Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, am 2. Dezember 1984 hat unser Kollege Wiefel seinen 60. Geburtstag gefeiert. Wir gratulieren ihm herzlich, auch wenn er jetzt nicht im Saal ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 25 der Tagesordnung — Drucksache 10/2212
— abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden?
— Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Nun hat zur Abgabe einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung der Abgeordnete Reents das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Möglichkeiten, die für jeden Bundestagsabgeordneten bestehen, ist letzte Woche eine Gruppe von 49 Jugendlichen aus Hamburg auf meine Einladung hin in Bonn gewesen. Während des Besuchs im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen am vergangenen Donnerstag, 29. November, ist es zu Vorfällen gekommen, die hier im Bundestag und von mehreren Zeitungen scharf angegriffen wurden.
In einem Schreiben an den Herrn Bundestagspräsidenten, Dr. Jenninger, vom 29. November hat Bundesminister Windelen geschrieben, die Besuchergruppe habe den Vortragsraum in seinem Ministerium in einem Chaos hinterlassen, und der Raum habe anschließend ausgesehen, als wenn Vandalen gehaust hätten.
Ich habe mir den Vortragsraum, der unverändert belassen worden war, am Vormittag des 30. November angesehen und muß folgendes feststellen. Es wurde ein Bild des Bundespräsidenten Weizsäcker entwendet, und es wurde ein weiteres Bild zerbrochen. Es sind an den Armlehnen von fünf Stühlen leichte Beschädigungen an der Plastikfolie und am
Schaumstoffpolster vorhanden. Es klebte ein Kaugummi auf dem Teppichboden.
Ich bedaure diese Beschädigungen und habe mich als einladender Abgeordneter in Schreiben an Bundesminister Windelen und an Bundestagspräsident Dr. Jenninger für diese Vorkommnisse entschuldigt. Ich habe des weiteren nach einigen Mühen — weil der Bundestagspräsident zunächst den Zutritt zu unserem Fraktionssaal im Hochhaus Tulpenfeld für die Gruppe gesperrt hatte — mit den Jugendlichen über diese Vorkommnisse diskutiert mit dem Ergebnis, daß sie selbst nachträglich ebenfalls festgestellt haben, daß diese Vorkommnisse Mist waren.
— Ich zitiere das.
Der in der Geschäftsordnung vorgeschriebene Rahmen für eine persönliche Erklärung vor dem Bundestag gibt mir nicht die Möglichkeit, hier darüber zu diskutieren, wovon solche Vorkommnisse auch Ausdruck und worauf sie auch Reaktion sind. Aber der Hinweis dürfte noch zulässig sein, daß es mir wichtiger vorkommt, diese Frage zu diskutieren, als die Feststellung über einen Sachschaden zu treffen.
Worauf es aber in dieser Form zulässig ist, mit einer Antwort zu reagieren, ist eine Äußerung von Bundesminister Kiechle in der Debatte am 29. November, mit der er mich wegen dieser Vorkommnisse angesprochen hat. Minister Kiechle sagte in seinem Beitrag — ich zitiere das —:
Die Delegationen, die uns hier besuchen — Sie haben die südafrikanische genannt —, machen auf jeden Fall folgendes nicht — was eine Besuchergruppe eines Ihrer GRÜNEN-Kollegen gestern im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen gemacht hat —: Stühle aufschneiden, Teppiche zerstören, das Bild des Bundespräsidenten herunterreißen und einen ganzen Saal kaputtmachen. Das war Ihr Kollege Reents, um es genau zu sagen.
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Reents
Ich weiß nicht, ob Herr Minister Kiechle sich den Saal angesehen hat. Ich habe es getan. Davon zu sprechen, daß ein ganzer Saal kaputtgemacht worden sei, ist eine maßlose Übertreibung, eine Unwahrheit.
Ich weise dies zurück, weil ich in der Maßlosigkeit der Schilderung und Bewertung dieser Vorkommnisse das Spielmaterial für die weitere gesellschaftliche Ausgrenzung von Minderheiten sehe,
die in einer Pressemitteilung der CDU von demselben Tag bereits nur noch als „Pöbel" bezeichnet wurden.
Ich danke Ihnen, daß Sie diese Erklärung angehört haben.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Verstärkte Maßnahmen der Bundesregierung über die bisherigen Anstrengungen hinaus zur Unterstützung der kurz- und mittelfristigen Hilfsprojekte in Hungerkatastrophengebieten Äthiopiens und anderen afrikanischen Ländern.
Die Abgeordneten Bindig, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Marx und weitere Abgeordnete aus allen Fraktionen haben gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne dazu die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als alle Vorwarnungen, Forderungen, Mahnungen und Aufrufe haben es die erschütternden Fotos und Fernsehbilder von durch Auszehrung verkrüppelten Kindern und verhungernden Menschen aus den Elendsgebieten Afrikas vermocht, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln und auf die Hungerkatastrophe in einigen afrikanischen Ländern, hauptsächlich in Äthiopien, aufmerksam zu machen.
Wenn sich der Bundestag in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag von Abgeordneten aus allen Fraktionen mit der Hungerkatastrophe in Afrika beschäftigt, so soll damit zugleich öffentlich dargelegt werden, daß sich der Bundestag fortlaufend und nachhaltig in den zuständigen Ausschüssen, dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Ausschuß — und hier besonders im Unterausschuß für humanitäre Hilfe —, mit dem Elend der Flüchtlinge und der Not der Hungernden in Afrika befaßt.
Die Not ist dann am schlimmsten, wenn eine Naturkatastrophe, meist eine Dürre, mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zusammentrifft. Dies war und ist in Uganda, Mosambik, Angola, Sudan und Äthiopien der Fall.
Bereits im November 1983 und dann im April und Mai 1984 hat sich der Unterausschuß für humanitäre Hilfe mit der für den Herbst 1984 befürchteten außergewöhnlichen Nahrungsmangelsituation in der Sahel-Zone und am Horn von Afrika beschäftigt und es schon damals für erforderlich gehalten, daß Vorsorge für den Herbst 1984 getroffen und ein Maßnahmenkatalog bereitgehalten würde, damit die erwartete Notlage nicht zu einer Katastrophe würde.
Um so mehr macht es uns heute betroffen, daß trotz Vorwarnungen und Vorkehrungen die Hungerkatastrophe ein solch schreckliches Ausmaß angenommen hat.
Jetzt, wo die Notlage eingetreten ist, kommt es zunächst darauf an, in den Hungergebieten alle Kräfte auf die Lebensrettung der betroffenen Menschen und die Überlebenshilfe zu richten. Den Hilfsorganisationen vor Ort, den vielen privaten Spendern und den staatlichen Stellen ist für ihre wichtige und notwendige Arbeit zu danken.
Neben der jetzt vorrangigen organisatorischen Durchführung der Hilfsmaßnahmen muß mit Sorgfalt einer Reihe von Fragen nachgegangen werden: Wie konnte es nach den Erfahrungen mit der Hungerkatastrophe 1973 wiederum zu einer Hungerkatastrophe dieses Ausmaßes kommen, obwohl es inzwischen sowohl ein Frühwarnsystem der äthiopischen Regierung als auch ein Frühwarnsystem der FAO und einen UN-Katastrophenkoordinator gibt? Welche Rolle hat die Tatsache gespielt, daß die FAO Ende 1983/Anfang 1984 vor einer Hungersnot in 24 Ländern Afrikas pauschal gewarnt und dabei in einigen Fällen so überdramatisiert und verallgemeinert hatte, daß die heraufziehenden wirklich extremen Not- und Mangellagen in den echt betroffenen Ländern von der internationalen Staatengemeinschaft nicht voll erkannt wurden?
Warum ist schließlich trotz der Vorkehrungen die Auslösung der Hilfsmaßnahmen in vollem Umfang erst erfolgt, als die erschütternden Bilder von ausgezehrten und verhungernden Menschen um die Welt gingen?
So wichtig die Fragen nach der Verbesserung von humanitären Hilfsaktionen durch rechtzeitige Einleitung, effektiv organisierte Durchführung und abgestimmte Überleitung sind, so betreffen sie doch
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 7989
Bindig
nur die kurzfristigte Katastrophenhilfe; noch wichtiger ist es zu den Ursachen der Katastrophen durchzudringen. Immer deutlicher tritt die Erkenntnis hervor, daß Dürren und ausfallende Ernten nicht unabänderbare Naturkatastrophen sind, sondern daß sie Ereignisse sind, die auch von Menschen — teils über lange Zeiträume — gemacht worden sind: Zu starke Abholzung, zu intensiver Pflanzenanbau, zu intensive Tierhaltung führen zusammen mit der wachsenden Bevölkerung zu ökologischer Zerstörung, aus der wieder Hungersnöte entstehen. Neben der kurzfristigen Katastrophenhilfe müssen deshalb mittel- und langfristige Strukturreformen laufen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion der CDU/CSU begrüße ich es, daß wir uns mit der aktuellen Lage in den von Dürre und Hunger betroffenen Staaten heute morgen beschäftigen. Gemeinsam mit zwei Kollegen habe ich in der vorvergangenen Woche Äthiopien bereist. Die dortige Hungersnot hat mehrere Ursachen: die seit Jahren andauernde Dürre, die natürliche Beschaffenheit des Landes, die bisherige Politik der dort Verantwortlichen in den verschiedensten Herrschaftsformen in der Vergangenheit und der andauernde Bürgerkrieg. Der Höhepunkt dieser Hungersnot steht noch bevor. Wir müssen die Nahrungsmittelhilfe für rund sieben Millionen Menschen mindestens bis zur nächsten Ernte, also bis Ende 1985, sicherstellen, und zwar durch kontinuierliche und international abgestimmte Leistungen.
Bislang hat die Bundesregierung mit rund 100 Millionen DM dort humanitäre Hilfe geleistet. Zweckmäßig und erfolgreich sind die Soforthilfe-maßnahmen der Bundesluftwaffe mit zwei und zeitweise drei Transall-Maschinen und einer Kfz-Reparaturkolonne des Technischen Hilfswerks zur Verteilung der gelieferten Hilfsgüter im Lande. Das Auswärtige Amt, der Innenminister, die Hardthöhe und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben gemeinsam mit unserer Botschaft in Addis Abeba schnell, unbürokratisch und somit effektiv zusammengearbeitet.
Besonderen Dank möchte ich der Bundeswehr für ihren auch oft gefährlichen Einsatz sagen. Manche Kritiker unserer Bundeswehr sollten zur Kenntnis nehmen, daß wir nur durch den Einsatz unserer Soldaten diese humanitäre Hilfe dort vor Ort leisten können, weil sie die Hilfsgüter ins Land hinausfliegen.
Gleiches gilt natürlich für unsere nichtstaatlichen
Hilfsorganisationen und alle ihre Mitarbeiter. Ich
danke dem Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk, dem Deutschen Notärzte-Komitee, dem Technischen Hilfswerk, der Care Deutschland und der Deutschen Welthungerhilfe für ihren tatkräftigen Einsatz gegen den Hungertod.
Niemand darf sich angesichts dieses Massensterbens taub stellen. Jeder von uns ist aufgerufen, nicht nur in der Advents- und Weihnachszeit den hungernden Menschen zu helfen, zumal wirklich gewährleistet ist, daß unsere Hilfsgüter dort zur Verteilung kommen. Es ist erschütternd, die Menschen dort, oft nur in Lumpen gehüllt, ohne Decken und Zelte zu erleben, der eisigen Nachtkälte und der brennenden Mittagssonne ausgeliefert und uns ihre leeren Blechnäpfe entgegenhaltend. Die Kinder und die alten Menschen — Durchschnittsalter rund 40 Jahre — sind oft bereits vielmals zu schwach, um überhaupt noch den tagelangen Fußmarsch zu den Verteilungszentren der Hilfsgüter anzutreten. Sie alle brauchen dringend unsere Hilfe.
Nach einem Gespräch mit dem äthiopischen Außenminister bin ich davon überzeugt, daß die dortige Regierung inzwischen ohne Vorbehalte unsere tatkräftige Unterstützung annimmt. Auch wir haben uns bei dieser humanitären Hilfsaktion nicht an der einseitigen ideologischen Ausrichtung der dortigen Staatsführung orientiert. Der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion kommt es bei der humanitären Hilfe generell darauf an — ich selbst habe es einmal in einem anderen Zusammenhang so formuliert —: dem Menschen helfen und nicht dem System.
Eines sollten wir jedoch aus dieser Katastrophe im Hinblick auf ähnliche Gefahren in anderen bedrohten Gebieten Afrikas lernen: Wir müssen international darauf drängen, daß Mechanismen geschaffen werden, die Maßnahmen einleiten, bevor es zu einer derartigen Zuspitzung der Lage kommt. Denn gerade im Fall Äthiopien sind bereits vor Jahren von Wirtschaftswissenschaftlern der Vereinten Nationen erfolgte Warnungen vor einer Hungersnot wegen einer falschen Landwirtschaftspolitik von der dortigen Regierung, aus welchen Gründen auch immer, in unverantwortlicher Weise in den Wind geschlagen worden.
Über die angelaufene humanitäre Hilfe hinaus müssen wir uns Gedanken mit den dort Verantwortlichen über mittel- und langfristige Maßnahmen für diese Region machen, z. B. über Landwirtschaftsprojekte, Aufforstung und Wasserversorgung. Nach dieser Nahrungsmittelstrategie müssen wir gemeinsam mit allen betroffenen Staaten eine international getragene Entwicklungshilfestrategie entwickeln und in die Wege leiten, damit auf Dauer gesehen unsere Hilfe dort zur wirklichen Selbsthilfe wird.
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Sauer
Die Menschen dieser Region Afrikas brauchen eine gesicherte Zukunft, die eben nicht allein von humanitärer Hilfe aus dem Ausland abhängig sein kann. Auch wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind hierbei gefordert.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühjahr brachten uns die bundesdeutschen Medien Hungermeldungen aus der Sahel-Zone. Jetzt sehen wir fast täglich Hungerbilder aus Äthiopien im Fernsehen. Es ist keine Frage, daß unmittelbare Hilfen durch Nahrungsmittellieferungen bitter nötig sind.
Leider werden die Menschen in Eritrea und Tigre oft vergessen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dazu aufrufen, das Eritrea-Hilfswerk in Köln und das Tigre-Hilfswerk in Heidelberg zu unterstützen. Denn im Norden von Äthiopien, in dem von Haile Selassie 1962 anektierten Eritrea und in Tigre, haben andere humanitäre Organisationen keinerlei Möglichkeit, Nahrungsmittel zu verteilen. Die betreffenden Gebiete werden zu 90 % von den beiden Befreiungsbewegungen EPLF und TPLF kontrolliert, die seit vielen Jahren für ihre Autonomie kämpfen. Einen Waffenstillstand, den die Befreiungsbewegungen zur Verteilung der Lebensmittel an die Bevölkerung angeboten haben, hat der Chef der Militärregierung, Mengistu, abgelehnt. Und entgegen allen Behauptungen der äthiopischen Militärregierung, die von der Bundesregierung übernommen wurden, werden viele Regionen gerade in Eritrea und Tigre nicht von der äthiopischen Seite aus erreicht. Auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes kann diese Menschen nicht erreichen, da es nicht mit dem Eitrea- bzw. Tigre-Hilfswerk zusammenarbeitet. Lediglich von kirchlicher Seite und privaten Hilfsorganisationen bekommen diese beiden Hilfswerke Unterstützung.
Damit komme ich schon zur häßlichen Politik, die Eritrea, Tigre, aber z. B. auch Tschad und Zentral-Mosambik in eine Hungerkatastrophe getrieben hat, die durch die Trockenheit, die unangepaßte industrialisierte Landwirtschaft oder die außenwirtschaftliche Abhängigkeit eben nur zum Teil erklärt werden kann. Daher ist es auch nicht möglich, sich durch Spenden von der politischen Gesamtverantwortung loszukaufen.
Äthiopien ist nur eines der Beispiele dafür, wie ein Land auch Opfer der geostrategischen Interessen der USA und der Sowjetunion werden kann,
wovon die im Bundestag gerade wieder beschlossene Erhöhung des Rüstungshaushalts nur die andere Seite ist.
Schon ein Bruchteil der jährlich für Rüstung verausgabten 3 Billionen DM würde locker ausreichen, das Ernährungsproblem auf der Erde zu lösen, und zwar nicht im Sinn von Nahrungsmittellieferungen, sondern im Sinn von Selbsthilfeprojekten, die langfristig eine Selbstversorgung in der Dritten Welt zum Ziel haben.
Auch eine Lösung z. B. der innenpolitischen Spannungen Äthiopiens wäre ohne die Verflechtung des Landes in die geostrategische Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten leichter denkbar.
Die USA haben viele Jahre das Regime von Haile Selassie unterstützt
und rüsten jetzt im Nachbarland Somalia für mögliche Interventionen am Horn von Afrika im Hinblick auf die nahöstlichen Ölfelder.
Die Sowjetunion sieht sich gezwungen, sich selbst einen Stützpunkt am Horn von Afrika und einen Zugang zum Roten Meer zu erhalten, und stützt daher bedingungslos die äthiopische Militärregierung gegen die berechtigten Autonomiebestrebungen der Völker von Eritrea, Tigre usw., die unter schwierigsten Bedingungen selbst eine unabhängige sozialistische Gesellschaft aufbauen wollen.
Wir GRÜNEN verfolgen eine strikt antimilitaristische Politik, ohne die unsere Hilfe reine Sisyphusarbeit wäre. Wir halten deshalb zum einen eine sofortige und umfassende humanitäre Hilfe für notwendig, ebenso aber eine radikale Änderung unserer Lebensweise und unseres Überflußsystems,
das auf der Ausbeutung und der Zerstörung der Dritten und unserer eigenen Welt aufbaut.
Ich habe hier einen Apfel in der Hand, symbolisch für unseren Überfluß, denn gerade werden wieder Tausende Tonnen frischer Äpfel in Frankreich und Italien auf Abfallhalden gekippt, finanziert durch Gelder der EG — Hunger durch Überfluß. Herunter von der Rüstung, heraus aus der NATO, radikale Änderung unserer Lebensweise — das muß langfristig die Devise sein, wenn wir hier über den Hunger diskutieren.
Schließlich sind wir — was auch Sie schon gesagt haben — für die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz, bei der sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen; denn nur so können wir den Hunger bekämpfen.
Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 7991
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde, die erstmals von einem Unterausschuß des Deutschen Bundestages überfraktionell initiiert wurde — ein kleines Stück Parlamentsreform — hat zum Ziel, unsere Erschütterung und unser Mitleid über das unsagbare Leiden und Sterben ungezählter Tausender von Hunger und Dürre gepeinigter Menschen in politische Überlegungen über Ursachen und Folgen solcher Katastrophen umzusetzen. Dabei dürfen wir trotz aller Empfindungen auch der bohrenden Frage nicht ausweichen, wie humanitäre Katastrophen dieses Ausmaßes ausbrechen können — die Kollegen von mir haben das schon erwähnt —, ohne daß rechtzeitige Hilfe mobilisiert und organisiert werden kann.
Der tödliche Ernst der Lage, meine Damen und Herren, wurde viel zu spät erkannt! Dabei müssen wir uns auch der Tatsache stellen, daß es erst der Schock des gefilmten und fotografierten Hungersterbens von schutzlosen Kindern war, der den edlen Wettstreit der Hilfsbereitschaft ausgelöst hat, und daß demzufolge doch zu Recht die Besorgnis besteht, daß die Spendenfreudigkeit in dem Augenblick abebben könnte, in dem die schrecklichen Bilder verblassen, obwohl die Hungerkatastrophe selber weiter eskaliert; denn gerade jetzt ist abermals eine Erntezeit ohne Ernte vorübergegangen. Das bedeutet im Klartext, liebe Kollegen: Das Schlimmste ist leider noch lange nicht überstanden! Die Hilfslieferungen müssen mindestens noch ein Jahr mit möglichst steigender Tendenz weitergehen. 600 000 Tonnen Getreide sind der Mindestbedarf, nur 200 000 Tonnen können mangels Transportmitteln und wegen der Unzulänglichkeit der regionalen Verhältnisse transportiert werden.
Allein in Äthiopien sind es 7 Millionen Menschen, die von Hungersnot bedroht sind; für etwa eine Million Menschen kommt wohl jede Hilfe zu spät. Buchstäblich zum Himmel schreiende Hungersnot auch im Tschad, wo von 4,5 Millionen Menschen 3,5 Millionen bedroht sind, im Sudan ist es eine dreiviertel Million, und mehr oder weniger sind es auch in 20 weiteren afrikanischen Staaten in und unterhalb der Sahel-Zone.
Die bohrende Frage lautet: Wie können wir, die Bundesrepublik Deutschland, angesichts des Ausmaßes der tatsächlichen Katastrophe und angesichts ihrer nicht voraussehbaren Dauer auch bei größten finanziellen Anstrengungen unserer humanitären Verantwortung auch nur annähernd gerecht werden. Und was kommt danach, wenn für diesmal das Schlimmste überstanden ist? Angesichts dieses Alptraums kann sich eine vorweihnachtliche Freude nicht recht einstellen. Daher müssen wir alles in unseren Kräften stehende versuchen, um die Schockwirkung, unter der alle satten Menschen stehen müssen, unter der auch diese Debatte steht, zu verkraften und in eine Schubwirkung für notwendige weiterführende politische Konsequenzen umzusetzen.
Hierzu rasch einige Aspekte: Die Ursachen und das Ausmaß der afrikanischen Katastrophe liegen j a nicht nur in den natürlichen Folgen ausbleibenden Regens, sondern sie liegen auch und schwergewichtig in einer über Jahre verfehlten Landwirtschaftspolitik — in den letzten 20 Jahren wird nur noch die Hälfte dessen produziert, was vorher produziert worden ist —, im Raubbau der Wälder, in fehlender Bewässerung, in der Überweidung, im Entzug des guten Bodens für Grundernährung, im menschenverachtenden politischen System und, meine Damen und Herren, in vergleichsweise astronomisch hohen Rüstungsausgaben.
In Äthiopien sind es derzeit allein 500 000 Dollar am Tag. Wieviel Lebensmittel könnte man dafür anschaffen!
Der Hunger ist — unabhängig vom fehlenden Regen — unlösbar mit dem Teufelskreis eines ökologischen und politischen Desasters verkettet. Es ist eine Kettenreaktion der Verwüstungsprozesse, mit denen zuerst die Natur, dann die natürlichen Lebensgrundlagen und schließlich das Leben selber zerstört werden. Nur dann, wenn wir diese Kettenreaktion durch gemeinsame und konzentrierte Anstrengung unterbrechen, kann Hoffnung auf dauerhafte Besserung aufkommen. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir Projekte unterstützen, die schon jetzt versuchen, diese Kettenreaktion zu durchbrechen, indem sie eben Selbsthilfe und Selbstversorgung der betroffenen Menschen in Gang setzen. Projekte wie die Aktion „Menschen für Menschen" von Karl-Heinz Böhm, wie die vom „Komitee Notärzte" und anderen — das sind die Ansatzpunkte, die wir brauchen, um mehr als einen Tropfen der Hoffnung im Ozean der Not und Verzweiflung zu geben.
Die Welle der Mitmenschlichkeit für den fernen Nächsten ist es, die schließlich doch noch Weihnachtsfreude aufkommen läßt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dafür möchten wir, die Fraktion der Freien Demokraten, jedem einzelnen, der dazu beiträgt, vom Lastwagenfahrer, Flugzeugführer über die Krankenschwester, den Arzt bis hin zu unseren Kollegen, die sich der Strapaze unterzogen haben, nach Äthiopien zu fliegen, in dieser Stunde unseren aufrichtigen Dank sagen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Luuk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Äthiopien sind 7 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Das bringt uns heute morgen zusammen. Denn das ist etwas, was sich nicht nur in weit entfernt liegenden Regionen abspielt, sondern was auch uns betroffen machen muß. Wir müssen uns um diese Menschen kümmern.
Die Katastrophensituation in diesem Land hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Sie hat weitaus größere Ausmaße angenommen als die Notsituation 1973/74. Im Jahre 1985 wird sich die Lage
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Frau Luuk
noch weiter verschärfen, weil, wie die Kollegin Hamm-Brücher schon ausgeführt hat, die jetzt anstehende Ernte weitestgehend ausgefallen ist.
Ich gehöre zu denjenigen, die Äthiopien besuchen konnten. Wir haben gesehen, daß die Nordprovinzen Eritrea, Tigre und Wollo am schwersten betroffen sind. In den unerschlossenen Bergregionen hat ein Massensterben eingesetzt. Zwar greifen im Norden von Äthiopien die ersten Hilfsmaßnahmen, allerdings können nicht alle Hungernden erreicht werden. Der Grund dafür sind die katastrophale Verkehrssituation in dem bis zu 4 000 Meter hohen Berggebiet und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Unabhängigkeitsbewegungen in Eritrea/Tigre und den äthiopischen Regierungstruppen.
Aber, Herr Schwenninger, wir konnten uns auch davon überzeugen, daß Hilfe ausnahmslos an alle Hungernden gegeben wird und daß das IKRK sehr wohl in allen Bereichen in Äthiopien zum Einsatz gelangt und Nahrungsmittel verteilen kann.
In den Nahrungsmittelverteilungszentren, die eingerichtet wurden, sammeln sich Zehntausende von Menschen, die auf eine Versorgung warten. Die Zahlen nehmen ständig zu und sind auch für die Hilfsorganisationen kaum berechenbar. So hat sich in dem Lager Bati an der Straße von Addis zum Seehafen Assab, die Zahl der hilfesuchenden Menschen innerhalb von einer Woche von 15 000 auf 27 000 vergrößert. Hier herrschen grauenvolle Zustände. Die Kälte in den Hungergebieten reicht bis an den Gefrierpunkt. Die Menschen besitzen keine Unterkunft und auch nur teilweise Decken. Die medizinische Versorgung ist unzureichend, und täglich sterben Hunderte von Menschen wegen der mangelhaften Versorgung.
Ich möchte ganz kurz darauf hinweisen, daß in den Lagern, die wir besuchen konnten, in der Regel drei Zonen vorzufinden sind. In Korem befinden sich 8 000 Menschen in ärztlicher Versorgung — unzureichend wie auch immer — und in einer intensiven Ernährungsstabilisierung. Aber das sind nur die am schwersten betroffenen Menschen. Die Zustände in diesem Lager kann man nur katastrophal nennen; denn in einem zweiten Lagerbereich halten sich weitere 23 000 Menschen auf, die ohne Überdachung einfach in Erdlöchern leben und auf eine Nahrungsmittelverteilung warten. Hinzu kommen diejenigen, die ihre Dörfer verlassen haben, um eine Ration zu erhalten, und danach zurückkehren.
Am meisten hat mich die grausame, wenn wohl auch notwendige Selektion mitgenommen, diese Sortierung von Menschen. Da nur den am schwersten Betroffenen geholfen werden kann, werden diejenigen aufgenommen, die nach WHO-Standard 25 bis 30 % Untergewicht haben. Das bedeutet, daß man Kindern eine Zukunft gibt oder eine Zukunft nimmt. Diejenigen, die — vielleicht weil sie Ödeme haben — noch nicht 25 % Untergewicht aufweisen, werden nicht in dieses Überlebensprogramm aufgenommen, und in der nächsten Woche leben sie vielleicht schon gar nicht mehr. Wenn diejenigen, die man aufgenommen hat, mit einer Grundration entlassen werden, dann wird diese Ration von der ganzen Familie gegessen, weil sie nichts zur Versorgung haben. Dann sind die Entlassenen eine Woche später wieder in dem gleichen Zustand.
Ich meine, diesen Kreis muß man durchbrechen. Wir müssen unsere Hilfe so verstärken, daß genügend Hilfe für alle da ist, damit diese unmenschliche Selektion nicht fortgeführt werden muß.
Wir müssen auch an die 2,5 Millionen entwurzelter Menschen denken, die nichts mehr haben, die keine Bleibe mehr ihr eigen nennen, kein Vieh, kein Saatgut, keine Arbeitsgeräte, mit denen man jemals wieder ein Feld bestellen könnte. Sie besitzen nicht einmal einfachsten Hausrat oder Bekleidung.
Die Bundesregierung sollte nicht nur Hilfe zum Überleben, sondern vor allen Dingen Hilfe zum Weiterleben der vom Hunger bedrohten Menschen leisten. Neben der Katastrophenhilfe müssen mittelfristig — das ist hier schon gesagt worden — die strukturellen Ursachen des Hungers bekämpft werden.
Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß Äthiopien dasjenige Land ist, das die geringste Entwicklungshilfe in Afrika erhält. Leider hat auch die Bundesregierung die Hilfe in den letzten Jahren verringert. Ich hoffe, daß die allgemeine Überzeugung der Regierungsfraktionen, die noch am 19. Oktober bestanden hat, inzwischen der Notwendigkeit, die wir alle in diesem Hause sehen, gewichen ist, daß wir längerfristige Maßnahmen nur gemeinsam anpacken können, um eine Verbesserung im Bereich der ländlichen strukturellen Entwicklung auf den Weg zu bringen. Darauf hoffe ich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leiden und Sterben unzähliger Äthiopier hat auch im deutschen Volk eine tiefe Betroffenheit ausgelöst. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die demütigende Kolonisierung Äthiopiens, die — durch Hitler unterstützt — von Mussolini mit Feuer und Schwert betrieben worden war. „Wir werden das nie vergessen!" rief Mussolini im Berliner Olympiastadion. Doch der Kaiser Äthiopiens kam nach dem Krieg als erster Gast aus einem afrikanischen Land nach Bonn und zeigte, daß sein Volk vergessen wollte. Verbindungen und Gefühle zwischen den Völkern überdauern die Zeiten. Dem äthiopischen Volk muß daher heute verdeutlicht werden, daß wir mit großem Respekt vor seiner Geschichte ein hohes Maß an Verbundenheit erkennen, wie das ja auch in diesen Tagen bei der Bekämpfung des schrecklichen Elends gottlob zum Ausdruck kommt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 7993
Dr. Stercken
„Hunger in Afrika" — schon 1981 ist diese Publikation der Deutschen Afrikastiftung erschienen, ein Dokument der ständig zunehmenden Not, der Krankheit und des Todes in vielen afrikanischen Staaten. Nur wenige haben von dieser gespenstischen Entwicklung gesprochen, obwohl auch im vergangenen Jahr die deutsche Hilfe für Dürreopfer und Flüchtlinge nahezu 6 Millionen DM betrug. Hätte nicht ein britisches Fernsehteam beiläufig die Bilder des Schreckens aufgenommen, die dann ausgestrahlt wurden, wir könnten nicht sicher sein, ob die Öffentlichkeit derartig aufgerüttelt worden wäre.
Natürlich hat die klimatische Entwicklung die landwirtschaftliche Produktion erheblich beeinträchtigt, teilweise unmöglich gemacht. Doch die Zwangskollektivierung von 1979 und die Zwangsrekrutierung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte für die Armee haben entscheidend dazu beigetragen, daß sich die agrarische Leistungsfähigkeit drastisch verschlechterte. Wer kollektiviert, muß von anderen ernährt werden. Das gilt für die Sowjetunion, das gilt leider auch für Äthiopien.
Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten ein.
Dennoch haben wir das Recht, in menschlicher Verbundenheit der äthiopischen Regierung zu raten und sie darum zu bitten, durch eine drastische Änderung ihrer Agrarpolitik auch das Ihrige zu tun, um in den nächsten Jahren in höherem Maße zur eigenen Versorgung beizutragen.
Äthiopien, dessen Bevölkerung ungeachtet der mehr als 2 Millionen Flüchtlinge ständig weiter wächst — mehr als die Hälfte aller Einwohner ist im jugendlichen Alter —, wird seine Ernährung in absehbarer Zeit nicht selber leisten können. eine Expertise, die 1982 für die ILO hergestellt wurde, hatte das gespenstische Desaster vorausgesehen. Die Veröffentlichung aber wurde untersagt, ihre Anwendung unterdrückt.
Nach dem Inferno der letzten Wochen kann es nur heißen: nichts beschönigen, sondern das Klügste tun, um Schaden vom äthiopischen Volk abzuwenden. Es muß jetzt auch Schluß sein mit der Militarisierung eines Staates, der keine Waffen, sondern Nahrung braucht.
Alle Nachbarn wollen mit Äthiopien im Frieden leben: Sudan, Kenia und auch Somalia, das immer wieder seine Verständigungsbereitschaft bekundet. Sollte das Geld nicht mehr für Waffen und Feste ausgegeben werden, so darf man in Addis Abeba
auch auf mehr Bereitschaft zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit unsererseits hoffen.
Doch der deutsche Steuerzahler wird schwer begreifen, daß die Zahlungsverpflichtung allein für sowjetische Waffen mehr als 8 Milliarden DM beträgt.
Wer kann so etwas angesichts des unsäglichen Elends begründen oder gar verantworten?
Wir erwarten zur Rettung und Sicherung des Lebens auch eine Versöhnung im Inneren des Landes. Die Respektierung der Minderheiten und ihrer Autonomie, Verzicht auf Gewaltanwendung und Zwangsmaßnahmen, kurz: eine Politik der nationalen Versöhnung muß eine neue Phase äthiopischer Politik bestimmen, die das Überleben des Landes sichert.
Das deutsche Volk, das große Sympathie für die Völker Äthiopiens empfindet, will, daß auch dort die Menschen ohne Not in Freiheit und Würde leben können.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stercken, wir hatten vereinbart, in dieser Debatte über die Maßnahmen zur Hilfe für hungernde Menschen und Kinder zu sprechen und alles zu vermeiden, was den Eindruck erweckt, als ob wir in der Frage der Notwendigkeit der Hilfe nicht einer Meinung wären. Wir hatten vereinbart, daß wir CDU, SPD, FDP und GRÜNE aus unseren Beiträgen herauslassen, weil wir alle die wir im Bereich der humanitären Hilfe tätig sind, der Überzeugung sind, daß sich hier eine Katatrophe anbahnt, kommt, noch nicht da ist, die nach dem Krieg wahrscheinlich noch nie dagewesen ist.
Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin seit 1979 im Unterausschuß für humanitäre Hilfe und ich habe seit dieser Zeit nahezu alle Katastrophen als Zeuge, als Augenzeuge erlebt. 1979 und in den folgenden Jahren mit Herrn Pinger haben wir die Flüchtlinge aus Vietnam gesehen, wie sie auf ihren kleinen Booten angekommen sind, eine halbe Million. Wir wissen nicht, wie viele umgekommen sind. Wir haben an der thailändischen Grenze die Frauen der Khmer Rouge mit ihren Säuglingen auf den Armen
7994 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Neumann
gesehen, die von ihren Führern wieder nach Kambodscha zurückgejagt worden sind, um dort zu sterben. Sie wußten das und sind gestorben.
Wir haben ein Jahr später die kambodschanischen Kinder gesehen, wie sie aus dem Busch herauskamen, weil in dem Land keine Ernte da war, nicht weil das Land nicht so reich wäre, nein, weil nichts angebaut worden ist. Internationale Hilfe in und um Kambodscha hat Gott sei Dank das Problem gelöst.
Wir haben Libanon gesehen und waren kurz nach dem Massaker in Chatila in Beirut und haben die Palästinenser-Kinder gesehen, die zerschossen waren.
Und wir waren in Pakistan und haben die 3 Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan gesehen, die ohne Hoffnung in den Lagern dahinvegetieren. Aber das, was wir in Äthiopien gesehen haben, übersteigt alles, von der Anzahl der Betroffenen, aber auch von den Ursachen her, nämlich kein Regen, keine Ernte, Bürgerkriegssituation, ökologisch zerstörtes Land und nur eine vage Hoffnung, daß 1985 eine Ernte da sein wird. Wenn es zwei Jahre nicht geregnet hat, wer sagt denn, daß es 1985 regnet? Dann sind sechs, sieben, acht, neun Millionen betroffen und vom Hunger bedroht.
Mich bewegt eines: wieso eigentlich erst durch einen zufälligen Fernsehbericht, den die NBC und die BBC und anschließend das Deutsche Fernsehen gebracht haben, die Welt aufmerksam geworden ist. Daran knüpft sich doch die Frage, die Frau Hamm-Brücher schon gestellt hat: Werden wir, die Deutschen, es nach Weihnachten leid sein, die Kinder zu sehen? Wird es nicht Normalität sein, werden die Spenden aufhören, und wird unser Engagement für die Menschen in dem Land aufhören, und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Katastrophe am größten sein wird, wenn die wenigen noch vorhandenen Erntevorräte aufgebraucht sind, gerade bei den Menschen, die wir nicht erreichen? Hier wird von den Hilfszentren gesprochen; auch der Bundesminister Warnke hat eines besucht. Da kommen j a nicht alle Menschen hin, z. B. die aus den Tälern, aus den Schluchten, die teilweise 1 000 m abfallen in einer Gegend, die 3 000, 4 000 m hoch liegt. Die kommen ja gar nicht in die Zentren rein, die brauchen ihre Ernte jetzt auf, das wenige, was sie haben, und werden in den nächsten Monaten nichts mehr haben und werden wahrscheinlich sterben. Werden wir uns nicht daran gewöhnen? Wer redet denn heute noch von den Boat-Flüchtlingen? Wissen Sie eigentlich, daß es noch jeden Monat 2000 Boat-Flüchtlinge aus Vietnam gibt? Wir wissen gar nicht, wie viele umkommen. Kein Mensch redet darüber. Über die Palästinenser redet keiner. In den Zeitungen steht über den Krieg Iran-Irak mit den kämpfenden Kindern kaum noch etwas, allenfalls mal alle Monate. Wir gewöhnen uns an Katastrophen, und bei dieser Katastrophe — ich sage es noch einmal — habe ich die große Angst, daß wir zu spät kommen werden. Wir Politiker, meine ich, und auch die Journalisten haben die Pflicht, unsere Grundsätze von Menschlichkeit, Nächstenliebe oder, sagen wir, Solidarität an Hand der Realitäten ständig zu überprüfen und ab und zu eine solche Aktuelle Stunde zu dem Thema zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Betroffenheit aus den Redebeiträgen von Frau Luuk und von Herrn Neumann gehen einem wirklich unter die Haut. Ich möchte noch einmal auf die tieferen Ursachen hinweisen, die diese ökologische Katastrophe hervorgerufen haben.
Es gibt j a unbestritten zwei Ursachen: Eine Ursache ist die Klimaverschiebung, die wir nun wirklich nicht verändern können. Es gab schon in der Bibel und in der Geschichte Katastrophen, die mit Hunger und Massentod endeten. Man spricht von einer biblischen Dürre. Damit alleine kann das Ausmaß dieser ökologischen Katastrophe in Äthiopien und in Afrika allerdings nicht erklärt werden. Es ist nämlich nur der am weitesten fortgeschrittene Fall einer insgesamt auf uns zukommenden großen Katastrophe in Afrika. Auch die Nachbarländer Sudan, Niger, Mali, Mosambik und viele andere Länder Afrikas haben Mißernten gehabt. Diese zweite Ursache ist von Menschenhand gemacht, und sie muß deshalb auch von Menschen bekämpft werden.
Der Teufelskreis der weltweiten Zerstörung der Wälder, insbesondere der afrikanischen Wälder, und der Verhinderung des Aufkommens von natürlichem Wachstum in den Savannen und Buschgebieten durch die Abholzung und dann der Überweidung sind die Ursachen, die nachher zu dieser Katastrophe führen. Dieser Teufelskreis muß durchbrochen werden.
Es hat deshalb auch keinen Zweck, jetzt Schuldige zu suchen. Wenn Sie so wollen, sind wir alle zusammen die Schuldigen.
Äthiopien hatte noch um die Jahrhundertwende 40 % Wald. Heute sind es 2,5 %. Durch die Niedrigpreispolitik in vielen afrikanischen Staaten, die sie wohl machen müssen, um in ihren Städten Ruhe zu halten, besteht auch überhaupt kein Anreiz mehr, landwirtschaftliche Produktion über das hinaus zu betreiben, was man selbst braucht. Dann wird in Notjahren nichts da sein.
Die Bundesregierung hat hier wirklich schnell und unbürokratisch geholfen, und zwar nicht nur im humanitären Bereich, sondern auch im Koordinationsbereich. Dafür, Herr Warnke, sei Ihnen auch von unserer Fraktion aus ganz herzlicher Dank gesagt.
Sie haben durch Ihre Aktivität auch zu der Bewußtseinsbildung beigetragen und durch Spendenaufrufe sicher auch sehr viel Geld über das hinaus
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 7995
Dr. Rumpf
erreicht, was die Finanzmittel des Bundes betraf. Wir fanden insbesondere gut, daß Sie sich aus den politischen Diskussionen herausgehalten haben.
Meine Damen und Herren, ein chinesisches Sprichwort besagt: Wer Bäume pflanzt und Wald anlegt, der hat in der ersten Generation den Schatten, in der zweiten Generation das Holz und in der dritten Generation den Regen. — Dies erfordert ein langfristiges und vorausschauendes Denken und Planen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir langfristig oder vielleicht sogar mittelfristig unsere ganze Entwicklungspolitik umstellen müssen.
Wir müssen nämlich weg von den projektbezogenen Planungen und hin zu den sektoralen, ja überregionalen Planungen. Wir müssen dahin kommen, daß die internationale Staatengemeinschaft nicht nur Umweltkonferenzen abhält und entsprechende richtige Fragen stellt, sondern wir müssen jetzt endlich dazu übergehen, die richtigen Antworten darauf zu geben.
Ich persönlich habe großen Zweifel, ob die Food and Agriculture Organization, die FAO, in der Lage sein wird, über ihre Arbeit hinaus — nämlich unmittelbare Katastrophenhilfe zu leisten — auch diese weitsichtige Planung durchzuführen.
Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, sich dafür einzusetzen, daß wir eine starke internationale Organisation zur Erhaltung der noch vorhandenen Urwälder und zur Wiederaufforstung bzw. zur Wiederbepflanzung der riesigen entwaldeten Gebiete bekommen. Daß das möglich ist, sage ich aus Überzeugung und auch aus wissenschaftlicher Erkenntnis. Bedenken Sie, daß die Spanier, die ähnlich große Erosionen in ihrem Lande zu beklagen hatten, in 40 Jahren 4 Millionen ha Wald wiederaufgeforstet haben. Im Sahel-Gebiet wäre etwa eine Größenordnung von 50 Millionen ha anzustreben. Das Wort gilt nach wie vor — es ist ein eisernes Gesetz —: Zuerst stirbt der Wald und dann der Mensch.
Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben in sehr bewegter Form das Ausmaß und zum Teil auch die Ursachen dieser schrecklichen Katastrophe dargestellt. Der Minister Warnke wird nachher auch zu den Sofortmaßnahmen, zu den Hilfsmaßnahmen einiges ergänzen.
Nur zu Ihrem Einwand, Herr Kollege Neumann: Unsere Soforthilfe für Äthiopien wird erst dann wirklich wirksam, wenn wir sie in eine klare langfristige Perspektive einordnen. Vielleicht kann diese Katastrophe auch als Chance für einen Neubeginn begriffen werden.
Diese Perspektive muß lauten: Überwindung der Ursachen der Hungerkrise, wie es soeben auch Kollege Rumpf dargestellt hat. Dies sind wir auch den Hungernden in der restlichen Welt schuldig. Denn — machen wir uns nichts vor — das Geld für die Soforthilfemaßnahmen in Äthiopien fehlt uns für Projekte an anderer Stelle. Auch die zahlreichen Spenden für Äthiopien werden die Mittel für Entwicklungsprojekte in der restlichen Dritten Welt notwendigerweise schmälern. Wir helfen — zu Recht — jetzt Äthiopien bevorzugt und müssen dadurch in anderen Armutsregionen gezwungenermaßen mehr Hunger hinnehmen, weil die Hilfen nicht beliebig vermehrbar sind.
Diese Tatsache legt uns eine besondere Verantwortung auf, zumal die jetzigen Soforthilfemaßnahmen bei weitem nicht ausreichen werden. Auch dies wurde aufgezeigt. Wir werden nämlich diese Katastrophe auch in den kommenden Jahren kaum loswerden. Denn die Hungersnot ist nicht durch die Soforthilfe auf Dauer zu überwinden.
Die erwachsenen Menschen in Äthiopien sind entkräftet, und sie sind mutlos. Viele Kinder haben körperliche und geistige Schäden davongetragen. Zugtiere für die Bodenbestellung sind eingegangen. Erosion, Abholzung und andere Umweltschäden nehmen weiterhin beängstigend zu. Saatgut ist Mangelware. Was das Land braucht, ist ein konsequent durchgeführtes Programm zur schrittweisen Wiedergewinnung der eigenen Ernährungssicherheit.
Geben die langfristigen Maßnahmen der äthiopischen Regierung Anlaß zur Zuversicht, zur Hoffnung in dieser Richtung? Ich befürchte, leider nicht. Die Landwirtschaft soll — das ist nach wie vor erklärtes Ziel — kollektiviert werden. Dies innerhalb von zehn Jahren zu erreichen ist die erklärte Absicht der äthiopischen Regierung.
Bereits jetzt werden bei der landwirtschaftlichen Entwicklung nicht die Kleinbauern bevorzugt, wie wir es immer wieder fordern, sondern die Staatsfarmen, deren Produktivität alles andere als überzeugend ist. Wer weiterhin durch niedrig gehaltene Preise für Agrarprodukte die Landbevölkerung in die Subsistenzproduktion treibt, hat natürlich keine Reserven für Notstandsgebiete mehr.
Aus unserer Verantwortung für Millionen vom Tod Bedrohter müssen wir auf Reformen zugunsten der breiten Bevölkerungsschichten drängen. Das Argument, man dürfe nicht in die nationale Souveränität hineinreden, wird angesichts von Katastrophen dieses Ausmaßes stumpf. Ist es nicht die Souveränität vieler Millionen, um die es jetzt geht?
Was hilft also den Menschen am meisten? Was gehört zu einer langfristigen Perspektive?
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Repnik
Erstens. Äthiopien muß endlich mehr für seine Landwirtschaft als für Waffen ausgeben. Armee und meinetwegen auch kubanische Truppen sollen sich an Straßenbau und an Erosionsbekämpfung beteiligen.
Zweitens. Was ohnehin überall gelten sollte, hat im Katastrophengebiet Äthiopiens besondere Bedeutung: Vorrang hat der Mensch. Wir fordern eine Waffenruhe im gesamten Äthiopien von beiden Seiten
und eine Hilfe für alle Bedrohten, unabhängig davon, wo sie leben, welcher politischen Richtung und welchem Volk sie angehören, ob sie seßhaft und daher registriert oder ob sie Nomaden sind. Wir brauchen einen Pakt zur Bekämpfung des Hungers. Hierzu müssen sich Gebernationen und die äthiopische Regierung auf klare Grundlagen darüber einigen, welche Prioritäten für die künftige Ernährungssicherung gelten müssen.
Diese Prioritäten lauten: Friede im Land, alle verfügbaren Ressourcen in Landwirtschaft und Umweltverbesserungen investieren, Entfaltungsmöglichkeiten für die Bauern zur Produktion. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind bereit, uns dieser großen Herausforderung zu stellen und uns an dieser Aufgabe zu beteiligen. Die internen Rahmenbedingungen, die über den Erfolg oder Mißerfolg entscheiden, kann allerdings nur Äthiopien selbst schaffen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte der Vollständigkeit halber gleich zu Beginn noch darauf hinweisen, daß es nach den Ausführungen des Ministers so aussieht, als möchte die äthiopische Regierung möglicherweise doch von ihren Kollektivierungsplänen herunter. Herr Repnik, ich habe das gerade von denen, die dort gewesen sind, erfahren, und ich meine, wir sollten das dann auch so zur Kenntnis nehmen.
Die erschütternden Bilder und Berichte von der Hungersnot haben bei unserer Bevölkerung eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Ich denke schon, daß die Millionen Spenden bis heute Tausenden von Menschen in Äthiopien bereits das Leben gerettet haben.
Wenn man sich vorstellt, daß das Land etwa fünfmal so groß wie die Bundesrepublik ist und in diesem Land sieben Millionen Menschen wirklich vom Verhungern bedroht sind, dann muß man immer wieder mit unseren jungen Leuten, mit den älteren Leuten, mit allen Menschen in der Bundesrepublik reden, um ihnen das ganze Ausmaß dieser Katastrophe vor Augen führen zu können; denn wir werden nicht nur Jahre, sondern vermutlich Jahrzehnte dem Hungergürtel in Afrika helfen müssen. Es ist j a nicht nur Äthiopien — das klang in vielen Beiträgen an —; ganz Afrika steht am Rande einer Hungerkatastrophe, und nach Angaben der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung ist die Versorgungslage in 24 afrikanischen Staaten, die von etwa 150 Millionen Menschen bewohnt sind, sehr kritisch. Wir wissen, daß seit Jahren die Nahrungsmittelproduktion weniger schnell wächst als die Bevölkerung dieser Länder.
Einige Länder, die früher Überschüsse produzierten, sind durch eine beispiellose Trockenheit geschädigt. In der Sahel-Zone ist die Dürre innerhalb eines Jahres um 150 bis 200 km nach Süden vorgedrungen.
Zu diesem Klimaproblem kommen noch Tierseuchen, Savannenbrände, Bürgerkriege, Wasserknappheit, Unterernährung und die Verschlechterung einer Gesundheitsfürsorge, die noch nie gut gewesen ist. Dann wissen wir, daß oft genug die Lagervorräte verderben, weil die Lagermöglichkeiten und die Transportmittel völlig unzureichend sind. Der Kampf gilt der Wasserknappheit. Bedrohlich sind aber nicht nur die Hungererscheinungen, sondern auch ganz allgemein die Fehl-, Mangel-und Unterernährung bei diesen Menschen.
Wir müssen wirklich zugeben, daß die Hilfswerke schon seit Jahren vor dieser sich anbahnenden Katastrophe gewarnt haben. Wir — möglicherweise auch wir hier — haben das nicht so ernst genommen und haben nicht solche Anstrengungen fertiggebracht, wie sie hätten sein müssen. Allein das Deutsche Rote Kreuz hat bis Oktober 1984 mehr als 27 Millionen DM an Hilfsleistungen für die an Dürre und Hungersnöten leidenden Menschen in den am meisten betroffenen afrikanischen Staaten erbracht. Die kirchlichen Hilfswerke haben einen Plan, für die nächsten fünf Jahre mindestens 300 Millionen DM für die Bekämpfung des Hungers in Afrika aufzubringen. Mit Spendengeldern soll auch dafür gesorgt werden, daß die fortschreitende Wüstenbildung durch Aufforstung und richtige Landnutzung weiter verhindert und daß Dorfbewässerungsprojekte für die Kleinbauern unterstützt werden.
Ich möchte ganz besonders auf die Schwierigkeiten hinweisen, die es wegen der fehlenden Infrastruktur bei den Transportmöglichkeiten gibt und von daher auch allen Hilfswerken, den nationalen und internationalen, dem Roten Kreuz, den UN-Organisationen herzlichen Dank sagen, aber ganz besonders den in Äthiopien eingesetzten Soldaten der Bundeswehr
und vor allen Dingen auch dem Technischen Hilfswerk. Ich denke schon, daß man das in aller Deutlichkeit sagen kann, daß es sich hier auch um Hilfs-
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Frau Fischer
dienste handelt, denen wir ganz herzlichen Dank sagen sollten.
Wir sollten aber auch den vielen namenlosen Spendern innerhalb unseres deutschen Volkes ganz herzlichen Dank sagen. Ich weiß zu berichten von Rentnergruppen, von kirchlichen Frauengemeinschaften, von Jugendgruppen und Grundschulkindern, die hier ihren ganz persönlichen Beitrag leisten. Sie sollen alle wissen, daß keine noch so kleine Spende vergebens ist und daß die Hilfen das Leben von alten Menschen, von Müttern und kleinen Kindern retten.
Wir müssen das Verhungern stoppen und gleichzeitig die Grundlage legen für Hilfe zur Selbsthilfe. Wir können nur alle Menschen bitten, uns dabei zu helfen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Zutt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Sprecher haben übereinstimmend die schnelle und unbürokratische Hilfe der Bundesregierung gelobt. Ich schließe mich dem an, auch in bezug auf die zahlreichen persönlichen Spenden und das Engagement vieler Bürger. Trotz dieses Engagements werden wir betroffener aus dem Saal gehen, als wir beim Hereingehen waren. Ich bin im Grunde noch ratloser. Aber ich will versuchen einiges aufzuzeigen.
Die Bilder von Hungernden, die uns erreicht haben, haben Wirkung gezeigt und die Menschen zur schnellen Hilfe befähigt. Aber es bleibt doch die drängende Frage, warum uns erst diese Bilder erreichen mußten, bevor wir handelten. Gab es nicht Informationen und Warnungen? Die Stunde heute ist zu kurz, um die Frage erschöpfend zu behandeln, ob die Frühwarnsysteme nicht funktioniert haben oder wir zu dickfellig waren, darauf zu reagieren.
Ich meine allerdings, daß wir heute — das ist in verschiedenen Diskussionbeiträgen angeklungen — schon etwas tun können, wenn wir die Konsequenz ziehen, daß es nicht genügt, nur Überlebenshilfe zu leisten. Wir müssen langfristig Hilfe zum Leben leisten. Das heißt, aus der Katastrophenhilfe muß eine langfristig angelegte Entwicklungspolitik werden.
Das gilt für Äthiopien. Es gilt für die Länder in der Sahelzone, in Afrika. Wir wissen — das haben wir alle gespürt und merken es auch in unserer Arbeit —, daß es diese Länder aus eigener Kraft allein nicht schaffen.
Als erster Schritt dazu ist notwendig, — und dazu fordern wir die Regierung auf —, daß die Entwicklungshilfe für Äthiopien, die um 50 % gekürzt wurde, wieder angehoben wird. Doch das genügt auf Dauer nicht. Wir müssen uns fragen, ob es — nach Ansicht vieler — nur falsche Organisation und politisch falsche Ordnungen in diesen Ländern sind oder ob es bei uns auch falsche Organisation ist, die langfristige Hilfe so schwierig macht?
Lassen Sie mich das an einem Beispiel sagen: Es ist schwer Menschen verständlich zu machen, daß wir innerhalb der EG tonnenweise Äpfel und andere Nahrungsmittel vernichten
und in Afrika Tausende von Menschen an Hunger sterben.
Viele Menschen denken, es sei nur ein Transportproblem; wenn wir alle Überschüsse, die wir hier erwirtschaften, nach Afrika brächten, sei dort das Problem gelöst. Da ist falsch und hilft nicht weiter. Auch das ist hier schon angeklungen. Der Schwerpunkt muß — das ist Entwicklungspolitikern klar, aber in anderen Bereichen unseres Volkes und auch des Parlaments nicht ganz so klar — auf Selbstversorgung liegen. Wir müssen aufpassen, daß Ansätze zur Selbstversorgung, wo es sie in den afrikanischen Ländern gibt, nicht durch Lieferungen aus der Überschußproduktion der Europäischen Gemeinschaft zerstört werden.
Auf einer Reise, die Mitglieder des Haushaltsausschusses in Länder der Sahelzone gemacht haben, haben wir manche postive Beispiele gesehen, wie auch von negativen Kenntnis bekommen. Wir konnten uns in Niger überzeugen, daß Dorfstrukturen durch langfristig angelegte Entwicklungspolitik und Hilfe, etwa mit Bewässerungssystemen, gestärkt wurden und gewachsen sind, daß die Menschen sich nicht nur selbst mit Gemüse und Reis versorgt haben, sondern auch naheliegende Märkte belieferten.
Das war die gute Seite.
Es kam uns aber auch zu Ohren, daß gewisse Formen der Nahrungsmittelhilfe bestehende Versorgungsstrukturen gefährden. In Obervolta heute und schon früher ziehen viehzüchtende Stämme jährlich mit ihren Krüppel-Herden einer bestimmten Art von Rindvieh
an die Elfenbeinküste, schlachten dort einen Teil ihres Viehbestandes und verkaufen ihn. Die sind nun plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, daß sie dort ihren Selbstkostenpreis nicht mehr erzielen können, weil aus der EG importiertes, hochsubventioniertes Rindfleisch dort billiger verkauft wird, so daß ihr Fleisch nicht mehr gefragt ist, aber diese Struktur zerstört wird.
Ich glaube, das zeigt uns, daß mit dem Export unserer Überschüsse keine Hilfe geleistet wird.
7998 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Frau Zutt Danke.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung dankt dem Parlament für die Impulse, die aus dieser Aktuellen Stunde für die zukünftige Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik gegeben werden.
Lassen Sie mich vorweg feststellen: die bisher geleistete Hilfe für Äthiopien ist wirksam geworden. Tausende, Zehntausende von Menschen konnten durch diese Soforthilfe der letzten Wochen vor dem sicheren Tod gerettet werden. Dies war insbesondere möglich, weil wir uns sofort auch in den Transport der in den Häfen lagernden Nahrungsmittel zu den Verteilungszentren einschalten konnten. Ich möchte hier den Soldaten der Luftwaffe, den Männern des Technischen Hilfswerkes, aber auch allen anderen, die heute für die Organisation der Hilfe in Äthiopien von deutscher Seite Dienst tun, den Dank der Bundsregierung aussprechen.
Wenn sämtliche Leistungen zusammengezählt werden, die regulären Hilfsprogramme für Äthiopien, die Sonderhilfsprogramme, die Leistungen, die den deutschen Anteil aus der Nahrungsmittelhilfe der Europäischen Gemeinschaft umfassen, und die Transportleistungen, kommen wir in diesem Jahr, bis jetzt, auf Leistungen der Bundesrepublik Deutschland für Äthiopien in der Größenordnung von hundert Millionen DM.
Aber es ist klar, daß weitere Hilfe nötig ist, daß sie schnell nötig ist.
In den Lagern können heute denen — Frau Kollegin Luuk hat sie hier erwähnt —, die zu Zehntausenden unter freiem Himmel kampieren, 150 Gramm Weizen, in Salzwasser gekocht, auf die Hand ausgeteilt, an täglicher Nahrung gegeben werden. Das entspricht 300 Kalorien — als Ration für einen ganzen Tag. Wenn heute schon die Temperaturen wenig über dem Gefrierpunkt dazu beitragen, daß Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen und sonstige Krankheiten weitere Todesopfer fordern, dann wird dies alles in geradezu unvorstellbarem Maße gesteigert sein, wenn die Regenfälle, auf die Äthiopien wartet, eines Tages am Beginn des kommenden Jahres in der kleinen Regenzeit tatsächlich einsetzen sollten.
Sieben Millionen Menschen sind es, die heute betroffen sind. Die meisten davon leben in Gebieten, die sich außerhalb der Kontrolle der Regierung befinden. Die Bundesregierung läßt keinen Zweifel daran, daß menschliche Hilfe für alle, die in Äthiopien hungern, gleichgültig, auf welcher Seite der Bürgerkriegsparteien sie sich befinden, notwendig ist.
Meine Damen und Herren, wir konzentrieren heute alle verfügbare Kraft auf die Überlebenshilfe für die Hungernden. Aber wir wissen, daß diese Katastrophenhilfe der erste Schritt von dreien ist, dem eine gesicherte Nahrungsmittelhilfe, die nicht mehr Katastrophencharakter hat, hoffentlich bereits im Laufe des ersten Halbjahres 1985 folgt und der sich eine konsequente Politik zur Sicherung der Ernährung aus eigener Kraft anschließen muß. Die Bundesregierung hat nie die langfristige Strukturhilfe für Äthiopien abgebrochen. Es hat eine Zäsur gegeben, und die liegt im Jahre 1976. Seit 1976 wird Äthiopien aus Gründen, die ihre Ursache in dem gegenseitigen Verhältnis von Äthiopien zur Bundesrepublik Deutschland hatten und haben, keine Kapitalhilfe mehr gewährt. Aber, meine Damen und Herren, bevor wir die weitere Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik mit Äthiopien grundsätzlich überdenken, müssen wir uns klar darüber sein, daß die Ursachen der gegenwärtigen Hungerkatastrophe zur Sprache gebracht und geklärt werden müssen.
Afrika hat auch im Sahel, das von der Dürre betroffen ist, grundsätzlich genug Wasser; es hat grundsätzlich genug fruchtbaren Boden, und es hat grundsätzlich genug arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, um seine Ernährung aus eigener Kraft sicherstellen zu können. Die Rahmenbedingungen dazu müssen ebenso stimmen wie die Hilfsmaßnahmen von seiten außerhalb Afrikas.
Hier ist zu Recht der Bereich Umwelt erwähnt worden. Ich unterschreibe, was das Parlament zum Ausdruck gebracht hat. Ich füge hinzu, die Rahmenbedingungen müssen auch insofern stimmen, als der äthiopische, der afrikanische Bauer ebenso wie der deutsche, der europäische Bauer ein Mindestmaß an materiellem eigenen Anreiz haben muß, wenn er nicht nur für die eigene Existenzerhaltung, sondern auch für den Rest der Bevölkerung Nahrungsmittel produzieren muß, eigenen Anreiz und nicht ideologische Predigten. Das allein wird ihn zur Entfaltung seines schöpferischen Potentials bringen.
Ich habe mit der Regierung Mengistu und ihren Ministern am vergangenen Wochenende diese Rahmenbedingungen zur Sprache gebracht und habe Antworten erhalten, die Hoffnung geben, daß die Regierung in Äthiopien bereit ist, sich in die richtige Richtung zu orientieren. Wir werden diesen Signalen nachgehen und ihnen nachgehen müssen. Aber dort, Herr Kollege Schwenninger, und nicht in Änderungen unserer Lebensweise liegt die ent-
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Bundesminister Dr. Warnke
scheidende Weichenstellung für die Zukunft Afrikas.
Es ist nicht hier und heute, meine Damen und Herren, der Platz, die Frage der Rüstungspolitik weltweit zu diskutieren.
Aber hier und heute, meine Damen und Herren, schuldet die Sowjetunion der Weltöffentlichkeit — —(Frau Gottwald [GRÜNE]: Endlich einmal
ein Thema!)
— Wenn Sie wenigstens einmal, wenn es um Hungernde in Afrika geht, Ihre Emotionen einen Augenblick zügeln könnten, Frau Abgeordnete Gottwald! — Hier und heute schuldet die Sowjetunion der Weltöffentlichkeit Antwort auf die Frage: Ist es wahr, daß sie für Waffenlieferungen Forderungen in hoher Milliardenhöhe aus Afrika eintreibt im gleichen Zeitpunkt, wo dort die Menschen hungern und Hungers sterben?
Wir werden zusätzlich leisten, und zwar unabhängig davon, wie die Antwort auf diese Frage lautet. Wir werden noch in diesem Monat — das war die Frage, die die Antragsteller für die Aktuelle Stunde an die Bundesregierung gerichtet haben — ein zusätzliches Hilfsprogramm auf den Weg bringen, das sich mit den Schwerpunkten Getreidelieferung, Lieferung von Medikamenten, Lieferung von Transportmitteln und Lieferung von Obdach, von Zelten, auf die Schwèrpunkte der Bedürfnisse in Äthiopien und allerdings auch in übrigen Staaten Afrikas konzentrieren wird. Der Umfang dieses Programms, sofern es noch in diesem Monat in Kraft gesetzt wird, wird von den noch in diesem Monat möglichen Liefermengen abhängen. Wir werden Parlament und Öffentlichkeit unverzüglich darüber unterrichten, sobald dies feststeht.
Zugleich appelliere ich an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, in ihrer Spendenbereitschaft fortzufahren und die großen deutschen Organisationen, die in Äthiopien und anderen Ländern Afrikas vorbildliche und wirksame Hilfe leisten, weiterhin zu unterstützen. Vereinte Hilfe von Bürgern und Staat ist notwendig, wenn es gelingen soll, das Leben von Hunderttausenden, ja von Millionen von Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, jetzt zu retten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner soll ich wohl einiges zusammenfassen. Die grausamen Bilder der Verhungernden bewegen zu Recht den Bundestag quer durch alle Parteien. Aber man muß hinzufügen: Die Bundesrepublik Deutschland leistet vorerst in der Katastrophenhilfe vorbildlich und rasch alles, was zur Milderung der Hungersnot möglich ist. Zuständig dafür ist das Auswärtige Amt. Aber auch der Minister Warnke, der vielleicht über mehr Mittel dafür verfügt, hat rasch und klar zugegriffen. Die Bundeswehr unterstützt ebenso wie das Technische Hilfswerk den raschen Transport beachtlich.
Lassen Sie mich auch unterstreichen, daß die karitativen Verbände zur Verteilung der Lebensmittel auch in Gebiete vordringen, die wegen des Bürgerkriegs sonst abgesperrt und abgeschnürt sind, z. B. nach Tigre und Wolo, und daß sie mit großem Opfermut — ich nenne hier auch Frauen und Schwestern — große Risiken auf schwierigsten Gebirgspfaden zu Fuß und mit Mauleseln auf sich nehmen, um abgeschnittenen Menschen zu helfen. Dafür sollten wir hier danke schön sagen.
Wie der Bericht zeigt, sind ärztliche Versorgungshilfe, Transporthilfe, Medikamentenhilfe, Zelt- und Deckenlieferung zu verstärken.
Wer den friedlichen Wandel will, muß vorweg das Verhungern bekämpfen. Aber man sollte nicht verheimlichen — Herr Neumann hat das an einigen Beispielen angeführt —, daß ideologische Gewaltherrschaften das Verhungern nicht verhindern, sondern öfters verursachen oder fördern.
Die Bundesrepublik Deutschland hat trotz mancher unfreundlicher Akte der Diktatur in Äthiopien, auf die der Minister hinwies, trotz örtlichen Fehlverhaltens in der Zeit der Dürre und bei der Entwicklung der Infrastruktur, trotz der sträflichen Vernachlässigung der Landwirtschaft und gefährlicher Fehlleitung von Finanzmitteln unmittelbar geholfen. Denn wenn Menschen verhungern, muß alles andere zurückstehen.
Die Katastrophe Äthiopiens zeigt abermals, daß ein rechtzeitiges Frühwarnsystem für akute Notfälle in der FAO nicht funktioniert,
obwohl sie viel Personal hat.
So verhungern Tausende, bevor die Meldungen durchdringen. Angesichts der hervorragenden Kommunikationsmittel in aller Welt ist das zutiefst erschütternd. Wir bitten unsere Fernsehanstalten, durch ihre Berichterstatter schon frühzeitig tatsächlich drohende akute Gefahren zu melden, ih-
8000 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Czaja
nen nachzuspüren und sie konstant und nicht nur plötzlich für beschränkte Zeit in das Licht der Scheinwerfer zu rücken.
Über Äthiopien darf man andere Hungergebiete überhaupt nicht verschweigen und vergessen.
Große Teile Afrikas sind in wachsender Gefahr. Die Wüste ist im Vordringen; die Infrastruktur ist vernachlässigt. Dem Sturz der Kolonialherrschaften folgten in vielen Gebieten harte, zum Teil grausame Diktaturen und Einparteienregierungen. Hohe Zahlen von Flüchtlingen und Vertriebenen sind die Folge. Das kann nicht Anlaß zu westlicher Besserwisserei sein, sondern es sind einfühlsame geistige und strukturelle Zusammenarbeitsversuche nötig.
Aber man kann auch nicht verschweigen — Herr Neumann hat dafür einiges angeführt —, daß nach internationalen Statistiken für 90 % der Flüchtlingsströme marxistisch-leninistische Zwangsherrschaften die Ursache sind.
Darüber hinaus ist in vielen Staaten Afrikas der Weg vom Stamm zur Nation und zum Staat noch ungenügend gelungen. Die Stämme pochen berechtigterweise auf ihre Identität. In Grenzgebieten sind sie oft durch die von den Kolonialherren wie mit einem Lineal gezogenen Grenzen geteilt. Da einzelne Stämme andere grausam zu beherrschen versuchen, spielt das eine wachsende Rolle. Kluge afrikanische Staatsmänner haben deshalb auch für den menschenrechtlichen Mindeststandard, in umstrittenen Gebieten für Gruppen- und die Minderheitenrechte einiges versucht.
Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit zwischen karitativen und staatlichen Stellen ist hier und da noch zu verbessern. Den karitativen Verbänden, der Bundeswehr, den zuständigen Ressorts und ihren Beamten gebührt der Dank des ganzen Hauses.
Meine Damen und Herren, dem amtierenden Präsidenten ist wohl nach dieser informierenden Debatte über einen schlimmen Notstand, von dem Millionen von Menschen betroffen sind, erlaubt, eine ergänzende Bemerkung zu machen.
Ich bin hier heute in der Zuteilung von Redezeiten ziemlich großzügig gewesen; es ging ja auch nicht um Kontroverses. Aber ich finde, es gibt für uns alle eine noch viel bessere Möglichkeit, großzügig zu sein. Die Spendenkonten der Hilfsorganisationen sind bekannt oder können uns noch einmal bekanntgegeben werden. Ich finde, wir sollten nicht nur zur Weihnachtszeit großzügig sein, sondern auch danach. Das hat uns sicher diese Debatte mit auf den Weg gegeben.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit
— Drucksache 10/722 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/2546 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gilges Sauer
Hierzu liegen Ihnen ein Änderungsantrag auf Drucksache 10/2553 und ein Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2554 der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Sauer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben am 19. Januar 1984 in der ersten Lesung unseren Gesetzentwurf zum Jugendschutz vorgelegt. Wir, haben nun knapp ein Jahr lang mit den verschiedenen Verbänden, mit den betroffenen Wirtschaftszweigen, mit Jugendschutzorganisationen und mit Sachverständigen diskutiert. Wir legen Ihnen heute einen geänderten Gesetzentwurf zur zweiten und dritten Lesung vor.
Berechtigte und sinnvolle Wünsche und Anregungen, die in zwei Anhörungen vorgebracht wurden, wurden von uns berücksichtigt. So haben wir z. B. die namentliche Meldung von Minderjährigen beim Jugendamt verhindert, weil es hier zu einer möglichen Stigmatisierung dieser Kinder und Jugendlichen gekommen wäre.
Der verfassungsrechtliche Vorrang der Verantwortung von Eltern war für uns Leitgedanke für die Neuregelung des Jugendschutzes. Darum haben wir auch auf Einschränkungen verzichtet, wenn sich Minderjährige in Begleitung von Erziehungsberechtigten in der Öffentlichkeit befinden. Wir wollen mehr Spielraum für die Erziehung bekommen. Ich glaube, dies ist ein wichtiger Punkt.
Zentraler Punkt unserer Bemühungen ist aber die Bekämpfung der menschenverachtenden Videofilme, die Gewalt und Horror in exzessiver Weise darstellen. Hunderttausende von besorgten Bürgern und Eltern haben in Unterschriftenaktionen die Forderung erhoben: Macht nun endlich Schluß mit diesen Videoexzessen, macht Schluß mit den Videofilmen, in denen Menschen vergewaltigt, skalpiert, zersägt, zerstückelt und gefressen werden! Legt skrupellosen Geschäftemachern endlich das Handwerk!
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8001
Sauer
Die Forderungen besorgter Bürger und Eltern sind berechtigt, weil durch diese Videofilme bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesenermaßen Schockzustände, Ängste und Verhaltensstörungen auftreten. Diese Gewaltfilme führen zur Abstumpfung gegenüber Gewalt, sie führen zu Aggressionen, sie führen auch — das war leider Gottes schon festzustellen — zu Nachahmungstaten. Gewalt wird immer mehr als Mittel zur Regelung von Konflikten akzeptiert. Sie wird zum Selbstzweck erhoben; die Menschenwürde wird mit Füßen getreten. Ich glaube, es ist nun höchste Zeit, die Würde des Menschen als einen zentralen und vorrangigen Wert unseres Grundgesetzes zu garantieren.
In dieser Frage sollte es, so meine ich — völlig ungeachtet politischer Meinungsverschiedenheiten —, in diesem Hause zu einer Übereinstimmung kommen. Leider muß ich aber feststellen: Die Sozialdemokraten haben — zumindest in ihrer Regierungszeit — den ständig wachsenden Gefährdungen unserer Jugend tatenlos zugesehen.
Der Boom der Gewalttätigkeiten bei Videofilmen wie auch in anderen Bereichen — ich denke hier an Spielautomaten, die kriegsverherrlichende und gewaltverherrlichende Darstellungen zeigen — hatte schon zu Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung voll eingesetzt. Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, haben den daraus resultierenden Handlungsbedarf im Jugendschutz nicht nur verschlafen, sondern auch — ich muß es sagen — in sträflicher Weise vernachlässigt.
Sie haben in der Diskussion immer wieder die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit angesprochen. Auch wir stehen zu diesen Freiheitsrechten, aber Meinungs- und Kunstfreiheit haben dort ihre Grenzen, wo die Menschenwürde in einer sozialschädlichen Form — und dies ist ja bei diesen Videofilmen der Fall — verletzt wird. Was hat es denn mit Meinungsfreiheit zu tun, wenn Menschen bei lebendigem Leibe mit einer Motorsäge verstümmelt und zerstückelt werden? Was hat das mit Meinungsfreiheit zu tun? Verteidigen Sie mit uns die Werteordnung unserer Verfassung, die auf der Unantastbarkeit der Menschenwürde beruht, und seien Sie bereit, aus diesem Grundrecht die Konsequenzen für den Schutz der Jugend vor diesen menschenverachtenden Videofilmen zu ziehen!
— Da kann ich Ihnen, verehrte Kollegin, nur sagen: Getroffene Hunde bellen.
Mit folgendem Fächer von Maßnahmen werden wir einen besseren Schutz der jungen Menschen vor gewalttätigen und pornographischen Videokassetten erreichen.
Zum ersten: Bespielte Videokassetten sollen durch die obersten Landesbehörden nach Altersgruppen freigegeben werden. Sie werden durch ein fälschungssicheres Zeichen gekennzeichnet, und zwar im Wege einer Vorkontrolle, bevor die Filme auf dem Markt sind, was zur Zeit leider Gottes der Fall ist. Die Bundesprüfstelle kommt bei der Indizierung nicht nach. Die schlimmen Filme werden von verantwortungslosen Videothekaren an Kinder und Jugendliche verliehen.
Die obersten Landesbehörden bedienen sich der Gremien der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, der FSK. Diese FSK wird aber neu organisiert. Das Wichtige und Entscheidende ist: Jugendschutzinteressen werden stärker zum Tragen kommen, und zwar dadurch, daß die Ländervertreter in dem wichtigen Arbeitsausschuß den Vorsitz sowie im Hauptausschuß die Mehrheit bekommen. Diese Vertretung wird sicherstellen, daß in Zukunft Jugendschutzentscheidungen nicht mehr lasch gehandhabt werden, wie es leider in der Vergangenheit des öfteren der Fall war.
Wichtig ist auch: Der ständige Vertreter der Landesbehörde, der den Vorsitz im Arbeitsausschuß hat, wird die Mitteilungspflicht haben, Filme, die unter §§ 131 und 184 des Strafgesetzbuchs fallen, dem Staatsanwalt sofort zu melden.
Nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften bestehen für schwer jugendgefährdende Filme Vertriebs- und Werbebeschränkungen. Zusätzlich ist jetzt noch für indizierte und pornographische Videofilme ein Verleihverbot vorgesehen. Es handelt sich dabei — nebenbei bemerkt — nicht um sogenannte Softpornos, wie das manche in der Diskussion verniedlichend gesagt haben, sondern um Sexfilme härtester Machart. Solche Filme dürfen in Zukunft nur noch an Erwachsene in speziellen, Kindern und Jugendlichen nicht zugänglichen Ladengeschäften verliehen werden. Die Videotheken werden dadurch zu einem jugendgeeigneten Ort, da dort nur noch jugendgeeignete Videokassetten verliehen werden dürfen. Schmuddelecken, wie es sie zur Zeit noch gibt, wird es nicht mehr geben. Auch das System „shop in the shop" wird der Vergangenheit angehören. Viele der exzessiven Schlachtorgien auf Videoband sind nicht nur jugendgefährdend, sie überschreiten auch die Schwelle der Sozialschädlichkeit und sollten daher ganz verboten werden.
Die Verschärfung des bestehenden § 131 des Strafgesetzbuchs bewirkt ein generelles Herstellungs-, Import- und Vertriebsverbot für diese Horror- und Gewaltfilme. Die in dem alten § 131 StGB enthaltene Gewaltverherrlichung und -verharmlosung war leicht zu umgehen. Daher sollen in Zukunft sämtliche Schilderungen in unmenschlicher und grausamer Art, welche die Menschenwürde verletzen, strafrechtlich relevant sein.
Verfassungsrechtliche Bedenken haben wir nicht. Dies ist im übrigen keine „Lex Video"; dies gilt auch
8002 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Sauer
für grenzüberschreitende Medien wie das Kabelfernsehen. Sie erhalten durch unser Gesetz verbindliche Grenzen und Normen. Dies muß aber auch — das sage ich mit Betonung — für die Landesmediengesetze zutreffen.
Nur durch die Neufassung ist es möglich, zu einem Schutz gegen die Vermarktung exzessiver Brutalität zu gelangen. Darüber hinaus erwarten wir durch die Neufassung eine Neuorientierung des Videomarktangebots hin zu guten Videofilmen, die es ja bisher schon in einigen Sachbereichen gibt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Medienerziehung sagen. Ein großer Handlungsbedarf besteht auch im pädagogischen Bereich. Unsere gesetzgeberischen Maßnahmen, so notwendig sie auch sind, sind nur flankierende Maßnahmen. Sie bleiben Stückwerk, wenn es uns nicht gelingt, die Eltern und Erzieher zu sensibilisieren und ein Problembewußtsein zu schaffen.
Aufklärung und Information der Lehrer, der Erzieher, der Sozialarbeiter sowie der Eltern tut not. Die Eltern dürfen ihre Kinder nicht sich selbst überlassen. Sie brauchen Hilfe für einen sinnvollen Mediengebrauch. Auch hier wirkt Vorbild Wunder. Wir legen größten Wert auf einen erzieherischen Jugendschutz im Bereich der Familie, der Schule sowie in der Jugendarbeit.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bewahrung unserer Kinder und Jugendlichen vor dem Alkoholmißbrauch. Der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtzahl der Alkoholiker erreicht fast 10 %. Das sind nahezu 200 000 Personen. Dies ist erschrekkend. Das vorliegende Jugendschutzgesetz schafft nun einen neuen präventiven Rahmen. So dürfen sich Jugendliche unter 16 Jahren nur noch unter klar begrenzten Vorschriften in Kneipen aufhalten. Die Abgabe von Alkoholika an bis zu 16jährige wird verboten. Ebenso schlagen wir — das ist ganz wichtig — ein Automatenverbot für Wein und Bier vor.
Ich möchte meinen Appell aus der ersten Lesung an Veranstalter und Wirte wiederholen: Bieten Sie ein alkoholfreies Getränk billiger als Bier an. Das ist ein dringender Appell, der auch in Richtung der vielen Sportvereins- und Stadiengaststätten geht.
Ich bin leider etwas in Zeitnot. Wir haben für dieses wichtige Thema nur eine Stunde Zeit. Das ist diesem Thema nicht ganz gemäß.
Lassen Sie mich aber noch ein Wort zum Problem Nikotin bei Jugendlichen sagen. Wir haben die Frage eines Automatenverbotes für Zigaretten noch nicht abschließend geklärt. Wir haben aber zugesagt, im ersten Quartal des nächsten Jahres in einem Hearing Sachverständige zu den offenen verfassungsrechtlichen, gesundheits-, wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen zu hören und gegebenenfalls die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Das Zurückdrängen elektronischer Bildschirmunterhaltungsspielgeräte stellt einen weiteren Schwerpunkt dar. Wir werden diese Groschengräber, die inzwischen Mark- und Fünfmarkstücke schlucken, auf Kindern und Jugendlichen zugänglichen öffentlichen Plätzen verbieten. Die Beschaffungskriminalität, die durch Spielleidenschaften bei diesen Spielautomaten ausgelöst wird, sollte für uns alle ein schrilles Signal sein.
Die neu gestalteten Vorschriften des Jugendschutzes sollen sachgerecht, zeit- und jugendgemäß, aber auch in praktikabler Weise die Heranwachsenden vor negativen Einflüssen schützen. Sie sollen die Erziehung begünstigen und Gefahren abwehren. Das neue Jugendschutzgesetz beinhaltet keine Bevormundungsparagraphen. Es ist kein Strafinstrument gegen die junge Generation. Die Adressaten des Jugendschutzgesetzes sind daher nicht die Jugendlichen, sondern diejenigen, die in den verschiedensten gewerblichen Bereichen Geschäfte mit der Verführbarkeit und der Unerfahrenheit der jungen Menschen machen und so die erzieherischen Bemühungen der Eltern und Erzieher sträflich durchkreuzen.
Wir haben daher für diejenigen, die aus einem gewissenlosen Gewinnstreben heraus keine Rücksicht auf die Jugend nehmen, den Bußgeldrahmen bei Ordnungswidrigkeiten drastisch erhöht: bis zu 30 000 DM. Es geht also nicht mehr mit wenigen hundert Mark, die für sehr viele Unternehmer in der Vergangenheit ein Trinkgeld darstellten. Den jugendgefährdenden Praktiken, so hoffen wir, wird damit ein entscheidender Riegel vorgeschoben.
Das neue Jugendschutzgesetz soll Signal und Orientierung für einen wirksamen Schutz unserer Jugend sein. Es soll die Gefährdungen der Jugend mindern und auch verhindern. Das gelingt aber nur, wenn wir alle zur Mitarbeit bereit sind.
Tagtäglich finden Kongresse und Veranstaltungen zum Thema Waldsterben statt. Die Zeitungen sind voller Artikel, die sich mit den Gefährdungen der Natur beschäftigen. Ich wünsche mir eine ähnlich starke Bewegung zur Unterstützung des Jugendschutzes.
Wir tragen nämlich alle gemeinsam die Verantwortung für unsere Jugend wie auch für ihre Lebenschancen.
Ich darf Sie herzlich bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen und so zu einem wirksameren Schutz der Jugend beizutragen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Herr Kollege Sauer, Sie haben uns in der ersten Lesung aufgefordert, dieses Thema
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Gilges
nicht polemisch zu behandeln. Ich bin etwas erstaunt über die Art, in der Sie die Sache angegangen sind. Sie haben sich hier als Zauberlehrling präsentiert. Ich hatte gedacht, Sie wollten auf Ihren Meister, Herrn Geißler, warten, der das machen wird. Ich glaube, eine sachliche Auseinandersetzung wäre angebrachter gewesen als so viel Polemik, insbesondere gegen uns Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Wir begrüßen, daß nun die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Offentlichkeit stattfindet und daß dieses Gesetz am 1. April 1985 in Kraft tritt. Es wurde Zeit, daß das Gesetz in der Fassung von 1951 und 1957 geändert wurde, und zwar insbesondere in zwei wesentlichen Punkten.
Der erste wesentliche Punkt ist die Einführung des Verursacherprinzips. Es war in der Vergangenheit ein unhaltbarer Zustand, daß viele Kinder und Jugendliche und ihre Eltern in die Mühlen der Gesetzgebung geraten sind, daß Jugendschutzakten über Zwölfjährige angelegt wurden. Jeder, der das einmal miterlebt hat — ich habe es in meinen Kinderjahren miterlebt —, weiß, was das für das Elternhaus, was das für die Kinder bedeutet. Wir finden es deshalb sehr begrüßenswert, daß der unhaltbare Zustand aufgehoben wird. Kinder und Jugendliche werden in Zukunft nicht mehr mit dem Jugendamt konfrontiert, sie müssen sich nicht mehr mit dem Jugendamt auseinandersetzen. Sie sind aus diesem Gesetz heraus in dem Sinne, daß sie nicht mehr straffällig sind bzw. nicht mehr von Erziehungsmaßnahmen betroffen werden.
Zweiter Punkt. Wir begrüßen es, daß der unhaltbare Zustand, der in der Vergangenheit galt, beseitigt ist, daß die Verursacher, die Gaststättenbesitzer, die Diskothekeninhaber, die Verleiher von Zombis-, von Kannibalen-Videos mit nur geringen Strafen getroffen wurden. Dieser schwache Ordnungsrahmen im Gesetz war eigentlich mehr eine Aufforderung als eine Bedrohung. Deshalb stimmen wir dem neugefaßten § 1 zu, insbesondere auch deswegen, weil § 12 ersatzlos gestrichen ist. Es gab dann noch Zweifel bei Jugendverbänden, Wohlfahrtsorganisationen und interessierten Vereinigungen, daß doch noch die Möglichkeit bestehe, Jugendliche und Kinder über Umwege in das Gesetz mit einzubeziehen.
Der vorgelegte Entwurf bringt nun eine eindeutige Klärung, und wir meinen, daß es notwendig war, diese eindeutige Klärung herzustellen.
Wir begrüßen insbesondere, daß es eine Verschärfung des Sanktionskatalogs gibt. Die Belegung von Ordnungswidrigkeiten ist auf Grund unseres Antrages auf 30 000 DM erhöht worden. Wir hatten 50 000 DM gewünscht. Wir mußten uns vom Bundesjustizministerium erläutern lassen, daß das nicht möglich war. Aber es ist ein schärferes Schwert. Wir gehen davon aus, daß die Ordnungsbehörden und die Gerichte diesen verschärften Katalog anwenden werden gegen alle Geschäftemacher, gegen alle diejenigen, die mit der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Videobranche, im Bereich von Gaststätten usw. große Verdienste gemacht haben. Wir begrüßen es auch, daß es in Zukunft möglich ist, über diesen Bereich der Grenze von 30 000 DM durch Vermögenseinzug und Gewinneinzug den Geschäftemachern das Handwerk zu legen.
Drittens. Es gibt zur Zeit eine neue Diskussion, wie wir meinen, von interessierter Seite, die uns weismachen will, daß der Videoboom vorbei ist, daß die pornographischen bestialischen Greuelfilme à la Zombie, à la Kannibalen und in Folterart auf dem Markt nicht mehr so gefragt sind. Das stimmt nicht. Nach wie vor sind die besorgten Zuschriften, die wir von Eltern, Kirchengemeinden, Jugendämtern, Verbänden erhalten, ein Zeichen dafür, daß die Gefährdung für Erziehung, für den Charakter, für die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch diese Filme gegeben ist. Daß das zurückgedrängt worden ist, ist nur der Hartnäckigkeit der Bundesprüfstelle zu verdanken, die die Flut in den letzten Jahren eingegrenzt hat.
Wir müssen der Bundesprüfstelle dafür danken.
Ich sagte schon, wegen der verheerenden Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben wir diese Problematik schon früh erkannt. Und, Herr Sauer, es ist ausgemachter Unsinn, wenn Sie mir erlauben, daß ich das so sage, was Sie uns vorgeworfen haben. Wir sind die ersten gewesen, die schon am 24. November 1982 mit einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung auf das Problem der Brutalvideos aufmerksam gemacht haben. Da haben Sie überhaupt noch nicht an dieser Diskussion teilgenommen.
Und wir waren es, die vor über einem Jahr, Herr Sauer, durch eine fraktionsinterne Anhörung mit Sachverständigen das Problem öffentlich erörtert haben.
Deswegen ist Ihre Behauptung schlicht und einfach unsinnig.
Wir begrüßen die jetzige Regelung, weil sie ohne Zweifel ein Schritt nach vorn ist. Aber es bleiben trotzdem Zweifel. Es bleiben Zweifel in zweierlei Hinsicht.
Wir haben zum einen Zweifel an der Vorkontrolle und der Alterseinstufung, hier insbesondere an dem Instrument der FSK. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß viele Film-Videos von der FSK freigegeben wurden, die anschließend auf Antrag von Jugendämtern durch die Bundesprüfstelle auf die Liste der jugendgefährdenden Videos gesetzt wurden.
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Gilges
Zum anderen hat die FSK ihre Bewährungsprobe erst noch zu bestehen. Wir werden da genau aufpassen. Wir werden genau aufpassen, ob sie diese Bewährungsprobe besteht.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Doppelspurigkeit zwischen FSK und Bundesprüfstelle erhalten bleiben sollte. Wir haben dazu auch einen Antrag vorgelegt. Wir bedauern es, daß Sie sich unserem Antrag nicht anschließen konnten. Letztlich haben wir unsere Zweifel an der Neufassung des strafrechtlichen Teils. Der Kollege Uwe Lambinus wird dazu noch Näheres sagen.
Trotz all der Diskussionen über Brutalvideos und ihre Schäden meinen wir Sozialdemokraten aber, daß der jetzt angebotene Schutz nur ein begrenzter Schutz ist. Unser Kollege Müller hat schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß das Medienbewußtsein in dieser Republik gefördert werden muß. Die Diskussionen der letzten Tage — nicht zuletzt auch die gestrige Aktuelle Stunde hier im Hause — über Kabelfernsehen und darüber, was diesbezüglich auf uns zukommt, tragen nicht dazu bei, das Medienbewußtsein zu schärfen und Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen abzuwenden. Hier scheint mir eine doppelte Moral vorzuliegen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum vierten Punkt. Wir begrüßen die Regelungen der §§ 3, 4 und 5, die sich mit dem Gaststättenaufenthalt, dem Aufenthalt bei Tanzveranstaltungen und in Diskotheken und mit dem Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche, insbesondere aber mit dem Automatenverkauf beschäftigen. Wir sind mit diesen Regelungen einverstanden. Wir hoffen, daß das Vorschußvertrauen zu den Aufstellern von Innenautomaten gerechtfertigt ist. Wir werden das überprüfen und genau beobachten.
Herr Sauer, lassen Sie mich Ihnen sagen: Dieses Gesetz ist ein Beitrag gegen Kinder- und Jugendalkoholismus, aber es ist — erlauben Sie mir, daß ich es so sage — nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Jugenddroge Nummer eins, Alkohol. Die Bundesregierung und wir sind verpflichtet, noch viel mehr dazu beizutragen, daß der Jugendalkoholismus zurückgedrängt wird.
Fünftens. Wir Sozialdemokraten begrüßen die Regelung in § 8 über die elektronischen Bildschirm- und Unterhaltungsgeräte. In Zukunft soll es unmöglich sein, diese Geräte auf öffentlichen Verkehrsflächen aufzustellen.
Sechstens. Wir bedauern, daß der § 9 so gefaßt worden ist, wie er jetzt vorliegt. In dieser Vorschrift ist das Verbot von Rauchen in der Öffentlichkeit für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren festgelegt. Wir hätten uns eine vernünftigere Regelung vorgestellt. Wir haben dazu ja auch einen Antrag vorgelegt. Wir hätten gewünscht, daß es ein Verkaufsverbot gegeben hätte, das es unmöglich macht, das Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren einen unkontrollierten Zugang zu Rauchwaren haben. Ich hoffe, daß das Angebot, das Sie hier gemacht haben, auch ernstgemeint ist.
Siebtens. Wir bedauern des weiteren, daß wir keine Regelung über die Frage von Werbung mit Kindern und für Kinder zustande bringen konnten. Ich habe schon in der ersten Lesung ausgeführt, daß wir das nach wie vor für eine schwierige Angelegenheit halten und glauben, daß Kinder in eine Konsumsteuerung hineingeführt werden, die wir für sehr schlimm halten.
Achtens. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich weise insbesondere auf Ziffer 4 hin, wo noch auf viele einzelne Fragen eingegangen wird. Ich will das hier nicht weiter ausführen, weil ich nicht mehr allzuviel Zeit habe.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir begrüßen dieses Jugendschutzgesetz, sagen aber gleichzeitig, daß es nicht die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen ersetzen kann. Es kann nicht die vorbeugende Arbeit der Jugendämter ersetzen. Es kann Gefährdungen und Schädigungen nicht verhindern. Nur eine positive Jugendhilfe wird helfen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mehrere Legislaturperioden vor uns hergeschobene Reform des Jugendschutzgesetzes liegt nun zur Verabschiedung vor. Dieses Gesetz war um so nötiger, als neue Medien, Video, Telespiele und Telespielautomaten, im alten Jugendschutzgesetz noch nicht vorkamen. Einige Auswüchse der neuen Medien haben Emotionen entfacht, teilweise zu Recht.
Ich will mich hier aber nicht in Empörung über einige ekelhafte Produktionen auslassen; denn Emotionen bei den Beratungen bekommen keinem Gesetz gut. Es soll ja für längere Zeit gelten, auch für die Zeit, in der unsere heutigen Emotionen keine Grundlage mehr haben und vergessen sind.
Wichtig war uns auch, daß wir kein Gesetz gegen neue Medien, gegen neue Techniken machen.
Ich fürchte, meine Damen und Herren, das ist uns nicht optimal gelungen. Auswüchse sind nie in der Technik begründet, sondern immer in unserem eigenen Handeln.
Unterschiedliche Meinungen und sensible Verfassungsprobleme galt es bei der Beratung des Jugenschutzgesetzes zu beachten.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8005
Eimer
Wir haben uns geeinigt, den Jugendschutz entscheidend zu verbessern. Leider war es nicht möglich, das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in einem Gesetz zusammenzufassen. So werden auch weiterhin vergleichbare Tatbestände nach dem einen Gesetz eine Ordnungswidrigkeit, nach dem anderen aber eine Straftat sein.
Auch im Bereich des Rauchens ist das Gesetz nicht optimal. Hier sind sich aber alle Ausschußmitglieder einig gewesen. Wir wollen das Inkrafttreten des Gesetzes nicht durch die Suche nach perfekten Lösungen verzögern. Wir werden uns mit dem Aspekt des Jugendschutzes, des gesundheitlichen Schutzes des Nichtrauchers bzw. des passiven Mitrauchers noch intensiv .beschäftigen müssen. Ein Termin für eine Anhörung im nächsten Jahr ist bereits vorgesehen. Ich bin überzeugt, daß uns dieses Vorhaben noch sehr viel Ärger bringen wird, und zwar quer durch alle Fraktionen. Wir werden es aber in unserem Ausschuß anpacken, weil wir es für nötig halten.
Das Problem Alkohol und Jugendschutz konnte in diesem Gesetz praktikabel gelöst werden. Die eigentliche Aufgabe liegt aber bei der Verantwortung der Eltern und Erzieher sowie im Verhalten der Öffentlichkeit. Schlechte Vorbilder können die besten Absichten des Gesetzgebers zerstören.
Meine Damen und Herren, erfreulich war für mich bei den Beratungen, vor allem bei der Anhörung, daß von einem Teil der Hersteller alkoholischer Getränke für die Aufgaben des Jugendschutzes nicht nur Verständnis aufgebracht wurde, sondern daß sie uns zu einer strengen Fassung ermuntert haben.
Im Mittelpunkt des Interesses und der Berichterstattung stand das Thema Video. Ich will hier nicht von den Scheußlichkeiten sprechen, die uns alle empört haben, sondern davon, wie wir sie von Kindern und von Jugendlichen fernhalten können.
— Herr Kollege, sie von Erwachsenen fernzuhalten ist nicht unsere Aufgabe. Die Erwachsenen sind frei. Nach unserer Verfassung steht es uns nicht zu, ein Zensur vorzunehmen.
Eine zentrale Änderung ist in § 131 des Strafgesetzbuches vorgenommen worden. Schon bisher waren Gewaltdarstellung und Aufstachelung zum Rassenhaß verboten, wenn dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausgedrückt wurde. Genau das konnte aber praktisch nie nachgewiesen werden. Zombie- und Kannibalenfilme konnten produziert und vertrieben werden. Oft genug landen sie durch Nachlässigkeit von Händlern, Erwachsenen und Eltern bei Jugendlichen. Die neue Fassung soll nun lauten:
Wer Schriften ..., die zum Rassenhaß aufstacheln oder die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorganges in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, .. .
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Diese Fassung ist unserer Meinung nach für die Anforderungen des Jugendschutzes besser geeignet, aber auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Gerade für Liberale war hier ein äußerst sensibler Punkt. Jugendschutz ist notwendig, aber Zensur für Erwachsene darf es nicht geben.
Wir glauben, daß diese Formulierung auch deshalb so geglückt ist, weil deutlich wird, daß wir uns hier im Spannungsfeld zwischen zwei Forderungen der Verfassung bewegen. Da ist zum einen das Gebot der Menschenwürde und zum anderen das Verbot der Zensur. Diese Formulierung zeigt aber auch, wie eng der Pfad ist, auf dem man sich im Bereich des Jugendschutzes zu bewegen hat.
Die zweite wichtige Änderung ist die Übernahme der Alterseinteilung, wie sie beim Film schon lange besteht. Videokassetten werden also wie Spielfilme behandelt. Es handelt sich ja auch um die Obernahme von Spielfilmproduktionen. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß ein Film im Kino nicht angehalten werden kann und bestimmte Szenen deshalb auch nicht wiederholt werden können — ganz im Gegensatz zu Video.
Alle Videokassetten werden ein fälschungssicheres Siegel erhalten, das dem Käufer und Verkäufer bzw. Mieter und Vermieter sagt, für welche Altersgruppen das Produkt geeignet oder nicht geeignet ist.
Diese Information ist aus zwei Gründen nötig: zum einen für den Händler, damit er nur solche Kassetten an Kinder und Jugendliche abgibt, an die sie nach dem Gesetz abgegeben werden dürfen. Darüber hinaus sind sie aber auch ein wichtiger Hinweis für Eltern und Erwachsene über den Inhalt und die Eignung der Kassetten für Minderjährige insbesondere im Hinblick darauf, ob sie ihnen zugänglich gemacht werden können. In der privaten Sphäre der Wohnung hört aber der Einfluß des staatlichen Jugendschutzes auf. Hier gilt das Elternrecht, das heißt aber auch, hier gilt die Verantwortung der Eltern. Diese Verantwortung kann nur getragen werden, wenn eine vernünftige Information über den Inhalt dieser Kassetten weitergegeben wird.
Die ' dritte Änderung wurde in der Freiwilligen Filmselbstkontrolle vorgenommen. Das jetzige Gremium arbeitet nicht zufriedenstellend. Die Länder haben sich zu einer wirkungsvolleren Regelung entschlossen. Bisher war die Altersklasseneinteilung beim Film nicht immer im Sinne des Jugendschutzes sachgerecht. Herr Stefen von der Bundesprüfstelle mußte manchmal Retter in der Not sein
Eimer
und manchen Film indizieren, der ab 16 Jahren freigegeben war. Wir erwarten von der neuen Freiwilligen Selbstkontrolle sachgerechtere Entscheidungen.
Die vierte Änderung kann als Trennung der Märkte bezeichnet werden. Indizierte Filme und Kassetten dürfen nur noch in getrennten Ladengeschäften mit separatem Eingang, die für Minderjährige nicht einsichtig sind, an Erwachsene zum Verleih abgegeben werden. Wir wären mit etwas praktikableren und weniger strengen Formen einverstanden gewesen, nämlich mit einem separaten, abgeschlossenen Raum. Die heutige Praxis, daß indizierte Ware kaum kontrolliert hinter einem Vorhang angeboten wird, ist auch nach unserer Meinung unzureichend. Bei der jetzt gefundenen Lösung besteht aber die Gefahr, daß Videotheken die Umbaukosten scheuen, die Schaufenster verkleben und die Räume für Minderjährige sperren. Das ist nicht im Sinne des Jugendschutzes. Wir wollen die jugendgeeignete Videothek. Wir wollen die Videotheken dazu ermuntern, sich in einer für Jugendliche geeigneten Weise einzurichten.
Herr Minister Geißler, wir sollten durch entsprechende Listen, Plakate und Aufkleber Informationen über gute und empfehlenswerte Produktionen in den jeweiligen Altersgruppen weitergeben. Eine derartige, eventuell monatliche Aktion unterstützte alle seriösen Händler. Sie gäbe aber auch Informationen und Anregungen an Eltern und Erzieher und erleichterte es ihnen, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Eine bis heute sehr oft gehörte Forderung war, das Verleihen von indizierten Filmen — dazu gehören automatisch auch Pornofilme — zu verbieten. Darüber gab es eine sehr langwierige und vor allen Dingen schwierige Diskussion in der Koalition. Damit kein Irrtum entsteht: Sogenannte harte Pornographie ist ohnedies schon nach dem alten § 184 verboten. Die FDP war gegen ein Verleihverbot, und ich glaube, wir haben sehr viele Gründe dafür.
Um den wichtigsten zuerst zu nennen: Ein Verleihverbot käme einer Zensur für Erwachsene gleich.
Das verstieße nach unserer Überzeugung gegen die Verfassung.
Hinzu kommt, daß geliehene Kassetten auch nur maximal zwei Tage zu Hause herumliegen und gegen den Zugriff von Kindern noch einigermaßen zu schützen sind. Gekaufte Kassetten liegen sehr viel länger herum. Könnten derartige Kassetten nur noch gekauft werden, würden darüber hinaus Raubkopien billiger. Der dann entstehende schwarze Markt von Raubkopien wäre wesentlich schwerer zu kontrollieren.
Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß ein Verleihverbot nur scheinbar eine bessere Lösung wäre. Sachgründe und vor allen Dingen ver
fassungsrechtliche Gründe haben zu der jetzt getroffenen Lösung geführt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang den Rechtspolitikern der Union danken, daß sie in der für uns so wichtigen, verfassungsrechtlich problematischen Frage für die bessere Lösung gestimmt haben.
Diese Entscheidung erleichtert es uns auch, zu akzeptieren, daß wir in einer anderen Frage unsere Vorstellungen nicht optimal durchsetzen konnten. Telespielautomaten werden unserer Meinung nach zu sehr nach den Kriterien der Technik und nicht nach den Spielinhalten beurteilt. Wir wären zu großzügigeren Regelungen bereit gewesen. Ich habe z. B. nichts dagegen, daß mein Sohn über einen Bildschirm Schlümpfe hupfen läßt. Ich bin der Meinung, daß das Argument von CDU und SPD im Ausschuß, dies seien keine pädagogisch wertvollen Spiele, nicht zieht. Wir haben die Kollegen im Ausschuß nicht überzeugen können, werden aber das gefundene Ergebnis selbstverständlich tragen. Es widerspricht dem Gedanken des Jugendschutzes nicht.
Ein Jugendschutzgesetz, meine Damen und Herren, kann natürlich nur ein Rahmen sein. Verantwortung trägt auch die Gesellschaft durch ihr Verhalten, durch ihr Vorbild. Letzte Verantwortung aber tragen die Eltern. Der Gesetzgeber kann nur das Werkzeug liefern. Der Geist, mit dem das Gesetz ausgefüllt wird, nach dem man lebt, kann nicht mitgeliefert werden.
Die FDP sieht in diesem Gesetz eine Chance. Wir werden ihm zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden nachher bei der Abstimmung feststellen, daß wir einige Paragraphen und Regelungen dieses Gesetzes durchaus mittragen. Wir werden uns bei der Schlußabstimmung aber enthalten, weil wir nicht mittragen können, daß in das Jugendschutzgesetz die Strafrechtsparagraphen 131 und 184 aufgenommen werden. Wir halten das Strafrecht nicht für das geeignete Mittel des Jugendschutzes.
Die Ausdehnung der §§ 131 und 184 des Strafgesetzbuches weist darauf hin, daß das Vertrauen in gesellschaftspolitische Lösungsmechanismen abnimmt. Die Formulierung „die Menschenwürde verletzende Weise", die aufgenommen wurde, ist eine zu enge Formulierung für strafrechtliches Verhalten.
Sie erinnern sich, meine Kolleginnen und Kollegen, an das, was wir während der Anhörung von einigen Rechtswissenschaftlern gehört haben, die deutlich gemacht haben, daß der Staat nicht die Menschenwürde gegen den Willen der Menschen
Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8007
Frau Schoppe
schützen kann, sondern daß der, der seine Menschenwürde schützen will, es selbst tun muß.
Es geht nicht um den Begriff des Verfassungsrechts. Die Frage ist vielmehr: Kann Menschenwürde ein strafrechtliches Rechtsgut sein? Wir schließen uns auch den Bedenken an, daß Jugendschutz nicht das Rechtsgut des § 131 sein kann, weil er nicht auf die Jugend hin formuliert ist, sondern auf alle Bürger. Die Ausweitung des § 131 sehen wir als verfassungsrechtlich zumindest bedenklich an.
Dieses Gesetz ist lange beraten worden. Dennoch bleibt es ein hilfloser Versuch, denke ich, den Problemen gerecht zu werden. Wir alle wissen, daß wir gesellschaftspolitische Lösungen in die Wege leiten müssen, was bisher leider nicht passiert ist.
Ich möchte meine Kollegin Frau Thiele von der KPD zitieren, die hier an dieser Stelle bei der Beratung des Jugendschutzgesetzes im Jahre 1949 sagte:
Jugendschutz kann nur Hilfe sein, und die sieht unter den jetzigen Bedingungen doch etwas anders aus. Ich verstehe darunter z. B. die Schaffung von Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die Schaffung gesunder Lebens- und Wohnverhältnisse. Die Jugend hat von uns etwas anderes zu fordern als dieses Gesetz.
Ich denke, meine Damen und Herren, dies, was 1949 hier gesagt worden ist, gilt heute immer noch.
Wir kriegen das Grausen bei der Ansicht der Videos und müssen uns vorwerfen lassen: Das sind doch die Merkmale einer Gesellschaft, die sich in einer kulturellen Krise befindet. Und diese kulturelle Krise haben wir zu verantworten. Das Schlimme ist doch: Diese Videos, die uns so erschrecken, sind hergestellt worden für Erwachsene, und es wird viel Geld damit verdient, weil offensichtlich Erwachsene sich dieser Dinge bedienen.
Die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten, der hoffnungslose Glaube an Frieden durch Aufrüstung, die schamlose Streichung von sozialen Leistungen für Behinderte, die tagtägliche Zerstörung der Natur sind Ausdruck eines kulturellen Notstandes und Resultat einer Regierungspolitik, die unfähig ist, den gesellschaftlichen Krisen entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, das ist das Problem, über das wir uns hier unterhalten müssen.
Ich weise noch einmal auf das hin, was wir im Ausschuß schon beraten haben: Es gibt Bereiche, wo die Jugend geschützt werden muß, wo das aber bisher nicht in Angriff genommen worden ist. Ich erinnere an den sexuellen Mißbrauch von Kindern und an Kindesmißhandlungen. Ich erinnere daran, daß weiterhin Kriegsspielzeug verkauft wird. Ich erinnere an die Diskriminierung von ausländischen Kindern.
Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal sagen: Wir haben einen Jugendminister, der sich nicht scheut,
einer Minderheitenpartei, wie die GRÜNEN es sind, die durch ihre tägliche politische Praxis zeigt, daß es eine antifaschistische Praxis ist, in die Nähe von Nazis zu rücken.
Da frage ich mich, meine Damen und Herren: Ist so ein Minister geeignet, Jugendminister zu sein? Wie soll ein Minister, der solche Sachen macht, adäquat auf den berechtigten Protest unserer Jugendlichen reagieren?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das neue Jugendschutzgesetz, das heute verabschiedet werden soll, war überfällig.
Und wenn die Sozialdemokraten sagen, sie hätten im November 1982 die Initiative übernommen und eine Kleine Anfrage gestellt,
dann müßte die Frage eigentlich lauten: Warum hat denn die alte Regierung auf diesem Gebiet nichts getan? -
Es wird höchste Zeit, daß Regierung und Parlament der Eskalation an Gewalt und Brutalität, insbesondere auf Video-Kassetten, einen Riegel vorschieben. Es gibt kaum ein politisches Feld, mit Ausnahme der Frage des § 218 des Strafgesetzbuches, der der Schwangerschaftsunterbrechung, zu dem mich in den vergangenen Monaten und Jahren so viele Petitionen und Briefe erreicht haben wie hier angesichts dieser negativen Entwicklungen. Viele Eltern, Lehrer, in der Jugendarbeit Tätige warten seit Jahren auf dieses Gesetz. Mehr als ein viertel Million Bürger unseres Landes haben mir in letzter Zeit geschrieben mit der Forderung: Stoppt die Brutalisierung in Wort und Bild und — als Folge davon — auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
8008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Geißler
Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP vorlegen, ist einer für junge Menschen, für ihre Eltern, für die Familien. Die Forderungen nach einem verbesserten Jugendschutz entspringen nicht nur prüden Ängsten, einer Prüderie oder gar Vorstellungen, daß Zensur eingeführt werden müsse, sondern es geht im Gegenteil um die Würde der Menschen, um die freie Entfaltung von Jugendlichen, die durch die Brutalographie zerstört wird.
Und es geht um die Verantwortung der Eltern, die der Staat nicht abnehmen kann, die er aber unterstützen kann. Man kann es mit einem Wort zusammenfassen: Auf Kosten der Kinder und Jugendlichen dürfen keine brutalen Geschäfte mehr gemacht werden.
Das neue Jugendschutzgesetz dient dem Schutz des Schwächeren, so, wie es auch im Grundgesetz gefordert ist. Es ist deshalb kein rückschrittliches, sondern ein fortschrittliches Gesetz.
Ich möchte etwas zur Würde des Menschen sagen, die im Grundgesetz geschützt ist. Frau Schoppe, ich habe die Ausführungen dieses Rechtsprofessors im Hearing nicht nachlesen können, aber wenn tatsächlich einer gesagt haben sollte, die Würde des Menschen sei in unserer Gesellschaft gegen die Mehrheit oder gegen die anderen nicht zu schützen,
sondern jeder müsse seine Würde selber schützen: Sie finden für jeden Schwachsinn auch eine Professor. Das ist richtig.
Nur muß man die große Mehrzahl der anderen Professoren vor solchen Leuten, vor solchen Sprüchen in Schutz nehmen — ausdrücklich in Schutz nehmen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar", steht in unserer Verfassung. „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Der Staat kann und darf nicht zusehen, wie manche Produzenten oder Verleiher von Video-Filmen dieses Verfassungsgebot mit Füßen treten. Die Bundesregierung begrüßt es daher ausdrücklich, daß künftig die Herstellung und die Einfuhr exzessiver, die Menschenwürde verletzender Gewaltdarstellungen strafrechtlich verboten sein muß.
Von seiten der Opposition ist in den Beratungen angezweifelt worden, ob ein solches Verbot verfassungsgemäß sei. Man hat argumentiert, hier stehe möglicherweise das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit und der Kunstfreiheit entgegen. Ich bin hier ganz anderer Meinung. Man kann sogar der Auffassung sein: daß dieser Zustand so lange angedauert hat, daß zugelassen worden ist, daß Videofilme dieser Art in der Bundesrepublik
Deutschland verkauft, verliehen werden konnten, widerspricht zumindest dem Geist der Verfassung. Was der neue § 131 des Strafgesetzbuches verbietet, hat mit Kunst nichts zu tun. Die Menschenwürde, wie sie im Grundgesetz verankert wird, ist keine dekorative Floskel und auch kein „schwammiger Begriff", wie kürzlich im „Spiegel" zu lesen war. Die Verfasser des Grundgesetzes haben den Schutz der Menschenwürde vielmehr vor dem Hintergrund der NS-Zeit, in der die Menschenwürde mit Füßen getreten wurde, bewußt zur zentralen Leitnorm unserer Verfassung gemacht. Sie wußten aus leidvoller Erfahrung, was es bedeutet, wenn Menschen zum Objekt gemacht, mißhandelt und abgeschlachtet werden. In zahlreichen Videofilmen wird genau dies dargestellt, wie Menschen zum Objekt gemacht, brutal mißhandelt oder auf bestialische Weise abgeschlachtet werden. Das Grausame und Unmenschliche solcher Vorgänge wird hier breit dargestellt zu dem einzigen Zweck, den Umsatz zu steigern.
Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Forschung und Lehre — darauf legt die Bundesregierung Wert, dies festzustellen — wird durch ein solches Verbot nicht beeinträchtigt, ebensowenig wie die Meinungs- und Informationsfreiheit eingeschränkt wird. Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist ein wichtiges, aber auch kein schrankenloses Grundrecht. Dokumentationen, Berichte über Ereignisse des Zeitgeschehens und der Geschichte werden von dem Verbot nicht tangiert, und zwar auch dann nicht, wenn grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen dargestellt werden. Der Holocaust, die Verbrechen der Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern oder die Verbrechen von Kommunisten in Laos, Kambodscha, Vietnam oder in der Sowjetunion selber im Archipel GULag, alle diese Verbrechen verletzen die Menschenwürde, aber selbstverständlich nicht ihre Darstellung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten die Dinge und die Begriffe hier nicht verwirren. Dokumentationen über diese historischen Verbrechen und Horror und Brutalität auf Kassetten sind zwei verschiedene Dinge. Wir wollen diese verbieten, um auch dazu beizutragen, daß sich jenes nicht wiederholt.
Die Darstellung von Brutalität und Gewalt in den Medien ist jedoch nicht nur eine Herausforderung für den Jugendschutz und das Strafrecht. Wir alle müssen dazu beitragen, daß die Toleranzschwelle gegenüber Gewaltdarstellungen nicht weiter absinkt. Das ist eine Aufgabe für Eltern und Erzieher, vor allem aber auch für Zeitungen und Fernsehen: was auf Kassetten verboten ist, darf nach meiner Meinung im Fernsehen nicht erlaubt sein.
Die Sicherung des Friedens ist ein vorrangiges Ziel der Politik. Die Erziehung zum Frieden beginnt in den Kinderzimmern. Dort müssen Kinder lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Deswegen muß dieser Bereich von solchen Videokassetten frei gehalten werden. Das ist eine Frage der Verantwortung der Eltern. Es wäre nicht nur für die Jugendlichen, sondern für unser ganzes Volk verhängnis-
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Bundesminister Dr. Geißler
voll, wenn Gewalt, Gewalttaten und Gewalttäter immer mehr zu Vorbildern im ganz wörtlichen Sinne für junge Menschen werden.
Werte Frau Schoppe, das eine will ich Ihnen hier sagen, was den Vergleich zu den Nazis anlangt: ich habe nie behauptet, daß Ihre Inhalte faschistisch sind, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es gewisse Merkmale totalitärer Entwicklungen gibt,
und zu diesen Merkmalen gehören Verschwörungstheorien, wie Sie sie auch vertreten, und zum Totalitären gehört eine elitäre Moral, wie Sie sie vertreten.
Das Rechtsbewußtsein der Menschen in diesem Lande wird auch zerstört, wenn Sie unter der Überschrift einer elitären Moral Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch, Nötigung, Blockaden als gewaltfreien Widerstand umdefinieren.
Hier wird das Rechtsbewußtsein ebenfalls zerstört. Und da sage ich Ihnen das eine: Diese Methoden haben Totalitäre auch in früheren Zeiten vertreten. Den Vergleich müssen Sie sich zurechnen lassen. Das ist der Punkt, um den es geht. Es geht nicht um die Inhalte.
Wir stehen auch nicht auf der Seite derer, die glauben, sie könnten das Demonstrationsrecht, vermummt zum großen Teil, zur Anwendung von Gewalt gegen Andersdenkende oder z. B. gegen die Polizei ausnützen. Das ist eher eine Konzeption, die Ihren Vorstellungen entspricht. Dies ist nicht unsere Auffassung. Wir sind dagegen, daß Gewalt zur Lösung von Konflikten in einer Demokratie angewendet wird — so oder so; da machen wir keinen Unterschied. Deswegen ist dieses Jugendschutzgesetz auch ein wichtiger Beitrag zur Friedenserziehung und zur Sicherung des Friedens in unserem Land.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lambinus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Geißler, auch Worte gegen politische Gegner können die Menschenwürde verletzen. Und hier sind Sie einsamer Meister.
Die SPD-Bundestagsfraktion kann den von den Koalitionsfraktionen geplanten Änderungen des Strafgesetzbuches nicht zustimmen. Wir haben deshalb in dieser zweiten Lesung beantragt, den Artikel 3 des Gesetzentwurfs zu streichen. Diesen Antrag möchte ich kurz begründen.
Nach § 131 Strafgesetzbuch geltender Fassung macht sich strafbar, wer Schriften herstellt und Jugendlichen und Erwachsenen zugänglich macht, die Gewaltätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken. An dieser Formulierung ist kritisiert worden, sie sei unpraktikabel.
Es stellt sich aber die Frage, ob die von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Neufassung des § 131 erstens praktikabler in der Anwendung sein wird und zweitens insbesondere den Jugendschutz besser zu gewährleisten vermag.
Zum ersten verweise ich zunächst auf die uns vorliegende Beschlußempfehlung. In der Begründung der Neufassung des § 131 heißt es dort u. a. — ich zitiere —:
Bereits das geltende Recht wurde im Wege der Auslegung dahin verstanden, daß nicht entscheidend sei, ob die Art und Weise der Schilderung grausam ist, sondern daß grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten geschildert werden, und zwar so, daß das Grausame und Unmenschliche des Vorgangs den wesentlichen Inhalt und zugleich den Sinn der Schilderung ausmacht.
Mit anderen Worten: Wenn § 131 StGB in seiner jetzigen Fassung so wenig zur Anwendung gekommen ist, dann — trotz seiner möglicherweise problematischen Formulierung — offenbar nicht deshalb, weil sich mit ihm nicht arbeiten ließe. Ein Vollzugsdefizit kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, den Tatbestand einer Strafnorm zu erweitern. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, der eben zitierten Beschlußempfehlung zustimmen, dann müßten Sie eigentlich eine Änderung des § 131 mangels gesetzgeberischen Bedarfs ablehnen.
Das zweite Argument zur Praktikabilität des § 131 in der Fassung des vorliegenden Entwurfs lautet: Auf Antrag unserer Fraktion fanden zwei umfangreiche Anhörungen im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit statt, die u. a. den § 131 zum Inhalt hatten. Wir sind in der Öffentlichkeit wegen der von uns verlangten Anhörungen teilweise kritisiert worden, insbesondere von seiten der Union. Man hat uns Verzögerungstaktik unterstellt. Wenn Sie jetzt in der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses die Begründung zu § 131 lesen, stellen Sie fest, daß die Koalition auf Grund der Anhörungen im Ausschuß von ihrer früheren, noch viel weitergehenden Formulierung abgerückt ist und nun eine gewissermaßen eingeschränkte Erweiterung der Vorschrift empfiehlt. Dies ist immerhin ein Fortschritt. Allein schon deshalb hat sich das Hearing gelohnt.
Aber kann die jetzt gefundene Formulierung befriedigen? Die Gutachter hatten für die Anhörung eine Fülle von Formulierungsvorschlägen vorgelegt bekommen, von denen einer der jetzt empfohlenen nahekam. Dennoch hat sich kein Gutachter vorbehaltlos für eine der vorgelegten Alternativen ausge-
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Lambinus
sprochen. Im Gegenteil, die meisten haben ausdrücklich betont, daß eine wie auch immer geartete Neufassung des § 131 StGB kein geeignetes und taugliches Mittel sei, das Problem zu lösen. Sie können dies auch in der Beschlußempfehlung nachlesen.
Die zweite Frage, ob die geplante Änderung des § 131 StGB einen besseren Jugendschutz gewährleisten kann, ist damit schon beantwortet. Alle Sachverständigen verneinten diese Frage. Wir Sozialdemokraten stimmen dieser Verneinung zu.
Auch die zweite Alternative birgt die Gefahr in sich, daß filmische oder bildliche Darstellungen von Gewalt gegen Menschen unter Strafe gestellt werden, ohne daß dies unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes berechtigt wäre. Ich meine damit insbesondere die Dokumentationen, wie sie amnesty international und andere humanitäre Organisationen beispielsweise über die Folter in der Welt produzieren. Wo wollen Sie die Grenze ziehen zwischen einer Darstellung, die solche Grausamkeiten sehr eindrücklich beschreibt, und einer Darstellung, die das Grausame in einer die Menschenwürde verletzenden Weise illustriert?
Die Vorschrift enthält weder einen Kunstvorbehalt, noch konnte uns im Rechtsausschuß durch die Vertreter des Justizministeriums bestätigt werden, daß solche Darstellungen als Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte nach Abs. 3 des § 131 StGB nicht tatbestandsmäßig sind.
Für den Jugendschutz sind das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und das Gesetz gegen jugendgefährdende Schriften da. Der § 131 StGB dient nicht primär dem Jugendschutz. Wir werden ihn deshalb in zweiter Lesung ablehnen.
Die vorgeschlagene Änderung des § 184 StGB kann von uns ebenfalls nicht gebilligt werden. Auch hier kann von einem effektiven Jugendschutz nicht die Rede sein. Was bewirkt denn die Ausschußfassung dieser Vorschrift? Videofilme mit Darstellungen einfacher Pornographie dürfen künftig in Ladengeschäften, zu denen jeder Zugang hat, nur noch verkauft, aber nicht mehr vermietet werden. Wer mieten will, muß in den Sex-Shop. Wer kauft, darf dies auch weiterhin in der Videothek oder im sonstigen einschlägigen Einzelhandel tun. Wie durch eine solche Regelung ein verbesserter Jugendschutz erreicht werden kann, vermögen wir nicht einzusehen.
— Das ist richtig! —
Die Bestimmung wird zwei Effekte haben. Erstens. Der Videothekar, der sich künftig das Geschäft mit dem Verleih pornographischer Filme nicht entgehen lassen will, mietet sich ein zweites Ladengeschäft, hängt ein Schild „Für Jugendliche unter 18 Jahren ist der Zutritt verboten" an die Tür und verleiht weiter. Im übrigen sind die Videofilme inzwischen so billig geworden, daß man für unter 30 DM schon Stunden von Videofilmen käuflich erwerben kann. Dies wird dazu führen, daß die häuslichen Videotheken auf Dauer in den Haushalten verbleiben und damit eine wesentlich höhere Gefährdung der Jugend erreicht wird.
Abschließend möchte ich all den Elterninitiativen und den Lehrerinitiativen danken, die sich an uns mit der Bitte um Abhilfe gewandt haben. Wir glauben nämlich, daß erst diese Initiativen das Bewußtsein aller Politiker für diese Problematik sensibilisiert haben.
Recht herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Die Fraktion der SPD beantragt, über die §§ 1 bis 13 des Art. 1 getrennt abzustimmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe Zustimmung. Es wird so verfahren.
Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 2 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 3 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch § 3 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 4 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 5 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
Ich rufe § 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2553 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der § 6 ist angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2553 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8011
Vizepräsident Stücklen
Fraktion der SPD vor. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer § 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 8 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der § 8 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe § 9 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe § 10 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe § 11 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
Ich rufe § 12 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe § 13 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Vorschriften sind damit mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu wird von der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2553 unter der Ziffer 3 Streichung des Art. 3 beantragt. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Dieser Änderungsantrag, die Streichung des Art. 3, ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Art. 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 4 und 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Art. 4 und 5 sind einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
— Der Abgeordnete Lambinus wünscht, eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abzugeben. Sie haben das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat in der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs Änderungsanträge eingebracht, mit denen sie deutlich machen wollte, wo die gravierenden Schwächen der zur Abstimmung stehenden Fassung in bezug auf die jugendgefährdenden Schriften und Filme liegen.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, engagieren sich auf einem Feld, das für den Jugendschutz ungeeignet ist und offenbar als Alibi für den mangelhaften vorbeugenden Jugendschutz in Ihrem Gesetzentwurf dienen soll, nämlich im Bereich des Strafrechts.
— Zuhören, Herr Kollege!
Ich möchte noch einmal betonen, daß für mich und meine Freunde — übrigens in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — der vorbeugende Jugendschutz Vorrang hat vor strafrechtlichen Sanktionen.
Deswegen mein Ja zu einem vorbeugenden Jugendschutz, zur freiwilligen Selbstkontrolle,
auch wenn wir hier weniger Illusionen haben als Sie.
Deshalb ein Ja zur uneingeschränkten Indizierungsbefugnis der Bundesprüfstelle, die Ihnen offensichtlich zu weit geht. Gleichzeitig lehne ich die geplanten Eingriffe in das Strafgesetzbuch ab. Unter der irreführenden Überschrift
„Jugendschutz" wollen Sie in Wahrheit Liberalität abbauen und die geistig-moralische Wende durch die Hintertür nun — —
Herr Abgeordneter Lambinus, bitte halten Sie sich an die Geschäftsordnung: eine persönliche Erklärung zur Abstimmung und nicht eine erneute Diskussion.
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Vizepräsident Stücklen Bitte sehr.
Herr Präsident, ich erkläre, warum ich wie abstimme.
Ich höre genau zu, Herr Abgeordneter Lambinus.
Die Vorschrift des § 131 StGB soll in einer Weise erweitert werden, die durch die Unbestimmtheit ihrer Fassung einen nicht mehr übersehbaren Anwendungsspielraum eröffnet.
Das hat mit Jugendschutz nicht zu tun.
— Das ist doch wohl meine Sache.
Auch § 184 StGB, eine Errungenschaft der vierten Strafrechtsreform, soll ein Stückweit entliberalisiert werden.
Das Strafrecht ist nicht das geeignete und taugliche Mittel, Auswüchse im Bereich des Videomarkts zu bekämpfen.
Die genannten Vorschriften dienen, wie gesagt, nicht dem Jugendschutz.
Unsere Ablehnung von Art. 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs in der zweiten Lesung sollte diese Auffassung dokumentieren. Gleichwohl bin ich und sind mit mir meine Freunde der Meinung — —
— Doch, natürlich. Ich spreche von mir.
— Herr Präsident, wenn ich dauernd unterbrochen werde — —
Ich bitte doch, die persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ungestört ablaufen zu lassen.
Herr Kollege Lambinus, wenn Sie von „meine Freunde" sprechen, so geht das eben über den § 31 hinaus. Sprechen Sie aber ruhig weiter. Bitte sehr.
Gleichwohl bin ich — Sie können auch „wir" sagen —, wenn auch unter erheblichen Bedenken, bereit, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Trotz aller von uns aufgezählten Mängel halte ich den Entwurf im übrigen für bedingt geeignet, den Jugendschutz gegenüber den bisher geltenden Vorschriften zu verbessern.
Vieles geht mir nicht weit genug. Dazu hat mein Kollege Gilges vorgetragen. Einiges geht uns entscheidend zu weit.
Das habe ich versucht vorzutragen.
Ich stimme dem Gesetzentwurf zu,
beantrage aber gleichzeitig, daß die Bundesregierung nach Ablauf der nächsten zwei Jahre dem Parlament darüber berichtet, welche Auswirkungen ...
Herr Abgeordneter Lambinus, das gehört nicht zu einer persönlichen Erklärung. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
... ich bin fertig, Herr Präsident — die Änderung der §§ 131 und 184 in der Praxis hat.
Recht herzlichen Dank.
Herr Abgeordneter Lambinus, Sie sind Schriftführer und kennen meine Handhabung der Sitzungsleitung. Es sollte einem alten Hasen, der Sie sind, nicht passieren, die Geschäftsordnung so zu strapazieren.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Die kann man abzählen: Bei fünf Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2554. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Entschließungsantrag ist daher abgelehnt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Sondervermögen „Arbeit und Umwelt"
— Drucksache 10/1722 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist somit so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Hauff.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8013
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Notwendige möglich zu machen, sei Politik. Das hat uns vor vielen Jahren einmal unser früherer Kollege Carlo Schmid ins Stammbuch geschrieben. Das gilt in besonderem Maße für die Umweltpolitik.
Das Notwendige möglich zu machen — daran arbeiten wir seit den 60er Jahren. Ich nenne als Ergebnis dieser Arbeit nur einige wenige Stichworte: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die TA Luft, später das Benzinbleigesetz, das Abwasserabgabengesetz. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang nur eine Zahl nennen. Zwischen 1970 und 1980 wurden rund 120 Milliarden DM vom Staat und von der Wirtschaft für Umweltschutz ausgegeben. Das ist übrigens fünfmal so viel, wie Bund und Länder im selben Zeitraum für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben haben.
Ich nenne diese Zahl, weil heute zumindest von der CDU/CSU so getan wird, als wäre der Umweltschutz erst 1982 erfunden worden. Auch wird von den GRÜNEN behauptet, daß der Umweltschutz erst dann eine Rolle gespielt habe, als die GRÜNEN in den Bundestag eingezogen seien.
Beides ist nicht wahr, auch wenn es hier offensichtlich eine heimliche Koalition zwischen CDU/CSU und GRÜNEN gibt.
Die Umweltpolitik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, die auch untrennbar mit dem Namen Gerhart Baum verbunden ist, war ein wichtiger Baustein.
Die Debatte über den richtigen Weg hält an. Gerade am heutigen Tag finden wir eine Vielzahl von Meldungen. Eine davon geht zurück auf den Bundesverband der Deutschen Industrie, der der Bundesregierung einen Kurs häufigster Ankündigungen vorwirft, der der Bundesregierung vorhält, ihr fehle es an Berechenbarkeit, und der zum Ergebnis kommt, daß die Grenzwerte, die die Bundesregierung jetzt bei einer Reihe von neuen Gesetzesvorhaben vorgeschlagen habe, über das Ziel hinausschössen.
Mit diesem Thema, das meines Erachtens ein sehr, sehr ernstes Thema ist, möchte ich mich jetzt etwas beschäftigen. Es geht dabei um die Frage: Was ist eigentlich der richtige Grenzwert, und welche Rolle spielen Grenzwerte in einer modernen Umweltpolitik? Es gibt auf die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist, kein Patentrezept. Das ist ein Suchprozeß. Das Sondervermögen, das wir vorschlagen, schafft ja nicht nur Investitionen in einer Größenordnung von 18 Milliarden DM, sondern der entscheidende Punkt ist, daß damit ein Instrument gegeben ist, um denjenigen zu belohnen, der etwas tut, was über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht; es belohnt also den umweltpolitischen Schnelläufer. Beispielsweise bedeutet das, daß derjenige, der die vorgeschriebenen Grenzwerte unterschreitet, davon auch wirtschaftliche Vorteile hat.
Das schafft Bewegung, das schafft Dynamik, das schafft technische Innovationen, das schafft neue Märkte. Dies ist der erste wesentliche Grundgedanke unseres Vorschlages.
Kernstück unserer Umweltpolitik ist und bleibt das Verursacherprinzip. Das entspricht auch der Logik unserer Wirtschaftsordnung.
Aber das Verursacherprinzip stößt an Grenzen. Die Beseitigung ökologischer Notstände, die Sanierung von Altlasten bei fehlender Zurechenbarkeit von Verursachern und die Beschleunigung von Umweltinvestitionen, besonders im Bereich der Gemeinden und Städte, dies alles sind Beispiele dafür, wo man bei der Verwirklichung des Verursacherprinzips an Grenzen stößt und wo deswegen das Gemeinlastprinzip verwirklicht werden muß. Dies ist der zweite Grundgedanke unseres Vorschlags, daß hier ein Instrument gegeben ist, um das Gemeinlastprinzip zu verwirklichen.
Das vorgeschlagene Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ist unsere Antwort auf diese beiden Fragen. Sie mögen diese Antwort ablehnen; das ist Ihr gutes Recht. Aber, bitte, geben Sie sich nicht der Illusion hin, daß damit unsere Fragen gegenstandslos sind.
Unsere beiden Fragen bleiben: Was machen Sie in den Fällen, in denen das Verursacherprinzip nicht anwendbar ist, und wie schaffen Sie in einer Grenzwertdiskussion technische Dynamik, damit die Entwicklung an den jeweiligen Grenzwerten nicht haltmacht, sondern beschleunigt in die Richtung eines verstärkten Umweltschutzes vorangetrieben wird.
Diese Art von Umweltpolitik, diese ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft wollen wir. Wir reden nicht nur von der Alternative in der Industriegesellschaft, sondern wir wollen diese Alternative in der Industriegesellschaft. Und wir wollen das nicht nur, sondern wir zeigen mit unserem Vorschlag auch einen Weg auf, wie das tatsächlich gelöst werden kann: Wege der Hoffnung für viele Menschen.
Dieser Vorschlag wird zu einem breiten und besseren Angebot von Umwelttechnologien führen, ihre Herstellung und ihren Verkauf, auch auf den Auslandsmärkten, stärken und damit auch unser industrielles Potential auf diesem Gebiet erhalten und ausbauen. Dieser Vorschlag schafft Arbeitsplätze und verbessert die Umwelt. Das brauchen wir beides dringend. Wir müssen dazu kommen, Umweltschutzinvestitionen in großem Umfang zu verwirklichen, so wie wir in den 50er Jahren vor der Aufgabe standen, den Wiederaufbau voranzubringen. Damals gab es eine Wohnungsnot, heute gibt es eine Umweltnot.
8014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Hauff
Unser Vorschlag eines Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" ist ein neues Instrument, um endlich Umweltpolitik als Industriepolitik in unserem Lande zu etablieren. Wir suchen deswegen auf umweltpolitischem Gebiet nicht den Wettbewerb mit denen, die nur anklagen, die nur Mißstände aufdekken. Wir wollen Lösungen, und wir wollen Lösungen, die auch sozial verantwortbar sind.
Der Bundesinnenminister, Herr Zimmermann, hat vor kurzem gesagt: Eine wachsende Umweltschutzgüterindustrie zeigt, daß der Umweltschutz nicht Hemmschuh, sondern geradezu Schrittmacher des technischen Fortschritts ist. So redet Herr Zimmermann. Richtig, wir unterstützen das auch, wir halten es für richtig. Nur, wenn Sie das ernst meinen, dann sollten Sie unseren Vorschlag auch aufgreifen und ihn verwirklichen und sich nicht dagegen sperren.
Denn dieser Vorschlag bringt Lösungen, Lösungen für die Abfallwirtschaft, für die Trinkwassersicherung, für die Luftreinhaltung, für die rationelle Energieversorgung, für den Lärmschutz und für den Naturschutz, und zwar in einer Größenordnung, die wirklich den Namen verdient. Damit wird ein Schritt nach vorn gemacht, aber nicht mit den wenigen Millionen, die Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgesehen haben.
Wer heute beim Umweltschutz die Nase vorn hat, sichert auch langfristig die Chancen für Investitionen und Arbeitsplätze von morgen. Eine Spitzenstellung der Umwelttechnologien sichert die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist mittlerweile eine ökonomische Wahrheit, der niemand mehr widersprechen kann.
Die Umweltindustrie wächst und wächst. Schon heute arbeiten dort rund 350 000 Menschen; das sind erheblich mehr als im Gesamtbereich der Druckindustrie. Hier liegt eben auch eine Schlüsselindustrie für die Zukunft.
Dieses Sondervermögen, das Hans Apel, Wolfgang Roth und ich zusammen erarbeitet haben, ist ein Baustein für die kommenden Jahre.
Es soll unbürokratisch arbeiten; deswegen haben wir vorgeschlagen, es bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzusiedeln.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen keinen Ausstieg aus der Industriegesellschaft.
Wir wollen in der Industriegesellschaft leben. Wir wissen, daß die Industriegesellschaft die Grundlage für Wohlstand und für soziale Sicherheit ist. Das ist unbestreitbar, nur: Wir wissen auch, daß die heutige Industriegesellschaft zur Bedrohung für das
menschliche Leben selbst werden kann, wenn nichts Entscheidendes geschieht.
Deswegen wollen wir einen Weg aufzeigen, wie die Probleme tatsächlich gelöst werden. Wir suchen, um mit Ernst Bloch zu reden, eine begründbare Hoffnung für all die Menschen, die begründbare Sorgen haben, und davon gibt es viele.
Es geht um einen Aufbruch zu neuen Ufern, und zwar hier auf der Erde. Hier liegt unsere Zukunft! Hier müssen wir die Milliarden investieren, nicht in erster Linie im Weltraum!
Unsere Zukunft wird nicht daran entschieden — jedenfalls nicht in erster Linie —, ob wir den Mars oder die Venus erreichen, sondern sie wird daran entschieden, ob wir die Meere lebendig erhalten. Sie wird daran entschieden, ob wir die Flüsse saubermachen, ob wir das Trinkwasser genießbar halten und ob wir die Luft für Menschen, für Tiere und für den Wald saubermachen. Daran wird unsere Zukunft entschieden. Nicht der Griff nach den Sternen ist gefragt, nein, die Bewältigung der Probleme hier auf der Erde. Das ist die politische Aufgabe. Unsere Antwort auf diese Aufgabe ist das Sondervermögen „Arbeit und Umwelt".
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre sicherlich gut gewesen, wenn der Herr Abgeordnete Hauff von dem, was er hier sagte, früher schon, nämlich in der Zeit, als er Regierungsverantwortung trug, so viel verwirklicht hätte, daß die Politik heute einfacher wäre.
— Ich weiß, daß Sie das stört, aber das, was ich weiter sage, wird Sie gleich noch wesentlich mehr stören. — In der Begründung zu Ihrem Antrag sprechen Sie von einer sich ständig verschärfenden Umweltkrise und von einer Beschäftigungskrise. Die Haushaltsdebatte hat ja schon deutlich gemacht, daß Sie Schwarzmalerei betreiben. Wir erleben von Ihnen eine Neuauflage der marxistischen Verelendungstheorie.
— Das ist keine Phantasie, das ist doch die Realität. Herr Roth, wenn Sie aber schon marxistisch vorgehen, dann doch bitte richtig: Dann bestimmt das Sein das Bewußtsein und nicht das Bewußtsein das Sein. Das heißt in meinem schlichten Deutsch — um es deutlich zu sagen —: Ihre Vorurteile verändern das Bild dieser Bundesrepublik nicht.
Wie sehen die Fakten aus? Unbestritten ist, daß im Umweltschutz noch viel zu tun bleibt — das ist klar —, aber unbestritten ist auch, daß wir Erfolge im Umweltschutz aufzuweisen haben. Wir haben
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8015
Dr. Lippold
eine Verminderung der Emissionen bei Stickoxiden, beim Schwefeldioxid und bei der Staubemission. Das ist doch der Punkt. Das dürfen Sie ruhig offen sagen.
Ich halte es für unehrlich, wenn Sie hier kritisieren,
wo andererseits Ihre Länderminister z. B. in ihren Umweltberichten Erfolgsmeldungen vorlegen, wenn Sie von einer ständig sich verschlechternden Krise reden und auf Seite 3 Ihres Antrags, zwei Schreibmaschinenseiten später, von den Erfolgen berichten, die im Umweltschutz bereits auf den verschiedensten Gebieten erzielt worden sind. Das ist unehrlich. So sollten wir nicht arbeiten.
Das andere ist, meine Damen und Herren: Sie haben von der Beschäftigungskrise gesprochen. Hier ist sicherlich noch eine ganze Menge zu tun. Aber daß ausgerechnet Sie das hier anmerken, unter deren Regierungsverantwortung die Arbeitslosenzahl um 1 700 % gestiegen ist, das ist doch wohl ehrlich nicht verantwortbar. Da müßten Sie zunächst mit dem Finger auf sich selbst zeigen.
— Nein, im Moment nicht. — Ich glaube, daß wir hier festhalten können, daß wir in der Beschäftigungspolitik sicherlich nicht über Nacht diese Verschlimmerung, die Sie herbeigeführt haben, wenden konnten. Aber wir haben Erfolge erzielt. Wenn jetzt von einer Wende auf dem Arbeitsmarkt die Rede ist, dann sagen das nicht wir,
sondern das steht in der Kommentierung zu den jüngsten Arbeitsmarktzahlen in der „Kölnischen Rundschau". Das ist mit Sicherheit kein Parteiorgan von uns. Deshalb können Sie davon sicherlich einiges annehmen.
Wir sind froh, daß z. B. bei der Jugendarbeitslosigkeit Erfolge zu verzeichnen sind.
Das gleiche gilt für die Kurzarbeiterzahlen. Das ist deutlich zu sehen. Nur wollen Sie nicht wahrhaben, was Ihnen Sachverständigenrat, Wissenschaft, internationale Institutionen sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Meine sehr geehrten Damen und Herren, erfolgreiche Politik kann weder engstirnig noch dogmatisch noch ideologisch noch besserwisserisch betrieben werden. Wir wollen die erfolgreiche Politik der Bundesregierung fortsetzen. Deshalb gehen wir ganz nüchtern an die Frage heran: Ist Ihr Antrag hilfreich? Stellt er vielleicht sogar ein Patentrezept dar, das uns zu
schnelleren Lösungen verhilft? Hier sind wir ganz nüchtern.
Eine gewisse Skepsis — das sagen wir allerdings ganz offen — läßt sich nicht leugnen. Denn die Steigerung der Arbeitslosigkeit unter Ihrer Verantwortung um 1 700% konnte durch eine ganze Reihe von Konjunktur-, Beschäftigungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen nicht verhindert und nicht ins Gegenteil verkehrt werden. Trotzdem könnte das ein anderer Vorschlag sein. Ich sagte ja: Wir prüfen ihn.
Was schlagen Sie vor? Sie wollen Zuschläge auf Strom, Mineralölprodukte, Erdgas. Bezahlen sollen das letztlich Arbeiter, Angestellte, Rentner und auch die Wirtschaft. Sie lassen erst einmal alle zahlen. Diese Gelder kommen in den großen staatlichen Topf. Aus diesem sollen dann Investitionen zum Schutz der Umwelt getätigt werden, allerdings wohl nicht in vollem Umfang; denn die Verwaltungskosten gehen zunächst einmal ab. Sie wollen eine neue Bürokratie. Die Investitionen werden sicherlich auch nicht sofort getätigt. Es müssen erst Förderprogramme erstellt und Planungen gemacht und genehmigt werden. Am Ende steht dann irgendwann die Investition. Was Sie vorschlagen, ist im Endeffekt viel bürokratischer, als ich das jetzt in der kurzen Zeit darstellen kann, deshalb noch negativer.
Diese Investitionen, sagen Sie, schaffen 200 000 Arbeitsplätze. Dahn wollen Sie über Gebote, Verbote, Abgaben und Anreize, die Sie nur äußerst mangelhaft konkretisieren, weitere 200 000 Arbeitsplätze schaffen. Hier fehlt der Nachweis bereits im Ansatz, während Sie ihn im ersten Teil Ihres Antrags wenigstens noch versuchen.
Also prüfen wir jetzt den ersten Teil. Investitionen, sagen Sie, schaffen zusätzliche Arbeitsplätze. Lassen Sie mich dazu vorab eine Bemerkung machen. Wenn Ihr Rezept „Arbeit und Umwelt" so einfach ist, warum schaffen Sie damit nur 400 000 Arbeitsplätze? Das können Ihre hessischen Freunde viel besser. Auch die haben ein Programm „Arbeit und Umwelt". Das soll immerhin 720 000 Arbeitsplätze schaffen.
Nun ist nach meiner Meinung das Bessere immer der Feind des Guten. Warum diskutieren wir dann nicht über ein Programm, das 720 000 Arbeitsplätze schafft, an Stelle eines Programms, das nur 400 000 schafft?
Diese Frage müßten Sie sich eigentlich einmal vorlegen.
Zurück zur Prüfung: Ist Ihr Antrag sachlich fundiert? Was sagt der Sachverständigenrat hierzu? In seinem neuesten Gutachten weist er darauf hin, daß dem positiven Beschäftigungseffekt des Umweltschutzes auch negative Effekte gegenübergestellt werden müssen. In einfachen Worten heißt das: Man kann jede Mark nur einmal ausgeben. Gebe ich sie für Umweltschutz aus, schafft sie dort Arbeitsplätze — das ist unbestritten. Aber sie kann
8016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Lippold
dann weder in der Industrie noch im Einzelhandelsgeschäft noch in der alternativen Kneipe — die Sie jetzt in Hessen besonders zu fördern gedenken — zusätzlich ausgegeben werden. Das heißt, einem Mehr an Arbeit auf der einen Seite steht ein Weniger an Arbeit auf der anderen Seite gegenüber.
Nur die Differenz ist Mehrbeschäftigung. Die Wissenschaftler nennen das den Netto-Effekt.
Der Sachverständigenrat weist darüber hinaus auf folgendes hin — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Die Maßnahmen des Umweltschutzes verteuern, unveränderte Preise für Arbeit und alle anderen Produktionsfaktoren unterstellt, die Produktion in den unmittelbar und mittelbar betroffenen Bereichen. In den meisten empirischen Studien wird dieser Kosteneffekt ohne weiteres in einen Nachfrageeffekt umgedeutet. Danach führen die für Umweltschutz entstehenden Investitionsausgaben und sonstige Aufwendungen, soweit sie Arbeitsleistung abgelten, zu einer nachfragebedingt zusätzlichen Beschäftigung. Diese Sicht stellt in ihrer Einseitigkeit die Dinge offenbar auf den Kopf; denn ihr zufolge wären die Beschäftigungswirkungen des Umweltschutzes um so höher, je teurer und damit je ineffizienter er wäre.
Was ich damit sagen will, ist folgendes: Die Erwartungen, die Sie mit solchen Programmen wekken, sind zweifelsohne überzogen. Eine Steigerung der Beschäftigung konzedieren wir; aber die Größenordnung, die Sie erwarten, ist unrealistisch.
Das zweite: Die von Ihnen vorgesehenen wirtschaftslenkenden Maßnahmen führen zu Fehlinvestitionen und zu falschen Strukturen, mit denen wir die Zukunft nicht meistern.
Ich will dies ganz kurz belegen. Zum ersten Punkt gehe ich von einer Aussage des NRW-Arbeitsministers Farthmann aus, der Ihrer Couleur angehört. Er sagt:
Für die Umweltschutzindustrie bieten sich Chancen, die Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig bedeuten können, vielleicht in diesem Wirtschaftszweig sogar Vollbeschäftigung bringen.
Er sagt damit dreierlei: Er schränkt die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ein — nur in der Umweltschutzindustrie. Er spricht nur von möglichen Arbeitsplätzen und denkt dabei wiederum realistischer als Sie. Auch die Schaffung von Vollbeschäftigung konzentriert er auf diesen Bereich. Ich komme nachher noch darauf zurück.
Welche Bedeutung hat nun die Umweltschutzindustrie? Herr Hauff hat gerade von 350 000 Beschäftigten gesprochen. Ich will um die Zahlen nicht streiten. Meissner/Hödel gehen von 360 000 Beschäftigten aus, eine ältere IFO-Studie von 85 000, Batelle von etwa 130 000, eine neuere IFOStudie von ca. 200 000. Was besagt das? In diesem Zweig sind weniger als 1 % aller Beschäftigten tätig. Das macht deutlich, daß wir sehen müssen, wie relativ die Wirkungen sind, die hier erzielt werden können.
Diese Beschäftigten arbeiten — das muß man sehen — in Unternehmen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Bauindustrie, der Chemie und auch im Handel. Der Umweltmarkt — das will ich damit sagen — ist kein neuer Markt; denn diese Unternehmen haben schon lange bestanden, und zwar 50 % bereits vor 1950 und 80 % von ihnen bereits vor 1970. Damit wird deutlich: auch hier leider keine zusätzlichen Effekte, wie wir sie gern hätten, und schon gar nicht in dem Umfang, wie sie von Ihnen dargestellt werden.
Ich sage auch ganz deutlich: Die Studien zeigen, daß bedauerlicherweise der Export von Umweltgütern und Umwelttechnologien nicht so floriert, wie ich persönlich mir das wünschen würde. Ich sähe es gerne, wenn hier der Markt wäre, von dem Sie sprechen.
Selbst bei den Umweltgütern, die wir haben, ist die Exportquote geringer als bei den anderen Gütern, die von dieser Industrie selbst produziert werden.
Hier wird also meines Erachtens ein ganz deutlicher Akzent gesetzt.
Das heißt also: Umweltschutz kann einen Beitrag zur Beschäftigungssicherung leisten — das konzedieren wir —, aber in dem Umfang, den Sie hier darzustellen versuchen, ist es sicherlich überzogen. Dabei ist vor allen Dingen eines bedeutsam. Sie wecken falsche Erwartungen. Wenn Herr Farthmann im zweiten Teil seiner Aussage von Vollbeschäftigung spricht, geht er davon aus, daß die Formulierung „in der Umweltschutzindustrie" in Vergessenheit gerät und nur die Kurzformel „Umweltschutz schafft Vollbeschäftigung" bleibt, wie wir es vielfach in Diskussionen bei Ihnen erleben.
Im übrigen kritisieren nicht wir allein Sie. Die GRÜNEN — in diesem Punkt sind wir ausnahmsweise in der gleichen Richtung — kritisieren Ihr Programm, wenn ich es richtig sehe, als einen gigantisch angelegten Reparaturbetrieb.
So haben Sie es einmal verlautbart.
Ich sage ganz deutlich, daß der Akzent auch falsch gesetzt ist. Ihr Konzept dient im wesentlichen der Nachsorge, fördert End-of-the-pipe-Technologien und schafft eine Nachfrage nach additiver Umwelttechnik. Wo die SPD Filter zur Abluftreini-
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Dr. Lippold
gung einbauen will, wollen wir durch ein Vermeidungskonzept im vorhinein die Entstehung von Abluft verhindern oder reduzieren, und wo die SPD Abwasseranlagen bauen will, wollen wir das Entstehen von Abwasser vermeiden oder reduzieren.
Deshalb sind wir für eine Innovationsstrategie.
Jetzt sind wir sehr wohl, Herr Roth, bei den Perspektiven, die wir brauchen; denn diese Innovationsstrategie ist besser angelegt und macht langfristig additive Umweltindustrien überflüssig. Wir gehen diesen Weg zielstrebig und pragmatisch. Wir haben die Großfeuerungsanlagen-Verordnung geändert. Wir haben über Kooperationsvereinbarungen erreicht, daß hier mehr Schadstoffe reduziert werden. Wir novellieren das Bundes-Immissionsschutzgesetz und werden dort Kompensationslösungen vorsehen, die weitere Mittel und ihren effizienteren Einsatz für aktiven Umweltschutz möglich machen. Wir verschärfen die TA Luft. Wir schaffen auch — allerdings im vernünftigen Rahmen — ein Umweltinvestitionsprogramm, aber, wohlgemerkt, im vernünftigen Rahmen. Schließlich bringen wir das umweltfreundliche Auto und die Nachrüstung von Altwagen.
Damit wird folgendes deutlich: Dies alles wird dazu führen, daß wir eine Fülle von Belastungen für unsere Bevölkerung in Kauf nehmen müssen. Wir hoffen, daß die Bereitschaft bleibt, diesen Preis für Umweltschutz zu zahlen. Aber diese unsere Politik schafft Umweltschutz, ohne daß der Weg zu mehr Beschäftigung verbaut wird.
