier zum erstenmal vor über ihr Land hinausreichende politische, wirtschaftliche und rechtliche Fragen gestellt worden. Das macht natürlich einen besonderen Umfang der Diskussion unvermeidlich; es vereinfacht die Erörterungen keineswegs so, wie man sie etwa haben würde, wenn die politischen Parteien, die Fraktionen dieses Hauses, sehr alte traditionsreiche Gebilde wären. Wie anders ist das in einer ausgereiften Demokratie, in der bei jeder Wahl ein paar Leute ausgewechselt werden. Hier haben die Parteien eine Entwicklung der Routine, der Gepflogenheit und des Brauchtums schon hinter sich und brauchen nur selten einem Integrations- und Amalgamierungsprozeß unterworfen werden.
    Wenn man all diese Bedingungen und Bedingtheiten unseres Staatsbeginns bedenkt, dann kann man sich doch nicht immer auf den Standpunkt stellen: Dies ist versäumt worden und jenes ist versäumt worden, es hätten große Wunder geschehen können. Meine Damen und Herren, wo in aller Welt hat eine Exekutive, hat eine Regierung unter solchen Umständen einen neuen Staat einrichten müssen!

    (Sehr richtig! und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Da wir nun einmal von den inneren Bedingungen unserer politischen Arbeit sprechen, darf ich auch an die Bemerkungen anknüpfen, die der Kollege Schoettle über den politischen Stil machte, den wir pflegen und entwickeln müssen, wenn wir auch die Arbeit dieses Hauses, unsere eigene Arbeit, mit größerer Überzeugungskraft und besserer Eindrucksfähigkeit versehen wollen. Ich weiß nicht, ob in diesem Zusammenhang das Selbstlob des Herrn Kollege Schoettle richtig gewesen ist, als er davon sprach, daß die Opposition angesichts der Notwendigkeiten der politischen Entwicklung gewissermaßen so eine Art von Schnelligkeitsrekord im Wettlauf mit der Regierung aufgestellt hätte. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, ich hatte statt dessen manchmal den Eindruck einer überhitzten Be-


    (Dr. Schäfer)

    triebsamkeit, beispielsweise wenn Gesetzesvorlagen, Initiativanträge kamen, obwohl man wußte, daß gleichartige Vorlagen längst in Vorbereitung bei der Regierung waren.

    (Sehr gut!)

    Sie war demgegenüber gezwungen, erst einen mühsamen Apparat zur gründlicheren Gesetzesvorbereitung in Gang zu setzen, ehe die Vorlagen über den Bundesrat usw. hier ans Haus kamen. Ist nicht durch die schwelgerische Fülle von Anträgen und Entschließungen und Initiativvorlagen eigentlich auch sehr viel Leerlauf bei uns entstanden?

    (Sehr richtig!)

    Ich bitte Sie, auch diese Frage einmal sehr ruhig und ernsthaft abzuwägen. Es geht für keinen von uns darum, unter allen Umständen recht zu behalten; sondern im Hinblick auf die Verantwortung, die wir vor unserer politischen Entwicklung haben, kommt es darauf an, daß wir uns in diesem Abschnitt, an diesem Abschluß der ersten Phase unseres neuen staatlichen Lebens, gründlich überlegen: Was könnte richtig und falsch gemacht werden?
    Nachdem wir von der Betriebsamkeit gesprochen haben, nun auch einmal etwas, was sehr leicht damit zusammenhängt. Die Gehetztheit unseres politischen Daseins hat eine gewisse Reizbarkeit auftreten lassen. Ich weiß nicht, ob manche Auseinandersetzungen in diesem Hause nicht hätten sanfter verlaufen können, wenn man nicht so überempfindlich gewesen wäre auf der einen Seite und nicht so gereizt auf der andern Seite. Das, meine Damen und Herren, bedeutet nicht ein Urteil nach der einen oder nach der anderen Seite dieses Hauses; ich möchte beinahe sagen, daß von diesem Vorwurf einer gewissen Gereiztheit und Überempfindlichkeit keine Richtung und kein Teil dieses Hauses auszunehmen ist.

    (Zuruf rechts: Doch, Herr Renner!)

