Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generaldebatte über den Haushaltsplan ist meist ein Anlaß zu einem ganzen Bukett der Kritik. Sie sollte zugleich aber auch ein Anlaß für eine gewisse Besinnung sein. Dieser erste vorläufige Haushaltsplan steht an der Schwelle unseres neuen, unter ganz einzigartigen Bedingungen aufgebauten jungen Staates. In dieser Situation ist es ein besonderes Anliegen auch meiner politischen Freunde, der Besinnung stattzugeben.
Der Herr Kollege Schoettle hat heute morgen diese Debatte mit einer grundlegenden Rede der Opposition eingeleitet. Ich persönlich darf die Darlegungen des Herrn Kollegen Schoettle in dem Geist bejahen, daß er. zum Schluß als das Allerwichtigste herausgestellt hat, daß in diesem Staate, in diesem Parlament und insbesondere in dieser Demokratie eine menschliche Atmosphäre herrschen müsse, die die Grundlage für die politische Arbeit abgeben müsse. Ich glaube, daß das ein sehr bedeutungsvolles Wort am Anfang unseres Staates ist.
Wir unterschreiben diese Notwendigkeit. Denn für eine Demokratie, bei der ein Riß im Grundsätzlichen zwischen den politischen Gruppen aufgetan ist, ist ein solcher Riß tödlich. Ein autoritärer Staat ist in der Lage, die allerhärtesten Spannungen mit den Mitteln der Gewalt und des Zwangs zu überwinden; und das auch nicht lange. Denn niemals läßt sich eine menschliche Gemeinschaft auf die Gewalt und auf den Zwang gründen. Eine Demokratie aber lebt von dem im Menschlichen begründeten Vertrauen, das letzthin zwischen allen Gruppen herrschen muß. Ich verhehle nicht, daß meine politischen Freunde und ich in der Idee vollkommen anderer Meinung sind als die sozialdemokratische .Fraktion, die hier in diesem Hause in der Opposition steht. Wir sind bereit und wir halten es für notwendig, daß um die Idee gerungen wird, auch hart gerungen wird; aber in den grundsätzlichen Fragen, die unser politisches Gemeinwesen angehen, muß die menschliche Achtung, das menschliche Verständnis als Basis der grundsätzlichen Zusammenarbeit gegeben sein.
Darin sehen wir unsere besondere Verantwortung und Aufgabe als Abgeordnete dieses Hauses. Gerade wir von der konservativen Gruppe, wenn ich mich dieses nicht ganz zutreffenden Wortes bedienen darf
(Abg. Dr. Schmid: Wir haben mehrere
Traditionen, Herr von Merkatz!)
- Es ist immer im geschichtlichen Sinne, Herr Professor, die große Aufgabe, daß man von den „mehreren Traditionen", die in der Seele eines jeden Volkes leben, die gute Tradition durchsetzt. Wir haben in mancherlei Katastrophen — ich darf darauf noch kommen — schon eine gute Tradition entwickelt. Ich erinnere daran, daß wir als deutsches Volk den Weg des Religionsausgleichs gegangen sind. Wir haben doch diesen
damals Europa im Innersten zerreißenden Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus in einer das Geistesleben ganz Europas tief befruchtenden Weise gelöst. Das ist ein Teil dieser deutschen Tradition, die grundlegend für unsere Zukunft sein kann, nämlich die Toleranz, die Achtung und das menschliche Verständnis, begründet auf dem Boden der Freiheit.
Wir von der Deutschen Partei sind die entschiedensten Gegner jeder totalitären Verirrung. Wir gehen davon aus, daß es bei dem kulturellen Reichtum unseres Volkes mehrere Richtungen geben muß und daß nur aus der fruchtbaren Spannung der Verschiedenheit der Auffassungen ein lebendiges Zusammenleben hervorgehen kann. Wir lehnen daher jeden Machtanspruch, jede einseitige Geltendmachung eines Willens ab, der für sich das Monopol der Staatsidee und der staatlichen Macht in Anspruch nehmen könnte.
