Lieber Herr Kollege Renner, darüber, ob ich ein Sozialist bin und was wir unter Sozialismus verstehen, möchte ich mich mit Ihnen nicht in eine Unterhaltung in diesem Hause einlassen. Ich würde es vorziehen, mit Ihnen einmal unter vier Augen zu sprechen, um zu erfahren, was Sie wirklich denken.
Ich glaube, ich würde dabei eine größere Überraschung erleben als Sie, denn Sie wissen es ja!
— Spaß muß sein, Herr Kollege Schmid!
Ein drittes Fundament, auf dem eine echte Demokratie ruhen sollte, muß in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden, weil es für die Gesamtpolitik der Regierung von großer Bedeutung ist. Das ist ein wachsender Grad nationaler Freiheit und staatlicher Bewegungsfreiheit im Rahmen einer echten europäischen Ordnung. Es ist Aufgabe jeder Regierung in diesem Lande, das unter den Folgen der nationalsozialistischen Politik noch Jahrzehnte zu leiden haben wird, einen ständigen Kampf um die Erweiterung dieser nationalen Bewegungsfreiheit mit den Besatzungsmächten zu führen. Es ist nur natürlich, daß die Besatzungsmächte die von ihnen etablierte Ordnung als etwas Statisches zu betrachten geneigt sind, und daß der Kampf um die Veränderung, um die Erweiterung der Grenzen, innerhalb deren wir uns bewegen können, auf
Widerstand stoßen wird. Aber wir müssen diesen Kampf mit den uns gegebenen Mitteln führen, wenn wir tatsächlich die Voraussetzungen schaffen wollen, unter denen dieses Land nicht etwa geduldet, sondern gleichberechtigt in eine neue Gemeinschaft der Nationen eintreten soll. Wir glauben, daß ein Erfolg dieser Bemühungen nur möglich ist, wenn wir — und da möchte ich meinen Parteifreund Schumacher aus seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung zitieren — uns hüten, wegen der angeblichen Eiligkeit eines Termins materielle Dinge preiszugeben.
Die sozialdemokratische Opposition sieht sich auch hier in der Rolle des ständigen Drängers und Mahners. Sie kann auf diese Rolle nicht verzichten, selbst wenn da und dort im Inland und im Ausland manche Leute dabei unbehagliche Gefühle haben sollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus diesen Bemerkungen ergibt sich unsere Kritik an Einzelheiten der Regierungspolitik. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Regierung im Tempo gelegentlich hinter dem Notwendigen zurückgeblieben sei. Wir haben in diesem Hause festgestellt, daß sie e i n m a l ein beträchtliches Tempo vorgelegt hat, und das war bei der Steuergesetzgebung. Die Steuergesetzgebung ist hier mit einer Eile betrieben worden, die anderen Objekten ebenfalls angemessen gewesen wäre.
Aber hier — ich weiß, es wird nicht gern gehört —
haben wir den Eindruck, daß die Regierung ein Versprechen einlösen mußte,
ein Versprechen, dessen Einlösung nach unserer Auffassung in einem bemerkenswerten Widerspruch zu den Tönen stand, die wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört haben, nämlich der Bemerkung, daß diese Regierung eine soziale Politik treiben, daß sie so sozial wie möglich — hier liegt ja auch schon eine Einschränkung - sein wolle.
— Herr Kollege von Rechenberg, wenn Sie das a u c h sagen, sind wir uns ja vollkommen einig. Ich habe dann nichts weiter dazu zu bemerken; aber ich darf nur feststellen, daß das Tempo, das wir bei der Steuergesetzgebung erlebt haben, in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den zaghaften und unzulänglichen Versuchen stand, auf anderen Gebieten gesetzgeberisch tätig zu sein.
Es scheint mir geradezu die Konsequenz dieser Steuergesetzgebung zu sein, daß man in Fragen der Kriegsopferversorgung und der Sozialpolitik überhaupt sehr viel zurückhaltender gewesen ist.
—Darüber werden wir zu gegebener Zeit noch
zu sprechen haben, Herr Kollege von Rechenberg, wenn erst einmal das eingetreten ist, was Sie erwarten. Die Sozialdemokraten sind immer gern bereit, Erfolge zuzugestehen, wenn sie eingetreten sind; aber Vorschußlorbeeren geben wir nicht gern.