    Nun müssen wir ja wohl etwas tun, um mit diesen Dingen fertig zu werden. Es ist vorgeschlagen worden, geschäftsordnungmäßige Formen zu ändern, Ausschüsse zu vereinfachen, zusammenzulegen, gewisse Beschränkungen der Redezeit oder etwas Ähnliches festzulegen. Schön, das mag ja alles ganz gut sein. Es ist ja auch als Vorschlag in der Öffentlichkeit erörtert worden, das Plenum für bestimmte Aufgabengebiete durch einen Hauptausschuß zu ersetzen und dergleichen mehr. Ich glaube, meine Damen und Herren, das allein reicht nicht aus. Mit Maßregeln allein wird man gegenüber diesem Überdruck der Verpflichtungen nicht fertig und bestimmt nicht nur mit den ausgetüftelten Normen und Formen einer organisatorischen Systematik. Es kommt vielmehr darauf an, einen parlamentarischen Stil, eine gewisse Haltung zueinander zu entwickeln, wobei — das gilt für alle möglichen Erscheinungen, die wir in diesen sieben Monaten erlebt haben — die Erkenntnis vorhersehen muß, daß höher als die Selbstsucht des subjektiven Meinungsausdrucks im Grunde genommen doch immer noch die Tatbereitschaft zur Gemeinsamkeit des Handelns steht. Und weil es so ist, glaube ich, müssen wir ganz bewußt darauf sehen, daß sich unser Leben hier nicht nur in Ordnungen und Gesetzen vollzieht,
    sondern daß es allmählich so etwas wie gebräuchliche Formen, eine gewisse Übung, eine gewisse Routine bekommt, daß eine gewisse Empirie durchgesetzt wird und sichtbar wird, die es vermeiden läßt, daß an nebensächlichen Dingen Zeit und Kraft vergeudet wird.
    Die Gemeinsamkeit des Handelns setzt natürlich auch die Bereitschaft zu politischen Gruppenbildungen da voraus, wo sie notwendig sind, etwa in der Form der Koalition. Ich glaube, daß trotz allen Geredes von angeblichen Koalitionskrisen hier einmal festgestellt werden kann, daß die Koalition doch einen starken Zusammenhalt erwiesen hat, und daß gegenüber der Darstellungsweise, die bei der, sagen wir einmal: Schmetterlingsjagd der Neuigkeitenfänger immer wieder benutzt wurde, um da und dort Koalitionskrisen zu wittern und an die Wand zu malen, gesagt werden kann: es ist doch zumindest in 90, wenn nicht 95 % aller Fälle eine durchaus wirksame Übereinstimmung der Regierungskoalitionsparteien sichtbar gewesen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Abg. Schoettle: Was es gekostet hat, sagen Sie lieber nicht, Herr Kollege Schäfer! — Abg. Euler: Herr Schoettle, das hören wir nun schon seit zweieinhalb Jahren!)

    — Ich glaube, Sie überschätzen das, weil Sie offenbar auch ein Opfer der Krisenkünder geworden sind, die nun einmal reizvoller erscheinen und sich besser zu Schlagzeilen eignen als die Darstellung eines ruhigen, sachlichen, alltäglichen Arbeitsdaseins.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, in der heutigen Aussprache ist — ich glaube, vom Herrn Kollegen Bertram — auf gewisse Zahlenunterschiede in der personellen Besetzung der neuen Ämter gegenüber der Weimarer Republik hingewiesen worden, und es sind wieder von anderen Sprechern des Hauses gewisse Einschränkungen und Abstriche vorgeschlagen worden; man hat Personaleinschränkungen und Minderung sachlicher Aufwendungen gefordert. Ich möchte Sie einmal auf folgenden Zusammenhang aufmerksam machen: Wenn wir wollen, daß dieser Bund kräftig und lebensfähig wird und daß dieser Bund als Verkörperung des Ganzen gegenüber seinen Teilen auch an Gewicht gewinnt, dann muß man auch bereit sein, personelle und materielle Energien, Kräfte und Dinge zur Verfügung zu stellen. Wer die Funktionen des Bundes in materieller und personeller Hinsicht allzu stark zu beschneiden versucht, der schwächt den Bund und schwächt damit das Gewicht der zusammenfassenden und einigenden Kräfte, die wir für dieses Staatswesen brauchen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Nicht die Quantität, die Qualität macht es, Herr Schäfer!)

    — Die Qualität macht es, aber — das will ich Ihnen einmal sagen — unter einer bestimmten Qantität geht es auch nicht. Wissen Sie, die Auffassung, die Sie da vertreten, erinnert mich immer an jemanden, der meint, man könnte eine Heil- und Pflegeanstalt zu besonderen Heiler-


    (Dr. Schafer)

    folgen führen, wenn man das Pflegepersonal beschränkt und sehr kümmerlich versorgt.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf links: Das ist ein schöner Vergleich! Das ist ein schöner Staat! Gehören Sie zu den Insassen? — Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Vergleiche sind immer Glückssache, Herr Kollege; das wissen Sie ja! — Anhaltende Heiterkeit links.)