Herr Kollege Schoettle hat heute morgen in seinen grundlegenden Darlegungen eine Darstellung des Verhältnisses zwischen der Regierung und dem Parlament gegeben. Man kann dieses Verhältnis der Exekutive und der Legislative auch hier im Rahmen der Haushaltsdebatte als das Problem des Unterschiedes zwischen der Organisationsgewalt der Regierung und dem Budgetrecht des Parlaments bezeichnen. Herr Kollege Schoettle hat Wert darauf gelegt, daß nach dem Grundgesetz die Regierung in diesem Hause wurzelt, daß sie dort ihren eigentlichen Boden hat, daß sie keine Macht aus eigenem Recht ausübt. Es ist unbedingt richtig, die Regierung so zu betrachten. Aber der Unterschied zwischen dem exekutiven Voranschreiten und der Legislative, die die Richtlinien gibt und die Handlungen der Regierung überwacht, ist doch beträchtlich. Es wäre eine verhängnisvolle Fehlentwicklung des Parlamentarismus, wenn man das Initiativrecht der Regierung infizieren, kränken oder beschneiden wollte, wenn eine Art der Kritik und der Überwachung stattfinden sollte, die bereits das Entstehen der Handlung in ihren Anfängen zerstört, zermürbt und zersetzt. Das Grundgesetz hat ganz bewußt eine gewisse Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament gewollt und geschaffen. Ich glaube, wenn man die Entwicklung des modernen Staates im 20. Jahrhundert betrachtet, jene Entwicklung zum Verwaltungsstaat und zu einer Massendemokratie hin, dann wird man doch dem einen Erfordernis Rechnung tragen müssen: die Demokratie bedarf der Autorität, und es muß möglich sein, insbesondere in einer Situation, wie wir sie in Deutschland haben, daß wir uns zu einer echten Autorität bekennen, daß man erst einmal gewähren läßt und seine Kritik dann einsetzt, wenn das Fertige, das Ausgereifte und oft so mühselig und schwierig Geschaffene dasteht. ° Ich bin nicht der Auffassung, daß sich das Parlament durch seine Kontrollfunktion in einer indirekten Weise exekutive Maßnahmen, durch Ausschüsse oder wie das auch sein mag, anmaßen dürfte. Das Parlament hat mit der Kritik gegenüber der Regierung erst dann einzusetzen, wenn das Vollendete, das, was verantwortet werden muß, dasteht. Es ist ein sehr großer Unterschied zwischen der Autorität, die eine freiheitliche Demokratie entwickelt, und der Totalität, die aus einer verkollektivierten Massendemokratiie hervorgeht. Autorität und Freiheit sind die beiden Pole, zwischen denen das menschliche Gemeinschaftsleben zustande kommt. Totalität und Knechtschaft sind die beiden anderen Gegensätze. Wir haben Erfahrung auf diesem Gebiet. Wir wissen, was es heißt, in eine Totalität und in eine Knechtschaft der Massendemokratie zu versinken. Denn diese Totalität wächst ja aus dem anarchischen Milieu der Massendemokratie heraus. Wir haben einige Erfahrungen darin und wir wünschen nichts sehnlicher, als daß aus dem Boden der Freiheit auch echte, gute Autorität erwächst. Autorität bedeutet ja nicht nur die Wirkung von oben her, sondern auch die Fähigkeit, Autorität anzuerkennen, selber im freiwilligen Gehorsam seine Ehre zu finden, indem man das, was hier als Autorität herausgestellt ist, als sein Eigenes empfindet.
Es wurde von dem einsamen Weg des Kanzlers gesprochen. Das ist eine Metapher, vielleicht keine sehr passende Metapher. Denn wenn wir unsere Situation in diesem Lande und unsere
eigene Tätigkeit in diesem Hauser richtig betrachten, wenn wir uns überhaupt die Atmosphäre unserer Zeit verständlich machen, so werden wir viele einsame Wege finden. Jeder ist irgendwie ganz in seine eigene Verantwortung hineingestellt. Es wird schwierig sein, wieder zu einer Ordnung zu kommen, die ein wahres Gemeinschaftsgefühl unter allen bewußt machen kann.
