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ID0105401100

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    Deutscher Bundestag — 54. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950 1979 54. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1979C, 2030D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof (Drucksachen Nr. 770 und 630) . . . . 1979C Dr. Arndt (SPD) 1979D Schröter (CDU) . . . . . . . 1980C Dr. Miessner (DRP) 1980C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplan und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 (Vorläufige Haushaltsordnung und vorläufiges Haushaltsgesetz 1949) (Drucksachen Nr. 768, 682, 670 bis 681 und 223) 1981A, 2004B Allgemeine Aussprache: Schoettle (SPD) 1981B Bausch (CDU) . . . . . . . . 1990A Dr. Bertram (Z) 1994A Unterbrechung der Sitzung . 1999D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . 1999D Dr. Schäfer (FDP) . . . . . . 2004B Loritz (WAV) 2007D Dr. von Merkatz (DP) . . . . 2012B Dr. Leuchtgens (DRP) . . . . . 2016B Rische (KPD) . . . . . . . 2022C Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 2030C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über die Aufhebung der Immunität des Abg. Goetzendorff (Drucksache Nr. 787) . 2002C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 2002C Dr. Miessner (DRP) 2003D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2030D Die Sitzung wird um 10 Uhr 39 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Lieber Herr Kollege Renner, darüber, ob ich ein Sozialist bin und was wir unter Sozialismus verstehen, möchte ich mich mit Ihnen nicht in eine Unterhaltung in diesem Hause einlassen. Ich würde es vorziehen, mit Ihnen einmal unter vier Augen zu sprechen, um zu erfahren, was Sie wirklich denken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, ich würde dabei eine größere Überraschung erleben als Sie, denn Sie wissen es ja!

    (Abg. Dr. Schmid: Sie müssen ihn nicht so überschätzen!)

    — Spaß muß sein, Herr Kollege Schmid!
    Ein drittes Fundament, auf dem eine echte Demokratie ruhen sollte, muß in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden, weil es für die Gesamtpolitik der Regierung von großer Bedeutung ist. Das ist ein wachsender Grad nationaler Freiheit und staatlicher Bewegungsfreiheit im Rahmen einer echten europäischen Ordnung. Es ist Aufgabe jeder Regierung in diesem Lande, das unter den Folgen der nationalsozialistischen Politik noch Jahrzehnte zu leiden haben wird, einen ständigen Kampf um die Erweiterung dieser nationalen Bewegungsfreiheit mit den Besatzungsmächten zu führen. Es ist nur natürlich, daß die Besatzungsmächte die von ihnen etablierte Ordnung als etwas Statisches zu betrachten geneigt sind, und daß der Kampf um die Veränderung, um die Erweiterung der Grenzen, innerhalb deren wir uns bewegen können, auf
    Widerstand stoßen wird. Aber wir müssen diesen Kampf mit den uns gegebenen Mitteln führen, wenn wir tatsächlich die Voraussetzungen schaffen wollen, unter denen dieses Land nicht etwa geduldet, sondern gleichberechtigt in eine neue Gemeinschaft der Nationen eintreten soll. Wir glauben, daß ein Erfolg dieser Bemühungen nur möglich ist, wenn wir — und da möchte ich meinen Parteifreund Schumacher aus seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung zitieren — uns hüten, wegen der angeblichen Eiligkeit eines Termins materielle Dinge preiszugeben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Opposition sieht sich auch hier in der Rolle des ständigen Drängers und Mahners. Sie kann auf diese Rolle nicht verzichten, selbst wenn da und dort im Inland und im Ausland manche Leute dabei unbehagliche Gefühle haben sollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus diesen Bemerkungen ergibt sich unsere Kritik an Einzelheiten der Regierungspolitik. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Regierung im Tempo gelegentlich hinter dem Notwendigen zurückgeblieben sei. Wir haben in diesem Hause festgestellt, daß sie e i n m a l ein beträchtliches Tempo vorgelegt hat, und das war bei der Steuergesetzgebung. Die Steuergesetzgebung ist hier mit einer Eile betrieben worden, die anderen Objekten ebenfalls angemessen gewesen wäre.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber hier — ich weiß, es wird nicht gern gehört —
    haben wir den Eindruck, daß die Regierung ein Versprechen einlösen mußte,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    ein Versprechen, dessen Einlösung nach unserer Auffassung in einem bemerkenswerten Widerspruch zu den Tönen stand, die wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört haben, nämlich der Bemerkung, daß diese Regierung eine soziale Politik treiben, daß sie so sozial wie möglich — hier liegt ja auch schon eine Einschränkung - sein wolle.

    (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Steuerpolitik war ein Wahlversprechen!)

    — Herr Kollege von Rechenberg, wenn Sie das a u c h sagen, sind wir uns ja vollkommen einig. Ich habe dann nichts weiter dazu zu bemerken; aber ich darf nur feststellen, daß das Tempo, das wir bei der Steuergesetzgebung erlebt haben, in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den zaghaften und unzulänglichen Versuchen stand, auf anderen Gebieten gesetzgeberisch tätig zu sein.

    (Abg. Renner: Etwa die Kriegsopferversorgung!)

    Es scheint mir geradezu die Konsequenz dieser Steuergesetzgebung zu sein, daß man in Fragen der Kriegsopferversorgung und der Sozialpolitik überhaupt sehr viel zurückhaltender gewesen ist.

    (Hört! Hört! und lebhafte Zustimmung bei der SPD und KPD. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Umgekehrt! Das soll erst die Möglichkeit zu guter Sozialpolitik schaffen!)

    —Darüber werden wir zu gegebener Zeit noch
    zu sprechen haben, Herr Kollege von Rechenberg, wenn erst einmal das eingetreten ist, was Sie erwarten. Die Sozialdemokraten sind immer gern bereit, Erfolge zuzugestehen, wenn sie eingetreten sind; aber Vorschußlorbeeren geben wir nicht gern.

    (Sehr gut! bei der SPD.)



    (Schoettle)

    Meine Damen und Herren! Es scheint sich eben doch auch hier zwar nicht die Erkenntnis, aber das Gewicht der Tatsache durchgesetzt zu haben, daß man nicht Steuergeschenke und Sozialpolitik zugleich machen kann,

    (Zustimmung bei der SPD)

    daß das eine das andere, wenn nicht geradezu aufhebt, so doch erheblich beschränkt.

    (Abg. Euler: Herr Schoettle, Sie wissen aber doch ganz genau, in wie erheblichem Umfange die überhöhten Steuern an unserer Wirtschaftslage schuld sind!)

    — Ich glaube, Herr Kollege Euler, diese Zwiegespräche haben wenig Sinn. Ich vertrete hier den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion, vertreten Sie den Ihrigen — das ist das Recht jeder Gruppe in diesem Hause —, und wenn es sich urn Zwiegespräche handelt, bin ich bereit, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, aber nicht hier.
    Jedenfalls kommen wir hier auf den Kern des Problems, das uns gestellt ist. Wir haben es nicht damit zu tun, irgendwelche Theorien zu verwirklichen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns hier in stundenlangen Debatten über die Vorzüge oder Nachteile irgendeines ökonomischen Systems zu unterhalten, wie wir es leider manchmal getan haben. Worauf es ankommt, ist, von einer ehrlichen nationalen Bilanz her eine Vorstellung zu entwikkeln, wie wir die uns gegebenen Mittel rationell, vernünftig, politisch und sozial zweckmäßig einsetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben ja oft über den angeblichen Gegensatz zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft gesprochen. Ich bin nie darüber hinweggekommen, daß aufgeklärte, gebildete Menschen so leicht bereit sind, eine bequeme politische Parole zu prägen, mit der man draußen in Versammlungen wirken kann, indem man Planung und Zwangswirtschaft auf einen Nenner bringt. Meine Damen und Herren, ich muß hier mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus einem Aufsatz zitieren, der mir dieser Tage zufällig in die Hände gefallen ist und der von einem bekannten Professor der Nationalökonomie stammt. In diesem Aufsatz steht folgendes zu lesen:
    Schon in einem früheren Aufsatz wies ich darauf hin, daß zwischen planvoller Wirtschaft und voller Planwirtschaft Raum für unendlich viele Variationen der Beeinflussung und Lenkung der Wirtschaft bliebe und daß es deshalb unrichtig und unehrlich sei, hier mit absoluten Begriffen zu operieren.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Der eigentliche Gegensatz besteht nicht zwischen
    freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Unsere Kritik richtet sich also nicht gegen die mannigfaltig auszudeutende Planwirtschaft. Vielleicht kann mir der Herr Bundeswirtschaftsminister Auskunft darüber geben, ob der Verfasser dieses Artikels, Herr Dr. Ludwig Erhard, etwa mit ihm identisch ist.