Meine Damen und Herren! Es scheint sich eben doch auch hier zwar nicht die Erkenntnis, aber das Gewicht der Tatsache durchgesetzt zu haben, daß man nicht Steuergeschenke und Sozialpolitik zugleich machen kann,
daß das eine das andere, wenn nicht geradezu aufhebt, so doch erheblich beschränkt.
— Ich glaube, Herr Kollege Euler, diese Zwiegespräche haben wenig Sinn. Ich vertrete hier den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion, vertreten Sie den Ihrigen — das ist das Recht jeder Gruppe in diesem Hause —, und wenn es sich urn Zwiegespräche handelt, bin ich bereit, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen, aber nicht hier.
Jedenfalls kommen wir hier auf den Kern des Problems, das uns gestellt ist. Wir haben es nicht damit zu tun, irgendwelche Theorien zu verwirklichen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns hier in stundenlangen Debatten über die Vorzüge oder Nachteile irgendeines ökonomischen Systems zu unterhalten, wie wir es leider manchmal getan haben. Worauf es ankommt, ist, von einer ehrlichen nationalen Bilanz her eine Vorstellung zu entwikkeln, wie wir die uns gegebenen Mittel rationell, vernünftig, politisch und sozial zweckmäßig einsetzen.
Wir haben ja oft über den angeblichen Gegensatz zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft gesprochen. Ich bin nie darüber hinweggekommen, daß aufgeklärte, gebildete Menschen so leicht bereit sind, eine bequeme politische Parole zu prägen, mit der man draußen in Versammlungen wirken kann, indem man Planung und Zwangswirtschaft auf einen Nenner bringt. Meine Damen und Herren, ich muß hier mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus einem Aufsatz zitieren, der mir dieser Tage zufällig in die Hände gefallen ist und der von einem bekannten Professor der Nationalökonomie stammt. In diesem Aufsatz steht folgendes zu lesen:
Schon in einem früheren Aufsatz wies ich darauf hin, daß zwischen planvoller Wirtschaft und voller Planwirtschaft Raum für unendlich viele Variationen der Beeinflussung und Lenkung der Wirtschaft bliebe und daß es deshalb unrichtig und unehrlich sei, hier mit absoluten Begriffen zu operieren.
Der eigentliche Gegensatz besteht nicht zwischen
freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Unsere Kritik richtet sich also nicht gegen die mannigfaltig auszudeutende Planwirtschaft. Vielleicht kann mir der Herr Bundeswirtschaftsminister Auskunft darüber geben, ob der Verfasser dieses Artikels, Herr Dr. Ludwig Erhard, etwa mit ihm identisch ist.
Meine Damen und Herren, wenn wir einmal nicht von theoretischen Streitpunkten, sondern von der Frage ausgehen, was uns not tut, und wenn wir dabei an die Menschen denken, die hinter diesen theoretischen Streitgesprächen in der Regel nur das Gezänk der Gelehrten und der Wissenschaftler vermuten, das an ihren eigenen Lebensfragen vollkommen vorbeigeht, dann kommen wir vielleicht, wenn auch unter schweren Kämpfen und nur unter der Voraussetzung, daß wir bereit sind, mutig die Konsequenzen aus unseren Einsichten zu ziehen, doch zu dem. Ergebnis, daß es mit den Methoden, die bisher in unserer Wirtschaftspolitik angewandt worden sind, nicht geht.
Gestern haben wir ja den Notschrei der Landwirtschaft gehört. Es ist in diesem Hause festgestellt worden, daß bei den gegenwärtigen Methoden der Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zwangsläufig ins Hintertreffen gekommen ist.