Durch die Art, wie die Opposition in diesem Hause ausgeübt wurde, ist eine ziemliche Hast, eine Überlastung an Arbeit zustande gekommen. Ich weiß nicht, ob es für die Gesetzgebung günstig war — auch wenn man die Arbeit in den Ausschüssen betrachtet —, daß oft bis in die späten Nachtstunden hinein ein Gesetzgebungsinstrument geschliffen werden mußte und dabei eine gewisse Gereiztheit aufkam, die der Sache bestimmt nicht dienlich war. Ich denke hier an manche Nachtsitzung, die in diesem Hause durchgeführt wurde. Immerhin muß man dabei bedenken, daß wir an den Anfängen stehen und daß der gute, der anständige Wille, hier einen demokratischen, freiheitlichen Staat aufzubauen, von allen Beteiligten geteilt wird. Wenn man die Entwicklung dieses halben Jahres überblickt, dann ist es kein übertriebener Optimismus, festzustellen, daß vieles, was im Anfang Empörung und Kritik hervorgerufen hat, sich gebessert hat. Das alles ist auch nicht eine Sache, die dem freien Willen unterworfen ist, sondern es handelt sich hier um Entwicklungen, die aus der Situation unseres so schwer zusammengebrochenen Volkes hervorgehen.
Hinsichtlich der innenpolitischen Aufgaben haben meine politischen Freunde einen Weg im Sinn, den man vielleicht mit folgendem einfachen Satz umschreiben darf. Wir wünschen den Frieden nach außen durch die Befriedung im Innern. Das schließt alles das mit ein, was an Wiederaufbaumaßnahmen erforderlich ist, um unser durch den Krieg so schwer geschlagenes Volk wieder aufzurichten.
Es ist mit Recht auf die psychologische Bedeutung des rechtzeitigen Handelns hingewiesen worden. Herr Kollege Schoettle hat die Gefahren aufgezeigt, die in diesem unserem Lande aus dem Emotionalen hervorgehen. Wir sind, um
dieses Schlagwort zu wiederholen, allerdings der Meinung, daß eine gute Wirtschaftspolitik immer die beste Sozialpolitik sein wird. Wir sind dabei keine Dogmatiker auf wirtschaftlichem Gebiet und sind Gegner der Schlagworte. Herr Kollege Schoettle hat heute morgen mit Recht darauf hingewiesen, wie mit den Worten Planwirtschaft und Marktwirtschaft in einer absolut oberflächlichen Weise herumgeworfen wird. Es gibt
darüber sind wir uns vollkommen klar — sehr viele Nuancen, sehr viele Unterschiede in der Art, in der man einen Wirtschaftskörper beeinflussen kann, mit ganz gelinden indirekten Lenkungsmaßnahmen angefangen bis zu einer totalen Planwirtschaft, die bei einer Mangellage sehr leicht in eine Zwangswirtschaft umschlägt. Wir glauben, daß es in unserer Situation, die wir doch noch weitgehend von fremdem Geld leben, müßig ist, uns in diesen dogmatischen Streit einzulassen. Aber auf eines legen meine politischen Freunde und ich den allergrößten Wert. Wir dürfen nicht den Versuch machen, durch irgendwelche erdachten Schwindelkunststücke unser wirtschaftliches Leben anzuregen und damit eine scheinbare Vollbeschäftigung mit einem künstlich erzeugten Mangel auf allen Gebieten in die Wege zu leiten. Wir legen den allergrößten Wert darauf, daß wir eine gesunde Währung behalten und sie durch unser wirtschaftliches Arbeiten solide gründen. Es ist auch ein Unterschied, ob man von der Planwirtschaft spricht und damit verschiedene Lenkungsmaßnahmen meint oder ob man eine sozialistische Planwirtschaft anstrebt, die etwas ganz anderes ist, die den Wirtschaftskörper in einer totalen Weise umklammert und die zwangsmäßige Ein-griffe unter gar keinen Umständen entbehren kann, um zu funktionieren. Diese sozialistische Planwirtschaft, dieses aus der sozialistischen Idee hervorgehende Einwirken des Staates auf den freien Ablauf der Wirtschaft lehnen wir ab und müssen wir nach der Grundlage unserer ganzen Konzeption ablehnen. Allerdings sind wir uns auch bewußt, daß der wirtschaftliche Weg, den wir gegangen sind und sehen müssen, auf landwirtschaftlichem Gebiet bereits zu großen Schwierigkeiten geführt hat. Wir würden wünschen, daß es der Regierung und den gemeinsamen Anstrengungen aller Ressorts, die im Interesse der landwirtschaftlichen Belange zusammenarbeiten, gelänge, der wachsenden Not besonders der mittleren und kleinen Bauern mit wirksamen, undogmatischen Maßnahmen zu steuern.