    Ich will nicht im einzelnen noch Fragen der Außenpolitik anschneiden. Aber, Herr Kollege Schoettle, zu dem, was Sie ausgeführt haben, eine Bemerkung! Das, was wir in der Außenpolitik tun oder was wir glauben, tun zu müssen, beruht sehr weitgehend auf bloßen Schätzungen der Situation. Die Außenpolitik ist keine exakte Wissenschaft, zumindest nicht bei der Dürftigkeit der Informationsmöglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, und infolgedessen sollten wir alles vermeiden, was auf Grund von, sagen wir einmal: bescheidenen außenpolitischen Arbeitshypothesen zur Verhärtung und Verschärfung der gegenseitigen Standpunkte führen könnte.

    (Abg. Kaiser: Sehr gut!)

    Nun, meine Damen und Herren, ich habe soviel von unserem Hause gesprochen. Ich habe von den Möglichkeiten gesprochen, unseren politischen Stil, auf den es sehr weitgehend ankommt und der sich nicht in Gesetzen und Maßregeln ausdrückt, aber an den man auch einmal denken muß, weiterzubilden. Ich will damit keineswegs bestreiten, daß es auf der andern Seite auch wieder notwendig ist, echte D politische Spannungen zu haben; denn aus den Spannungen, aus den Gegensätzen, aus dem Wettbewerb und auch aus den Rivalitäten entstehen ja die Kräfte, die letzten Endes den Wirkungsgrad aller politischen Tätigkeit' erhöhen. Aber, meine Damen und Herren, eins darf, glaube ich, bei der Pflege dieser Spannungen nicht allzu stark in den Vordergrund treten: eine gewisse Selbstgerechtigkeit. und da möchte ich einmal mit aller Deutlichkeit aussprechen, daß für keine politische Partei in diesem Hause das Recht besteht, ein Monopol in Anspruch zu nehmen, nämlich das Monopol der alleinseligmachenden Form demokratischer Einsicht und demokratischer Erkenntnis.

    (Sehr richtig! bei der FDP. — Abg. Schoettle: Gerade das haben wir ja nicht getan, Herr Kollege! .— Abg. Dr. Oellers: Sie neigen aber stark dazu!)

    Wenn Sie einen wirklichen Schutz der Demokratie entwickeln wollen, genügt es nicht, Schutzgesetze zu machen — die sind nur kleine Behelfsmittel —, sondern viel wichtiger ist es, die demokratischen Überzeugungskräfte gerade dadurch lebendig zu machen, ja, sie zu betonen, sie geradezu zu fördern. daß man sie nicht immer bei dem andern bestreitet und leugnet, sondern bejaht und anerkennt.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Die Art und Weise der Diskussion, wie wir sie hier manchmal geführt haben, bei der immer wieder das demokratische und soziale Wollen des einen vom andern bestritten wurde, scheint mir nicht ganz der Notwendigkeit zu entsprechen, die
    demokratischen Überzeugungskräfte lebendig und dauerhaft zu machen.

    (Zuruf von der SPD: Das hängt von den Taten ab!)

    — Es hängt sehr von den Taten ab. Wissen Sie, was eine der wichtigsten Taten ist, wenn man sich zur Freiheit bekennt? Man muß zunächst. einmal von der Achtung vor dem Freiheitsrecht des andern ausgehen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. Zustimmung bei der SPD. — Abg. Schoettle: Das hat die alte Rosa Luxemburg schon ähnlich formuliert! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Warum sind Sie denn so unruhig?

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf von der FDP: Plötzlich geworden! — Zuruf des Abg. Schoettle.)

    Ich habe Sie doch auch ganz friedlich angehört.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Zum zweiten. Gegenüber allen Versuchen, ein freiheitliches Wollen und eine individualistische Tendenz der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu deuten oder zu mißdeuten, möchte ich mit einer Feststellung schließen: Das. was man so gemeinhin Persönlichkeit zu nennen pflegt, ist keineswegs identisch mit dem isolierten und egozentrischen Individuum, sondern Persönlichkeit ist der dem Zweck eines Ganzen mit der Besonderheit seiner Gaben dienende Mensch.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)