Ihr Antrag bietet gegenüber dieser Vorgehensweise keine Vorteile. Er ist deshalb auch kein Anlaß, unsere Strategie zu ändern. Für diese Strategie und für Ihre erfolgreiche Umsetzung — das muß ich Ihnen sagen — danken wir der Regierung und allen voran Innenminister Zimmermann ganz besonders.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, daß wir diese Debatte ein klein bißchen ruhiger abwickeln.
Bei Zitaten die Genehmigung des Präsidenten einzuholen — das ist schon wiederholt gesagt worden —, ist überflüssig. Das steht auch nirgends in der Geschäftsordnung. Im übrigen habe ich die Redner im Verdacht, sie wollen den Präsidenten als Zeugen mit einbinden für das, was dieser gar nicht kennt.
Wenn dann vom Präsidenten nicht widersprochen
wird, hat er also stillschweigend zugestimmt und
kann den Redner dann auch nicht mehr zur Ordnung rufen. Das wollen wir einmal endgültig abschaffen!
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort zu Herrn Lippold: Wenn Sie uns hier als Kronzeugen gegen die Vorschläge der SPD in der Umweltpolitik bemühen, dann kann ich nur sagen: Lassen Sie das lieber bleiben! Wer für einen Skandal wie Buschhaus Verantwortung trägt, der sollte sich hier zurückhalten, wenn es darum geht, andere in dieser Weise zu belehren.
Nun zum Thema Sondervermögen. Die rechte Seite des Hauses lasse ich aus der Betrachtungsweise einmal heraus. Ihnen über vernünftige Umweltpolitik etwas zu erzählen, hat nach den Erfahrungen, die wir gerade im letzten Jahr gemacht haben, wenig Sinn. Deswegen wende ich mich an die linke Seite des Hauses. Das Thema Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" erfordert aus der Sicht der GRÜNEN besondere Aufmerksamkeit. Denn daß die Umweltkrise ökologische Investitionen erforderlich macht, meine Damen und Herren, sagen wir seit Jahren; das vertreten wir seit Jahren. Was wir allerdings auch seit Jahren erleben müssen, jedenfalls seitdem wir hier sind, ist, daß unsere Vorschläge in diesem Bereich auch von Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, abgelehnt werden.
Aber es könnte auf den ersten Blick so scheinen, als ob das heute zur Diskussion stehende Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ein erster Versuch zur Korrektur in der Umweltpolitik ist. Schließlich beanspruchen Sie ja sogar, Umweltkrise, Beschäftigungskrise — — Herr Kollege Schäfer, vielleicht könnten Sie mir mitteilen, ob Sie ein Privatissimum mit dem Kollegen Fischer abhalten wollen, oder ob wir uns hier auseinandersetzen können.
Herr Abgeordneter Schäfer, ich hatte gebeten, daß wir diese Debatte als Kurzdebatte ordnungsgemäß durchführen.
Sie beanspruchen sogar, Umweltkrise, Beschäftigungskrise und Wachstumskrise in einem anzugehen. Aber, meine Damen und Herren, das ist nur der erste Blick.
8018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Kleinert
Was uns auf den zweiten Blick so skeptisch macht — Herr Roth, der eben hier so vorlaut dazwischengerufen hat, paßt auch nicht auf —,
ist die Integration Ihres Konzeptes zur Umweltsanierung. Sie stützen sich dabei auf aus dem Beginn der Wachstumskrise Mitte der siebziger Jahre stammende Rezepturen für eine Modernisierung der Volkswirtschaft.
— Daß Sie das nicht verstehen, ist mir klar. Sie sollten sich lieber auf das Fußballspiel heute mittag konzentrieren.
Das Ganze erscheint nun, etwas zeitgeistig eingefärbt, als ökologische Modernisierung der Volkswirtschaft. Der Kern der alten Modernisierungskonzeption war die Hoffnung, daß durch aktive Förderung von entsprechenden Technologien komplexere Investitionsgüter zum Träger einer neuen Weltmarktoffensive werden könnten und daß dadurch eine neue Wachstumsstrategie eingeleitet werden könnte. Nunmehr — und das ist der ganze Unterschied — soll die Umweltschutzindustrie Träger der neuen Exportoffensive sein. Das, meine Damen und Herren, verbirgt sich hinter Ihrer Vorstellung. Gegen diese Vorstellung lautet unser Haupteinwand: Die Verpflichtung der Umweltpolitik auf Wachstumsmechanismen und internationale Wettbewerbsfähigkeit bricht einer aktiven Umweltpolitik die Spitze ab und ist deshalb kein Beitrag zu einer Zurückdrängung der Mechanismen der ökologischen Zerstörung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Ich habe leider nur noch fünf Minuten, Herr Kollege Hauff, und durch die Unruhe auf allen Seiten des Hauses geht noch mehr Zeit verloren.
Ich möchte das kurz an drei Punkten erläutern.
Erstens. Die Orientierung am Gemeinlastprinzip ist ordnungspolitisch fragwürdig,
soweit mit dem Programm die Sanierung von Altlasten und zusätzliche Umweltinvestitionen durch die öffentliche Hand finanziert werden sollen. Sie ist darüber hinaus insoweit wirtschaftspolitisch fragwürdig, als das damit verbundene Vertrauen in die private Investitionsautonomie dem umweltpolitischen Problembestand unseres Erachtens nicht angemessen ist.
Zweitens. Die Gestaltung der Ausgabenseite des Programms ist absolut unzureichend. Das Gewähren von Zinszuschüssen reicht nicht aus, um die
gegenwärtige Investitionsschwäche zu überwinden.
Dies beweist auch die mangelnde Inanspruchnahme der Gelder, die schon gegenwärtig von der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Zinszuschüsse bei Umweltinvestitionen zur Verfügung gestellt werden.
Ferner gibt die geplante Abwicklung über den Bankenapparat und damit die Verpflichtung auf die hier üblichen betriebswirtschaftlichen Kriterien keine Garantie für die Berücksichtigung der jenseits davon liegenden gesamtwirtschaftlichen Kostensenkungs- und Produktivitätseffekte von Umweltinvestitionen.
Drittens. Die Finanzierungsseite des Programms schließlich ist unzureichend. Da die geplante Abgabe auf Strom-, Mineralöl- und Erdgasverbrauch mehr oder weniger alle Unternehmer trifft, wird mit einer Weiterwälzung dieser Abgaben auf die privaten Haushalte zu rechnen sein. Diese müssen also die direkt bei ihnen selbst erhobenen Abgaben und die indirekt in allen Warenpreisen versteckten Abgaben tragen, meine Damen und Herren. In diesem Programm werden nicht nur diese Kumulativwirkungen unterschätzt; ein Hauptverursacher der ökologischen Krise, die Unternehmen, werden von Umweltsanierungslasten befreit. Diese Umweltsanierungslasten werden ausnahmslos den privaten Haushalten auferlegt,
ohne daß für die Haushalte mit niedrigem Einkommen Ausgleichszahlungen vorgesehen wären, ohne daß z. B. energiesparende Konsumalternativen angeboten würden. Die Bekämpfung der Umweltzerstörung — das möchte ich hier sehr deutlich sagen — darf nicht auf Kosten sozialer Umverteilung gehen.
Ich fasse zusammen: Das vorgeschlagene SPDProgramm ist ein Programm zur marktwirtschaftlichen Privatisierung der Umweltsicherung und zur Sozialisierung der Umweltkosten. Und dieser Art von Umweltpolitik können wir GRÜNEN unsere Zustimmung nicht geben.
Für uns ist die ökologische Sicherung dagegen eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie bedarf durchgängig der gesellschaftlichen Regelung, d. h. auch einer massiven Beeinflussung der Marktkräfte. Oberste Priorität hat dabei das Verursacherprinzip. Das bedeutet konkret die Verschärfung der umweltpolitischen gesetzlichen Normen, die Effektivierung der staatlichen Kontrolle zu ihrer Einhaltung. Das heißt auch, jenseits des staatlichen Bereichs, die Stärkung des betrieblichen Umweltschutzbeauftragten gegenüber der Betriebsleitung und die Er-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8019
Kleinert
weiterung der Einflußmöglichkeiten von Bürgerinitiativen.
Der Einbau von umweltsichernden Anreizen in das Steuersystem — ich nenne etwa die Einführung einer Energie- und Rohstoffsteuer, einer Bruttowertschöpfungssteuer und diverser Schadstoffabgaben — müßte über entsprechende Preisvorschriften so ausgestaltet werden, daß diese Steuern und Abgaben auch vom Unternehmer getragen werden müßten. Sie wären durch Mindesteinkommensgarantien für die privaten Haushalte zu flankieren.
Insbesondere zur Beseitigung der akuten Schäden und als erster Einstieg in eine ökologische Wirtschaftsweise ist ein ökologisches Investitionsprogramm erforderlich. Herr Kollege Roth, wenn Sie vorhin dazwischengerufen haben, wir hätten dazu noch nie etwas vorgelegt, dann darf ich Sie nur an die letzte Woche erinnern. Da hatten wir hier die Haushaltsdebatte, und Sie konnten sich mit dem Entgiftungsprogramm befassen, das wir im Rahmen der Haushaltsdebatte hier eingebracht hatten. Sie hätten sich auch mit den Kürzungsvorschlägen bei ökologisch fragwürdigen Großprojekten und dem Militärhaushalt befassen können, die unseres Erachtens ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten für ein derartiges Programm eröffnen würden. Insofern ist es einfach falsch, wenn hier behauptet wird, wir GRÜNEN hätten in diesem Bereich nichts vorgelegt. Das Gegenteil davon ist richtig.
Die Ablehnung unserer Anträge durch die hier wohldotierte CDU/CSU-FDP-Mehrheit hat uns nicht überrascht. Überrascht hat uns allerdings, meine Damen und Herren von der SPD, die Ablehnung durch Ihre Vertreter, zumal staatliche Investitionsprogramme und indirekte Investitionsförderung in diesem Bereich ja nun weiß Gott noch keine Systemveränderung sind und eigentlich auch für die aufgeklärten Keynesianer bei Ihnen durchaus nachvollziehbar sein müßten. Insofern ist mir Ihre Haltung völlig unverständlich.
Ich komme endgültig zum Schluß. Die Lösung der ökologischen Krise ist nur durch Preisgabe der Wachstumsgläubigkeit möglich. Notwendig ist eine gesellschaftlich kontrollierte Entwicklung in den verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft, die den Mut zum Umbau von umweltzerstörerischen Industriezweigen einschließt, auch wenn sie auf Grund fehlender ökologischer Kostenrechnung betriebswirtschaftlich rentabel arbeiten. Insofern muß ökologische Politik auch immer über marktwirtschaftliche Steuerung hinausgehen; insofern Umbau der Industriegesellschaft, Umbau der Wirtschaft, Einstieg in eine ökologische Wirtschaftsweise; das ist unsere Alternative.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haussmann.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP begrüßt die Debatte, und der sozialdemokratischen Fraktion gebührt Dank dafür, daß sie das Thema Umwelt und Arbeitsplätze hier in die Debatte eingeführt hat. Wir glauben in der Tat, daß es im Moment innenpolitisch nichts Wichtigeres gibt, als eine stärkere Verzahnung zwischen Ökonomie und Ökologie, also zwischen Arbeitsplätzen und Umweltschutz herbeizuführen. Wir befinden uns hier in sehr guter Gesellschaft mit dem Sachverständigenrat, der zu diesem Thema — ich bitte um Zustimmung zu einem Zitat —
folgendes festgestellt hat: Wirtschaftliches Wachstum und Umweltschutz sind nicht im Widerspruch zueinander. Noch weniger gilt dies für Umweltschutz und hohen Beschäftigungsstand. Das Gegenteil kann richtig sein. Allerdings kommt alles auf die Bedingungen an. — Es ist der entscheidende Punkt in unserer Debatte, daß es jetzt um die besseren Instrumente geht.
Wir finden daher drei große, gravierende Nachteile an dem Vorschlag der Sozialdemokraten, Umweltschutz durch staatliche Kreditprogramme voranzubringen. Erstens — Herr Hauff, das haben Sie hier auch nicht widerlegen können — verlassen Sie das direkte Verursacherprinzip.
Sie finanzieren indirekt um; indem Sie sich — da haben die GRÜNEN recht — dem Gemeinlastprinzip zuwenden, verwischt man die direkten Verantwortlichkeiten im Umweltschutz.
— Ich habe leider keine Zeit.
Zweitens. Die Finanzierung wird nach altbewährter sozialdemokratischer Art über den einzelnen gemacht.
— Herr Hauff, Sie können mir nicht klarmachen, wieso für Umweltschäden im Luftbereich und in anderen Bereichen nur die Verbraucher von Energie bezahlen müssen. Wieso müssen da Arbeitnehmer bezahlen?
— Es ist keine direkte Finanzierung. Es ist so, weil Sie Ihr ganzes Programm über höhere Energieabgaben finanzieren.
— Gut, wenn Sie es über die Ergänzungsabgabe machen,
8020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Haussmann
dann müssen Sie das auch in Ihren Antrag hineinschreiben. Jedenfalls will das Herr Biedenkopf so, was wir ebenfalls ablehnen.
Herr Abgeordneter Haussmann, darf ich noch einmal bitten.
— Herr Kollege Hauff, es kommt noch der Abgeordnete Roth aus Ihrer Fraktion zu Wort.
Er kann all das, was Sie, weil Sie keine Redezeit mehr haben, nicht mehr sagen können, hier unterbringen, und zwar eindrucksvoll,
ungestört für alle.
Vielen Dank, Herr Präsident! Den Oberbürgermeisterkandidaten von Frankfurt zeichnet seine Lautstärke, aber nicht so sehr seine Sachkenntnis in diesem Punkt aus.
Drittens. Wir lehnen genauso den Vorschlag von Herrn Professor Biedenkopf ab, der durch eine Ergänzungsabgabe versucht, einen Umweltfonds einzurichten. Auch dies halten wir für eine Umwegfinanzierung, die wir ablehnen.
Weiter: Wir glauben, daß durch diese indirekte Umwegfinanzierung der Anreiz zu direkten marktwirtschaftlichen Elementen der Umweltpolitik verstellt ist. Unsere Alternative ist daher die ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft.
— Ja! Das heißt, wir wollen nicht nachträglich sanieren, sondern wir wollen in unser Wirtschaftssystem vorsorglich Wettbewerbselemente einführen, die im Vorfeld — das ist auch hier gesagt worden — Umweltschutz betreiben. Umweltgüter wie reine Luft, sauberes Wasser müssen nach dem Verursacherprinzip Kostenfaktoren unserer Wirtschaft sein. Sie dürfen nicht nachträglich durch indirekte staatliche Maßnahmen finanziert werden.
Wir glauben, daß das derzeitige System der Umweltpolitik mehr marktwirtschaftliche Elemente braucht. Es bietet zu wenig direkte ökonomische Anreize, sparsam mit der Natur umzugehen. Wir glauben, daß wir durch die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft zu einer ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft vorbildliches, über die vorherrschenden dirigistischen Umweltauflagen hinausgehendes Verhalten direkt prämieren müssen.
Es muß nicht über ein staatlich finanziertes Programm, sondern am Markt direkte Anreize für die technologisch bessere Umweltmaßnahme geben,
die über den jetzigen Stand der Technik hinausgeht. Das schaffen Sie nicht über eine umständliche staatliche Umwegfinanzierung, Herr Hauff, sondern Sie können es nur durch eine aktuelle wirtschaftspolitische Debatte über die Kompensationslösung, durch eine Diskussion über Lizenzen und über Gutschriften für einzelne Firmen, die über den technischen Stand hinausgehen, erreichen. Dazu gibt es in Ihrem Programm keinen direkten Vorschlag.
Fazit aus unserer Sicht: Nur die ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft schafft durch direkte Marktanreize einen Anreiz zur technologisch besseren Lösung. Eine umständliche staatliche Umwegfinanzierung kostet zusätzliches Geld durch Bürokratie, das dem Umweltschutz verlorengeht.
Ich möchte ebenfalls mit einem Zitat des Sachverständigenrats schließen, das unsere Position exakt wiedergibt:
Eine kurstreue marktwirtschaftliche Umweltschutzpolitik, dem Bürger durchschaubar und damit einsichtig gemacht, trägt nicht nur zur allseits gewünschten Verbesserung der Umweltqualität bei, sondern im Nebenergebnis auch zur Minderung unserer Beschäftigungsprobleme, und zwar mehr, als steuerfinanzierte oder kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme für den Umweltschutz es vermöchten.
Also das Fazit: Nur durch den direkten Einbau von marktwirtschaftlichen Elementen haben wir eine direktere, billigere, effizientere Umweltpolitik; kreditfinanzierte Programme bringen sowohl der Umwelt als auch der Beschäftigung weniger.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Konkretes für unsere natürliche Umwelt mit zahlreichen positiven und sich positiv auf die Beschäftigungslage auswirkenden Impulsen geleistet. Ich will hier wenige Beispiele nennen.
Erstens. Allein mit der von der Bundesregierung 1983 auf den Weg gebrachten Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird ein Investitionsschub von mehr als 18 Milliarden DM ausgelöst. Allein durch diese Verordnung werden nach den letzten vorliegenden Schätzungen mehr als 47 000 Arbeitsplätze geschaffen bzw. zusätzlich ausgelastet werden. Ich finde, das ist ein Beispiel, an dem wir sehen können, wie durch neue Technologien und technologische Impulse, die wir mit unseren Initiativen vom politischen Raum her geben, in der Tat Arbeits-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8021
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
plätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ich finde, dafür brauchen wir keine Umwegfinanzierungen der SPD, wie sie Herr Haussmann hier gerade angesprochen hat.
Zweitens. Auf Grund der konsequenten, am marktwirtschaftlichen Verursacherprinzip ausgerichteten Umweltpolitik der Bundesregierung entwickelt sich eine leistungsfähige, exportkräftige Umweltschutzindustrie. Diese Umweltschutzindustrie ist, so finde ich, geradezu ein Musterbeispiel für die Überlegenheit der Marktwirtschaft auch in diesem Bereich. Wir sollten es hier heute alle begrüßen, daß die Initiativen, die wir hier im Hause für den Umweltschutz ergreifen, die kreativen Kräfte der Wirtschaft geradezu herausfordern, neue Technologien anzuwenden und damit Arbeitsplätze zu sichern. Das ist ein sehr gutes Verfahren.
Ich will hier auch einige Zahlen nennen, Herr Kollege Hauff; ich habe sie mir eben noch einmal geben lassen. Die Umsätze liegen im Augenblick bei mindestens 16 Milliarden bis 18 Milliarden DM pro Jahr mit wachsenden Steigerungsraten allein in diesem Bereich. Die Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen die Zahl der Menschen, die insgesamt durch Umweltschutz beschäftigt sind, schon heute auf mehr als 400 000. Das ist eine ganz wichtige Sache, und sie zeigt, Herr Kollege Hauff, daß die vielfältigen marktwirtschaftlichen Instrumente, die wir angeregt haben, schon jetzt ihre positive Wirkung auf die Sicherung der Arbeitsplätze zeigen.
Dabei sind in dieser genannten Zahl die Wirkungen etwa der Großfeuerungsanlagen-Verordnung noch gar nicht völlig eingeschlossen.
Heute haben wir ja wieder die wichtigen Beratungen in Brüssel wegen des umweltfreundlichen Autos. Wenn es uns gelingt, die vielfältigen Initiativen zur Einführung neuer Technologien auch im Blick auf das Auto in die Tat umzusetzen, dann wird dies für die deutsche Automobilwirtschaft und auch für den Export der Automobilbranche einen zusätzlichen kräftigen Impuls — auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze — geben. Ich finde, das ist eine ganz wichtige technologische Entwicklung.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch ein wichtiges Instrument nennen, das ja gerade diese Bundesregierung immer wieder unter dem Stichwort der marktwirtschaftlich orientierten Umweltschutzförderung ins Feld führt. Es ist der § 7d des Einkommensteuergesetzes. Danach wird die Möglichkeit der Förderung von wichtigen Investitionen in diesem Bereich gegeben. Ich will hier gerne folgendes sagen. Wir sollten doch hier ganz offen Bilanz ziehen. Was sind denn die Erfahrungen mit Staatsprogrammen? Staatsprogramme zur Finanzierung bestimmter Dinge führen doch immer leicht zu einem Stop-and-go-System. Da wird die Erwartung genährt: Vielleicht bekomme ich einen
Zuschuß vom Staat. Zunächst werden die Initiativen dann zurückgestellt. Herr Kollege Hauff, das sollten Sie wirklich bedenken. Viele Erfahrungen sprechen dafür, daß dann, wenn wir Erwartungen nähren, über neue bürokratische Programme Geld zu verteilen, die Privatinitiative zumindest zurückgestellt, wenn nicht gelähmt wird. Dies sollten wir nicht herbeiführen.
Ich fasse zusammen; denn wir hatten uns darauf geeinigt, daß ein wichtiger Bereich vom Wirtschaftsministerium — hier durch Kollegen Bangemann — dargestellt wird. Immer neue Staatsprogramme verunsichern nur. Manches an eigener Initiative wird sogar aufgehalten, weil die Erwartung auf Staatsdotation genährt wird. Die Bundesregierung setzt bei dem wichtigen Aufgabengebiet Arbeit und Umwelt auf die bewährten Elemente der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie Kollege Haussmann, wie sie Sprecher meiner Fraktion hier dargestellt haben.
Ich bin sicher, daß wir mit diesen wichtigen Elementen eines deutlich machen werden: Umweltschutz ist kein Arbeitsplatzkiller, sondern zusammen mit den Methoden der Sozialen Marktwirtschaft ein wesentliches Element zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur Schaffung neuer zukunftsweisender Arbeitsplätze für unsere Mitbürger.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen der Redner der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung machen deutlich, daß man hier eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion zu einem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" verweigert. Man ist sich der Dramatik der Massenarbeitslosigkeit und der Umweltkrise offenbar nicht bewußt.
Die schlichte Antwort auf diese Frage, die Marktwirtschaft werde es schon richten — das war ja der Kern der Ausführungen des Herrn Staatssekretärs soeben —, geht an der Wirklichkeit der Situation doch schnurstracks vorbei.
Meine Damen und Herren, im Grunde gibt es eine historische Parallele zur gegenwärtigen Situation: So wie die Wohnungsnot und die Aufbaunot nach dem Zweiten Weltkrieg nicht allein durch marktwirtschaftliche Prinzipien, sondern durch ein wirksames, positives Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Staat zu beseitigen waren, so werden die Umweltkrise und die Beschäftigungskrise der 80er Jahre nur durch ein Zusammenspiel zwischen Staat und Wirtschaft, nicht aber durch ein Trennen dieser beiden Bereiche zu bewältigen sein.
8022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Roth
Das Waldsterben zu stoppen, die Verschmutzung der Meere und Gewässer zu beenden, unsere Nahrungsmittel und Böden zu entgiften, Pflanzen und Tierarten vor einer weiteren Ausrottung zu retten — das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, so wie es der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube aber auch, daß die Partei DIE GRÜNEN der Herausforderung nicht gerecht wird.
Meines Erachtens schwingt in allen Aussagen eine Ausstiegshaltung gegenüber unserer Industriegesellschaft mit.
Wir wollen die ökologische Sanierung unserer Industriegesellschaft und laufen vor den Problemen dieser Industriegesellschaft nicht weg. Die alte Last — und darum handelt es sich, Herr Kleinert — auf unserer Umwelt, die in den letzten Jahrzehnten auf sie gelegt wurde, können Sie nicht anders als durch ein Sondervermögen, als durch eine staatliche, als durch eine Fonds-Aktivität beseitigen. Da können Sie keine Verursacher mehr feststellen; die gibt es in der Regel schon gar nicht mehr.
Das heißt: Hier unterscheiden wir uns von den Konservativen, von den Rechtsparteien und ihrer Hoffnung, ein naturwüchsiger Wirtschaftsprozeß werde die Probleme automatisch irgendwie lösen. Wir unterscheiden uns auch von der Partei DIE GRÜNEN und ihrer Vorstellung, man könne die Sache ganz neu anfangen. Nein, wir müssen uns den Herausforderungen der Geschichte stellen.
Herr Hauff hat schon dargestellt, daß es auch um eine ökologische Modernisierung insgesamt geht. Wir haben die Chance, mit der Natur, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen. So wie früher schon mit Kapital und Arbeit sparsam umgegangen worden ist, wird, meine Damen und Herren, in der Zukunft mit der Natur sparsam und sorgsam umgegangen werden müssen.
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Ja, bitte schön. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege Roth, wenn ich einmal unterstelle, daß Sie bei dem, was ich hier vorgetragen habe, sehr genau zugehört haben, und wenn ich weiter unterstelle, daß Sie dann mitbekommn haben dürften, daß die Kritik, die wir an Ihrem Vorschlag in erster Linie zu üben haben, eine Kritik ist, die sehr genau auf Differenzen im Detail abhebt, dann verstehe ich nicht, Herr Roth, weshalb Ihre Fraktion gegenüber unserem Entgiftungsprogramm, das wir in den Haushaltsberatungen vorgeschlagen haben, eine derart ablehnende Haltung eingenommen hat. Vielleicht könnten Sie hierzu auch einmal zwei Sätze sagen.
Herr Kleinert, ich komme auf den Kern Ihrer Ausführungen. Der Kern Ihrer Ausführungen war: Verursacherprinzip und nicht Gemeinlastprinzip. Meine Antwort auf diesen Kern Ihrer Ausführungen ist folgende: Die alte Last auf der Umwelt, das, was schon zerstört ist, stellt den Kernpunkt unseres Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" dar. Diese alte Last können Sie nur auf dem Wege über das Gemeinlastprinzip und einen Fonds beseitigen.
Exakt dort, wo Sie sich mit der Industriegesellschaft insgesamt auseinandersetzen, ist ja der philosophische Bruch Ihrer ganzen Argumentation, der ganzen Argumentation der Partei DIE GRÜNEN. Sie stellen sich nicht diesen Aufgaben, die 150 Jahre Industriegesellschaft uns aufgelastet haben. Sie stellen sich diesen Aufgaben nicht, sondern Sie flüchten vor ihnen. Das ist der Punkt.
Wie gesagt: In den Ausführungen von Herrn Hauff wurde klar, daß das nicht etwa die Ablehnung des Verursacherprinzips ist. Im Gegenteil, das Verursacherprinzip wird die Lösungsmöglichkeit der Umweltpolitik der Zukunft sein. Aber für das, was repariert werden muß, was eingedämmt werden muß, was schon an Zerstörungen vorhanden ist, ist unser Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" notwendig.
Übrigens ist es verwaltungsmäßig auch gar nicht komplizierter als die ganzen Programme des ERPSondervermögens. Wenn der Herr Staatssekretär gerade behauptete, es sei so, daß dies bürokratische Elemente enthielte, dann muß er im Grunde auch das ERP-Sondervermögen und den Wohnungsbau der 50er Jahre nachträglich ablehnen.
Wir sehen es als eine Folge unseres Vorschlags an, daß zwischenzeitlich auf Initiative des Bundesinnenministers bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei der Lastenausgleichsbank ein Miniaturprogramm aufgelegt wurde. Wenn der Grundgedanke so falsch ist, wie er hier gerade bezeichnet wurde, dann frage ich mich, warum der abwesende Umweltminister Zimmermann unser Programm in Miniaturausgabe nachgeäfft hat. Das frage ich mich nun wirklich.
Übrigens, Herr Wirtschaftsminister: Ich habe gerade heute früh von Ihnen ein längeres Gespräch im „Handelsblatt" gelesen, in dem Sie das Programm kritisieren und sagen, das setze nicht an den Preisen an. Wenn Sie den Finanzierungsteil unseres Programms sehen, dann werden Sie feststellen, daß es exakt an den Energiepreisen ansetzt und
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8023
Roth
versucht, hier sparsames Verhalten zu erzwingen. Das ist die Wahrheit.
Es ist insoweit marktwirtschaftlich und nichts anderes.
Mit unserem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, und zwar in einer relativ kurzen Phase von 10 bis 15 Jahren die Umweltlasten zu beseitigen, die auf uns lagern. Wir möchten das mit attraktiven Kreditprogrammen tun, die Investitionschancen ermöglichen.
Um weitere Mißverständnisse für diesen Bereich zu vermeiden, möchte ich ein paar Sätze zur praktischen Funktionsweise des Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" sagen. Ein Unternehmen beispielsweise, das heute bei der Erweiterung oder Erneuerung seiner Betriebsstätten bereit ist, mehr für den Umweltschutz zu tun, als es verpflichtet wäre, oder das Altschäden beseitigt, kann Hilfen aus dem Sondervermögen erhalten. Es beantragt bei seiner Hausbank einen Investitionskredit. Dem Kreditantrag wird eine gutachtliche Stellungnahme beigefügt, in der die ökologische Notwendigkeit festgestellt wird.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, bei der das Sondervermögen eingerichtet wird, und die Hausbank überprüfen dann gemeinsam den Antrag. Wenn der Antrag der Aufgabenstellung entspricht, wird der Kredit mit einer entsprechenden Zinsverbilligung bewilligt. Das Bewilligungsverfahren ist genauso kompliziert oder unkompliziert, wie wir es bisher in allen Programmen gehabt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist kein Konjunkturprogramm, sondern es ist ein mittelfristiges Wachstumsprogramm, das ganz stetig gefahren wird, das ganz stetige Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft schafft.
Das heißt, es setzt nicht an Konjunkturproblemen an, sondern versucht, einen qualitativen Wachstumsprozeß zu stärken und zu stabilisieren.
Übrigens: Hauptabnehmer des Programms wären Gemeinden und Gemeindeverbände, die hier langfristige Daten und nicht etwa kurzfristige Sonderprogramme vorgesetzt bekämen, wie Sie es beispielsweise 1982 im Wohnungsbau gemacht haben. Das ist doch die Wahrheit.
Mit einer Gesamtlaufzeit von 20 Jahren wird auch deutlich, daß das mit Konjunktur überhaupt nichts zu tun hat.
Ich würde zum jetzigen Zeitpunkt — um das ganz klar zu sagen — kurzfristige Konjunkturausgaben-programme ablehnen.
Wir haben eine Strukturkrise am Arbeitsmarkt und nicht eine Konjunkturkrise. Darüber besteht Einigkeit. Das ist doch ganz selbstverständlich.
Lassen Sie mich ein weiteres Vorurteil ausräumen: Umweltschutz koste Arbeitsplätze. Das ist ja auch angeklungen. Ich war nun allerdings erstaunt über den starken Widerspruch zwischen der Aussage des Herrn Redners der CDU/CSU-Fraktion und des Herrn Staatssekretärs. Der eine war bei eher 100 000 Arbeitsplätzen im Umweltsektor und der andere bei 400 000. Ich halte es mit der größeren Zahl und sage: Weitere 400 000 wären in unserem Lande möglich.
Natürlich gibt es auch die Chance, mit diesem Programm neue Märkte zu erschließen. Wir würden bei der Markteinführung von umweltorientierten Produkten mithelfen. Das ersetzt nicht die Investitionsinitiative der Unternehmen, sondern das fördert jene, die mehr Risiko zu tragen bereit sind. Und das ist in Ordnung. Der Staat sollte — das tut er weltweit — im Risikobereich stützend helfen; er sollte dem, der erneuert, ein Stück mehr Hilfe geben als dem anderen.
Neue Arbeitsplätze werden aber nicht nur in den Umweltindustrien im engeren Sinne geschaffen. Vor allem im Baugewerbe würden Arbeitsplätze gesichert und könnten neue entstehen; denn zwei Drittel aller Investitionen auf Grund unseres Sondervermögens würden auf den Bausektor entfallen. Sie wissen alle, 120 000 Bauarbeiter sind zur Zeit arbeitslos. Wir alle kennen die besorgniserregende Situation, die in diesem Winter bevorsteht. Die Bauindustrie erwartet, daß in den nächsten Monaten weitere 150 000 Menschen arbeitslos werden.
Und Sie lehnen neue Initiativen für diesen Sektor ab! Ich halte das für unglaublich.
Zum Schluß ein paar Worte zur Finanzierung. Wir wissen — im Gegensatz zu anderen —, daß Umweltschutz Geld kostet. Und, meine Damen und Herren von der Partei DIE GRÜNEN, nehmen Sie es mir nicht übel: Es ist Roßtäuscherei, wenn Sie so tun, als wäre das Verursacherprinzip so, daß der Kapitalist es bezahlt, und als wäre die andere Finanzierung so, als bezahle das der Steuerzahler oder der Konsument.
Das ist doch überhaupt nicht wahr. Natürlich endet das Verursacherprinzip logischerweise in höheren Produktpreisen. Was denn sonst?
8024 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Roth
Dieser Struktureffekt ist auch erwünscht und notwendig.
Er ist die sinnvolle marktwirtschaftliche Steuerung über den Produktpreis. Das ist doch selbstverständlich.
Wir haben für unser Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ein klares Finanzierungsprogramm vorgelegt.
Wir sagen, daß wir für den expansiven Effekt des Programmes Kreditfinanzierung der Investitionen brauchen. Was denn sonst?
Wenn man das allein aus Steuermitteln bezahlte, wären der Effekt des Entzugs aus dem Wirtschaftskreislauf und der positive Effekt gleich stark, und wir hätten keinen Arbeitsmarkteffekt.
Wir wollen die Schuldenproblematik dadurch verhindern, daß die Kapitalkosten, Zinsen und Zinseszinsen — alles das, was im Programmzeitraum aufläuft —, durch eine Umweltabgabe, durch einen Zuschlag zu den Energiepreisen finanziert wird.
Das heißt, wir haben eine Finanzierung, die solide ist, die die Zinsklemme des Staates verhindert,
die die Probleme der Kreditfinanzierung der vergangenen Jahre vermeiden wird. Wir haben hierfür eine Umweltabgabe vorgesehen. Wir wollen einen Aufschlag auf den Verbrauch von Energie, Strom, Mineralölprodukten und Erdgas erheben.
Wir wollen diesen Zuschlag auch deshalb, weil er selbst unmittelbare positive Umweltwirkungen hat. Höhere Energiepreise führen zum Sparen, führen übrigens auch zur Verbesserung der Leistungsbilanz.
Wir halten diese Opfer für tragbar. Nach unseren Berechnungen — die übrigens bestätigt worden sind — betrüge die zusätzliche Haushaltsbelastung zwischen 4,50 DM und 10,50 DM im Monat. Meines Erachtens sollte uns das die Umweltsanierung wert sein.
Meine Damen und Herren, wir hätten einen Beschäftigungseffekt von 400 000 Menschen. Das Sozialprodukt könnte um 2 % dauerhaft stärker anwachsen. Das ist eine Antwort auf die Beschäftigungskrise und die Umweltkrise.
Meine Bitte wäre, daß Sie, da die Angelegenheit in die Ausschüsse überwiesen wird, die Denkpause in den Ausschüssen nützen, um ein Stück mehr positive Einstellung zu diesen Ideen zu gewinnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung. Herr Kollege Roth, Sie haben beklagt, daß der Umweltminister — das ist übrigens die passende Eigenschaft, die Sie Herrn Zimmermann hier beimessen — nicht hier sei. Herr Zimmermann ist im EGMinisterrat für Umweltfragen in Brüssel. Ich denke, es ist wichtig, daß wir unsere europäische Vorreiterrolle in Sachen Umweltschutz in Brüssel beibehalten und daß er dort ist, um dort das durchzusetzen, wo andere noch blockieren.
Herr Roth, Sie haben vorhin beklagt, daß man sich gar nicht mit Ihrem Antrag beschäftige. Ich will das gern tun. Ihr wichtigster Punkt aus Ihrem Antrag ist doch der vorletzte Satz, in dem Sie nicht mehr und nicht weniger ankündigen, fordern, beantragen als die Einführung einer neuen Steuer, nämlich einer Energiesteuer. Unter dem freundlichen Titel „Arbeit und Umwelt" wollen Sie den Weg in den Abgaben- und Umverteilungsstaat fortsetzen und das Ganze mit dem Mäntelchen Umwelt hier verkleiden. Nach Waldpfennig, Schadstoffabgabe jetzt eine weitere, neue zusätzliche Steuer.
Konkrete Umweltpolitik können Sie damit nicht bewirken, vor allem deshalb nicht — und damit möchte ich mich gerne auseinandersetzen —, weil Sie entgegen den Beteuerungen von Herrn Hauff damit eben doch entscheidend das Verursacherprinzip verlassen. Wir haben sicher darin Übereinstimmung, daß das Verursacherprinzip das wichtigste in der Umweltpolitik bleiben muß, um an der Quelle, beim Verursacher Umweltbelastungen abzubauen.
Natürlich ist auch das Gemeinlastprinzip, etwa bei Altlasten, dort, wo kein Verursacher zu ermitteln ist, in der Umweltpolitik notwendig. Sie aber setzen dort, wo durchaus der Verursacher vorhanden ist, wo Sie den Verursacher heranziehen können, das Gemeinlastprinzip an. Das will ich Ihnen gern an Ihrem Antrag beweisen. In der Ziffer II 4 sagen Sie, daß Sie mit Ihrem Sondervermögen bei den Maßnahmen der Luftreinhaltung die beschleunigte Sanierung alter Feuerungsanlagen finanzieren wollen. Also wer diese Feuerungsanlagen betreibt, das weiß man; da kennt man den Verursacher. Da sind wir für die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips, meine Damen und Herren. Sie sagen: Da wollen wir, zumindest finanziell, den Verursacher teilweise aus der Verantwortung entlassen. Sie laufen damit, meine Damen und Herren von der SPD, gerade der in diesem Bereich besonders erfolgreichen Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung hinterher. Der Herr Farthmann erklärt öffentlich: Auch in Nordrhein-Westfalen greift die Großfeue-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8025
Dr. Göhner
rungsanlagen-Verordnung, greift die Luftreinhaltepolitik. Er sagt, 15 Milliarden DM werden allein in Nordrhein-Westfalen in der Kraftwerkswirtschaft an Umweltschutzinvestitionen veranlaßt. Da brauchen wir nicht Ihren Antrag. Da haben wir die konkreten Schritte der Bundesregierung, wo diese Investitionen bereits in Gang gesetzt worden sind, bereits beschäftigungspolitische Auswirkungen vorhanden sind.
Herr Abgeordneter Dr. Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wenn das alles so klar ist und Sie im Kraftwerksbereich nur mit dem Verursacherprinzip arbeiten wollen, wie erklären Sie dann dem Plenum Ihre Zustimmung, daß im Falle Buschhaus doch das Verursacherprinzip verlassen wurde?
Herr Kollege Hauff, zunächst bitte ich Sie sehr darum, daß Sie mir sowohl jetzt bei der Beantwortung der Frage als auch, wenn Sie Zwischenfragen stellen, meinen vorherigen Ausführungen zuhören. Ich habe vorhin schon gesagt: Das Verursacherprinzip ist das wichtigste Prinzip in der Umweltpolitik, wenngleich auch das Gemeinlastprinzip in der Umweltpolitik durchaus eine Rolle spielen muß. Nur, unser Gegensatz ist der: Sie werfen, wie auch der soeben zitierte Absatz aus dem Antrag zeigt, das Verursacherprinzip über Bord, gerade in der Luftreinhaltepolitik, wo es nach unserer Auffassung entscheidend ist. Eine allgemeine Energiesteuer, wie Sie sie fordern, eine allgemeine steuerliche Auflage auf den Verbrauch von Energie widerspricht deshalb dem Verursacherprinzip, weil Sie doch z. B. mit der Kernenergie auch jene Energie besteuern, die keine Schadstoffemissionen an die Luft abgibt. Dies ist — wie auch der Waldpfennig — exakt das Gegenteil vom Verursacherprinzip: Es ist nur Gemeinlastprinzip. Darin besteht unser Gegensatz.
Meine Damen und Herren, wir setzen auf marktwirtschaftliche Prinzipien in der Umweltpolitik, weil wir glauben, daß mit marktwirtschaftlichen Mitteln eben die Umweltschutzinvestitionen veranlaßt werden können, die zugegebenermaßen über 13 Jahre lang versäumt worden sind, weil es nicht die Vorgaben gab, Herr Hauff, weil es nicht die neueren, die technisch möglichen Grenzwerte gab, die wir vorgelegt haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Burgmann?
. Bitte schön. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege, ist es nicht so, daß gerade die Marktwirtschaft ursächlich für die Umweltzerstörung ist, die vorliegt, und wie wollen
Sie dann mit eben dieser wohl ursächlichen Marktwirtschaft die Umweltzerstörung wiederaufheben?
Nein, Herr Kollege, nicht die Marktwirtschaft ist ursächlich dafür, sondern die Tatsache, daß 13 Jahre lang versäumt worden ist, marktwirtschaftliche Mittel zur Bekämpfung von Umweltbelastungen einzusetzen.
Das ist der Punkt, den es hier zu bedenken gilt. Denn es ist selbstverständlich marktwirtschaftliche Politik, daß der Staat Rahmen setzt; ich denke z. B. an den Rahmen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. .
— Sie können ja nun so lautstark protestieren, wie Sie wollen; wir haben das in Gang gesetzt, wir haben die Grenzwerte verschärft, wir haben Rahmendaten gesetzt. Wir schaffen dazu ergänzende Möglichkeiten, z. B. erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten. Wir führen neue Kompensationsmöglichkeiten in die TA Luft, demnächst auch im Bundes-Immissionsschutzgesetz ein. Das sind marktwirtschaftliche Schritte, die zu einer effizienten Verbesserung der Umwelt führen.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag müßte eigentlich nicht „Arbeit und Umwelt", sondern „Bürokratie und Umverteilung" heißen.
Sie schweigen zum Volumen Ihres Antrages. Herr Roth hat hier soeben Zahlen aus der Tasche gezogen; 4,50 DM pro Haushalt nach dem Motto: 4,50 DM bezahlt, Gewissen beruhigt und Wald wahrscheinlich gerettet. — Aber ihre Philosophie ist doch eine andere. Sie sagen hier nichts zur Höhe der Energiesteuer, die Sie wollen. Kein Satz dazu! Sie sagen keinen Satz zum Volumen des Sondervermögens, das Sie hier fordern.
Ihre Philosophie lautet: Wir schaffen neue, zusätzliche Abgaben und Steuerbelastungen, der Staat verteilt sie um, und zwar durch irgendwelche staatlichen Programme. Das ist die Philosophie, Herr Roth, die in 13 Jahren Ihrer Regierung nicht zu „Arbeit und Umwelt" geführt hat, sondern zu Arbeitslosigkeit und zu einem Zustand der Umwelt, den Sie jetzt als Umweltkrise bezeichnen. Es ist wahrlich kein Erfolgsrezept, was Sie uns da anbieten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den wir heute behandeln, wirft drei grundsätzliche Fragen auf, erstens die Frage nach dem Verhältnis von Ökologie und Ökonomie, zweitens die Frage: Wie kann Umweltschutz in eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik eingebracht werden? und drittens die Frage: Wie soll das alles finanziert werden?
8026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Bangemann
Ich glaube zunächst einmal, daß es falsch wäre, wenn man eine Harmonie zwischen Ökologie und Ökonomie predigen würde. Eine solche von vornherein bestehende Harmonie gibt es nicht, und es wäre auch gefährlich, sie zu behaupten, weil dann jeder zufrieden ist. Diejenigen, die für Marktwirtschaft sind, sagen: Es ist ja alles in Ordnung, und diejenigen, die für Umweltschutz eintreten, sagen: Wir brauchen uns nicht besonders darum zu bemühen; es wird von selber zustande kommen. — Diese Einstellung war übrigens auch nach meiner Meinung eine Ursache dafür, daß wir alle in der Vergangenheit zu wenig auf die Umweltschäden geachtet haben und daß dadurch eine Reihe von Umweltgefahren entstanden sind, die erst heute virulent werden. Deswegen muß man dieses Verhältnis, diese Grundsatzfrage in der Tat etwas differenzierter sehen. Man kann nicht einfach behaupten, daß es keinen Zielkonflikt gibt. Aber es kann durchaus Methoden geben, mit denen ein solcher Zielkonflikt aufgelöst wird. Diese Methoden beschreiben die beiden Stichworte Verursachèrprinzip und Gemeinlastprinzip. Beides sind unterschiedliche Ansätze, die man zusammen sehen muß, wenn dieser Zielkonflikt aufgelöst werden soll.
Das Verursacherprinzip ist der Ansatzpunkt für eine ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft. Denn über das Verursacherprinzip werden Kosten, die für den Umweltschutz aufzubringen sind, in das System der Marktwirtschaft über den Preis eingebracht, so daß jeder, der mit einer solchen Umweltbelastung produzieren will, den Verbraucher über den Preis seines Produktes an der Beseitigung oder Verhinderung solcher Umweltschäden beteiligt. Deswegen ist das Verursacherprinzip die Grundlage einer ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft.
Das Gemeinlastprinzip kann man dabei nicht ganz ausschließen. Das hat auch niemand behauptet. Nur muß das Gemeinlastprinzip die Ausnahme bleiben. Was wir Ihrem Programm gegenüber einwenden, ist, daß Sie dort dieses Verhältnis umdrehen. Statt das Verursacherprinzip als Grundlage Ihrer Bemühungen, auch Ihrer Finanzierungsbemühungen, zu nehmen, gehen Sie auf das Gemeinlastprinzip und machen es zur tragenden Säule Ihres ganzen Konzeptes.
Deswegen ist es fast schon etwas abenteuerlich, wenn man vom Sprecher der Fraktion der GRÜNEN hört, wie er Ihnen marktwirtschaftliche Abirrungen vorhält. Das ist schon ein bißchen witzig.
Das zweite Problem, das wir hier grundsätzlich betrachten müssen, ist die Frage: Wieweit kann man Umweltschutzinvestitionen als Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen ansehen? Wenn man es richtig macht, kann es hier keinen Dissens geben. Jeder vernünftig angelegte Umweltschutz, jede Investition, die in einem marktwirtschaftlichen System bleibt und nach den Regeln des marktwirtschaftlichen Systems zur Erhöhung der Kosten führt, die durch den Verbraucherpreis gedeckt werden, ist natürlich arbeitsplatzschaffend. Denn jede Investition — das versuchen wir Ihnen seit Monaten vergeblich klarzumachen — schafft Arbeitsplätze. Nun anerkennen Sie zum erstenmal — auf einem Spezialgebiet, dem Umweltschutz — dieses Prinzip.
— Das ist nicht lächerlich, Herr Kollege Hauff, sondern das ist die Anerkennung dessen, was wir nicht nur im Umweltschutz sagen, sondern ganz generell in der Wirtschaftspolitik: Nur über Investitionen schaffen Sie Arbeitsplätze. Genau das behaupten Sie hier auch.
— Wer das jemals bestritten hat? Jetzt muß ich Ihnen aber sagen: Ich stehe hier noch nicht sehr lange; die Kollegen dort stehen schon etwas länger an diesem Pult; aber seitdem ich hier stehe, bestreiten Sie regelmäßig,
daß das, was die Bundesregierung in ihrer Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik vorschlägt, nämlich eine Stärkung der privaten Investitionstätigkeit, Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielen könne. Das bestreiten Sie, seitdem ich hier stehe.
Nun muß man aus beschäftigungspolitischer Sicht an Ihren Vorschlägen insbesondere folgendes kritisieren. Sie wollen einen Steuerzuschlag.
— Nein, die Höhe ist insofern bekannt, als die einzelnen Produkte, die belastet werden sollen, genannt werden. Die Gesamthöhe ist nicht bekannt. Man kann sie höchstens aus der Gesamthöhe von
1 % Bruttosozialprodukt rückrechnen, die hier eingesetzt werden kann. Aber da man das Bruttosozialprodukt nicht in jedem Jahr kennt, ist das wirklich das, was die „Süddeutsche" eine „Finanzierungsmethode von hinten durch die kalte Küche in die Brust" genannt hat. Das habe nicht ich gesagt, sondern das ist die Kritik in der „Süddeutschen Zeitung".
Die Höhe ist durchaus im einzelnen beschrieben. Es wäre sehr wünschenswert gewesen, Herr Roth, wenn Sie das hier einmal vorgelesen hätten. Wenn die Bundesregierung eine solche Finanzierungsart vorgeschlagen hätte — eine Erhöhung beim Stromverbrauch um 0,5 Pf je Kilowattstunde, beim Benzin- und Dieselkraftstoffverbrauch um 2 Pf je Liter, beim leichten Heizöl um 2 Pf je Liter, beim schweren Heizöl um 2 Pf je Liter und beim Erdgas um
2 Pf je Kubikmeter —, dann hieße es: Das ist eine Umverteilung von unten nach oben. Denn wenn man Ihre Vorschläge unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten sieht, stellt man fest, daß Sie den
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Bundesminister Dr. Bangemann
Verbraucher belasten, den kleinen Mann, und die sogenannte Gemeinlast zu einem umverteilungspolitischen Skandal wird. Das ist es, was Ihre Finanzierung bewirken wird!
Sie erreichen damit auch keine — —
— Nein, daran kann wohl kein Zweifel bestehen, daß diese Finanzierungsart, weil sie eine Art Erhöhung von indirekten Steuern ist, ohne Rücksicht auf Einkommenshöhen den kleinen Verbraucher prozentual stärker belasten wird als denjenigen, der ein höheres Einkommen hat. Das kann man doch gar nicht bestreiten. Wenn Sie das auch noch bestreiten wollen, dann ist ja nun eine rationale Debatte überhaupt nicht mehr möglich.
Weil das so ist, ist das gar kein Gemeinlastprinzip, sondern Sie verletzen fundamentale Grundsätze der Verteilungspolitik, sozialpolitische Grundsätze, die zu beachten sind, und Sie verlassen das Verursacherprinzip. Das Verursacherprinzip ist eine klare, zu rechtfertigende Verteilung der Kosten, die durch Umweltverschmutzung entstehen. Das ist vollkommen klar. Wer die Umwelt verschmutzt, der muß diese Verschmutzung auf seine Kosten beseitigen. Übrigens haben wir das schon in den Freiburger Thesen gesagt.
Ich bitte Sie, Herr Präsident, mir zu gestatten, daß ich aus diesem geschichtlichen Dokument zitiere,
das immer noch gilt, Herr Vogel. Es heißt dort in der These 4:
Die Kosten der Umweltbelastung werden grundsätzlich nach dem Verursacherprinzip aufgebracht.
— Grundsätzlich! Sie hören ja nicht einmal zu. Ich habe vorhin schon gesagt, daß das Gemeinlastprinzip als Ausnahme gilt. Das steht auch noch darin; ich will das nur nicht lange vorlesen. Deswegen müssen wir gegenüber Ihrem Vorschlag einwenden, daß Sie in Wahrheit
— ich habe nur sehr wenig Zeit; wenn Sie gestatten, möchte ich das gerne zu Ende bringen — mit einer Finanzierungsart, die dem nicht entspricht, was Sie erreichen wollen, diese umweltpolitischen Ziele auch nicht erreichen werden.
Es kann ja nur eines richtig sein. Wenn das, was der Kollege Roth hier sagte, richtig ist, dann handelt es sich im Grunde genommen um eine Auf stok-kung der Mittel aus ERP-Krediten und aus dem Sonderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Diese Mittel werden allerdings bei Ihnen durch eine Sondersteuer aufgebracht. Das ist der Kern Ihres Vorschlages. Dann wäre es aber relativ einfach, zu sagen: Wir machen das, was die Regierung auch heute schon macht, nämlich zu den marktüblichen Bedingungen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau holt sich ihre 3,5 Milliarden DM für das Sonderprogramm und die anderen Mittel, die 500 Millionen DM, die wir pro Jahr im ERP-Programm für Umweltschutzmaßnahmen haben, aus dem Kreditmarkt im Rahmen der dort geltenden normalen Bedingungen. Deswegen ist das auch nicht ein negativer Beitrag zum Arbeitsmarkt.
Wenn Sie demgegenüber 17 Milliarden DM oder noch mehr — das ist ja nach oben offen und ohne Ende — dem Kreditmarkt auf diese Weise abziehen, dann schaffen Sie nicht neue Arbeitsplätze, sondern dann gefährden Sie exakt das, was wir heute erreicht haben, daß sich nämlich bei niedrigem Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt der Private für seine Investitionen Mittel besorgen kann und damit Arbeitsplätze schaffen kann.
Die Umweltschutzinvestitionen haben wir in Höhe von 3,5 Milliarden DM in einem Sonderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir haben 500 Millionen DM in den normalen ERP-Programmen. Wir haben die Mittel für die Umwelt im Bundeshaushalt um 25% aufgestockt. Das heißt, wir können Jahr für Jahr 1,5 Milliarden DM ausgeben — unter Abzug der Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau —, die im Sinne von Gemeinlast eingesetzt werden. Das ist ein vernünftiges Verhältnis zwischen Verursacherprinzip und Gemeinlastprinzip. Alles andere, was Sie hier machen, ist nach meiner Meinung nicht nur arbeitsmarktpolitisch schädlich und finanzpolitisch überhaupt nicht zu rechtfertigen, sondern es bringt auch umweltpolitisch nichts; denn, meine Damen und Herren, wenn sie das Verursacherprinzip so fundamental verlassen, verlassen Sie natürlich auch die Bereitschaft der Bürger, der Öffentlichkeit und der Wirtschaft, mehr für Umweltschutz zu tun.
Wir dürfen die Last für die Durchsetzung von Umweltschutz nicht abwälzen, sondern wir müssen sie dort lassen, wo sie in der Tat bleiben muß, damit die Verantwortung und damit auch die Bereitschaft wachsen, für Umweltschutz etwas zu tun.
Deswegen war es letztlich so gefährlich, Herr Roth, daß Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen den Vorschlag gemacht hat, die Filter bei Kohlekraftwerken mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Das ist gefährlich für den Umweltschutz, weil man dann glaubt, auf leichte Art diese Belastung wegdrücken zu können. Das ist gefährlich für die Verwendung der Kohle, weil nämlich bei denjenigen Ländern, die schon heute über den Kohlepfennig nicht unbedingt nur Freude empfinden, noch stärker deutlich wurde, daß das keine Gemeinschaftsaufgabe ist. Diese Länder gibt es ja. Sie haben von Nordrhein-Westfalen her dazu beigetragen, daß die Verwendung von Kohle noch stärker in die Diskussion ge-
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Bundesminister Dr. Bangemann
raten ist, als sie es schon war. Deswegen ist das auch ein falscher energiepolitischer Ansatz.
Letztlich, meine Damen und Herren, weise ich auf eine Lektüre hin, die sich lohnt. Ich würde auch der Opposition empfehlen, sich einmal das Gutachten des Sachverständigenrates vorzunehmen. Dort stehen gerade auch zu dem Verhältnis von Ökologie und Ökonomie und auch zu der Frage, wann eine Investition im Umweltschutz arbeitsplatzfördernd oder -erhaltend oder sogar -schaffend sein kann, bedenkenswerte Ausführungen. Ich möchte das gerne zitieren.
— Nein, ich mache eine Pause, hole Luft und nehme an: Wenn der Präsident das nicht genehmigen würde, würde er mich jetzt unterbrechen.
Ich habe dazu heute schon längere Ausführungen gemacht, Herr Bundesminister. Sie brauchen das Zitat nur anzukündigen und erkennbar mit dem Zitat wieder zu enden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Zitatbeginn:
Die Maßnahmen des Umweltschutzes verteuern, unveränderte Preise für Arbeit und alle anderen Produktionsfaktoren unterstellt, die Produktion in den unmittelbar und mittelbar betroffenen Bereichen. In den meisten empirischen Studien wird dieser Kosteneffekt ohne weiteres in einen Nachfrageeffekt umgedeutet. Danach führen die durch den Umweltschutz entstehenden Investitionsausgaben und sonstigen Aufwendungen, soweit sie Arbeitsleistungen abgelten, zu einer nachfragebedingten zusätzlichen Beschäftigung.
Bis dahin entspricht das Ihren Auffassungen.
Jetzt kommt der Satz:
Diese Sicht stellt in ihrer Einseitigkeit die Dinge offenbar auf den Kopf. Denn ihr zufolge wären die Beschäftigungswirkungen des Umweltschutzes um so höher, je teurer und damit auch je ineffizienter er wäre.
Eine Beschreibung Ihres Programmes und die endgültige Kritik, die ihnen übrigens von den GRÜNEN völlig zu Recht vorgehalten worden ist — völlig zu recht! Nicht nur die Einteilung in rechts und links, in Marktwirtschaft und Nichtmarktwirtschaft haben Sie durch Ihren Antrag durcheinandergebracht; Sie bringen mit Ihrem Antrag auch noch mehr durcheinander. Aber daß sich der Sprecher der GRÜNEN hier hinstellen und Ihnen sagen muß: dies entspricht überhaupt nicht mehr marktwirtschaftlichen — nicht mal volkswirtschaftlichen —
Prinzipien, das ist, finde ich, schon ein starkes Stück — nicht für uns.
Deswegen, Herr Präsident, darf ich — mit Ihrer Genehmigung —
den Kurs der Bundesregierung noch einmal deutlich machen, indem ich den Sachverständigenrat erneut zitiere:
Eine kurstreue marktwirtschaftliche Umweltschutzpolitik, dem Bürger durchschaubar und damit einsichtig gemacht, trägt nicht nur zur allseits gewünschten Verbesserung der Umweltqualität bei, sondern im Nebenergebnis auch zur Minderung unserer Beschäftigungsprobleme, und zwar mehr, als steuerfinanzierte oder kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme für den Umweltschutz es vermöchten.
Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist ein vernichtendes Urteil über das, was Sie hier vorgelegt haben.
Es entspricht unserem Urteil.
Es entspricht offenbar auch dem Urteil einer der Oppositionsfraktionen, so daß Sie damit rechnen können, Herr Roth, daß dieses Programm nicht nur durch eine Mehrheit, deren Sachkenntnis Sie immer wieder bestreiten, abgelehnt wird; Sie müssen sogar damit rechnen, daß es abgelehnt wird mit tiefen, guten Gründen.
Das sollte Sie ein bißchen nachdenklich machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ganz gut, am Ende einer Debatte festzustellen, worüber man einig ist und worüber nicht. Worüber wir uns einig sind, ist ohne Zweifel, daß das Verursacherprinzip das Kernstück des Umweltschutzes ist und bleibt.
Und wir haben auch quantifiziert, daß die ungefähr 2 % des Bruttosozialprodukts, die wir zur Zeit im Umweltbereich haben — 1,5 bis 2% —, unseres Erachtens bei Anwendung des Verursacherprinzips noch einmal erheblich gesteigert werden müßten, mindestens um 1 %. Das ist unser Vorschlag.
Wir sagen zweitens aber, daß darüber hinaus in dem Bereich, in dem das Verursacherprinzip nicht angewandt werden kann, mindestens 1% des Bruttosozialprodukts aufgebracht werden muß, um die enormen Lasten, die da sind, tatsächlich abzubauen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8029
Dr. Hauff
Jetzt stellt sich die Frage — auf die beiden Fragen, die ich zu Beginn der Debatte gestellt habe, habe ich keinerlei Antwort bekommen —, wenn Sie bereit sind, zuzugeben, daß das ungefähr die Größenordnung sein muß, und wenn es ernst gemeint ist, daß man da etwas tun will: Was machen Sie wirklich in dieser Größenordnung, um das Gemeinlastprinzip dort anzuwenden — jetzt nehmen Sie es doch endlich einmal zur Kenntnis —, wo das Verursacherprinzip nicht angewandt werden kann? Darauf muß man doch eine Antwort haben. Und die ist bis jetzt nicht da.
Die zweite Frage, auf die Sie keinerlei Antwort gegeben haben, ist die: Was machen Sie, um demjenigen einen ökonomischen Anreiz zu geben, der die Grenzwerte unterbietet, die wir im Hinblick auf das Verursacherprinzip festschreiben? Das ist doch der zweite Gedanke. Was machen Sie denn dort?
Wenn Sie so weitermachen, werden Sie eine Diskussion mit dem BDI dahin gehend kriegen, daß der Ihnen permanent sagt: Das, was Sie im Umweltbereich machen, ist falsch — wenn Sie nicht die technologische Innovation wirklich organisieren und unterstützen, und zwar nicht punktuell, sondern strukturell, im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Anreizsystems für denjenigen, der die Grenzwerte unterbietet. Hierzu gibt es keinerlei Antwort, weder von der Regierung noch von den Koalitionsfraktionen.
Zwei Schlußbemerkungen dazu. Herr Kollege Bangemann, wenn wir jetzt vorschlagen, Umweltschutzinvestitionen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu finanzieren,
und Sie sagen, das würde, wenn man es in dem Umfang machte, die Marktwirtschaft in Frage stellen, frage ich Sie: Warum gebrauchen Sie dieses Argument eigentlich nicht bei den Zinsverbilligungen im mittelständischen Bereich? Das ist doch genau das gleiche. Was soll denn diese Ordnungspolitik?
Was die Frage der Umfinanzierung angeht, waren wir Sozialdemokraten der Meinung, daß das im Kraftfahrzeugbereich durch Ordnungspolitik durchgesetzt werden muß. Die gigantischste Umverteilung mit einem riesigen staatlichen Bürokratieapparat, die es im Umweltbereich überhaupt gegeben hat, ist die von dieser Koalition vorgeschlagene im Autobereich — und das, was Sie dazu im Steuerbereich vorschlagen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also, verehrter Kollege Hauff, die beiden Fragen, die Sie gestellt haben, haben wir doch beantwortet.
— Aber selbstverständlich.
Ich habe Ihnen hier gesagt: Wenn Ihr Programm lediglich eine Aufstockung dessen ist, was wir in der Kreditanstalt für Wiederaufbau bereits machen, müssen Sie die Frage beantworten, wie Sie das finanzieren wollen. Die haben Sie beantwortet. Und dazu haben wir Ihnen gesagt: Diese Finanzierungsart halten wir nicht für richtig.
Wir halten sie für steuerpolitisch, energiepolitisch, arbeitsmarktpolitisch und verteilungspolitisch für falsch. Die Antwort haben wir Ihnen bereits gegeben.
Zweitens. Meine Antwort haben Sie zum Schluß noch einmal angeführt. Und da werden Sie widersprüchlich; denn wir haben bei der Bewältigung des Problems des abgasarmen Autos eine marktwirtschaftliche Methode angewandt.
Und bezüglich unseres Anreizsystems muß ich Ihnen sagen: Sie verstehen unter Ordnungspolitik Gebote und Verbote.
Was Sie Ordnungspolitik nennen, das ist Dirigismus. Sie wollen einen obligatorischen Grenzwert einführen und glauben, das sei Marktwirtschaft. In Wahrheit ist das System, das wir angewandt haben, ein marktwirtschaftliches Anreizsystem, das dazu führen wird, daß wir in sehr kurzer Zeit, in viel kürzerer Zeit als Sie annehmen, schadstoffarme Autos haben werden, übrigens mit einer arbeitsmarktpolitisch günstigen Auswirkung; denn das, was dort an neuen Arbeitsplätzen geschaffen wird, wird in der Tat dann auch vom Verursacher getragen.
Deswegen ist unsere Antwort: Unsere Umweltpolitik fügt sich nahtlos in die Wirtschafts-, Haushaltsund Finanzpolitik ein. Wir verlassen dieses in sich logische Gebäude nicht, um irgendeine Idee, die Sie da ausgebrütet haben, umzusetzen. Das, was Sie wollen, ist in sich so widersprüchlich, daß Sie die unterschiedlichsten Begründungen heranziehen müssen und überhaupt nicht in der Lage sind, jemandem zu erklären, wie Sie das überhaupt machen wollen. Das ist aber Ihr Problem.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth. — Herr Abgeordneter, ich würde bitten, daß Sie sich auf fünf Minuten beschränken. — Sieben Minuten? — Gut.
8030 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bangemann, in Ihren zweimaligen Interventionen haben Sie kein Wort über die Frage verloren, wie Sie die alte Last auf der Umwelt beseitigen wollen.
Ich will Ihnen das jetzt ganz einfach machen. Ich bin Wahlkreisabgeordneter in Pforzheim. Das ist eine Stadt mit Edelmetallindustrie. Naturgemäß hat man jahrzehntelang wenig Rücksicht auf die Flüsse genommen. Man hat viel Schwermetalle eingeleitet. Das kann man doch nicht in den Flüssen lassen, meine Damen und Herren.
Und wo sind denn die Verursacher, die ich heute noch belasten könnte? Wo wären sie denn?
Es gibt im Ruhrgebiet — aber nicht nur dort, wir haben vielerorts, beispielsweise auch in Hamburg, solche Situationen gehabt — viele Deponien mit vergifteten Böden, die allmählich die Grundwässer belasten, ja sogar unmittelbar die Gesundheit gefährden. Das ist doch die Situation. Wo sind denn da die Verursacher, die Sie nachträglich identifizieren
können?
Sagen Sie nun nicht, die Gemeinden könnten es aus Ihren Mitteln finanzieren, die sollten ihre gemeindlichen Geldquellen eben für diese Sache umwidmen. Wir wissen es vom Deutschen Städtetag, und Sie wissen es vom Städte- und Gemeindebund, Sie wissen es vom Landkreistag, daß hier keine Spielräume für diese gewaltige Aufgabe sind. Hier exakt liegt der Kernpunkt unseres Programms: die alte Last, das, was 150 Jahre Industriegeschichte hinterlassen hat, aus unserer Umwelt zu beseitigen. Wir haben dafür ein Jahrzehnt Chancen, Arbeitsplätze zu beschaffen.
Da hilft es überhaupt nichts, wenn Sie marktwirtschaftliche Sprüche machen.
Noch zwei Bemerkungen. Sie haben auf den Sachverständigenrat Bezug genommen, dem ich gewünscht hätte, er hätte sich genügend Zeit genommen, um unser Programm sorgfältig zu lesen.
Sie haben mit Bezug darauf gesagt, das hätte keinen expansiven Effekt; denn durch die Abgabe
würde praktisch das genommen, was anschließend
zugegeben wird. Sie haben leider nicht erkannt, daß
wir eine kombinierte Finanzierung zwischen Kreditmarkt auf der einen Seite und Abgaben auf der
anderen Seite haben. Das heißt, der expansive Effekt kommt durch die Kreditmarktbeanspruchung.
Da muß ich nun eine Frage stellen, wenn Sie sagen,
das gebe der Kreditmarkt nicht her. In einer Situation, in der über 20 Milliarden DM in einem Jahr
allein in Dollaranlagen gehen, soll der Kapitalmarkt in der Bundesrepublik Deutschland nicht ergiebig sein, um ein Umweltinvestitionsprogramm zu finanzieren?
Letzte Bemerkung, Herr Bangemann. Wir waren ja fast gerührt, als Sie die Verteilungsfrage entdeckten. Ein Mann, der im letzten Jahr nie protestiert hat, als für allgemeine Budgetfinanzierung die Mehrwertsteuer erhöht wurde — das wurde nämlich letztes Jahr gemacht —, der soll uns heute in der Debatte, in der es um konkrete Investitionen für den kleinen Mann, um Umweltschutzinvestitionen zur Verbesserung seiner Lebenslage geht, nicht mit der Verteilungspolitik kommen. Er ist völlig unglaubwürdig.
Herr Abgeordneter Burgmann, bitte sehr, für zwei Minuten. — Jetzt fängt er hier oben an, um Minuten zu handeln. Meine Damen und Herren. Die vorweihnachtliche Zeit, glaube ich, sollte eine gewisse Großzügigkeit auch in der Zuteilung der Redezeit ermöglichen. Also bitte, fünf Minuten, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, ich darf mich zunächst einmal für das Lob von Herrn Wirtschaftsminister Bangemann bedanken, das wir sonst sehr selten bekommen.
Ich möchte aber deutlich machen, daß es doch an einem falschen Punkt gekommen ist.
Der Streit um das Verursacherprinzip und in diesem Zusammenhang auch um die Frage, welche Instrumente man einsetzt, um Umweltschutz durchzusetzen, ist sicher interessant. Für mich ist es aber, wenn wir die Umwelt wirklich verbessern können, eigentlich zweitrangig, ob wir das über das Gemeinlastprinzip oder über das Verursacherprinzip machen sollten.
Unsere entscheidende Kritik an diesem Vorschlag der SPD ist eine andere. Das möchte ich gleich an dem ersten Satz deutlich machen, mit dem dieser Antrag einsteigt: „Die Umwelt befindet sich in einer Krise." Genau hier ist nämlich der falsche Ansatz. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um die Krise unserer Umwelt, sondern um die Krise unseres Industriesystems.
Genau daher rühren auch die falschen Rezepte, die vorgeschlagen werden, sofern — das ist aus dem Beitrag des Kollegen Roth sehr deutlich geworden — hier ein neuer Wachstumsschub gefordert wird, der durch die Umweltpolitik ausgelöst werden soll. Hier verfällt die Politik in die alten Fehler, zu glauben, wir könnten mit Wachstum die Probleme lösen. Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Gerade die Wachstumswirtschaft und die Zwänge zum Wachstum, die in unserer Wirtschaft sind, haben j a diese Umweltprobleme ausgelöst. Es ist absehbar, daß Sie, wenn Sie mit dieser neuen Umweltindustrie, die Sie ins Leben rufen, einen neuen Wachstumsschub auslösen, die Probleme vertiefen werden und
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8031
Burgmann
daß Sie weiter dazu kommen werden, daß wir durch zusätzlichen Rohstoffverbrauch und zusätzlichen Energieverbrauch in kürzester Zeit neue Probleme haben werden. Sie werden eines Tages fragen müssen: Müssen wir u. U. Kohlekraftwerke bauen, damit wir Absatz für unsere Entschwefelungsanlagen haben? Denn es ist absehbar, daß sonst auch dort der Markt erschöpft ist.
Um was wir nicht herumkommen — und darüber müßten wir uns eigentlich unterhalten, wenn wir über den Zusammenhang von Arbeit und Umwelt reden —, ist die Möglichkeit, unsere Wirtschaft umzustrukturieren und zu entgiften. Wenn wir uns beispielsweise über Formaldehyd unterhalten und uns überlegen, Formaldehyd zu verbieten, dann wird das eben bedeuten, daß große Teile der Chemieindustrie umstrukturiert werden müssen. Und dann müssen wir uns hier darüber unterhalten, wie die Arbeitsplätze anders gesichert werden können. Wenn wir uns auf der anderen Seite mit biologischem Landbau beschäftigen, kommt es zu der Konsequenz, daß ein Großteil der Chemieindustrie einfach überflüssig sein wird und daß dafür sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden müssen oder kürzer gearbeitet werden muß. Auch das ist ein Grund, weshalb wir uns für die Verkürzung der Arbeitszeit eingesetzt haben.
Herr Abgeordneter Burgmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Könnten Sie mir denn dann mal erklären, aus welchem Grund Sie im Haushaltsausschuß den Antrag gestellt haben, mehrere Milliarden für die chemische Umstrukturierung aus dem Staatssäckel zu finanzieren?
Herr Kollege, ich habe Ihnen das schon neulich in der Debatte erklärt.
Ich habe Ihnen neulich in der Debatte erklärt, daß es uns darum geht, daß in den Bereichen, in denen ganz offensichtlich im Augenblick von seiten der Industrie nichts gemacht wird und auch nicht die Instrumente, um etwas zu schaffen, da sind, Selbsthilfegruppen, die in der Tendenz in den Rüstungsbetrieben da sind, die sich mit Konversion befassen, Selbsthilfegruppen zur Umstrukturierung sozusagen, von der Gemeinschaft unterstützt werden und daß Programme aus den Betrieben heraus, aus der Kenntnis in den Betrieben heraus zur Umstrukturierung dieser Wirtschaft entwickelt werden können.
Diese Umstrukturierung muß nach unserer Meinung mit konkreten Maßnahmen von seiten des Staates unterstützt werden. Dafür haben wir Investitionen vorgeschlagen, gezielte Investitionen, nicht ein Programm, aus dem alles, was zum Umweltschutz gehört, unterstützt werden kann, sondern ein konkretes Programm, das bei einer dezentralen Energieversorgung ansetzt und das sich über einen biologischen Landbau, ein gezieltes Entgiftungsprogramm der Chemieindustrie fortsetzt und das gezielt vom Staat und nicht von Banken eingesetzt wird, was Sie mit der Konsequenz vorschlagen, daß letzten Endes nach dem Gewinnmaximierungsprinzip die Investitionen im Umweltschutz verteilt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest: Die Sozialdemokraten sind mit ihrem Vorschlag in eine sehr defensive Position hier im Deutschen Bundestag gekommen,
weil ihr Programm tatsächlich nicht erklärt werden kann.
— Also, ich bin nicht am Frankfurter Wahlkampf beteiligt. Aber außer Lautstärke, Herr Hauff, habe ich hier nicht viel vernommen.
Außer einer zusätzlichen Belastung des Verbrauchers habe ich hier heute keinen neuen Vorschlag bekommen.
Herr Abgeordneter Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Nein. Ich will sehr schnell zum Ende kommen.
Die alte Last, Herr Roth, von der soviel gesprochen worden ist, wird beseitigt a) durch das Verursacherprinzip bei neuen Lasten und b) durch die öffentlichen Investitionen aus normalen Haushaltmitteln.
Wozu haben wir denn das Abwasserabgabengesetz?
Herr Hauff, die Situation der Gemeinden kann auch nicht so sein, daß sie beim Umweltschutz nur darauf warten, daß der Bund ein neues Programm auflegt,
sondern hier muß das nach dem Verursacherprinzip zwischen den verschiedenen Ebenen getan werden.
8032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Haussmann
Zweiter Punkt. Auch in dieser Debatte ist klargeworden, daß die Koalition von CDU/CSU-FDP im Bereich des Umweltschutzes ein Konzept hat.
Sie hat drei Stufen. Zunächst einmal versucht sie, durch die verschiedensten Maßnahmen dem einzelnen zu zeigen, daß er sein persönliches ökologisches Verhalten ändern muß. Ihr Programm führt lediglich zu einer Entlastung des Privaten. Es kann nicht alles auf den Staat abgeschoben werden.
Dies betrifft den einzelnen.
Das zweite ist die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft zur ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft. Genauso wie die „soziale Frage" durch die Wachstumskräfte der Marktwirtschaft und damit die Finanzierung der Sozialpolitik gelöst wurde,
genauso wird das marktwirtschaftliche System in der Bundesrepublik zeigen, daß wir mehr als alle zentralistischen planwirtschaftlichen Systeme im Umweltbereich Fortschritte erreichen
durch die überlegene Kraft der Wachstums- und Wettbewerbselemente.
Drittens. Erst dort, wo der einzelne und die Wirtschaft von sich aus nicht in der Lage sind, ist der Staat gefordert. Dazu gibt es klare Rahmenrichtlinien, dazu gibt es Haushaltsmittel. Dazu bedarf man keiner Strafsteuer für den einzelnen Verbraucher.