Es ist nicht möglich, hier in dieser kurzen Zeit irgendwelche Rezepte zu geben; es ist auch gar nicht denkbar, daß diese Fragen nach irgendwelchen dogmatischen Rezepten gelöst werden. Hier muß je nach dem besonderen Fall, je nach dem besonderen Bedürfnis, das von Landschaft zu Landschaft verschieden sein wird, gearbeitet und das Geeignete gefunden werden. Dann soll auch die Kritik nicht nur aus dem Dogmatischen herkommen, und man soll sich gegenseitig nicht nur vorwerfen, man sei Planwirtschaftler oder man sei es nicht. Das ist außerordentlich nebensächlich.
Genau dieselben Schwierigkeiten, die sich auf dem landwirtschaftlichen Gebiet ergeben, stellen sieh jetzt auch beim kleinen Mittelstand, insbesondere beim Handwerker heraus. Meine politischen Freunde und ich legen den größten Wert darauf, daß dieser Entwicklung gesteuert wird, daß man eine gesunde — nicht vom Interessenstandpunkt aus, sondern vom sozialen Standpunkt aus gesehene — Mittelstandspolitik treibt. Es ist in einem Land, das sozial — und zwar durch den Bombenkrieg und durch die Vertreibung von nahezu 13 Millionen aus den Ostgebieten — derart zerstört worden ist wie Deutsch-. land, klar und eindeutig, daß allzu krasse soziale Gegensätze verhindert und vermieden werden müssen. Es kommt hier sehr viel auf den sozialen Takt an.
Wir gehen aber diesen sozialen Problemen unter gar keinen Umständen damit zu Leibe, daß wir uns in dem Gefälle der historischen Ideologien aufhalten und die Rezepte des 19. Jahrhunderts in diesem 20. Jahrhundert, das ganz andere Voraussetzungen hat, anzuwenden versuchen. Es ist hier das Wort gefallen, daß ein Steuergeschenk im Widerspruch zu einer sozialen Politik stehe. Ich glaube, diese Kontroverse zwischen der Steuersenkung und der Sozialpolitik verkennt den Zusammenhang gründlich und schiebt diese Frage auf ein vollkommen falsches Gleis. Vielleicht verstehen wir uns auf diesem Gebiet nicht, aber das eine darf ich seitens meiner politischen Freunde sagen: für uns ist diese von der Bundesregierung eingeleitete Steuerreform die Voraussetzung für eine gesunde und gute Sozialpolitik.
Wir legen Wert darauf, daß keinerlei Versuche unternommen werden zu zaubern. Wir wollen eine realistische Wirtschaftspolitik, wir wollen alle Bemühungen dareinsetzen, daß dieser geduldige, aber solide Weg, der letzthin zu einer Hebung des Wohlstandes führt, mit aller Energie gegangen wird. Es gilt hier, den Schwierigkeiten zu steuern, die gemütsmäßig dabei auftreten. Es kommt darauf an, daß man dem Tun all der Narren, die versuchen, bei dieser schwierigen Situation Deutschlands im Trüben zu fischen, wehrt, daß man den Gefahren, die aus dieser Verbitterung, dem Elend unseres Volkes und aus der Radikalisierung hervorgehen, begegnet, damit die Ruhe und Stetigkeit unserer ganzen Entwicklung gewahrt bleiben, um einen wahrhaft soliden Wirtschaftsaufbau herzustellen, der nicht von irgendwelchen Wunschvorstellungen und Illusionen getrieben wird, sondern der auf der Realität gesunden Wirtschaftens, d. h. der Schaffung neuer Werte aufbaut.