    (Hört! Hört! und Beifall bei der SPD. — Heiterkeit. — Abg. Renner: Das ist zweierlei!)

    Meine Damen und Herren, wenn wir einmal nicht von theoretischen Streitpunkten, sondern von der Frage ausgehen, was uns not tut, und wenn wir dabei an die Menschen denken, die hinter diesen theoretischen Streitgesprächen in der Regel nur das Gezänk der Gelehrten und der Wissenschaftler vermuten, das an ihren eigenen Lebensfragen vollkommen vorbeigeht, dann kommen wir vielleicht, wenn auch unter schweren Kämpfen und nur unter der Voraussetzung, daß wir bereit sind, mutig die Konsequenzen aus unseren Einsichten zu ziehen, doch zu dem. Ergebnis, daß es mit den Methoden, die bisher in unserer Wirtschaftspolitik angewandt worden sind, nicht geht.
    Gestern haben wir ja den Notschrei der Landwirtschaft gehört. Es ist in diesem Hause festgestellt worden, daß bei den gegenwärtigen Methoden der Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zwangsläufig ins Hintertreffen gekommen ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Landwirtschaft ist nur e i n großer Sektor unserer nationalen Wirtschaft. Wenn dann schon auf diesem einen Gebiet so etwas gesagt wird, was sollen dann die Millionen sagen, die mit einem ungenügenden Realeinkommen vor den Schaufenstern stehen und die schönen Auslagen bewundern können, ohne die Genugtuung zu haben, daß sie davon etwas kaufen können? Diese Leute sind in diesem Sinne ja auch Opfer dieser Wirtschaftspolitik. Sie sind auch bei den Maßnahmen vergessen worden, mit denen man versucht hat, unsere Wirtschaft in Ordnung zu bringen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, die eigentlich in die Beratungen über das Haushaltsgesetz gehört. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir ja das Haushaltsgesetz zu verabschieden, das den technischen und rechtlichen Rahmen für die Behandlung der Einzelpläne und für die Verwaltung darstellt. In diesem Haushaltsgesetz gibt es einen § 10, der Gegensand einer lebhaften Kontroverse zwischen dem Bundesrat — genauer gesagt: den Finanzministern der Länder --und dem Bundesfinanzministerium war. Es handelt sich da in erster Linie um die Frage, wer denn die Mittel dafür aufbringen muß, um den Ausgabenüberschuß, wie man neuerdings statt Defizit zu sagen pflegt, zu decken. Ich glaube, wir werden bei Beratung des Haushaltsgesetzes auf diese Frage noch im einzelnen zurückkommen müssen. Ich möchte jetzt schon darauf hinweisen, daß die Vorlage, die Sie in den Händen haben, nicht ganz korrekt ist, weil nämlich in dieser Vorlage gerade die Fassung des § 10 nicht mit der Fassung übereinstimmt, die aus den Beratungen des Haushaltsausschusses hervorgegangen ist. Es muß korrekterweise heißen, daß der Bundesfinanzminister im Benehmen mit dem Bundesrat zu entscheiden hat. Was steckt aber hinter dieser Kontroverse? Es steckt der Versuch der Länderminister dahinter, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Bund auf ein möglichst bescheidenes Maß zu fixieren und bei der endgültigen Feststellung des zu deckenden tatsächlichen Abmangels mit zu entscheiden, nicht etwa über die Höhe der Quote, die auf die einzelnen Länder entfällt, sondern über die Höhe des Betrags, den man als Abmangel feststellt.
    Meine Damen und Herren, wir sind nahezu am Ende des Haushaltjahres. Jeder, der in der Finanzverwaltung tätig ist, weiß heute schon, wie hoch der tatsächliche Abmangel in zwei oder drei Tagen sein wird. Ich weiß nicht, warum von den Länderfinanzministern ein solcher Streit um die Frage geführt wird, ob der Bundesrat zustimmen oder nur gehört werden soll. Was soll denn der Bundesrat dabei feststellen? Er kann nur zur Kenntnis nehmen, daß das Defizit soundso viele Millionen beträgt, und er kann sich überlegen, woher die Länderfinanzminister das Geld nehmen, um


    (Schoettle)

    das Defizit zu decken; aber er kann nichts mehr feststellen. Die Feststellung ist Sache der Rechnungslegung. Das, was ausgegeben worden ist, ist nun eben einmal ausgegeben worden; und was zu decken ist, weisen die nüchternen Zahlen aus. Meine Fraktion wird sich deshalb erlauben, bei der Beratung des Haushaltsgesetzes die Wiederherstellung der Ausschußfassung zu beantragen, weil wir der Meinung sind, daß hier vom Bundesrat mit Kanonen nach Spatzen geschossen worden ist. Die Austragung dieses Streits war in diesem Augenblick völlig überflüssig. Ich bedaure aufrichtig, daß der Herr Bundesfinanzminister nach einem ursprünglichen Anlauf zur Stärke auch gegenüber den regionalen — vorsichtig sagt man sonst: föderativen — Interessen plötzlich weich in den Knien wurde und nach einem heftigen Widerstand seines eigenen Referenten im Haushaltsausschuß dann während der Mittagspause vor dem Bundesrat kapitulierte.

    (Hört! Hört! bei der SPD und rechts.)

    Ich glaube, so billig sollte man es nicht machen,

    (Zuruf von der BP: Sehr interessant!)

    wenn es sich um eine immerhin etwas grundsätzliche Entscheidung handelt, nämlich um die Entscheidung der Frage, ob der Bundesrat bzw. die Länder bei der Festsetzung der Bedürfnisse des Bundes in dem Maße, wie es hier verlangt wird, mitwirken sollen. Das kann für die Zukunft Konsequenzen haben, die uns alle sehr unangenehm aufstoßen werden.
    Da ich gerade beim Haushaltsgesetz bin, möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung zurückkommen, die in der zweiten Lesung gefallen ist. Mein verehrter Kollege aus dem Haushaltsausschuß Herr Professor Dr. Nöll von der Nahmer hat damals in diesem Hause eine Theorie aufgestellt. Er hat sie auch sonst öffentlich vertreten. Ich glaube, wir können in aller Freundschaft über diese Dinge reden. Wir haben uns nie gezankt, wenn wir auch gelegentlich verschiedener Meinung sind. Er hat eine Theorie aufgestellt, wonach man in Zukunft dazu kommen müsse, den Bundeshaushalt — und das gilt natürlich auch für alle andern Haushalte — von der Einnahmenseite her aufzubauen. Man müsse — das ist der Inhalt dieser These — zunächst einmal feststellen, welche möglichen Einnahmen man habe, und danach solle man die Ausgaben bestimmen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Der Kollege Dr. Nöll von der Nahmer hat dabei das Beispiel der Hausfrau angeführt, die auch nur soviel ausgeben kann, wie sie oder der Mann einnimmt. Es ist ein bestechendes Beispiel; aber es ist prinzipiell falsch. Ich glaube, ein Staatshaushalt und ein Privathaushalt sind nicht unbedingt miteinander zu vergleichen. Beim Staatshaushalt bestehen einige Voraussetzungen, die beim Privathaushalt nicht gegeben sind. Wir haben im Staatshaushalt einige fixe Posten und einige unveränderliche Aufgaben, die man nicht mit den Methoden jener Theorie bewältigen kann. Man kann zu dieser Theorie des Herrn Kollegen Dr. Nöll von der Nahmer nur sagen: wenn sie einmal in die Praxis umgesetzt würde, würde dies das
    Ende jeder Sozialpolitik in Deutschland bedeuten,