Als letzter Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Schreiber. — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal mit zwei, drei Bemerkungen auf einiges eingehen, was hier von seiten der SPD, insbesondere auch von dem Kollegen Roth, gesagt worden ist. Da heißt es: Es geht um die Altlasten. Da heißt es: Die Frage „Gemeinlastprinzip oder Verursacherprinzip" muß gestellt werden.
Ja, meine Damen und Herren von der Opposition, dann sehen Sie sich doch einmal Ihren Antrag ganz genau an! Dann müssen Sie Ihren Antrag nach meiner Auffassung umformulieren.
Denn wenn ich das richtig sehe, so haben Sie hier in einer ganzen Reihe von Punkten etwas angesprochen, was Sie in der Debatte letztendlich in Frage gestellt haben. Versuchen Sie doch einmal, Ihren Antrag auf die Realitäten herabzubringen und das anzusprechen, was Sie tatsächlich in der Debatte angesprochen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich begrüßen wir alle, daß Umwelt und Umweltschutz auch am heutigen Morgen und Mittag zu einem Diskussionsthema geworden sind. Umweltschutz ist ganz sicher einer der sensiblen Politikbereiche geworden. Ich meine, man muß im Grunde genommen auch dankbar sein, daß dieser Politikbereich sensibilisiert worden ist. Denn letztendlich hat diese Sensibilisierung mit dazu beigetragen, daß die Bürger in unserem Lande eine Akzeptanz entwickelt haben, eine Akzeptanz für Entscheidungen, die auch unbequem sind, Entscheidungen — lassen Sie mich das hinzufügen —, die letztlich auch an den Geldbeutel gehen.
Nur, machen wir uns doch überhaupt nichts vor. Wenn ich die Diskussion richtig verfolgt habe, die von seiten der SPD hier angezettelt worden ist, so muß ich doch die Frage stellen: Wo waren Sie denn in den letzten 13 Jahren, als Umweltpolitik in diesem Deutschen Bundestag gestaltet worden ist?
Da muß man doch die Frage stellen: Wer hatte denn mit die Regierungsverantwortung in diesen 13 Jahren? Dann muß man doch die Ausführungen unterstreichen, die da — im wahrsten Sinne des Wortes doppeldeutig, möchte ich einmal sagen — lauten: Erst durch die Regierung Kohl ist die Umweltpolitik von Rot auf Grün gestellt worden,
und zwar nicht auf Grün im Sinne der grünen Partei, sondern Grün im Sinne der Vorfahrt für Umweltpolitik.
Wir haben doch in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Initiativen in diesem Hause gehabt, die von seiten der Regierung ausgegangen sind; eine Reihe von Initiativen, die beispielsweise die Großfeuerungsanlagen betreffen,
eine Reihe von Initiativen, die den Bereich des Katalysatorautos betreffen. All dies sind doch Initiativen, meine Damen und Herren, liebe Freunde, die hätten Sie doch in den letzten 13 Jahren ebenfalls initiieren können. Wo sind Sie in diesen 13 Jahren gewesen? Man hat manchmal den Eindruck, Sie sind in diesen 13 Jahren auch umweltpolitisch im Abseits gewesen.
Ich bin der Auffassung, daß das, was die CDU/CSU, die FDP, was die Regierung in den letzten Monaten im Bereich des Umweltschutzes auf den Weg gebracht hat, eine Möglichkeit beinhaltet, den Schutz unserer Umwelt Schritt für Schritt auszubauen, aber auch Schritt für Schritt — darüber sind wir uns im Grunde genommen ja einig — Arbeitsplätze zu schaffen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Da gebe ich im übrigen all den Rednern recht, die sagen, daß es letztendlich nicht dazu kommen darf, daß der Umweltschutz zum Arbeitsplatzkiller wird, sondern daß es darum geht, durch Umweltschutz auch Chancen für neue Arbeitsplätze 7u eröffnen. Darum geht es uns nämlich.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8033
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Ich habe nur wenige Minuten. Ich gehe aber mit dem Kollegen nachher gern eine Tasse Kaffee trinken; da können wir das dann gemeinsam besprechen.
Lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen, der mir aufgefallen ist: Ich komme aus einem Lande, das ein Kohleland ist, ein Land, das Energie sozusagen exportiert. Meine Damen und Herren, wenn Sie den Versuch unternehmen, durch eine Steuer auf die Energie diese Energie teurer zu machen, so nehmen Sie damit auch — auch wenn Sie etwas anderes behaupten — Abschied von der Kohlevorrangpolitik.
Die Tatsache, daß das Preisniveau angehoben wird, bedeutet nach meinem Eindruck — ich wiederhole es — den Abschied von der Kohlevorrangpolitik. Ich würde Sie also bitten: Überlegen Sie sich diese Frage noch einmal im Detail. Gehen Sie insbesondere auch Ihren Antrag noch einmal durch und versuchen Sie, mit uns gemeinsam einmal zu überlegen, wie man den Umweltschutz marktorientiert Schritt für Schritt verbessern und gleichzeitig dafür sorgen kann, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1722 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es weitere Wünsche? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Roth.
Ich bitte für meine Fraktion auch um Überweisung an den Verkehrsausschuß und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Gibt es hinsichtlich dieser zwei zusätzlichen Überweisungswünsche Übereinstimmung? — Gut, dann brauche ich darüber nicht abstimmen zu lassen. Es ist so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/2544 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Herr Rawe zur Verfügung.
Die erste Frage ist die Frage 39 des Abgeordneten Pfeffermann. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Dasselbe gilt für die Frage 40 des Abgeordneten Pfeffermann.
Wir kommen zur Frage 41 des Abgeordneten Eigen. — Der Abgeordnete ist ebenfalls nicht im Saal. Auch diese Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Trifft die Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 24. Oktober 1984 zu, daß durch die von der Deutschen Bundespost vor kurzem zurückgezogene Ausschreibung für das mobile „Europa-Netz" der deutschen Wirtschaft ein „äußerst interessanter Wachstumsmarkt" verlorengegangen sei und damit zugleich die Gefahr isolierter Insellösungen der verschiedenen Länder in Europa geschaffen werde?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Dr. Riedl einverstanden ist, möchte ich gern die Fragen 42 und 43 im Zusammenhang beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die im Zusammenhang damit geäußerte Kritik, die zurückgezogene Ausschreibung stelle eine „völlige Verkennung der Verbraucherinteressen dar, die rasch ein leistungsfähiges, in hohen Stückzahlen und dadurch preisgünstig gefertigtes Mobilfunksystem erwarten"?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, es trifft nicht zu, daß durch die Aufhebung der Ausschreibung für das deutsch-französische Funktelefonsystem im 900-Megahertz-Band für die deutsche Industrie ein interessanter Wachstumsmarkt verlorengegangen sei. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit dem französischen Postminister beschlossen, auch um der Gefahr von Insellösungen entgegenzuwirken, auf der Basis einer europäischen Norm ein sehr leistungsfähiges voll digitales zellulares Mobilfunksystem in beiden Ländern einzuführen und mit den erforderlichen experimentellen Vorarbeiten hierzu sofort zu beginnen.
Zur Erschließung des zu erwartenden Wachstumsmarkts von Funktelefonen wird in der Bundesrepublik Deutschland aber ab Herbst 1985 das leistungsfähige zellulare C-System eingeführt, damit den Kunden sofort ein modernes System zur Verfügung steht. Mit der beschleunigten Einführung des C-Systems und des noch wirtschaftlicheren ange-
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Parl. Staatssekretär Rawe
strebten europäischen Digitalsystems Ende dieses Jahrzehnts hat die Bundesregierung die besten Voraussetzungen für ein baldiges und kräftiges Wachstum der Nachfrage nach Funktelefonen europaweit geschaffen.
Herr Abgeordneter Dr. Riedl zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mich interessiert: Warum ist die Deutsche Bundespost von dem, wie Sie es nannten, zellularen Funktelefon im 900-Megahertz-Band abgerückt, nachdem es doch, soviel ich orientiert bin, weitgehend deutsche Unternehmer waren, die dieses System betrieben haben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, die Sache verhielt sich so: Am 15. Juli hatten der französische und der deutsche Postminister vereinbart, ein Funktelefonsystem im 900-MegahertzBand einzuführen. Eine daraufhin erfolgte Ausschreibung, die von insgesamt fünf Konsortien wahrgenommen wurde, hat aber im wesentlichen ein Ergebnis gebracht, das nicht alle geforderten zeitlichen, kommerziellen und technischen Voraussetzungen erfüllte. Deswegen ist zunächst beschlossen worden, keinem dieser Angebote den Zuschlag zu erteilen.
Man hat sich dann darauf geeinigt — das war im Oktober; ich kann Ihnen das genaue Datum vielleicht nachliefern —, neu auszuschreiben. Damit aber keine Verzögerung eintritt, soll sofort mit den Experimenten begonnen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, ist meine Befürchtung unbegründet, daß durch die jetzige Entscheidung der Deutschen Bundespost künftig im digitalen Mobilfunknetz Europas die deutsche Industrie weniger Anteile haben wird als bisher? Oder anders ausgedrückt: Ist nicht zu befürchten, daß ausländische Konkurrenten die deutschen Wettbewerber aus dem Markt drängen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Riedl, ich glaube das nicht; denn, wie gesagt, die Ausschreibung wird neu erfolgen, und vorher wird mit den Experimenten begonnen, an denen natürlich auch deutsche Firmen beteiligt sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, welchen Nutzen hat der deutsche Autotelefonbenutzer von der jetzt zwischen der deutschen und französischen Postverwaltung getroffenen Regelung, und können Sie heute schon sagen, welche gebührenmäßigen Konsequenzen sich aus dieser Entscheidung für die Autotelefonbenutzer in Zukunft ergeben werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Was die Einführung des 900er-Systems anlangt, kann man nach den heutigen Erkenntnissen sagen, daß damit das modernste System geschaffen wird. Das wird aller Voraussicht nach auch zulassen, Endgeräte mit einem wesentlich herabgesetzten Preis zu schaffen.
Was die Gebühren angeht, so hoffen wir, schon früher zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Ich sagte Ihnen vorhin: Wir wollen ein C-450-System Ende des Jahres 1985 einführen. Wir hoffen, durch die Einführung dieses Systems die Gebühren schon erheblich senken zu können; denn dann können wesentlich mehr Teilnehmer an das Funktelefonsystem angebunden werden.
Eine letzte Frage: Wir werden als Abgeordnete ja immer wieder mit Briefen überschwemmt, in denen darüber geklagt wird, daß die Kapazität des Mobilfunknetzes ausgeschöpft sei. Kann damit gerechnet werden, daß mit dem neuen System eine erhebliche Kapazitätsausweitung einhergeht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist in der Tat richtig. Die Ausweitung wird beim C-Netz ganz erheblich sein.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Wie viele posteigene Kräfte waren Ende 1982 im Reinigungsdienst beschäftigt, und wie hoch war 1982 prozentual der Anteil an Eigenreinigung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Berschkeit einverstanden ist, würde ich auch diese Frage gern im Zusammenhang mit der nächsten Frage beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 45 des Abgeordneten Berschkeit auf:
Wie hoch waren die Kosten für Fremdreinigung, und von welchem Lohnniveau und welchen Leistungsanforderungen wird für die Reinigungskräfte ausgegangen, wenn angeblich die Fremdreinigung erheblich billiger ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Berschkeit, Ende 1982 waren im Reinigungsdienst der Deutschen Bundespost rund 14 000 vollbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Kräfte. Der Anteil der Eigenreinigung betrug 55,2 %. Die Kosten der Fremdreinigung machten im Rechnungsjahr 1982 — die genauen Zahlen des Jahres 1983 habe ich noch nicht vorliegen — 137 Millionen DM aus.
Der durchschnittliche Bruttostundenlohn einschließlich der Zulagen für Reinigungskräfte betrug bei der Deutschen Bundespost 14,97 DM, im Gebäudereinigerhandwerk etwa 9,10 DM. Die Leistungsanforderungen liegen bei der Deutschen Bundespost bei 90 bis 100 m2 je Kraft und Stunde. Für das Gebäudereinigerhandwerk liegen genaue Erhebungen nicht vor. Nach den bisherigen Erfahrungen kann aber davon ausgegangen werden, daß die durchschnittlichen Leistungsanforderungen der Reinigungsunternehmen in den Betriebs- und Verwaltungsräumen der Deutschen Bundespost 150 bis 160 m2 je Kraft und Stunde betragen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8035
Parl. Staatssekretär Rawe
Die Deutsche Bundespost hat Wirtschaftslichkeitsvergleiche zwischen Eigen- und Fremdreinigung bei zahlreichen Objekten unterschiedlicher Größe und Nutzungen angestellt. Danach ist die Eigenreinigung mehr als doppelt so teuer wie die Fremdreinigung. Dieses Ergebnis deckt sich im übrigen auch mit den Feststellungen nicht nur des Bundesrechnungshofs, sondern auch mit denen der Rechnungshöfe der Länder und anderer Verwaltungen.
Eine Zusatzfrage.
Besteht die Absicht, weitere Reinigungsflächen an Fremdfirmen zu übergeben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ja, wir wollen in der Tat, wie es der Rechnungshof und der Rechnungsprüfungsausschuß des Bundestages von der Deutschen Bundespost fordern, den Anteil der Fremdreinigung erhöhen. Aber es gibt im Bereich der Deutschen Bundespost natürlich eine ganze Reihe von Räumen, die zu reinigen sind und für die besondere Sicherheitsvorschriften gelten. Sie sollen auch künftig von Eigenkräften gereinigt werden.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Berschkeit.
Entsprechen die tariflichen Leistungen der bei den Privatunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer denjenigen der Deutschen Bundespost, oder wären mit einem Wechsel des Arbeitsplatzes von der Bundespost zu privaten Reinigungsunternehmen Nachteile für die Betroffenen zu erwarten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das richtet sich nach den einzelnen abgeschlossenen Lohntarifverträgen. Ich habe darüber leider keine Übersicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Berschkeit.
Welche Mängel bei der Fremdreinigung werden von Postbediensteten und Kunden verstärkt reklamiert, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Reklamationen? Und welche Gründe sprechen für eine erhebliche Dunkelziffer?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Die Beanstandungen, die bei Reinigungsarbeiten immer vorkommen, sind bei Fremdreinigung und bei Eigenreinigung nicht sehr unterschiedlich. Wenn es bei Fremdreinigung solche Beanstandungen gibt, dann wird das, wie es im Vertrag vorgesehen ist, zunächst abgemahnt. Wenn auch dann keine Abhilfe und keine Nachbesserung erfolgt, wird der Vertrag gekündigt und neu ausgeschrieben.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berschkeit.
Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr, daß, wenn Fremdfirmen — es gibt ja Erfahrungen darüber — den größten Teil der Flächen zum Reinigen in ihren Besitz übernommen haben, verstärkt die Qualität dieser Reinigung nachläßt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Befürchtung hat die Bundesregierung nicht. Unsere Meinung deckt sich auch mit den Feststellungen anderer Verwaltungen und, ich sagte es schon, auch der Rechnungshöfe.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann
Herr Staatssekretär, können Sie erläutern, ob es sich bei diesem Bereich Reinigung durch Fremdfirmen um ein ausschließlich postspezifisches Gebiet handelt oder ob dies ein Vorgang ist, der auch von anderen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, vielleicht auch von Parteien und Gewerkschaften, so gehandhabt wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, nach den Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, nehmen in der Tat viele öffentliche Verwaltungen Fremdreinigungskräfte in Anspruch. Aber wenn meine Information zutreffend ist, dann tut das auch der deutsche Gewerkschaftsbund bei seinem Geschäftsgebäude in Düsseldorf. Vielleicht ist es für die Kollegen von der SPD ganz interessant: Auch die Verwaltung der SPD-Zentrale in Bonn nimmt, wenn ich es richtig sehe, Fremdreinigungskräfte in Anspruch.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen in Ihrer ersten Antwort von insgesamt 14 000 bei der Bundespost beschäftigten Reinigungskräften. Können Sie das nach Vollzeit- und Teilzeitarbeitskräften aufschlüsseln? Gibt es dabei auch solche, die unter die 390-DM-Grenze fallen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn ich es richtig sehe, kommt bei den Fragen, die einige Kollegen von Ihnen noch gestellt haben, die Antwort vor. Aber ich müßte sie eben heraussuchen. — Eine Sekunde. Ja, bei Herrn Kretkowski. Er ist der nächste. Er hat schon gefragt, wie das aufgeteilt ist. Wenn ich das jetzt schon beantworten darf, Herr Präsident, tue ich das gerne.
Sie dürfen es. Aber es ist sinnvoller, das nachher zu tun. Dann kann sich der Abgeordnete Paterna noch einmal melden.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich kann die Antwort aufgliedern. Von den Kräften, die bei uns — posteigen — beschäftigt sind, arbeiten etwa 1 840 bis zu 10 Wochenarbeitsstunden. Das würde etwa dem Anteil entsprechen, nach dem Sie gefragt haben.
Sie haben eine weitere Zusatzf rage.
Herr Staatssekretär, wie kann man es sich angesichts der Tatsache, daß die Reinigungsfläche für die bei privaten Reinigungsfirmen
8036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Paterna
Beschäftigten etwa doppelt so groß ist, eigentlich erklären, daß die Qualität vergleichbar ist? Sind die posteigenen Kräfte so faul, oder sind sie mit so schlechtem technischen Gerät ausgestattet, oder wie ist das überhaupt plausibel zu machen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich glaube nicht, daß ich dies bewerten kann. Ich habe nur die Feststellungen vorgetragen, wie sie der Wirklichkeit entsprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, ist dieses System der Aufteilung in diesen Größenordnungen eigentlich erst von der neuen Bundesregierung und vom neuen Postminister eingeführt worden, oder hat er das von seinen Vorgängern, die aus den gewerkschaftlichen Bereichen stammen, den Postministern Matthöfer und Gscheidle, im wesentlichen übernommen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe nicht im einzelnen nachgeprüft, wann das übernommen worden ist. Aber Sie haben natürlich völlig recht: Das ist ein Vorgang, der sich nicht nur bei der Deutschen Bundespost abspielt, sondern, ich sagte es vorhin schon, in vielen Verwaltungen ist deutlich erkannt worden, daß die Reinigungskräfte aus Fremdbetrieben ganz offensichtlich billiger sind. Deswegen werden sie eingesetzt. Und, wie gesagt, das ist nicht erst jetzt, bei dieser Bundesregierung, so geschehen, sondern schon vorher. Die Rechnungshöfe dringen ja auch darauf, daß wir es so handhaben.
Herr Staatssekretär, wie funktioniert denn die Aufsicht über die Privatreinigungsfirmen, und ergeben sich daraus nicht Schwierigkeiten für das Personal der Deutschen Bundespost, weil es ja eigentlich den Privatreinigungsfirmen gegenüber nicht weisungsberechtigt ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Es ist auch nicht erforderlich, daß es weisungsberechtigt ist, sondern es genügt, festzustellen, ob ordnungsgemäß gereinigt worden ist. Ich habe Ihnen das Verfahren genannt: Werden Mängel festgestellt, dann wird zunächst vertraglich abgemahnt, und wenn keine Nachbesserung erfolgt, wird der Vertrag gekündigt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kretkowski.
Über welche Erfahrung verfügt denn die Deutsche Bundespost mit der Praxis der Arbeit der privaten Reinigungsfirmen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie werden daraus, daß die Deutsche Bundespost — aber nicht nur die Deutsche Bundespost, sondern auch andere Verwaltungen — verstärkt dazu übergeht, Fremdreinigungskräfte einzusetzen, erkennen, daß die Erfahrungen offensichtlich sehr gut sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter .
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, gängige Erfahrungen wiesen aus, daß die Arbeiten von privaten Firmen billiger verrichtet würden. Haben Sie in dem Zusammenhang als Teil der öffentlichen Hand die Steuerausfälle und die Ausfälle an Sozialversicherungsbeiträgen dagegengerechnet, die durch teilweise nicht abgesicherte Arbeitsverhältnisse bei den Privatfirmen entstehen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, ich habe nicht gegengerechnet, aber man kann j a nicht so pauschal, wie das jetzt gerade erfolgte, sagen, daß die Kräfte, die nicht bei öffentlichen Händen tätig sind, keiner Steuer- und keiner Sozialversicherungspflicht nachkommen. Auch diejenigen, die nicht sozialversicherungspflichtig sind und nur in Beschäftigungsverhältnissen bis zu 390 DM sind, zahlen ja, wie Sie wissen, Herr Kollege, Steuern, wenn sie von der Firma auch pauschal abgeführt werden müssen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedel.
Herr Staatssekretär, nachdem mich diese Fragen etwas irritiert haben, frage ich: Sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß die Deutsche Bundespost ein Beförderungsunternehmen und kein Reinigungsunternehmen ist, und könnten Sie mir bitte weiterbestätigen, daß die Deutsche Bundespost wie jedes Unternehmen auch ihre Diensträume und Verwaltungsgebäude ausschließlich nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der dadurch erzielten größtmöglichen Sauberkeit durchführen sollte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, ich bestätige Ihnen dies noch einmal gern, was die Wirtschaftlichkeit betrifft. Ich denke, das ist auch aus meinen vorherigen Ausführungen deutlich geworden. Aber ich möchte auch sehr klar unterstreichen, daß wir hier ja Dienste für uns in Anspruch nehmen und daß das nicht Dienstleistungen sind, die wir unseren Kunden zur Verfügung stellen.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Kretkowski auf:
Wie viele Arbeitnehmer/innen im posteigenen Reinigungsdienst waren Vollzeitarbeitskräfte, wie viele teilzeitbeschäftigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Nachsicht, wenn ich noch einmal die Bitte äußere, die beiden Fragen des Fragestellers gemeinsam beantworten zu dürfen.
Das ist Ihr gutes Recht. Wir wollen einmal sehen, was der Abgeordnete sagt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8037
Dann rufe ich auch Frage 47 des Herrn Abgeordneten Kretkowski auf:
Wie hoch war der Anteil der von den Privatunternehmen für die Reinigung bei der Deutschen Bundespost eingesetzten Vollzeitarbeitskräfte, und wie hoch war der Anteil der versicherungsfrei beschäftigten Arbeitnehmer ?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kretkowski, im posteigenen Reinigungsdienst sind rund 1 700 Vollarbeitskräfte und rund 11 400 Teilzeitkräfte beschäftigt. Von den Teilzeitkräften entfallen, aufgegliedert nach Wochenstundengruppen, auf bis zu zehn Wochenstunden 1 840 Kräfte, auf über 10 bis 20 Wochenstunden 3 100 Kräfte, auf über 20 bis 30 Wochenstunden 4 470 Kräfte und auf über 30 bis 39 Wochenstunden 1 980 Kräfte.
Die Deutsche Bundespost besitzt keine Unterlagen über die Wochenarbeitszeiten und die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitskräften der beauftragten Reinigungsunternehmen. Die jeweiligen Arbeitszeiten können nach Größe und Art der Objekte sehr unterschiedlich sein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kretkowski.
Herr Staatssekretär, bedauert die Bundesregierung nicht den Abbau von Teilzeitarbeitsplätzen bei der Deutschen Bundespost, weil sie ja andererseits immer wieder zu Recht darauf hinweist, daß auf dem Arbeitsmarkt ein sehr hoher Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen vorhanden ist.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß man aus der Beauftragung von Fremdreinigungskräften schließen kann, daß Teilarbeitsplätze generell verlorengehen, denn die entstehen ja bei diesen Unternehmen neu. Ob wir sie mit eigenen Kräften wahrnehmen oder durch Fremdkräfte, muß sich nach der Wirtschaftlichkeit richten. Sie kennen so gut wie ich die Vorhaltungen des Bundesrechnungshofs und des Rechnungsprüfungsausschusses, wonach nicht nur der Deutschen Bundespost, sondern auch anderen Verwaltungen auferlegt wird, den Reinigungsdienst wirtschaftlicher zu gestalten.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kretkowski.
Achtet die Deutsche Bundespost bei der Vergabe von Reinigungsaufträgen an Privatfirmen eigentlich darauf, daß von den Firmen auch Tarifverträge eingehalten werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wir können die Firmen nicht im einzelnen beaufsichtigen. Dafür sind die Aufsichtsämter zuständig. Aber Zuverlässigkeit und andere Voraussetzungen, die bei der Ausschreibung von Fremdvergaben notwendig sind, werden selbstverständlich beachtet.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna, bitte.
Herr Staatssekretär, ich darf auf die Qualitätsfrage zurückkommen. Da Sie sich nicht erklären können, warum bei einem Leistungsunterschied — ich nehme Ihre eigenen Zahlen — zwischen 90 bis 100 Quadratmetern durch posteigene Kräfte und 150 bis 160 Quadratmetern durch Fremdkräfte — ich kenne auch Angaben, die über 200 Quadratmetern liegen — keine Qualitätsunterschiede fühlbarer Art eintreten, frage ich: Ist eigentlich einmal geprüft worden, ob man die Wirtschaftlichkeit nicht auch dadurch verbessern könnte, daß man die Vorgaben für die posteigenen Kräfte ändert?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich habe nicht gesagt, daß ich mir das nicht erklären könnte. Ich habe gesagt, ich wolle das nicht werten, sondern hier nur die Tatsachen wiedergeben, die festgestellt worden seien. Ich denke, das ist ein kleiner Unterschied.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, für den Fall, daß Sie das nicht werten wollen, ich aber gern eine Bewertung von Ihnen hätte, hätten Sie die Güte, eine solche vorzunehmen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, es hilft uns beiden überhaupt nicht, ob wir hier Feststellungen dieser oder anderer Art treffen. Sie wissen so gut wie ich, wie schwer es ist, in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen bestimmte Leistungsanforderungen durchzusetzen. Wir haben die Auflage des Bundesrechnungshofs, den Reinigungsdienst wie andere Verwaltungen wirtschaftlich zu gestalten. Dem kommen wir nach.
Ich greife das Beispiel von vorhin auf. Da sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und selbst Ihre Parteizentrale der Fremdreinigung bedienen, denken Sie vielleicht einmal mit mir darüber nach, warum die das tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, beschränkt sich die Art der Teilzeitbeschäftigung und der versicherungsfreien Arbeitnehmer eigentlich auf den Bereich der Reinigung, oder haben Sie nicht aus betrieblichen Überlegungen Arbeitskräfte dieser Art auch in anderen Bereichen als sogenannte Abrufkräfte eingesetzt, weil sich das in der Deutschen Bundespost organisatorisch nicht anders darstellen läßt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sicher, das haben wir in ganz großem Umfang. Solche Zahlen waren schon einmal Gegenstand der Fragestunde. Daran ändert sich selbstverständlich nichts.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, ist diese Art der Beschäftigung eigentlich eine Zumutung für die betroffenen Arbeitnehmer, oder haben
8038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Pfeffermann
Sie das Gefühl oder die Erkenntnis, daß Sie in diesem Bereich einem erheblichen Bedarf entgegenkommen, weil viele Arbeitskräfte diese Art der Beschäftigung wünschen, weil sie damit Arbeit und Familie besser in Einklang bringen können als durch eine andere Art der Beschäftigung?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das ist in vielen Beschäftigungsverhältnissen dieser Art der Fall, Herr Kollege Pfeffermann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, bei diesen gravierenden Unterschieden, die sich aus dem Leistungsvergleich ergeben, zwingt sich die Frage auf, ob die hier behauptete höhere Leistungsfähigkeit privater Unternehmen nicht auch darin zu suchen ist, daß die Post mit der Vergabe an private Unternehmen die Reinigungshäufigkeit herabsetzt, sie also im Gegenteil dann, wenn sie selbst reinigt, höhere Häufigkeiten unterstellt und damit auch die Wirtschaftlichkeit nachhaltig beeinflußt.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Soweit ich es bis jetzt übersehen kann, ist das nicht der Fall. Aber ich will die Frage gern noch einmal überprüfen, Herr Kollege Bernrath.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß der nach Ihrer Auffassung effektivere Einsatz von Arbeitnehmern in Privatfirmen auch unter Umgehung des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung zustande kommen kann?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht beurteilen, Herr Kollege.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Untersuchungen der Deutschen Bundespost liegen Ihrer Aussage zugrunde, daß Sie die letzte Frage des Abgeordneten Pfeffermann positiv bestätigen konnten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nun, dazu brauche ich keine Untersuchungen. Ich kenne die Dienstverhältnisse der Mitarbeiter der Deutschen Bundespost und weiß, daß das, wonach er hier gefragt hat, zutreffend ist.
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kretkowski.
Warum sind Sie denn in diesem Fall bereit, Ihre persönliche Meinung vorzutragen, im anderen Fall — bei der Frage des Kollegen Paterna — aber nicht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kretkowski, ich will wirklich nicht flapsig antworten. Aber sehen Sie mir die laxe Art nach, mit der ich jetzt antworte: Ich denke, das haben Sie längst selbst gemerkt.
Wir kommen zur Frage 48 des Herrn Abgeordneten Liedtke:
Welche mittelfristigen und langfristigen Veränderungen im Verhältnis Eigenreinigung/Fremdreinigung werden vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen angestrebt, und welche Mindestbedingungen sind dabei vorzugeben, um die Umstellung für posteigenes Personal sozial verträglich zu gestalten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, es handelt sich um eine Serie von Fragen, die offensichtlich alle dieselbe Sache zum Gegenstand haben. Ich hoffe, daß der Kollege Liedtke einverstanden ist, daß auch seine beiden Fragen zusammen beantwortet werden.
Er ist einverstanden. Damit rufe ich auch die Frage 49 auf:
Welche Bedingungen werden den privaten Reinigungsfirmen bei Ausschreibungen gestellt, und wie wird die Einhaltung dieser Bedingungen sichergestellt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Liedtke, die Deutsche Bundespost läßt ihre gesamte Raumfläche zur Zeit zu rund 55 % durch eigene Kräfte und zu rund 45 % durch fremde Kräfte reinigen. Der Eigenreinigungsanteil soll unter Berücksichtigung der Sicherheitsbereiche auf etwa 25 % abgesenkt werden. Aus diesem Anlaß soll keine posteigene Reinigungskraft entlassen werden. Für die Umstellung ist deshalb ein Zeitraum von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Die Vorhabenplanung ist auf die Personalfluktuation der eigenen Kräfte so ausgerichtet, daß auf keinen Fall soziale Härten aufkommen können. Erforderliche Umsetzungen von Postreinigungskräften werden nur im Rahmen der Zumutbarkeit durchgeführt werden.
Das Gebäudereinigerhandwerk ist ein anerkannter Handwerks- und Lehrberuf. Die Lohntarifverträge und der Rahmentarifvertrag, der die Zahlung der Jahressondervergütung, des Urlaubsgeldes und der Zuschläge sowie den Anspruch auf Urlaub regelt, werden mit der IG Bau, Steine, Erden abgeschlossen und von den Arbeitsministern der Länder bzw. vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für allgemeinverbindlich erklärt. Für das Gebäudereinigerhandwerk gelten dieselben allgemeinen gesetzlichen Regelungen wie für das übrige Handwerk. Die Einhaltung der Vorschriften ist von den hierfür zuständigen Stellen zu überprüfen, z. B. von der Gewerbeaufsicht und der Handwerkskammer.
Die Gebäudereinigungsleistungen werden nach der Verdingungsordnung für Leistungen nur an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben. Von dem Bieter wird eine Erklärung gefordert, daß er seinen Verpflichtungen zur Zahlung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nachkommt. Sonstige Bedingungen werden nicht gestellt; sie wären auch ein Eingriff in das Vergaberecht. Dies wird abgelehnt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8039
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Liedtke.
Die Frage drängt sich auf, Herr Staatssekretär, ob der finanzielle Vorteil und damit die höhere Wirtschaftlichkeit für die Bundespost, die durch die Umstellung in diesem Bereich erreicht werden sollen, finanziell und wirtschaftlich zu Lasten der bei Privatfirmen Beschäftigten geht. Gibt es, falls Ihnen diese Frage je gekommen sein sollte, Mindestvorkehrungen, um hier diese unbotmäßige Verlagerung zu vermeiden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe vorhin schon einmal deutlich gemacht, daß es gute Gründe dafür geben muß, daß auch alle anderen Verwaltungen — beispielsweise auch die Verwaltungen in Ländern, die, wie in Hessen, von Kollegen Ihrer Partei regiert werden — diesen Weg gehen. Ich sage noch einmal: Wir haben die Auflage nicht nur des Rechnungshofes, sondern auch des Rechnungsprüfungsausschusses, hier die Reinigungsdienste wirtschaftlicher zu gestalten. Dem müssen wir folgen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen aufgegangen, daß ich meine Frage nicht an das Land Hessen, sondern an Sie gerichtet hatte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Liedtke, ich habe vorhin schon deutlich gemacht, daß mir das sehr wohl aufgegangen ist. Nur versteht es die Bundesregierung nicht, daß Sie bei der Bundesregierung das beanstanden wollen, was Sie selber dort handhaben, wo Ihre Parteifreunde regieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Post auch im Interesse ihrer Benutzer gehalten ist, ihre Leistungen so wirtschaftlich wie möglich anzubieten und daß dazu z. B. auch die Reinigung ihrer eigenen betrieblichen Anlagen gehört?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist richtig. Alle Kosten, die uns entstehen, müssen wir in irgendeiner Form auf unsere Kunden abwälzen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre wiederholten Hinweise auf die Praxis in SPD-regierten Ländern so verstehen, daß Sie bereit sind, im Bereich der Bundespost sich an positiven Beispielen in diesem Sektor zu orientieren und z. B. zu den Rahmenbedingungen hinzuzuzählen, daß Sie das Vorhandensein eines Betriebsrates voraussetzen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, die Bundesregierung ist bereit, Beanstandungen, die der Rechnungshof festgestellt hat, so nachzugehen, wie es das pflichtgemäße Ermessen gebietet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordnete Paterna.
Herr Staatssekretär, ich habe doch die herzliche Bitte, daß Sie meine Fragen beantworten. Ich habe ganz konkret das Stichwort Betriebsrat genannt. Darf ich Sie nun zum wiederholten Male anflehen, wenn es irgend möglich ist auf meine Frage einzugehen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Also, Herr Kollege Paterna, ich habe nicht den Eindruck, daß Sie flehen müssen. Sie brauchen auch nicht zu bitten. Aber Sie kennen das Personalvertretungsrecht so gut wie ich, und Sie wissen, daß Vorstellungen, die im Bereich einer öffentlichen Verwaltung in dieser Form verwirklicht werden, natürlich mit dem Betriebsrat abgestimmt werden müssen. Das ist bei der Deutschen Bundespost auch so geschehen, und es wird natürlich im weiteren Verlauf des Verfahrens geschehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, wurden Ihnen denn z. B. von Kollegen der SPDFraktion oder von anderen Umstände bekanntgemacht, und zwar in so erheblicher Zahl, daß Sie einen Anlaß sehen, die Frage 49 als der Sache nach berechtigt zu betrachten, oder sind Ihnen dazu keine Einzelvorgänge bekanntgemacht worden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Pfeffermann, Einzelvorgänge sind mir dazu nicht bekanntgemacht worden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Darf ich also davon ausgehen, daß diese Fragestunde heute in bezug auf die Fragen 48 und 49 ausschließlich im theoretischen Bereich stattfindet? Könnte es also sein, daß die Kollegen, die hier anfragen, Ihnen auch in der Vergangenheit keine konkreten Einzelfälle bekanntgemacht haben, denen nachzugehen Sie sicherlich gerne bereit gewesen wären?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Aber sicher. Ich bin auch gerne bereit, noch nach dieser Fragestunde eingehenden guten Vorschlägen nachzugehen, Herr Kollege Pfeffermann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kretkowski.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, daß es bei der Deutschen Bundespost Personalräte und keine Betriebsräte gibt und
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Kretkowski
daß die Frage des Kollegen Paterna auf die Betriebsräte abzielte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sollte ich mich versprochen haben, dann will ich das gerne korrigieren. Aber ich denke, Sie kennen das öffentliche Personalvertretungsrecht so gut wie jeder andere hier im Saal.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kretkowski.
Sie wollen es wohl nicht verstehen. — Herr Staatssekretär, sind Ihnen Fälle bei der Deutschen Bundespost bekannt — wie mir aus anderen Bereichen —, daß Firmeninhaber von privaten Reinigungsunternehmen immer wieder neue Subunternehmen gründen, ganze Ketten von Subunternehmen — einmal um Preise zu manipulieren, aber zweitens auch, um tarifrechtlichen Verpflichtungen aus dem Weg zu gehen —, und die Arbeitnehmer von einem Subunternehmen zum anderen verschieben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kretkowski, ich kenne natürlich die Diskussion, die über dieses Thema immer wieder geführt wird. Aber uns liegen solche konkreten Vorgänge nicht vor.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter .
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Aufforderung, Ihnen gute Ratschläge zu geben: Wären Sie denn bereit, die Bundesanstalt für Arbeit um Überprüfung zu bitten, ob in den bei Ihnen beschäftigten Reinigungsfirmen das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingehalten werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu sieht die Bundesregierung, wenn kein konkreter Fall vorgetragen wird, keine Veranlassung. Ich habe Ihnen gesagt, daß die Aufsicht über diese Firmen von den dazu zuständigen Behörden durchgeführt wird. Und ich denke, vorher hat die Bundesregierung nicht tätig zu werden.
Ich rufe Frage 50 des Abgeordneten Bernrath auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, daß sozial abgesicherte Voll- und Teilzeitarbeitsplätze im Reinigungsdienst bei der Deutschen Bundespost durch eine Privatisierung abgebaut und durch versicherungsfreie Teilzeitarbeitsplätze ersetzt werden, die keinen eigenen Rechtsanspruch auf Alters-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, darf ich auch die Fragen 50 und 51 gemeinsam beantworten?
Sind Sie einverstanden? — Ja.
Ich muß überhaupt ein bißchen auf Eile drängen, weil noch eine Reihe von Fragen vorliegen.
Ich rufe dann also die Frage 51 des Abgeordneten Bernrath auf:
Wie hoch werden die Einnahmeverluste an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen durch je 5 v. H. gesteigerten Fremdreinigungsanteil bei der Deutschen Bundespost geschätzt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, die Gebäudereinigung ist keine Dienstleistung des Post- und Fernmeldewesens. Hier handelt es sich um eine Hilfstätigkeit für den eigenen Bedarf, die auch alle Unternehmen und Einrichtungen außerhalb der Verwaltung für sich in Anspruch nehmen müssen. Die allgemeine Behauptung, Arbeitsplätze im Reinigungsdienst der Deutschen Bundespost würden durch versicherungsfreie Teilzeitarbeitsplätze im Gebäudereinigerhandwerk ersetzt, kann also so nicht akzeptiert werden.
Erstens bleiben die Sicherheitsbereiche in Eigenreinigung — das sind nach den bisher vorliegenden Planungen 25 Prozent der Gesamtraumfläche —, zweitens ist bekannt, daß unter den beauftragten Reinigungsunternehmen viele sind, die entweder sämtliche Kräfte oder die Kräfte, die es wünschen, sozialversichert beschäftigen. Die nach den Einschränkungen des Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes vom 25. Juli 1978 noch mögliche Beschäftigung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze gilt auch für das Gebäudereinigerhandwerk und für die Bewerber um solche Kurzzeitbeschäftigungen. Die Beschäftigten im Gebäudereiniger-handwerk zahlen genauso Steuern wie die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Wenn die Bezüge von Kräften unter der steuerlichen Geringfügigkeitsgrenze bleiben, muß das Unternehmen, wie ich es vorhin schon gesagt habe, die Bezüge pauschal versteuern. Deshalb kann grundsätzlich nicht von Verlust an Steuereinnahmen ausgegangen werden.
Die Reinigungsunternehmen haben 1983 rund 5,6 Millionen DM Umsatzsteuer aus Reinigungsverträgen der Deutschen Bundespost gezahlt. Wir rechnen damit, daß dieser Betrag bei einer weiteren Umstellung auf Fremdreinigung noch um weitere zehn Millionen DM ansteigen wird.
Da die Deutsche Bundespost keine Unterlagen über den Umfang der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse bei den beauftragten Unternehmen besitzt, können die dort gezahlten Sozialversicherungsbeiträge auch nicht denen für Postreinigungskräfte gegenübergestellt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in diesem Vorgehen nicht eine Konterkarierung ihrer eigenen Bemühungen, alle Betriebe und alle Beschäftigten gleichermaßen an den sozialen Kosten, Sozialversicherungskosten im weitesten Sinne, zu beteiligen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß wir davon ausgehen, daß auch die bei Fremdreinigungsfirmen Beschäftigten, soweit das die Arbeitsverhältnisse ergeben,
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8041
Parl. Staatssekretär Rawe
sozialversicherungspflichtig sind und natürlich auch Steuern zahlen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung denn darüber im klaren, daß über diesen Weg, der übrigens nicht allein auf den Reinigungsdienst beschränkt ist, immer mehr Beschäftigte in nicht existenzsichernde Tätigkeiten, Versicherungsverhältnisse und damit langfristig auf die von den Kommunen zu finanzierende Sozialhilfe gedrängt werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, die Bundesregierung hat kein Verständnis dafür, warum Sie und Ihre Kollegen in dieser Frage so hartnäckig insistieren. Ich sagte Ihnen vorhin schon: Dies wird von der Bundesregierung und anderen Verwaltungen so gehandhabt, weil die Rechnungshöfe diese Tatsachen festgestellt haben und darauf dringen, daß mehr Wirtschaftlichkeit in allen öffentlichen Haushalten praktiziert wird.
Ich denke, es wäre, als die Feststellungen des Bundesrechnungshofs getroffen worden waren, eine gute Gelegenheit gewesen, diese Frage im Rechnungsprüfungsausschuß dieses Hohen Hauses zu diskutieren.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, wir insistieren nicht, wir fragen, weil wir wie viele andere Kollegen hier im Hause nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Post sehen, sondern auch besorgt die Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme beobachten.
Darum frage ich Sie noch einmal, ob Sie eventuell auf diese Weise den Trend zur Abkehr von der Belastung arbeitender Personen mit Steuern und Abgaben und zur Hinwendung zur Belastung der Betriebe auf der Grundlage der Wertschöpfung mit solchen Steuern und Abgaben begünstigen wollen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung bewertet dies nicht so wie Sie, sonst würden wir diesen Weg nicht gehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, haben Sie in Beantwortung der Fragen 50 und 51 des Kollegen Bernrath eigentlich einen neuen Tatbestand beschrieben, oder ist dies ein Tatbestand, der auch schon existent war, als der Kollege Bernrath in seiner Eigenschaft als Personalchef der Deutschen Bundespost haargenau für diesen Bereich Zuständigkeit hatte?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, dem Schmunzeln des Herrn Kollegen Bernrath entnehme ich, daß das wohl so ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becker .
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihnen zur Kenntnis bringe, daß beim Parteivorstand der SPD der größte Teil der Reinigungskräfte eigene Kräfte sind und bei der Fremdreinigung in den Verträgen mit den Firmen darauf gedrungen wird, daß auf jeden Fall die Alters-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungspflicht eingehalten werden muß, würden Sie dann im Bereich der Bundespost für die Folgezeit ähnliche Bestrebungen verfolgen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, ich vermute, daß Sie meine Antwort vorhin nicht richtig verstanden haben. Ich habe ausdrücklich bestätigt, daß wir bei Abschluß der Verträge eine Erklärung verlangen, daß der Sozialversicherungspflicht entsprochen ist. Aber ich bedanke mich natürlich dafür, daß für einen Teil der SPD-Zentrale das zutrifft, was ich hier vorhin ausgeführt habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, haben Sie in den Unterlagen, die Sie in diesem Bereich von den Vorgängerregierungen übernommen haben, vielleicht hilfreiche Vorschläge des Kollegen Bernrath vorgefunden, diesen Aufgabenbereich im wesentlichen neu zu ordnen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich habe in den beiden letzten Wochen nicht über so viel Zeit verfügt, daß ich alle Vorschläge aus der Vergangenheit hätte prüfen können. Es ist aber sicherlich so, daß die Vorschläge nicht erst jetzt erarbeitet worden sind, sondern die Frage der Umstellung auf Reinigungskräfte ist j a in allen Verwaltungen schon seit fünf bis zehn Jahren akut.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, in Zusammenhängen, wo wir in der Beurteilung nahe beinander sind oder übereinstimmen, aus meinem Schmunzeln Schlüsse der Art zu ziehen, daß Sie entsprechende Aktivitäten dann im Postministerium einleiten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, die Bundesregierung wird immer gern Vorschläge verwirklichen, die zu mehr Wirtschaftlichkeit führen. Da ich davon ausgehe, daß Sie dies damit gemeint haben: selbstverständlich einverstanden.
8042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, sind Sie denn bereit, alle möglichen auftauchenden Fragen, die hier noch so manchem in den Kopf kommen könnten, gegebenenfalls auch privatim außerhalb des Plenums zu beantworten, so daß vielleicht noch andere Geschäftsbereiche heute zur Beantwortung von Fragen kommen können?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das entspringt dem Respekt vor diesem Hohen Hause.
Wir kommen zu Frage 52 des Abgeordneten Paterna:
Welche Bereiche sollen bei der Deutschen Bundespost durch Privatfirmen gereinigt werden, die bei der Überprüfung der dort Beschäftigten als „sicherheitsempfindlich" gelten, und wie werden die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Definition von Sicherheitsbereichen begründet?
Oder sollen wir die beiden Fragen wieder zusammenfassen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich danke Ihnen, daß Sie schon vorgegriffen haben.
Ich nehme an, Herr Paterna ist einverstanden. — Dann rufe ich seine Frage 53 auf:
In welchem Umfang sind Postbedienstete zu verstärkter Aufsicht von privaten Reinigungskräften erforderlich, und welche Schwierigkeiten gibt es in der Praxis bei der Mängelbeseitigung?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, alle Bereiche, die von der Betriebssicherung der Deutschen Bundespost als sicherheitsempfindlich eingestuft worden sind, sollen nur durch eigene Kräfte und nicht durch Privatfirmen gereinigt werden. Soweit solche Bereiche in einzelnen Fällen noch nicht durch Postkräfte gereinigt werden, sollen die Voraussetzungen durch zumutbare Personalumbe setzungen, gegebenenfalls aber auch durch Neueinstellungen, geschaffen werden. Für den Bereich der Deutschen Bundespost gibt es eine Dienstanweisung für die Betriebssicherung und zusätzlich entsprechende Richtlinien für das Fernmeldewesen. Auf der Grundlage dieser postspezifischen Anforderungen sind die Sicherheitsbereiche für die Gebäudereinigung festgelegt worden. Es gehört heute schon zu den Aufgaben der örtlichen Betriebssicherung und der Hausverwaltungen, die Reinigungskräfte zu beaufsichtigen. Ob diese Personalansätze bei einem weiteren Übergang auf Fremdreinigung ausreichen werden, muß die Erfahrung noch zeigen.
Wenn Reinigungsmängel in einzelnen Fällen festgestellt werden, so bereitet das keine Schwierigkeiten. Ich habe vorhin schon deutlich gemacht: Die Reinigungsunternehmen sind vertraglich zu einer Nachbesserung verpflichtet, und das Verfahren ist in Richtlinien für die Gebäudereinigung der Deutschen Bundespost geregelt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, können Sie mal die Bereiche beschreiben, die bei der Deutschen Bundespost als sicherheitsempfindlich bezeichnet werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will jetzt nicht eine Liste aufführen. Aber vielleicht umschreibe ich es so, wenn ich sage: Überall dort, wo wir das Brief- und Fernmeldegeheimnis hüten müssen, handelt es sich um Räume, die sicherheitsempfindlich sind.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.
Meine Frage zielte ja auf die Vergleichbarkeit Ihres Sicherheitsbegriffs. Sind die Bereiche der deutschen Bundespost, für die es bei dem bei der Post beschäftigten Personal Sicherheitsüberprüfungen irgendwelcher Art gibt, mit den Bereichen identisch, die Sie in Zukunft in der Eigenreinigung belassen wollen? Wenn nein: Wie ist die Differenz zu erklären?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich gehe davon aus, daß das so ist. Aber ich möchte mich hier nicht festlegen, sondern die Frage zunächst noch einmal überprüfen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Abgesehen von diesem Sicherheitsaspekt im engeren Sinn: Kann ich davon ausgehen, daß Bereiche, in denen Postgut lagert — seien es Briefe, seien es Pakete oder anderes —, also zur Weiterbeförderung bestimmte Güter, oder in denen Daten über Personal oder Kunden zugänglich sind, auch im Bereich der Eigenreinigung verbleiben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: So, wie Sie es jetzt formuliert haben, Herr Kollege Paterna, können Sie davon ausgehen. Denn dann handelt es sich ja um Räume, deren Wert besonders zu sichern ist. Und die sollen weiter von Eigenkräften gereinigt werden.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Ist bei der Vergabe an Fremdreinigungen auch daran gedacht, diese Reinigung mehr während der Dienstzeit durchführen zu lassen? Und könnten sich dadurch Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs ergeben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich bitte um Nachsicht, daß die Bundesregierung jetzt nicht die gesamten Reinigungsvorschriften der Deutschen Bundespost vortragen kann. Ich kann das im Moment nicht übersehen. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen eine entsprechende Auskunft zukommen zu lassen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8043
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, daß Ihre Antwort auf die zweite Zusatzfrage des Kollegen Paterna dahin ausgelegt werden könnte, daß Sie ausgeführt haben könnten, daß nur noch die sicherheitsempfindlichen Bereiche von Eigenkräften gereinigt werden sollen? War das wirklich beabsichtigt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich habe eine bewußt sehr vorsichtige Auskunft gegeben und habe so geantwortet, wie es der Fragestellung des Herrn Paterna entsprach, und habe dann darauf hingewiesen, daß ich das im einzelnen gern noch überprüfen wolle.
Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, haben Sie für diese meine Frage bitte insofern Verständnis, als ich doch davon ausgehe, daß all diese Fragen im Zusammenhang mit den Personalratswahlen des nächsten Jahres gestellt worden sind und mit dem eigentlichen Sachvorgang herzlich wenig zu tun haben.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, genauso habe ich das verstanden, und deswegen bin ich auch für die — —
Nur, dies gehörte, Herr Kollege Pfeffermann, nicht zu den Fragen und auch nicht zum Sachbereich.
Ich möchte, bevor ich dem nächsten Fragesteller die Möglichkeit der Beantwortung durch den Staatssekretär gebe, insbesondere das Ohr der Geschäftsführer haben. Wir haben für zehn Fragen mit ihren Zusatzfragen von allen Seiten des Hauses fast eine Dreiviertelstunde verbraucht. Dies geht so nicht. Man kann auch mit drei Doppelfragen ein ganzes Thema abhandeln.
Wir kommen zu der Frage 54 des Abgeordneten von der Wiesche:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein ausländischer Arbeitnehmer für die Anmeldung eines Telefonanschlusses in der Bundesrepublik Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis, eine Arbeitserlaubnis und Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vorlegen muß?
Der Herr Staatssekretär hat das Wort.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundespost ist daran interessiert, daß auch Ausländer, die sich hier niederlassen, einen Telefonanschluß bestellen. Um dies zu erleichtern, gibt es Übersetzungen der Antragsformblätter, Herr Kollege, in sieben Sprachen. Für die Annahme von Anträgen auf Telefon gelten für die ausländischen Antragsteller die gleichen Bestimmungen wie für Deutsche. Bei der
Antragsannahme wird im allgemeinen kein ausdrücklicher Nachweis der Identität des Antragstellers verlangt. Im Einzelfall kann dies jedoch zweckmäßig sein, z. B. wenn sich der Antragsteller nur vorübergehend im Inland aufhalten will. Es liegt im legitimen Interesse der Deutschen Bundespost, z. B. bei kurzfristigem Wegzug des Teilnehmers die Möglichkeit zu erhalten, etwa noch offene Gebührenforderungen einzuziehen. Für Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort bedarf es entsprechender Angaben, die aus geeigneten amtlichen Ausweisen usw. entnommen werden können.
Zusatzfrage des Abgeordneten von der Wiesche.
Herr Staatssekretär, was würden Sie denn sagen, wenn die Deutsche Bundespost mit hektographierten Schreiben ausländischen Arbeitnehmern gegenüber, die um einen Telefonanschluß nachsuchen, genau die Forderung aufstellt, nach der ich Sie gefragt habe? Halten Sie dies nicht für eine Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Ich habe Ihnen j a gesagt, es gibt keine anderen Bestimmungen als bei Anmeldungen aus dem Inland auch. Aber es muß eine Möglichkeit geben, daß wir Telefonrechnungen auch nachher noch nachfordern können. So gibt es z. B. eine Vereinbarung mit den Streitkräften der Vereinigten Staaten, die hier stationiert sind, daß die Angehörigen dieser Streitkräfte, wenn sie einen privaten Telefonanschluß haben wollen, auch ihre Sozialversicherungsnummer angeben, damit wir auch später noch in der Lage sind, Telefonrechnungen beitreiben zu können.
Zusatzfrage des Abgeordneten von der Wiesche.
Würden Sie mir denn zustimmen, daß die Erfordernisse erfüllt sind, wenn ein Ausländer bereits seit zehn Jahren mit seiner Familie in der Bundesrepublik lebt und auch hier arbeitet?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bitte um Nachsicht, wenn ich, ohne den Einzelfall zu kennen, keine Zustimmung gebe. Aber Sie wissen, daß es durchaus auch passiert, daß ein Deutscher einen Telefonanschluß einmal abgeschaltet bekommen muß. Wenn solche Fälle wiederholt vorkommen, dann muß man Vorkehrungen treffen, um künftig Sicherheit für die Rechnung zu haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es auch Deutsche gibt, die gelegentlich ins Ausland fahren und ihre Telefonrechnung nicht bezahlt haben, und insofern durch die Vorabunterstellung beim Ausländer eine Diskriminierung gegeben ist?
8044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe keine Vorabunterstellungen getroffen, und das tut die Deutsche Bundespost auch nicht. Im übrigen habe ich j a gesagt, es gelten die gleichen Vorschriften.
So, meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. — Ich versuche, durch schnelles Sprechen ein bißchen Zeit aufzuholen.
Der Fragesteller der Fragen 55 und 56, Herr Abgeordneter Zander, hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Dr. Sperling sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 59 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Wie will die Bundesregierung im Rahmen der von ihr angekündigten Novellierung des Wohngeldrechts dem Umstand Rechnung tragen, daß die Wohnraummieten in verschiedenen Großstädten und Ballungsräumen erheblich über dem allgemeinen Mietenniveau liegen und die bisherige Wohngeldsystematik dem nicht gerecht wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schöfberger, die Bundesregierung hat zu der von Ihnen gestellten Frage noch keine Beschlüsse gefaßt. Der Bundesbauminister beabsichtigt aber, der Bundesregierung vorzuschlagen, die bisherige Wohngeldsystematik zu ändern und die geltende Einteilung der Höchstbeträge in drei Gemeindegrößenklassen durch eine solche in fünf Mietenstufen zu ersetzen. Die den einzelnen Mietenstufen zugeordneten Höchstbeträge sollen an den regional unterschiedlich hohen Quadratmetermieten orientiert sein. Für München sollen die zuschußfähigen Höchstbeträge der höchsten Mietenstufe gelten. Da die Bandbreite der Abstufung der Höchstbeträge nach dem regionalen Mietenniveau größer sein wird als nach der bisherigen Einteilung nach Gemeindegrößenklassen, wird München nicht nur durch die allgemeine Anhebung des Wohngeldes, sondern auch durch diese beabsichtigte Neuregelung begünstigt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schöfberger.
Bis wann ist mit dem Inkrafttreten der Novelle zu rechnen, zum 1. Januar 1986 oder erst später?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Soweit sich die Dinge abzeichnen, ist mit dem Inkrafttreten zum 1. Januar 1986 zu rechnen.
Dann haben wir noch eine Zusatzfrage von Dr. Riedl.
Danke, Herr Präsident. — Herr Staatssekretär, was für uns als Münchner Abgeordnete wichtig ist: Wird vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Wohngeldnovelle an der einzelne Wohngeldbezieher in München auch tatsächlich mehr Geld bekommen, und ist nicht — hoffentlich nicht — zu befürchten, daß das jetzige Wohngeld als Höchstgrenze genommen und dann nach unten abgerechnet wird?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, ich habe soeben zum Ausdruck gebracht, daß sowohl die allgemeine Anhebung des Wohngeldes als auch die beabsichtigte Neugestaltung für die Einführung von fünf Mietenstufen insgesamt für die Münchner Bevölkerung in doppelter Hinsicht eine Verbesserung darstellen. Ich kann zwar im Moment auf einen Einzelfall nicht eingehen; aber daran sehen Sie die Tendenz, die darin zum Ausdruck kommt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, wie wollen Sie die daraus resultierende, zu erwartende Inflation der Wohngeldverpflichtungen der Bundesregierung auffangen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß wir eine Wohngeldnovelle angekündigt haben. Sie wissen, daß sich der Zeitpunkt 1. Januar 1986 abzeichnet. Sie wissen auch, daß das endgültige Volumen noch nicht feststeht. Insgesamt läßt sich heute aber feststellen, daß die Bevölkerung auf dem Gebiete des Wohngeldes von der Bundesregierung nicht im Stich gelassen wird.
Wir kommen zur Frage 60 des Abgeordneten Dr. Schöfberger:
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Rahmen des „Ausstiegs des Bundes aus dem sozialen Mietwohnungsbau" nach wie vor mit jedem Bundesland eine Vereinbarung zu treffen, wonach das jeweilige Bundesland mindestens ebenso viele Mittel für die Förderung von Eigentumsmaßnahmen im sozialen Wohnungsbau ausgibt, wie ihm Wohnungsbauförderungsmittel des Bundes zufließen, und wie gestalten sich die einschlägigen Verhandlungen mit dem Freistaat Bayern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, im Entwurf des vom Deutschen Bundestag in der vergangenen Woche verabschiedeten Bundeshaushaltsplanes sind für das Programmjahr 1986 Verpflichtungsrahmen in Höhe von 1,01 Milliarden DM als Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt.
Im Entwurf der Bundesregierung war in den Erläuterungen zu diesem Ansatz vorgesehen, die Mit-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8045
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
tel seien vorrangig für Eigentumsmaßnahmen einzusetzen.. Der Haushaltsausschuß und — ihm folgend — der Deutsche Bundestag sind dem Entwurf der Bundesregierung insoweit nicht gefolgt, sondern haben beschlossen, die Mittel seien „nur" für Eigentumsmaßnahmen zu verwenden.
Die Bundesregierung wird in den Verhandlungen mit den Ländern über die gemäß Art. 104 a Abs. 4 GG abzuschließende Verwaltungsvereinbarung diesen Beschlüssen des Deutschen Bundestages Rechnung tragen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.
Herr Staatssekretär, was ist das für eine Wohnungsbaupolitik oder -förderungspolitik, wenn in einer Großstadt wie München die Quadratmeterpreise für Bauland auf 1 000 DM steigen, ein einfaches Reihenhaus bereits bis zu 1 Million DM kostet und niemand, der noch sozial förderungsberechtigt ist, mehr daran denken kann — selbst bei bester Förderung —, sich eine Eigentumswohnung oder gar ein Eigenheim in einer Großstadt anzuschaffen, sondern dieser Personenkreis vielmehr auf die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus angewiesen ist?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, wenn vom Ausstieg des Bundes aus der Mitförderung des sozialen Mietwohnungsbaus gesprochen wird, so bedarf dieser Ausdruck einer Richtigstellung. Der Oberbürgermeister von München hat in einem Offenen Brief die Schlußfolgerung gezogen, daß die Landeshauptstadt München ab 1986 weniger Mittel für den sozialen Wohnungsbau erhalten und die in München weiterhin notwendige Förderung des Mietwohnungsbaus stark eingeschränkt werde. Diese Schlußfolgerungen sind falsch.
Ich möchte das begründen.
Erstens: Die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau gehen als Finanzhilfen an die Länder. Es gibt in der Wohnungsbauförderung keine Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und einzelnen Städten und Gemeinden.
Zweitens: Die Verteilung der insgesamt aus dem Bundes- und dem Landeshaushalt zur Verfügung stehenden Förderungsmittel auf die einzelnen Bewilligungsstellen ist ausschließlich Sache des Landes. Der bayerische Staatsminister des Innern hat bereits darauf hingewiesen, daß gerade München bei der innerbayerischen Verteilung der Wohnbauförderungsmittel nie schlecht gefahren sei; daran werde sich auch künftig nichts ändern.
Drittens und letztens: Da das Land Bayern bereits bisher — auf das ganze Land bezogen — wesentlich mehr Förderungsmittel zugunsten von Eigentumsmaßnahmen eingesetzt hat, als das Land Bundesmittel erhält, ändert sich in Bayern durch den Beschluß des Haushaltsausschusses gar nichts. Ich kann deshalb noch einmal unterstreichen, was der bayerische Innenminister festgestellt hat: Für den sozialen Wohnungsbau in München besteht keine Gefahr.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.
Habe ich dann recht, wenn ich davon ausgehe, daß sich die Bundesregierung voll und ganz darauf verläßt, daß die Länder in Zukunft für das einspringen, was der Bund nicht mehr leisten will, nämlich die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus, und was passiert, wenn sich das eine oder andere Bundesland weigert, eigene Mittel einzuschießen?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, der Bund hat mit diesem Beschluß dokumentiert, daß er keinen bundesweiten — und darauf liegt die Betonung — Bedarf für die weitere Förderung des Mietwohnungsbaus mehr sieht. Denn es ist offenkundig, daß das Problem des Mietwohnungsbaus, des sozialen Mietwohnungsbaus kein flächendeckendes Problem mehr ist, sondern ein punktuelles; ich gebe zu: ein für München bedeutendes. Ich bin sicher, daß sich die bayerische Staatsregierung — das hat sie uns auch kundgetan — dieser Verantwortung verpflichtet weiß.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kansy.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß auch bisher die ganz überwiegenden Mittel, die für den sozialen Mietwohnungsbau aufgebracht wurden, von den Bundesländern kamen, so auch vom Land Bayern?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Das ist zutreffend, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in den Verhandlungen mit den Ländern — ich meine insbesondere: mit dem Freistaat Bayern — darauf hinzuwirken, daß im Rahmen der vom Bund für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellten Bundesmittel der Freistaat Bayern veranlaßt wird, dort, wo es regionale Schwerpunkte gibt, wo der soziale Mietwohnungsbau noch erforderlich ist, die entsprechenden Mittel, die für Eigentumsmaßnahmen beim Freistaat gespart werden, in den sozialen Mietwohnungsbau zu stecken?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, ich bin der Auffassung, daß die Bayerische Staatsregierung gar keines Anstoßes bedarf. Sie hat sowohl auf dem Gebiet der Eigentumsbildung als auch auf dem Gebiet der Verpflichtung im sozialen Mietwohnungsbau immer das entsprechend Notwendige getan.
Ich darf noch einmal sagen, daß auch künftig jedes einzelne Land, wenn Bedarf besteht, den Mietwohnungsbau fördern kann und auch wird. Selbstverständlich werden auch künftig in Einzel-
8046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
fällen Mietwohnungen für Behinderte und für alte Menschen sowie Mietwohnungen im Zuge von Sanierungsmaßnahmen gefördert.
Meine Damen und Herren, die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Delorme können nicht beantwortet werden, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Vielen Dank für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Herr Staatsminister Vogel steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Hupka soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Fischer auf:
Ist es richtig, daß das Bundeskanzleramt Material, Auskünfte und ähnliches über mich beim Bundesamt für Verfassungsschutz angefordert und erhalten hat, und wenn ja, auf wessen Veranlassung wurde dieser Schritt unternommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich möchte im angenommenen Einverständnis mit dem Herrn Abgeordneten Fischer die beiden Fragen 64 und 65 im Zusammenhang beantworten.
Können wir das Einverständnis annehmen? — Ich habe Ihre Handbewegung so gedeutet, Herr Fischer. Dann rufe ich auch die Frage 65 des Abgeordneten Fischer auf:
Wie lautet der genaue Inhalt der Anfrage, und wurden in der Vergangenheit bereits derartige Anfragen über Abgeordnete an das Bundesamt für Verfassungsschutz oder andere Sicherheitseinrichtungen gerichtet?
Vogel, Staatsminister: Herr Abgeordneter Fischer, das Bundeskanzleramt hat in der Amtszeit der jetzigen Bundesregierung weder beim Bundesamt für Verfassungsschutz noch bei einer anderen Stelle nachrichtendienstliche Erkenntnisse in irgendeiner Form über Sie oder andere Abgeordnete angefordert oder von diesen Stellen erhalten.
Zur Vorbereitung der parlamentarischen Arbeit der Bundesregierung wollte sich das Bundeskanzleramt Kenntnis über Ihre frühere publizistische Tätigkeit verschaffen. Die für Kommunikationsfragen zuständige Abteilung 5 des Bundeskanzleramts hatte daher das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gebeten, die Frankfurter Zeitschrift „Der Pflasterstrand", in der Sie sich häufig geäußert haben sollen, durchzusehen. Da diese Zeitschrift dort nur in vereinzelten Exemplaren vorhanden war, empfahl das Bundespresseamt, sich an die Bibliothek des Bundesamts für Verfassungsschutz zu wenden. Dieses Amt hat die Zeitschrift über das
Bundeskanzleramt dem Bundespresseamt zur Einsicht überlassen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer .
Herr Staatssekretär, wer hat denn die Anordnung für diese weitreichende politische Maßnahme im Kanzleramt getroffen?
Vogel, Staatsminister: Ich habe diese Frage schon beantwortet, Herr Abgeordneter. Das ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen.
— Der Leiter der Abteilung 5 des Bundeskanzleramts, Herr Dr. Ackermann.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer.
Wann wurde denn diese Anordnung von Dr. Ackermann getroffen?
Vogel, Staatsminister: Ich kann Ihnen jetzt das genaue Datum dazu nicht sagen. Es ist vor einiger Zeit erfolgt, Herr Abgeordneter. Den weiteren Vorgang habe ich Ihnen geschildert.
Sie haben zwei weitere Zusatzfragen, Herr Fischer.
Sind Sie bereit, mir schriftlich das genaue Datum dieser Anordnung mitzuteilen?
Vogel, Staatsminister: Ich bin gern bereit, das festzustellen und Ihnen mitzuteilen, Herr Kollege Fischer.
Letzte Zusatzfrage.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich hoffe, die Lektüre hat Ihnen Spaß gemacht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatsminister, ist es denkbar, daß Sie Unterlagen vom Bundesamt für Verfassungsschutz deswegen nicht anzufordern brauchten, weil sie bereits vorlagen?
Vogel, Staatsminister: Nein, das ist falsch, Herr Kollege. Ich habe das, was vom Bundesamt für Verfassungsschutz auf die Bitte hin mitgeteilt und geliefert worden ist, mitgebracht. Ich gehe davon aus, daß diejenigen, die in diesem Publikationsorgan publiziert haben, die Absicht hatten, daß es die Öffent-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8047
Staatsminister Vogel
lichkeit erreicht. Ich kann Ihnen damit auch die „nachrichtendienstliche Erkenntnisquelle" vorzeigen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauermilch.
Herr Staatsminister, um das noch einmal klarzustellen: Meine Frage bezog sich nicht auf die Unterlagen, die Sie angesprochen haben — auf den „Pflasterstrand" —, sondern darauf, ob möglicherweise zusätzliche Informationen, die Sie eventuell angefordert hätten, bereits vorlagen, so daß das nicht erforderlich war.
Vogel, Staatsminister: Ich habe bereits in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, Herr Kollege, daß ausschließlich nach im Bundespresseamt nicht vorhandenen Nummern des „Pflasterstrands" gefragt und daß mehr und anderes nicht angefordert worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Herr Staatsminister, werden im Bundesamt in Köln nur Pflastersteine gesammelt, die gedruckt worden sind, oder auch solche, die geworfen worden sind?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Broll, ich gehe davon aus, daß dies schon interessantes Anschauungsmaterial genug ist. Wenn es gewünscht wird, bin ich aber auch gerne bereit, Ihnen den Inhalt der Erkenntnis vorzutragen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Vogel, wären Sie, um dem Informationsdefizit des Bundeskanzleramtes abzuhelfen, bereit, außer dem „Pflasterstrand" auch noch andere Zeitungen und Zeitschriften zu lesen?
Vogel, Staatsminister: Wenn wir der Auffassung sind, daß es interessant ist, Herr Kollege, werden wir sicherlich bereit sein, auch noch andere Zeitungen und Zeitschriften zu lesen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, dem Hohen Hause in einer kleinen Leseprobe einmal kundzutun, was über den Kollegen Fischer in diesem Presseerzeugnis steht?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Berger, ich bin gerne bereit, Ihnen das mitzuteilen, was Inhalt der Erkenntnis gewesen ist, die wir aus dieser Erkenntnisquelle haben schöpfen können. Ich darf mich auf ein auszugsweises Zitat beschränken.
— Herr Kollege, ich bin sicher auch in der Lage zu singen. Ich werde das dort tun, wo ich es für richtig halte. Alles zu seiner Zeit.
Hier heißt es aus dem Jahrgang 1977 unter der Überschrift „Der Mythos des bewaffneten Kampfes" u. a.:
Das Seltsame ist, daß sowohl unsere Praxis als auch unsere Theorie die Fragesteller überhaupt nicht interessieren, denn sie sind mit ihrer Antwort längst fertig. Sie haben sich ein Monster aufgebaut, das sie bewaffneter Kampf nennen und das sie gemeinsam zu erlegen trachten. Der Bogen derjenigen, die da am Schreibtisch auf die Jagd gehen, ist wahrscheinlich weit gespannt, und scheinbar unversöhnliche Gegner finden doch wieder ihren gemeinsamen Nenner:
Zitat 1: „Unter der perfekt sitzenden Maske des Samariters und Menschenfreundes zeigt sich die Fratze des Terroristen, der über Leichen geht."
Zitat 2: „Vorn das lichte Antlitz des heldenhaften Widerstandskämpfers, hinter dem aber bereits die Fratze des Bullen der zukünftigen Volkspolizei zum Vorschein kommt."
Dann daran anschließend die Frage:
Woher rührt diese Hysterie, die einen Joschka Fischer bei Axel Springer Zuflucht suchen läßt?
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des . Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Die Frage 66 des Abgeordneten Hedrich soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Waltemathe auf:
Hat die Bundesregierung während der Sitzung der UNOVollversammlung 1984 eindeutig die Menschenrechtsverletzungen in Chile verurteilt, indem sie unter Inbetrachtnahme der insbesondere während der letzten Tage und Wochen eskalierten Unterdrückungsmaßnahmen von seiten der Pinochet-Diktatur sich nicht wie in vorangegangenen Jahren der Stimme enthielt, sondern für die Resolution stimmte?
Bitte schön, Herr Möllemann.
Herr Kollege, der Resolutionsentwurf zur Menschenrechtslage in Chile wird zur Zeit noch mit den Miteinbringern der Vorjahresresolution abgestimmt. Der Entwurf wird in Kürze verabschiedet werden, wahrscheinlich morgen. Es steht im Augenblick nicht genau fest, ob es bei morgen bleiben wird. Es ist aber mit einer Verabschiedung in dieser
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Staatsminister Möllemann
Woche zu rechnen. Wir werden dem Entwurf zustimmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Waltemathe.
Ich danke Ihnen ausdrücklich für diese Antwort. Ich habe bei der Fragestellung natürlich auch nicht gewußt, wann genau ein Resolutionsentwurf in der UNO-Versammlung zur Abstimmung steht. Ihre Ankündigung, daß die Bundesregierung auf jeden Fall einer Verurteilung — darum geht es ja — Chiles hinsichtlich der menschenrechtlichen Lage zustimmt, steht also fest? Das kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen?
Möllemann, Staatsminister: Ja. Es geht ja um einen Resolutionsentwurf, der unter anderem von Mexiko eingebracht worden ist, und wir verhalten uns zu diesem zustimmend.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Waltemathe.
Ist Ihnen bekannt, ob auch die USA zustimmen werden?
Möllemann, Staatsminister: Nein, das ist mir nicht bekannt. Das wird sich bei der Abstimmung zeigen.
Wir kommen zur Frage 68 des Abgeordneten Waltemathe:
In welcher Form hat die Bundesregierung auf die erneute Verhängung des Belagerungszustandes in Chile durch unsere diplomatische Vertretung in Chile reagiert?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Waltemathe, die Bundesregierung ist tief enttäuscht über die erneute Verhängung des Belagerungszustandes in Chile, die eine erhebliche Verschlechterung der Lage der Menschenrechte und eine weitere innenpolitische Verhärtung zur Folge hat. Im Falle von Chile hat es die Bundesregierung seit Jahren für wirkungsvoller gehalten, daß die zehn Mitgliedstaaten der EG sich zu einer gemeinsamen Haltung bekennen und diese gegenüber der chilenischen Regierung zum Ausdruck bringen. Das ist zuletzt nach Ausrufung des Belagerungszustandes am 6. November 1984 in einer Erklärung der zehn Außenminister, die vom 12. November 1984 datiert ist, in Dublin geschehen.
Die Deutsche Botschaft in Santiago wird in besonderen Einzelfällen darüber hinaus tätig. So ist ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit der Bergarbeiterführer Hector Cuevas, für dessen Rückkehr sich die Botschaft eingesetzt hat. Das ging zurück auf einen Appell des Vorsitzenden der IG Bau, Steine, Erden, Herrn Carl. Wir werden auch im Rahmen unserer Präsidentschaft im Ministerkomitee des Europarates eine weitere Aktivität etwa in Form einer Entschließung oder weitere politische Aktivitäten beraten und beschließen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Waltemathe.
Herr Staatsminister, darf ich dieser Antwort entnehmen, daß Sie sich bei rückkehrwilligen Chilenen, die bei uns bisher im Exil gelebt haben und Aufenthaltserlaubnis hatten, über die diplomatische Vertretung dafür einsetzen werden, daß diese zurückkehren können beziehungsweise, daß ihnen, wenn sie zurückgekehrt und von Chile auch aufgenommen worden sind, dort aus politischen Gründen keine Repressalien drohen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wissen, daß das so pauschal schwer zu beantworten ist, jedenfalls, ohne vielleicht falsche Hoffnungen zu erwecken. Man wird sich das von Fall zu Fall anschauen müssen und dabei berücksichtigen müssen, daß man sich nicht übernimmt. Ich kenne die Zahl derer nicht, die möglicherweise ein solches Anliegen haben. Aber man wird wie in dem von mir genannten Fall, wenn das Erfolgsaussichten beinhaltet, das sicherlich tun.
Keine weiteren Zusatzfragen von Herrn Waltemathe.
Dann kommen wir zu der Frage 69 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Welches ist der Stand der von der Bundesregierung verantworteten Vorbereitungen einer eigenen deutschen Fernsehstunde in Jordanien, und welches sind die Gründe dafür, daß die Deutsche Welle, die laut Gesetz „im Ausland ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland vermitteln soll", von den Vorbereitungen ausgeschlossen ist?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, das Projekt, eine deutsche Fernsehstunde in Jordanien einzuführen, wurde vom Jordanischen Fernsehen und den deutschen Anstalten an die Bundesregierung herangetragen. Diese hat gemeinsam mit den Rundfunk- und Fernsehanstalten mehrere Modellvarianten für dieses Projekt erörtert. In einer anderen Fragestunde haben wir darüber schon gesprochen.