Ich glaube, wenn es uns so gelingt, nicht unsere gesamte wirtschaftliche Vorstellung einer Vollbeschäftigungskulisse bei schlechter Währung, Zwang und Mangellage zu opfern, sondern eine wahrhaft solide Arbeitsbeschaffung in die Wege zu leiten, daß wir damit dann gegenüber der östlichen Totalität den Beweis erbracht haben, daß aus dem Kern unseres abendländischen Denkens heraus eine Meisterung der großen sozialen Spannungen und Schwierigkeiten dieses Jahrhunderts möglich geworden ist, daß wir damit die große Anziehungskraft nach Osten ausüben und den Schutzwall unserer abendländischen Ordnung gegenüber dem neuen Nomos, der da drüben aufgestellt ist, begründen. Es handelt sich nicht darum, daß wir die materiellen Grund-
lagen unseres Daseins zur Steuerung der Not beschneiden. Es geht nicht darum, die letzten Ordnungen eines überkommenen Wirtschaftssystems zu zerstören und einzuebnen; es kommt vielmehr darauf an, daß man nicht verteilt, sondern daß man Neues schafft und daß man allen Menschen die Geborgenheit des Arbeitsplatzes und des Lebens verschafft, die für sie erforderlich ist, um in seelischer Gesundheit als Staatsbürger dem Gemeinwesen zu dienen.
Nichts ist leichter bei einer solchen Generaldebatte, als an der Außenpolitik der Regierung Kritik zu üben. Kaum ein Gebiet ist so der Kritik ausgesetzt und von jeher so als kritikwürdig betrachtet worden. Ich möchte mich hier einer näheren Stellungnahme enthalten und nur einige Grundsätze meiner politischen Freunde zum Ausdruck bringen.
Es wurde von Herrn Kollege Schoettle heute nach der außenpolitischen Konzeption gefragt. Ich glaube, daß diese außenpolitische Konzeption bei uns allen die gleiche sein wird.
Immerhin steht unter den geistigen Vätern dieser Bewegung der Deutschen Partei Constantin Frantz, dessen Schriften, wenn man sie heute noch einmal liest, bei manchem, was veraltet und verklungen ist — —
— Ich weiß, warum Sie warnen, Herr Professor. Ich habe ihn ziemlich ganz gelesen. Aber gerade das, was er auf diesem Gebiet des abendländischen Gedankens zu geben wußte, war eine bedeutende Vorausschau der Dinge. Es sind auch noch andere Traditionen, die auf diesem alten Gedanken beruhen, daß sich die europäischen Völker als Glied einer Familie fühlen, so wie das einmal in Zeiten vor der Reformation als eine Selbstverständlichkeit in Europa galt. Dieser guten Tradition, die noch in unseren Städten, in unserer Kunst, in unserem Geistesleben spürbar geblieben ist, wollen wir dienen. Denn ohne den geistigen Hintergrund, ohne das eigentlich Oberzeugende, was in den Dingen ist, läßt sich der Weg in die europäische Gemeinschaft nicht gehen.
Wir verkennen dabei nicht, daß eine ganze Reihe praktischer und realer Erkenntnisse diese geistige Linie ergänzen müssen. Ich glaube, daß man dann, wenn man zur Methodik dieser Diplomatie Stellung nehmen soll —, in dem Zustand der Suzeränität, in dem wir uns befinden, und bei der exzeptionellen Lage, in der sich unser ganzes Volk befindet, von neuartigen Gesichtspunkten ausgehen muß. Denn eine solche soziale Zerstörung, wie sie Deutschland erlebt hat, hat
es in Europa vielleicht noch nicht gegeben. Wenn man hier eine richtige Methode der Diplomatie entwickeln will, so wird man den Kern- und Schwerpunkt in den einfachen menschlichen Beziehungen finden müssen. Ich glaube, daß wir vielen Methoden der diplomatischen Technik, wie sie in der Vergangenheit üblich waren und wie sie das 18. Jahrhundert zu einer Perfektion entwickelt hat, nicht zu folgen vermögen und daß der außenpolitische Stil, der unseren Weg kennzeichnet, seitdem wir wieder zu einem Staatsgebilde heranzuwachsen uns bemühen, von diesen neuartigen Bedingungen sehr stark bestimmt sein muß und bestimmt ist.