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und bei der KPD)

    denn dann müßten Sie zunächst einmal den verehrlichen Steuerzahler befragen, wieviel er denn
    eigentlich für die allgemeinen Aufgaben des Staates
    zu leisten bereit ist, und ich habe noch keinen Steuerzahler gefunden, der bereit gewesen wäre, zu sagen: Im Hinblick auf die großen sozialen Verpflichtungen bin ich bereit, von heute ab 5 oder 10 Prozent mehr Steuern zu bezahlen. Ich glaube, wir werden ihn auch nicht durch die beste Politik schaffen, die wir hier in diesem Hause treiben. Deshalb sollte man vorsichtig mit solchen Theorien sein, die nur die öffentliche Diskussion irreführen und von den tatsächlichen Notwendigkeiten dieses Landes wegführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Soviel zu diesem Punkt.
    Meine Damen und Herren, nun noch ein Wort zur Außenpolitik der Regierung. Wir haben Ihnen eine Entschließung vorgelegt, in deren Ziffer 1 wir — Sie werden darüber vielleicht etwas erstaunt sein — den Herrn Bundeskanzler ersuchen, im Rahmen des Bundeskanzleramts mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Staatssekretariat für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einzurichten, das den ganzen Bereich der mit der internationalen Politik zusammenhängenden Fragen, soweit das Besatzungsstatut keine Beschränkungen festlegt, betreuen und auch eine politische Abteilung enthalten soll.
    Wenn man sich die Frage nach der Außenpolitik der Regierung vorlegt, so kommt einem unwillkürlich die Frage: Gibt es die denn überhaupt, die Außenpolitik der Regierung? Wir haben den Versuch des Herrn Bundeskanzlers erlebt, Außenpolitik zu machen. Das ist zweifellos eine seiner Aufgaben. In Ermangelung eines Auswärtigen Amts ist es im Bereich der Tätigkeit des Bundeskanzlers, der ja die Richtlinien der Politik festlegt, durchaus zu vertreten. daß er die außenpolitische Aktivität, soweit sie im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit möglich ist, führt, koordiniert, orientiert.

    (Abg. Renner: Siehe Besatzungsstatut!)

    Wir haben daneben auch andere Versuche erlebt, Außenpolitik zu machen. Wir haben da den Versuch des Wirtschaftsministeriums, im Auslande neben den Vertretungen, die uns schon vom 1. April ab gestattet sind, eigene Vertretungen zu errichten. Wieweit dieser Versuch gediehen ist, ob er nicht bereits im Keime erstickt wurde — was ich wünschte —, das weiß ich nicht; jedenfalls ist dieser Versuch der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Wir haben weiter das ERP-Ministerium, und ich weiß nicht, was es sonst noch an außenpolitischen Aktivitäten gibt. Wo aber immer Persönlichkeiten der Regierung geredet haben, haben sie irgendwie Außenpolitik gemacht, und ich glaube, man kann, ohne Gefahr zu laufen, einen Ordnungsruf vom Herrn Präsidenten zu erhalten. doch sagen: es ist einiges Porzellan dabei zerbrochen worden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß ich da nicht einmal aus den Kreisen der Koalitionsparteien allgemeinen Widerspruch finden werde.

    (Heiterkeit.)

    Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu den Methoden unserer Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler, dessen Legitimation wir nicht bestreiten,

    (Abg. Dr. Schumacher: Formell!)

    hat den Versuch gemacht, das Gespräch über Europa, über die deutsche Wiederaufrüstung, über diese oder jene Frage von internationaler Bedeutung in Gang zu bringen. Ich glaube, die Mittel, die


    (Schoettle)

    er dazu benutzt hat, waren nicht immer die richtigen. Ja, ich möchte etwas weitergehen und sagen: sie waren in mehreren entscheidenden Fällen ausgesprochen unzweckmäßig.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Fraktion hält zum Beispiel nichts davon, daß man sich zur Lancierung bestimmter Absichten und Ansichten eines amerikanischen Journalisten bedient

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und daß man dann in eine Serie von weiteren Interviews hineinschlittert, bei denen sich Mißverständnisse ergeben, die aufzuklären sind, Dementis, die wieder nicht verstanden werden, und alle möglichen Aktionen und Konteraktionen nur so durcheinander wirbeln.
    Ich glaube, meine Damen und Herren, so kann man die Außenpolitik, die uns gestattet ist, auf die Dauer nicht machen, ohne schweren Schaden zu leiden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man sollte doch einmal ernsthaft überlegen, ob es nicht besser ist, auf die Methode der Improvisationen aus dem Augenblick heraus zu verzichten und statt dessen eine solide Konzeption zu entwickeln, wohin man eigentlich will.

    (Händeklatschen bei der SPD.)

    Mit Noteinfällen, die einem aus der Verlegenheit des Augenblicks gerade zufliegen, kann man in dieser komplizierten Welt nicht durchkommen!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion wünscht nichts mehr als eine gemeinsame Grundlage für Opposition und Regierung in Fragen der Außenpolitik.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber auf dem Wege, den wir bisher auf diesem Gebiet gewandelt sind, kommen wir nicht zu dieser gemeinsamen Grundlage!

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die „einsamen Entschlüsse" des Herrn Bundeskanzlers, die dann nachher doch Gelegenheit zu Auseinandersetzungen geben, sind keine solche Grundlage. Wir wollen uns nicht dazu hergeben, eine Gemeinsamkeit vorzutäuschen, die nur darin besteht, daß wir uns nach vollbrachter Tat hinten anschließen dürfen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir sind uns in einem, wahrscheinlich in der
    Theorie und in der allgemeinen Richtung, sehr
    nahe: wir wollen doch, daß aus diesem fürchterlichen Debakel, das unsere Generation erlebt hat,
    etwas anderes, etwas Solideres, etwas Besseres entsteht. Darüber, worin dieses Solidere, dieses Bessere besteht, gehen die Meinungen auseinander,
    aber wir alle haben wahrscheinlich — mit wenigen
    Ausnahmen, denen nicht zu helfen ist — begriffen,
    daß dieses Deutschland sich wirklich nur wieder
    entwickeln und leben kann, wenn es in eine größere Ordnung eingeht. Europa ist für uns nicht
    irgendein fernes Traumgebilde, sondern eine lebendige Aufgabe der Gegenwart. Wir Sozialdemokraten haben da zwar im einzelnen vielleicht unsere
    Auffassungen zu modifizieren, aber wir haben
    keine Gesinnung zu ändern oder neu zu erwerben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Unser Bekenntnis zu Europa ist nicht jüngsten Datums. Aber wir werfen es denen nicht vor, die erst neuerdings zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Wir halten es für gut, daß Menschen durch die bittere Erfahrung zu neuen Einsichten kommen. Wir wollen nach Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, und die Sozialdemokratie wird jeden Schritt begrüßen und aktiv fördern, der wirklich nach Europa führt. Aber ich möchte es gerade in diesem Augenblick ausgesprochen haben: Der Weg nach Europa kann nach der Meinung der Sozialdemokratie nicht durch das kaudinische Joch eines Junktims führen, das die Sieger für die Besiegten aufgerichtet haben.