Seit November 1984 wird im fremdsprachigen Kanal des Jordanischen Fernsehens testweise einmal wöchentlich ein deutsches Programm ausgestrahlt. Den entsprechenden Wunsch des Jordanischen Fernsehens vorausgesetzt, ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, die regelmäßige Belieferung Jordaniens mit geeigneten deutschsprachigen Fernsehprogrammen durch finanzielle Unterstützung zu ermöglichen. Die Programme werden vom Jordanischen Fernsehen arabisch untertitelt.
Die Deutsche Welle war in allen Phasen an diesem Abstimmungsprozeß beteiligt. Das Vorhaben ist in dieser Form kein Auslandsrundfunk, da die Programmauswahl vom Jordanischen Fernsehen bestimmt und die Ausstrahlung von diesem auch verantwortet wird. Es handelt sich dabei um reine Fernsehtranskription, also um eine originäre Aufgabe von TransTel. ARD und ZDF, ohne deren Zulieferung von Programmen sich ein derartiges Vorhaben realistischerweise nicht darstellen läßt, ziehen es vor, daß TransTel die Projektkoordination übernimmt, zumal sie TransTel als Gesellschafter mittragen.
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Eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben eben in Ihrer Antwort gesagt, die Deutsche Welle sei in allen Phasen der Vorbereitung beteiligt gewesen. Können Sie erklären, in welcher Weise? Hat man nur Briefe geschrieben, daß dem so ist, oder hat man auch einmal in Erwägung gezogen, daß die Deutsche Welle an diesem Projekt beteiligt werden könnte?
Möllemann, Staatsminister: In den Beratungen und Abstimmungen hat man sich mit den Verantwortlichen aller zuständigen Institutionen unterhalten. Aber, wie ich bereits sagte, für die komplette Durchführung kommt aus praktischen Gründen die Deutsche Welle nicht in Frage, sondern hier ist die Dienstleistung von TransTel gefragt.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Hupka.
Was ist der Grund für die letzte Antwort, Herr Staatsminister, daß die Deutsche Welle nicht in Frage komme, sondern nur die Dienstleistung von TransTel, da es ja im Gesetzesauftrag lautet, daß die Deutsche Welle „im Ausland ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland vermitteln soll"? Sie ist also gleichsam der Auslandssender, oder soll die Deutsche Welle nur auf die Kurzwelle beschränkt werden?
Möllemann, Staatsminister: Nein, aber die Deutsche Welle ist Auslandsrundfunk, der sein eigenes Programm verantwortet — im übrigen im Sinne dessen, was Sie gesagt haben —, während hier eine Dienstleistung für ein Programm gefragt ist, das in vollständiger eigener Verantwortung des jordanischen Fernsehens steht. Dafür übernehmen wir keine inhaltliche Verantwortung, sondern wir liefern Material zu, das sich die jordanische Seite aussucht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, läßt sich von einer derartigen Handhabung wie im Falle Jordanien nicht ein Präzedenzfall ableiten, auch in anderen Ländern ähnlich zu verfahren, und sehen Sie dann eben nicht die Gefahr, daß in zunehmendem Maße die Möglichkeiten der Deutschen Welle auf diesem Wege — auf bilaterale Vereinbarungen zurückgehend — mehr oder weniger nolens volens zurückgedrängt werden?
Möllemann, Staatsminister: Nein.
Frage 70 des Abgeordneten Bindig soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 71 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung Unterlagen darüber, daß das Bundesverfassungsgericht, gerade auf Grund der Darlegungen der früheren Bundesregierung, am 7. Juli 1975 mit Bezug auf den Warschauer Vertrag festgestellt hat, „der Wille der Bundesrepublik Deutschland ..., nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen, war auch für den Vertragspartner erkennbar und hat sogar seinen Niederschlag in den Verträgen selbst gefunden", das Ansprechen von Grenzlinien beinhalte eine „Konkretisierung des Gewaltverzichts", die Gebiete östlich von Oder und Neiße seien „mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland" nicht entlassen, die Bundesrepublik Deutschland habe Maßnahmen „auf eine gewaltsame Änderung", aber nicht die grundgesetzlich gebotene Wahrung der Gebietsrechte Deutschlands vor friedensvertraglichen Regelungen zu unterlassen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, der von Ihnen genannte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975 ist in der Amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 40, Seite 141 ff., abgedruckt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ich habe aber gefragt, ob die Bundesregierung Unterlagen über die damaligen Darlegungen der früheren Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht hat, die sich doch hoffentlich mit dem decken, was der Herr Bundesaußenminister Scheel am 9. Februar 1972 im Bundesrat vorgetragen hat. Er fragte nämlich: „Wo steht denn in den Verträgen die Grenzanerkennung durch die Bundesrepublik?" — Er beantwortete das: „Nirgendwo in den Verträgen ist von dieser Anerkennung die Rede." — Haben Sie Ausführungen der früheren Bundesregierung darüber in den Unterlagen?
Möllemann, Staatsminister: Diese Unterlagen und diese Ausführungen sind uns bekannt.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Stimmt auch die frühere Denkschrift der Bundesregierung, und halten Sie auch noch daran fest, daß Art. 1 Abs. 1 des Warschauer Vertrages nicht besagt, daß in den Verträgen oder in Potsdam die westliche Staatsgrenze Polens festgelegt worden ist, weil sich — so in der Denkschrift — das Wort „festgelegt" nicht auf die westliche Staatsgrenze Polens bezieht, sondern auf den Verlauf einer Linie, die in Potsdam beschrieben, aber nicht festgelegt worden ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, auch diese Denkschrift ist uns bekannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker .
Herr Staatsminister, können wir trotzdem davon ausgehen, daß auch die Bundesregierung dem polnischen Volk vermittelt, daß dieses Volk in sicheren Grenzen lebt?
8050 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Becker, ich vermag jetzt das Wort „trotzdem" nicht ganz einzuordnen.
— Ach so; ich habe hier nur mitgeteilt, daß wir Denkschriften und Unterlagen kennen. In der Sache habe ich hier kürzlich mehrfach vorgetragen, was der Bundespräsident, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister zu dieser Frage dem Deutschen Bundestag mehrfach unmißverständlich mitgeteilt haben. Es gibt dem nichts hinzuzufügen. Da gibt es auch keine Interpretationsspielräume. Es heißt in dieser Antwort des Bundeskanzlers:
Die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist Friedenspolitik. Sie hat deshalb von jeher auf Anwendung und Androhung von Gewalt als Mittel ihrer Politik verzichtet. Gewaltverzicht ist auch das Kernstück unserer Verträge mit den Staaten des Warschauer Paktes. Wir stehen ohne Wenn und Aber zu diesen Verträgen. Die Bundesrepublik Deutschland erhebt keine Gebietsansprüche gegen irgend jemanden und wird das auch in Zukunft nicht tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir einer Meinung, daß es zur Beruhigung der derzeitigen Diskussion, aber auch für die Zukunft hilfreich wäre, wenn die Bundesregierung jene Darlegungen, die sie vor dem Gericht in Karlsruhe abgegeben hat, der Öffentlichkeit umfassend zugänglich machen würde, denn dies sind Unterlagen, auf die sich das Gericht in seinen Darlegungen laufend bezieht und die uns nicht umfassend bekannt sind.
Möllemann, Staatsminister: Über das hinaus, was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, kann ich im Augenblick aus sachlichen Erwägungen keinen Veröffentlichungsbedarf erkennen. Das müßte im einzelnen besprochen werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, können Sie die Auffassung der Bundesregierung bestätigen, die in dem folgenden Urteil ihren Niederschlag gefunden hat? Ich zitiere:
Mit Rücksicht auf die Gesamtverantwortung der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes konnten nach der Rechtsauffassung der Bundesregierung Verfügungen über den territorialen Status Deutschlands, die eine friedensvertragliche Regelung vorweggenommen hätten, ohne die Zustimmung der Vier Mächte nicht getroffen werden. Dies ist für den Warschauer Vertrag in der Denkschrift der Bundesregierung ausdrücklich hervorgehoben worden:.. .
An anderer Stelle heißt es in dem Urteil: Der Wille der Bundesrepublik, bei den Grenzregelungen der Verträge von Moskau und Warschau nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen, war auch für die Vertragspartner erkennbar und hat sogar seinen Niederschlag in den Verträgen selbst gefunden.
Möllemann, Staatsminister: Zunächst ist es nicht meine Aufgabe, ein Urteil zu bestätigen. Das haben Sie vorgelesen. Das hat seine Wirkung.
Zweitens. Die Äußerungen der Bundesregierung, und zwar der früheren wie der jetzigen, habe ich präzise zitiert. Wir haben darüber hinaus zu einer Zusatzfrage im Blick auf die Denkschrift bestätigt, daß diese nicht nur bekannt ist, sondern auch nicht etwa wirkungslos geworden wäre.
Herr Kollege Lowack, ich habe den Eindruck, daß es wirklich zweckmäßig ist, wenn die Gültigkeit der Aussagen, die der Bundeskanzler, der Bundespräsident und der Bundesaußenminister wirklich nicht zufällig in diesen Tagen wiederholt getroffen haben, nicht relativiert wird. Ich habe diesen Aussagen nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, nachdem Sie den Absatz 3 des Art. I des Warschauer Vertrages zitiert haben, sind Sie auch bereit, Art. IV des Warschauer Vertrages in diesen Zusammenhang einzubeziehen, um den Warschauer Vertrag als Ganzes zu sehen?
Möllemann, Staatsminister: Selbstverständlich; wir stehen zum Warschauer Vertrag als Ganzes.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schulze .
Herr Staatsminister, hat nicht das Bundesverfassungsgericht nach eingehender Anhörung der für die Ostverträge verantwortlichen Regierungen — damals Brandt/Scheel — festgestellt, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße aus der Zugehörigkeit zu Deutschland nicht entlassen und fremder Souveränität nicht unterstellt sind, und bindet das — das ist meine eigentliche Frage — alle Beamte und Staatsorgane?
Möllemann, Staatsminister: Mir liegt im Moment das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht im Wortlaut vor. Ich müßte nachsehen, ob das dort im Wortlaut so steht. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bindet uns selbstverständlich ebenso wie die von uns eingegangenen Verträge.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die von dem Kollegen Czaja und anderen Kollegen jetzt aufgeworfenen Statusfragen nicht im Widerspruch zu der Tatsache
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8051
Berger
stehen, daß wir keine Gebietsansprüche erheben, sondern nur verschiedene Probleme eines sehr komplexen Gegenstandes sind, der einer späteren Regelung bedarf?
Möllemann, Staatsminister: Dazu müßte ich jetzt etwas vornehmen, was mir nicht zusteht, nämlich bei Fragestellern in Gestalt von Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Bewertung der Motivation vornehmen. Das steht mir nicht zu.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Staatsminister Möllemann für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt zur Verfügung.
Herr Dr. Stavenhagen, der die Fragen 72 und 73 gestellt hat, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Fragesteller der Fragen 74 und 75, Herr Abgeordneter Bamberg, ist nicht im Saal. Es wird nach den Richtlinien für die Fragestunde verfahren.
Der Abgeordnete Becker hat seine Fragen 76 und 77 zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 78 des Abgeordneten Pauli:
Läßt sich nach Auffassung der Bundesregierung der in vielen Gemeinden vollzogene Anschluß- und Benutzungszwang bei der Oberflächenentwässerung mit den Bemühungen von Bund und Ländern zur Vermeidung von Hochwasser bzw. zur Schadensminderung bei Hochwasserschäden vereinbaren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Pauli, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
Es sollte weitgehend unverschmutztes Niederschlagswasser möglichst versickert werden, sofern die örtliche Bebauung dies zuläßt. Dies soll auch deshalb geschehen, um einen zu schnellen Abfluß zu vermeiden und damit die unter Umständen bestehende Gefahr von Hochwasserschäden zu verringern. Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen sind die für den Vollzug zuständigen Wasserbehörden bzw. die zur Abwasserbeseitigung verpflichteten Gebietskörperschaften zunehmend bemüht, entsprechend ausgewogene Lösungen zu finden und auch durchzusetzen. Damit wird dann gleichzeitig erreicht, daß bei der Auslegung von Kanalisationsnetzen auch Kosten insbesondere im Hinblick auf die Belastung der Bürger gespart werden.
Letztlich ist folgendes festzustellen: Das von befestigten Flächen, insbesondere von Verkehrs- und Gewerbeflächen abfließende Niederschlagswasser ist oft stark verschmutzt. Das gilt vor allem für das bei Regenbeginn abfließende Wasser. Ziel ist es, dieses verschmutzte Wasser möglichst in eine Kläranlage einzuleiten und dort zu behandeln, um die Belastung der Gewässer durch verschmutztes Niederschlagswasser gering zu halten. Insoweit sind Fragen der Gewässerreinhaltung, die Sie hier ansprechen, immer mit zu berücksichtigen, und der angestrebte Ausgleich zwischen den Interessen der Gewässerreinhaltung und des Hochwasserschutzes, der hier vorgenommen wird, zeigt, daß Ihre Frage grundsätzlich zu bejahen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Antwort. Ich lasse das verschmutzte Oberflächenwasser jetzt einmal außer Betracht. Beabsichtigt die Bundesregierung möglicherweise, in Zusammenarbeit mit den Ländern für den Bereich des nicht verschmutzten Oberflächenwassers gesetzlich tätig zu werden?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, ich muß Ihnen sagen, daß die gesetzlichen Bestimmungen, die wir im Wasserhaushaltsgesetz, im Abwasserabgabengesetz, in den notwendigen rahmenrechtlichen Vorschriften des Bundes haben, meines Erachtens ausreichen, um die Aufgaben zu erledigen, die Sie ansprechen. Wie das im einzelnen geschehen soll, ist Sache des Vollzugs und damit in erster Linie eine Aufgabe der für die Ausführung dieser Gesetze zuständigen Länder. Letztlich liegt der gesamte Fragenkomplex in der Kompetenz der kommunalen Körperschaften, sprich: der Städte und Gemeinden, die ja für die Abwasserbeseitigung zuständig sind. Das, was Sie ansprechen, muß man jeweils nach den örtlichen Gegebenheiten entscheiden, wie ich etwa aus meiner eigenen kommunalen Praxis weiß. Dies kann man nicht so gut bundeseinheitlich regeln.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pauli? — Keine weitere Frage.
Dann rufe ich die Frage 79 auf:
Läßt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Einführung größerer Haushaltsmüllgefäße z. B. der 240-LiterTonne mit der beabsichtigten Festschreibung der Prinzipien Müllvermeidung, Müllverwertung und sichere Müllbeseitigung in der Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes vereinbaren?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Erfahrungen aus dem Länderbereich zeigen, daß mit der Einführung größerer Müllgefäße wie z. B. 120-l- und 240-l-Müllgroßbehältern die Hausmüllentsorgung besser sichergestellt werden kann. Größere Behälter entlasten die Sperrmüllabfuhr wesentlich und ermöglichen auch wegen des ausreichenden Reservevolumens eine bessere Überbrückung etwa von Feiertagen. Sie führen auch zu einem leichter sortierbaren Müllgemisch, weil die verwertbaren Stoffgruppen weniger verschmutzt werden. Sie werden auch in den größeren Behältern nicht so stark zerkleinert und verpreßt. Daher begünstigen größere Müllbehälter die Anwendung spezieller Systeme zur getrennten Sammlung von Abfällen etwa in der Form der oft angesprochenen sogenannten Grünen Tonne.
8052 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
Insgesamt ist festzustellen, daß eine von den örtlichen Gegebenheiten abhängige Kombination von 120-1- und 240-1-Müllgroßbehältern den Erfordernissen der Abfallentsorgung und Abfallverwertung entspricht und daher mit den Zielen der 4. Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz auch vereinbar ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt denn die Bundesregierung grundsätzlich die getrennte Mülleinsammlung in verschiedenen Gefäßen bzw. Kammern im Vergleich zur Abfallsammlung ohne Trennung in Großraumgefäßen, wenn die Sammlung in Großraumgefäßen auf die Müllverbrennung hinausläuft?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich muß Ihnen sagen, daß auch in diesem Fall vorrangig folgende zwei Gesichtspunkte zu beobachten sind. Die Bundesregierung heißt erstens alle die Systeme besonders gut, die dazu führen, daß man die Abfälle trennen kann, um das herauszunehmen, was im Wege des Recyclings oder auf andere Art und Weise wieder einer nutzbringenden Verwertung zugeführt werden kann. Das ist ein Hauptanliegen, das von Bund, Ländern und Gemeinden bei der Entsorgung verstärkt im Auge zu behalten ist. Die zweite Frage ist, wie man dieser berechtigten Zielsetzung am besten Rechnung trägt, zu einem hohen Maß an Wiederverwertung zu gelangen. Das entscheidet sich auf Grund der örtlichen Gegebenheiten und der örtlichen Einsammelsysteme. Das kann man nicht bundeseinheitlich abschließend bewerten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pauli.
Herr Staatssekretär, lassen Sie mich noch einmal fragen: Ist denn die getrennte Mülleinsammlung nicht geradezu prädestiniert, zu einer sinnvollen Verwertung des Mülls zu kommen?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich möchte Ihnen zustimmen, Herr Kollege Pauli, daß das getrennte Einsammeln im Hinblick auf die Wiederverwendung eines Teils der eingesammelten Stoffe sicherlich große Vorteile hat.
Meine Damen und Herren, die Fragen 80 des Abgeordneten Dr. Czaja, 104 des Abgeordneten Urbaniak, 105 des Abgeordneten Roth, 106 des Abgeordneten Wolfram , 133 und 134 des Abgeordneten Kirschner sind zurückgezogen worden.
Wir sind am Ende der Fragestunde. Die noch nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Waffenschmidt, für die Beantwortung der Fragen Ihres Bereiches.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
5.a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Technikfolgenabschätzung und -bewertung
— Drucksache 10/2383 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Vose, Lutz, Catenhusen, Fischer , Grunenberg, Hansen (Hamburg), Dr. Kübler, Nagel, Stahl (Kempen), Stockleben, Vahlberg, Buschfort, Dreßler, Egert, Glombig, Heyenn, Kirschner, Peter (Kassel), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung
— Drucksache 10/2517 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b und ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich der eigentlichen Sache zuwende, möchte ich, etwas schmunzelnd, auf die Debatte heute vor Eintritt in die Mittagspause zurückkommen. Der Bundeswirtschaftsminister, Herr Bangemann, hat die GRÜNEN als Kronzeugen bemüht, um zu dokumentieren, wie marktwirtschaftlich die Umweltschutzpolitik dieser Koalition ausgerichtet sei. Jetzt traue ich mich fast nicht zuzugeben, daß ich hier für einen Antrag spreche, der von der Fraktion DIE GRÜNEN sogar mit unterschrieben worden ist.
Das scheint eine völlig neue Entwicklung zu sein.
Ich darf auch noch auf anderes hinweisen. Wir sprechen hier auch über einen SPD-Antrag, aber ich sehe nicht einen einzigen der Antragsteller der SPD hier im Saal.
Es werden sicherlich noch welche kommen. Aber Sie werden ihnen das sicherlich ausrichten, was hier gesagt worden ist.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8053
Lenzer
Meine Damen und Herren, die Fragen der Technologiefolgenabschätzung und -bewertung sind ein Thema, mit dem sich die Unionsfraktion seit geraumer Zeit beschäftigt. Ich darf daran erinnern, daß die erste Lesung unseres Antrags aus der 7. Legislaturperiode am 18. Mai 1973 hier in diesem Parlament dieses Thema zum erstenmal aufgegriffen hat. Es wurde damals der Antrag gestellt, ein Amt zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag einzurichten. Als Vorbild — ich habe das damals begründen dürfen —diente uns das amerikanische Office of Technology Assessment. Das Ziel war, die voraussichtlichen Folgen der naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklungen im Hinblick auf ihre Bedeutung für Volkswirtschaft und Gesellschaft abzuschätzen und darüber hinaus auch eine Kontrolle der Exekutive im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik auszuüben. Man kann eigentlich sagen: Seit damals hat sich die Zielsetzung gegenüber der heutigen Initiative kaum geändert.
— Herr Vosen, herzlich willkommen! Ich wollte gerade eben die Frage stellen, ob die Diskussion des SPD-Antrags etwa unter Ausschluß der Arbeitsgruppe Ihrer Fraktion für Forschung und Technologie stattfindet.
Am 21. November 1977, also in der 8. Legislaturperiode, haben wir erneut die Einführung einer Prognose- und Bewertungskapazität zur Begutachtung technologischer und forschungspolitischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag gefordert. Damals hat sich unser Kollege, der heutige Bundesforschungsminister Dr. Riesenhuber besonders engagiert in unserer Arbeitsgruppe dieses Themas angenommen. Dieses Interesse dokumentiert er auch heute in der Arbeit des Ministeriums. Ich verweise in dem Zusammenhang auf die gerade in der letzten Woche stattgefundene Konferenz in Berlin — sie ist auch ein Beitrag zur Technologiebewertung — „l984 und danach", bei der der Versuch einer Abschätzung der Mikroelektronik unternommen wurde.
In der 8. Legislaturperiode ist dann in der Drucksache 8/2629 am 7. März 1979 vom Ausschuß für Forschung und Technologie ein Bericht über den Stand der Beratungen gegeben worden. Aber wir sind in all diesen Jahren in der Sache eigentlich nicht so recht weitergekommen.
— Ja, das ist eine gute Frage. Warum eigentlich nicht? Es hat nie — diesen Vorwurf bitte ich nicht an uns zu richten — in der damaligen Zeit eine Mehrheit gegeben, die unseren Initiativen zugestimmt hätte. Sie wurden mit Formalitäten abgewimmelt, etwa mit dem Vorwurf, da solle eine neue Bürokratie aufgebaut werden. Ich hatte das Gefühl, auch der damalige Bundesforschungsminister war nicht so sehr daran interessiert, die damalige Opposition — der Antrag kam von unserer Seite — besonders schlau zu machen.
Am 29. Juli 1981 kam die Drucksache 9/701, Ziel: Verbesserung der Beratungskapazität des Deutschen Bundestages zur Bewertung technischer Forschungsprogramme und Vorbereitung der Entscheidungen über technologiepolitische Probleme. Heute steht nun der Antrag auf Drucksache 10/2383 zur Debatte. Hier handelt es sich um eine Gemeinschaftsinitiative — das räume ich gerne ein — aller im Forschungsausschuß vertretenen Fraktionen. Es war für uns um so unverständlicher, daß die Sozialdemokraten, eigentlich in letzter Sekunde, noch von diesem fahrenden Zug abgesprungen sind und, wahrscheinlich unter sehr großem Zeitdruck, selber einen Antrag eingebracht haben. Wenn man den Antrag durchliest, sieht man nicht so recht ein, warum hier eigene Wege gegangen werden mußten. Ich glaube aber, daß wir in den Beratungen im Ausschuß wieder sehr schnell aufeinander zugehen können.
Die Technologiefolgenabschätzung und -bewertung hat nach unserem Antrag zum Ziel, insbesondere die Auswirkungen technischer Entwicklungen auf Beschäftigung und Wachstum der deutschen Wirtschaft, ihre Folgen für die Lebensbedingungen der Menschen und ihre Konsequenzen für die natürliche Umwelt zu untersuchen. Das ist allerdings ein wichtiges Thema, für das wir uns viel Zeit nehmen sollten.
Ich darf daran erinnern, daß sich der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 in einer bis dahin beispiellosen Breite mit technischen Fragen beschäftigt hat, wie er dargetan hat, daß Technik auch Chance bedeutet, wie er gewarnt hat vor Technologiefeindlichkeit, vor dem Schüren von Zukunftsängsten und wie er auch gewarnt hat vor der Flucht in eine Idylle der vorindustriellen Gesellschaft — eine vermeintliche Idylle, so füge ich hinzu. Ich füge ebenso hinzu, daß für uns auch eine unkritische Technikgläubigkeit bedenklich ist. Wir sind der Meinung, daß technischer Fortschritt auf Dauer nur im demokratischen Grundkonsens möglich ist, daß der Mensch Herr der Technik bleiben muß und nicht zum Objekt von Sachzwängen werden darf.
— Er ist das vielleicht schon in einem gewissen Maße; das will ich nicht bestreiten.
Die Sehnsucht des Menschen nach einfachen, überschaubaren und stabilen Lebensverhältnissen, nach dieser vermeintlich heilen Welt oder nach der guten alten Zeit ist evident, aber diese gute alte Zeit und diese heile Welt hat es doch eigentlich nie gegeben. Das sollten wir auch bei unserer Diskussion berücksichtigen. Wir müssen die Diskussion auf eine realistische Basis stellen. Ich glaube aber, das wollen wir alle.
Wir wollen die Diskussion auch nicht auf die Fragestellung „Ja oder nein?", „Richtig oder falsch?", „Was ist sozial verträglich?" reduzieren. Wer will das feststellen? Was bedeutet das? Politische Fra-
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Lenzer
gen sind letztlich immer wieder kontroverse Fragen und Machtfragen, und je nach politischer Ausgangsposition wird man zu einer anderen Antwort kommen. Was ist gesellschaftlich relevant? — Sicher ist eines: daß das Parlament zur Beurteilung dieser ganz wichtigen Fragen, die in Zukunft noch größere Bedeutung haben werden, externen Sachverstand braucht, daß wir auf Beratung angewiesen sind, daß wir Entscheidungshilfe brauchen. Wir sind bisher doch — seien wir ehrlich, meine Damen und Herren — gerade im Forschungsbereich sehr stark der Exekutive ausgeliefert, die in vielen Fällen als Gutachter in eigener Sache bei den Beratungen auftritt. Das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, geschweige denn vielleicht an eine bestimmte Bundesregierung, sondern das ist ein Strukturelement der politischen Willensbildung und der politischen Auseinandersetzung. Wer könnte schon als einzelner Abgeordneter, selbst als Fraktion, mit einem minimalen Stab gegen den geballten Sachverstand der Ministerien, gegen die Hundertschaften von Experten dort antreten? Den Versuch zu unternehmen, dazu eine Art Gegengewicht zu schaffen, ist auch ein Bemühen dieses Antrags. Wir haben unsere Mitwirkungsmöglichkeit bisher eigentlich immer nur bei der Haushaltsgestaltung, bei der Bewilligung der Mittel gehabt, aber niemals oder j eden-falls kaum bei der Ausformulierung der Programme.
— Das war auch schon früher so, lieber Kollege Stahl, als Sie noch auf dieser Bank gesessen haben.
Wir wollen versuchen, diesen Prozeß der politischen Meinungsbildung in Fragen der Technologie- und der Forschungspolitik — ob uns das gelingt, weiß ich nicht — überschaubarer zu machen, transparenter zu machen, allgemein verständlich zu machen, so daß ihn der Bürger nachvollziehen kann. Trotzdem wollen wir wiederum versuchen, auch wissenschaftlich sauber zu argumentieren, bei der Realität und bei den wissenschaftlichen Fakten zu bleiben, obwohl ich weiß, daß man mittlerweile in der wissenschaftlichen Diskussion auch kaum mehr aus dem Meinungsstreit zu objektiven Kriterien kommen kann. Lassen Sie uns aus der Erfahrung lernen, lassen Sie uns aufeinander zugehen in den Ausschußberatungen. Wir werden ja Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Es ist sicherlich der Mühe wert; selbst wenn wir am Ende der Berichtspflicht am 31. Dezember 1986 zu der Meinung kommen würden, wir kämen hier nicht weiter, hätte sich das gelohnt. Dann hätten wir über die Schwierigkeit der Materie etwas hinzugelernt. Ich bin sicher, daß wir uns einigen werden, und fordere Sie alle dazu auf.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lenzer, Sie haben Unverständnis über unseren Alleingang geäußert. Nun, uns kam es darauf an, im Einstieg in diese Enquete-Kommission die Problemfelder etwas differenzierter aufzureißen, als dies in Ihrem Antrag der Fall ist. Wir fühlen uns in unserem Bemühen nachträglich auch bestätigt, wenn wir feststellen, daß Sie gemeinsam mit den GRÜNEN — eine etwas eigenartige Koalition — in Ihrem Antrag z. B. das Wort „Arbeitsbedingungen" im dritten Spiegelstrich herausgestrichen haben.
— Natürlich, lesen Sie es nach, es ist herausgestrichen worden.
Wir wollten das Problemfeld schon in dem Antrag etwas differenzierter angehen. Nach einem zugegebenermaßen langen Diskussionsprozeß sind wir jetzt so weit, daß wir eine Enquete-Kommission haben werden, daß wir uns mit den Auswirkungen der neuen Technologien beschäftigen wollen.
— Wir haben ihn nicht verzögert, sondern wir sind der Meinung, daß man sorgfältig an eine solche Sache herangehen muß.
In der Tat ist es so, daß die technische Zivilisation in einer Krise ist. Die Werte der Industriegesellschaft sind entzaubert. Wir stellen eine zunehmende Selbstzerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen fest mit wachsenden psychischen, sozialen und ökologischen Kosten auf der einen Seite und einem abnehmenden Nutzen auf der anderen Seite, ausgedrückt in immer mehr mehr oder weniger sinnvollen Gütern. Die fast euphorische Hochschätzung technischer Möglichkeiten ist heute nicht mehr feststellbar. 1980 glaubten nur noch 33% der Menschen in der Bundesrepublik, daß der technische Fortschritt die Menschen freier mache. 56 % vertraten dagegen die Ansicht, der technische Fortschritt führe zu mehr Unfreiheit. Dabei kritisieren wir nicht, wie es bei den Fundamentalisten innerhalb der GRÜNEN zu hören ist, die Industriegesellschaft schlechthin. Es wäre nach unserer Auffassung ein verhängnisvoller Irrtum, die Industriegesellschaft als neuzeitliche Fehlentwicklung zu beklagen und den Ausstieg aus ihr zu propagieren.
Die industrielle Produktion hat ermöglicht, daß immer mehr Menschen in ihrer Existenz gesichert sind. Wohlstand und soziale Sicherheit auch Befreiung von Abhängigkeit, all dies ist eine Frucht der industriellen Entwicklung.
Sozialdemokraten können dies jedenfalls nicht vergessen.
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Vahlberg
— Das sehen Sie auch so. Gott sei Dank.
Aber die Angst, die sich in bezug auf die neuen Techniken breitmacht, ist real. Sie ist nicht nur eingebildet, wie vielfach behauptet wird. Es ist nicht nur Technikfeindlichkeit, wenn die Bürger den neuen Technologien auch kritisch begegnen. Die Angst ist begründet. Dabei diskutieren wir im Moment erst wenige Probleme, die auf uns zukommen werden. Es gibt Problemfelder, die überhaupt nicht in der öffentlichen Diskussion, sondern bisher vielleicht nur von Experten angerissen worden sind. Ich streife z. B. das, was unter dem Stichwort „fünfte Computergeneration" auf uns zukommt: künstliche Intelligenz, lernende Systeme, Expertensysteme, in denen das Fachwissen ganzer Teilbereiche zu 100% gespeichert ist. Das wirft die Frage auf, inwieweit wir von solchen Computersystemen abhängig werden. Diese Frage wurde leider immer leichthin verneint. Es wird behauptet: Der Mensch, der die Technik geschaffen hat, bleibt auch Herr dieser Technik.
— Er stellt die Fragen. Aber versetzen Sie sich einmal, Herr Lenzer, in die Situation eines Arztes, der ein Diagnosesystem befragt, nachdem er bestimmte Krankheitssymptome festgestellt hat, der dann darauf eine Antwort bekommt, was das für eine Krankheit ist und wie er sie therapieren soll. Der Computer kann dies schon heute perfekter als der Arzt. Die Situation wird zukünftig so sein, daß ein Mensch nicht mehr in der Lage ist, sich gegen die Entscheidung eines Computers zu stellen, weil er weiß, daß seine Datenbasis, seine Informationen nicht so perfekt wie die des Computersystems sind.
Stellen Sie sich Simulationsmodelle der Zukunft vor. Wir können das heute schon feststellen, wenn wir den Rüstungsbereich anschauen. Stellen Sie sich Simulationsmodelle vor, bei denen der, der in einer aktuellen Situation entscheiden soll, nicht mehr in der Lage ist, festzustellen: Was für Daten sind mit eingegangen, welche Kriterien sind zugrunde gelegt worden, als man dieses System konzipiert hat? Das heißt, wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Inwieweit gerät der Mensch in Abhängigkeit von solchen Systemen? Die Machtfrage stellt sich: Wer hat solche Systeme konzipiert? Wer darf eingeben? Wer hat Zugriff auf solche Systeme? Entwickeln sich neue Eliten mit unkontrolliertem Herrschaftswissen? Werden wir damit umgehen können, wenn es neben den Realitäten und Wirklichkeiten, die wir kennen — ob es sich nun um Menschen oder um Prozesse oder um Ereignisse handelt —, jeweils eine datenmäßige Abbildung, einen Datenschatten gibt? Werden wir mit solchen synthetischen Welten fertig werden können? Diese Frage stellt sich jedenfalls. Es sind Ersatzwelten, die gleichsam einen Schutzwall gegenüber der realen Welt schaffen, simulierte Welten, die uns möglicherweise in unserer Fähigkeit bedrohen, mit
den realen Problemen in einer realen Welt fertig zu werden.
Das Problem, vor dem wir stehen, ist doch folgendes: Wir stellen auf der einen Seite eine rasante Entwicklung der Technologien fest. Der Mensch aber hat sich in seinen psychischen, anthropologischen Strukturen seit Tausenden von Jahren nicht verändert; er ist konstant geblieben. Unser soziales und kulturelles Wertesystem ändert sich nur ganz, ganz langsam. Mit den Möglichkeiten, etwa mit der Gentechnologie umzugehen, können wir in unserem Wertesystem jetzt nicht klarkommen. Wir müssen es verändern. Das geht nur ganz, ganz langsam. Die Lücke wird immer größer. Es besteht die Gefahr, da wir mit unserem Wertesystem 'die Technologie in ihren Auswirkungen nicht mehr voll erfassen können, daß nach technischer Rationalität entschieden wird. Das können wir heute schon feststellen, Herr Lenzer. Ich komme hier auf mein Lieblingsthema, den computerlesbaren Personalausweis, der deshalb her muß, weil die Technologie da ist. Es wird gar nicht mehr danach gefragt, inwieweit das zu unserer Lebenswirklichkeit paßt und einen Sinn macht.
Es stellt sich eine weitere Frage: inwieweit wir heute im Gegensatz zu früher auf der politischen Ebene das Heft noch in der Hand haben. Es wird ja davon gesprochen, diese neuen Technologien seien eine Infrastruktur für unsere Wirtschaft. Als es früher darum ging, ein Schienensystem zu entwickeln, ein Straßensystem zu entwickeln, Kanalisation zu bauen, hat noch auf der politischen Ebene die Entscheidung stattgefunden. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die neuen Technologien umstellen uns, ohne daß wir jemals dazu einen Beschluß gefaßt hätten. Wir stehen z. B. — das sehen Sie wahrscheinlich anders — der Arbeitslosigkeit tatenlos gegenüber. Wenn ich „wir" sage, dann schaue ich mehr auf die rechte Seite dieses Hauses, weniger auf die linke Seite. Wir hatten j a heute morgen dazu eine Debatte.
— Keine Proteste! Das sehe ich nun einmal so. Das können Sie mir nicht absprechen.
Ich sage Ihnen, warum: weil Sie sich mit den quantitativen und qualitativen Folgen der neuen Technologien nicht ernsthaft auseinandersetzen, weil Sie von dem Gestaltungsspielraum, wie groß er auch immer sein mag, nicht Gebrauch machen oder nicht Gebrauch machen wollen.
— Das ist keine persönliche Einschätzung; sie wird von vielen hier im Raume geteilt. Da bin ich ziemlich sicher.
Ich habe vom Gestaltungsspielraum gesprochen. Wir wissen, daß diese neuen Technologien ein Doppelgesicht haben. Sie lassen sich zum Nutzen des
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Vahlberg
Menschen einsetzen, sie können aber auch schweren Schaden verursachen. Wenn ich mir z. B. den Einfluß auf die Arbeitsplatzgestaltung, Tätigkeitsmerkmale und Arbeitsorganisationen anschaue — das sind ja alles Dinge, die Sie jetzt in Ihrem Antrag überhaupt nicht ansprechen wollten, so gibt es einerseits die Möglichkeit, auf Grund der Erfassung und der Vernetzung gewaltiger Informationsmengen menschliche Arbeit noch stärker zu kontrollieren, zu hierarchisieren, zu zentralisieren, also noch weiter zu entfremden. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeiten, Arbeit wieder mit zusätzlichen Inhalten auszufüllen, Entscheidungsfreiheiten und Kompetenzen nach unten zu verlagern. — Ich bekomme hier ein Zeichen, und deshalb beende ich meine Ausführungen.
Es kommt darauf an, daß Technologien so eingesetzt werden, daß Energie und Rohstoffe geschont, daß soziale, beschäftigungspolitische wie ökologische Folgen berücksichtigt werden.
Herr Abgeordneter!
Es kommt auf einen breit angelegten technologiepolitischen Dialog an. Insofern bin ich froh, daß wir mit dieser Enquete-Kommission einen Einstieg in die Diskussion gefunden haben.
Recht herzlichen Dank.
Es tut mir leid, aber Ihr Gestaltungsspielraum, um mit Ihren Worten zu sprechen, am Rednerpult war für diesmal beendet.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor etwas mehr als zehn Jahren in dieses Parlament kam, stand das Thema Technikfolgenbewertung, Technikfolgenabschätzung schon auf der Tagesordnung. Ich habe es von meinem Vorgänger übernommen. Wir haben jetzt inzwischen alle möglichen Diskussionen zu diesem Thema geführt, z. B. darüber nach dem System des amerikanischen Office of Technology Assessment eine Minibürokratie einzurichten, mit Alibifunktion gegenüber dem Parlament, wir haben über einen Science Court, über ein Wissenschaftsparlament diskutiert. Aber ich denke, daß die Fragen der Technikbewertung und Technikfolgenbewertung eine wichtige und andauernde politische Aufgabe darstellen, eine Aufgabe, der sich heute im industrialisierten Zeitalter die Parlamente nicht entziehen können und nicht entziehen sollen. Sie haben damit eine große Verantwortung übernommen, über neue technische Entwicklungen, deren Chancen und Risiken, deren Wirkungen auf den einzelnen wie auf die Gesellschaft zu urteilen, diese Wirkungen zu erfassen und in die parlamentarische Arbeit mit einzubeziehen. Ich möchte an dieser Stelle auch schon deutlich sagen, daß es eine wichtige Aufgabe in dieser Auseinandersetzung mit neuen Technologien auch ist, sich nicht bloß auf Spekulationen, auf Emotionen zu verlassen; diese sind wenig hilfreich, sowohl nach der einen als auch nach der anderen Seite. Das hilft uns genausowenig wie Euphorie in bezug auf neue technische Entwicklungen und ihre unbegrenzte Nützlichkeit.
Verfolgt man die Geschichte der Umsetzung wissenschaftlicher, insbesondere naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in Technik und deren Nutzung, so wird man feststellen, daß es stets und zu allen Zeiten eine Art Bewertung neuer Erkenntnisse gegeben hat. Eine Befassung mit den Folgen solcher Erkenntnisse für den Menschen, insbesondere auch für die Gesellschaft oder die zum jeweiligen Zeitpunkt herrschende Staats- und Gesellschaftsform hat immer stattgefunden. Es hat also schon immer, solange wir die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen können, eine Art Bewertung im Hinblick auf den Nutzen neuer Erkenntnisse für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft gegeben, allerdings mehr eine Bewertung in positiver Richtung, weil es bei lange währenden Prozessen in den Frühzeiten mehr evolutionäre Entwicklungen waren, die eher negativ zu beurteilenden Folgen entweder überhaupt nicht auftraten, im Verlauf der langen Entwicklungszeiten auch abgewehrt werden konnten und im Vergleich zu den erlangten Vorteilen nicht als hemmend empfunden wurden bzw. Ablehnung und Vorurteile sich im Verlauf einer Entwicklung als nicht zutreffend erwiesen und manches zunächst negativ Beurteilte infolge sozialer und geistiger Wandlungen dann später überhaupt anders beurteilt wurde, als dies im Augenblick der Gewinnung neuer Erkenntnisse geschehen ist und geschehen konnte.
Mit beginnender Industrialisierung im 19. Jahrhundert aber vollzogen sich Entwicklungen bereits immer rascher. Ihre Bewertungen bezogen sich in erster Linie — ich behaupte: nahezu ausschließlich — auf den ökonomischen Nutzen und in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in starkem Maße auch auf den militärischen Nutzen. Eine Vielzahl technischer Entwicklungen wurde gerade nicht aus dem uralten Streben der Menschheit nach ihrer Befreiung von der Naturbefallenheit hervorgebracht, sondern aus dem Wunsch nach Aufbau und Erhaltung von Macht, wirtschaftlicher und politischer Macht mit einer zwangsläufigen Tendenz zu immer größeren, konzentrierteren und komplexeren Systemen. Gewaltige Maschinenkombinate, Nachrichtensysteme, aber auch Verwaltungs- und Organisationsapparate in Verbindung mit für das Individuum, ja selbst für die gesetzgebenden Gremien unüberschaubaren EDV-Systemen sind im Laufe der letzten Zeit entstanden. So hat Istvan Illich zu Recht die Frage aufgeworfen, ob nicht die mächtigen Apparate und Maschinen den Menschen zum Sklaven machen und die politischen Systeme entmachten.
Der technische Fortschritt hat nun einmal wegen der enormen Geschwindigkeit der Entwicklungen, wegen der ungeheuren Fülle der Erkenntnisse, der Explosion der Gesamtheit des Wissens und der damit verbundenen unvermeidbaren „Verdummung"
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8057
Dr.-Ing. Laermann
des einzelnen, wegen der nur auf wenige, sehr einseitige Aspekte gerichteten Folgenbewertungen zu schädlichen Neben- und Folgewirkungen, ja im Laufe der Zeit zu einer Kumulierung von schädlichen Wirkungen, zu einer Leben und Gesundheit bedrohenden Schädigung der Natur, aber auch zur Beeinträchtigung der sozialen Umwelt — Herr Kollege Vahlberg, dazu gehört für mich selbstverständlich auch die Arbeitswelt des Menschen —, zur Ausbeutung der Natur im weitesten Sinne dieses Begriffes geführt. So schreibt Fromm in seinem Buch „Haben oder Sein" — ich zitiere —:
Die industrielle Gesellschaft verachtet die Natur ebenso wie alles, was nicht von Maschinen hergestellt wird. Die Menschen sind heutzutage fasziniert vom Mechanischen, von der mächtigen Maschine, vom Leblosen und in zunehmendem Maße von der Zerstörung.
Meine Damen und Herren, gerade auf Grund dieser Worte ist es unsere Verpflichtung, die Verpflichtung des Parlaments, ist es unsere ungeheuer große Verantwortung vor der Zukunft, diesen Trend zum Positiven hin zu verändern. Eine vorausschauende Beurteilung und Folgenbewertung neuer technischer Entwicklung ist aus vielen Gründen erforderlich geworden. Manche Auswirkungen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Beziehung hätten verstärkt werden können im Sinne positiver, also erwünschter Wirkungen, manche negativen Folgen im Sinne unerwünschter Nebenwirkungen hätten bei rechtzeitiger Erkenntnis und unter Berücksichtigung der damit verbundenen negativen Wirkungen vermieden werden können, zumindest teilweise vermieden oder durch entsprechende Maßnahmen aufgefangen werden können.
Ich muß an dieser Stelle die Frage offenlassen, wie und wer erwünschte und unerwünschte Wirkungen definiert. Es wird sicherlich ein Problem sein, aus der jeweiligen Position heraus festzustellen, was positiv oder negativ, was erwünscht oder unerwünscht ist.
— Sicherlich. Aber ich denke, in einem demokratischen Prozeß, Frau Kollegin Hickel, werden die Auseinandersetzungen um „erwünscht" oder „unerwünscht" in fairer Weise ausgetragen werden können und ausgetragen werden müssen. Das ist wohl letztendlich auch der Grund, warum wir uns für die Einrichtung einer Kommission zur Technikfolgenbewertung einsetzen.
Ich denke, daß diese Kommission wichtige Aufgaben wahrnimmt, nämlich als Kontakt- und Anlaufstelle, als Nahtstelle zwischen Politik und den Bürgern einerseits, aber auch zwischen der Politik und den Wissenschaften, der technischen Intelligenz andererseits. Dieses ist eine der wichtigsten Funktionen der Kommission, wie sie in den vorliegenden Anträgen gefordert ist.
Wenn sie dieser ihrer Querschnittsfunktion entsprechen und sie wirkungsvoll erfüllen soll, dann kann und darf sie nicht allein mit Technologen und Technokraten besetzt werden.
Das ist nicht eine Aufgabe, die nur die Techniker wahrnehmen können. Wenn die Kommission ihre Querschnittsfunktion erfüllen soll, dann muß sie ihrem Charakter nach interdisziplinär besetzt sein.
Ich habe in den vorbereitenden Gesprächen gesagt — ich wiederhole das, weil es für mich der Kernpunkt der ganzen Geschichte ist —: Es müssen alle politikrelevanten Bereiche in dieser Kommission vertreten sein. Hier sollte es nicht darum gehen, daß in erster Linie nach Fraktionskontingent besetzt wird, sondern danach, daß in erster Linie die verschiedenen Politikbereiche vertreten sind. Ähnliches müßte in bezug auf die Sachverständigen gelten. Ich halte dies für eine unverzichtbare Bedingung.
Ich will nun nicht im einzelnen auf die Anträge eingehen. Aber ich möchte ebenso wie der Kollege Lenzer Herrn Vahlberg und den Kollegen von der SPD-Fraktion gegenüber mein Bedauern darüber ausdrücken, daß wir hier nicht, wie doch im Forschungs- und Technologieausschuß ursprünglich beschlossen wurde, einen interfraktionellen Antrag einbringen. Sie sind ausgestiegen. Herr Kollege Vahlberg, wir wollen doch der Wahrheit die Ehre geben: Wir wollten Ihnen j a entgegenkommen. Wir wollten zu den Lebensbedingungen die Arbeitsbedingungen hinzufügen. Aber selbst dieses haben Sie nicht akzeptiert. So sind wir bei der alten Vereinbarung geblieben.
Was heißt denn eigentlich „Lebensbedingungen"? Muß man das im einzelnen so aufdröseln, wie Sie das tun? „Lebensbedingung" heißt selbstverständlich auch Einschluß der Arbeitsbedingungen, der Arbeitswelt.
So, wie Sie, Herr Vahlberg, es vorhin dargestellt haben, in dieser unheimlichen Breite, gibt Ihr Antrag das überhaupt nicht her. Gleichzeitig werfen Sie dem Antrag der übrigen Fraktionen vor, er sei zu breit und zu allgemein gefaßt. Wenn das, was Sie hier vorgetragen haben, Gegenstand der Arbeit werden soll, dann müssen Sie unserem Antrag, wie wir ihn ursprünglich formuliert hatten, zustimmen.
— Herr Stahl, Sie reden immer soviel. Ich kann Sie gar nicht verstehen. Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, da hier schon das rote Lämpchen leuchtet. Sonst bekomme ich Ärger mit dem Präsidenten.
— Was ist denn das?
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir uns in den anschließenden Ausschußberatungen recht bald verständigen, daß Sie nicht bei
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Dr.-Ing. Laermann
Ihrer einseitigen Orientierung auf „Ausmaß, Struktur und Inhalt der Beschäftigung unter Berücksichtigung sektoraler und regionaler Aspekte" bleiben. Welche unzulässige und unvernünftige Einengung der Aufgaben einer solchen Kommission!
Ich sage noch einmal: Sie muß im wahrsten Sinne des Wortes philosophischer angesetzt sein, weiter übergreifend über alle Politikbereiche. Da kommen Sie mit sektoralen und regionalen Aspekten! Verdammt eng!
Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hickel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als nach der Sommerpause der gemeinsame Antrag aller vier Fraktionen im Forschungs- und Technologieausschuß vorlag, eine Enquete-Kommission zur Technikfolgenabschätzung einzusetzen, haben viele die Illusion bzw. die Hoffnung gehabt, daß das Parlament das nun schon mehr als zehn Jahre andauernde Zauberlehrlingssyndrom in Bonn — so lange versucht das Parlament nämlich schon, die Abschätzung der Folgen neuer Technologien zu organisieren —, das Dasein als versammelte Zauberlehrlinge hinter sich lassen werde und man in diesem Hause nun von Sklaven zu Herren bzw. Herrinnen der neuen Technologien aufsteigen könne.
Als dann die SPD im letzten Augenblick aus dem gemeinsamen Unternehmen ausscherte — wie ich glaube, aus einem übergroßen Profilierungsbedürfnis —, hatten einige kurzfristig die Hoffnung gehabt
— so war es wohl —, daß nun endlich einmal der Etikettenschwindel aufgedeckt würde,
der — wie die GRÜNEN schon wiederholt dargelegt haben — mit dem Begriff Technikfolgenabschätzung oder — wie die Amerikaner sagen und auch hier immer gesagt wird — Technology Assessment (TA) betrieben wurde und immer noch wird, daß es nämlich in Wirklichkeit zumeist nur darum geht, Akzeptanzforschung und Akzeptanzförderung zu betreiben, d. h. die Bevölkerung durch Propaganda und Gehirnwäsche dazu zu bringen, daß sie Technologien akzeptiert oder gar befürwortet, die außer den Betreibern eigentlich niemand will und braucht, die nur dem Prestige und den Gewinnen einiger weniger dienen und die zudem oft noch gefährlich sind, wie wir es aus der Atomtechnologie, der Gentechnologie und Teilen der Mikroelektronik ja kennen. In dieser Hoffnung wurden wir dann aber enttäuscht; denn der SPD-Antrag leistet das leider nicht. Außer durch die Einfügung des Wortes „Arbeitsplätze" statt „Beschäftigung in der Wirt-
schaft" unterscheidet sich der SPD-Antrag nicht wesentlich von dem, was die GRÜNEN mit unterzeichnet haben.
Frau Abgeordnete Hickel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen?
Am Schluß meines Vortrages; er ist gleich schon wieder zu Ende.
Das Wort Umweltverträglichkeitsprüfung fehlt auch in dem SPD-Antrag. Hätte ich das gewußt, hätte ich es Ihnen sonst empfohlen. So bleibt die Auslegung: „Technikfolgenabschätzung ist gleich Akzeptanzforschung" anstatt — wie wir es wollen —: „Technikfolgenabschätzung ist gleich vorausschauende und vorbeugende Technikfolgenbewertung" nach wie vor möglich.
Warum nun haben wir GRÜNEN den Antrag mit den Regierungsfraktionen unterschrieben? Das scheint ja manche zu ärgern. Er ist derart allgemein gehalten, daß man alles darunter verstehen könnte, sowohl das Konzept der CDU/CSU/FDP von Akzeptanzforschung als auch das, was GRÜNE meinen, wenn sie Technikfolgenabschätzung sagen.
Zu unserem Konzept gehört nämlich vor allem eines: Der Schwerpunkt der vorausschauenden und bewertenden Technikfolgenabschätzung kann nach unserer Ansicht niemals bei Parlament oder Regierung liegen. Vielmehr muß die Zusammenarbeit betroffener Bevölkerungsgruppen mit den betroffenen Wissenschaftlern gefördert werden. Hierzu sind besonders die Dissidenten aus der Wissenschaft zu hören, und Parallelforschung wie etwa in der Arbeitsgemeinschaft der ökologischen Forschungsinstitute muß dazu ermöglicht werden.
— Was Herr Laermann vorhin sagte, enthielt ja schon einige solcher Anklänge, wie er überhaupt in meinen Augen heute einen sehr begrüßenswerten Ausflug in die Technikgeschichte und in die Technikphilosophie gemacht hat. Solche Gruppen von Bürgern und Wissenschaftlern haben sich seinerzeit bereits in der Anti-AKW-Bewegung gebildet, in der Bewegung gegen die Atomkraftwerke, und sie haben, denke ich, die hochrangigste und effektivste Technikfolgenabschätzung überhaupt bisher in unserem Land betrieben.
Solche Gruppen sind jetzt dabei, sich bezüglich der Gentechnik zu bilden, übrigens besonders von Frauen, die hier ja zu den zuerst Betroffenen gehören. Solche Gruppen vermehren sich zur Zeit überall im Lande auf dem Gebiet der Mikroelektronik, wo Arbeitnehmer und vor allem Arbeitnehmerin-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8059
Frau Dr. Hickel
nen ja in erster Linie Grund zur Technikfolgenbewertung haben.
Herr Abgeordneter Vosen — Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche —, die Frau Kollegin hat gesagt, daß sie Ihnen am Schluß ihrer Ausführungen eine Frage einräumt. Ich bitte Sie um Verständnis, daß sie jetzt mit ihrer Rede fortfahren will.
Diese Gruppen, von denen ich soeben sprach, sollten nach unserem Konzept von Technikfolgenabschätzung dann im zweiten Schritt in eine staatliche Initiative eingebunden werden, nämlich eine öffentliche Stiftung, analog etwa zur Stiftung Warentest, die unter ausschlaggebender Beteiligung von Umweltschutzverbänden, von Verbraucherverbänden, gegebenenfalls von Patienten- und anderen Betroffenen-Verbänden überregional die Technikfolgenabschätzung organisieren müßte. Eine breite demokratische Diskussion müßte die Bewertungsmaßstäbe — und um die geht es schließlich —, die Interessen und die Vielzahl der variablen Faktoren herausarbeiten, die dann in eine systemanalytische Zukunftsabschätzung eingehen müßten.
Wie unsinnig es ist, der Regierung allein diese für unser Alltagsleben immer wichtiger werdende Bewertung neuer Technologien zu überlassen, dafür hatten wir vorige Woche bestes Anschauungsmaterial in der von Herrn Lenzer hochgelobten, aber von uns ganz anders gesehenen außerordentlich aufwendigen Berliner Konferenz des BMFT zu Fragen der Informationstechnologien.
— Diesen Eindruck hatte ich gar nicht. Viele kompetente Kritiker haben mir erzählt, daß dort Niveau und Resultat in umgekehrtem Verhältnis zu dem Aufwand gestanden hätten — der Aufwand war riesig — und daß die öffentlichen Gefahren der Informationstechnologie überhaupt nicht ernsthaft erörtert, geschweige denn Maßnahmen zu ihrer Bewältigung erarbeitet wurden. Beispielsweise die Frage, wie man in Zukunft mit der Gefahr eines sogenannten Atomkrieges aus Versehen durch fehlerhaft arbeitende Computer im Frühwarnsystem umgehen wird — das ist eine zentrale Frage, denke ich; das kam gar nicht vor —, oder die Frage, wie man die Herausbildung neuer ungewollter Herrschaftsstrukturen, z. B. über Frauen an Heimarbeitsplätzen oder über solche Menschen, die nicht an Informationssysteme Anschluß haben, verhindern will, wurden gar nicht behandelt. Allzusehr befolgte man nach unserem Eindruck dort die Weisung des Regierenden Bürgermeisters in seiner Eingangsrede, „sich nicht von Skepsis gegenüber der Technik-Entwicklung lähmen zu lassen, damit wir nicht wie Aschenputtel in der Küche sitzen, während andere das Fest feiern". Die Herren kannten offenbar nicht den Ausgang dieses Märchens, wo nämlich Aschenputtel Königin wird, weil ihre feiernde Schwester,
wie es heißt, „Blut im Schuh" hatte. Kennen Sie das Märchen?
Neben den vorhin erwähnten für eine sinnvolle und gesellschaftlich nützliche Technikfolgenabschätzung notwendigen Strukturen, wie es sich die GRÜNEN vorstellen, könnte dann auch daneben, aber nicht im Zentrum, eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages eine durchaus vernünftige Funktion haben. Deshalb stimmen wir ihr auch zu.
Voraussetzung dafür, daß sie sinnvoll arbeiten kann, ist allerdings, daß sie sich für diese Legislaturperiode ein überschaubares, noch nicht in industrieller Verwertung befindliches und daher noch steuerbares Projekt vornimmt, das Aussicht bietet, in dieser sehr kurzen Zeit, die uns jetzt nach der Verzögerung durch die SPD noch bleibt, auch bearbeitet zu werden.
Frau Abgeordnete Hickel, da Ihre Redezeit dem Ende zugeht, darf ich die Frage stellen, ob Sie dem Kollegen Vosen eine Zwischenfrage einräumen.
Ach so; nein, dann reicht die Zeit nicht mehr; es tut mir leid.
— Das ist immer das Problem bei den kurzen Reden.
Der letzte Satz: Voraussetzung ist ferner, daß die Kommission tatsächlich bestrebt ist, Sackgassen in den neuen Technologien auch als solche zu erkennen und sie nicht bloß — wie bisher üblich — gesundzubeten. Möglichkeiten hierzu ergeben sich in unseren Augen beispielsweise auf den Gebieten der Fusionsforschung und der Kohleverflüssigung. Ob die Gemeinsamkeit mit den Regierungsfraktionen und den GRÜNEN den Einsetzungsantrag überdauern wird, wird sich zeigen und ist vor allem daran zu messen, ob tatsächlich die Bewertung im Vordergrund steht oder doch wieder nur die beliebte Akzeptanzförderung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Anträge zu den Tagesordnungspunkten 5 a und 5 b auf den Drucksachen 10/2383 und 10/2517 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 6 bis 10 der Tagesordnung auf:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
8060 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Präsident Dr. Jenninger
steuerliche Maßnahmen zur Förderung des
schadstoffarmen Personenkraftwagens
— Drucksache 10/2523 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
7. Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Gesellschaftliche Kosten des Autoverkehrs — Drucksachen 10/803, 10/2348 —Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Großversuch der Bundesregierung zum Tempolimit
— Drucksache 10/2276 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
8. Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp des Bundesfernstraßenbaus
— Drucksache 10/2384 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
10. Beratung des Berichts des Bundesministers für Verkehr über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr für die Jahre 1982 und 1983
— Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1983 —— Drucksache 10/963 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 bis 10 und zwei Beiträge bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Förderung des schadstoffarmen Autos soll die Voraussetzungen für eine möglichst schnelle und umfassende Verminderung der Umweltbelastungen in einem besonders zentralen Bereich schaffen. Nach den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan will die Bundesrepublik Deutschland damit als drittes Land die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung des umweltfreundlichen Kraftfahrzeuges herstellen. Wir zeigen so erneut, daß Ökonomie und Ökologie im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht im
Widerspruch zueinander stehen. Wir wollen die Marktkräfte nutzen, um den Umweltschutz mit den effizientesten wirtschaftlichen und technischen Methoden voranzubringen, ohne den Bürgern die Vielfalt der Auswahlmöglichkeiten bei konkurrierenden Angeboten zu nehmen.
Unser Konzept hat zwei klare Stufen: Erstens. Wir haben Termine gesetzt
— den 1. Januar 1988 bzw. den 1. Januar 1989 —, von denen an nur noch abgasarme PKW zugelassen werden sollen. Zweitens. Schon bevor die Einführung des schadstoffarmen Personenkraftwagens verbindlich wird, wollen wir ein System der steuerlichen Förderung des schadstoffarmen Fahrzeuges einführen.
Verbindlich festgelegt werden die Abgaswerte und der Zeitpunkt des Inkrafttretens. Industrie und Technik sollen bei der Ausfüllung der Normen keine Grenzen gesetzt werden. So entsteht ein hoher Anreiz,
daß sich letzten Endes die kostengünstigsten und damit wirtschaftlichsten Methoden zur Abgasreinigung zur Verbesserung der Umweltsituation durchsetzen.
Ein nationaler Alleingang ohne Rücksichtnahme auf das EG-Recht kann nicht in Frage kommen. Wer das fordert, mißachtet oder verkennt die Realitäten, nämlich die enge politische und wirtschaftliche Verflechtung der Partner in der Gemeinschaft und die Bedeutung der Gemeinschaft für uns und für Europa. Es muß daher ein Konzept entwickelt werden, das mit dem EG-Recht in Einklang steht und auch die handels- und wettbewerbspolitischen Auswirkungen beachtet.
Das hat die Vorbereitung des Regierungsentwurfes nicht leichter gemacht. Unter diesen Vorzeichen haben wir in einer relativ kurzen Zeit eine Vorlage erarbeitet, die unsere Absicht unterstreicht, in Europa Schrittmacher für Umweltschutz zu sein.
— Sie haben keine Ahnung, was in Europa vorgeht. Das zeigen Ihre törichten Zwischenrufe.
Intensive Erörterungen hat es vor allem auch in den Bundesländern gegeben. Die Kraftfahrzeugsteuer ist eine Ländersteuer. Deshalb mußten wir ihnen bereits im Vorfeld der Gesetzesinitiative Gelegenheit geben, unser Konzept zu prüfen und mit uns darüber zu reden. Der Bundesrat hat in seiner Entschließung vor zwei Wochen eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die erkennen lassen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung grundsätzlich unterstützt wird.
Kernstück der steuerlichen Regelung ist eine zeitlich nach dem Hubraum gestaffelte Steuerbe-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8061
Bundesminister Dr. Stoltenberg
freiung für schadstoffarme Personenkraftwagen. Diese führt bei Personenkraftwagen mit Ottomotor und einem Hubraum bis zu 1400 ccm zu einer Steuerbefreiung von zehn Jahren. Mit fortschreitender Hubraumgröf3e verkürzt sich der Befreiungszeitraum, so daß der Steuervorteil unabhängig von der Hubraumgröße bis zu rund 3000 DM ausmacht. Dadurch soll ein Teil der Mehrkosten für Anschaffung und Wartung schadstoffarmer Personenkraftwagen aufgefangen werden. Die Steuerbefreiung wird wirksam, sobald das Fahrzeug als schadstoffarm anerkannt ist.
Für Personenkraftwagen, die nachträglich mit einem Katalysator ausgerüstet und dann als schadstoffarm anerkannt werden, wird die gleiche Steuerbefreiung wie für Neufahrzeuge eingeräumt. Entgegen mancher anderslautenden Meldung der letzten Zeit werden Dieselpersonenkraftwagen in die Regelung einbezogen. Wenn sie als schadstoffarm anerkannt sind, wird auch für sie eine — allerdings auf die Hälfte verkürzte — Steuerbefreiung vorgesehen. Wankel- und Elektromotoren werden ebenfalls begünstigt.
Meine Damen und Herren, herkömmliche Personenkraftwagen können weiterhin zeitlich unbegrenzt im Verkehr bleiben, denn die Eigenschaft „schadstoffarm" wird ab 1. Januar 1989 bzw. für größere Fahrzeuge 1988 nur für eine Neuzulassung vorausgesetzt. Aber für diese herkömmlichen Personenkraftwagen sollen ab 1. Januar 1986 die Kraftfahrzeugsteuersätze erhöht werden. Dadurch sollen einmal die den Bundesländern durch die Steuerbefreiung entstehenden Steuerausfälle ausgeglichen und andererseits die Anreize zum Erwerb schadstoffarmer Fahrzeuge verstärkt werden. Wir entsprechen damit auch dem Verursacherprinzip. Wer mit seinem Fahrzeug in Zukunft die Umwelt stärker belastet, zahlt dafür einen höheren Preis.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird für die Käufer von Neufahrzeugen ein starker Anreiz geschaffen, sich für einen schadstoffarmen Pkw zu entscheiden. Für die Umrüstung von Altfahrzeugen sieht der Gesetzentwurf bisher keine steuerliche Begünstigung vor.
In der jüngsten Zeit hat sich die fachliche und politische Diskussion jedoch stärker dieser Frage zugewandt, auch im Hinblick auf neue interessante technische Entwicklungen, die weitgehend jedoch noch nicht abschließend bewertet werden können und die erst jetzt den zuständigen Prüfungsbehörden vorgelegt werden sollen. Deshalb hat der Bundesrat nunmehr auch eine allerdings eingeschränkte Förderung der Umrüstung von herkömmlichen Kraftfahrzeugen mit der Folge einer spürbaren Verringerung der Schadstoffemissionen angeregt.
Die Bundesregierung ist bereit, diese Initiative im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages aufgeschlossen zu erörtern. Allerdings, meine Damen und Herren, ist dabei der absolute Vorrang der möglichst schnellen und umfassenden Einführung des abgasarmen Autos mit den anspruchsvolleren
US-Abgaswerten uneingeschränkt zu beachten. Die Folge einer Erweiterung der steuerlichen Förderung auf die Umrüstung wäre u. a.: Die Kraftfahrzeugsteuer für die Halter von Altfahrzeugen, die nicht umgerüstet werden oder wegen ihres Alters bzw. typbedingt nicht umgerüstet werden können, müßte weiter erhöht werden. Die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Steuerregelung für nicht schadstoffarme Pkws von 16 DM je 100 ccm Hubraum reicht nicht aus, um die von den Ländern geforderte Aufkommensneutralität zu gewährleisten. Es müßte dann ferner schnell Einvernehmen über einen zweiten Abgaswert als Voraussetzung für die erwähnte ergänzte steuerliche Förderung erzielt werden.
— Wir sind offen für diese Diskussion. Herr Kollege, ich habe doch eingangs gesagt, daß wir bereit seien, diese neuen Vorschläge aufgeschlossen mit den zuständigen Ausschüssen zu erörtern. Das ist der Obersatz. Aber es ist, glaube ich, richtig, hier auch kurz auf die Probleme einzugehen, die geklärt werden müssen. Nicht mehr ist im Augenblick beabsichtigt.
Ich will vorsorglich sagen: Wenn sich der Deutsche Bundestag für diese Erweiterung entscheidet, halten wir allerdings höchstens zwei Abgaswerte für vertretbar: den strengeren für Neuzulassungen, die im Vordergrund unserer Bemühungen bleiben müssen, und gegebenenfalls einen zweiten, nicht so anspruchsvollen für Umrüstungen. Mehr als zwei Abgaswerte wären für die Steuerverwaltungen der Länder nach meiner Überzeugung nicht praktikabel. Schließlich muß sehr sorgfältig geprüft werden, wie sich dieser Gedanke steuerlicher Anreize für die Umrüstung mit der Zulassung neuer Pkws in den nächsten Jahren verträgt, die nicht den strengen Abgaswert erreichen, aber gegebenenfalls einen neuen, nicht so anspruchsvollen, der, wie gesagt, unter dem Vorzeichen der Umrüstung steht.
Meine Damen und Herren, die Einführung der Katalysatoren-Autos setzt die Bereitstellung unverbleiten Benzins und ein ausreichendes Versorgungsnetz voraus. Die von der Bundesregierung vorgesehene Spreizung der Mineralölsteuer von 4 Pf je Liter ab 1. April 1985 soll die Wettbewerbsfähigkeit des unverbleiten Benzins erhöhen. Der Aufbau eines zufriedenstellenden Tankstellennetzes für unverbleites Benzin ist bereits jetzt in vollem Gange. In der Öffentlichkeit ist allerdings noch nicht allgemein bekannt, daß nicht nur schadstoffarme Autos mit Katalysatoren unverbleites Benzin tanken können, sondern daß auch eine große Zahl von konventionellen Pkws, also nicht schadstoffarmen Pkws, mit Benzin ohne Bleizusätze auskommt. Das wäre eine Umstellung, die nicht die wünschenswerte Entlastung für die Umwelt brächte.
Der Vorschlag des Bundesrates, die von der Bundesregierung vorgesehene Spreizung von 4 Pf je Liter weiter auszudehnen, würde deshalb eine Überforderung bedeuten, eine „Überförderung",
8062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Stoltenberg
kann man auch sagen. Bereits der Steuervorteil von 4 Pf je Liter gleicht die Herstellung- und Vertriebsmehrkosten für normgerechten unverbleiten Normalkraftstoff aus. Außerdem könnten sich Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten und damit Wettbewerbsverzerrungen ergeben. Wir bitten den Bundestag, hier der Regierungsvorlage zu folgen.
Meine Damen und Herren, ich habe schon hervorgehoben, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft auch hier vorangehen. Es muß noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis alle Mitgliedstaaten und bis andere Nachbarn dieselbe Politik zeitgleich und konsequent verwirklichen, jene Politik, der wir so hohe Priorität zumessen. Aber die intensiven Gespräche der zuständigen Bundesminister, vor allem der Kollegen Zimmermann und Bangemann, haben bei unseren Partnern und bei der EG-Kommission jetzt doch wachsendes Verständnis und erste, noch begrenzte Schritte des Entgegenkommens in Richtung auf unsere Vorstellungen gebracht.
Das zeigt eine Reihe jüngster Äußerungen auch vor der heutigen Ratssitzung der Umweltminister. Wir begrüßen dies und werden unsere Bemühungen auch im europäischen Bereich verstärken.
Auch unter diesen Vorzeichen war es richtig, die nationale Initiative sorgfältig auf die europäischen Konsequenzen hin zu durchdenken und abzustimmen. Ein vorzeitiger Alleingang ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft und die anderen Nachbarn, wie ihn einige Sprecher der Opposition forderten, hätte unser gemeinsames Ziel eines entscheidenden Fortschritts in der Umweltpolitik nicht gefördert, sondern gefährdet.
Denn ebenso wie bei den Schadstoffemissionen der Energiewirtschaft brauchen wir hier dringend grenzüberschreitende Regeln. Die Freizügigkeit über nationale Grenzen hinweg darf weder direkt noch indirekt beeinträchtigt werden.
Wir erwarten, daß unsere Nachbarn in Kürze ein flächendeckendes Netz für die Versorgung mit bleifreiem Benzin schaffen. Wir rechnen damit, daß sie die Übergangszeit bis 1988/89 nach der Konzeption unseres Gesetzes nutzen, um ihre Pkw auch auf dem deutschen Markt unter den Bedingungen des neuen Abgaswertes anbieten zu können.
Europäische Politik muß sich auch hier, unter dem Vorzeichen des Wettbewerbs, des technischen Fortschritts und vor allen Dingen des technischen Fortschritts unter den dringenden Erfordernissen des Umweltschutzes bewähren.
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Bundesregierung mit ihren Katalysator-Beschlüssen die tatsächliche Senkung der Kfz-Emissionen praktisch auf die 90er
Jahre verschoben hat, versuchen wir heute, mit dem Instrument der steuerlichen Anreize schon für die 80er Jahre wenigstens eine spürbare Verbesserung zu erreichen.
— Herr Baum, auf diesen Zwischenruf werde ich noch eingehen.
Auf Grund Ihrer halbherzigen und nachlässig terminierten Vorgaben sind sogenannte zweitbeste Lösungen — wie Sie es hier auch vorgetragen haben, Herr Minister, und wie es hier und da heißt — längst nicht mehr möglich. Die große Verunsicherung der Konsumenten, die Sie mit einer sehr komplizierten Darbietung
eines einfach falschen — weil zu spät wirkenden — Beschlusses verursacht haben, können wir heute kaum noch beheben.
Ich kann Ihnen allein aus meinem engeren persönlichen Bekanntenkreis mehrere Personen benennen, die zögern, sich turnusgemäß ihren neuen Pkw anzuschaffen, weil sie nicht so recht wissen, was los ist.
— Was regen Sie sich eigentlich so auf? Ich brauche doch nur auf die Anmerkung des ADAC zu verweisen, die mittlerweile zurückgezogen worden ist. Gestern hatte ich ein Gespräch mit der Landesinnung des Kfz-Handwerks Nordrhein-Westfalen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Obermeistern und den Meistern darüber, welche Verunsicherung Sie durch Ihre Beschlüsse bei den Konsumenten bewirkt haben! Das ist die Wirklichkeit.
Meine Damen und Herren, ist diese Verunsicherungspolitik Ankurbelung der Wirtschaft, Steigerung der privaten Nachfrage, wie es in der Regierungserklärung angekündigt wurde? Nein, es handelt sich hier um eine einfache Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Automobilwirtschaft, verbunden mit einer zusätzlichen Schadstoffbelastung.
Es hat sich doch mittlerweile herumgesprochen, daß — nehmen wir mal einen 1400-ccm-Golf — allein der Anschaffungswert einer Katalysatorenausrüstung dreimal so hoch ist wie die jährliche Steuerersparnis, von den Betriebskosten, Herr Minister, einmal ganz zu schweigen.
Clevere Autohändler wissen diese Verunsicherung zu nutzen. In den vergangenen Wochen habe ich große Anzeigen gesehen — Herr Minister, ich habe mir erlaubt, Ihnen das einmal zuzuschicken —, in denen steht, daß sich auf Grund der Beschlüsse der Bundesregierung nun auch Privat-Leasing für
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8063
Lennartz
Pkw lohnt. Die Überschrift lautet: „Wir übernehmen Ihr Katalysator-Risiko." Das müßte doch auch Ihnen zu denken geben. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben es geschafft, die Rettung des Waldes — in bester Absicht selbstverständlich — als Risiko für die Verbraucher auszugestalten.
Ja, so ist es. Nicht etwa als Risiko für den Bundesfinanzminister! Nein, der Bundesfinanzminister — das konnten wir gerade hören — ist sehr zufrieden. Ihr Zweipfenningsbeschluß — bleihaltig 2 Pf mehr, bleifrei 2 Pf weniger Mineralölsteuer — ist ja in Wahrheit nur dann aufkommensneutral, Herr Minster, wenn schon ab dem 1. Juli 1985 die Hälfte des gesamten Vergaserkraftstoffes bleifrei getankt wird. Da das auf keinen Fall so sein wird, besteht das Risiko des Bundesfinanzministers darin, bis dahin im Ungewissen darüber zu bleiben, ob er nun an der Rettung des deutschen Waldes 1985 nur 300 Millionen DM oder mehr verdienen wird.
— Wenn Sie sagen „Milchmädchenrechnung": Tanken 25 Prozent bleifrei, wird er ca. 310 Millionen DM, tankt niemand bleifrei, ca. 620 Millionen DM mehr bekommen. Das ist ganz einfach zu rechnen. Ich nehme an, in dem Hause sind die Rechnungen bereits durchgeführt worden.
Auch komplizierte Rechnungen, wie sie vorgelegt werden, können einfache Auswirkungen haben.
Herr Bundesfinanzminister, das sind schon ganz tolle Auswirkungen, wenn Sie in der Anfangsphase Mehreinnahmen von ca. einer halben Milliarde DM erwarten.
Weniger toll, aber einfacher für die Verbraucher, einfacher für die Produzenten und besser für den Wald wäre gewesen, den einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 9. Februar 1984 umzusetzen, nämlich die obligatorische Einführung abgasentgifteter Autos vom Jahre 1986 an vorzusehen.
Statt dessen machen Sie Haushaltskonsolidierung, wo Sie Umweltpolitik machen sollen. Das wird der nächste umweltpolitische Flop Ihrer Regierungspolitik. Wenn Sie bei der Mineralölsteuerspreizung aufkommensneutral bleiben wollen, ermäßigen Sie doch einfach die Steuer auf bleifreies Benzin um 5 Pfennige und passen dann in den Folgejahren entsprechend dem wirklichen Aufkommen an. Dann wäre sie aufkommensneutral.