Wir dürfen dabei auch die außerordentlich schwierige innerpolitische Situation in den Ländern, die uns umgeben, nicht verkennen. Denn nicht nur wir haben soziale Spannungen und Schwierigkeiten; auch die anderen Völker Europas und unsere Sieger haben unter den Folgen des Krieges auf das allerschwerste zu leiden. Ich glaube, daß nur die Selbstbeherrschung, die Selbstdisziplin und die große Tugend der Geduld uns zu Erfolgen führen kann.
Meine politischen Freunde und ich lehnen eine Politik der Illusionen ab. Es reift uns nichts zu. Gewiß, wir haben ein gewisses Gewicht der Bevölkerungszahl und der geographischen Lage nach. Aber das Leben ist immer Entscheidung, und in unserer gefährlichen Lage müssen insbesondere wir dessen eingedenk sein, daß uns nichts in den Schoß fällt. Es ist vollkommen richtig — und ich glaube, diese Ansicht wird von allen Fraktionen dieses Haues geteilt —, daß wir Grenzen setzen müssen, daß wir nicht bei einer Entwicklung mitmachen dürfen, die Deutschland als ein Volk minderen Rechtes in dieses Europa einzugliedern versuchte, also eine Schwindelkonstruktion dieses Europas darstellen würde. Eine europäische Gemeinschaft der Zusammenarbeit kann überhaupt nicht existieren, wenn man in diesem Jahrhundert mit seiner komplizierten technischen und sozialen Kultur den Versuch machen wollte, ein Volk minderen Rechtes — und das noch in der Mitte Europas — bestehen zu lassen. Es ist immerhin in der Mantelnote, mit der das Besatzungsstatut überreicht wurde, ausgeführt worden, daß es das Ziel der Besatzungspolitik ist, die Eingliederung dieses Volkes, und zwar des gesamten Deutschlands, in eine Gemeinschaft und Zusammenarbeit der europäischen Völker zu gegenseitigem Nutzen zu ermöglichen. Ich glaube, diese Eingliederung unter Schaffung der Voraussetzungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art ist die große deutsche Aufgabe und der Kernpunkt einer außenpolitischen Konzeption. Darin liegt das wahre Wesen der Verständigung. So kann und soll man den Weg der Bundesregierung begreifen. Jedenfalls kann das Hineinwachsen in Europa, in die europäische Gemeinschaft nicht nach der Methode des diplomatischen Geschäfts geschehen. Hier gibt es nichts ein- und auszuhandeln. Der historische Prozeß, der dahintersteht, ist weit tiefergreifend, weit schicksalhafter und schwerer, als daß man mit solchen Äußerlichkeiten etwas erreichen könnte. Es wird darauf ankommen, in der Zukunft einen gereiften Zustand im deutschen Volk hervorzurufen, eine wahrhafte, neue europäische Tradition aufzubauen und durch diese Vorbildlichkeit un-
seres politischen Ethos die Gefahren der Radikalisierung zu überwinden.
Meine Freunde und ich bekennen uns zur christlichen Freiheit und Menschenwürde als den beiden großen Grundpfeilern, die unser Gemeinschaftsleben im Abendlande tragen. Diese christliche Freiheit und Menschenwürde — ein Freiheitsbegriff, der nur aus dem Christentum heraus verständlich ist —
gilt es zu verteidigen, und dazu gehört die Toleranz.
Es ist heute hier ein böses Wort von einer Relation zwischen evangelischer und nationalsozialistischer Gesinnung gefallen. Ich glaube wohl nicht, daß der Herr Redner das in dieser massiven Weise gemeint hat. Aber ich möchte doch nochmals namens meiner politischen Freunde darauf hinweisen: Wenn wir zu all den Nöten und innerlichen Schwierigkeiten nun auch noch konfessionelle Gegensätze hinzufügen wollten, dann wären wir vollkommen wahnsinnig.
Es ist doch die große Leistung unseres Volkes — ich deutete es schon an —, daß wir diesen Gegensatz überwunden haben und damit eine Liberalität und Toleranz als Grundlage unseres Gemeinschaftswesens entwickelt haben, die wir gerade für die Zukunft und am Rande des totalitären Bereiches so dringend nötig haben.