    (Händeklatschen bei der SPD.)

    Ich will hier keine Saardebatte entfesseln und mich deshalb auf diese paar Bemerkungen beschränken, zu diesem Thema aber abschließend sagen:
    Wir müssen endlich — und das gilt nicht nur für uns Deutsche, das gilt auch für die anderen Partner in diesem noch nicht begonnenen Gespräch — Europapolitik auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens der Europäer machen und nicht, indem wir ein Europa vortäuschen, das in Wirklichkeit nur eine Kulisse für die Verteidigung oder für die Ausdehnung nationaler Interessengebiete darstellt.

    (Abg. Renner: Der USA!)

    — Herr Renner, ich lasse mich im Augenblick nicht von Ihnen verlocken; sonst gäbe es hier eine Kontroverse, an der Sie keine Freude hätten.

    (Abg. Renner: Ich wollte Ihnen nur helfen!)

    — Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit. (Abg. Dr. Schumacher: Herr Renner ist hier der Sanitäter! — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen, die in dieses Kapitel gehört. Ich glaube, daß unsere offizielle Politik in der Tendenz bisher zwar versucht hat, Vertrauen herzustellen, daß aber ihre Methoden nicht dazu angetan waren, restloses Vertrauen zu wecken, sondern sehr -oft das Gegenteil bewirkt haben, weil auch hier alles nur improvisiert war, anstatt daß man nach einer klaren Konzeption geplant und gehandelt hätte. Wenn irgendwo Planung notwendig ist, dann gerade in den subtilen und empfindlichen Beziehungen eines geschlagenen und um seine Rehabilitierung ringenden Landes gegenüber seiner Umwelt, die an sich voll von Komplexen gegenüber diesem Neuankömmling ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dann noch auf die freundliche Aufforderung antworten, die der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Lesung, als es um die Beratung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen ging, an uns gerichtet hat. Der Herr Bundeskanzler hat damals der sozialdemokratischen Fraktion zugeredet, sie möchte doch ihre Entscheidung bezüglich dieses Ministeriums reiflich überlegen und bis zur dritten Lesung zurückstellen. Wir schätzen die gute Absicht. Aber wir sehen uns außerstande, ihr zu entsprechen und unsere Haltung zu ändern. Denn, meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es bei diesen Fragen nicht auf formale Lösungen ankommt, nicht auf die Schaffung von Ministerien, nicht auf die Schaffung von Behörden, nicht auf die Entsendung von Beauftragten irgendwohin, sondern auf das, was an spürbaren Realitäten hinter politischen Erklärungen steht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir wünschten zum Beispiel — ich spreche das offen aus —, daß die Bundesregierung etwas mehr Wärme, etwas mehr Aktivität in ihren Beziehungen zu dem kämpfenden Berlin zeigen würde,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)



    (Schoettle)

    als das gegenwärtig festzustellen ist. Wir sind ferner der Meinung — auch das sprechen wir offen aus —, daß es für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen nur gesamtdeutsche Fragen gibt, daß sie ein gesamtdeutsches Kabinett sein müßte, das sich allen Fragen, die dieses ganze Deutschland angehen, widmet.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) Aber dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine effektive, eine auf Gesamtdeutschland ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber kein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen.


    (Sehr gut! bei der SPD)

    Und nun muß ich noch Gelegenheit nehmen, eine Bemerkung zu einer Rede zu machen, die der Herr Bundeskanzler kürzlich in Bochum gehalten hat und in der er nach mancherlei Richtungen Zensuren erteilte. Ich habe mich hier nicht zum Sachwalter derjenigen aufzuwerfen, die zum Freundeskreis des Herrn Bundeskanzlers gehören.

    (Heiterkeit.)

    Aber auf einige Bemerkungen, die an die Adresse der Sozialdemokratie gerichtet waren, möchte ich doch mit wenigen Sätzen eine Antwort geben, die. wie ich hoffe, nicht mißzuverstchen ist. Vielleicht klärt sich dann manches hier in diesem Hause; ich wage jedenfalls die Hoffnung auszusprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in Bochum der Sozialdemokratie den Vorwurf gemacht, daß sie ganz anders sei als die Sozialdemokratie vor 1933 und daß sie viel weniger Verantwortungsbewußtsein und Bereitschaft zur Mitarbeit zeige als vor 1933. Dazu, meine Damen und Herren, ist folgendes zu sagen. Jede Zeit hat ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Bedingungen, und ich gestehe ganz offen, daß ich, rückschauend, wünschte, die Sozialdemokratie vor 1933 hätte etwas mehr von dem militanten Geist gehabt, den wir Sozialdemokraten des Jahres 1950 zu entwickeln hoffen.

    (Händeklatschen bei der SPD )

    Gerade weil jede Zeit ihre eigenen Bedingungen
    und Methoden hat, sage ich Ihnen ganz ehrlich:
    Rechnen Sie nicht damit, daß die Sozialdemokratie
    das entwickelt was der Herr Bundeskanzler vielleicht unter „Verantwortungsbewußtsein" versteht,

    (Sehr gut! bei der SPD )

    nämlich daß sie bereit wäre, Order zu parieren, wenn's gewünscht wird.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Gerade weil wir unsere Funktion als echte demokratische Opposition in diesem Staate und in diesem Hause erfüllen wollen, werden wir nur bei Entscheidungen mitwirken, die wir vor unserem Gewissen und nach reiflicher Überlegung auch mit unseren eigenen Vorstellungen von den notwendigen Lösungen in Einklang bringen können,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)

    und wir werden nicht um einer billigen Einheitlichkeit willen unsere Grundsätze und unsere Auffassungen zum Opfer bringen, nur weil es so bequemer wäre. Wir wollen kein bequemer Partner
    sein. Unsere Opposition gründet sich auf eigene
    Vorstellungen von dem, was wir für die friedliche
    Entwicklung unseres Volkes für notwendig halten.
    Wir wollen selber die Grenzen dessen festsetzen,
    was man uns zumuten kann und was wir Uns selber
    kann und
    zumuten wollen. In diesem Punkt muß sich der Herr Bundeskanzler schon an eine andere Adresse wenden, wenn er gefügigere Partner haben will. Wir gedenken ihm dort entgegenzukommen, wo er den ehrlichen Versuch macht, mit uns vor Entscheidungen zu sprechen und wo wir das Gefühl haben, daß wir uns auf einer gemeinsamen Ebene treffen. Auf allen anderen Gebieten wird die sozialdemokratische Fraktion ihre Politik der Politik der Regierung entgegenstellen, und im Ringen der Kräfte, in der echten Auseinandersetzung wollen wir dann versuchen, das zu erreichen, was möglich ist. Das scheint mir doch eigentlich der Sinn parlamentarischer Arbeit zu sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Da ich gerade bei der parlamentarischen Arbeit bin, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu der Arbeit dieses Hauses selber sagen, sicher nicht sehr Tiefgründiges, sicher nichts Revolutionäres, nur etwas, was im Grunde genommen in meinen ganzen Ausführungen mitgeschwungen hat. Sehen Sie, ich stehe hier oben, ich rede mehr zur Galerie als zu Ihnen, nicht weil ich es will, sondern weil ich es muß, weil die Anordnung dieses Hauses derart ist, daß der Redner gezwungen ist, da hinauf zu reden, anstatt sich in ein Gespräch mit den Damen und Herren dieses Hauses zu verwickeln. Jeder Versuch, hier ein Zwiegespräch zustande zu bringen, ist eine Störung der parlamentarischen Arbeit,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    während es in Wirklichkeit der Inhalt der parlamentarischen Arbeit sein sollte. Der Herr Präsident thront in den Wolken, aber das ist ja vielleicht die Natur des Präsidenten.

    (Heiterkeit.)