Die „schnellstmögliche Einführung des schadstoffarmen Kraftfahrzeuges" — so steht es schwarz auf weiß auf geduldigem Vorlagenpapier — haben Sie mit allen Kräften verhindert. Auch der vorliegende Gesetzentwurf bewirkt das alles andere als „schnellstmöglich".
— Hören Sie zu!
Sie haben erst Anfang November die EG-Notifizierung für die Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung angekurbelt. Stimmt das, oder stimmt das nicht? Dies offensichtlich zu spät eingeleitete Verfahren führt doch einfach dazu, daß Sie bereits auf EG-Ebene eine über dreimonatige Verspätung in Kauf nehmen müssen.
Die Umrüstung der über 22 Millionen Altfahrzeuge durch entsprechende Bauteile ist im Gesetzentwurf nur zu prüfen vorgesehen, genau wie der Herr Minister eben formuliert hat. Ich hätte nichts dagegen gehabt,
wenn diese Drucksache als Termin nicht den 28. November 1984, sondern den 28. November 1983 getragen hätte. Sie formulieren hier:
Die Bundesregierung prüft, ob die Schadstoffemissionen der Altfahrzeuge durch geeignete technische Einrichtungen vermindert werden können und ob auch für eine derartige Umrüstung eine Förderung in Betracht kommen kann.
Ja, entschuldigen Sie bitte, sind Ihnen denn nicht bekannt, auch nicht dem Herrn Miltner, der, heute morgen im „Kölner Stadtanzeiger" nachzulesen, davon sprach, daß nur ca. 8 Millionen Fahrzeuge umgerüstet werden könnten: die sogenannte Hochstromzündung, mit der alle Fahrzeuge mit Otto-Motor innerhalb kürzester Zeit umgerüstet werden könnten, die Abgasrückführung, durch die die Stickoxidemissionen bereits bei Umrüstung der Altfahrzeuge um 70 Prozent reduziert werden könnten? Das finden Sie in keiner Formulierung von uns, das können Sie vielmehr schwarz auf weiß vom TÜV München nachlesen. Der TÜV München bestätigt Ihnen, daß das möglich ist.
Nun sage ich: Die technologischen Voraussetzungen liegen doch vor, wir müssen nur in diesem Sinne handeln.
Dazu fordere ich Sie auf. Tun Sie es.
Wir hätten sogar ohne bleifreies Benzin die Möglichkeit dazu. Das geht sogar mit bleihaltigem Benzin. Trotzdem wäre eine 70 %ige Reduzierung möglich.
— So steht es schwarz auf weiß im Bericht des TÜV München. Es ist getestet, als einwandfrei und marktreif befunden worden.
Meine Damen und Herren, das sind die Faktoren, wobei man dann noch davon ausgehen muß — das sage ich sehr offen —, daß wir das auch noch exportieren könnten. Muß es denn sein, daß dies von zwei
8064 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Lennartz
Unternehmen aus der Schweiz und Schweden importiert wird? Wir sollten dafür sorgen, daß dies so schnell wie möglich hier realisiert und dann für den europäischen Markt ein Exportschlager wird.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion unterstützen den Änderungsantrag des Bundesrates zu den Altfahrzeugen. Jeder, der sein Kraftfahrzeug mindestens zu 40 Prozent entgiftet, so, wie es in der EGVerordnung vorgeschrieben ist, soll einen angemessenen Steuernachlaß bekommen. Herr Minister, hier sind unsere Auffassungen deckungsgleich.
Über die Frage der Steuerentlastung werden wir uns, meine ich, auch noch finden.
Und ich sage sehr offen, Herr Minister: Zu dem, was Sie hier formuliert haben, werden wir Sie mittels eines Entschließungsantrags zu diesem speziellen Teil gerne beim Wort nehmen. Ich sage es einmal ganz locker: Wir werden Ihnen durch diesen Entschließungsantrag Beine machen.
Nun komme ich zum zweiten Punkt. Bleifreier Kraftstoff muß billiger angeboten werden als bleihaltiger. Das ist die Grundvoraussetzung. Dazu ist eine größere Spreizung — —
— Was sind Sie denn eigentlich so hektisch? Jetzt stimmen wir schon überein in der Entlastung. Das genügt Ihnen auch nicht. Was hätten Sie denn gerne?
Also großes Einvernehmen zwischen SPD und Regierung bei der Entlastung. Was wollen Sie noch mehr?
Meine Damen und Herren, noch einmal zum bleifreien Kraftstoff. Wir sagen als SPD-Fraktion, er muß preiswerter werden. Und hier sind wir der Auffassung — Herr Minister, da unterscheiden wir uns —, daß eine größere Spreizung bei der Mineralölsteuer sinnvoll wäre, als Sie sie in dem Gesetzentwurf mit vier Pfennig vorgesehen haben. Umweltpolitik wird und muß über den Preis gemacht werden und nicht nur über Ankündigen und Appelle.
Zusätzliche, flankierende Maßnahmen sind ebenso notwendig wie steuerliche Anreize. Das Angebot an bleifreiem Kraftstoff muß ausreichend und flächendeckend sein. Die wenigsten Bundesbürger sind in der Lage, wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident publikumswirksam bleifrei mit Katalysator vorzufahren. Sie haben nämlich nicht einen 150-Liter-Tank. Wir forden die Bundesregierung auf, zusammen mit der Mineralölindustrie ein Bund-Länder-Sofortprogramm aufzulegen, das den Aufbau eines Tankstellennetzes mit bleifreiem Kraftstoff fördert. Was wir von anderen fordern, sollten wir selbstverständlich auch tun. Wenn nicht in jeder größeren Gemeinde Zapfsäulen mit bleifreiem Kraftstoff stehen, werden alle anderen Anstrengungen vergeblich sein. Wenn die Mineralölwirtschaft erst den Kfz-Markt beobachtet, die Verbraucher das Tankstellennetz beobachten und die Automobilindustrie beide, dann wird sich auf dem Umrüstungssektor gar nichts tun, und die private Nachfrage nach abgasarmen Kraftfahrzeugen wird so niedrig bleiben wie heute.
Wir sind bereit, Herr Minister, steuerpolitische Maßnahmen mit zu tragen, die Emissionsminderungen bei den Personenkraftwagen nach sich ziehen. Wir sind der Ansicht, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung, wenn auch nur ungenügend, dazu beiträgt, obwohl die Regelung, die Sie für die Kfz-Steuer gefunden haben, besser ist als die früheren aus den unionsgetragenen Ländern. Wir fordern Sie allerdings auf, deutliche steuerpolitische Zeichen zu setzen, die gleichzeitig auch für das bleifreie Benzin dienlich sind und der Dringlichkeit des Vorhabens gerecht werden, nämlich dazu helfen, unsere Wälder zu retten. Handeln Sie! Wir sind bereit, Sie in diesem Sinne zu unterstützen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lippold.
Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist verständlich, daß hier heute der Abgeordnete Lennartz gesprochen hat; denn wenn der sonstige Experte für diese Fragen, Herr Hauff, gesprochen hätte, dann wäre die Diskrepanz zwischen dem, was jetzt verbal immer wieder gefordert wird, und dem, was jahrelang überhaupt nicht getan worden ist, unwahrscheinlich groß gewesen. Aber so, Herr Lennartz, stellen Sie sich mit der Unbekümmertheit dessen hier hin, der mit dem Eintritt in die Opposition völlig das Gedächtnis für das verloren hat, was er in dreizehnjähriger Regierungszeit nicht geleistet hat.
Und jetzt entschuldigen Sie sich, Herr Lennartz, nicht damit, daß Sie damals nicht gewußt hätten, wie Entwicklungen laufen. In den USA ist dies gelaufen. In Japan ist dies gelaufen, zu Ihrer Zeit, und Ihr Herr Hauff hat damals auf der Regierungsbank gesessen, hat Däumchen gedreht und hat die Entwicklung an sich vorbeiziehen lassen.
Das sind doch die Sachverhalte, und jetzt stehen Sie da und sagen: alles nicht schnell genug, alles nicht gut genug, das müßte noch gestern gemacht werden. Ausgerechnet die reden, die während Ihrer Regierungszeit kein Jota dazu beigetragen haben, daß über die Einführung umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge, über die Nachrüstung von Altwagen ein Beitrag zur Sanierung der Luft und damit zur Rettung der Wälder und, was viel entscheidender ist,
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8065
Dr. Lippold
auch zum Gesundheitsschutz geleistet wird. Alles, was wir in dieser Richtung tun, fördert die Gesundheit für die Menschen in diesem Land, für Kinder, für Frauen, für Familien.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Aber selbstverständlich, gern.
Herr Kollege, können Sie mir sagen, welcher Partei der damalige Innenminister angehörte, welcher Partei der alles blockierende Wirtschaftsminister angehörte, und wie lange Sie eigentlich noch nach mehr als zwei Jahren Regierungszeit von der Vergangenheit leben wollen?
Sehr verehrter Herr Kollege Matthöfer, ich sage Ihnen ganz klar: Das macht doch nur deutlich, wieviel mehr wir geleistet haben. Denn bei uns gibt es keine Blockaden; bei uns werden die Probleme angefaßt. Sie sind damals dagesessen und haben gesagt: Wir dürfen nicht; wir können nicht. Das ist doch der eigentliche Punkt.
Im übrigen, wo ist denn der Vorstoß geblieben? Wir haben doch, Herr Matthöfer, von Ihnen noch nicht einmal einen Vorstoß in dieser Angelegenheit erlebt, etwas zu tun. Wo waren denn außer Programmsätzen die Initiativen, die Sie eingebracht hätten, die Sie mit dem Koalitionspartner besprochen hätten?
Da war doch, Herr Matthöfer, nichts; da war doch gar nichts.
Deshalb kann man auch sagen: Der Herr Hauff wird das bleiben, was er hier ist: Mitglied der Opposition. Er wird nicht nach Frankfurt gehen, auch wenn er Kandidat ist. Denn die Frankfurter brauchen einen, der im Amt handelt — und nicht erst hinterher, wenn er das Amt verloren hat. So sind die Dinge, und so gehört sich das.
Und da kommt der Herr Lennartz, der sich bislang an diesen Diskussionen überhaupt nicht beteiligt hat, und spricht von der Gefährdung der Wirtschaft; ausgerechnet der Herr Lennartz, der dann sagt: Aber, liebe Freunde, die verpflichtende Einführung muß zum 1. 1. 1986 kommen. Ja, wovon träumen Sie denn eigentlich? Sie wissen doch, daß wir in dieser Frage an der EG nicht vorbeikommen. Wenn wir hier eine verpflichtende Regelung hätten, könnte die erste Firma zum Europäischen Gerichtshof gehen, und das Ganze wäre null und nichtig. Ist das die sichere Regelung, die Sie brauchen, damit unsere Wirtschaft sich ungefährdet entwickeln kann?
Und Sie wissen doch ganz genau, was viel, viel wesentlicher ist, Herr Lennartz: Wenn wir hier über diesen Weg ohne Abstimmung mit unseren EGPartnern dazu schreiten würden, nichttarifäre Handelshemmnisse aufzubauen, dann könnte das, wenn wir es nicht im Einvernehmen mit ihnen lösen, dazu führen, daß wir einen Handelskrieg in der EG herbeiführen. Aber wer wäre denn der Gewinner dieses Handelskriegs? Wir exportieren in der Automobilindustrie für 14 Milliarden DM mehr in die EG-Länder. Wir produzieren nicht für 14 Milliarden DM, sondern exportieren für 14 Milliarden DM mehr in die EG-Länder, als wir von denen importieren. Das heißt, die einzigen, die dabei Verlierer wären, wären wir, und es wäre nicht die Automobilindustrie, sondern es wären die Arbeitnehmer in der Automobilindustrie. Heute morgen haben Sie hier Tränen geweint, es werde nicht genug getan, über Umweltschutz Arbeitsplätze zu schaffen. Hier würden Sie wissentlich und willentlich Arbeitsplätze gefährden. Die Automobilindustrie war die einzige, die in den letzten drei Jahren ca. 150 000 Arbeitsplätze mit ihren Zulieferindustrien zugelegt hat. Aber Sie nehmen die Gefährdung dieser Arbeitsplätze j a ohne weiteres in Kauf, wie auch Ihr Anheizen im Metallarbeiterstreik deutlich gemacht hat, daß Sie wirtschaftlichen Aufschwung und Wachstum nicht wollen, daß Sie sich ganz einfach Wasser für Ihre politischen Mühlen versprechen, wenn Sie hier solche unrealistischen Lösungen schaffen.
Sie haben darüber hinaus, Herr Lennartz, deutlich gemacht, daß Sie bei den Anreizlösungen, von denen Sie gesprochen haben, nicht begriffen haben, wie die Zusammenhänge zwischen deutschem Recht und EG-Recht sind. Bei den zeitlichen Vorstellungen haben Sie erkennen lassen, daß Sie über die Notifizierungsabläufe, wie diese Dinge ineinandergreifen, nicht Bescheid wissen.
Ich glaube, Herr Lennartz, das, was Sie brauchen, ist nichts anderes als ein ausreichender Nachhilfeunterricht in den anstehenden Fragen, bevor Sie hier in die parlamentarische Debatte eingreifen.
Herr Lennartz: Wir müssen auch jetzt in der Umrüstung der Fahrzeuge Lösungen fnden, die EG-verträglich sind. Das ist gar nicht so einfach. Wir können nicht Lösungen wählen, von denen hinterher gesagt wird, das sei eine unzulässige Beihilfe. Darin stecken Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Und dann war Ihnen, wie nicht anders zu erwarten, die Spreizung bei der Mineralölsteuer nicht genug. Auch das ist für Sie mangels Kenntnis der Fakten natürlich kein Problem, sondern ein Problemchen, und das lösen Sie mit der linken Hand. Aber das macht deutlich, daß Sie sich nicht mit dem Verwaltungsablauf auseinandergesetzt haben; das macht auch deutlich, daß Sie sich mit der betroffenen Mineralölwirtschaft nicht auseinandergesetzt haben. Denn die hätte Ihnen gesagt, Herr Lennartz, daß das, was Sie vorschlagen, letztendlich zu Schwierigkeiten führt, die eben nicht so leicht lösbar sind. Je größer die Spreizung ist, desto deutli-
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Dr. Lippold
cher ist der Anreiz, unverbleites Benzin, das steuerlich gefördert wird, nachträglich zu verbleien. Dazu brauchen Sie noch nicht einmal Kosten in der Höhe von Pfennigen; sondern es sind Bruchteile von Pfennigen, die dies an Kosten verursacht, und dann können Sie dieses Benzin in den Verkehr bringen. Wir haben aber, Herr Lennartz, nicht die Möglichkeit, das so zu kontrollieren, daß wir einem solchen Mißbrauch effizient begegnen könnten. Wir müßten dazu eine ganz umfassende Bürokratie aufbauen. Das wäre ungeheuer kostenträchtig. Nun weiß ich, daß Ihre Partei gegen den Aufbau neuer und zusätzlicher Bürokratien nichts hat. Das ist eine ganz andere Sache. Aber Herr Lennartz, das wäre ganz einfach von der Abwicklung her nicht möglich, nicht darstellbar und nicht machbar. Da sollten Sie sich meines Erachtens zunächst einmal informieren, bevor Sie hier Dinge angreifen, die Sie nicht kennen.
— Ja, Herr Lennartz, sagen Sie es doch per Zwischenfrage. Dann verstehen wir es alle. — Also doch nichts Entscheidendes dazu beizutragen!
Was mich natürlich etwas irritiert hat, war in diesem Zusammenhang die Behandlung des Problems im Bundesrat. Erst ging es den SPD-regierten Ländern im Bundesrat mit dieser Vorlage nicht schnell genug. Als der Bundesrat dann beschlossen hatte, hier eine Fristverkürzung vorzunehmen, damit die Vorlage, die von der Bundesregierung kam, schneller behandelt und beraten werden konnte, mäkelten Ihre Bundesländer dort ellenlang daran herum, daß diese Fristverkürzung eingetreten sei. Ich weiß nicht, was Sie wollen. Entweder Sie sind für schnellere Luftreinhaltung, Sie sind dafür, daß Baudenkmäler nicht angegriffen und zerstört werden, daß der Wald gerettet wird — dann könnte Ihnen aber doch die Frage einer solchen Fristeinrede nicht wert sein, sie ellenlang im Bundesrat zu erörtern —, oder Sie sind es nicht. Das zeigt doch ganz einfach, daß zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun, eine Lücke klafft, die nicht zu schließen ist.
Gott sei Dank haben wir eine Bundesregierung, die hier ein in sich tragfähiges Konzept entwickelt hat und die dieses Konzept schnell umsetzen wird. Wir sind bereit, daran mitzuwirken und unseren Beitrag zu leisten, damit wir hier eine vernünftige, ökologisch verträgliche, aber auch ökonomisch tragbare Lösung finden und umgehend realisieren können.
Sie haben zu dieser Sache nichts beigetragen, sondern nur geschwätzt, und Sie wollen damit Ihr Versagen in der Vergangenheit überspielen.
Es wäre viel besser, Sie wären zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie macht sich als Schlußwort immer gut, Herr Kollege Lippold. Wenn Sie sich aber am Anfang Ihrer Rede darüber beklagen, daß die frühere Bundesregierung 13 Jahre lang nichts für den Umweltschutz getan habe, dann möchte ich Ihnen vor Augen halten, daß es uns in der umweltpolitischen Diskussion relativ wenig nützt, wenn wir immer auf die Fehler in der Vergangenheit starren.
Die frühere Untätigkeit einer SPD-Regierung kann doch wohl keine Entschuldigung dafür sein, daß Sie heute untätig sind.
Ich möchte jetzt an einem Beispiel, nämlich dem Beispiel des Tempolimits, darauf hinweisen, wie untätig die Regierung in dieser Sache ist. Wie ich schon am 4. Oktober dieses Jahres an dieser Stelle ausgeführt habe, lehnen wir den von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Großversuch zum Tempolimit grundsätzlich ab.
Dieser Versuch ist ein überflüssiges Ablenkungsmanöver, denn die wichtigsten Daten für die geplanten Versuche sind schon jetzt hinreichend bekannt. Das für den Großversuch geplante Vermessen von 350 Fahrzeugen dauert weit länger als ein Jahr, wenn man den Versuch richtig durchführen will, und bringt keine wesentlichen Änderungen der Schadstoffabschätzungen. Auch beim Großversuch muß die Schadstoffabgabe im wesentlichen auf den Prüfstand; sie muß ermittelt und über Kilometerleistung, Straßenart und Fahrverhalten auf alle Pkw hochgerechnet werden.
Ein zweites Ziel des Großversuchs, die Erfassung der Dynamik des Verkehrsflusses, wird nur zu einer Erhöhung der ohnehin schon errechneten Schadstoffminderungen führen; denn unbestreitbar verläuft der Verkehrsfluß bei einem Tempolimit harmonischer, also mit weniger Beschleunigungsund Abbremsvorgängen.
Meine Damen und Herren, es macht einfach keinen Sinn, die Emissionsminderung auf die Tonne genau feststellen zu wollen. Deshalb trügt der Eindruck wohl nicht, daß der Bundesinnenminister das Forschen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag als Alibi für unterlassene Entscheidungen gebrauchen will.
Aber auch eine unterlassene Entscheidung stellt eine Entscheidung dar; in diesem Fall gegen den Wald und gegen unsere Gesundheit. Durch die un-
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Dr. Ehmke
terlassene Entscheidung sind schon rund 300 000 Tonnen Stickoxide unnötig emittiert worden. Das ist z. B. das Vierfache des Wertes, um den die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen über die Schadstoffminderungen durch ein Tempolimit noch auseinanderliegen.
Als geradezu beschämend und gleichzeitig entlarvend muß die Absicht des Herrn Zimmermann beurteilt werden, in den Projektbeirat zum Großversuch zwar jene Verbände mit einzuberufen, nämlich die Industrie- und Automobilverbände, die ein ureigenes Interesse am Nichtzustandekommen des Tempolimits schon immer lauthals verkündet haben, nicht aber zumindest auch Vertreter der Umweltschutzverbände zu beteiligen. So ist der Verband der Automobilindustrie, auch wenn der Kollege Broll im Innenausschuß immer anderer Meinung ist, durch manipulierte, unwissenschaftliche Angaben aufgefallen. Hier wird wahrhaftig der Bock zum Gärtner gemacht, meine Damen und Herren.
Wenn nicht zumindest die Umweltschutzverbände mitbeteiligt werden, dann können wir diesen Großversuch schon heute für einseitig und deshalb für gescheitert erklären, noch ehe er überhaupt begonnen hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem anderen Punkt unserer Tagesordnung kommen,
nämlich zu dem „Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens". Allein die Bezeichnung dieses Gesetzentwurfes zeigt, worum es der Bundesregierung mit diesem Entwurf geht. Ich will jetzt nicht von der Verschiebung des Einführungstermins von 1986 auf 1989 oder 1988 reden, sondern nur daran erinnern, daß wir schon mehrfach deutlich gemacht haben, daß diese Verschiebung angesichts des raschen Fortschreitens des Waldsterbens unverantwortlich ist. Es ist zu begrüßen, daß Sie unsere Anregung aufgenommen haben und nicht mehr vom umweltfreundlichen Pkw, den es ja nach wie vor nicht gibt, sondern korrekterweise nur noch vom schadstoffarmen Pkw reden. Aber — und jetzt kommt das große Aber — Ziel der Bundesregierung ist nach wie vor die Förderung des Pkw-Verkehrs durch eine zusätzliche Subvention, die dazu beitragen soll, daß auch in Zukunft der dann zwar schadstoffärmere, aber trotzdem nach wie vor umweltfeindliche Autoverkehr weiterhin steigt.
Das ist doch das eigentliche Hauptziel der Bundesregierung. Wenn es der Bundesregierung in erster Linie tatsächlich darum gehen würde, die Umwelt zu entlasten, dann hätte sie nicht diesen Gesetzentwurf zur Subventionierung eines nicht ganz so umweltfeindlichen Pkws vorlegen sollen, sondern einen Gesetzentwurf zur Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel. Ich muß Sie von der Bundesregierung deshalb fragen: Wo bleibt Ihr Gesetzentwurf zur Förderung des umweltfreundlichen Fahrradverkehrs?
— Ja, da lachen Sie; das ist bezeichnend. —
Wo bleibt Ihr Gesetzentwurf zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs? Wann kommt endlich Ihr Gesetzentwurf zur Förderung der umweltfreundlichen Bundesbahn?
Wir werden darauf wohl vergeblich warten müssen, da Sie, wie man sieht, weder die Einsicht noch den Willen haben, diese umweltfreundlichen Verkehrsmittel zu fördern, obwohl mein Kollege Drabiniok im Verkehrsausschuß entsprechende realisierbare Vorschläge gemacht hat und vielleicht auch nachher noch machen wird.
Das, was Sie mit Ihrer Verkehrspolitik bei den tatsächlich umweltfreundlichen Verkehrsmitteln fördern, läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Angebotsverminderung, Leistungseinschränkung, Fahrplanausdünnung, Streckenstillegung und Fahrpreiserhöhung. Das sind die Dinge, die Sie vorhaben.
Die Benutzer der wirklich umweltfreundlichen Verkehrsmittel werden also durch Ihre Verkehrspolitik weder begünstigt noch gefördert noch belohnt, sondern statt dessen für ihr umweltfreundliches Verhalten auch noch bestraft.
Meine Damen und Herren, wir fordern eine sinnvolle, rationale Verkehrspolitik, die darauf ausgerichtet ist, Umwelt- und Lebensqualität endlich spürbar zu verbessern. Grundlage dafür ist der Aufbau eines flächendeckenden, leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Verkehrssystems, damit für den großen Teil der Autofahrer, die auf Grund fehlender bzw. unzureichender öffentlicher Verkehrsangebote, insbesondere auf dem Lande, oder auf Grund mangelnden Einkommens heute auf das Auto angewiesen sind, überhaupt erst einmal die Möglichkeit geschaffen wird, entweder ganz oder öfter als heute auch ohne Auto auszukommen.
Parallel zu diesem Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme sollte die schrittweise Einführung des Verursacherprinzips auch im Straßenverkehr realisiert werden. Die Autofahrer sollen zumindest die Kosten und Schäden, die sie verursachen, auch
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Dr. Ehmke
selber zahlen und nicht auf die Allgemeinheit abwälzen. Deshalb schlagen wir die Einführung einer emissionsabhängigen Schadstoffabgabe für Kraftfahrzeuge vor, die die heutige Kraftfahrzeugsteuer ersetzen könnte, eine emissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuer, die sich nicht mehr an dem unsinnigen Wert Hubraum, sondern an den Emissionswerten für Abgase, Lärm und Benzinverbrauch orientiert, also eine kombinierte Umwelt- und Ressourcensteuer.
Eine solche Regelung hätte gegenüber der von der Bundesregierung beabsichtigten Subventionierung des schadstoffärmeren Kraftfahrzeuges folgende Vorteile: Mit einer solchen Schadstoffabgabe würde nicht nur ein Kostenunterschied zwischen schadstoffärmeren und schadstoffreichen Kraftfahrzeugen geschaffen — das ist nämlich nur ein Teil des Verursacherprinzips, Herr Minister Stoltenberg —, sondern zusätzlich auch ein Kostenunterschied zwischen den mehr lärmerzeugenden und den weniger lärmerzeugenden Kraftfahrzeugen sowie den großen und weniger großen Energieverschwendern. Dies würde die Nachfrage nach solchen Pkw-Modellen, die besonders viel Lärm verursachen, größere Schadstoffmengen an die Umwelt abgeben und besonders viel Benzin verbrauchen, wohl zwangsläufig sinken lassen. Darin wäre natürlich auch ein gewisser Vorteil für die Katalysator-autos enthalten. Eine solche Schadstoffabgabe sollte sich an den durch die genannten Kraftfahrzeugemissionen verursachten Gesamtfolgekosten orientieren und wäre damit keine Subvention, sondern die Anwendung des Verursacherprinzips,
das durch die schrittweise Umwälzung der sonstigen gesellschaftlichen Folgekosten des Kraftfahrzeugverkehrs auf die Mineralölsteuer schließlich komplettiert werden sollte.
Die konsequente Anwendung dieses Verursacherprinzips würde zudem sicherstellen, daß in erster Linie ein Anreiz zur Benutzung der bei Berücksichtigung aller gesellschaftlichen Folgekosten wirtschaftlicheren Verkehrsmittel Fahrrad, Bahn und Bus geschaffen wird, und erst in zweiter Linie ein Anreiz zum Kauf schadstoffärmerer, leiserer und spritsparender Kraftfahrzeuge für diejenigen, die nach wie vor auf das Fahren eines eigenen Autos nicht verzichten wollen bzw. nicht verzichten können.
Der besonderen Situation des ländlichen Raumes muß dabei Rechnung getragen werden.
Meine Damen und Herren, einen entsprechenden Antrag für die Neuregelung der Besteuerung des Kraftfahrzeugverkehrs werden wir in nächster Zukunft in den Bundestag einbringen.
Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit unserer Vorstellungen haben wir nach unseren bisherigen Erfahrungen in diesem Hause kein Illusionen. Es ist klar, daß die Straßenbau- und Automobillobby es mit ihrer geballten Macht ganz einfach nicht zulassen wird, daß die Bundesregierung oder dieses Parlament den Abbau der Subventionen für den Kraftfahrzeugverkehr vorantreibt, zumal Teile dieser Straßenverkehrslobby in ihren Fraktionen festverankert sind und ihre Willensbildung maßgebend bestimmen.
Es ist uns ebenso bewußt, daß unsere Vorstellungen bei einem nicht geringen Teil der Bundesbürger derzeit noch vollkommen unpopulär sind. Wir meinen jedoch, daß es nicht unsere Aufgabe ist, in erster Linie populäre Vorstellungen zu vertreten, sondern Vorstellungen, die sich auch und vor allem an den Notwendigkeiten der Umwelt- und Zukunftsvorsorge orientieren, die Probleme beim Namen nennen und ungeschminkt die erforderlichen Konsequenzen und Lösungswege aufzeigen.
Wenn wir schon diese undankbare und — das möchte ich hinzufügen — ungedankte Aufgabe übernehmen, so tragen Sie doch wenigstens dazu bei, daß die Verkehrsdebatten von Emotionen und Zweckideologie befreit werden.
Meine Damen und Herren, es wird in diesem Bereich immer sehr viel von Freiheit gesprochen. Die Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen. Die freie Fahrt für freie Bürger — die Freiheit der Autofahrer — findet dort ihre Grenze, wo andere Menschen dadurch in ihrem Freiheitsraum unzumutbar eingeschränkt werden. Diese Grenze ist bereits heute erreicht.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ich bin beim letzten Satz.
Die Grenze ist bei weitem überschritten. Deswegen bringt uns der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung in diesem Feld leider auch nicht weiter.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier fünf Tagesordnungspunkte in verbundener Debatte zu debattieren. Das sind fünf Problemkreise, die verkehrsbedingte Gefahren, die die Lebensfragen von Menschen und Umwelt betreffen. Sie hätten sicher eine gründlichere Behandlung erfordert, als wir sie bisher hier gehört haben. Das läßt sich auch in zwei Kurzrunden à zehn Minuten nicht machen.
Ich glaube, daß zur schlaglichtartigen Darstellung dieser fünf Problemkreise zuerst eine Feststellung gehört: Erstmals seit 30 Jahren haben wir in diesem zu Ende gehenden Jahr 1984 die Chance, die Zahl der im Verkehr getöteten Menschen unter 10 000 zu drücken. Erstmals seit drei Jahrzehnten! Das ist und bleibt zuviel, aber verbesserte aktive
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Hoffie
und passive Sicherheit, mehr Verantwortungsbewußtsein, verstärkte Verkehrserziehung und Gurtanlegepflicht ermöglichen offensichtlich eine deutliche Verbesserung der traurigen Bilanz. Da gilt es, jetzt nicht nachzulassen. Jetzt muß das neue Verkehrssicherheitsprogramm dieser Regierung — das erste seit 1972 — schnell in die Praxis umgesetzt werden. Jetzt brauchen wir keinen grünen Stopp im Straßenbau, keine statistischen Klimmzüge über die gesellschaftlichen, über die volkswirtschaftlichen Folgekosten des Autoverkehrs, wie es die Anträge der GRÜNEN hier heute verlangen.
Gefragt ist praktische Vernunft. Gefragt sind nicht Ideologien, gefragt sind Perspektiven für die Verkehrswelt von morgen.
Gefragt ist der größtmögliche Kompromiß zwischen der Befriedigung individueller Mobilitätsbedürfnisse und -anspräche der Bürger,
sowie wettbewerbs- und arbeitsplatzsichernder Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft einerseits und der größtmöglichen Sicherheit und Umweltschonung auf der anderen Seite.
Die Anträge von SPD und GRÜNEN, die wir heute zu diskutieren haben, werden diesem Anspruch nicht gerecht: Stopp des Fernstraßenbaus, Tempolimit um jeden Preis, d. h. Verzicht auf Ortskernentlastung, Umgehungsstraßen, d. h. Menschen weitere Jahrzehnte unter Abgas-, Lärm- und Verkehrsunsicherheit leiden zu lassen, d. h. auch Verzicht auf Beseitigung von Gefahrenstellen, also auch Stauverkehr und mehr Spritverbrauch.
Da stirbt nicht nur der Wald, sondern auch die Lebensqualität der Menschen. Straßenbau nach Maß schädigt nicht, sondern dient dem Umweltschutz, und Straßen ohne Schäden verkleinern nicht, sondern vergrößern die Verkehrssicherheit.
Hunderttausende von Arbeitsplätzen, die dafür stehen, sind die Dispositionsmasse für den grünen Stopp beim Straßenbau. Da werden Sie unsere Gegnerschaft finden.
Mir ist jedenfalls ein autofahrender Arbeiter im Tiefbau immer noch lieber als ein arbeitsloser Fahrradfahrer.
Uns und dem Wald ist ein schneller Umstieg auf schadstoffarme Autos mehr wert als zweifelhafte Hochrechnungen über den Nutzen von Tempolimits. Niemand bestreitet ja, daß Autoabgase Menschen und Natur krank machen.
47 % verkehrsbedingte Schadstoffbelastung zwingen zu energischem Handeln, zwingen aber auch zu Verantwortung hinsichtlich der Maßnahmen und der Prioritäten. 90 % der Abgasgifte von Autos werden durch Katalysatortechnik beseitigt.
Das ist der Stand der Technik auf der Basis des Vergleichswertes von 1969.
Deshalb begrüßen wir, daß die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf über die steuerlichen Maßnahmen Klarheit für jeden Bürger und Klarheit für die gesamte Automobilindustrie schafft. Jetzt ist für jeden Autofahrer und jeden Hersteller ganz eindeutig und berechenbar, welche Vorteile mit dem Kauf von schadstoffarmen Fahrzeugen verbunden sind.
Ebenso zweifelsfrei steht fest, welche Nachteile auf diejenigen zukommen, die weiter mit Altfahrzeugen die Umwelt belasten.
Damit gibt es ab sofort für alle, die ein neues Auto kaufen, keinen vernünftigen Grund mehr, herkömmliche oder nicht nachrüstfähige Fahrzeuge zu erwerben oder die Kaufentscheidung zurückzustellen. Nachdem also jeder weiß, unter welchen Voraussetzungen er bis zu 3 000 DM Steuervorteile erhält, bleifrei fahren kann, er die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer für Altfahrzeuge um bis zu 50% vermeiden kann, und nachdem sich jeder darauf einstellen kann, daß für verbleites Benzin künftig 4 Pf mehr Mineralölsteuer als für bleifreies Katalysatorbenzin erhoben wird, ist es nachgerade unverantwortlich, daß ausgerechnet die bayerische Nobelmarke, die als erste behauptet hat, der Katalysator stelle für sie überhaupt keine Probleme dar — auch nicht auf dem Markt —, jetzt vom Kauf neuer Autos abrät.
Ich frage: Wie verträgt sich das mit den ganzseitigen Anzeigen für abgasarme Autos und für Nachrüstbarkeit bestimmter Modelle? — Damit schafft nicht die Bundesregierung, sondern die Automobilindustrie eine unklare Lage. Ich hätte mir gewünscht, seitens der Automobilindustrie wäre es beim ersten Akt der Unglaubwürdigkeit geblieben, indem behauptet wurde, es stünden nicht rechtzeitig genügend Autos mit Katalysatortechnik zur Verfügung.
Aber es geht ja auch um Unglaubwürdigkeit im politischen Raum, nämlich um die der GRÜNEN, die auf Kraftfahrzeugsteuerbefreiung verzichten wollen. Das hat man heute nicht gehört, weil sie blauäugig ihrer Utopie nachhängen, jeder, der über Umweltschutz rede, handle auch entsprechend. Wenn das so wäre, dann müßten ja wohl inzwischen fast 70% der Autofahrer freiwillig 100 km/h fahren, von denen die GRÜNEN behaupten, sie würden das gerne tun, wenn damit dem Wald geholfen würde.
Dann müßten sich zuallererst die Abgeordneten der GRÜNEN selber daran halten. Heute lese ich wieder in allen Zeitungen, daß ausgerechnet die GRÜNEN im hessischen Landtag, die sich zum Tempo 100 und 80 verpflichtet haben, nun ein er-
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Hoffie
neutes Mal, nach dem Ministerpräsidenten Börner, dabei erwischt wurden, daß sie auf der linken Spur mit voller Pulle gerast sind, während die anderen ordentlich rechts gefahren sind. Das ist die Praxis.
Ich sage Ihnen von den GRÜNEN: Wenn wir das Verursacherprinzip als tragende Säule des Umweltschutzes erhalten wollen, dann darf nicht darauf verzichtet werden, diejenigen, die aktiven Umweltschutz betreiben, auf Kosten derer zu begünstigen, die keinen Beitrag dazu leisten.
Deshalb kann es überhaupt nicht in Betracht kommen, daß am Ende der Staat nach dem Muster und den Denkungsweisen der GRÜNEN am Umweltschutz auch noch verdient, was bei der von Ihnen vorgeschlagenen reinen Mehrbelastung für Altfahrzeuge die ganz konsequente Folge wäre. Denn je höher der Anreiz, meine Damen und Herren — und dafür kämpfen wir —, desto. schneller die Umstellung. Das muß auch für die über 24 Millionen Altfahrzeuge gelten, die nur zu einem Teil mit Katalysatortechnik nachgerüstet werden können, und deshalb dann genauso steuerfrei gestellt werden. Aber es gibt ja Millionen von Altfahrzeugen, die zwar keinen Katalysator, dafür aber technische Hilfsmittel nachrüsten können, z. B. Abgasrückführungssysteme. Mit diesen kann — das ist schon gesagt worden — etwa die Hälfte der Schadstoffe beseitigt werden, die ein Katalysator eliminiert.
Wenn nur jeder dritte sein Auto mit solchen Hilfsmitteln ausrüstet, wenn er denn schon nicht den Katalysator nachrüsten kann, dann senkt das den Gesamtausstoß von verkehrsbedingten Stickoxiden schon auf 15 bis 20%. Das ist ein Vielfaches dessen, was selbst das Umweltbundesamt unter besten Voraussetzungen mit Tempolimit für erreichbar hält.
— Ja, ich weiß, daß es Ihnen nicht gefällt, daß wir mit den Mitteln der Technik, gegen deren Fortschritt Sie sind, ein Vielfaches dessen erreichen können, was mit Ge- und Verboten von Ihnen ständig als Gängelei des Bürgers versucht wird.
Herr Abgeordneter Hoffie, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich habe nur noch eine Minute und will noch ein paar Sätze sagen.
Deshalb wird es auch für solche Autos, meine Damen und Herren, für solche Hilfstechniken eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer geben. Daran will ich hier überhaupt keinen Zweifel lassen. Dazu, Herr Lennartz, brauchen wir nun wahrhaftig keinen Entschließungsantrag der SPD.
Umstritten bleibt, welchen wirklichen Beitrag ein Tempolimit bringt. Darüber soll der Großversuch Aufschluß geben, auch wenn das GRÜNEN und SPD nicht in den Kram paßt. Wir wollen diesen Versuch nicht als Vorwand zu einer Verzögerung, sondern als solide Grundlage für eine Entscheidung so schnell wie irgend möglich. Sie können sich darauf verlassen, daß wir zum Tempolimit ja sagen, wenn es wirklich etwas bringt. Aber Sie werden uns nicht auf der Seite der Ideologen und der Feinde des Individualverkehrs finden. Meine Damen und Herren, es ist eine ideologische Position, für Autos wie für Elektrofahrzeuge ein Tempolimit zu fordern, die die Umwelt überhaupt nicht belasten, oder ein solches Tempolimit für Fahrzeuge zu verlangen, die 90% der Schadstoffe überhaupt nicht verursachen.
Deshalb kann — wenn überhaupt — nur ein differenziertes Tempolimit sinnvoll sein, das diejenigen trifft, die umweltfeindliche Autos fahren. Daran haben wir von Anfang an nie einen Zweifel gelassen.
Herr Abgeordneter Ehmke möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, ich komme zu meinem letzten Satz. Die obligatorische Einführung schadstoffarmer Neufahrzeuge ab Januar 1989 bleibt, wie immer sich die Europäer entscheiden. Dieser Erfolg, die Europäer um fünf, sechs Jahre im Umweltschutz in Europa mit nach vorne zu ziehen, ist die eigentliche Leistung dieser Regierung, und dazu hätten wir Ihre Unterstützung gebraucht.
Herzlichen Dank.
Herr Abgeordneter Ehmke, der Redner hatte Zwischenfragen ausdrücklich ausgeschlossen. Deswegen habe ich ihn nicht noch einmal gefragt.
Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, diese Debatte wird am Schluß sehr deutlich beweisen, wo die Ideologen in der modernen Verkehrspolitik sind und wo jene stehen, die unsere Probleme mit rationalen Argumenten anzugehen versuchen.
Ich möchte gleich zu Beginn sagen, weil Sie mich schon jetzt dazu ermuntern, meine verehrten Kollegen: Es wird allerhöchste Zeit, daß wir bei der Verkehrspolitik, die heute notwendig ist, die bei der Vielfalt von Problemen, die wir haben, zu betreiben ist, nicht mehr auf Lobbyisten, sondern auf Leute hören, die an den Umweltschutz, an die Verkehrstoten denken und dabei Wirtschaft und Arbeitsplätze gewiß nicht aus dem Auge verlieren.
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Antretter
Heute haben wir eine Reihe von Anträgen miteinander zu behandeln. Sie dürfen auch noch etwas dazu sagen. Ich möchte mit dem Problem der gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs beginnen.
— So lautet der Antrag. Lassen Sie mich nur so viel dazu sagen: Ich habe den Eindruck, daß es in Zukunft gerade beim Thema Auto erforderlich sein wird, Emotionen so weit wie möglich zurückzudrängen.
Wir wissen alle: Das Auto hat seinen unverzichtbaren Platz in unserer Verkehrsinfrastruktur.
Aber wir wissen auch: Es ist nur mit vernünftiger, emotionsloser Politik möglich, dem Auto den Platz, den es hat und haben soll, zu belassen.
Das Auto gehört nicht verteufelt, das Auto gehört aber auch nicht auf ein Podest, sondern es ist erforderlich, daß der Platz des Autos mit den Plätzen der anderen Verkehrsmittel, die wir in unserer insgesamt doch recht ordentlichen Verkehrsinfrastruktur haben, abgestimmt wird. Wir müssen durch vernünftige Kooperation und Organisation der Verkehrsmittel ein optimales Angebot für die Bürger in unserer Bundesrepublik schaffen.
Ich will noch ein Zweites sagen. Meine Damen und Herren, wir haben über den Bundesfernstraßenbau zu reden. Uns liegt hier eine Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Ich bitte herzlich darum, daß wir Verkehrspolitiker entsprechend dem parlamentarischen Verlauf im nächsten Jahr, wenn der Bundesverkehrswegeplan fortgeschrieben wird, die Gelegenheit wahrnehmen, die 1 700 Straßenbauprojekte, die uns auf die Tische kommen, daraufhin auszuleuchten, ob sie verkehrspolitisch nach wie vor notwendig sind, ob sie umweltpolitisch verträglich sind und wie wir sie finanzpolitisch leisten können. Dies würde ich für eine vernünftige Straßenbaupolitik der nächsten Jahre halten. Seitdem es sozialdemokratische Verkehrsminister gibt, lassen wir uns von der Linie eines realistischen umwelt- und landschaftsfreundlichen Straßenbaus leiten,
jetzt in der Opposition wie ehedem in der Regierung. Meine Damen und Herren von der jetzigen Regierung, es sei Ihnen zur Nachahmung empfohlen.
Der nächste Punkt ist der Unfallverhütungsbericht. Die in diesem Bericht veröffentlichten Zahlen bestätigen unsere Auffassung von der Notwendigkeit einer anderen Verkehrspolitik, als sie Minister Dollinger praktiziert.
Die Tatsachen sind schockierend. Prognosen, wie sie der eine oder andere Ideologe auf das Jahr 1984 ausrichtet und die noch längst nicht bewiesen sind, nützen hier überhaupt nichts.
Die Zahlen für das Jahr 1983 sind erschreckend. Die Raserei auf unseren Straßen fordert immer mehr Tote, und dies führt drastisch vor Augen, wie berechtigt jene Forderungen und Vorschläge der einstigen von Verkehrsminister Hauff einberufenen Höcherl-Kommission für Verkehrssicherheit gewesen sind. Im Jahre 1983 sind bei 374 107 Verkehrsunfällen 11 732 Menschen getötet worden. Dabei wurden allein 4 112 Menschen das Opfer von nicht angepaßter Geschwindigkeit.
Herr Abgeordneter Antretter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?
Bitte, gern, Herr Dr. Jobst.
Herr Kollege Antretter, da Sie hier Zahlen nennen: Ist Ihnen bekannt, daß die tödlichen Verkehrsunfälle trotz steigender Verkehrsleistungen in den letzten Jahren erfreulicherweise zurückgegangen sind?
Herr Kollege Jobst, die Zahl der Verkehrsunfälle hatte schon einen viel tieferen Punkt erreicht. Wir befinden uns jetzt wieder in einer Zeit der Zunahme der Zahl der Verkehrsunfälle. Im Jahre 1983 war eine Zunahme der Zahl der Verkehrsunfälle zu verzeichnen. Dies kritisiere ich hier.
Die durch überhöhte Geschwindigkeiten verursachten Fahrunfälle, wie es im Bericht heißt, nehmen in erschreckender Weise zu. Freilich muß ich hier schon sagen, meine Damen und Herren: Wer die aggressive Werbung der Autoindustrie kennt, die zu dümmlichen Imponiergehabe verführt, den wundert solches Fehlverhalten allerdings nicht mehr.
Hinzu kommt das verkehrspolitische Durcheinander dieser Regierung, das mittlerweile nicht nur im Bereich der Autopolitik, sondern auch im Bereich der Bahnpolitik geradezu sprichwörtlich geworden ist.
Ein Beispiel dafür ist doch das unglückselige Theater um die Bußgeldbewehrung für Gurtmuffel, meine Damen und Herren. Erst nach langem Hin und Her hat sich die Regierung entschließen können, hier zu handeln. Sie wissen doch ganz genau,
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Antretter
daß Verkehrsminister Hauff den Erlaß schon unterschrieben hatte und daß Verkehrsminister Dollinger ihn zunächst wieder zurückgezogen hat. Ich glaube, es wäre viel Unglück zu vermeiden gewesen, wenn wir dies gleich hätten so passieren lassen.
Meine Damen und Herren, der Unfallverhütungsbericht steht im engen Zusammenhang mit dem anderen Thema, über das wir zu reden haben. Durch zwei Anhörungen des Deutschen Bundestags und einer der SPD-Bundestagsfraktion sowie durch viele wissenschaftliche Arbeiten wissen wir, daß die Stickoxide neben dem Schwefeldioxid einer der beiden Hauptverursacher des Waldsterbens sind. Wir wissen des weiteren, daß etwa die Hälfte der Stickoxide durch Kraftfahrzeuge verursacht wird. Wir haben außerdem gesicherte Erkenntnisse darüber, daß eine drastische Reduzierung der Geschwindigkeit auf den Bundesautobahnen und -fernstraßen die Stickoxide beträchtlich verringern könnte.
Die SPD-Bundestagsfraktion hält deshalb den Großversuch der Bundesregierung zum Tempolimit für völlig überflüssig.
Der Bundesregierung ist bekannt, wie bestürzend schnell sich das Waldsterben in den letzten zwölf Monaten fortgesetzt hat. Die geschädigte Fläche ist von 34 % im Jahre 1983 auf 5o) % der Waldfläche gestiegen. Das Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen ist sofort fällig. Es würde die Stickoxidbelastung der Luft durch den Pkw-Verkehr auf einen Schlag um mindestens 80 % verbessern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?
Ich bitte um Verständnis, Herr Präsident; ich möchte keine Zwischenfragen mehr zulassen, weil meine Redezeit sehr knapp wird.
Meine Damen und Herren, besser als immer neue Großversuche zum Tempolimit wäre es, wenn sich die Bundesregierung einmal hinsetzte und die vorliegenden Untersuchungen namhafter Institute — Bundesumweltamt, Institut für Energie- und Umweltforschung, Heidelberg, Bundesanstalt für Straßenwesen, Technische Universität Berlin, Rheinisch-Westfälischer TÜV — ordentlich studieren würde. Da aber die Bundesregierung bis heute am Großversuch festhält, haben wir einen Antrag eingebracht, der sicherstellt, daß bei diesem Großversuch mit äußerster Neutralität vorgègangen und jede einseitige Einflußnahme ausgeschlossen wird.
Das bisher bekannte Vorgehen der Bundesregierung bietet dafür leider keinerlei Gewähr.
Eine ausgewogene Beteiligung interessierter Verbände und Sachverständiger lehnt die Bundesregierung nach wie vor ab. Der Bundesinnenminister hielt es bisher nicht einmal für nötig, die Aufforderung nach einer breiteren Beteiligung ernsthaft zu behandeln. Unserem Antrag liegen konkrete Anhaltspunkte zugrunde, daß ein Dachverband der Automobilindustrie seine Vorstellungen zum Großversuch in die vorbereitende und begleitende Arbeit einfließen lassen kann und andere Gruppen bisher eben nicht.
Diese Schlagseite der Bundesregierung zugunsten bestimmter Verbandsinteressen ist es, meine Damen und Herren, von der ein direkter Weg zu ihren umweltpolitischen Halbherzigkeiten führt.
Zunächst fehlte es Ihnen am Mut, einen Termin für die Einhaltung umweltverträglicher Grenzen festzusetzen. Dann haben Sie sich über die Erkenntnisse und Forderungen der Wissenschaft hinweggesetzt, ein Tempolimit sofort einzuführen. Nun schaffen Sie erneut Unsicherheit dadurch, daß Sie am Großversuch überwiegend jene beteiligen, bei denen von vornherein klar ist, daß sie gegen jede Form von Geschwindigkeitsbegrenzung sind.
Die Bürger erinnern sich noch gut, daß dies die gleichen waren, die seinerzeit den Zusammenbruch der Automobilindustrie an die Wand gemalt hatten, als die sozialliberale Koalition den Bleigehalt im Benzin senkte. Nichts dergleichen ist passiert. Die Exportquoten haben sich gerade in dieser Zeit in phantastische Größenordnungen entwickelt.
Die Bürger glauben es Ihnen nicht, daß Sie es mit der Umwelt gut meinen, wenn Sie überwiegend mit denen kooperieren, die überall auf die Bremse treten, wo wir Fortschritt bräuchten, und die Gas geben, wo wir im Interesse der Menschen und der Natur langsamer tun müßten,
die mit so überzogenen Preisankündigungen für den Katalysator die Leute schrecken wollten,
damit der Termin für die verbindliche Einführung noch lange hinausgeschoben wird, und die mit einer Aggressivwerbung ohnegleichen für schnelles Fahren werben und die innerhalb weniger Monate, als die Beweislast aller wissenschaftlichen Institute erdrückend wurde, die von ihnen selbst veröffentlichten Zahlen zum Stickoxidausstoß um 100% korrigieren mußten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß und möchte
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Antretter
Sie als letztes doch noch darauf aufmerksam machen, daß Sie offenkundig alles, was Sie zum Großversuch sagen, selbst nicht recht glauben. Wie könnte sonst der Staatssekretär im Innenministerium bei der Umweltministerkonferenz in Ludwigsburg sagen, die Bundesregierung sei, unabhängig vom Ergebnis des Langsamfahrversuchs, nicht bereit, sich auf ein Tempolimit festzulegen? Was hat dies mit Glaubwürdigkeit zu tun? Diese Frage möchte ich Ihnen am Schluß doch noch stellen, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst dem Herrn Kollegen Antretter kurz antworten, der die Feststellung getroffen hat, die Bürger glaubten uns, der CDU, nicht, deshalb glaubten sie Ihnen, und deshalb schlage die SPD sicherlich bei allen Wahlergebnissen neue Rekorde. So glaubwürdig sind Sie in Ihrer Politik!
Meine Damen und Herren, leistungsfähige Verkehrswege gehören zu den Voraussetzungen einer Industriegesellschaft. Es ist deshalb logisch, wenn die GRÜNEN einen Stopp des Bundesfernstraßenbaus beschließen wollen. Wer nicht weiß oder nicht wissen will, wie eine Arbeitsteilung der Volkswirtschaft funktioniert, tut sich mit solchen Anträgen nicht schwer.
Es soll nach dem Wunsch der GRÜNEN festgestellt werden, daß das bestehende Fernstraßennetz für den heutigen Verkehr ausreicht und deshalb auf einen weiteren Ausbau verzichtet werden kann. Dies gilt aber sinnigerweise nicht nur für den Neubau, sondern auch der Ausbau soll eingestellt werden. Selbst der Bau von Ortsumgehungen, für viele lärm- und abgasgeplagte Mitbürger ein dringender Wunsch,
ist nach dem Willen der GRÜNEN nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen möglich. Dieser Antrag, meine Damen und Herren, macht ziemlich klar, wie utopisch die Verkehrspolitik der GRÜNEN angelegt ist
und wie wenig sie sich um die Fakten und Wünsche unserer Mitbürger kümmern.
Ich hätte mir an dieser Stelle schon ein klares Wort des Kollegen Antretter gewünscht, ob seine „realistische Politik", die in der Vergangenheit in der Regel aus Kürzungen von Verkehrsinvestitionen bestand, hier den GRÜNEN folgt oder worin der neue „Realismus" und der angekündigte „Mut"
bestehen. Doch sicherlich wird er uns darüber im Ausschuß Auskunft geben.
Die Zahl der Pkws steigt. Sie stieg von Mitte 1982 bis Mitte 1983 um knapp eine halbe Million auf 24,6 Millionen Fahrzeuge. Sie wird allen Prognosen nach von heute ca. 25 Millionen auf 31,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2000 weiter zunehmen. 20 % mehr Fahrleistungen werden bei den Pkws erwartet; der Straßengüterverkehr soll nach den Prognosen um bis zu 47 % zunehmen. Es gibt wenig Grund, an diesen Prognosen zu zweifeln. Wer dann — wie die GRÜNEN — von einer Stagnation im Straßenverkehr spricht, weist schon einen erheblichen Verlust an Realitätssinn auf.
Wer mit offenen Augen auf unseren Straßen fährt, sieht, daß unsere Bevölkerung in einem nie gekannten Maß mobil ist. Gerade die junge Generation betrachtet die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges als selbstverständlich, und dies sicherlich unabhängig von ihrer politischen Einstellung.
Es darf deshalb keinen Stopp beim Straßenbau geben. Unsere politischen Anstrengungen müssen vielmehr verstärkt dahin gehen, das Straßennetz entsprechend dem Bedarfsplan weiter auszubauen.
Man kann in diesem Zusammenhang durchaus einmal der oft wiederholten, aber dadurch nicht besser gewordenen Behauptung entgegentreten, daß in der Bundesrepublik unvertretbar große Flächen vom Verkehr genutzt würden. Es sind ganze 0,15 % für Bundesautobahnen, 0,19 % für Bundesfernstraßen, insgesamt nicht mehr als 1,3 % des Bundesgebietes, die für den Verkehr genutzt werden.
Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist es unerläßlich, daß die Bundesautobahnen ergänzt, ausgebaut, modernisiert werden. Die deutschen Autobahnen sind Verkehrswege von hoher Leistungsfähigkeit und Sicherheit. Mehr als ein Viertel aller Fahrleistungen werden auf ihnen erbracht. Wenn dies so ist, daß sie mit Abstand die sichersten Straßen sind, obwohl dieser Straßentyp der einzige ist, für den kein starres Tempolimit erlassen wurde, kann der Sinn einer sicheren Verkehrspolitik nicht darin bestehen, hier zu stoppen.
Ich bin mit dem Kollegen Antretter einig, daß wir bei der Diskussion über Verkehrspolitik vor allem an die Sicherheit, vor allem an die viel zu hohe Zahl von 11 715 im Jahr 1983 im Straßenverkehr Getöteten denken müssen. Aber wir müssen in diesem Zusammenhang sehen, daß es auf den Autobahnen bei über 25% der Verkehrsleistung nur 877 Tote waren, auf Landstraßen mit Tempolimit 6 568 und in der Stadt 4 270. Alle, die heute — aus welchen Gründen auch immer — ein starres Tempolimit fordern, sollten bedenken, daß bei Verlagerungen des Verkehrs auf ein nachgeordnetes Straßennetz das Risiko einer Erhöhung der Zahl der Unfälle mit Personenschäden auf bis das Dreizehnfache, der Zahl der Getöteten auf mehr als das Vierfache befürchtet werden muß. Auch dies wäre eine sehr ern-
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Haungs
ste Seite der gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs, die nach dem Willen der GRÜNEN heute diskutiert werden sollen.
Die meisten schweren Unfälle, nämlich 74 % der Unfälle mit schwerem Sachschaden und 69 % der Unfälle mit Personenschaden, ereigneten sich 1982 innerorts. 1982 verunglückten 93 % aller Fußgänger innerhalb von Ortschaften; bei Krafträdern waren es 71 %, bei Pkw 50 %. Das Risiko zu verunglücken ist hingegen auf Ortsumgehungen ca. 30 % geringer als innerorts. Deshalb sollten wir für die Zukunft mit großer Entschiedenheit Ortsumgehungsmaßnahmen durch Wort und Tat fördern und nicht — wie viele Umweltschützer — behindern.
Es ist für uns selbstverständlich, daß die Belange des Umweltschutzes rechtzeitig, schon im Planungsstadium, mit einbezogen werden. Es geht also nicht um das „Ob" neuer Verkehrswege, sondern um das „Wie" der Ausführung und um die Umweltverträglichkeit von Erschließungsmaßnahmen. Es mag durchaus sein, daß hier die Planung mehr gefordert wird als früher, und es ist sicherlich so, daß es Fälle gibt, in denen die Straßenplaner nicht die optimale Anpassung an Natur und Landschaft. gefunden haben.
Ich halte es für unklug und kurzsichtig, wenn bei der Verkehrsdiskussion versucht wird, das Auto gegen die Eisenbahn auszuspielen und sogar — wie heute — das Fahrrad als ernsthafte Alternative zu erwähnen. Wenn gegen das Auto polemisiert wird, so muß jedes Argument herhalten. Es ist deshalb zu begrüßen, wenn die Bundesregierung in Beantwortung der Anfrage nach den Kosten des Autoverkehrs lapidar bemerkt, daß der Kraftfahrzeugverkehr unbestreitbar Vorteile und Nachteile mit sich bringt. Die Vorteile sind uns allen bekannt. Selbst die GRÜNEN fahren in Bonn nicht mit dem Fahrrad, sondern bedienen sich eines sicherlich nicht sehr umweltfreundlichen, weil stinkenden Autos.
Es heißt, die Dinge ökonomisch auf den Kopf stellen, wenn man weiß, daß allein 23 Milliarden DM an Mineralölsteuer gezahlt werden, die GRÜNEN aber in ihren Fragen den Eindruck zu erwecken suchen, die braven Benutzer der Bundesbahn und des öffentlichen Personennahverkehrs bezahlten durch ihre Fahrpreise und ihre persönlichen Steuern den habgierigen Autofahrer. Ich glaube schon, daß sich durch Wegekostenberechnungen ziemlich eindeutig beweisen läßt, daß die Kosten verursachungsgerecht belastet werden.
Bleiben die sogenannten gesellschaftlichen Kosten, über die man durchaus reden kann. Der Bericht des Bundesverkehrsministers über Unfallverhütung im Straßenverkehr zeigt eindeutig, was getan wurde und was noch getan werden muß, um weniger Unfälle, weniger Verkehrstote und weniger Lärm oder Abgase zu erreichen.
Ich habe versucht, kurz darzulegen, daß Straßenbaumaßnahmen jeglicher Art — natürlich auch Radwege — dazu gehören. Mehr Straßenbau, gezielt an Unfallschwerpunkten, konzentriert auf
Ortsumgehungen, heißt mehr Verkehrssicherheit. Verkehrssicherheit ist nicht in erster Linie abhängig von der Zahl der Vorschriften und Verkehrsschilder, sondern von der Qualität der Verkehrswege und der Vernunft und Einsicht der Verkehrsteilnehmer. Die Vernunft gebietet es, die Verkehrsströme soweit wie möglich auf jene Straßen, nämlich die Autobahnen, zu lenken, die ein Höchstmaß an Sicherheit bieten.
Wer sich um Arbeitsplätze sorgt, darf den Aspekt der Produktion und des Exports unserer Fahrzeuge, die deshalb einen hohen Sicherheitsstandard haben, nicht vernachlässigen. Wer allerdings am liebsten ganze Industriezweige stillegen möchte wie Sie von den GRÜNEN, läßt hunderttausend Arbeitnehmer für sein pathologisches Verhältnis zum Auto büßen.
Für die Scheinheiligkeit der Argumentation ist es auch bezeichnend, daß in der jetzigen Umweltschutzdiskussion gerade diejenigen schärfere Gesetze, Überwachungen und Vorschriften wollen, die sonst in der täglichen Praxis ganz locker mit Gesetzesüberschreitungen umgehen.
Wer die Umwelt von Schadstoffen aus Kraftfahrzeugen weitgehend befreien will, muß die Abgase der neuen und der im Verkehr befindlichen Autos drastisch reduzieren.
Dafür stehen die technischen Mittel heute zur Verfügung. Man muß die SPD fragen: Warum wissen Sie in der heutigen Diskussion dies alles, warum aber haben Sie keinerlei Initiative ergriffen, auch nicht bei der Umrüstung vorhandener Fahrzeuge, als Sie die Verantwortung hatten?
Ich komme zum Schluß. Der Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens will durch kräftige steuerliche Anreize möglichst vielen Autofahrern die Anschaffung umweltfreundlicher Fahrzeuge erleichtern.
— Doch, die gibt es.
Sie können doch nachher versuchen, das Gegenteil zu beweisen.
Auch die Umrüstung von Altwagen hat eine wesentliche Herabsetzung der Schadstoffemissionen zum Ziel, ohne daß sich der Benzinverbrauch wesentlich erhöht.
Warum die SPD und die GRÜNEN den Großversuch ablehnen, ist mir unerklärlich. Es kann nur so sein, daß die GRÜNEN wie immer von vornherein die Ergebnisse des Versuchs kennen, so nach dem
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Haungs
Motto: Vor Beginn muß das Ergebnis feststehen. Große Enttäuschung breitet sich regelmäßig aus, wenn eine vorher angekündigte Katastrophe nicht eintritt.
Ich möchte auch korrigieren: Es sind keine — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ja.
Ich darf in meinem letzten Satz noch den Kollegen kritisieren und ihm sagen, daß entgegen seiner Aussage in den projektbegleitenden Ausschuß zum Großversuch neben dem Bundesressort, den Bundesländern, dem Umweltbundesamt und der Bundesanstalt für Straßenwesen vier neutrale sachverständige Professoren aufgenommen worden sind. Deshalb ist die von der SPD geforderte Neutralität gewährleistet. Die Aussage, daß hier Automobilverbände mit einbezogen würden, ist falsch.
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Lieber Herr Haungs, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß die Prognosen voraussagten, daß bis zum Jahre 2000 30 Millionen Pkw auf den Straßen fahren würden. Die Schäden durch den Autoverkehr, die ich gleich schildern werde, sind schon heute zu sehen. Es geht darum, verkehrspolitische Entscheidungen zu treffen, damit sich diese Prognosen nicht erfüllen. Es gilt, verkehrspolitische Entscheidungen zu treffen, die es ermöglichen, daß z. B. die Deutsche Bundesbahn, der öffentliche Schienenpersonennahverkehr gefördert werden.
Wir haben vor genau einem Jahr die Große Anfrage zu den gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs eingebracht. Dabei waren wir uns klar, daß wir hiermit die Regierung in die Zwickmühle bringen würden, entweder durch ihre Antworten erstmals regierungsamtlich die gigantischen Ausmaße der sozialen und ökologischen Schäden des Autoverkehrs einzugestehen oder eine Investitionspolitik zu betreiben, ohne deren Folgen zu kennen. Durch die mehrmalige Verlängerung der Beantwortungsfrist wuchs bei uns die Erwartung, eine umfassende, qualifizierte Antwort zu bekommen. Doch was uns dann vor kurzem ins Haus flatterte, war dürftig bis nichtssagend oder schlichtweg: eine Unverschämtheit.
Es ist schon bezeichnend, Herr Dollinger, daß Sie einen Teil Ihres dreizehn Seiten langen Antworttextes aus dem Katechismus der Deutschen Straßenliga abgeschrieben haben. Bei den Fragen nach den ökologischen Verlusten durch die Naturzerstörung beim Bundesfernstraßenbau geben Sie Untersuchungsergebnisse der Deutschen Straßenliga wieder. Ich zitiere:
Untersuchungen haben gezeigt, daß im Zuge von Straßenbaumaßnahmen auch ökologisch wertvolle Sonderstandorte geschaffen werden.
Straßenbau als Naturschutzmaßnahme? Wenn diese Logik stimmen sollte, Herr Minister, dann sagen Sie uns doch bitte, wie viele Kilometer Straßen noch gebaut werden müssen, um die Bundesrepublik zum Naturschutzgebiet zu machen.
Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bürger?
Ob Versiegelungen oder Grundwasserabsenkungen, klimatische Veränderungen oder Landschaftsverschandelung, all diese negativen ökologischen Folgen sind hinreichend untersucht und veröffentlicht worden. Aber was interessiert Sie das?
Und wenn Sie dann, Herr Dollinger, in einer Zeit, wo selbst der letzte fanatische Wachstumspolitiker das Waldsterben nicht mehr als grüne Panikmache abtun kann, wo selbst Ihr Kollege Kiechle die Auto-und Kraftwerkabgase eindeutig als Ursache benennt,
in dieser Waldkatastrophenphase, antworten — ich zitiere:
Über ökologische Schäden durch den Kraftfahrzeugverkehr im bestehenden Netz liegen der Bundesregierung keine ausreichenden Informationen vor,
so kommt dies einer Mißachtung der fragenden Opposition gleich und offenbart Ihr umweltpolitisches Desinteresse, nach dem Motto: Augen zu und durch.
Erkenntnisse über die Auswirkungen des Autoverkehrs auf die Ökologie sind seit Jahren bekannt. Sie hätten nur einmal bei der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie oder beim Umweltbundesamt nachzufragen brauchen. Zeit genug hatten Sie ja. Zusätzlich ergibt sich nach Ihren Angaben für die Kosten der Straßenverkehrswege und die vom Autofahrer nicht bezahlten Unfallfolgekosten
jährlich schon die unvorstellbare Summe von 52 Milliarden DM. Realistischerweise sollte man für die kalkulatorischen Gesamtkosten allerdings den für die Bahn angewandten Zinssatz von 6% statt von 2,5% zugrunde legen. Wenn Sie dieses Defizit
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Drabiniok
von dann 65 Milliarden DM im Sinne des Verursacherprinzips, das Sie selber in den Vorbemerkungen in Ihrer Antwort wollen, den Pkw-Fahrern anlasten würden, so müßten Sie die Mineralölsteuer um sage und schreibe 1,63 DM erhöhen; um 1,63 DM, Herr Verkehrsminister.
Verursacherbezogen müßte sich also der Benzinpreis verdoppeln.
Wieso werden eigentlich in den Fachbehörden des Bundes von hochdotierten Wissenschaftlern Gutachten erstellt, die anschließend von den verantwortlichen Ministern schlichtweg ignoriert werden? Ich kann Ihnen die Antwort geben:
weil nämlich nicht die Erkenntnisse unabhängiger Forscher zählen, sondern letztlich die Einflüsse zahlungskräftiger Branchen. Buschhaus — Formaldehyd — und Katalysator-Entscheidung sind aktuelle Beispiele hierfür.
Trotz alledem: Wie falsch eine seit Jahrzehnten einseitig auf das Auto fixierte Politik ist, kann letztlich selbst Ihre Antwort nicht verheimlichen. In diesem Zusammenhang sollte Sie, Herr Dollinger, weniger die angebliche Sorge um die Bezahlbarkeit der Deutschen Bundesbahn umtreiben als vielmehr die Frage: Wie lange können wir eigentlich noch den Autoverkehr bezahlen? Dies vor allem wenn man berücksichtigt, daß das Gros der Kosten und Schäden bei diesen 65 Milliarden DM Defizit unberücksichtigt bleibt. Zum Beispiel bleiben die Fragen offen nach den ökologischen Folgen in der Natur, nach den gesundheitlichen Schäden am Menschen, nach den materiellen Verlusten der Forst- und Landwirtschaft, den negativen Auswirkungen auf das Trinkwasser oder nach der einzigartigen Verschwendung an Energie und Rohstoffen durch den Autoverkehr.
Überall keine qualifizierten Angaben, ein blackout auf der ganzen Linie.
Lassen Sie mich an dieser Stelle nochmals verdeutlichen, daß die Antwort nicht nur lückenhaft, sondern auch falsch ist. Wie immer und überall werden die Straßenbauinvestitionen mit dem Argument der Arbeitsplätze zu rechtfertigen versucht. Jetzt können Herr Hoffie und Herr Haungs mal ein bißchen zuhören. Eine Untersuchung Ihres eigenen Ministeriums, Herr Minister, hat im letzten Jahr die Beschäftigungseffekte von Investitionen ermittelt. Es ergab sich die Spannbreite von pro investierter Milliarde im Verkehrsbereich von 13 700 Arbeitsplätzen beim Bundesfernstraßenneubau bis 19 900 Arbeitsplätzen im öffentlichen Personennahverkehr. Das heißt, die von uns geforderte Haushaltsmittelumschichtung vom Straßenbau zum umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrsbereich würde wesentlich mehr Arbeitsplätze schaffen.
Doch eben diese Tatsache leugnen Sie, Herr Minister, in der Antwort und behaupten — ich zitiere —: „Nennenswerte Unterschiede bestehen bei der Berücksichtigung aller Wirkungen nicht."
Die gesellschaftlichen Kosten werden mit jedem zusätzlichen Autobahnkilometer weiter in die Höhe getrieben. Der Steuerzahler soll aber nicht nur den Bau der geplanten 2 500 Kilometer Autobahn und über 5 000 Kilometer Bundesstraßen finanzieren, sondern wird auch für einen ständig wachsenden Erhaltungsbedarf in den 90er Jahren mit über 3 Milliarden DM jährlich zur Kasse gebeten. Angesichts der bekannten und zu erwartenden Gesamtbelastung für unsere Gesellschaft verbietet es sich nach Auffassung der GRÜNEN, den Fernstraßenbau weiter voranzutreiben.
Deshalb haben wir als logische Konsequenz einen Baustopp-Antrag eingebracht. Dieser ermöglicht nur noch in Ausnahmefällen den Bau von Umgehungsstraßen bei Nachweis der Umweltverträglichkeit und der Entlastungsfunktionen sowie bei gleichzeitigem Rückbau anderer Straßen. Die Berücksichtigung mittel- oder langfristig entstehender Folgekosten war noch nie bei politischen Entscheidungen von Bedeutung, weil nur in Legislaturperioden gedacht wurde.
Diese verantwortungslose Nach-mir-die-SintflutMentalität hat absolut nichts mit einer verantwortungsvollen, in die Zukunft gerichteten Politik zu tun.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht hier, um die Vergangenheit zu beleuchten, sondern ich will etwas zur Zukunft sagen, nämlich daß die Bundesregierung mit ihren Beschlüssen zum Auto einen guten Weg geht und unsere volle Unterstützung hat. Ich finde, mit Ausnahme der offenen Diskussion über das Tempolimit tragen Sie nichts dazu bei. Ich bin auch der Meinung, daß die pauschalen Schuldzuweisungen, die wir hier mitunter vornehmen, von der Öffentlichkeit überhaupt nicht angenommen werden. Die will wissen, was der bessere Weg ist, aber nicht, wer
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Baum
welche Schuld hat. Wissen Sie, diese Schuldzuweisungen in diesem Haus stören mich, da sie sehr grob stattfinden: nach der jeweiligen Rolle.
Die Leute glauben das, was wir hier so grob machen, sowieso nicht.
Aber zur Aufklärung über die Vergangenheit möchte ich doch noch sagen: Es ist ja keineswegs so, daß wir das Auto mit seinen umweltschädlichen Wirkungen erst jetzt entdeckt hätten. Im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 war ein sehr konkretes Programm enthalten, das, wie ich zugebe, nicht voll ausgefüllt worden ist, aber auf das hin damals eine Menge geschehen ist: in bezug auf die Lärmreduzierung, in bezug auf die Abgasreduzierung. Es ist Forschung in die Wege geleitet worden. Wir haben 1973 ein Sachverständigengutachten des Umweltrats der Bundesregierung auf dem Tisch gehabt. Wir haben 1977 im internationalen Bereich in der ECE Vorschläge zur Abgas- und Lärmreduzierung gemacht. Wir haben ein Programm allgemein zur Lärmreduzierung und auch zur Verbesserung der Forschung in die Wege geleitet. Es ist ja überhaupt mal die Frage zu stellen: Können wir nicht in Zukunft mal irgendwann damit rechnen, daß wir ein anderes individuelles Fortbewegungsmittel als das mit dem Otto- und Dieselmotor bekommen, das zugegebenermaßen auch mit dem Katalysator noch Schadstoffe und Lärm produziert? Deshalb ist die Forschung notwendig. Ich frage mich, warum z. B. im Nahverkehr bei den Dienstleistungen auch etwa unserer Bundesunternehmen das Elektroauto nicht stärker eingesetzt wird.
Als ich ein Kind war, gab es in Dresden sehr viel mehr Elektroautos, als ich heute in Köln sehe.
Also: Diese Schuldzuweisung, daß die frühere Bundesregierung hier geschlafen habe, kann ich nicht akzeptieren. Ich stehe zu den Taten und auch zu den Versäumnissen in früherer Regierungsverantwortung. Ich bekenne auch, daß man mehr hätte tun können.
Nur, kleiden wir uns doch nicht in Selbstgerechtigkeit!
— Sie waren nicht da, Sie können sagen, Sie haben alles nun entdeckt. Aber so überzeugend ist das auch nicht. Ich habe mit Ihnen jahrelang nur über Kernenergie diskutiert und habe dringend gebeten, auch mal andere Themen anzuschneiden.
Es hat sich — leider — die allgemeine Bewußtseinslage durch das Waldsterben geändert. Das war erst notwendig, damit wir überhaupt angefangen haben, noch etwas intensiver zu handeln. Und bitte, wir haben ja gewisse Forschungsergebnisse erst in den letzten Jahren bekommen, z. B. über die Stickoxide. Die Zusammenhänge zwischen Stickoxiden und Waldsterben sind erst vor etwa zwei Jahren so deutlich geworden, wie wir sie heute kennen. Wir dürfen doch nicht den Fehler machen, die Vergangenheit aus der Sicht unserer Erkenntnisse von heute zu betrachten. Das wäre ungerecht.
Ich kann nur sagen: Wir brauchen die Beachtung ökologischer Eckwerte, d. h. eines ökologischen Zielrahmens, der die Grenzen absteckt, die nicht überschritten werden dürfen, weil wir sonst die Regenerationsfähigkeit unserer öffentlichen Systeme gefährden. Das, was hier jetzt mit dem Auto geschieht,
ist sehr viel.
Starren Sie doch nicht immer nur auf den Eckpunkt, auf den Endpunkt, auf die Deadline 1988/89
— es ist notwendig, einen solchen Eckpunkt zu setzen —, sondern sehen Sie doch, daß hier eine Dynamik in Gang gesetzt worden ist, daß sich die Menschen umorientieren, daß der Markt reagiert.
Ich finde es gar nicht so bedauernswert, Herr Kollege, daß die Leute jetzt die Händler fragen: Wo ist denn das Katalysatorauto? Wie kann ich denn möglicherweise mein altes Auto umrüsten? — Wir werden ihnen auch noch weitere Anreize geben. In der Marktwirtschaft sind Anreize, sich umweltfreundlich zu verhalten, für eine Übergangszeit notwendig. Ich begrüße es außerordentlich, daß in das Gesetzgebungsverfahren auch eine Regelung zur steuerlichen Begünstigung der Umrüstung von Altfahrzeugen aufgenommen wird.