Die Landwirtschaft ist nur e i n großer Sektor unserer nationalen Wirtschaft. Wenn dann schon auf diesem einen Gebiet so etwas gesagt wird, was sollen dann die Millionen sagen, die mit einem ungenügenden Realeinkommen vor den Schaufenstern stehen und die schönen Auslagen bewundern können, ohne die Genugtuung zu haben, daß sie davon etwas kaufen können? Diese Leute sind in diesem Sinne ja auch Opfer dieser Wirtschaftspolitik. Sie sind auch bei den Maßnahmen vergessen worden, mit denen man versucht hat, unsere Wirtschaft in Ordnung zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, die eigentlich in die Beratungen über das Haushaltsgesetz gehört. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir ja das Haushaltsgesetz zu verabschieden, das den technischen und rechtlichen Rahmen für die Behandlung der Einzelpläne und für die Verwaltung darstellt. In diesem Haushaltsgesetz gibt es einen § 10, der Gegensand einer lebhaften Kontroverse zwischen dem Bundesrat — genauer gesagt: den Finanzministern der Länder --und dem Bundesfinanzministerium war. Es handelt sich da in erster Linie um die Frage, wer denn die Mittel dafür aufbringen muß, um den Ausgabenüberschuß, wie man neuerdings statt Defizit zu sagen pflegt, zu decken. Ich glaube, wir werden bei Beratung des Haushaltsgesetzes auf diese Frage noch im einzelnen zurückkommen müssen. Ich möchte jetzt schon darauf hinweisen, daß die Vorlage, die Sie in den Händen haben, nicht ganz korrekt ist, weil nämlich in dieser Vorlage gerade die Fassung des § 10 nicht mit der Fassung übereinstimmt, die aus den Beratungen des Haushaltsausschusses hervorgegangen ist. Es muß korrekterweise heißen, daß der Bundesfinanzminister im Benehmen mit dem Bundesrat zu entscheiden hat. Was steckt aber hinter dieser Kontroverse? Es steckt der Versuch der Länderminister dahinter, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Bund auf ein möglichst bescheidenes Maß zu fixieren und bei der endgültigen Feststellung des zu deckenden tatsächlichen Abmangels mit zu entscheiden, nicht etwa über die Höhe der Quote, die auf die einzelnen Länder entfällt, sondern über die Höhe des Betrags, den man als Abmangel feststellt.
Meine Damen und Herren, wir sind nahezu am Ende des Haushaltjahres. Jeder, der in der Finanzverwaltung tätig ist, weiß heute schon, wie hoch der tatsächliche Abmangel in zwei oder drei Tagen sein wird. Ich weiß nicht, warum von den Länderfinanzministern ein solcher Streit um die Frage geführt wird, ob der Bundesrat zustimmen oder nur gehört werden soll. Was soll denn der Bundesrat dabei feststellen? Er kann nur zur Kenntnis nehmen, daß das Defizit soundso viele Millionen beträgt, und er kann sich überlegen, woher die Länderfinanzminister das Geld nehmen, um
das Defizit zu decken; aber er kann nichts mehr feststellen. Die Feststellung ist Sache der Rechnungslegung. Das, was ausgegeben worden ist, ist nun eben einmal ausgegeben worden; und was zu decken ist, weisen die nüchternen Zahlen aus. Meine Fraktion wird sich deshalb erlauben, bei der Beratung des Haushaltsgesetzes die Wiederherstellung der Ausschußfassung zu beantragen, weil wir der Meinung sind, daß hier vom Bundesrat mit Kanonen nach Spatzen geschossen worden ist. Die Austragung dieses Streits war in diesem Augenblick völlig überflüssig. Ich bedaure aufrichtig, daß der Herr Bundesfinanzminister nach einem ursprünglichen Anlauf zur Stärke auch gegenüber den regionalen — vorsichtig sagt man sonst: föderativen — Interessen plötzlich weich in den Knien wurde und nach einem heftigen Widerstand seines eigenen Referenten im Haushaltsausschuß dann während der Mittagspause vor dem Bundesrat kapitulierte.
Ich glaube, so billig sollte man es nicht machen,
wenn es sich um eine immerhin etwas grundsätzliche Entscheidung handelt, nämlich um die Entscheidung der Frage, ob der Bundesrat bzw. die Länder bei der Festsetzung der Bedürfnisse des Bundes in dem Maße, wie es hier verlangt wird, mitwirken sollen. Das kann für die Zukunft Konsequenzen haben, die uns alle sehr unangenehm aufstoßen werden.
Da ich gerade beim Haushaltsgesetz bin, möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung zurückkommen, die in der zweiten Lesung gefallen ist. Mein verehrter Kollege aus dem Haushaltsausschuß Herr Professor Dr. Nöll von der Nahmer hat damals in diesem Hause eine Theorie aufgestellt. Er hat sie auch sonst öffentlich vertreten. Ich glaube, wir können in aller Freundschaft über diese Dinge reden. Wir haben uns nie gezankt, wenn wir auch gelegentlich verschiedener Meinung sind. Er hat eine Theorie aufgestellt, wonach man in Zukunft dazu kommen müsse, den Bundeshaushalt — und das gilt natürlich auch für alle andern Haushalte — von der Einnahmenseite her aufzubauen. Man müsse — das ist der Inhalt dieser These — zunächst einmal feststellen, welche möglichen Einnahmen man habe, und danach solle man die Ausgaben bestimmen.