    Wenn man hier unten sitzt, dann hat man das Gefühl, daß zwischen Regierung und Parlament eine hohe Mauer errichtet ist. Sie ist es in der Tat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich wünschte, wir würden mit der Reform der parlamentarischen Arbeit beginnen, indem wir die Schranken, die Regierung und Parlament voneinander trennen, wenigstens räumlich niederreißen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Architekten, die sicher mit viel Geschmack dieses Haus entworfen und gebaut haben, vielleicht in ihren ästhetischen Empfindungen gestört werden. Ich glaube, hier ist dem Ästhetischen etwas zu viel Tribut gezollt, und die parlamentarische Zweckmäßigkeit ist vernachlässigt worden.

    (Lebhafte Zustimmung auf allen Seiten des Hauses.)

    Vielleicht ist das nur ein bescheidener Beitrag zum Thema; aber ich glaube, wir würden in diesem Hause sehr viel besser arbeiten können, wenn die menschliche Atmosphäre den politischen Gegensatz gelegentlich modifizieren und regulieren würde.

    (Allseitiger Beifall.)

    Denn diese Schranken: hier für den Bundestag, dort für die Regierung und sogar für das hohe Präsidium, sind symbolisch für das gegenwärtige Verhältnis von Parlament und Exekutive. Das sollte nicht sein.

    (Abg. Renner: Das ist aber im Grundgesetz verankert!)

    Nun zum Schluß, meine Damen und Herren! Nach dem, was ich Ihnen vorgetragen habe, wird es für Sie selbstverständlich sein, wenn ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erkläre, daß wir das Haushaltsgesetz und die Einzelpläne in der Abstimmung in der dritten Lesung ablehnen werden, nicht, weil wir nicht im einzelnen die Notwendigkeiten des Aufbaues einer neuen Verwaltung akzeptieren und richtig einschätzen, sondern weil wir durch diese Haltung unsere grundsätzliche


    (Schoettle)

    Stellung, unsere Ablehnung gegenüber der Gesamtpolitik dieser Regierung bekunden wollen. (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bausch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Paul Bausch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des vorliegenden Haushaltsgesetzes mit den diesem beigefügten Einzelplänen ist ohne Zweifel ein Gesetzgebungsakt von ganz besonderer Bedeutung. Äußerlich gesehen ist das zu verabschiedende Gesetzgebungswerk zwar etwas unscheinbar. Wir beschließen einen Rumpfhaushalt, der sich nur auf ein halbes Jahr erstreckt; wir verabschieden zunächst nur die Haushalte der sogenannten neuen Bundesorgane und -verwaltungen, die zahlenmäßig gegenüber den alten Frankfurter Verwaltungen zurückstehen. Sie erfordern nur einen Zuschußbedarf von rund 27 Millionen DM und umfassen einen Personalbestand von zusammen etwa 1400 Köpfen, im einzelnen 450 Beamte, 570 Angestellte und 380 Arbeiter. Die bisherigen Frankfurter Verwaltungen sind — sowohl was den Zuschußbedarf wie auch was den Personalbestand anlangt — viel größer. Der Haushaltsausschuß wird sich in seinen nächsten Beratungen zuerst mit dem Ergänzungshaushalt befassen, der sich auf diese Frankfurter Verwaltungen bezieht.
    Tatsache ist jedoch, daß mit der Verabschiedung des jetzt zur Beratung stehenden Haushaltsgesetzes auch die alten Verwaltungen mit ihren in Frankfurt beschlossenen Haushalten vom Bunde her ihre Legitimation erfahren. Damit wird endgültig ein Verwaltungsapparat der Bundesrepublik haushaltsrechtlich anerkannt und in Gang gebracht, der insgesamt mehrere tausend Köpfe an Personal umfaßt und der zweifellos einen sehr bedeutsamen Verwaltungskörper darstellt. Insofern stehen wir also vor einem Gesetzgebungsakt von besonderer Bedeutung.
    Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß ich zunächst, ehe ich auf die weiteren Probleme eingehe, die diese Beratung für mich aufwirft, einige Feststellungen treffe zu dem, was mein Landsmann Schoettle soeben ausgeführt hat, einige Feststellungen, auf die ich nicht verzichten zu können glaube. Der Herr Kollege Schoettle hat geglaubt, erklären zu sollen, es sei den Mitgliedern der Regierungskoalition im Haushaltsausschuß bei ihren Forderungen und Stellungnahmen nicht in erster Linie um ihre sachlichen Anliegen und ihre prinzipiellen politischen Forderungen und deren Durchsetzung, sondern wohl nur darum gegangen sich selbst zu salvieren. Hier scheint ein grundsätzliches Mißverständnis vorzuliegen. Offenbar scheint der Herr Kollege Schoettle kein genügendes Verständnis für die Grundhaltung zu haben, mit der wir im Haushaltsausschuß an unsere Aufgabe herangegangen sind.
    Diese Grundhaltung — ich spreche jetzt für die Vertreter meiner Fraktion im Haushaltsausschuß — war eine sehr einfache. Wir haben uns davon leiten lassen, das Gute anzuerkennen, wo immer es zu finden ist, und um das Gute zu kämpfen, wo immer es in Erscheinung tritt, sachlich nicht vertretbare Forderungen aber abzulehnen, und zwar auch dort, wo sie vielleicht von der eigenen Regierung vertreten werden. Eine solche Grundhaltung ist unbedingt richtig und vertretbar. Sie weicht vielleicht von der Grundhaltung ab, die die Partei des Herrn Kollegen Schoettle einzunehmen pflegt. Man hat dort die Gewohnheit, einheitlich nach gewissen parteistrategischen Punkten abzustimmen. Wir in der CDU kennen demgegenüber keinerlei Fraktionszwang.

    (Lachen bei der SPD.)

    — Wir haben das schon so oft durch die Tat bewiesen, daß es darüber gar keinen Zweifel geben kann. Wir verhalten uns genau so, wie es die Verfassung vorschreibt. Sie legt fest, daß die Abgeordneten nur an ihr Gewissen und an ihre Überzeugung, aber sonst an Aufträge nicht gebunden sind. Nach dieser Bestimmung der Verfassung haben wir uns verhalten. Wir sind damit gut gefahren. Wir gedenken uns auch weiterhin so zu verhalten. Ich glaube, in dieser Hinsicht könnten Sie sich ein gutes Beispiel an uns nehmen.

    (Beifall bei der CDU. — Zuruf bei der KPD: Wer's glaubt, wird selig!)

    Es wäre wirklich interessant, zu sehen, was passieren würde, wenn es einmal in diesem Hause dazu käme, daß alle Abgeordneten nur nach ihrem Gewissen und nach ihrer Überzeugung stimmen würden. Ich glaube, dann kämen wir der echten Demokratie, der Demokratie, die so ist, wie sie sein soll, ein gutes Stück näher, als wir es heute sind.

    (Beifall bei der CDU. — Zurufe und Unruhe bei der SPD.)

    Der Herr Kollege Schoettle hat vorhin von der Technik des Parlamentsbetriebs gesprochen. Ich glaube, wenn irgendwo und irgendwann die Technik des Parlamentsbetriebs geändert werden muß, und zwar gründlich geändert werden muß, dann muß sie an diesem Punkt des tatsächlich weithin ausgeübten Fraktionszwangs geändert werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Kein Mensch im Volke glaubt es, daß wir hier in diesem Hause heute schon zu einer Methode des parlamentarischen Tuns gekommen sind, die verfassungsgemäß ist. Fragen Sie einmal das Volk draußen, ob es Abgeordnete will, die nach dem Kommando ihrer Parteistrategen arbeiten und abstimmen, oder ob es Abgeordnete will, die nach ihrem Gewissen und nach ihrer Überzeugung arbeiten. Die Antwort des Volkes ist absolut klar und absolut eindeutig.