Das ist eine Maßnahme, die sehr viel bewegen wird und die Umwelt günstig beeinflußt.
Wir geben gerne zu: Das Auto hat die moderne Industriegesellschaft wie kein anderes Industrieprodukt sichtbar geprägt. Es verkörpert für viele natürlich auch ein Stück Freiheit. Seien wir doch nicht so selbstgerecht, als ob wir das Auto nicht gerne benutzten. Wir können auch nicht alle unsere Mitbürger auf das Nahverkehrssystem verweisen.
Das wird nie gehen. Wir brauchen das Auto, aber wir müssen das Auto und auch unsere Verkehrspolitik umweltfreundlicher ausgestalten. Also nicht das totale Nein, nicht die totale Verteufelung, sondern an den Schäden ansetzen; diese Schäden müssen reduziert werden. Dies geschieht, und das ist sehr schwer und mit außerordentlichen Anstrengungen, auch volkswirtschaftlichen Anstrengungen verbunden.
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Baum
Meine Damen und Herren, ich möchte zu der Großen Anfrage und zu der Antwort, die die Bundesregierung gegeben hat, folgendes sagen. Ich finde es ganz verdienstvoll, daß einmal diese Wechselwirkungen aufgezeigt werden. Aber ich ziehe andere Schlüsse als Sie, Herr Kollege. Ich möchte nicht eine Philippika gegen das Auto halten, wie Sie,
sondern ich möchte daraus den Schluß ziehen, daß wir weiterhin alles tun müssen, um das Auto umweltgerecht zu bauen.
Ich habe leider kein Echo in vielen Gesprächen mit der Automobilindustrie gefunden. Die Automobilindustrie hat jahrelang diesen Gesichtspunkt leider nicht beachtet. Ich habe ihr gesagt: Das werdet ihr eines Tages spüren, denn in Zukunft wird das umweltfreundliche Auto gekauft und verkauft werden,
und die anderen, die Japaner beispielsweise, werden auf die Märkte kommen und werden es haben, wenn ihr es nicht habt. —
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Drabiniok?
Eine Sekunde. — Ich kann nachfühlen, daß der Kollege Zimmermann in seiner Amtszeit ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Deshalb hat er hier meine volle Unterstützung.
Und wir müssen dafür sorgen, daß das umweltfreundliche Auto so schnell wie möglich auf den Markt kommt. Ich kenne die Sünden der Nachkriegszeit wie Sie. Wir haben dem Auto viele Entscheidungen auf den anderen Lebensgebieten untergeordnet. Wir haben das Gefühl gehabt, wir könnten die autogerechte Stadt bauen. Wir haben Urbanität zerstört, dann haben wir Urbanität mit Fußgängerzonen wiederhergestellt. Es gibt Fehlentwicklungen. Das Auto ist auch vergöttert worden. Es gibt Leute, die halten das Auto heute noch für ein Statussymbol. Es ist ein Fortbewegungsmittel, und es muß auf Nützlichkeit, Zweckmäßigkeit und Umweltschonung eingerichtet werden. Diesen Bewußtseinsprozeß in der Bevölkerung gilt es zu fördern. Ich freue mich, daß das Waldsterben — so bedauerlich das ist — ein Augenöffner gewesen ist.
Ich möchte zum Abschluß noch etwas zu den Bundesfernstraßen sagen: Also, einen Stopp, wie Sie ihn verlangen, lehnt meine Fraktion ab.
— Ja, gut, Sie haben Ausnahmen gemacht. — Nochmals: Einen totalen Stopp des Bundesfernstraßenbaus können Sie nicht verantworten.
Sie müssen eine andere Frage stellen. Sie müssen sich die Frage stellen, ob jeder Straßenbau sinnvoll ist und ob jeder Straßenbau auch umweltverträglich angelegt wird. In dieser Hinsicht ist in der Vergangenheit vieles nicht geschehen: Wir haben Straßen durch Wohnsiedlungen gebaut; wir haben an Straßen Häuser gebaut; wir haben die Art der Verkehrsführung nicht umweltgerecht ausgestaltet; die Art des Straßenbelages hat dem nicht Rechnung getragen; auch haben wir Straßen gebaut, die in dieser Dimension gar nicht notwendig waren. Ich bedaure, daß es zu einer so starken Versiegelung des Bodens in der Bundesrepublik Deutschland auch durch andere Faktoren gekommen ist. Wir müssen jetzt wirklich dafür sorgen, daß sich der Landverbrauch in Grenzen hält, und das ist auch Ziel des Bodenschutzkonzeptes der Bundesregierung.
Deshalb, meine Damen und Herren, gebe ich einmal zu überlegen, ob wir Fernstraßen nicht nur dann bauen, wenn sie zur Beseitigung von Gefahren notwendig sind, wenn die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum volkswirtschaftlichen Nutzen stehen und wenn der Naturhaushalt eben nicht beschädigt wird, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts bestehen bleibt. Aber z. B. die Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen in strukturschwachen Gebieten, meine Damen und Herren, wird immer ein Argument sein, den Straßenbau zu fördern. Also, eine differenzierte Betrachtung, aber keine pauschale Schuldzuweisung ist notwendig. Niemand hat hier die Weisheit gepachtet.
Meine Fraktion unterstützt auf diesem Felde wie auch auf anderen Feldern die Politik des Kollegen Stoltenberg, der sie hier heute überzeugend vertreten hat.
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Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich nicht möglich, vier Vorlagen in der kurzen Zeit von zehn Minuten zu diskutieren.
Ich muß mich also auf die Darstellung von Schwerpunkten beschränken.
Es ist sicher interessant zu wissen, welche Kosten das Auto der Gesellschaft aufbürdet. Herr Drabiniok hat gemeint, daß die Antwort ihn nicht befriedigt. Nun, es hätte mich unwahrscheinlich überrascht und geradezu bestürzt gemacht, wenn Sie mich, die Bundesregierung gelobt hätten.
Aber ich glaube, meine Damen und Heren, eines ist klar: Man kann nicht nur von den Kosten sprechen, sondern muß auch vom Nutzen reden. Es ist im Leben in allen Bereichen so: Dort, wo man einen Nutzen hat, hat man auch Kosten, und umgekehrt gilt das gleiche.
Ich meine, daß das Auto auch viel Nutzen bringt.
Ich möchte einmal ein paar Zahlen nennen, die vielleicht doch nachdenklich stimmen: Wir hatten am 1. Juli 1984 25 217 787 Pkw, einschließlich Kombis. Von diesen Fahrzeugen gehören 20 966 406 Arbeitnehmern — eine sehr erfreuliche Zahl. Denn sie zeigt, daß in den breiten Schichten unserer Bevölkerung Wohlstand vorhanden ist.
Unternehmer und Selbständige sind mit 4 122 144 Fahrzeugen beteiligt; damit sind auch die freien Berufe, die Landwirtschaft und sonstige berücksichtigt. Die Organisationen, einschließlich der Behörden, der Kirchen, der Gewerkschaften und sonstiger Organisationen, haben 129 237 Fahrzeuge. Ich glaube, allein diese Zahlen sollten nachdenklich machen. Denn wenn die breiten Schichten der Bevölkerung das Auto in diesem Ausmaß nutzen, dann zeigt das, was das Auto für den Bürger bedeutet.
Meine Damen und Herren, wir können nicht bei dem heutigen Wagen stehen bleiben. Ich unterstütze alles, was dazu beiträgt, ein umweltfreundliches Auto zu bauen,
nicht nur in bezug auf die Abgase, sondern auch in
bezug auf den Lärm. Der entscheidende Punkt da-
bei ist, daß wir neue Technologien erforschen und dann auch nutzen, auch für die Pkw und die Lkw.
Meine Damen und Herren, es wurde in dem Zusammenhang vom ÖPNV gesprochen, davon, daß der vernachlässigt worden sei. Dazu ein paar Zahlen: Nach der Finanzplanung der Regierung Schmidt waren für den ÖPNV für 1985 Investitionen in Höhe von 1 225 000 000 DM vorgesehen. Nach unserem Haushaltsentwurf haben wir für 1985 einen Ansatz von 1 327 000 000 DM. Bei der Regierung Schmidt waren Investitionen der Deutschen Bundesbahn für 1985 mit 2 640 000 000 DM angesetzt, bei uns sind sie mit 3 400 000 000 DM angesetzt.
Diese Zahlen zeigen ganz genau, daß die Behauptung, wir würden die Bahn und den öffentlichen Personennahverkehr vernachlässigen, einfach falsch ist. Wir liegen hier höher als die alte Regierung.
Ich fasse zusammen: Wir brauchen das Auto für den Bürger und für die Wirtschaft.
Eine zweite Bemerkung zum Thema Stopp des Bundesfernstraßenneubaus. Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat 1980 praktisch einmütig einen Verkehrswegeplan verabschiedet. Er hatte damals festgelegt, was gebaut werden soll, und dafür auch Dringlichkeitsstufen geschaffen. Wenn die beschlossene Streckenlänge nicht erreicht wird, so hat das etwas mit der Finanzpolitik der früheren Regierung zu tun. Das, was ich heute an Autobahnen baue, ist nicht meine Phantasie, sondern das ist die Erfüllung des Beschlusses des Deutschen Bundestags von 1980.
Man sollte deshalb endlich mit der falschen Kritik aufhören.
Ich füge hier hinzu, daß wir neben den Autobahnen Ortsumgehungen bauen. Ich glaube, das ist eine wichtige Maßnahme im Interesse der Mitmenschen. Wenn durch Ortschaften und Städte in 24 Stunden 18 000, 20 000 und mehr Fahrzeuge fahren, dann muß doch gehandelt werden. Da soll man nicht immer sagen: Eingriff in die Natur. Hier steht einfach die Frage im Raum: Wollen wir die Menschen in den Ortschaften bei diesem Durchgangsverkehr kaputtmachen, weil wir den Eingriff in die Landschaft nicht wollen, oder machen wir vorsichtige Eingriffe in die Landschaft zugunsten der Menschen? Da entscheide ich mich für den Menschen.
80 % der Gelder für die Bundesfernstraßen fließen in die Ortsumgehungen. Wir müssen das Auto-
8080 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Dollinger
bahnnetz und das Bundesfernstraßennetz im nächsten Jahr überprüfen und fortschreiben. Die Arbeiten sind im Gange. Ich gehe davon aus, daß wir nach der Sommerpause 1985 den Plan für das Straßennetz zur Beratung vorlegen können.
Im übrigen: Die Bundesfernstraßen beanspruchen 0,18 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland. Man sollte endlich einmal aufhören, die Dinge so zu verfälschen, daß man von der Zubetonierung unseres Landes spricht.
Zum Unfallbericht: Er umfaßt die Jahre 1982 und 1983. Der Tiefpunkt der Unfallzahlen lag in den Jahren 1974 und 1975. Es erfolgten dann entsprechende Steigerungen. Wir haben im Verkehrssicherheitsprogramm Folgerungen daraus gezogen. Das muß vollzogen, geprüft und verabschiedet werden.
Ich darf mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß wir von Januar bis September dieses Jahres zwar eine Zunahme der Gesamtzahl der Unfälle um 5 % hatten; aber die Zahl der Toten nahm um 13,4 % und die der Verletzten um 4,4 % ab.
Das zeigt, daß die Verkehrsaufklärung, die beispielsweise von der Verkehrswacht und vom Verkehrssicherheitsrat betrieben wird, wirkt. In Zukunft wird es, wie bei uns im Programm vorgesehen, darauf ankommen, die Ausbildung zu verstärken, an die Disziplin der Verkehrsteilnehmer zu appellieren und die Verantwortung des einzelnen Bürgers für sich selbst und für den Nächsten entsprechend herauszustellen.
Was die Raserei anlangt, meine Damen und Herren: Wir wissen, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Autobahn 112 Stundenkilometer beträgt. Wieviel auf den anderen Straßen gefahren wird, kann ich Ihnen nicht sagen; dafür sind die Länder zuständig.
Der letzte Punkt betrifft die Frage, was wir bezüglich des Tempolimits tun. Meine Damen und Herren, wir werden 200 Fahrzeuge nach den Vorschlägen des TÜV einsetzen, und zwar Fahrzeuge mit Katalysator und mit Nachrüstung. Wir werden 17 Teststrecken haben, zusätzlich die Avus in Berlin. Die verschiedenen Geschwindigkeiten werden dort gefahren werden.
Ein Kriterienkatalog wird gemeinsam mit den Bundesländern erstellt. Es werden ca. 15 000 Musterfahrten durchgeführt mit einer Gesamtfahrstrecke von 600 000 km. Es werden acht Prüfstände benötigt, um dort die entsprechenden Prüfungen durchzuführen. Wir hoffen, daß die Ergebnisse Ende November nächsten Jahres vorliegen werden. Die Prüfungen müssen so durchgeführt werden, daß sie
wissenschaftlich einwandfrei und auch stichhaltig sind.
Was die Zusammensetzung anlangt, so besteht der das Projekt begleitende Ausschuß aus vier Professoren, aus Vertretern der Bundesanstalt für das Straßenwesen, des Umweltbundesamtes, der Bundesministerien für Verkehr, für Inneres, für Wirtschaft und für Forschung und aus drei Ländervertretern. Es ist vorgesehen, in gewissen Zeitabständen Anhörungen aller gesellschaftlichen Gruppen durchzuführen, die daran interessiert sind. Ich gehe davon aus, daß das eine gute Sache werden wird. Wir sollten nicht heute schon versuchen, den Tempolimitversuch, den viele gefordert haben, mies zu machen. Vielleicht wird er mies gemacht, weil man die Ergebnisse fürchtet.
Wir wollen tatsächlich eine sachliche Aufklärung ermöglichen, die im Interesse des Ganzen liegt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 6 sowie 8 bis 10 auf den Drucksachen 10/2523, 10/2276, 10/2384 und 10/963 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um den Zusatzpunkt 3 erweitert werden: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes, Drucksachen 10/2230 und 10/2572. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Der Zusatzpunkt wird nach Tagesordnungspunkt 30 aufgerufen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen
— Drucksache 10/1441 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 10/2459, 10/2510 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Köhler Rapp (Göppingen)
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8081
Vizepräsident Wurbs
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/2495 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Dr. Hackel
Kleinert
Auf den Drucksachen 10/2555 und 10/2556 liegen Ihnen zwei Änderungsanträge und auf Drucksache 10/2557 ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich frage: Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Köhler .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte heute unserer Kollegin Hamm-Brücher einen Gefallen tun und sie bei dem Versuch unterstützen, die Parlamentsreform etwas voranzutreiben. Leider hat sie in diesem Augenblick das „Lokal" verlassen, was ich bedaure. Ich will nämlich frei sprechen; ich benutze nicht einmal Notizen. Daher bitte ich um Nachsicht, wenn das nicht alles so gut geht, wie man es sich vorstellt bei einer Rede, die schön abgelesen wird. Ich habe die berufliche Erfahrung gemacht — die berufliche nur —, daß man das, was man nicht im Kopf hat, anderen Menschen nur sehr schwer an den Verstand bringen kann. Ich nehme Sie natürlich alle ausdrücklich aus.
Ich fange mit dem Thema an. Anders als das System, das wir uns Laisser-faire, Laisser-aller zu nennen angewöhnt haben — meistens mit etwas negativem Beiklang —, ist die Soziale Marktwirtschaft ein System, in dem eine Reihe von Grundentscheidungen ordnungspolitischer Art gefällt werden, die sicherstellen, daß die im übrigen freie Entfaltung der betroffenen Unternehmen an Kriterien gebunden ist, die dem volkswirtschaftlichen und gemeinwohlabhängigen Rahmen entsprechen. Das gilt aber nicht nur für die gewerbliche Wirtschaft — dazu will ich mich hier ganz kurz fassen —, sondern das gilt auch für Geld und Kredit.
Das Geld — ein sehr sensibles Gebiet, ebenso wie das Gebiet der Kreditvergabe — ist ordnungspolitisch im Bundesbankgesetz geregelt. Das Wichtigste dabei ist: das Bundesbankgesetz garantiert der Bundesbank die volle Unabhängigkeit von der jeweils wechselnden Regierungsmehrheit und verpflichtet sie zugleich bei ihrer Geldumlaufpolitik auf das Ziel der Geldwertstabilität. Das ist also ein Gesetz von hohem ordnungspolitischem Rang.
Heute ist insofern ein historischer Tag, als wir gewissermaßen über das Grundgesetz des Kreditwesens zu entscheiden haben, indem wir das geltende Gesetz novellieren. Ich möchte das ganz besonders hervorheben. Wir sind ja geübt in einer großen Zahl von Maßnahmegesetzen, die wir jeden Tag hier verabschieden. Dieses Gesetz unterscheidet sich qualitativ von diesen anderen Formen der Gesetzgebung, weil es den Rahmen für die deutsche Kreditwirtschaft bestimmt und gleichzeitig sicherstellt, daß im übrigen die freie Bewegungsfähigkeit der Kreditinstitute nicht beeinträchtigt wird, also nicht dirigistisch in Einzelentscheidungen der jeweiligen Unternehmer oder Kreditinstitute eingegriffen wird.
Es ist natürlich verlockend, nun auch noch das historische Datum zu nennen. Es ist der 6. Dezember, und zu Haus werden wir ja heute abend
noch etwas von Nikolaus und Sankt Ruprecht zu hören haben.
Ich werde mich nicht allzulange bei diesem ja etwas an den Haaren herbeigezogenen Vergleich aufhalten, obwohl es verlockt, auch dazu etwas zu sagen. Ich höre damit auf und fange damit an, zu sagen, warum das gegenwärtige Kreditwesengesetz geändert werden mußte. Denn das ist ja die wichtigste Frage, die man sich stellen muß, wenn wir uns an sparsame Gesetzgebung gewöhnen wollen.
Nun, die Reformbedürftigkeit besteht schon fast ein Jahrzehnt, und zwar aus zwei Gründen. Im Inland gab es, man kann sagen, relativ gut verteilt auf alle Arten von Instituten, große Schwierigkeiten. Ich nenne Landesbanken, ich nenne Privatbanken, aber ich nenne auch Genossenschaftsbanken, bei denen es große Schwierigkeiten gegeben hat. Das ist der eine Komplex, der begründet, warum Reformbedürftigkeit bestand.
Das Zweite betrifft die Aktivitäten, in der Hauptsache von Landesbanken, von größeren Landesbanken und von Privatbanken im Ausland. Wie Sie wissen, hat das Gesetz es zugelassen — und davon haben die Landesbanken und Privatbanken auch in reichlichem Maße Gebrauch gemacht —, über in-und ausländische Tochtergesellschaften Kreditpyramiden aufzubauen, die keinerlei angemessene Beziehung mehr zu der Eigenkapitalversorgung des Gesamtinstituts hatten. Diese beiden Gründe machten die Reformbedürftigkeit dringlich.
Nun hat sich eine Strukturkommission damit beschäftigt, und wir haben auch eine EG-Richtlinie auf diesem Gebiete. Wir haben hier auch eine ganze Reihe von Entwürfen schon der alten Regierung zu sehen gekriegt. Da gibt es aber die alte parlamentarische Regel: alle Entwürfe werden Makulatur, wenn sie keine Mehrheiten bekommen. Deswegen können wir sie beiseite legen.
Nach dem Regierungswechsel hat es die Bundesregierung sofort unternommen, ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen. Wir haben — wenn ich die Methoden der Beratung betrachte — über ein Jahr lang diese Gesetzesnovellierung sehr gründlich besprochen. Wir — und zwar die Kollegen aller Parteien — haben im Finanzausschuß wirklich das
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Dr. Köhler
äußerste an sachlicher Verbesserungsdiskussion getan. Ich kann da alle Beteiligten nur loben. Ich nehme allerdings — mit Verlaub — die GRÜNEN aus. Deren Realitätssinn ist so ausgebildet, daß sie mit beiden Beinen fest in der Luft stehen. Das macht es natürlich etwas schwieriger, sich mit ihnen sachlich auseinanderzusetzen. Aber was die große Oppositionspartei anbetrifft, möchte ich hier ausdrücklich erwähnen, daß wir in großer Sachlichkeit beraten haben.
Wir haben alle, die unmittelbar vom Gesetz betroffen sind, gehört. Es gehört dazu, daß ich in diesem Zusammenhang an einem solchen historischen Tag — das ist jetzt der Nikolaus-Teil — einigen Dank ausspreche und den Dank mit einem hohen Lob verbinde. An die Spitze gehört der Finanzminister. Es war seiner Führungskraft zu verdanken, daß das Gesetz wirklich so zügig und mit diesem Ergebnis beraten worden ist. Die Gruppe, die ich hier zweitens loben möchte, sind die Sachverständigen des Ministeriums, der Bundesbank und der Aufsichtsbehörde die ihren Sachverstand eingebracht und uns bei den Beratungen sehr geholfen haben.
Kein Betroffener kann sich darüber beklagen, daß er nicht ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu äußern. Wir haben ein öffentliches Hearing veranstaltet und eine große Zahl von Eingaben geprüft. Ich habe es nicht genau gemessen, aber wenn man die Protokolle des Hearings und die Eingaben aufeinanderschichtet, kommt man schon ganz gut auf zwei Meter Papier. Das sagt auch etwas über das Engagement der Beteiligten, das übrigens noch bis heute früh angehalten hat. Alle Beteiligten an diesem Geschäft sind gestern, vorgestern und noch heute vormittag mit dem Nötigen versorgt worden, damit sie hier eine weise Entscheidung treffen.
Was ist der Inhalt dieser Entscheidung? Die Bundesregierung hat die Ergebnisse der Strukturkommission überprüft und zwei wichtige Entscheidungen gefällt: erstens hält sie die Konsolidierung für eilbedürftig und zweitens meint sie, ein Handlungsbedarf für andere Fragen der Struktur sei nicht vorhanden, wobei ich offenlasse, ob man das mit dem Wort „gegenwärtig" verbindet.
In den Beratungen ist allerdings eine wesentliche Ergänzung in das Gesetz aufgenommen worden. Ich leugne für meine Person nicht — aber ich sage das auch für viele andere hiervon Betroffene —, daß es sehr schwer geworden wäre, den Wunsch der Sparkassen abzuwehren, einen Haftungszuschlag vorzusehen, wenn es nicht gelungen wäre, zweierlei zu tun. Erstens wurde in das Gesetz die Möglichkeit einer anderen Art von Eigenkapitalbildung aufgenommen, nämlich die sogenannten Genußrechte, die sich übrigens vom haftenden Kapital hinsichtlich der Haftung und der Gewinn- und Verlustteilnahme in gar nichts von normalem Eigenkapital unterscheiden, aber wohl einen wesentlichen Unterschied in sich tragen: Sie sind gewissermaßen wie stimmrechtslose Aktien nur an Gewinn und Verlust und Haftung beteiligt, haben aber keine Mitwirkungsrechte. Das ist ein wesentlicher Unterschied, insbesondere was die Argumentation aus bestimmten Bereichen der Kommunalpolitik hinsichtlich der Befürchtung angeht, die Sparkassen könnten ihre Selbständigkeit verlieren oder den Anfang einer Privatisierungsentwicklung durchmachen.
Das zweite war, daß der Finanzminister im Finanzausschuß zu Protokoll gegeben hat, er werde mit dem Inkrafttreten des Gesetzes gleichzeitig von seiner Ermächtigung Gebrauch machen, den Haftsummenzuschlag der Genossenschaften in einer sehr komfortablen Übergangszeit von heute 50 auf dann 25% zu halbieren.
Ich finde, wenn ich mich jetzt an die Bewertung mache, daß dies ein Gesetz ist, mit dem alle Beteiligten leben können. Gleichzeitig verhindert es aber nicht das Ziel der Konsolidierung. Durch die Möglichkeit, normales Eigenkapital neu aufzunehmen oder über die Genußrechte zu anderen Formen des Eigenkapitals zu kommen, setzt es vor allen Dingen die Landesbanken und natürlich die Privatbanken instand, ihre Kreditvergabe nicht einschränken zu müssen. Das ist sehr wichtig. Wir brauchen diese Kreditinstitute nicht nur zu Finanzierung der Expansion der Wirtschaft im Inland, wir brauchen sie auch zur Förderung des Exports. Aber wir brauchen sie auch für die Mithilfe bei der Umschuldung von vielen Ländern der Welt in Ost und Süd, wenn ich das einmal so allgemein apostrophieren darf.
Insofern bin ich persönlich der Meinung, daß das ein wohlgelungenes Werk ist, das es verdient, auch eine längere Zeit in Kraft zu bleiben, weil nämlich nur diese längere Zeit die Beteiligten instand setzt, ihre unternehmerischen Entscheidungen an diesen neuen Rahmenbedingungen langfristig zu orientieren.
Was nun die Anträge der SPD betrifft
— also, da kommt der Sankt Ruprecht nicht der Nikolaus —, so muß ich sagen, daß dies der Sankt Ruprecht etwas anders beurteilt, als Sie es erwarten. Deswegen kann ich namens der Fraktion — Einzelheiten wird mein Kollege von Wartenberg dazu noch zu sagen haben — nur sagen: — —
Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ja, ich bin ja auch gerade bei der letzten Bemerkung.
Wir werden beide Ergänzungs- und Änderungsanträge ablehnen, ebenso den Entschließungsantrag.
Aber meine Fraktion — das darf ich in ihrem Namen sagen — wird das Gesetz in der Ausschußfassung mit großer Überzeugung und mit dem besten Wunsch an die Betroffenen verabschieden.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Köhler, wir haben uns mit unseren Beiträgen unterschiedliche Ziele gesetzt. Über ein Thema wie das unsrige eine Stunde lang frei zu parlieren, macht kein Problem. Die Kompliziertheit und Komplexheit dieses Themas in 13 Minuten einzufangen, schaffe ich nun einmal nicht ohne Aufzeichnungen.
Um was geht es? — Die internationale Verflechtung der Märkte für Güter und Dienste, die in der Nachkriegszeit zugleich Ursache und Folge der gewaltigen Expansion der Weltwirtschaft war, ist in den 70er Jahren durch die Internationalisierung der Geld- und Kapitalmärkte komplettiert worden. Die in der Ölpreiskrise drohende Gefahr eines Kollaps der Finanzmärkte hat den Prozeß beschleunigt. Nahezu jedermann wußte es damals zu rühmen, wie geräuschlos die international tätigen Kreditinstitute das Recycling der Petrodollars bewältigten: zumeist mit Töchtern von Banken aus Industriestaaten, die eigens gegründet oder erworben worden waren, um die Kostenvorteile anderenorts geringerer Bankenaufsicht und weniger belastender Liquiditätsvorschriften zu nutzen und dabei auf dem von der Mutterbank gestellten und dort weiterhin bilanzierten Eigenkapital eigene zusätzliche Kreditpyramiden aufzubauen, ohne daß durch diese zusätzlichen Kreditpyramiden das Ausleihvolumen der Mutterbank beeinträchtigt worden wäre.
Ob der Genugtuung über das gelungene Recycling hat man dann zu spät erkannt, daß hinter der scheinbar so problemlosen Rückschleusung der Petrogelder in den internationalen Kreislauf eine neue Gefahr aufzog: Die bewegten Volumina wuchsen ins Riesenhafte, ihre Zunahme beschleunigte sich schneeballartig. Flexible Wechselkurse und neue Banktechniken ließen die Währungsspekulation ins Kraut schießen. Und plötzlich war das Problem da: Ganze Länder und halbe Kontinente gerieten in Zahlungsschwierigkeiten.
Es geschah in der internationalen Schuldenkrise, daß sich die besorgten Blicke auf die nationalen Banken und deren Bonität und Liquidität zurückwandten. Die Verschärfung der nationalen Bankenaufsichtsgesetze kam damals auf die Tagesordnung. Vor allem galt und gilt es, die Mehrfachnutzung des haftenden Eigenkapitals zum Aufbau zusätzlicher Kreditvolumina über Tochterinstitute — insbesondere über solche im Ausland — zu verhindern. Durch ein bankenaufsichtliches Zusammenfassungsverfahren — „Konsolidierungsverfahren" genannt — soll das Gesamtrisiko der einzelnen Institutsgruppe an das tatsächlich vorhandene Eigenkapital gebunden, sollen verbundene Kreditinstitute nicht mehr ausschließlich einzeln beaufsichtigt werden. Indem wir dieses mit der vorliegenden Gesetzesnovelle tun, setzen wir auch eine EG-Richtlinie in deutsches Recht um.
Dies, die Konsolidierung, ist somit das Kernstück der KWG-Novelle, eine Teilstrategie, wenn Sie so wollen, zur Sicherung auch der internationalen Finanzbeziehungen in die Zukunft hinein. Die bestehende Schuldenkrise allerdings muß jenseits der Bankengesetzgebung weltwirtschaftspolitisch gelöst werden.
Eine nicht einfache Optimierungsaufgabe war gestellt. Es galt, Konsolidierungsmethode, Konsolidierungsschwelle und Konsolidierungsumfang so zu gestalten und mit der Definition des Kredits und des haftenden Eigenkapitals so zu kombinieren, daß erstens der Primärzweck erreicht wird, der veränderten Risikosituation Rechnung zu tragen; daß zweitens dabei aber die Fähigkeit des Bankenssystems zur Kreditversorgung der Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird, und daß drittens Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Gruppen des deutschen Kreditgewerbes vermieden und abgebaut werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auf Vorarbeiten aus der Zeit der sozialdemokratischen Regierungsführung zurückgreifen können. Sie hat einen kompletten Referentenentwurf geerbt. Hätte sie sich nur an dieses Erbe gehalten!
Der Entwurf, der heute zur Entscheidung ansteht, verdient zwar Anerkennung hinsichtlich des Primärzwecks. Die Konsolidierungsregelung, die sich ja weitgehend an den 82er Entwurf anlehnt, ist gut gelungen. Er erreicht jedoch das zweite von mir aufgezeigte Teilziel, nämlich die Aufrechterhaltung der Kreditversorgung, nur unzureichend und verfehlt das dritte Teilziel, die Wahrung und Verbesserung der Wettbewerbsstruktur im Kreditgewerbe, weitgehend.
Was nun das erste Ziel anbelangt, die Konsolidierung, so war zunächst über den Umfang des Zusammenfassungsverfahrens zu entscheiden. Sollten nur die ausländischen Töchter oder auch die inländischen Töchter — im Klartext: die verbundenen Realkreditinstitute — einbezogen werden? Während die Zusammenfassung mit den Auslandstöchtern sozusagen ratio legis ist, war die Einbeziehung der Hypothekenbanken umstritten. Für ihre dann doch dahin entschiedene Einbeziehung sprechen die systematische Stimmigkeit wie auch der wettbewerbspolitische Gesichtspunkt, daß die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute ihr Realkreditgeschäft seit eh und je mit den sonstigen Bankgeschäften zusammen bilanzieren. Erleichtert wurde diese Entscheidung dadurch, daß zum Zusammenfassungsverfahren im Finanzausschuß der Kompromiß der jährlich degressiven Hinzurechnung des aktivischen Unterschiedsbetrages zum Konzernkapital gefunden werden konnte. Dies kommt vor allem den im privaten Bankgewerbe angesiedelten Mutterinstituten von Hypothekenbanken zugute, mindert insoweit ihren Kreditrückführungsbedarf. Für gelungen halten wir auch die Modalitäten der Einbeziehung des Leasing- und des Factoringgeschäfts. Ebenso tragen wir die auf 40 % festgesetzte Konsolidierungsschwelle und die verlängerte Übergangsfrist mit. Zu alledem gibt es unsere — der Sozialdemokraten — volle Zustimmung.
Mit Ausnahme der Vorschriften zur Definition des haftenden Eigenkapitals — darauf komme ich zurück — gilt dies auch für alle anderen Neuregelungen, z. B. für den Kredit- und Kreditnehmerbe-
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Rapp
griff — Kreditnehmerbegriff in der Zusammenfassung, für die wir die Beteiligungsschwelle auf 50 % angehoben haben. Die Herabsetzung der Höchstkreditgrenze von 75 auf 50% des Haftkapitals wird für die Geschäftspraxis der Institute Folgen haben. Gerade dieser gravierende Schnitt aber war — auch im Lichte konkreter Erfahrungen — als vertrauensbildende Maßnahme unerläßlich. Hoffentlich wird es nicht zur Beeinträchtigung des bewährten Hausbankprinzips kommen, wenn nun Großkreditnehmer verstärkt mit mehreren Instituten zusammenarbeiten müssen. Daß darob eine weitere Großkreditregelung gestrichen werden konnte, begrüßen wir ebenso wie gewisse Erleichterungen bei den Meldepflichten und auch bei der Vorlage von Bilanzunterlagen zur Bonitätsprüfung.
Weitere Einzelheiten zu Positionen, in denen wir mit den Koalitionsfraktionen übereinstimmen, spare ich aus. Eine Anmerkung nur noch zur weiteren Behandlung: Dem Vernehmen nach wird bereits an der nötigen Neufassung des Grundsatzes I nach § 10 des Kreditwesengesetzes gearbeitet. Ich möchte nicht versäumen, anzumerken, daß man dabei gewisse Konsequenzen aus der Vereinheitlichung des Kommunalkreditbegriffs und des Realkreditbegriffs nicht übersehen darf.
Nicht mit der Ausschußmehrheit stimmen wir Sozialdemokraten bezüglich der Definition des haftenden Eigenkapitals überein. Wir sehen durch die mehrheitlich beschlossenen Festlegungen das Teilziel der Wahrung und Verbesserung der Wettbewerbssituation im deutschen Kreditgewerbe verletzt. Auch befürchten wir — denken Sie nur an die Höchstkreditgrenze — Probleme bei der Kreditversorgung. Das gilt sowohl wegen der Verweigerung des Haftungszuschlags für die Sparkassen als auch wegen der beabsichtigten Abschmelzung des Haftsummenzuschlags bei den Kreditgenossenschaften.
Meine Damen und Herren, hätten wir das Kreditwesen der Bundesrepublik auf der grünen Wiese neu aufzubauen, würden wir uns wohl alle auf einen strengen Eigenkapitalbegriff verständigen und die Grundsätze nach § 10 des Kreditwesengesetzes entsprechend formulieren. Aber in dieser Lage sind wir nicht. Wir haben es mit einer gewachsenen Banken- und Sparkassenlandschaft zu tun. Unser Bankensystem hat sich hervorragend bewährt. Wer Bankdienste sucht, kann sie je nach seiner meinetwegen ideologischen Präferenz bei privaten, genossenschaftlichen, kommunalwirtschaftlichen, anderen öffentlich-rechtlichen oder gemeinwirtschaftlichen Instituten finden. Und in einer historisch so gewachsenen und bewährten freiheitlich-vielgestaltigen Struktur fummelt nun die Gesetzesnovelle um der bloßen Reinheit einer Lehre willen mit Maßnahmen herum,
die zudem die Wettbewerbsstruktur der deutschen Bankenlandschaft verschlechtern.
Dabei waren die politischen Vorgaben schon bisher nicht wettbewerbsneutral. Den Kreditgenossenschaften ist ein Haftsummenzuschlag von 50 v. H. auf das eingezahlte Eigenkapital eingeräumt, der gegen unseren Willen jetzt abgebaut werden soll, obwohl er in der genossenschaftlichen Nachschußpflicht ja seine wirtschaftliche und rechtliche Legitimierung hat.
Den Sparkassen, deren Möglichkeit zur Außenfinanzierung ohnehin geringer ist als die von Instituten anderer Gruppen, stand und steht ein entsprechendes Äquivalent für die Haftungspflicht ihrer Gewährträger nicht zur Verfügung. Dies war schon bisher wettbewerbsverzerrend und nicht gerecht. Mag es auch tatsächliche und rechtliche Unterschiede zwischen dem Haftsummenzuschlag und dem Haftungszuschlag geben, so geht es doch nicht an, daraus eine Würdigung, eine Anerkennung abzuleiten, die sich im Verhältnis von 50 :0 spreizt. Unser im Ausschuß abgewiesener Antrag liegt wieder auf dem Tisch, den Sparkassen einen Haftungszuschlag von 20 % einzuräumen.
Wir gehen davon aus, daß es beim genossenschaftlichen Haftsummenzuschlag von 50 v. H. bleibt. Den anderen Institutsgruppen möchten wir die Möglichkeit einräumen, bis zu 20% nachrangige Verbindlichkeiten einzugehen und sie als Haftkapital zu berücksichtigen. Es handelt sich bei den nachrangigen Verbindlichkeiten um ein funktionsgerechtes, wettbewerbsneutral gestaltbares und international eingeführtes Instrument. All dies kann man von den Genußrechten nicht sagen. Das von der Koalition allen Institutsgruppen, den Kreditgenossenschaften kumulativ, angebotene Instrument des Genußrechtskapitals schafft insofern keine Wettbewerbsgleichheit, als Sparkassen mit ihrem kommunalwirtschaftlich geprägten Selbstverständnis davon keinen Gebrauch machen werden.
International ist das Genußrecht nicht eingeführt.
Alles in allem ist dies keine ausgewogene Lösung. Sie begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken,
und sie ist mit dem Stigma gezeichnet, daß es letztlich doch darum geht, den öffentlich-rechtlichen Bereich in der von mir als vielgestaltig gerühmten Bankenlandschaft einzuschränken. Das ist wohl der eigentliche Zweck.
Der Herr Kollege Kreile hatte in einem Artikel meinen Appell zu einer friedenstiftenden Lösung aufgenommen. Die jetzt vorgesehene Lösung ist keine friedenstiftende.
Der erste Verfassungsrechtsstreit ist angekündigt.
Beherzigen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, deshalb das bessere Lösungsangebot, das nachher mein Kollege Günter Schlatter hier darstellen und begründen wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rapp, ich glaube, die Aufregung, mit der Sie Ihre Rede abgeschlossen haben,
entspricht nicht dem Ergebnis dieser Gesetzesberatung. Ich glaube, wir können alle mit diesem Gesetz leben. Wenn Sie schon von Herumfummeln reden: Der Vorschlag, den Haftungszuschlag einzuführen, einen Zuschlag für die Gewährträgerhaftung der Gemeinden, für die dann der Steuerzahler eintreten muß, ist ein Herumfummeln, nicht aber der Vorschlag, das Genußscheinkapital einzuführen, das voll eingezahlt und dauerhaft verfügbar sein muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die KWG-Novelle ist eines der wirtschafts- und finanzpolitisch bedeutsamsten Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode, obwohl die sich eigentlich nur in Fachkreisen diskutieren läßt.
Das Kreditwesengesetz ist das Grundgesetz der Kreditwirtschaft. Es hat große ordnungspolitische Bedeutung. Ein geordnetes Kreditwesen ist eine entscheidende Voraussetzung für eine funktionsfähige Marktwirtschaft. Bürger und Wirtschaft müssen Vertrauen in die Solidität und in die Sicherheit des Bankenapparates haben. Die Novelle war in erster Linie wegen des gestiegenen Risikos des Kreditgeschäfts im In- und Ausland notwendig. Insbesondere die Risiken, die die Auslandstöchter der Kreditinstitute bei der Finanzierung der Exportgeschäfte aufgebaut haben, galt es durch eine Gesetzesnovelle einzufangen. Die FDP kann für sich in Anspruch nehmen, durch ihr Grundsatzpapier zum Kreditwesengesetz vom Herbst 1983 die aktuelle Diskussion um die KWG-Novelle entscheidend mitgeprägt zu haben.
Nach langem Ringen ist jetzt eine Gesetzesvorlage zustande gekommen, die als eine vernünftige marktwirtschaftliche Lösung betrachtet werden kann.
Das zentrale Anliegen der Novelle ist die Anpassung der gesetzlichen Regelungen für die Bankenaufsicht an die gestiegenen Risiken, insbesondere im internationalen Bereich. Die Verschuldung vieler Entwicklungsländer ist dramatisch gewachsen. Die Verschuldung der Entwicklungsländer steht heute mit rund 830 Milliarden Dollar zu Buche. Dazu kommt noch die Verschuldung der Staatshandelsländer. Die deutschen Banken, die deutsche Kreditwirtschaft sind mit einem Volumen von etwa 110 Milliarden DM, was die Verschuldung der Entwicklungsländer und der Staatshandelsländer gemeinsam angeht, betroffen.
Wir werden in den nächsten Jahren darauf achten müssen, daß diese Verschuldungsprobleme, die bis heute in keiner Weise gelöst sind, nicht dramatisch auf unsere Finanzwirtschaft zurückschlagen und auch bei uns unvorhersehbare Konsequenzen auslösen.
Beachtliche Risiken bestehen für die Banken natürlich auch im Inland. Die zahlreichen Konkurse der vergangenen Jahre sprechen eine deutliche Sprache. Auch in diesem Jahr haben wir wieder rund 12 000 Konkurse zu erwarten.
— Ich habe mich hier auf den Verein Creditreform berufen.
In der gegenwärtigen Aufschwungphase kann allerdings eine weit größere Zahl an Unternehmensgründungen registriert werden. Auch dafür zeichnen wir verantwortlich.
Ein Zeichen der Zuversicht ist es, daß eben so viele Bürger bereit sind, Unternehmen zu gründen und mit Tatkraft und Risikobereitschaft ihre Ersparnisse einzusetzen.
Tatsache ist natürlich, daß in Gründungsjahren das Risiko für neue, junge Unternehmen besonders hoch ist. Dieses Risiko muß die Bankwirtschaft eben auch tragen. Deswegen war es vordringlich, die Regeln für die Kreditvergabe strenger zu fassen. Die Einführung des Konsolidierungsverfahrens faßt das gesamte Eigenkapital eines Bankkonzerns zusammen. Der Grundsatz 1, nach dem die Kredite das Achtzehnfache des Eigenkapitals nicht übersteigen dürfen, gilt in Zukunft für alle Bankkonzerne einschließlich der Auslandstöchter. Eine Bildung von Kreditpyramiden wird durch das Gesetz eingefangen. Das Konsolidierungsverfahren, das nach einem Übergangszeitraum von sechs Jahren voll greifen wird, soll diese Risiken begrenzen. Wir haben erreicht, daß diese Übergangszeit um ein Jahr auf sechs Jahre verlängert wurde, weil wir das Problem sehen, daß auch die deutsche Kreditwirtschaft bei der Bereinigung der internationalen Verschuldungsproblematik herausgefordert ist, daß sie also gleichzeitig ihre Institute mit Eigenkapital besser ausstatten muß, aber zusätzliche Kredite mit hohem Risiko an Entwicklungsländer herausgeben muß, um einen Zusammenbruch der internationalen Finanzwirtschaft nicht zu riskieren. Deshalb ist in der Zukunft darauf zu achten, ob dieser sechsjährige Übergangszeitraum ausreichend ist.
In der Fachwelt herrscht Einigkeit darüber, daß die Bankenaufsicht nach Einführung des Konsolidierungsverfahrens über ein angemessenes Instrumentarium verfügen wird. Die Vertreter der GRÜNEN haben in dieser Diskussion wieder einmal den Vogel abgeschossen. Ich zitiere die Kollegin Frau
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Beck-Oberdorf aus der ersten Lesung: „Wir fordern eine drastische Verschärfung der Bankenaufsicht, um die zerstörerische Macht der bundesdeutschen Geschäftsbanken in den Griff zu bekommen." Da muß man doch fragen: Was war die zerstörerische Macht der deutschen Banken beispielsweise bei der Rettung und Sanierung des AEG-Konzerns? Erkundigen Sie sich bei den Arbeitnehmern des AEGKonzerns — dies nur als ein Beispiel —, ob sie darin die zerstörerische Macht der Banken wiedererkannt haben.
Die Banken haben gerade in den letzten Jahren ein hohes Verantwortungsbewußtsein bewiesen. Sie haben zahlreiche Unternehmen vor dem Konkurs gerettet, oft unter Verlust erheblicher eigener Mittel. Die FDP weist daher die Forderung der SPD nach Beschränkung des Anteilbesitzes der Banken, wie sie in dem Entschließungsantrag vorgebracht wird, an Industrie- und Handelsunternehmen zurück. Wir werden diesen Entschließungsantrag ablehnen. Mißbräuche des Anteilbesitzes an Industrie- und Handelsunternehmen können den Banken nicht vorgeworfen werden.
— Herr Kollege Schlatter, Sie könnten vielleicht nachher Beispiele für die Notwendigkeit Ihres Entschließungsantrages vorbringen. — Ganz im Gegenteil, ohne die schnelle Hilfe der Banken — oft verbunden mit der zeitweisen Übernahme von Geschäftsanteilen — wäre so manche Rettungsaktion zum Scheitern verurteilt gewesen.
Die Problematik des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Institutsgruppen ist unserer Meinung nach zufriedenstellend gelöst — im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn Rapp. Die Forderung der SPD nach Einführung eines fiktiven Eigenkapitalzuschlags zugunsten der Sparkassen wurde aus guten Gründen nicht realisiert. Die SPD hat hierzu heute noch einen Änderungsantrag eingebracht, den wir ablehnen werden. Ein Haftungszuschlag würde den Kreditspielraum der Sparkassen ohne Zuführung echten Eigenkapitals erweitern — mit dem Argument, hinter den Sparkassen stünden die Gemeinden und letztlich der Steuerzahler. Dies wäre ordnungspolitisch unvertretbar und widerspräche dem zentralen Ziel der KWG-Novelle, die Eigenkapitalbasis der Kreditinstitute zu verbreitern. Es wäre auch unvertretbar, weil die Gemeinden ja heute permanent über eine zu schlechte Ausstattung mit Finanzen klagen.
— Dazu habe ich gesprochen. — Wenn die SPD hierzu namentliche Abstimmung verlangt, ist dies nur als Vorbote des kommenden Wahlkampfes in Hessen und Nordrhein-Westfalen zu sehen. Die SPD ist nämlich in diesem Fall als Erfüllungsgehilfin des Städtetags tätig,
der per Fernschreiben gestern namentliche Abstimmung gefordert hat. Heute bekommen wir das auf den Tisch.
— Aber das Fernschreiben ist auch bei uns angekommen.
Wir haben in diesem Gesetz das Genußscheinkapital für alle Bankengruppen eingeführt. Das Genußscheinkapital entspricht den Kriterien für Eigenkapital. Es ist voll eingezahlt, ist auf Dauer verfügbar und nimmt an Verlusten teil. Damit haben alle Bankengruppen die Möglichkeit, über die Beschaffung von Eigenkapital hinaus durch Genuß-scheinkapital ihre Kapitalausstattung zu verbessern.
Beim Haftsummenzuschlag der Genossenschaften sollte die Opposition anerkennen, daß dieser Zuschlag in einer Übergangszeit von zehn Jahren von 50 auf 25% abgebaut wird. Der Herr Kollege Rapp, der ja bekanntlich einer der besten Experten in diesem Hause für den Bereich der Kreditwirtschaft ist, hat in der ersten Lesung eingeräumt, daß man in der Frage „Haftungszuschlag für Sparkassen — Haftsummenzuschlag für die Kreditgenossenschaften" zu unterschiedlichen Wertungen kommen kann. Er hat ausgeführt — ich zitiere wörtlich —:
... sicher ist: Die Relation von 50 :0 ist nicht sachgerecht, nicht wettbewerbsgerecht, und sie ist eine Quelle ständigen Streits ... Es muß eine friedenstiftende Lösung gefunden werden.
Die jetzt angekündigte Halbierung des Haftsummenzuschlags, die die Relation von 50 : 0 auf 25 : 0 bringt, ist nach unserer Meinung friedenstiftend. Der Änderungsantrag der SPD ist deshalb nicht begründet.
Es kann auch nicht angeführt werden, zu dem 25%igen Haftsummenzuschlag könnten die Genossenschaften 25% Genußscheinkapital aufnehmen, und so wäre die alte Relation wiederhergestellt. Die anderen Bankengruppen haben ja die Möglichkeit, selber durch Genußscheinkapital ihre Eigenkapitalbasis zu verbessern und damit diesen Unterschied zu reduzieren.
Der von Herrn Geiger vom Sparkassen- und Giroverband angedrohten Verfassungsklage sehen wir mit Zuversicht entgegen.
Wir haben sogar eigentlich Zweifel, ob diese Klage überhaupt erhoben werden wird. Auch die Opposition kann die Unterschiede zwischen Genossenschaften und Sparkassen nicht wegdiskutieren. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Bürger freiwillig Mitglied einer Genossenschaftsbank wird und freiwillig eine Nachschußverpflichtung durch Vertragsunterzeichnung auf sich nimmt
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Dr. Solms
oder ob der Bürger durch Geburt in einer Gemeinde in die Haftung für die Sparkasse als Steuerzahler quasi hineingeboren wird.
Das ist ein qualitativer Unterschied. Den muß man dann eben auch berücksichtigen.
Die Drohung mit der Verfassungsklage ist auch deswegen nicht überzeugend, weil die früher bestehende Ermächtigung für einen Haftungszuschlag zugunsten der Sparkassen bereits 1961 abgeschafft wurde. Wenn damals keine Verfassungsklage notwendig erschien, als die Relation noch 50 : 0 war, ist sie heute, da sich diese Relation j a verbessert hat, erst recht nicht notwendig. Das läßt sich dann wirklich nur noch an den Haaren herbeigezogen begründen.
— Das stimmt, Herr Kollege Schily. Das Bundesverfassungsgericht ist sowieso mit Klagen überlastet.
Abschließend: Die FDP-Fraktion stimmt dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen zu. Wir halten diesen Gesetzentwurf für abgerundet, ausdiskutiert, akzeptabel für alle Bankengruppen und alle Beteiligten. Wir glauben, daß den Interessen der Bundesbank und der Bankenaufsicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen ist, nämlich die neuen hohen Risiken besonders im Auslandsgeschäft einzufangen. Wir glauben, daß dies auch für alle Fraktionen in diesem Hohen Haus akzeptabel ist. Wir meinen deshalb, daß die Diskussion über das Kreditwesengesetz abgeschlossen sein sollte und nunmehr Ruhe und Vertrauen einkehren sollten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kriszan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit vielen Jahren ist es ein offenes Geheimnis, daß die bundesdeutschen Universalbanken durch vielfältige Einflußmöglichkeiten enorme Macht in der Volkswirtschaft ausüben und damit auch ein gesellschaftlicher Machtfaktor erster Ordnung sind. Herr Solms, Sie haben das Beispiel AEG angesprochen. Sie hätten dann bitte auch erzählen sollen, wieviel Bankenvertreter dort im Aufsichtsrat sitzen.
Bei der ungezügelten Forcierung des Wirtschaftswachstums, bei der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen durch Industrie- und Energiewirtschaft, beim Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und der neuen Armut spielen die großen Privatbanken eine zentrale Rolle. Nach einer Aufstellung der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik" war allein die Deutsche Bank im Jahre 1981 in den Aufsichtsräten von 18 der 25 größten Industrieunternehmen vertreten, davon in sechs Fällen mit Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Dresdner Bank brachte es immerhin auf 12 und die Commerzbank auf sieben Sitze in denselben Unternehmen.
Über ihren umfangreichen Beteiligungsbesitz üben die Großbanken direkten Einfluß auf die Geschäftspolitik der führenden bundesdeutschen Unternehmen in Industrie, Handel und im Dienstleistungssektor aus. So hat die bereits erwähnte Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik" festgestellt, daß die drei eben genannten Großbanken 1981 an 32 Unternehmen aus dem Kreis der 200 größten Industrie-, der 50 größten Handels- und der 20 größten Dienstleistungsunternehmen beteiligt waren. Die gesetzlichen Regelungen zum Depotstimmrecht ermöglichen den Geschäftsbanken zusätzlich eine enorme Machtausweitung.
In der Bundesrepublik befindet sich, von Schwankungen abgesehen, rund die Hälfte aller inländischen Aktien in den Depots der Banken. Zusammen mit ihren Eigenbeständen werden dadurch beinahe 60 % des Aktienkapitals von den Banken vertreten.
Das sind die Tatsachen, meine Damen und Herren, über die gesamtwirtschaftliche und damit auch — wie wir alle wissen und in den letzten Monaten immer wieder feststellen konnten — die politische Macht der Banken. Aber mit keinem Wort geht die vor uns liegende Novelle auf diese Tatbestände ein.
Wir GRÜNEN lehnen die vorliegende Novelle zum Kreditwesengesetz aus grundsätzlichen Erwägungen entschieden ab. Die kosmetischen Änderungen dieses Entwurfs, z. B. bei der bankenaufsichtlichen Konsolidierung von Mutter- und Tochterinstituten sowie beim Kreditnehmerbegriff, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wesentlichen Fragen der staatlichen Kontrolle des Bankensektors ohne Ausnahme ausgeklammert worden sind. Dies entspricht — wer hätte es anders erwartet? — dem Staatsverständnis der regierungstragenden Parteien, die einen Nachtwächterstaat wollen.
Die kritische Auseinandersetzung mit wirtschaftlicher Macht ist ein Tabu. — Da lacht zwar der Herr Stoltenberg, aber zur kritischen Auseinandersetzung mit wirtschaftlicher Macht hätte ich von Ihnen auch gern einmal ein Wort gehört. — Regulierungsbedarf besteht nicht, denn eine politische Kontrolle und Steuerung der Machtausübung scheut diese Bundesregierung wie der Teufel das Weihwasser.
Meine Fraktion, DIE GRÜNEN, hat bei der Anhörung des Finanzausschusses eine Reihe von Fragen zur Machtzusammenballung im Bankensektor an die Sachverständigen gestellt. Übereinstimmender Tenor der Stellungnahmen von Wirtschafts- und Bankenverbänden, aber auch von der Deutschen Bundesbank war, daß es hier doch gar keine Probleme gebe. So antwortete der Bundesverband der Deutschen Banken z. B. — ich zitiere —:
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Krizsan
Eine „Machtzusammenballung" — dieses Wort sogar in Anführungszeichen, als ob es sich hier um das Phantasieprodukt einiger Uninformierter handelt — im Bankensektor liegt nicht vor.
Ganz anders dagegen der Deutsche Gewerkschaftsbund. Er beklagt, daß der vorliegende Entwurf ein Torso sei, weil wichtige bankpolitische Fragen zur Macht der Banken ausgeklammert blieben. Wir GRÜNEN haben es sehr bedauert, daß der DGB nur eine kurze schriftliche Stellungnahme abgegeben hat, aber kein Vertreter zur Anhörung des Finanzausschusses geschickt wurde, wo genau diese Fragen von den etablierten Parteien abgebügelt wurden.
Damit komme ich zur Rolle der SPD.
Wir begrüßen die späte Initiative der SPD, die Vorschläge der Bankenstrukturkommission jetzt nachträglich in die Debatte zu bringen. Warum aber hat die SPD, so frage ich mich und auch die anwesenden Herren, diese Punkte nicht in ihrem Fragenkatalog zur Anhörung aufgegriffen? Warum hat die SPD — zusammen mit der CDU/CSU und der FDP — bei der Anhörung gegen den Antrag der GRÜNEN gestimmt, daß sich der Finanzausschuß zunächst ausführlich mit den Lücken und Versäumnissen der Novelle, vor allem in bezug auf die Machtzusammenballung, beschäftigt? Das können Sie, meine Damen und Herren, im Protokoll der Anhörung alles im einzelnen nachlesen. Insgesamt sehen wir GRÜNEN in den Vorschlägen der SPD einen Schritt in die richtige Richtung,
der aber bei weitem nicht ausreicht, um die angesprochenen Probleme in ihrem Kern anzugehen.
Jetzt zur Eigenkapitalregelung: Die GRÜNEN haben in den Beratungen des Finanzausschusses einen Änderungsantrag eingebracht, der eine Gleichstellung der Sparkassen mit den Genossenschaftsbanken durch einen Haftungszuschlag von 25% vorsieht. Dabei haben wir aber — im Gegensatz zur SPD — keine generelle Anrechnung nachrangiger Verbindlichkeiten und der Einlagen stiller Gesellschafter ohne Verlustteilnahme für den gesamten Kreditsektor vorgesehen. Denn wir wollen nicht, wie die SPD das offenbar anstrebt, allen Bankengruppen eine generelle Ausweitung ihrer Eigenkapitalbasis zugestehen, sondern wir wollen ganz gezielt den öffentlich-rechtlichen Sektor stärken. Die Sparkassen haben im bundesdeutschen Kreditgewerbe einen ganz besonderen Platz und einen ganz besonderen Auftrag. Diese in die kommunale Verantwortung eingebundenen Kreditinstitute bieten die Chance einer Geschäftspolitik nach sozialen und ökologischen Kriterien, wobei nicht das Gewinnstreben an erster Stelle steht, sondern lokale Bedürfnisse und Gegebenheiten ernstgenommen werden.
Wir GRÜNEN lehnen deshalb die Anerkennung des Genußrechtskapitals bis zur Höhe von 25% des Eigenkapitals für alle Kreditinstitute entschieden ab. Dies ist eindeutig und unmißverständlich der Einstieg in die Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, wie das auch Oberbürgermeister Rommel aus Stuttgart in der Anhörung deutlich kundgetan hat.
Die Einführung des Genußrechtskapitals erhöht außerdem noch den Druck zur Gewinnerzielung auf die Sparkassen, die damit immer mehr von ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag entfernt werden.
Schritt für Schritt soll der Handlungsspielraum der Sparkassen eingeschränkt werden, bis ihnen schließlich der Atem ganz abgeschnürt werden kann.
Das ist die Realität der Politik dieser Bundesregierung gegenüber den Kommunen — allen wohlfeilen Beteuerungen zum Trotz.
Die GRÜNEN treten demgegenüber dafür ein, die Kompetenzen der kommunalen Gebietskörperschaften zu stärken. Dazu zählen unverzichtbar die Sicherung und Verbesserung der Existenzbedingungen für die Sparkassen. Allerdings erwarten wir GRÜNEN dann auch, daß die Sparkassen ihre öffentlich-rechtliche Rolle uneingeschränkt wahrnehmen und im Interesse der Öffentlichkeit und ihrer eigenen Beschäftigten als Marktführer in Erscheinung treten. Das fängt bei Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit und der Bereitstellung von genügend Ausbildungsplätzen an und umfaßt die vorurteilslose und risikobereite Kreditversorgung für alternative und ökologische Betriebe und Projekte.
Grundsätzlich erwarten wir von den Sparkassen, daß sie sich in ihrer Kreditvergabe von sozialen und ökologischen Kriterien leiten lassen und keine Finanzmittel für Vorhaben zur Verfügung stellen, die zur Zerstörung von Umwelt und Natur beitragen.
Die enormen Gewinnspannen der Sparkassen in den letzten Jahren weisen darauf hin, daß hier erhebliche Spielräume für die Erhöhung der Zinsen für kleine Sparguthaben und die Senkung der Kreditkosten für sozial und ökologisch wünschenswerte Finanzierungsanträge vorhanden sind.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich manche der Stellungnahmen der Opposition zur
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Dr. von Wartenberg
KWG-Novelle lese oder vielleicht auch einige der Briefe heranziehe, die wir alle noch in den letzten Tagen bekommen haben, habe ich manchmal den Eindruck, als ob der Ernst der Lage sowie Sinn und Inhalt dieses Gesetzes nicht begriffen wurden.
Herr Solms hat mit Recht auf den internationalen Aspekt dieses Bemühens um Konsolidierung hingewiesen und dargestellt, daß es eben das Gebot der Stunde ist, den Eigenkapitalbegriff zu stärken, anstatt ihn durch die Anerkennung von Eigenkapitalsurrogaten zu verwässern. Der Gesetzgeber hätte seine Aufgabe einfach nicht erfüllt, wenn er diesen Wünschen nachgegeben hätte.
Ich glaube auch, meine Damen und Herren, daß den Sparkassen ein schlechter Dienst erwiesen worden wäre. Es hätte j a heißen können: Die Sparkassen benötigen im Wettbewerb eine Eigenkapitalhilfe, um bestehen zu können, so wie dies ursprünglich im Jahre 1934 für die Genossenschaften gegolten hat.
Ich glaube ferner, daß das internationale Ansehen der deutschen Kreditwirtschaft nicht gerade rühmlich unterstrichen worden wäre. Im Ausland wäre die massive Erhöhung der Kreditobergrenzen mit Sicherheit als Hilfestellung für die vielleicht im Auslandsengagement leidende deutsche Kreditwirtschaft diskutiert worden. In einer Zeit, da die amerikanische Bankenaufsicht einzelne Institute zur Heraufsetzung ihres echten Eigenkapitals zwingt, hätten wir mit einem Federstrich Kunsteigenkapital geschaffen. Immerhin hätte ein 20 %iger Haftsummenzuschlag eine Heraufsetzung der Kreditobergrenze nach dem Grundsatz I vom 18fachen auf das 22fache bedeutet. Ohne daß auch nur ein Pfennig gezahlt worden wäre, wäre Kapital geschaffen worden.
In meinen Augen benötigen die Sparkassen Gott sei Dank auch keine Eigenkapitalkrücke. Ihre Ertragslage ist befriedigend;
dies auch dank der in vielen Gemeinden vernünftig betriebenen Kommunalpolitik und der Ausstattung und Hilfe für ihre eigenen Kreditinstitute.
Die neu geschaffene Möglichkeit, Genußrechte auszugeben, ermöglicht ihnen zusammen mit stillen Einlagen der Sparkassenförderungsgesellschaften die wünschenswerte Verbreiterung ihrer Eigenkapitalbasis. Die vielen Sparkassen, die den Grundsatz I nicht ausnutzen, können Genußrechte an jene geben, die bereits an die Grenze gestoßen sind. Hier liegen die Chance und die Aufgabe für die Sparkassenorganisation, ein Eigenkapital-Clearingsystem aufzubauen.
Wer angesichts der letzten Briefe, die er bekommen hat, meint, daß das gesamte Lager so festgefügt und im Eifer des Gefechts vielleicht auch etwas emotional gegen den Vorschlag ist, der verkennt, daß auch in der Sparkassenorganisation durchaus unterschiedliche Argumente vorgebracht werden.
Ich darf zitieren, was der Präsident des niedersächsischen Sparkassenverbandes gestern auf der zuständigen Verbandsveranstaltung in Hannover ausgeführt hat:
Die Nichtanerkennung des Haftungszuschlags für die Sparkassen ist bedauernswert. Die Zulassung von Genußscheinkapital als Ausgleich dafür ist jedoch unter den gegebenen Umständen eine Konstruktion, mit der unsere größten Probleme gelöst werden können.
Er führt weiter aus:
Denn da die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute bisher die einzige Gruppe in der Kreditwirtschaft sind, die — von der Ausstattung durch den Gewährträger abgesehen — kein Eigenkapital im Sinne des KWG einwerben können, sind sie allein aus dieser Tatsache die Hauptnutznießer dieser Neuregelung.
Auch das ist eine Stellungnahme einer wesentlichen Persönlichkeit der Sparkassenorganisation.
Das Genußrechtskapital, das nun eingeführt wurde, ist kein Surrogat, sondern erfüllt alle Voraussetzungen, die an bankaufsichtlich anerkanntes Eigenkapital zu stellen sind, so wie sie auch von der Studienkommission selbst erarbeitet wurden. Es ist tatsächlich eingezahlt, nimmt bis zur vollen Höhe am Verlust teil, ist erst nach Befriedigung aller anderen Gläubiger zurückzuzahlen und steht dauerhaft zur Verfügung.
Das Genußrechtskapital ist wettbewerbsneutral, indem es alle Institutsgruppen unabhängig von ihrer Rechtsform aufnehmen können. Es gewährt nur schuldrechtliche Ansprüche, hingegen keine Mitwirkungsrechte. Es greift somit auch nicht in bewährte öffentlich-rechtliche oder genossenschaftliche Strukturen ein. Die Befürchtung insbesondere der kommunalen Spitzenverbände ist also aus der Luft gegriffen.
Das Genußrechtskapital ist kapitalmarktpolitisch unbedenklich. Es ist eben wegen der fehlenden Mitwirkungsrechte, wegen der fehlenden Bezugsrechte keine Konkurrenz zur Aktie. Die Deutsche Bundesbank hat das in ihrer Stellungnahme zur KWG-Novelle ausdrücklich bestätigt.
Die Zulassung dieses Genußrechtskapitals über den Regierungsentwurf hinaus ist ein großer Erfolg meiner Fraktion, weil damit allen Institutsgruppen eine Verbreiterung ihrer Eigenkapitalbasis in ordnungspolitisch und bankaufsichtlich völlig unbedenklicher Weise ermöglicht wird. Kein Institut wird also gezwungen sein, in Anpassung an die verschärften Vorschriften der KWG-Novelle seine Kredite zurückzuführen. Während der Übergangszeit, die ja von fünf auf sechs Jahre verlängert wurde, kann nötigenfalls durch die Ausgabe von Genuß-rechtskapital das Eigenkapital aufgestockt werden. Deshalb werden wir den Antrag von der SPD ablehnen.
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Dr. von Wartenberg
Wir lehnen aber auch Ihren Entschließungsantrag ab, der einen Aufschluß gibt über die Ansicht der SPD zur Rolle der staatlichen Aufsicht über Wirtschaftsunternehmen. Mit Ihrem Entschließungsantrag erweisen Sie der gesamten deutschen Kreditwirtschaft einen schlechten Dienst.
Unbestreitbar gibt es weite Felder, die regelungsfähig sind. Wir legen aber einen anderen Maßstab an. Nur was der Gesetzgeber unbedingt regeln muß, soll Gesetz werden. Wir glauben nicht daran, daß möglichst viele Regelungen schon einen Wert in sich haben. Wir wollen nur Rahmenbedingungen setzen und, wenn nötig, bei erkannten Mißbräuchen rasch und entschieden Abhilfe schaffen,
nicht aber schon im voraus jedermann schlechte Absicht unterstellen oder mit unserer Gesetzgebung gewissen Gefühlen des Unbehagens in Teilen der öffentlichen Meinung Rechnung tragen. Um es ganz klar zu sagen — auch an Herrn Krizsan —: Wenn es bei vagen Verdachtsäußerungen bleibt, wenn die Macht der Banken nur nebulös beschworen wird, werden wir der Bundesregierung abraten, tätig zu werden. Über die Macht der Banken — es handelt sich um rund 4 500 selbständige Institute — kann man trefflich spekulieren.
Wir werden diesen Antrag ablehnen,
weil wir es nicht als sinnvoll erachten, mit der Ankündigung eines neuen Gesetzes die nun unbedingt notwendige Ruhe, die wir im deutschen Kreditwesen benötigen, wieder abzuschaffen. Die deutsche Kreditwirtschaft braucht verläßliche, auf Dauer angelegte Rahmenbedingungen. Diese haben wir mit der vorliegenden KWG-Novelle geschaffen. Deshalb halten wir den Entschließungsantrag der SPD für schädlich.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend, Sie aufzufordern, diesem Gesetz zuzustimmen. Aber erlauben Sie mir auch, eine persönliche Anmerkung zu machen. Ich bin seit acht Jahren Abgeordneter und habe noch niemals ein Gesetzeswerk erlebt, welches so intensiv — über zwei Legislaturperioden hinweg — beraten wurde. Insoweit möchte ich nicht nur denen danken, die vom Ministerium ihren Sachverstand zur Verfügung gestellt haben, um über diese beiden Legislaturperioden hinweg unterschiedliche Bundesregierungen zu beraten, sondern ich möchte mich auch bei denen bedanken, die von seiten der Verbände ihre Arbeit positiv dargestellt haben und jederzeit unseren Kollegen zu einer Sachauskunft zur Verfügung standen. Bei einer derartig schwierigen Gesetzesmaterie zeigt sich, daß es sinnvoll ist, Gesprächspartner auf allen Seiten zu haben.
Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimme n.
Das Wort hat der Abgeordnete Schlatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst ein Wort an den Kollegen Solms von der FDP richten. Herr Solms, ich schätze ja die klare und präzise Art, wie Sie Standpunkte — Ihre eigenen und die der FDP — vortragen. Aber in dem Zusammenhang, den Sie heute ausgewählt haben, um Ihren Standpunkt klarzumachen, sehe ich einmal mehr einen Beleg dafür, daß Sie zum kommunal verfaßten Sparkassenwesen aber auch überhaupt keine Beziehung haben.
Es ist in den Beratungen über die KWG-Novelle deutlich geworden, daß es Ihnen an Kenntnis oder Einsichtsfähigkeit mangelt, wenn es um die Anliegen der Kommunen und des Sparkassenwesens geht. Ich muß Ihnen mit auf den Weg geben, daß nicht die hohe Bonner Warte, sondern die Kommunalpolitik, um die es hier auch geht, der Ernstfall der Bürgernähe ist. Daß Sie das in der FDP nicht sehen oder nicht aufgreifen, belegt einmal mehr, daß Ihnen die Erfahrungen einer Volkspartei fehlen, meine Damen und Herren.
Bevor ich auf die kommunalrechtlichen und kommunalwirtschaftlichen Aspekte der KWG-Novelle zurückkomme, will ich zunächst einmal folgendes festhalten. Der uns heute vorliegende Vorschlag zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen ist leider nur eine Teilantwort auf die Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft. Ich bedaure das sehr. Denn es hätte bei aller Eilbedürftigkeit zur Einführung eines bankenaufsichtlichen Konsolidierungsverfahrens Zeit genug gegeben, auch andere drängende strukturpolitische Fragen zu lösen, Fragen, zu denen eine eingesetzte Studienkommission bereits 1979 einen Bericht mit wichtigen Vorschlägen zur Begrenzung des Einflußbereiches der Banken vorgelegt hat. Insofern sind die Vorschläge, die wir als SPD-Fraktion dazu zu machen haben, Vorschläge, die schon seit langem dem Parlament und der Bundesregierung vorliegen und bis heute nicht aufgegriffen worden sind.
Ich will in diesem Zusammenhang eine Bemerkung an den Kollegen Krizsan richten. Sie haben die SPD-Fraktion kritisiert, daß sie nicht rechtzeitig deutlich genug gemacht hat, daß sie auch diesen Teil, der bei der Lösung der Bankenproblematik wichtig ist, aufgegriffen hat. Herr Krizsan, ich stelle dazu fest: Sie haben zwar zu diesen Fragen hier und da geredet, wie die GRÜNEN j a überhaupt gerne über Probleme reden. Aber die SPD hat zu diesen Fragen Lösungen vorgeschlagen und Anträge vorbereitet, über die Sie heute mit abstimmen können. Insofern muß ich Ihre Kritik in diesem Punkt zurückweisen.
Bei den Kreditinstituten, zu denen wir Lösungsvorschläge einbringen, z. B. zu der Frage, wie Einflußmöglichkeiten der Banken begrenzt werden
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Schlatter
können, haben wir das Problem, daß verschiedene Einflußmöglichkeiten kumulieren und daß jede einzelne dieser Einflußmöglichkeiten an sich schon ein Faktor ist, der erheblichen Einfluß gewährleistet. Ich nenne z. B. den Einfluß aus Kreditbeziehungen auf Unternehmen, den Einfluß aus Anteilsbesitz, aus Vollmachtsstimmrechten, aus der Ausübung von Aufsichtsratsmandaten durch Bankenvertreter. In dem Entwurf zur Änderung des Kreditwesengesetzes aus dem Jahre 1981, der er noch von der sozialliberalen Bundesregierung zu verantworten war, ist ein umfangreicher Änderungskatalog vorgeschlagen worden. In dem heute vorliegenden Entwurf wird nicht einmal mehr das Problem angesprochen, geschweige denn werden Vorschläge unterbreitet, wie die Probleme in den Griff genommen werden können. Ich will nicht behaupten — das auch ein Wort an den Kollegen von Wartenberg —, daß es im Bankenbereich einen systematischen Einflußmißbrauch gibt. Trotzdem ist eine Begrenzung der Einflüsse, über die ich gesprochen habe, ordnungspolitisch unverzichtbar. Die Ausklammerung der strukturpolitischen Anregungen der sogenannten Geßler-Kommission bei der Vorlage, die uns heute beschäftigt, bestätigt den Verdacht, daß bei der Regierungsmehrheit der politische Wille zur Neuregelung der ordnungspolitischen Fragen fehlt.
Die SPD-Fraktion wird hier für Klarheit sorgen. Sie fordert in einem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, sich zu den Vorschlägen der Bankenstrukturkommission zu erklären. Wir fragen: Wie hält die Bundesregierung es mit der Beschränkung des Anteilsbesitzes von Banken an Nichtbanken? Hier will ich doch einmal daran erinnern, daß im Gegensatz zu der Behauptung des Sprechers der CDU-Fraktion dieses Thema doch auch schon in den Äußerungen des früheren Bundeswirtschaftsministers Graf Lambsdorff eine Rolle gespielt hat, der sogar gemeint hat, ordnungspolitisch sei es geboten, den Anteilsbesitz an Nichtbanken, wenn ich mich richtig erinnere, sogar auf 10 % zu senken. Dies nun uns, der SPD-Fraktion, als einen Angriff auf Marktwirtschaft auszulegen, dazu bedarf es schon sehr viel Verdrängungspotential, muß ich feststellen. Das muß ich zurückweisen.
Wir fordern in unserem Entschließungsantrag die Reform des Vollmachtstimmrechts und die Verbesserung der Publizitätsvorschriften. Wir fordern in Änderungsanträgen zusätzlich eine Begrenzung der Zahl von Aufsichtsratssitzen, die von einer Person wahrgenommen werden, die Stärkung der Befugnisse des Aufsichtsrates, eine Einschränkung des Vollmachtstimmrechts und eine verbesserte Publizität, um mehr Transparenz in den Bankenunternehmensbereich hineinzubekommen. Ich akzeptiere die Kritik — wenn sie dann dennoch laut wird — an unseren Vorschlägen, diese unsere dringlichsten Forderungen lösten die Einflußproblematik noch nicht. Sie weisen aber die Richtung, in die sich die Bemühungen des Gesetzgebers weiterentwikkeln sollten.
Jetzt spreche ich Sie an, Herr Stoltenberg. — Der Bundesfinanzminister meinte kürzlich vor dem Finanzausschuß, er halte seine Vorlage für eine der wichtigsten in dieser Legislaturperiode, obwohl nur ein begrenzter Teil der Öffentlichkeit von der Diskussion um die KWG-Novelle Notiz nimmt. Ich will diesem Selbstlob — falls es so gemeint war, Herr Bundesfinanzminister — nur entgegenhalten, daß es bereits zwei Entwürfe für eine dritte KWG-Novelle vor der jetzigen Bundestagsdrucksache gegeben hat. Neben dem Referentenentwurf aus dem Jahre 1981 will ich vor allem auf die Bundesrats-Initiative vom Februar 1982 verweisen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie einen Augenblick. — Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Platz zu nehmen.