Der Kollege Dr. Nöll von der Nahmer hat dabei das Beispiel der Hausfrau angeführt, die auch nur soviel ausgeben kann, wie sie oder der Mann einnimmt. Es ist ein bestechendes Beispiel; aber es ist prinzipiell falsch. Ich glaube, ein Staatshaushalt und ein Privathaushalt sind nicht unbedingt miteinander zu vergleichen. Beim Staatshaushalt bestehen einige Voraussetzungen, die beim Privathaushalt nicht gegeben sind. Wir haben im Staatshaushalt einige fixe Posten und einige unveränderliche Aufgaben, die man nicht mit den Methoden jener Theorie bewältigen kann. Man kann zu dieser Theorie des Herrn Kollegen Dr. Nöll von der Nahmer nur sagen: wenn sie einmal in die Praxis umgesetzt würde, würde dies das
Ende jeder Sozialpolitik in Deutschland bedeuten,
denn dann müßten Sie zunächst einmal den verehrlichen Steuerzahler befragen, wieviel er denn
eigentlich für die allgemeinen Aufgaben des Staates
zu leisten bereit ist, und ich habe noch keinen Steuerzahler gefunden, der bereit gewesen wäre, zu sagen: Im Hinblick auf die großen sozialen Verpflichtungen bin ich bereit, von heute ab 5 oder 10 Prozent mehr Steuern zu bezahlen. Ich glaube, wir werden ihn auch nicht durch die beste Politik schaffen, die wir hier in diesem Hause treiben. Deshalb sollte man vorsichtig mit solchen Theorien sein, die nur die öffentliche Diskussion irreführen und von den tatsächlichen Notwendigkeiten dieses Landes wegführen.
Soviel zu diesem Punkt.
Meine Damen und Herren, nun noch ein Wort zur Außenpolitik der Regierung. Wir haben Ihnen eine Entschließung vorgelegt, in deren Ziffer 1 wir — Sie werden darüber vielleicht etwas erstaunt sein — den Herrn Bundeskanzler ersuchen, im Rahmen des Bundeskanzleramts mit größter Beschleunigung ein sachgerecht und zweckmäßig organisiertes Staatssekretariat für Besatzungsfragen und auswärtige Angelegenheiten einzurichten, das den ganzen Bereich der mit der internationalen Politik zusammenhängenden Fragen, soweit das Besatzungsstatut keine Beschränkungen festlegt, betreuen und auch eine politische Abteilung enthalten soll.
Wenn man sich die Frage nach der Außenpolitik der Regierung vorlegt, so kommt einem unwillkürlich die Frage: Gibt es die denn überhaupt, die Außenpolitik der Regierung? Wir haben den Versuch des Herrn Bundeskanzlers erlebt, Außenpolitik zu machen. Das ist zweifellos eine seiner Aufgaben. In Ermangelung eines Auswärtigen Amts ist es im Bereich der Tätigkeit des Bundeskanzlers, der ja die Richtlinien der Politik festlegt, durchaus zu vertreten. daß er die außenpolitische Aktivität, soweit sie im Rahmen unserer allgemeinen Abhängigkeit möglich ist, führt, koordiniert, orientiert.
Wir haben daneben auch andere Versuche erlebt, Außenpolitik zu machen. Wir haben da den Versuch des Wirtschaftsministeriums, im Auslande neben den Vertretungen, die uns schon vom 1. April ab gestattet sind, eigene Vertretungen zu errichten. Wieweit dieser Versuch gediehen ist, ob er nicht bereits im Keime erstickt wurde — was ich wünschte —, das weiß ich nicht; jedenfalls ist dieser Versuch der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Wir haben weiter das ERP-Ministerium, und ich weiß nicht, was es sonst noch an außenpolitischen Aktivitäten gibt. Wo aber immer Persönlichkeiten der Regierung geredet haben, haben sie irgendwie Außenpolitik gemacht, und ich glaube, man kann, ohne Gefahr zu laufen, einen Ordnungsruf vom Herrn Präsidenten zu erhalten. doch sagen: es ist einiges Porzellan dabei zerbrochen worden.
Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß ich da nicht einmal aus den Kreisen der Koalitionsparteien allgemeinen Widerspruch finden werde.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zu den Methoden unserer Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler, dessen Legitimation wir nicht bestreiten,
hat den Versuch gemacht, das Gespräch über Europa, über die deutsche Wiederaufrüstung, über diese oder jene Frage von internationaler Bedeutung in Gang zu bringen. Ich glaube, die Mittel, die
er dazu benutzt hat, waren nicht immer die richtigen. Ja, ich möchte etwas weitergehen und sagen: sie waren in mehreren entscheidenden Fällen ausgesprochen unzweckmäßig.
Meine Fraktion hält zum Beispiel nichts davon, daß man sich zur Lancierung bestimmter Absichten und Ansichten eines amerikanischen Journalisten bedient
und daß man dann in eine Serie von weiteren Interviews hineinschlittert, bei denen sich Mißverständnisse ergeben, die aufzuklären sind, Dementis, die wieder nicht verstanden werden, und alle möglichen Aktionen und Konteraktionen nur so durcheinander wirbeln.
Ich glaube, meine Damen und Herren, so kann man die Außenpolitik, die uns gestattet ist, auf die Dauer nicht machen, ohne schweren Schaden zu leiden.
Man sollte doch einmal ernsthaft überlegen, ob es nicht besser ist, auf die Methode der Improvisationen aus dem Augenblick heraus zu verzichten und statt dessen eine solide Konzeption zu entwickeln, wohin man eigentlich will.
Mit Noteinfällen, die einem aus der Verlegenheit des Augenblicks gerade zufliegen, kann man in dieser komplizierten Welt nicht durchkommen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sozialdemokratische Fraktion wünscht nichts mehr als eine gemeinsame Grundlage für Opposition und Regierung in Fragen der Außenpolitik.
Aber auf dem Wege, den wir bisher auf diesem Gebiet gewandelt sind, kommen wir nicht zu dieser gemeinsamen Grundlage!
Die „einsamen Entschlüsse" des Herrn Bundeskanzlers, die dann nachher doch Gelegenheit zu Auseinandersetzungen geben, sind keine solche Grundlage. Wir wollen uns nicht dazu hergeben, eine Gemeinsamkeit vorzutäuschen, die nur darin besteht, daß wir uns nach vollbrachter Tat hinten anschließen dürfen.
Wir sind uns in einem, wahrscheinlich in der
Theorie und in der allgemeinen Richtung, sehr
nahe: wir wollen doch, daß aus diesem fürchterlichen Debakel, das unsere Generation erlebt hat,
etwas anderes, etwas Solideres, etwas Besseres entsteht. Darüber, worin dieses Solidere, dieses Bessere besteht, gehen die Meinungen auseinander,
aber wir alle haben wahrscheinlich — mit wenigen
Ausnahmen, denen nicht zu helfen ist — begriffen,
daß dieses Deutschland sich wirklich nur wieder
entwickeln und leben kann, wenn es in eine größere Ordnung eingeht. Europa ist für uns nicht
irgendein fernes Traumgebilde, sondern eine lebendige Aufgabe der Gegenwart. Wir Sozialdemokraten haben da zwar im einzelnen vielleicht unsere
Auffassungen zu modifizieren, aber wir haben
keine Gesinnung zu ändern oder neu zu erwerben.
Unser Bekenntnis zu Europa ist nicht jüngsten Datums. Aber wir werfen es denen nicht vor, die erst neuerdings zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Wir halten es für gut, daß Menschen durch die bittere Erfahrung zu neuen Einsichten kommen. Wir wollen nach Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, und die Sozialdemokratie wird jeden Schritt begrüßen und aktiv fördern, der wirklich nach Europa führt. Aber ich möchte es gerade in diesem Augenblick ausgesprochen haben: Der Weg nach Europa kann nach der Meinung der Sozialdemokratie nicht durch das kaudinische Joch eines Junktims führen, das die Sieger für die Besiegten aufgerichtet haben.
Ich will hier keine Saardebatte entfesseln und mich deshalb auf diese paar Bemerkungen beschränken, zu diesem Thema aber abschließend sagen:
Wir müssen endlich — und das gilt nicht nur für uns Deutsche, das gilt auch für die anderen Partner in diesem noch nicht begonnenen Gespräch — Europapolitik auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens der Europäer machen und nicht, indem wir ein Europa vortäuschen, das in Wirklichkeit nur eine Kulisse für die Verteidigung oder für die Ausdehnung nationaler Interessengebiete darstellt.