    (Beifall bei der CDU. — Widerspruch links. — Zuruf von der SPD: Wir haben keine Parteistrategen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Denken Sie an den Kriegsopferausschuß! — Abg. Zinn: Denken Sie an den Zuchtmeister Adenauer!)

    Dann hat der Herr Kollege Schoettle von der Bundespressestelle gesprochen. Ganz gewiß hat die Bundespressestelle ganz große Aufgaben. Wir haben im Haushaltsausschuß den Vertretern der Regierung gesagt, wir hätten den brennenden Wunsch, daß diese Bundespressestelle auch tatsächlich die Funktionen ausübe und die Aufgaben erfülle, die ihr gestellt seien. Ich will nur ein Beispiel nennen, aus dem zu ersehen ist, welche außerordentlichen Aufgaben der Bundespressestelle obliegen. Ich habe in letzter Zeit Nachrichten darüber bekommen, daß sämtliche Betriebsräte der Industrie und Wirtschaft Westdeutschlands laufend aus dem Osten Material über die Verhältnisse im Osten zugestellt bekommen, Material, das diese Verhältnisse im Osten nun eben so darstellt, wie man staatliche Dinge im Osten darzustellen pflegt. Ich möchte wünschen. daß unsere deutsche Demokratie viel mehr, als das bis jetzt der Fall ist, dazu kommt, unser Volk in allen seinen Schichten darüber aufzuklären, was in unserem Staate geschieht,


    (Bausch)

    und daß die Bundespressestelle viel mehr als bisher auch die guten und positiven Seiten der Arbeit im Bundestag und in der Bundesregierung herausstellen würde.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir haben hier in Bonn schon sehr viel Gutes gearbeitet. An der Arbeit des Bundestages in Bonn wird heute überwiegend negative Kritik geübt. Und wenn die Presse heute vielleicht da und dort noch nicht soweit gekommen ist, auch die positiven Seiten unserer Arbeit darzustellen, dann sollte das um so mehr die Bundespressestelle tun. Dann sollte sie laufend die Öffentlichkeit mit allem Material versorgen, das ihr zur Verfügung steht.

    (Sehr richtig!)

    Der Herr Kollege Schoettle hat auch Klagen über die nach seiner Auffassung oftmals in Erscheinung tretenden autoritären Neigungen des Herrn Bundeskanzlers geführt. Solche Klagen sind nicht neu. Ich möchte dazu nur eines sagen. Zum ersten wünschen wir einmal, meine Damen und Herren, daß die Regierung wirkliche und echte Autorität besitzt und daß sie diese Autorität ständig zur Geltung bringt. Denn wir wünschen, daß diese Regierung eine verfassungsmäßige Regierung ist. Nach der Verfassung aber bestimmt der Bundeskanzler die Grundlinien der Politik der Bundesregierung. Wir würden es der Regierung zum Vorwurf machen, wenn sie sich nicht an diese Bestimmungen der Verfassung halten würde. Wir wollen, daß die Regierung Initiative entfaltet. Wir wollen eine Regierung haben, die Autorität besitzt und fordern, daß die Regierung vorangeht.
    Im übrigen ist mir beim Anhören der Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle ein Wort eingefallen, das ich einmal bei einer Diskussion über das Wesen der Demokratie gehört habe. Es wurde von den Diktatoren gesprochen und dann festgestellt: „Diktatoren gibt es nur dort, wo es keine Demokraten gibt." Wenn etwa irgendwann einmal bei der Bundesregierung diktatorische Neigungen in Erscheinung treten sollten — nun —, dann liegt es ja an uns Demokraten, solchen Neigungen der Regierung unverzüglich einen Riegel vorzuschieben.

    (Zuruf von der SPD: Da versagen Sie nur!)

    Wir werden dann immer bereit sein, in solchen Fällen, sofern sie vielleicht einmal eintreten sollten, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. An unserer Bereitschaft zur Zusammenarbeit in diesem Sinne wird es ganz sicherlich nicht fehlen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Sie brauchen da keine Sorge zu haben.


    (Abg. Arnholz: Wir werden Sie daran erinnern!)

    Schließlich hat Herr Kollege Schoettle eine Bemerkung über das neue Steuergesetz gemacht. Wir haben darüber schon viel diskutiert. Ich will auf diese Diskussion nicht nochmals eingehen. Nur zwei Feststellungen möchte ich treffen. Zum ersten sind doch die Steuertarife, wie wir sie bisher gehabt haben, von der Besatzungsmacht durch autoritäre Verfügung festgesetzt worden. Im ganzen deutschen Land gibt es eigentlich keinen vernünftigen Menschen, der glaubt, man hätte diese Steuertarife für die Dauer in Geltung lassen können. Sie mußten geändert werden. Zum zweiten möchte ich feststellen, daß das Einkommensteuergesetz, so wie es jetzt verabschiedet worden ist, fast allen grundsätzlichen Forderungen entsprochen hat, die von den Gewerkschaften aufgestellt worden sind.

    (Zuruf links: Nanu!)

    — Bitte sehr, das ist seinerzeit hier von dem Redner unserer Fraktion festgestellt worden. Dieser Feststellung ist nach meiner Kenntnis von Ihrer Seite nicht widersprochen worden.

    (Zuruf von der SPD: Und die Denkschrift zur Einkommensteuer?)

    Was den § 10 des Haushaltsgesetzes anlangt, meine Damen und Herren, so soll der Herr Bundesfinanzminister vor dem Bundesrat kapituliert haben. Ich habe nicht diesen Eindruck. Die Sache ist ganz anders gelaufen. Das, was jetzt Inhalt des § 10 des Haushaltsgesetzes ist, stellt das Ergebnis eines Kompromisses dar, der im Haushaltsausschuß zwischen den Vertretern des Bundesrats und dem Finanzminister oder seinem Vertreter geschlossen worden ist. Der Bundesrat hat zugestimmt, daß der Absatz 2 des § 10, der dem Bundesrat anfänglich gar nicht gefallen hat, verbleibt. Andererseits hat der Herr Bundesfinanzminister zugestimmt, daß der Absatz 1 des § 10 nach der ursprünglichen Fassung geändert wurde. Ich glaube, daß das eine gute Methode war. Wenn Vertreter der Regierung und des Bundesrats sich bemühen, aufeinander zu hören, dann glaube ich, daß immer ein gutes Resultat erzielt werden wird. Dies ist ja überhaupt die große Kunst, die wir hier im Bundestag noch viel mehr lernen müssen: aufeinander zu hören, zu prüfen, wo der andere Recht hat, ihm dort recht zu geben, wo man ihm deshalb recht geben muß.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Dann werden die Dinge gut laufen.
    Wir Deutsche haben eine geradezu phantastische Fähigkeit, Gegensätze herauszuarbeiten, sie zuzuspitzen und vielfach auch zu überspitzen. Wir sollten demgegenüber die Fähigkeit, die Gegensätze zu überbrücken und vom Zwiespalt zur Einheit und zur Zusammenarbeit zu kommen, viel, viel mehr entwickeln. Das ist die große und schwere Kunst. die wir in der Zukunft vor allem nötig haben.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Sodann ist von dem Redner der Opposition ein Wort über das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen gesagt worden. Damit ist der Streit darüber, ob dieses oder jenes der neugeschaffenen Ministerien gerechtfertigt sei oder nicht, neu entfacht worden. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß auch in meiner Partei die Meinungen darüber auseinandergingen, ob die Schaffung des einen oder anderen Ministeriums vertretbar sei oder nicht. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte nur darauf hinweisen, daß es in den Staaten der klassischen Demokratie zu einem wohl eingebürgerten Brauch geworden ist, für gewisse besonders dringliche staatliche Sonderaufgaben auch Sonderministerien zu schaffen.

    (Zuruf von der SPD: Zum Beispiel ein Commonwealth-Ministerium!)