— Herr Renner, ich lasse mich im Augenblick nicht von Ihnen verlocken; sonst gäbe es hier eine Kontroverse, an der Sie keine Freude hätten.
— Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgende Bemerkung machen, die in dieses Kapitel gehört. Ich glaube, daß unsere offizielle Politik in der Tendenz bisher zwar versucht hat, Vertrauen herzustellen, daß aber ihre Methoden nicht dazu angetan waren, restloses Vertrauen zu wecken, sondern sehr -oft das Gegenteil bewirkt haben, weil auch hier alles nur improvisiert war, anstatt daß man nach einer klaren Konzeption geplant und gehandelt hätte. Wenn irgendwo Planung notwendig ist, dann gerade in den subtilen und empfindlichen Beziehungen eines geschlagenen und um seine Rehabilitierung ringenden Landes gegenüber seiner Umwelt, die an sich voll von Komplexen gegenüber diesem Neuankömmling ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dann noch auf die freundliche Aufforderung antworten, die der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Lesung, als es um die Beratung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen ging, an uns gerichtet hat. Der Herr Bundeskanzler hat damals der sozialdemokratischen Fraktion zugeredet, sie möchte doch ihre Entscheidung bezüglich dieses Ministeriums reiflich überlegen und bis zur dritten Lesung zurückstellen. Wir schätzen die gute Absicht. Aber wir sehen uns außerstande, ihr zu entsprechen und unsere Haltung zu ändern. Denn, meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß es bei diesen Fragen nicht auf formale Lösungen ankommt, nicht auf die Schaffung von Ministerien, nicht auf die Schaffung von Behörden, nicht auf die Entsendung von Beauftragten irgendwohin, sondern auf das, was an spürbaren Realitäten hinter politischen Erklärungen steht.
Wir wünschten zum Beispiel — ich spreche das offen aus —, daß die Bundesregierung etwas mehr Wärme, etwas mehr Aktivität in ihren Beziehungen zu dem kämpfenden Berlin zeigen würde,
als das gegenwärtig festzustellen ist. Wir sind ferner der Meinung — auch das sprechen wir offen aus —, daß es für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im ganzen nur gesamtdeutsche Fragen gibt, daß sie ein gesamtdeutsches Kabinett sein müßte, das sich allen Fragen, die dieses ganze Deutschland angehen, widmet.
Aber dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eine effektive, eine auf Gesamtdeutschland ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber kein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen.
Und nun muß ich noch Gelegenheit nehmen, eine Bemerkung zu einer Rede zu machen, die der Herr Bundeskanzler kürzlich in Bochum gehalten hat und in der er nach mancherlei Richtungen Zensuren erteilte. Ich habe mich hier nicht zum Sachwalter derjenigen aufzuwerfen, die zum Freundeskreis des Herrn Bundeskanzlers gehören.
Aber auf einige Bemerkungen, die an die Adresse der Sozialdemokratie gerichtet waren, möchte ich doch mit wenigen Sätzen eine Antwort geben, die. wie ich hoffe, nicht mißzuverstchen ist. Vielleicht klärt sich dann manches hier in diesem Hause; ich wage jedenfalls die Hoffnung auszusprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in Bochum der Sozialdemokratie den Vorwurf gemacht, daß sie ganz anders sei als die Sozialdemokratie vor 1933 und daß sie viel weniger Verantwortungsbewußtsein und Bereitschaft zur Mitarbeit zeige als vor 1933. Dazu, meine Damen und Herren, ist folgendes zu sagen. Jede Zeit hat ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Bedingungen, und ich gestehe ganz offen, daß ich, rückschauend, wünschte, die Sozialdemokratie vor 1933 hätte etwas mehr von dem militanten Geist gehabt, den wir Sozialdemokraten des Jahres 1950 zu entwickeln hoffen.
Gerade weil jede Zeit ihre eigenen Bedingungen
und Methoden hat, sage ich Ihnen ganz ehrlich:
Rechnen Sie nicht damit, daß die Sozialdemokratie
das entwickelt was der Herr Bundeskanzler vielleicht unter „Verantwortungsbewußtsein" versteht,
nämlich daß sie bereit wäre, Order zu parieren, wenn's gewünscht wird.