    Ich meine, deshalb sollte man den Entschluß des Bundeskanzlers, ein neues Ministerium mehr, etwa ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen zu schaffen, nicht so grundsätzlich bekämpfen, daß man darüber in die Gefahr kommt, zu übersehen, welche ungeheuer bedeutsame und wichtige Aufgabe uns im Blick auf die Stadt Berlin, im Blick auf die allgemeine Lage unseres Volkes und die Trennung unseres Volkes in zwei Teile gestellt ist.

    (Zuruf von der SPD: Das übersehen wir bestimmt nicht, im Gegenteil!)



    (Bausch)

    Was die Technik des Parlamentsbetriebs anlangt, hätte ich gar keine Bedenken, den Vorschlägen des Herrn Kollegen Schoettle zu folgen. Diese Mauer vor der hohen Bundesregierung hat mir noch keinen Augenblick gefallen. Ich würde aber in den Vorschlägen zur Verbesserung der Technik des Parlamentsbetriebs viel weiter gehen. Kürzlich hatte ich Gelegenheit, an einer Sitzung eines Parlaments in den nordischen Ländern teilzunehmen. Da habe ich zum Beispiel gesehen, daß in diesem Parlament die Parteien nicht schön sauber für sich auf einem Haufen ihre Plätze eingenommen haben. Alle Parteien waren vollkommen durcheinandergewirbelt. Die Abgeordneten sind nach ihren Wahlkreisen
    placiert worden. Wie wäre es, wenn wir uns auch einmal die Frage überlegen würden, die Abgeordneten nicht nach der traditionellen Ordnung der Parteien und ihrer Heerhaufen zu setzen, sondern sie etwas bunt durcheinanderzuschütteln und nach Wahlkreisen zu placieren? Das könnte sicher eine ganz interessante Überlegung sein.

    (Abg. Arnholz: Das klingt sehr nach Interessentenhaufen!)

    Nach diesen Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle möchte ich mich aber jetzt nicht weiter mit den Einzelheiten der Haushalte befassen. Das haben wir im Haushaltsausschuß mit großer Gründlichkeit und Sorgfalt getan. Zu den vorliegenden Abänderungsanträgen werden wir bei der Einzeldebatte Stellung nehmen. Ganz gewiß kann man an dieser oder jener Stelle der Einzelhaushalte Kritik üben. Gewiß hätte man manches anders machen können. Auch mir hat manches nicht gefallen. Aber das ist nicht entscheidend. Jeder Staat bedarf eines Verwaltungsapparats. Nie wird ein solcher Verwaltungsapparat Selbstzweck sein dürfen. Nie wird er auch ohne Mängel sein.
    Entscheidend ist allein die Frage, ob wir mit unserer neugeschaffenen Demokratie auf dem richtigen Wege sind.

    (Abg. Niebergall: Nee!)

    Das ist die Frage, die mich heute in allererster Linie interessiert.

    (Abg. Niebergall: Wir gehen in die Katastrophe!)

    Eine gut funktionierende Demokratie, eine Demokratie. die ihre Aufgabe an Gesellschaft, Staat und Wirtschaft erfüllt, wird auch Mängel des Verwaltungsapparats hinnehmen und sie rasch zu überwinden vermögen. Eine schlecht funktionierende Demokratie wird trotz des besten Verwaltungsapparats auf die Dauer nicht existieren können.
    Meine Damen und Herren! Wir kommen von einer Katastrophe her, wie es ihresgleichen kaum je in der Weltgeschichte gegeben hat. Die Verwirrung unter den Menschen ist heute noch riesengroß. Wir tun gut daran, uns über den Ernst der Lage, in der wir stehen, völlig klar zu sein. Wir sind noch nicht über den Berg. Wir wissen heute noch nicht, ob wir den Weg in die Zukunft finden werden. Hüten wir uns vor einem: Hüten wir uns vor falscher Sicherheit. Das wäre die gefährlichste Geisteshaltung, die es für uns geben könnte. Wir leben in einer Atempause der Weltgeschichte. Wie lange diese dauern wird, weiß tatsächlich niemand von uns.
    Wir haben allen Anlaß, dankbar dafür zu sein, daß wir jetzt eine Chance haben, in Freiheit eine neue Gemeinschaftsordnung für unser Volk aufzubauen. Wer von uns — lassen Sie mich einmal diese Frage aufwerfen - hätte in den furchtbaren Bombennächten der letzten Kriegsmonate geglaubt, daß wir noch einmal eine solche Chance haben würden? Unsere Brüder und Schwestern im Osten sehen mit brennender Sehnsucht nach den Freiheiten, die uns im Westen gegeben sind und mit denen leider Teile unseres Volkes noch nichts anzufangen wissen. Kürzlich kam ein Student aus dem Osten in unser westliches Deutschland. Die erste Frage, die er stellte, war die nach der Bundesverfassung. Er hat diese Verfassung, als man sie ihm gab, einen ganzen Tag lang studiert. Und nachdem er sie studiert hatte, rief er aus: Was seid ihr Deutsche in der Westzone für glückliche Menschen!

    (Lachen bei der KPD. — Abg. Niebergall: Das glauben Sie? — Zuruf von der CDU: Und Sie vielleicht das Gegenteil?)

    Und wieviele Bewohner des westlichen Deutschland haben diese Verfassung auch nur einmal gelesen?

    (Abg. Niebergall: Keine hunderttausend! So viel ist sie gar nicht wert!)

    Wir sehen hier, welch große Aufgabe unserer Demokratie hier im Westen gestellt ist.
    Meine Damen und Herren, ziehen wir aber auch die Lehren aus der Vergangenheit! Sie allein können uns den Weg in die Zukunft weisen, damit der neuen Demokratie nicht das Schicksal der Weimarer Demokratie zuteil wird. Diese Demokratie ist damals unter dem konzentrischen Angriff zweier militanter Ideologien zugrunde gegangen, in erster Linie deshalb, weil die Willensträger der Demokratie unter sich uneinig waren. Es gab damals keine ideologische Kraft, die sie fähig gemacht hätte, den Zwiespalt, der sie trennte, zu schließen, gemeinsam dem falschen Propheten zu begegnen o und Lösungen für die wichtigsten Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens zu finden.
    Wir leben heute in einem ideologischen Zeitalter. Der Kampf um die Herrschaft über die Welt geht unaufhaltsam weiter. Er ist mit der Waffenruhe vor fünf Jahren nicht zum Stillstand gekommen. Ein Blick auf die Weltlage und die Lage Europas sowie die Lage innerhalb unseres Volkes zeigt das mit vollkommener Deutlichkeit. Der Kampf um die Herrschaft über die Welt wird mit der Waffe der Ideologie geführt. Wer in diesem Kampf ohne ausreichende geistige Rüstung ist, hat keinerlei Chance, diesen Kampf mit Erfolg zu bestehen, genau so wenig wie jemand eine Chance gehabt hätte, der im letzten Weltkrieg etwa versucht hätte, mit Pfeil und Bogen gegen Panzerwagen zu kämpfen. Eine Demokratie kann ohne Ideologie nicht existieren. Die Frage nach dem ideologischen Minimum für unsere Demokratie ist in den Debatten der letzten Tage mit vollem Recht gestellt worden. Diese Frage ist eine staatspolitische Frage allererster Ordnung für das heutige Deutschland und für die ganze demokratische Welt. Besitzt unsere Demokratie jene Kraft, die sie fähig macht, die Gegensätze zu überwinden, den Weg durch das oft undurchdringliche Dunkel der Zeit zu finden und konstruktive Lösungen für die wichtigsten Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens zu schaffen, oder wird sie eines Tages wieder vor dem Ansturm totalitärer Mächte kapitulieren müssen?
    Mit dieser Frage müssen wir uns unablässig mit größtem Ernst auseinandersetzen. Wir dürfen hier nicht ausweichen. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um der Demokratie den