Gerade weil wir unsere Funktion als echte demokratische Opposition in diesem Staate und in diesem Hause erfüllen wollen, werden wir nur bei Entscheidungen mitwirken, die wir vor unserem Gewissen und nach reiflicher Überlegung auch mit unseren eigenen Vorstellungen von den notwendigen Lösungen in Einklang bringen können,
und wir werden nicht um einer billigen Einheitlichkeit willen unsere Grundsätze und unsere Auffassungen zum Opfer bringen, nur weil es so bequemer wäre. Wir wollen kein bequemer Partner
sein. Unsere Opposition gründet sich auf eigene
Vorstellungen von dem, was wir für die friedliche
Entwicklung unseres Volkes für notwendig halten.
Wir wollen selber die Grenzen dessen festsetzen,
was man uns zumuten kann und was wir Uns selber
kann und
zumuten wollen. In diesem Punkt muß sich der Herr Bundeskanzler schon an eine andere Adresse wenden, wenn er gefügigere Partner haben will. Wir gedenken ihm dort entgegenzukommen, wo er den ehrlichen Versuch macht, mit uns vor Entscheidungen zu sprechen und wo wir das Gefühl haben, daß wir uns auf einer gemeinsamen Ebene treffen. Auf allen anderen Gebieten wird die sozialdemokratische Fraktion ihre Politik der Politik der Regierung entgegenstellen, und im Ringen der Kräfte, in der echten Auseinandersetzung wollen wir dann versuchen, das zu erreichen, was möglich ist. Das scheint mir doch eigentlich der Sinn parlamentarischer Arbeit zu sein.
Da ich gerade bei der parlamentarischen Arbeit bin, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu der Arbeit dieses Hauses selber sagen, sicher nicht sehr Tiefgründiges, sicher nichts Revolutionäres, nur etwas, was im Grunde genommen in meinen ganzen Ausführungen mitgeschwungen hat. Sehen Sie, ich stehe hier oben, ich rede mehr zur Galerie als zu Ihnen, nicht weil ich es will, sondern weil ich es muß, weil die Anordnung dieses Hauses derart ist, daß der Redner gezwungen ist, da hinauf zu reden, anstatt sich in ein Gespräch mit den Damen und Herren dieses Hauses zu verwickeln. Jeder Versuch, hier ein Zwiegespräch zustande zu bringen, ist eine Störung der parlamentarischen Arbeit,
während es in Wirklichkeit der Inhalt der parlamentarischen Arbeit sein sollte. Der Herr Präsident thront in den Wolken, aber das ist ja vielleicht die Natur des Präsidenten.
Wenn man hier unten sitzt, dann hat man das Gefühl, daß zwischen Regierung und Parlament eine hohe Mauer errichtet ist. Sie ist es in der Tat.
Ich wünschte, wir würden mit der Reform der parlamentarischen Arbeit beginnen, indem wir die Schranken, die Regierung und Parlament voneinander trennen, wenigstens räumlich niederreißen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Architekten, die sicher mit viel Geschmack dieses Haus entworfen und gebaut haben, vielleicht in ihren ästhetischen Empfindungen gestört werden. Ich glaube, hier ist dem Ästhetischen etwas zu viel Tribut gezollt, und die parlamentarische Zweckmäßigkeit ist vernachlässigt worden.
Vielleicht ist das nur ein bescheidener Beitrag zum Thema; aber ich glaube, wir würden in diesem Hause sehr viel besser arbeiten können, wenn die menschliche Atmosphäre den politischen Gegensatz gelegentlich modifizieren und regulieren würde.
Denn diese Schranken: hier für den Bundestag, dort für die Regierung und sogar für das hohe Präsidium, sind symbolisch für das gegenwärtige Verhältnis von Parlament und Exekutive. Das sollte nicht sein.
Nun zum Schluß, meine Damen und Herren! Nach dem, was ich Ihnen vorgetragen habe, wird es für Sie selbstverständlich sein, wenn ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erkläre, daß wir das Haushaltsgesetz und die Einzelpläne in der Abstimmung in der dritten Lesung ablehnen werden, nicht, weil wir nicht im einzelnen die Notwendigkeiten des Aufbaues einer neuen Verwaltung akzeptieren und richtig einschätzen, sondern weil wir durch diese Haltung unsere grundsätzliche
Stellung, unsere Ablehnung gegenüber der Gesamtpolitik dieser Regierung bekunden wollen.