    (Bausch)

    geistigen Gehalt zu geben, ohne den sie nicht leben kann.
    Es hätte keinen Sinn, jetzt theoretische Darlegungen über den Inhalt einer Ideologie für die Demokratie anzustellen, die der Weltlage von 1950 entspricht. Irgendwie wird sich in dieser Ideologie die innerste Substanz widerspiegeln müssen, die der abendländischen Kultur zugrunde liegt. Diese Ideologie muß aus der Praxis des Lebens der Demokratie geboren werden. Sie muß aus dem Kampf und Widerstreit der Meinungen heraus entstehen. Sie muß durch die beispielhafte Haltung der an vorderster Stelle Verantwortlichen dargestellt und für das Volk sinnenfällig und anziehend gemacht werden. In unserem Volk lebt nach all dem entsetzlichen Geschehen der Vergangenheit eine geradezu brennende Sehnsucht nach einer Gemeinschaftsordnung, die die Menschen nicht trennt, sondern zusammenführt. Wir werden innerhalb der Diskussion immer verschiedene Meinungen haben. Das Volk wendet sich aber unwillig von der Demokratie ab, wenn ihre Träger ewig im Streit miteinander liegen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es findet dagegen ein außerordentliches Interesse
    an der Demokratie. wenn die Parteien — unbeschadet ihrer verschiedenen Ansichten — anfangen. aufeinander zu hören und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit im Interesse des Volkes tu kommen.

    (Beifall in der Mitte.)

    In einer solchen Haltung sollte der Deutsche Bundestag führend vorangehen. Er könnte dann eine Quelle der Kraft und der Ermutigung für das Volk werden. Jeder Staatsbürger würde dadurch ermutigt, selbst Verantwortung für Staat und Volk zu übernehmen und durch seine beispielhafte Lebenshaltung in Familie und Beruf dafür zu sorgen, daß die Demokratie nicht nur Staatsform, sondern auch Lebensform des ganzen Volkes wird.
    Meine Damen und Herren, auch das Ausland sieht auf uns. Auf Reisen im Ausland, insbesondere in den nordischen Ländern, ist mir immer wieder die Frage nach dem Schicksal der Demokratie in Deutschland gestellt worden. „Werden sie es in Deutschland diesmal fertig bringen, eine gute Demokratie zu machen, oder werden sie wieder scheitern "? Dies ist die Frage, die viele Europäer außerhalb Deutschlands bewegt. Die Welt erwartet und erhofft vielfach von uns etwas Grundlegendes und Entscheidendes. Ein geändertes Deutschland ist überall in der Welt willkommen. Für ein ungeändertes, stolzes und selbstgerechtes Deutschland besteht in der Welt kein Interesse und kein Bedarf. Wir Deutsche sind es der Welt, der wir so viel Leid zugefügt haben, schuldig, ihr durch eine neue Lebensqualität einen Beitrag zur Lösung auch ihrer Probleme zu geben.

    (Bravo!)

    Meine Damen und Herren! Ich kehre zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen zurück: „Sind wir mit unserer Demokratie auf dem richtigen Weg?" Daß es diesen richtigen Weg gibt, steht für mich außer allem Zweifel. Daß wir ihn immer gegangen wären, wage ich nicht zu behaupten. Es hat leider viele Pannen gegeben Jeder mag sich darauf besinnen, was er selbst tun kann, um solche Pannen in der Zukunft zu vermeiden. Anklagen gegen andere sind dabei völlig zwecklos. Jeder einzelne und jede Partei mag bei sich selbst anfangen, sich zu ändern und zu bessern. Ich wage aber zu behaupten, daß wir in einer ganzen Reihe vor,
    Fällen in der Praxis der Demokratie heute schon über das Niveau der Weimarer Demokratie hinausgekommen sind.
    Seit 1945 ist an den vordersten ideologischen Fronten unseres Volkes an vielen Stellen eine bessere Art des Zusammenlebens der Willensträger der Demokratie in Erscheinung getreten. In meinem Heimatlande — und sicher auch in anderen Ländern — hat es eine Reihe von Wahlkreisen gegeben, in denen bei den letzten Wahlkämpfen von einigen Kandidaten kaum ein Wort über ihre parteipolitischen Gegner gesagt wurde. Sie haben sich überwiegend und ganz entscheidend nur auf die Darlegung ihrer positiven Ziele konzentriert. Erstaunlicherweise haben diese Kandidaten bei der Wahl besonders gut abgeschnitten. Das Volk hat sich zu dieser Methode des politischen Kampfes bekannt. Auch die Verbesserung des Verhältnisses der großen Konfessionen zueinander ist als bedeutender Fortschritt in dieser Richtung zu werten.
    Aber auch in den gesetzgebenden Körperschaften ist wichtige Aufbauarbeit geleistet worden, die der Prüfung auch bei Anlegung schärfster Maßstäbe standhält. Um ein Beispiel aus der Vergangenheit zu wählen: Da seinerzeit im Frankfurter Wirtschaftsrat das Soforthilfegesetz von den großen Parteien gemeinsam angenommen wurde, war für mich ein hochbedeutsamer Vorgang. Die Stellungnahme des Bundestags in der Saarfrage war ein musterhaftes Beispiel für gute Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen.
    Gestern hat in diesem Hohen Hause die Aussprache über das Wohnungsbaugesetz stattgefunden. Dieses Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen worden, nachdem es vom Wohnungsbauausschuß einstimmig zur Annahme empfohlen worden war. Meine Damen und Herren, ich halte die- sen Vorgang für eines der bedeutsamsten Ereignisse seit dem Bestehen des Bundestags. Daß es möglich war, die bestehenden großen Gegensätze zu überbrücken und im Interesse des Volkes zu Lösungen zu kommen, die von fast allen Parteien angenommen werden konnten, wird das Ansehen und den Kredit des Bundestags im Volk nach meiner Überzeugung außerordentlich steigern.

    (Sehr richtig!)

    Im Volk draußen ist es über dem Lärm des politischen Alltags auch viel zu wenig bekannt geworden, welch wertvolle, fleißige und sorgfältige Arbeit in aller Stille in vielen Ausschüssen des Bundestags geleistet wird. Auch die Arbeit im Haushaltsausschuß des Bundestags, der in 37 arbeitsreichen Sitzungen unter dem Vorsitz des Abg. Schoettle die Einzelhaushalte der neuen Verwaltungen beriet, war für mich in vielen Fällen ein Beispiel für ideologisch richtiges Verhalten der Willensträger der Demokratie. Ich habe mich über Geist und Atmosphäre vieler dieser Beratungen aufrichtig gefreut. Ich glaube, daß wir hier manchmal den guten Weg der Zusammenarbeit gefunden haben. Ich sage das trotz der Bemerkungen, die mein Landsmann Schoettle heute früh über die Beratungen des Haushaltsausschusses gemacht hat.
    Meine Damen und Herren! Schreiten wir in dieser Richtung fort! Gehen wir mutig und entschlossen an die nächstwichtgen Probleme heran, die zur Entscheidung stehen: an den Lastenausgleich, das Mitbestimmungsrecht, die Reform der Technik des Parlamentsbetriebs, den wirksamen Schutz der Demokratie gegen ihre Feinde. Kämpfen wir geduldig und ohne Stolz, ohne Bitterkeit und ohne Überheblichkeit um einen Platz in der Familie der


    (Bausch)

    europäischen Völker! Schaffen wir eine Demokratie, von der eine Leuchtkraft, eine wärmende Kraft besonders auch für unsere Brüder und Schwestern im Osten ausgeht! Betonen wir mehr das, was uns eint, statt dessen, was uns trennt! Dann haben wir das, was Menschen tun _können, getan. Wir werden dann eines Tages, wie wir alle hoffen, getrosten Mutes den Weg in eine neue Zukunft für unser Volk gehen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)