Diese Bundesrats-Initiative ist von Dr. Stoltenberg, der damals allerdings noch Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein war, mitgetragen worden. Sie zeichnete sich gegenüber der heute von dem gleichen Dr. Stoltenberg als Bundesfinanzminister vertretenen Auffassung vor allem dadurch aus, daß den Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Sparkassenwesens damals Rechnung getragen wurde. Heute plagt den Bundesminister der Finanzen mehr die Sorge, ob das neue Gesetz den privaten Banken nicht zuviel zumute. Diese Kehrtwendung nach nur zwei Jahren ist schon eine beachtliche Leistung, Herr Dr. Stoltenberg. Die nachgelieferte Begründung, daß sich das Betriebsergebnis und die Eigenkapitalausstattung der Sparkassen in dieser Zeit deutlich verbessert habe, ist zu dünn, um zu überzeugen, und sie ist zu dünn, als daß wir sie für Ihren Meinungswechsel akzeptieren könnten.
Meine Damen und Herren, immerhin sind die Bundesländer bis zum heutigen Tage fast einstimmig bei ihrer Auffassung geblieben, daß die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute und vor allem der Sparkassen erhalten bleiben muß.
Droht den Sparkassen Gefahr? — Das ist die Frage, die hier in die Debatte eingeführt worden ist. Dazu will ich zunächst feststellen, daß es eine Vorzugsstellung der Kreditgenossenschaften im Wettbewerb gibt, die für diese Institute auch nach der angekündigten Zurückführung des Haftsummenzuschlages auf am Ende 25% des Eigenkapitals noch beachtlich bleibt. Ich mache allerdings nicht mit, was manche hier allzu gerne als Spiel betreiben: Ich spiele hier Kreditgenossenschaften und Sparkassen nicht gegeneinander aus. Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder, sondern es geht um die Frage, welche Institute in welchem Umfange eine Einengung ihres Kreditvolumens hinnehmen müssen. Da bin ich wieder bei der Behauptung des Bundesfinanzministers, daß insbesondere dem privaten Sektor erhebliche Anpassungen abverlangt würden. Richtig ist, daß die Sparkassen natürlich nicht von den geplanten Konsolidierungsvorschriften betroffen sind, wie sie ja auch bis heute nicht von der praktizierten Doppelbelegung des Eigenkapitals profitiert haben. Umgehungsmöglichkeiten bei der Doppelbelegung von Eigenkapital bleiben
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für die betroffenen Institute auch nach der Konsolidierungspflicht in erheblichem Umfang erhalten. Die Konsolidierungsschwelle ist bei 40% Beteiligungsbesitz angesiedelt und läßt noch erheblichen Spielraum.
Deshalb stelle ich als Ergebnis der von der Regierungskoalition und von der Bundesregierung vorgeschlagenen Novellierung fest: Der Sparkassensektor ist der einzige Kreditbereich, auf den in der Tat die Begrenzung des Kreditvolumens auf das 18fache des haftenden Eigenkapitals angewendet werden soll. Der Sparkassensektor ist der einzige Bereich, der an diese Grenze gebunden bleibt.
Dieses Ergebnis ist nicht wettbewerbsneutral. Es dokumentiert die Ferne der Regierungskoalition und insbesondere die Ferne des Bundesfinanzministers zum kommunal verfaßten Sparkassenwesen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter, ich will für Ruhe sorgen. — Meine Damen und Herren, ich darf bitten, Platz zu nehmen. Der Redner ist nicht zu verstehen. Auch die Damen und Herren in den Ecken darf ich bitten, Platz zu nehmen.
Ich wiederhole: Durch diese Regelung wird die Ferne der Regierungsfraktionen und des Bundesfinanzministers zum kommunal verfaßten Sparkassenwesen dokumentiert.
Ich füge hinzu: Es gibt bei dieser Lösung auch noch erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Aber wir haben ja in diesem Parlament gelernt, daß die Regierungskoalition und der Bundesfinanzminister solche Risiken nicht scheuen. Ich bitte darum, das aufmerksam zu registrieren, damit Sie in ein oder zwei Jahren, wenn das Bundesverfassungsgericht Ihre Lösung verwirft, nicht wieder geltend machen, Sie seien nicht ausreichend gewarnt worden. Die Opposition hat die Verfassungsrisiken heute angesprochen.
Meine Damen und Herren, der heutige Streit um den Sparkassensektor hat eine Vorgeschichte, an die ich erinnern möchte. Durch das Subventionsabbaugesetz 1981 wurde die Steuerbelastung der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute weiter angehoben. Die Folge ist — weil die Sparkassen darauf angewiesen sind, sich Eigenkapital aus versteuerten Gewinnen selbst zu erwirtschaften —, daß sich die Wettbewerbsposition der Sparkassen verschlechtert hat. Als wir das Subventionsabbaugesetz verabschiedet haben, bestand zumindest bei den großen Fraktionen dieses Hauses — ich erinnere Sie bei dieser Gelegenheit daran — und im Bundesrat die erklärte Absicht, durch die Anerkennung eines Haftungszuschlags für einen Ausgleich zu sorgen.
Meine Damen und Herren, es gibt also im Gegensatz zu den Beteuerungen der Redner der Regierungsfraktionen Probleme, und es gibt einen Regelungsbedarf. Aber der Bundesfinanzminister und mit ihm die Regierungsfraktionen verschließen vor diesem Regelungsbedarf die Augen.
Ich will Ihnen hier nicht die Notlage der Sparkassenorganisationen vor Augen führen. Darum geht es mir nicht. Ich glaube, das wäre auch ein überzeichnetes Bild. Aber ich will Ihnen deutlich machen, falls Sie überhaupt bereit sind, dies hier und jetzt zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie mit den Sparkassen eine öffentlich-rechtliche Einrichtung diskriminieren, die zum Kernbestand der gemeindlichen Selbstverwaltung zählt, meine Damen und Herren.
Denn den Sparkassen ist eine besondere Zielbestimmung gegeben, die sie von allen anderen Kreditinstituten grundsätzlich unterscheidet. Ich bitte nun mindestens die Kommunalpolitiker bei Ihnen, in diesem Punkt einmal zuzuhören. Vielleicht können Sie noch etwas lernen.
Die Sparkassengesetze der Länder besagen nämlich sehr eindeutig, die Sparkassen sollen sich nicht vornehmlich an Gewinninteressen ausrichten. Insbesondere in der Fläche unseres Landes sollen sie die kreditwirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung sowie ihrer Gewährträger sicherstellen. In der Sparkasse steckt deshalb auch immer ein Stück Daseinsfürsorge. Denn eine Sparkasse muß auch an solchen Orten präsent sein, die für andere Kreditinstitute nicht lohnend sind.
Meine Damen und Herren, dieser kommunalwirtschaftliche und kommunalrechtliche Aspekt wird von der Bundesregierung völlig ignoriert. Die Klage der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, daß die Sparkassen drauf und dran sind, ihre Funktionsfähigkeit als Instrument kommunaler Selbstverwaltung zu verlieren, wird von Ihnen einfach nicht zur Kenntnis genommen. Der Bundesminister der Finanzen weigert sich, einen spezifisch öffentlichen Auftrag der Sparkassen in der KWGNovelle zu honorieren. Die Regierungsfraktionen sind drauf und dran, die Landesgesetze zum Sparkassenwesen durch die Gesetzgebung des Bundes zur Makulatur werden zu lassen. Meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit.
Wann endlich tragen Sie den Appellen, die an Sie gerichtet worden sind, Rechnung? Muß denn der Appell der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände ungehört bei Ihnen verhallen,
die einmütig und eindringlich für die kommunalen Sparkassen einen Haftungszuschlag gefordert haben und sich ebenso eindeutig gegen das Genußrechtskapital als Ersatzlösung ausgesprochen haben?
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Schlatter
Ich will Ihnen sagen, daß all das, zusammenfassend von mir bewertet, den Eindruck bestätigt und den Schluß zuläßt, daß das, was Sie hier heute verabschieden wollen, die Einengung des öffentlich-rechtlichen Kreditsektors zugunsten des privaten Bankbereichs anstrebt, meine Damen und Herren.
Auf diesem Wege wird Ihnen die SPD-Bundestagsfraktion nicht folgen. Wir stehen zu unserem Wort und zu unserer Ankündigung, durch Anerkennung eines Haftungszuschlags den Sparkassen ihre Wettbewerbsposition zu sichern und einer Lockerung der kommunalen Bindung von Sparkassen und ihren Gewährträgern entgegenzuwirken. Wir sagen nein zur Entkommunalisierung des Sparkassenwesens.
Wir beantragen heute eine namentliche Abstimmung und appellieren an jeden einzelnen Abgeordneten,
sich den Kommunen verbunden zu fühlen und damit Systemveränderungen im Kreditwesen zu Lasten des öffentlich-rechtlichen Bereiches ein entschiedenes Nein entgegenzusetzen.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie doch noch einmal bitten, Platz zu nehmen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Überzeugung bekräftigen, daß wir heute über eines der wichtigsten Gesetze dieser Wahlperiode abstimmen. Deshalb will ich trotz der bedrängten Zeitsituation des Hohen Hauses in einigen Minuten noch zu der soeben geführten Diskussion Stellung nehmen. Ich möchte vor allem die Gegensätze in der Sache unter dem Eindruck der Reden der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion noch einmal deutlich machen:
Wir haben uns entschieden, die Novellierung des Kreditwesengesetzes auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren. Das ist die Aufgabe der Konsolidierung und bestimmter Verbesserungen in der Bankenaufsicht. Wenn wir die Fülle der anderen Themen aufgegriffen hätten, auf die unsere sozialdemokratischen Kollegen heute erneut hingewiesen haben, wäre es ausgeschlossen gewesen, in einer Zeit von etwa 18 Monaten von einem Vorentwurf bis zur Abstimmung und Entscheidung im Deutschen Bundestag und noch in diesem Monat im Bundesrat zu kommen. Die Konsolidierung ist das entscheidende Reformziel, und sie ist wichtig. Die anderen aufgeworfenen Fragen können ohne Zeitdruck im Für und Wider weiter geprüft werden.
Das zweite: Ich widerspreche nachdrücklich dem Bild, das vor allem der Kollege Schlatter soeben von den Wirkungen des Gesetzes auf die verschiedenen Bereiche des deutschen Kreditwesens gezeichnet hat, die natürlich miteinander im Wettbewerb stehen. — Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn Sie noch einmal versuchten, mir Gehör zu verschaffen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, bis in die letzten Tage hinein haben wir eine Fülle von Denkschriften und Zuschriften und Interviews gelesen, in denen die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Bereiche des Kreditwesens noch einmal — zum Teil auch kämpferisch — gegeneinandergestellt wurden. Das liegt in der Natur der Sache; denn unsere Kreditwirtschaft muß durch Wettbewerb — ich unterstreiche freilich: durch geregelten und fairen Wettbewerb — bestimmt sein. Man kann aber nicht ernsthaft, wenn man die Tatsachen und Zahlen würdigt, von einer unzuträglichen Benachteiligung eines bedeutenden Bereiches sprechen, auch nicht im Hinblick auf die Sparkassen. Herr Kollege Schlatter, nach den Feststellungen der Deutschen Bundesbank nehmen die Sparkassen bei einem Ende 1983 erzielten Jahresüberschuß vor Steuern von 1,22 % ihres Geschäftsvolumens den absoluten Spitzenplatz innerhalb aller Gruppen des Kreditgewerbes ein, gefolgt von den Kreditgenossenschaften auf Platz 2 mit einem Jahresüberschuß von 1,05 % des Geschäftsvolumens. Dieser Geschäftserfolg hebt sich um so eindrucksvoller ab, wenn ich hinzufüge, daß im Durchschnitt aller Bereiche des Kreditgewerbes der Jahresüberschuß nur 0,69 % des Geschäftsvolumens betrug.
Ebenso erfreulich ist ihre Eigenkapitalausstattung in den letzten Jahren angestiegen — wir begrüßen das alle miteinander —, und zwar auch nach dem von Ihnen durchgesetzten sogenannten Subventionsabbau für das öffentliche Kreditgewerbe, der damals zu erheblichen Befürchtungen und zu den erwähnten Stellungnahmen im Bundesrat und im Deutschen Bundestag Anlaß gab. Freuen wir uns doch miteinander, daß die pessimistischen Prognosen nicht in Erfüllung gegangen sind,
sondern daß wir hier über einen in seinen verschiedenen Bereichen insgesamt blühenden Wirtschaftszweig sprechen, für den wir uns um eine ordnungspolitisch vernünftige und sachgerechte Regelung bemühen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Auch wenn es auf meine Redezeit angerechnet
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
wird, möchte ich meinem Vorredner gerne eine Zwischenfrage ermöglichen.
Herr Dr. Stoltenberg, da Sie darauf abheben, daß sich das haftende Eigenkapital bei den Sparkassen erfreulich entwickelt hat: Sind Sie dennoch bereit, mir zu bestätigen, daß dieses haftende Eigenkapital bei den Sparkassen, verglichen mit anderen Kreditinstitutgruppen, z. B. den privaten Kreditbanken und den Kreditgenossenschaften, immer noch am unteren Ende liegt und daß die Sparkassen im Verhältnis zum Vomhundertsatz des Geschäftsvolumens weit schlechter gestellt sind?
Das kann ich nicht generell für den Privatbankensektor bestätigen. Jene Banken, die im Ausland die gewaltigen Kreditpyramiden von über 70 Milliarden ohne unterlegtes Eigenkapital aufgebaut haben, stehen weithin ungünstiger da.
Als Drittes möchte ich Ihnen sagen, Herr Kollege Schlatter: Der Marktanteil der Sparkassen ist als gutbehauptet zu bezeichnen. Deshalb sind die Bilder eines drohenden Unterganges oder eines Verlustes an Substanz ohne jede Realität in den Zahlen.
Der Bereich, der in den letzten zehn, fünfzehn Jahren Marktanteile gewonnen hat, ist der Bereich der Volksbanken und der Genossenschaftseinrichtungen. Von daher begründet sich auch die jetzt vorgesehene Neuregelung.
Es ist konsequent, wenn wir den Privatbanken endlich — nach meiner persönlich Meinung zu spät — die notwendigen strengen Maßstäbe für Konsolidierung auferlegen. Wenn wir den Eigenkapitalbegriff nach klassischem Verständnis durchsetzen, dann ist es logisch, zu einer Einschränkung des Haftsummenzuschlages zu kommen und nicht zu einem Aufbau oder einer Schaffung anderer Eigenkapitalsurrogate. Das ist der innere Sinnzusammenhang dieser Vorlage.
Ich will hinzufügen, was ich im Finanzausschuß zu Protokoll gegeben habe: Ich beabsichtige, unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag und Bundesrat — also nach heutiger Einschätzung noch in diesem Jahr — die Verordnungsermächtigung an den Bundesminister der Finanzen, die auch meine Vorgänger schon hatten, für den schrittweisen Abbau des Haftsummenzuschlages auf die Hälfte sofort zu nutzen und mit einer angemessenen Übergangsfrist voll auszuschöpfen. Das — was ich ebenfalls auf diesem Wege für nötig halte — ist Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen auch für Sparkassen und für die anderen. Die härteste Anpassungspflicht — lassen Sie mich das aber auch, vollkommen abweichend von Ihrer Bewertung, Herr Kollege, noch einmal sagen — legen wir mit diesem Gesetz den Privatbanken und einigen Landesbanken auf. Denn sie müssen die aufgebauten Kreditpyramiden von über 70 Milliarden DM nach einer Übergangsfrist — auch bei ihren Auslandstöchtern — voll mit haftendem Eigenkapital unterlegen. Das bedeutet: In wenigen Jahren müssen sie aus versteuerten Gewinnen fast 4 Milliarden DM Kapital bilden ohne jede Möglichkeit, in Verbindung damit eine Geschäftsausweitung vorzunehmen. Dies — das ist der einzige Satz, den ich Ihnen sagen möchte, Herr Krizsan — als eine „kosmetische Operation" zu bezeichnen, ist schon witzig, um das nicht noch deutlicher zu bewerten.
Es ist nach meiner Einschätzung seit langem der härteste Eingriff, den der Gesetzgeber einer wichtigen Gruppe der deutschen Wirtschaft zugemutet hat und zumuten muß, weil für alle Kreditgruppen der Vertrauensschutz der Sparer, der Investoren und der Kunden der Banken oberstes Gebot unserer Banken sein muß.
Die zweite, nicht einfache, auch in unseren Diskussionen schwierige Entscheidung ist jetzt, unter anderen Bedingungen auch die Hypothekentöchter der Privatbanken in die Konsolidierung einzubeziehen.
Ich glaube, daß wir damit eine vertrauensbildende und vertrauensfestigende Entscheidung für das deutsche Kreditgewerbe insgesamt treffen. Vertrauensbildung und Vertrauensfestigung sind hier noch wichtiger als in anderen Sektoren unserer Wirtschaft.
Gerade auch die hier kritisch angesprochenen Privatbanken und Landesbanken müssen in Zukunft weiterhin einen entscheidenden Teil der Exportfinanzierung im Interesse unserer Betriebe und Arbeitsplätze leisten, und zwar mit wachsenden Risiken, auch im Hinblick auf die Verschuldungsprobleme der Dritten Welt.
Dieses Gesetz in der Form, in der es der Finanz-und Steuerausschuß des Bundestages, dem ich für seine Arbeit danken möchte, jetzt zur Abstimmung vorgelegt hat, ist wettbewerbspolitisch fair und ordnungspolitisch richtig.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 und 2 auf.
Auf Drucksache 10/2555 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, der mehrere Änderungen umfaßt. Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung, über diesen Änderungsantrag namentlich abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegenstimmt oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —
Ich möchte bekanntgeben, daß im Anschluß an die namentliche Abstimmung noch weitere Abstimmungen stattfinden.
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Vizepräsident Wurbs
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob jemand im Saal ist, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat. — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 407 Mitglieder ihre Stimme abgegeben. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt 165, mit Nein haben gestimmt 241; es gab eine Enthaltung. 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt 10, mit Nein haben gestimmt 11, Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 407 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 165 und 10 Berliner Abgeordnete
nein: 241 und 11 Berliner Abgeordnete
enthalten: 1
Ja
SPD
Amling Antretter
Bachmaier
Bamberg
Becker Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brandt Brück Buckpesch
Büchler
Buschfort
Catenhusen
Collet Conradi Curdt Daubertshäuser
Delorme
Dreßler
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters Fiebig
Fischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)
Frau Fuchs
Frau Fuchs
Gilges Glombig
Grunenberg
Haar
Haehser
Hansen Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff
Heistermann
Herterich
Hettling
Heyenn
Hiller Hoffmann (Saarbrücken) Horn
Huonker Ibrügger
Immer Jahn (Marburg) Jansen
Dr. Jens
Jung Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner
Klein
Klose
Kretkowski
Dr. Kübler Kühbacher
Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart
Frau Dr. Lepsius Lohmann Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner Peter
Pfuhl
Porzner Purps
Rapp Rappe (Hildesheim) Reimann
Reuter
Rohde Sander
Schanz
Schlaga
Schlatter
Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Steiner
Frau Steinhauer Stiegler
Stockleben
Dr. Struck
Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Vogelsang
Vosen
Waltemathe Walther
Weinhofer
Weisskirchen Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
von der Wiesche Wimmer Witek
Dr. de With
Wolfram Würtz
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling
Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Burgmann
Drabiniok
Dr. Ehmke Frau Gottwald
Frau Dr. Hickel Horacek
Hoss
Krizs an
Frau Nickels Frau Potthast Frau Reetz
Sauermilch
Schily
Frau Schoppe Schwenninger Stratmann
Verheyen Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider fraktionslos
Handlos
Voigt
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer
Frau Augustin
Austermann
Bayha
Dr. Becker Berger
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen Borchert Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens Carstensen (Nordstrand) Clemens
Conrad
Dr. Czaja Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer
Dr. Friedmann
Ganz
Frau Geiger
Dr. Geißler
Gerstein Gerster
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Götzer
Günther Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz
Haungs
Hauser
Hauser
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig
Dr. Hennig
Herkenrath
8096 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Vizepräsident Wurbs
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung
Frau Hürland Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung Dr.-Ing. Kansy Keller
Kiechle
Klein
Dr. Köhler Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Link Link (Frankfurt) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth Rühe
Ruf
Sauer
Saurin Sauter Sauter (Ichenhausen) Schartz (Trier) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer
Schmitz Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schulhoff
Dr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg
Strube
Stücklen
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Wittmann Dr. Wörner
Würzbach Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Dr. Hackel Kalisch
Kittelmann Schulze Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Beckmann
Bredehorn
Cronenberg Eimer (Fürth) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Genscher
Grünbeck
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch
Hoff ie
Kleinert Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann
Neuhausen
Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf
Schäfer
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng
Wolfgramm Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
Enthalten
SPD
Dr. Wernitz
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer Art. 1 und 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 3 bis 6 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. Es ist nicht festzustellen, wer wie abstimmt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2556 auf. Es wird beantragt, nach Art. 6 einen neuen Art. 6 a einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Das letzte war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe die Art. 7 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Es ist noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2557 abzustimmen. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache 10/2222 —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8097
Vizepräsident Wurbs
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/2563 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schlottmann
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2567 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Dr. Diederich Verheyen (Bielefeld)
Hierzu liegt auf Drucksache 10/2564 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Sind Sie mit der Regelung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird vom Berichterstatter das Wort gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schlottmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die heutige Änderung des Kindergeldgesetzes wollen wir arbeitslosen Jugendlichen wieder — —
Herr Abgeordneter, einen Augenblick. — Ich darf doch bitten, Platz zu nehmen. — Bitte, fahren Sie fort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch die heutige Änderung des Kindergeldgesetzes wollen wir arbeitslosen Jugendlichen wieder ein Kindergeld zahlen, das ihnen durch die unseligen Beschlüsse der alten Regierung entzogen wurde. Das Kindergeld wollen wir auch den Jugendlichen zahlen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben.
Betroffen sind Jugendliche zwischen 18 und 21 Jahren. Einer Heraufsetzung der Altersgrenze auf 23 Jahre, wie die SPD sie beantragt, können wir wegen unserer familienpolitischen Gesamtkonzeption
und ihrer finanziellen Eingrenzung nicht zustimmen.
— Hören Sie gut zu! — Die meisten Jugendlichen über 21 Jahre haben ihre Berufsausbildung bzw. den ersten Ausbildungsabschnitt zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Für junge Männer, meine sehr verehrten Damen und Herren, die ihre Wehrpflicht erfüllten und dadurch auf ihrem beruflichen Weg in der Regel Verzögerungen erleiden
mußten, wird eine entsprechende Überschreitung des 21. Lebensjahres zugelassen.
Diese Gesetzesinitiative ist Bestandteil unserer familienpolitischen Gesamtkonzeption, die ab 1. Januar 1986 voll greifen wird. Die heutige Debatte wird von Meldungen begleitet, meine Damen und Herren, wonach die Entwicklung am Arbeitsmarkt — ich sage das mit großer Freude und Genugtuung — für Jugendliche bedeutend günstiger wird. Im November sank die Zahl der erwerbslosen Jugendlichen weiter und liegt jetzt mit 155 200 um 27 000 oder 15 % unter der Zahl des Vorjahres, ein Erfolg unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik, wie wir meinen. Der gleiche Personenkreis, den die heutige Gesetzesinitiative erfaßt, ist also auch in dem Bereich in einer günstigen Lage.
Man fragt sich immer wieder, wie es der alten Regierung 1981 überhaupt möglich war, die durch Arbeitslosigkeit und Ausbildungsstellenmangel so hart betroffenen Jugendlichen und ihre Familien empfindlich zu benachteiligen. Denn man kürzte damals ohne Beachtung von Einkommensgrenzen, also wie mit dem Rasenmäher, das Kindergeld für das zweite und dritte Kind um monatlich 20 DM und entließ gleichzeitig die arbeitslosen Jugendlichen aus der Familienversicherung der Krankenkassen, was zusammengenommen zu harter Bestrafung der betroffenen Familien führte, insbesondere der Familien mit niedrigem Einkommen und mehreren Kindern. Das hat, wie ich meine, zur Enttäuschung der Jugendlichen durch den Staat beigetragen.
Die SPD-Regierung konnte in der Hauptsache auf Grund ideologischer Mehrheiten — bringen wir uns das einmal in Erinnerung — in ihren Reihen seinerzeit keine familienpolitischen Schwerpunkte mehr setzen, was schließlich auch zum Rücktritt der zuständigen Ministerin führte. Ein ganzes Jahrzehnt familienfeindlicher Politik begann, sich gegen die Regierung selbst zu wenden.
Hier einmal die Kennzeichen: Ihre Ideologen stellten die Familie und ihre Leistungsfähigkeit permanent in Frage. Sie überbetonten die Rechte von Frau und Kind gegen die Familie insgesamt, die in den Hintergrund treten mußte. Sie wollten die Kinder von der sogenannten elterlichen Fremdbestimmung befreien, was zu Verunsicherungen in den Familien führte. Bewährte Erziehungsmethoden der Eltern wurden massiver Kritik ausgesetzt, Methoden wurden gefördert, die sich bald als brüchig und ungeeignet erwiesen, aber Unruhe und Unsicherheit in der Familie verursachten. Die Kernfamilie erhielt den Stempel einer Unterdrückungsstation gegen Eltern und Kinder.
Die soziale Indikation bei Schwangerschaften, meine Damen und Herren, blieb ohne Schwerpunkthilfen durch soziale Unterstützung. Das Ja zum Kind haben Sie nicht gefördert.
8098 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Schlottmann
Bis heute besitzen Sie keine eigene familienpolitische Konzeption. Darüber sollten Sie nachdenken.
Ihrer Politik fehlt es daher an Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren von der Opposition.
Dasselbe aber, was Sie hier gemacht haben, passiert heute in den Ländern, in denen Sie regieren, so auch in Nordrhein-Westfalen, wo es Ihnen nicht gelingt, auf die Bedürfnisse der Familien einzugehen.
— Das zeige ich Ihnen gleich; da werden Sie sich wundern.
So lehnte die Rau-Regierung jüngst das Landesfamiliengeld ab. Ebenso weigerte sie sich, eine Landesstiftung für Familien in Not zu gründen.
Jungen Familien verweigerte man Familiendarlehen als dringend gebotene Hilfen bei Familiengründungen.
Dort, wo Sie Ihre Mehrheiten haben und die Regierung stellen, zeigt sich klipp und klar, wie Sie die Familien weiterhin schätzen und welche Familienpolitik Sie betreiben, meine Damen und Herren von der Opposition.
So wollte die Regierung Rau in Düsseldorf, die Jugenderholung, die Kindererholung, die Berlin-Fahrten, die internationalen Begegnungen, 1983 die gesamte Förderung der Familienerholung und die Altenerholung völlig streichen.
— Hören Sie gut zu. Obschon dies bis auf die Familienerholung in 1983 vom Parlament verhindert werden konnte — —
— Hören Sie mal gut zu; das ist sehr lehrreich. Daraus können Sie Schlüsse ziehen. Diese Energie hier sollten Sie in Richtung Rau-Regierung in Düsseldorf verwenden; damit könnten Sie der Familie helfen.
In Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, gab es zwischen 1980 und 1984 folgende Kürzungen in der Jugend- und Familienpolitik
— hören Sie gut zu, Herr Gilges —: Kürzungen des Landesjugendplans um ein Viertel seines Volumens, d. h. um 77 Millionen DM; Kürzung der Förderung der Jugenderholung um fast die Hälfte des Gesamtansatzes; Kürzung bei der Kindererholung von 18 auf 5 Millionen DM, also auf fast ein Viertel des früheren Betrags; Kürzungen bei den Berlin-Fahrten und den internationalen Begegnungen von 1,7 Millionen DM auf lediglich 700 000 DM; völlige Streichung der Förderung freiwilliger sozialer Dienste — und das in Nordrhein-Westfalen, im bevölkerungsreichsten Land, meine Damen und Her-
ren —; Kürzungen bei den Investitionen im Jugendhilfebereich um fast die Hälfte des Ansatzes
— hören Sie gut zu; ich kann das nur raten —; Kürzungen der Familienerholung von 12 auf 3 Millionen DM, also ein Leistungsabfall auf ein Drittel der früheren Förderung;
Kürzung bei der Kinder- und Müttererholung um über die Hälfte des Ansatzes; Kürzungen der Altenerholung — das ist alles Familienpolitik — um ein Drittel; Kürzung der Förderung von Alteneinrichtungen von 102 auf 59 Millionen DM, also um die Hälfte der früheren Leistungen.
Meine Damen und Herren, man kann sich nach dieser Auflistung, die höchst interessant ist, vorstellen, was heute in Bonn passierte, wenn Sie hier die Mehrheit hätten.
Meine Damen und Herren, wir dagegen erhöhen die Leistungen an die Familien bei gleichzeitigem Abbau der Neuverschuldung bei hoher Preisstabilität und ausreichendem Wirtschaftswachstum. Das kommt den Betroffenen zugute. Wir setzen diese Politik fort; darauf können Sie sich verlassen.
Was Helmut Kohl in der Regierungserklärung versprochen hat, wird erfüllt. Die Bundesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens war der erste Schritt. Sie wurde — das können wir heute mit Genugtuung feststellen — von der Bevölkerung angenommen, entgegen Ihren Unkenrufen und den Schmähungen durch die GRÜNEN.
Heute, meine Damen und Herren, tun wir den zweiten Schritt und helfen den arbeitslosen Jugendlichen. Ab 1986 werden wir steuerliche Erleichterungen im Sinne eines gerechten Familienlastenausgleichs einführen und dazu den Kindergeldzuschlag für Minderverdienende zahlen. Wir werden das Erziehungsgeld für alle Mütter einführen und bei der Rente neben der bereits verkürzten Anwartschaft für Frauen den Einstieg in die Anrechnung von Erziehungsjahren schaffen.
Wir halten es für dringend geboten, meine Damen und Herren, daß so bald wie möglich auch alleinstehenden Vollwaisen besser geholfen wird. Das ist ein Anliegen der CDU, das wir im Ausschuß deutlich gemacht haben.
— Wir haben im Ausschuß, verehrter Herr Kollege, diesen Antrag als erste gestellt. Das ist nachweisbar. Ich weiß nicht, was Sie früher alles gemacht haben. Das ist jetzt geschehen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8099
Schlottmann
Wir wollen, daß diese jungen Menschen, die nach dem Tode ihrer Eltern zusammen mit ihren jüngeren Geschwistern leben und für diese den elterlichen Haushalt weiterführen, Kindergeld erhalten.
Herr Abgeordneter Schlottmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauck?
Ich fasse zusammen — ich bin am Ende der Redezeit; schönen Dank —: Unsere Koalition macht die Politik für die Familien; hinreichend, wie wir meinen, und zukunftssichernd.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Witek.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dies ist die erste Rede, die ich vor diesem Hohen Hause halte, und das nach ungefähr zweieinhalb Jahren Mitgliedschaft. Ich möchte bewußt nicht polemisieren;
denn ich meine, hier ist in letzter Zeit genug polemisiert worden.
Das dient der Sache nicht, und das dienst sicherlich auch nicht dem Ansehen dieses Hauses, das ja allgemein als Quasselbude verschrien ist. Sicherlich dient es auch nicht dem Ansehen der Kollegen.
— Sie können mich nicht aus der Ruhe bringen.
Wir haben heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes zu beraten, der die Berücksichtigung arbeitsloser junger Menschen über die Volljährigkeit hinaus bis zum vollendeten 21. Lebensjahr vorsieht. Um gleich Zwischenrufen wie Erblast und ähnlichen vorzubeugen — wir haben j a eben einen kleinen Vorgeschmack bekommen —, möchte ich, wenn auch in Anbetracht der vorgerückten Zeit nur kurz, auf die Vorgeschichte eingehen.
Bis zum 31. August 1976 bestand für junge Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten und entweder die beabsichtigte Ausbildung vorerst nicht durchführen konnten und auch für die Zwischenzeit keinen Ausbildungsplatz fanden oder nach Abschluß der Schulausbildung keinen Arbeitsplatz erhielten, kein Anspruch auf Kindergeld. Diese Regelung führte schon damals in vielen Fällen zu sozial nicht vertretbaren Ergebnissen.
Meine Fraktion hat auf maßgebliche Initiative meines Kollegen Norbert Gansel gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Berücksichtigung arbeitsloser junger Menschen bis zum 23. Lebensjahr vorsah. Dabei vertrat der federführende Ausschuß, dem ich damals nicht angehörte, einstimmig die Ansicht — ich zitiere aus dem Ausschußbericht —, „daß die im allgemeinen volljährigen Jugendlichen in der Regel ihren Eltern wirtschaftlich ebenso zu Last fallen wie die in Ausbildung stehenden Jugendlichen".
Dieses Gesetz wurde im Juni 1976 von diesem Hohen Hause einstimmig verabschiedet.
1981 hat dann die sozialliberale Koalition Kürzungen beim Kindergeld vorgenommen. Diese gingen einher mit einigen strukturellen Änderungen, deren schmerzhafteste die Rücknahme der 1976 eingeführten Berücksichtigung von jungen Arbeitslosen war. Das war sicherlich ein Fehler, den wir offen eingestehen und an dem wir auch nicht herumdeuteln wollen. Mein Kollege Hauck hat das in der ersten Lesung am 8. November 1984 deutlich gemacht.
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, hätten die Einbeziehung des Bundeskindergeldgesetzes in die Sparoperation des zweiten Haushaltsstrukturgesetzes 1982 völlig vermeiden können, wenn Sie bereit gewesen wären, den unsozialen steuerlichen Abzug der Kinderbetreuungskosten — eine Mißgeburt des Vermittlungsausschusses, wenn man so will — wieder zu streichen. Das war aber nicht so. Sie haben an einer steuerlichen Krücke festgehalten und damit die Eingriffe beim Kindergeld in Kauf genommen.
Wie wenig Sie tatsächlich die Interessen der Familien wahren wollten, haben Sie schnell unter Beweis gestellt. Eine der ersten Maßnahmen Ihrer Haushaltsakrobatik 1983 war die Streichung eben dieses Steuertorsos, die Sie uns ein Jahr vorher verweigert haben.
— Herr Kollege Krey, ich schätze Sie wirklich als sehr netten Menschen. Das ist meine erste Rede, und ich bin gehalten, hier die Auffassung meiner Fraktion zu vertreten. Man ist da nicht ganz frei. Ich persönlich rede auch lieber frei. Dann kann ich auch notfalls frei böse werden. Aber das wollen wir ja nicht machen.
Ältere Kollegen in diesem Hause wissen, daß es sich so und nicht anders verhalten hat. Vielleicht kann sich auch der Kollege Schlottmann, der ja vor mir gesprochen hat, nachträglich sachkundig machen. Denn das, was er in der ersten Lesung zu diesem Punkt gesagt hat, würde besser nach Bodenwerder, bekanntlich die Wirkungsstätte von Münchhausen, als nach Bonn passen.
Auch hat er nichts dazu gesagt, weshalb er und seine Fraktion unseren Antrag zum Haushaltbegleitgesetz 1984 abgelehnt haben, mit dem wir unseren Fehler wieder korrigieren wollten. Statt dessen haben Sie die Jugendlichen — ich zitiere den Kollegen Schlottmann —, die sich als unnütze Esser füh-
8100 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Witek
len und der Familie auf der Tasche liegen, ein weiteres Jahr im Regen stehen lassen.
Als die Bundesregierung am 28. August 1984 beschloß, arbeitslose junge Menschen bis zum 21. Lebensjahr ab 1985 zu berücksichtigen, haben wir dies, wenn auch als späte Einsicht ehrlich begrüßt und unsere Zustimmung zugesagt. Wir haben aber auch deutlich gemacht, daß wir bei den Ausschußberatungen fordern werden, eine Berücksichtigung unseres abgelehnten Antrages in vollem Umfange vorzusehen. Unsere Bemühungen, mit einer interfraktionellen Initiative im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ähnlich wie bei der Familienkrankenhilfe in der RVO den alten Rechtszustand wiederherzustellen, wurden von der Ausschußmehrheit ebenso zurückgewiesen wie ein entsprechender Antrag im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Trotzdem legen wir diesen Antrag heute erneut vor. Sie haben die Möglichkeit, zuzustimmen oder zu demonstrieren, daß Sie nach wie vor nicht bereit sind, von Ihrer restriktiven Politik gegen Kinder, Jugendliche und Familien abzurücken.
Können Sie mir sagen, wie Sie in Zukunft den Eltern erklären wollen, daß ihre Kinder zwar kostenlos bis zum 23. Lebensjahr in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, aber Kindergeld nur bis zum 21. Lebensjahr erhalten, dies möglicherweise noch Eltern, die für ihren 22jährigen Auszubildenden beides erhalten, der darüber hinaus noch eine ansehnliche Ausbildungsvergütung erhält? Wahrscheinlich nicht.
Geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu, der übrigens nur 30 Millionen DM Mehrausgaben verursacht. Man muß das sicherlich in Relation zu dem 260-MilliardenDM-Etat dieses Jahres sehen. Es geht um eine verschwindend geringe Summe im Vergleich auch zu den strukturellen jährlichen Minderausgaben beim Kindergeld.
Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren noch genug Zeit haben, über die große Familienpolitik zu diskutieren. Aber heute, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungspartei, müssen Sie sich gefallen lassen, von den Kirchen, von den Verbänden und auch von der Oppositionspartei daran gemessen zu werden, was Sie in den vielen Jahren lautstark angekündigt und gefordert und was Sie tatsächlich nach der Wende getan haben.
Da der Gesetzentwurf der Bundesregierung aber zweifellos eine materielle Verbesserung des bestehenden Rechtszustands beinhaltet, wird meine Fraktion, auch wenn unser Änderungsantrag keine Mehrheit findet, diesem Gesetz zustimmen.
Ich bedanke mich.
— Ich habe doch nicht zuviel polemisiert, Herr Kollege Krey?
Herr Kollege Witek, bevor ich das Wort weitergebe, folgendes. Sie haben in
Ihrer Rede für dieses Haus eine Vokabel verwendet, von der Sie meinten, daß sie draußen oft für dieses Haus verwendet werde. Ich wiederhole sie nicht, weil wir eigentlich alle wissen sollten, daß die so schlimm belastet ist, daß wir überall, wo wir dieser Vokabel über dieses Haus begegnen — „Quasselbude" —, ihr entgegentreten sollten.
— Das ist kein Vorwurf gegen Sie, sondern wo sie gebraucht wird, sollte man ihr entgegentreten.
Frau Schoppe hat als nächste das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes bei uns zwei unterschiedliche Meinungen. Das haben wir ja heute schon einmal gehabt; heute morgen beim Jugendschutzgesetz gab es das schon einmal. Ich möchte Ihnen die Meinung einer Gruppe innerhalb unserer Fraktion vorstellen.
Nach dem Willen der CDU/CSU sollen Eltern von 18- bis 21jährigen Erwachsenen ohne Ausbildungsoder Erwerbsarbeitsplatz ab 1. Januar 1985 wieder einen Anspruch auf 50 DM Kindergeld haben.
Dies als Lösung der Härten zu verkaufen, die durch die steigende Jugendarbeitslosigkeit und den eklatanten Mangel an Ausbildungsplätzen entstanden sind, charakterisiert die Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang mit dem Problem. Dem jungen Menschen ohne Ausbildungs- oder Erwerbsarbeitsplatz nützt dieses Kindergeld noch weniger. Selbst wenn ihnen das Geld, auf das sie keinen rechtlichen Anspruch haben, direkt zukommen würde, würde sich ihre finanzielle Abhängigkeit vom Elternhaus nicht ändern.
Der Antrag der SPD, die Altersgrenze auf 23 Jahre auszudehnen, ignoriert ebenso die eigentlichen Ursachen dieser meist schwierigen Situation für junge Menschen und ihre Eltern. Er schreibt sogar den unzumutbaren Zustand, erwachsene Menschen auf Grund der katastrophalen Arbeits-und Ausbildungsmarktpolitik der Regierungsparteien von ihren Eltern weiterhin finanziell abhängig zu halten, weiter fest. Dies ist kein Weg zur Aufhebung dieses Zustands.
DIE GRÜNEN im Bundestag haben mit ihrem Antrag im Rahmen des Sofortprogramms zur Bekämpfung der Armut einen anderen Weg aufgezeigt. Eine Grundabsicherung durch Arbeitslosengeld in Höhe von 950 DM auch für Berufsanfänger oder -anfängerinnen käme insbesondere dieser Gruppe von jungen Erwachsenen zugute. Die Gruppe in unserer Fraktion, die diese Position vertritt, würde sich enthalten, wenn sie jetzt anwesend wäre. Es gibt dazu auch noch eine andere Auffassung.
— Das werden Sie gleich merken.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8101
Frau Schoppe
Herr Schlottmann, Sie haben zu der geplanten Änderung des Kindergeldgesetzes mit getragener Stimme erklärt, die Zahlung der 50 DM, die den Eltern zukommen, sei eine familienpolitische Maßnahme, als wäre es weiß Gott was.
Ich will Ihnen einmal sagen: Ich halte diese ganze
Geschichte nur für einen sozialpolitischen Furz, so!
Dessenungeachtet habe ich natürlich nichts dagegen, wenn die Familien, denen es sowieso schlecht geht, diese 50 DM kriegen können. Deshalb unterstütze ich die Gruppe, die diesen Antrag mitträgt. Das heißt allerdings nicht, daß das für uns der Weg sein soll, demnächst auch andere Maßnahmen der Regierung mitzutragen.
Ich werde meine Rede an dieser Stelle beenden. Ich habe zwar 15 Minuten Redezeit, aber ich will sie gar nicht ausnutzen, weil ich denke, die Kürze, in der ich meine Ansichten zusammengefaßt habe, ist der kleinen sozialpolitischen Handreichung, die hier gemacht wird, angemessen.
Ich komme hier allzuoft in die Verlegenheit, Zwischenbemerkungen machen zu müssen. Geschmäcker sind sehr unterschiedlich; man kann über sie streiten. Der Geschmack, dem Sie hier in einer bestimmten Wortwahl Ausdruck verliehen haben, war nicht der Geschmack, der hier im Präsidium vertreten wird.
Jetzt hat der Abgeordnete Eimer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde hier nicht derartigen Wind machen. Lassen Sie mich ein paar Sätze zur Gestaltung der Tagesordnung und des zeitlichen Ablaufs sagen.
Wir haben heute morgen über das diffizile Jugendschutzgesetz diskutiert, über das eine ausführliche Diskussion nötig gewesen wäre. Das war in zehn Minuten nicht sachgerecht abzuhandeln. Heute abend habe ich 15 Minuten Zeit für ein Gesetz, das bereits mehrfach angesprochen wurde. Über dieses Gesetz herrscht bis auf einen kleinen Unterschied — nämlich ob wir bis zum 21. Lebensjahr oder bis zum 23. Lebensjahr zahlen sollen — Einigkeit.
Es wird natürlich nicht so leicht auf Redezeit verzichtet. Das führt nicht unbedingt zu einer Sachdiskussion, sondern es verführt zur Vergangenheitsbewältigung, zu Schuldzuweisungen und damit zu Ärger der Öffentlichkeit gegenüber dem Parlament, wenn alte Platten immer wieder neu aufgelegt werden. Zum Thema Jugendschutzgesetz hätte ein Streit einen sachlichen und vor allem einen einsichtigen Hintergrund.
Ich will meine Ausführungen zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes kurz fassen.
Erstens. Wir begrüßen den Gesetzentwurf, der für arbeitslose Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr Kindergeld gewährt.
Zweitens. Wir bleiben beim Alter von 21 Jahren.
Denn wir müssen uns — drittens — nach der Haushaltslage richten. Wohltaten auf Pump können wir nicht verantworten.
Es wäre ein Wiederbeginn der alten Sünden.
Viertens. Wir sind dafür, daß möglichst bald auch das Problem des Kindergeldbezugs für Vollwaisen sozial gerecht geregelt wird.
Weiterer Worte bedarf es dazu nicht. Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist ein gutes Gesetz, und die Bundesregierung freut sich, daß das 1981 geschaffene Unrecht dadurch beseitigt worden ist.
Ich habe das Wort nur deswegen ergriffen, um bei dieser Gelegenheit noch einmal darzulegen, daß die Neugestaltung des Kindergeldrechts und der Kindergeldleistungen Bestandteil eines Gesamtprogramms für unsere Familien ist. Wir haben mit diesem Gesetz und mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Stiftung „Mutter und Kind" die ersten beiden Bausteine für ein umfassendes familienpolitisches Programm im Bundestag verabschiedet, wobei ich die Jugendschutzgesetzgebung von heute morgen in einem größeren Zusammenhang auch als Bestandteil der Familienpolitik begreife.
Genauso wie wir diese Gesetze zügig verabschiedet haben, wird es auch mit den übrigen Beschlüssen der Bundesregierung für eine neue Familienpolitik sein — davon bin ich überzeugt —, wenn es nach dem Willen der Mehrheit, der CDU/CSU und der FDP, geht.
Wir werden in der Familienpolitik in dieser Legislaturperiode ein neues Kapitel aufschlagen. Ich glaube, daß alle Aussagen in der Vergangenheit negativer Art über die Familienpolitik der Bundesregierung einfach durch die Tatsachen widerlegt sind und widerlegt werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien im Familienlastenausgleich keine Kürzungen vorgenommen haben. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, ist es dennoch die Unwahrheit. Es gibt eine einzige Ausnahme: Wir haben das getan, was die Sozialdemokraten zeit-
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Bundesminister Dr. Geißler
weise ebenfalls für richtig gehalten haben, aber nicht realisieren konnten. Wir waren der Auffassung, daß in einer Zeit knapper Kassen Leute mit einem höheren Einkommen mit einem geringeren Kindergeld auskommen können, und haben Einkommensgrenzen eingeführt. Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung gewesen.
— Ich sage das deswegen, weil unsere Reden, die wir hier im Parlament halten, Gott sei Dank auch gelesen werden, Herr Gilges. Ich bin sehr dafür. Viele hören nicht mehr zu — außer uns allen miteinander. Die Bundesdebatten werden, wie ich sehr genau weiß, gelesen. Infolgedessen ist es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht eines jeden von uns, hier noch einmal Stellung zu nehmen, auch wenn manches, was wir hier sagen, wiederholt wird. Es muß die Möglichkeit gegeben werden, den Bürgerinnen und Bürgern auch durch eine solche Debatte ein Konzept zusammenfassend vorgetragen zu bekommen.
Die neue Familienpolitik, deren erste Bausteine wir bereits verabschiedet haben, enthält folgende Punkte, die wir Zug um Zug realisieren werden: die Einführung eines Erziehungsgeldes — eine völlig neue familienpolitische Leistung —, die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung — ein neues Kapitel in der Rentenversicherung,
auch zugunsten der Gleichberechtigung der Frau. Wir werden das Kindergeld für Familien mit einem niedrigen Einkommen erhöhen. Die steuerliche Entlastung, die wir in zwei Stufen vorgesehen haben, wird für die Familien in die erste Stufe hineingenommen und macht den Hauptbetrag der steuerlichen Entlastung in der ersten Stufe aus. Das ist eine sehr wichtige Entscheidung.
Darüber hinaus — das darf ich noch einmal sagen — haben wir eine Fülle anderer Maßnahmen ergriffen. Ich erinnere an die zusätzlichen Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, an die Aufstockung der Mittel bei meinem Kollegen Blüm von 35 Millionen DM auf 205 Millionen DM. Das heißt, was wir hier mit dieser Kindergeldlösung machen, ist auch wiederum nur ein Teil, um die Ausbildungsplatzsituation, um die Arbeitsplatzsituation junger Menschen entscheidend zu verbessern.
Auch dies möchte ich hier noch einmal festhalten: Sowohl in diesem Jahr als auch im letzten Jahr können diese Regierung und die sie tragenden Koalitionsparteien darauf verweisen, daß wir zusammen mit Handwerk, Handel und Industrie eine Rekordleistung bei der Zurverfügungstellung von Ausbildungsplätzen — in diesem Jahr 730 000 Ausbildungsplätze — aufzuweisen haben.
Das sind die realen Leistungen, die wir jungen
Menschen gegenüber erbringen. Demgegenüber
wird die Propaganda, die Sie hier vorführen, auch in den Köpfen der jungen Menschen in sich zusammenbrechen.
Die jungen Leute wissen ganz genau, wer für sie nur redet und wer für sie etwas tut. Wir tun etwas für junge Menschen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Herr Abgeordnete Hauck hat darum gebeten, nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abgeben zu dürfen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, ich beginne jetzt einen Geschäftsordnungsslalom, und bitte um das Wohlwollen des Präsidenten, um durch die Stangen zu kommen. Das ist notwendig, weil der Herr Berichterstatter nicht zum Bericht gesprochen hat und der Berichterstatter als Diskussionsredner keine Zwischenfrage zugelassen hat.
Ich stimme diesem Gesetz zu, bedauere aber, daß ich nicht all dem zustimmen kann, was der Ausschuß beschlossen hat. Der Ausschuß hat nämlich beschlossen, in die Beschlußempfehlung zwei Punkte aufzunehmen: erstens das Gesetz in der vorliegenden Form anzunehmen und zweitens, die Regierung aufzufordern, unverzüglich für die Vollwaisen gesetzliche Regelungen zu schaffen. Dies ist ein Beschluß; so haben wir im Ausschuß diskutiert.
Wir haben es beschlossen, und es ist nicht als Punkt 2 in der Beschlußempfehlung enthalten. Es gibt doch zwei Punkte: erstens das Gesetz anzunehmen, und zweitens wird die Regierung aufgefordert, unverzüglich usw. Daß wir das in den Beschluß hineinhaben wollten, es aber nicht geschehen ist — —
— Sicher haben wir das beschlossen. Frau AdamSchwaetzer sagt das auch.
— Moment, nein! Im Bericht heißt es: „Die Realisierung dieses Vorhabens ist jedoch immer wieder zurückgestellt worden." Das ist also eine kritische Bemerkung gegen Regierungen. Deswegen wollten wir das als Beschluß drin haben. Meine Wortmeldung zur Abstimmung sollte bewirken, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit das so sieht, wie wir es gemeint haben, wenn es auch nicht in der Beschlußempfehlung steht.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8103
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2564 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt worden.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen ist Art. 1 angenommen worden.
Ich rufe Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei zwei Enthaltungen angenommen worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes und der gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksache 10/2176 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/2569 — Bérichterstatter: Abgeordneter Heyenn
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/2570 —
Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht vom Abgeordneten Heyenn. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich als Berichterstatter vor der Debatte zum Bericht einige Anmerkungen mache. Seit mehr als einem halben Jahr ist bekannt, daß die Kürzungen des Haushaltbegleitgesetzes nicht ausreichen werden, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung wenigstens im kommenden Jahr, im Jahr 1985, zu sichern, von einer langfristigen Finanzierbarkeit der Renten einmal ganz abgesehen. Dennoch gab es erst am 23. Oktober 1984 einen Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, einen Entwurf zur Änderung von Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes und der gesetzlichen Rentenversicherung.
Wir haben diesen Entwurf im Ausschuß im DZug-Tempo — wenn nicht schneller — beraten müssen. Der Entwurf ist hier im Plenum des Deutschen Bundestages in erster Lesung am 26. Oktober eingebracht worden. Der Ausschuß hat in einer außerordentlichen Sitzung am gleichen Tag, am 26. Oktober, einem Freitag, getagt, die Einführung entgegengenommen und eine Anhörung beschlossen. Die Anhörung fand am 14. November statt. Wir haben Ende vergangener Woche das Protokoll der Anhörung mit nahezu hundert Seiten erhalten, gleichzeitig die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen, und wir haben am 5. Dezember, gestern also, die erste und einzige Beratung dieses Gesetzentwurfs gehabt.
Meine Damen und Herren, die Hektik war so groß, der Zeitdruck war so groß, daß die Beamten des Arbeitsministeriums und des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gezwungen waren, den Entwurf für den Ausschußbericht zu schreiben, ehe überhaupt die einzige Beratung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hierzu begonnen hatte.
Ich halte das für ein unmögliches Verfahren.
Aber es geht weiter. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Während der Beratungen gestern abend im Ausschuß gab es nicht unerhebliche Zweifel an den Finanzschätzungen der Bundesregierung, die die Mehrkosten für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose in den Jahren 1985 bis 1988 auf jeweils knapp über 1 Milliarde DM vorsahen. Es wurden Fettpolster in dieser Berechnung von der Bundesregierung zugegeben. Es wurde von der Bundesregierung zugegeben, daß diese Berechnungen basieren auf einer angenommenen Zahl von 840 000 Leistungsempfängern, daß aber diese Zahl bereits am gestrigen Tag auf 810 000 gesunken war und weiter sinken wird. Die Regierung war nicht in der Lage, mit uns in einem Dialog über diese Zahlen einzutreten,
sondern hat mir als Berichterstatter erst heute gegen 14 Uhr vier Seiten mit korrigierenden Zahlen überreicht — per Eilboten aus dem Ministerium.
Der Ausschuß, meine Damen und Herren, war daher nicht in der Lage, die Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose z. B. dahin gehend zu erwägen, ob die Polster und die falschen Berechnungsgrundlagen für die Ko-
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Heyenn
sten in den Jahren 1985 bis 1988 nicht ausgereicht hätten, um möglicherweise sogar interfraktionell mit dem verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld unter das 50. Lebensjahr zu gehen.
— Dies ist falsch, Herr Kollege Günther.
— Wenn Sie dabei bleiben, will ich Ihnen etwas sagen, was ich sonst als Berichterstatter nicht gesagt hätte: Die Bundesregierung hat sich heute nachmittag bei mir für gestern im Ausschuß falsch dargestellte Zahlen entschuldigt und die richtigen Zahlen nachgeliefert.
Meine Damen und Herren, von einer sachgerechten und verantwortungsbewußten Beratung und Entscheidung kann unter diesen Umständen hier und heute nicht die Rede sein.
Für mich gibt es für diesen im Parlamentarismus unentschuldbaren Vorgang keine Rechtfertigung. Und die Schuld trägt allein die Bundesregierung.
Ich habe als Berichterstatter zur zweiten und dritten Lesung des Vorruhestandsgeldgesetzes am 29. März 1984 von dieser Stelle gesagt, daß wir als Ausschuß in Zukunft nicht mehr in gleicher Weise kooperationsbereit sein könnten, wenn sich der Wunsch wiederholen sollte, das Parlament aus politischen Motiven derart unter Zeitdruck zu setzen.
Dies hat sich nun wiederholt.
Wir haben, um den politischen Willen der Regierung nicht zu behindern, von einer Fristeinrede abgesehen. Ich möchte aber dem Hohen Hause mitteilen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seiner Sitzung gestern einstimmig beschlossen hat, seinen Vorsitzenden, den Abgeordneten Glombig, aufzufordern, den Bundesarbeitsminister zu einem Gespräch über diese Situation
zu bitten, mit der eindeutigen Aussage, daß jetzt endgültig Schluß sei mit dem Mißbrauch unserer parlamentarischen Beratungsmöglichkeiten.
Ich danke Ihnen.
Wir treten jetzt in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Müller (CDU/CSU).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heyenn, die Einschätzung, daß wir unter Zeitdruck arbeiten mußten, kann ich teilen. Aber wir haben früher unter der Regierung der SPD eine noch viel größere Hektik gehabt.
— Natürlich haben wir die gehabt, ich habe das doch miterlebt. Ich erinnere nur an das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz 1981, Herr Kollege Egert. Da haben wir hier 400 Abstimmungen durchgepeitscht. Das ist doch nichts Neues.
Und jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Wenn wir die Reparaturarbeiten, die immer noch notwendig sind,
abgeschlossen haben werden, werden wir, hoffe ich, ein bißchen mehr Ruhe und Geduld haben, die Arbeiten zu machen.
Dann möchte ich noch sagen: Wir haben das doch auch unter dem Aspekt getan, daß wir den älteren Arbeitslosen, die jetzt länger Arbeitslosengeld beziehen können sollen, helfen und das Gesetz nicht noch weiter vor uns herschieben wollten.
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Egert?
Ich habe nur zehn Minuten. Ich bitte um Verständnis.
Ich habe jedenfalls den Beamten im Hause des Bundesarbeitsministers ein herzliches Wort des Dankes zu sagen, die bis an die Grenze des Erträglichen mitgearbeitet haben.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist doch auch eine Spätfolge der verfehlten Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der SPD.
— Ja, j a, das hören Sie nicht gerne. Aber durch Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik sind doch die heutigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt und damit auch im System der sozialen Sicherung verursacht worden. Die Erblast
ist nun einmal hart und bitter. Und Sie, insbesondere Ihr Kanzler, haben in der Spätphase Ihrer Regierungszeit, kurz vor der Wende, doch selbst zugegeben, daß Sie mit Ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik am Ende waren.
Ich will nur einmal die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Jahren Ihrer Regie-
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Müller
rungstätigkeit — oder sollte ich besser sagen, Ihrer Regierungsuntätigkeit — in Erinnerung rufen.
Vom Oktober 1980 bis Oktober 1982
hatte sich die Zahl der Arbeitslosen mehr als verdoppelt. Hören Sie gut zu! Sie war von 888 000 auf 1 920 000 gestiegen, über eine Million mehr Arbeitslose in nur zwei Jahren! Das ist die Bilanz, die Ihr Versagen jedermann deutlich gemacht hat. Ich wundere mich eigentlich darüber, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Sie immer wieder die Wirtschafts-und Beschäftigungspolitik der neuen Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen heute kritisieren;
darüber kann ich mich nur wundern.
Meine Damen und Herren, die umfassende Sanierung des Haushalts in den letzten beiden Jahren hat entscheidend dazu beigetragen, daß wir wieder wirtschaftliches Wachstum erreicht haben. 1983 waren es 1,3 %, und in diesem Jahr werden es trotz der Arbeitskämpfe 2,5 % sein,
und dieser Aufwärtstrend setzt sich auch im kommenden Jahr fort. Der Sachverständigenrat geht davon aus, daß wir 1985 sogar ein Wirtschaftswachstum von 3 % erwarten können.
Und nun, Kollege Egert, rufen Sie: „Wie viele Arbeitslose mehr?" Dieser wirtschaftliche Aufschwung — und Sie haben j a dieser Tage die Zahlen gelesen — zeigt auch Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit hat sich bereits 1983 spürbar verlangsamt
und ist in diesem Jahr zum Stillstand gekommen.
Wir entdecken immer mehr Silberstreifen am Horizont des Arbeitsmarktes. Ich darf sie Ihnen nennen:
Im Vergleich zum November des vergangenen Jahres hat die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen um über 27 000 abgenommen; das sind 15 % weniger. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Kurzarbeit um 48 % zurückgegangen, und im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der offenen Stellen um 22 % angestiegen. Sie wären in Jubelstürme ausgebrochen, wenn Sie diesen Trend mit solchen Zahlen hier einmal hätten vorweisen können.
— Natürlich ist das kein Anlaß zum Jubeln, natürlich nicht; aber es ist ein Silberstreifen.
Nun lassen Sie mich auch noch die Prognose des Sachverständigenrates erwähnen. Die Prognose des Sachverständigenrates sagt, daß im nächsten Jahr die Zahl der Arbeitslosen um mindestens 100 000 niedriger liegen wird. Weniger Arbeitslose und mehr Beschäftigte kommen sowohl der Kasse der Bundesanstalt für Arbeit als auch der Rentenversicherung zugute.
Meine Damen und Herren, durch unsere Politik für mehr Beschäftigung bewirken wir gleichzeitig eine Konsolidierung der Finanzen der Sozialversicherung. Wir täuschen uns nicht darüber hinweg, daß die Probleme am Arbeitsmarkt weiterhin schwierig sind und nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Was in 13 Jahren falsch gemacht wurde, kann aber nicht in zwei Jahren in Ordnung gebracht werden.
Meine Damen und Herren, eine der Folgen der hohen Arbeitslosigkeit ist die Zunahme der Arbeitslosen, die länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung sind.
Eine längere Arbeitslosigkeit trifft jeden, aber sie trifft im besonderen die älteren Arbeitnehmer, die den Aufbau unseres Staates maßgeblich mitgetragen haben.
Durch diese Mitarbeit der älteren Arbeitnehmer ist doch aus dem Trümmerhaufen Deutschland unter der Regierungszeit von Adenauer und Erhard erst wieder ein blühendes Land geworden.
Die älteren Arbeitnehmer haben über Jahre hinweg regelmäßig Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt und müssen jetzt gegen Ende ihres Arbeitslebens feststellen, daß sie offensichtlich zum alten Eisen gehören,
daß sie nicht mehr gebraucht werden oder daß sie die Rationalisierungswelle hinweggefegt hat. Um diesen älteren Arbeitnehmern zu helfen, brauchen wir jetzt Solidarität, und diese wird durch dieses Gesetz herbeigeführt:
Wir verlängern für sie die Zahlung des Arbeitslosengeldes von 12 auf 18 Monate. Eine generelle Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist derzeit nicht finanzierbar. Ich erinnere nur an die Kosten für den Vorruhestand, ein Gesetz, daß Sie hier bekämpft haben und das immer mehr ein tarifpolitischer Renner wird.
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Müller
Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit hat einen Haushalt von 33 Milliarden DM verabschiedet, der die Kosten für dieses Gesetz, das wir jetzt beraten und verabschieden, und die Kosten für den Vorruhestand einschließt.
Ich möchte an dieser Stelle ein Problem ansprechen, welches meiner Meinung nach der dringenden Klärung bedarf. Ich meine, wir sollten allesamt darüber nachdenken, ob nicht die Kriterien für die Berücksichtigung der Einkommen unterhaltspflichtiger Verwandter bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe gemildert werden sollten. Hier gibt es meiner Meinung nach Handlungsbedarf.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum zweiten Punkt des vor uns liegenden Gesetzes einige Sätze sagen. Die Rentenversicherung ist in den späten 70er Jahren in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt worden. Dafür tragen Sie auch die Verantwortung.
Wenn man heute Ihre Reden hört, Kollege Lutz, wollen Sie doch vergessen machen, daß auch zu Ihrer Zeit bereits tiefe Einschnitte im System der Rentenversicherung vorgenommen wurden. Aber die Rentner haben nicht vergessen, daß die Steigerungssätze der Rentenanpassung zwischen 1978 und 1981 willkürlich gekürzt wurden.
— 1978 gab es überhaupt nichts.
Wir erhöhen heute die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,2 %,
um die Finanz- und Liquiditätssituation der Rentenversicherung zu verbessern. Durch die gleichzeitige Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung halten wir die Beitragsbelastung stabil.
— Natürlich. Beitragsstabilität in der Sozialversicherung ist für uns ein wichtiges Ziel; denn die Belastung der Arbeitnehmer ist an der Grenze des Erträglichen angekommen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Haushaltsgesetz 1985 weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Rentenfinanzen beschlossen. Ich nenne sie:
Der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung wird zeitlich variabel bezahlt.
Für etwaige Liquiditätsengpässe sind Betriebsmitteldarlehen des Bundes bis zu 5 Milliarden DM vorsorglich disponiert.
Mit diesen Maßnahmen ist die pünktliche Rentenzahlung gesichert.
Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute auf Antrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion verabschieden, ist sozialpolitisch vernünftig und finanziell solide.
Es sichert die Renten. Es hilft den älteren Arbeitslosen
und vermeidet zusätzliche Belastungen für die Beitragszahler.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Müller , gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu dem, was Sie gesagt haben.
— Es war das beste, was man aus Ihrer miesen Position überhaupt noch rausholen konnte. Das will ich Ihnen zugestehen.
Wenn Sie hier von älteren Arbeitnehmern reden und sagen, für diese müssen Sie das Arbeitslosengeld verlängern, will ich Sie nur fragen: Wie halten Sie es bei den älteren Frauen, den Trümmerfrauen, die nach dem Kriege unsere Städte wieder sauber gemacht haben, mit dem Babyjahr?
Da sollten Sie auch einmal in diese Richtung nachdenken.
Herr Kollege Müller, was ist denn mit dem Silberstreif am Horizont, wenn es vielleicht einige Tausend weniger Arbeitslose bei heute 2,2 Millionen geben mag?
Dies ist möglicherweise ein Silberstreif für alle anderen, aber auf keinen Fall für die Arbeitslosen. Was hätten Sie eigentlich zu uns gesagt, wenn wir es geschafft hätten, in zwei Jahren 400 000 Arbeitslose mehr und 100 000 Beschäftigte weniger zu haben?
Wie erdreisten Sie sich eigentlich, von unseren sicher vorhandenen Schwierigkeiten im Umgang
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Heyenn
mit der Rentenversicherung zu reden, wenn es Ihnen und Norbert Blüm gelingt — einmalig in der Geschichte seit über einhundert Jahren! —, daß die deutsche Rentenversicherung erstmals Banken anpumpen muß, um am Ersten die Renten auszuzahlen?
Ich wäre sehr viel bescheidener, wenn ich hier von vorne für diese Regierung reden müßte.
— Die Rentenversicherung war zahlungsunfähig. Barmittel fehlten. Da war nichts mehr in der Portokasse. Das stellen Sie sich bitte vor! Man konnte sich nur mit Bankkrediten für einige Tage über Wasser halten. Dies wird sich im nächsten Jahr wiederholen.
Rentner und Versicherte sind irritiert. Sie sind empört, daß es im kommenden Jahr vielleicht etwas über, möglicherweise sogar unter einem Prozent Anpassung gibt.
Vor wenigen Wochen hat der Arbeitsminister seinen Rentenanpassungsbericht vorgelegt. Da kann man von Fehlbeträgen im Fünfzehnjahreszeitraum von über 100 Milliarden DM lesen. Bringen Sie das doch bitte einmal ein, und vergleichen Sie dies mit Ihren Aussagen, es sei eine solide Finanzgrundlage vorhanden.
Diese Grundlage ist unsolide.
Sie wirtschaften auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzes weiter auf Pump. Dies hat der Arbeitsminister zu verantworten. Wer hat nicht noch im Ohr, wie häufig er hier gestanden und gesagt hat,
Schulden machen sei unsozial, Verschuldung abbauen sei sozial.
Und wer macht jetzt Schulden in der Rentenversicherung? Wer muß jetzt zur Deutschen Bank gehen und pumpen, damit die Renten gezahlt werden können?
Anspruch und Wirklichkeit des Norbert Blüm. Da liegen Welten dazwischen.
Außerdem erinnern Sie sich bitte: Wir haben Ihnen die Rentenversicherung mit einer Schwankungsreserve von 20 Milliarden DM hinterlassen. Heute, Ende 1984, sind es keine 12 Milliarden mehr. Wer ist denn daran schuld? Wer hat denn zugelassen, daß aus der Rentenversicherung jährlich 5 Milliarden DM zu Lasten der Rentner, die er schützen wollte, zugunsten von Subventionen genommen wurden, die mit der Gießkanne gestreut werden?
— Und die Landwirte, ich weiß.
Dabei hätten Sie es so leicht gehabt, die desolate Situation zu beheben: Sie hätten unserem Antrag in der letzten Woche zustimmen können, die Beiträge für die Arbeitslosen an die Rentenversicherung wieder anzuheben.
— Natürlich der Steuerzahler. Oder ist Arbeitslosigkeit kein gesamtgesellschaftliches Problem, Herr Kollege Günther? Sollen das die Arbeitslosen alleine bezahlen?
Ich glaube, es ist ein Beweis für Untätigkeit, daß die Probleme mittel- und langfristiger Art von dieser Regierung nicht angepackt werden, daß man versäumt, die sozialen Systeme wieder auf eigene Füße zu stellen und unabhängig zu machen von der Gnade des Finanzministers.
Wir fordern Sie auf, Herr Bundesarbeitsminister,
Ihre Pläne zur Strukturreform den Bürgern nicht vorzuenthalten bis nach der Wahl 1987, sondern sie jetzt auf den Tisch zu legen.
Meine Fraktion hat vor zwei Tagen einen umfassenden Rentenreformentwurf verabschiedet. Ich glaube, wir beweisen damit, daß es möglich ist, durch eine langfristig angelegte Strukturreform nicht nur eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Modell der Teilhaberente und den Ausbau der Rente nach Mindesteinkommen zu finanzieren, sondern darüber hinaus die Rentenversicherung von den Risiken des Arbeitsmarktes zu entlasten und für die Bewältigung der demographischen Risiken der kommenden Jahrzehnte vorzusorgen.
Unsere Rentenformel verteilt künftige Belastungen sozial ausgewogen auf Rentner, Beitragszahler und den Staat. Wir haben dem Arbeitsminister, Herrn Blüm, wiederholt Kooperation bei der Bewältigung der großen Strukturfragen unserer Alterssicherung angeboten. Ihre Antwort — Sie wissen es selbst — waren leere Worte und keine Taten.
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Wir Sozialdemokraten treten nunmehr den Beweis an, daß wir der Bundesregierung konzeptionell weit voraus sind.
Aber wir begreifen unseren Entwurf auch als Kooperationsangebot und als Versuch eines über Parteigrenzen hinausgreifenden Konsenses. Herr Arbeitsminister, wenn Sie über Ihren Schatten springen, haben Sie die Chance, in Zukunft auf solche erbärmlichen Gesetze wie das, über das wir heute beraten, zu verzichten.
Lassen Sie mich kurz zu den anderen Themen dieses Gesetzes Stellung nehmen. Ich halte es schon für beinahe skrupellos, der Bundesanstalt für Arbeit bei unverändert hoher Massenarbeitslosigkeit dringend benötigtes Beitragsaufkommen im Rahmen des Verschiebebahnhofs zu entziehen. Notwendig ist eine ausreichende Absicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit; notwendig sind auch Maßnahmen zur Wiederherstellung des vor dem 1. Januar 1983 geltenden Rechts nach dem Arbeitsförderungsgesetz.
Sie haben einen einzigen Punkt aus unseren Forderungen aufgegriffen, sozialdemokratisches Gedankengut übernommen, und das ist die Verlängerung der Anspruchsdauer für den Bezug von Arbeitslosengeld. Wir sind uns darin einig. Die Verlängerung allerdings nur über ältere Arbeitnehmer vorzusehen, ist in keiner Weise ausreichend. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung; aber wir sagen: ein zu kleiner Schritt.
Niemand kann erklären, warum z. B. Arbeitslose mit 30 oder 40 Jahren, die lange im Arbeitsleben gestanden haben, die eine Familie haben, von der Verlängerung dieses Bezuges ausgeschlossen werden. Denn Sie, die Sie soeben über Familienpolitik gesprochen haben, wissen doch, daß gerade in diesen Familien mit mehreren Kindern der Weg zur Sozialhilfe nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes, beinahe schon der Normalfall ist. Also Verlängerung der Bezugsdauer ja, aber für alle Altersgruppen, keine willkürlich gezogenen Grenzen!
Die Verlängerung der Sperrzeit, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als ein Finanzierungsinstrument. Sie greifen den Arbeitslosen zusätzlich in die Tasche.
Das Argument der Notwendigkeit des Schutzes vor Mißbrauch ist an den Haaren herbeigezogen, ist reine Koalitionsideologie.
Die Verschärfung der Sperrzeiten ist lediglich ein Instrument, um Druck auf Arbeitnehmer und Arbeitslose auszuüben, schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.
Außerdem: Wie ist es eigentlich? Können wir Eigenkündigungen in der Regel als mutwillig bezeichnen? — Ich glaube, nein. Aber die Verschärfung der Sperrzeiten bringt Geld in Ihre Kassen, spart Ausgaben in Höhe von sage und schreibe 250 Millionen DM im Jahr. Wenn ich mir jetzt überlege, daß Sie den Rückgang des Engagements durch die Bundesanstalt in der Arbeitslosenhilfe dazu benutzen, um das Babyjahr zu finanzieren, und das Geld nicht für die 2,2 Millionen Arbeitslosen einsetzen, dann ist dies nach meinem Empfinden zynisch.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. In Ihrem Entwurf steht unter C — Alternativen —: Keine.
Ich glaube, damit kommen Sie im Rahmen Ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten bei Null an. Wir haben Ihnen Alternativen vorgelegt.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, meine Damen und Herren: Der Verlängerung der Anspruchsdauer für ältere Arbeitslose stimmen wir zu. Das ist zwar ein kleiner Schritt, aber die Richtung stimmt. Zweitens: Die Verschärfung der Sperrzeiten lehnen wir ab. Diese Maßnahme ist unbarmherzig.
Drittens: Die Beitragsverschiebung lehnen wir ab. Sie ist für uns „Blümschusterei"; die Rente auf Pump bleibt.
Sie haben Verständnis dafür, daß wir in dieser Situation, bei dieser Sachlage, dem Gesetzentwurf, diesem Machwerk, insgesamt unsere Zustimmung verweigern müssen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der erste Teil der Ausführungen des Kollegen Heyenn hat sich im Ton und in der Argumentation deutlich von dem kollegialen, vernünftigen Beratungsverhalten der SPD-Fraktion und der GRÜNEN unterschieden. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mich für das zügige und kollegiale Verhalten der Kollegen in aller Form zu bedanken.
Das habe ich bei der früheren Opposition getan und tue es selbstverständlich auch heute.
— Nein, das ist nicht zynisch. Ich meine das genauso ehrlich, wie ich es hier sage. Nein, dem möchte ich doch sehr deutlich widersprechen.
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Cronenberg
Ich möchte auch deutlich machen, daß ich die gemeinsame Entschließung des Ausschusses, den Bundesarbeitsminister zu bitten, uns nicht in einen solchen Beratungsnotstand zu bringen, durchaus ernst nehme. Ich bin auch sicher, daß Norbert Blüm und sein Haus sich bemühen werden, uns dies zu ersparen. Sie können versichert sein: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat dies ja nicht aus Lust und Dollerei getan, sondern er wollte in der Not die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Beitragssituation am 1. Januar geklärt ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir die Mühe gemacht, noch einmal die Debatte anläßlich der ersten Lesung am 26. Oktober nachzulesen. Mit allem Freimut möchte ich sagen: Es ist mir nicht möglich gewesen, neue Argumente zu finden. Mit anderen Worten: Ich möchte zunächst einmal auf meine damaligen Ausführungen verweisen. Das erspart Ihnen Zeit, und es braucht auch weniger gedruckt zu werden.
Deswegen kann ich zusammenfassend feststellen: Durch dieses Gesetz werden die kurzfristig aufgetretenen Liquiditätsprobleme gemildert. Ich kann noch einmal feststellen: Ursache war keine Fehlkalkulation, sondern waren Tarifverträge, die nicht nur Lohnerhöhungen, sondern auch mehr Freizeit zum Inhalt hatten. Freizeit aber ist keine Bemessungsgrundlage für Sozialversicherungsbeiträge.
Das Gesetz ist kein Lösungsvorschlag für die langfristigen Strukturprobleme. Das hat auch niemand behauptet. Wir haben immer erklärt, daß die Lösung der langfristigen Strukturprobleme unserer Rentenversicherung in dieser Legislaturperiode begonnen und in der nächsten Legislaturperiode abgeschlossen werden muß. Dabei — das kann man nicht oft genug wiederholen — muß darauf hingewiesen werden, daß es keine Tabus gibt, weder im Rentenniveau noch in der Beitragshöhe.
Es ist eine Zwischenfrage gewünscht. Der Redner stimmt zu. Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Cronenberg.
Herr Kollege Cronenberg, ist es Ihnen immer noch nicht eingegangen, daß das, was bei den Tarifverhandlungen im Jahre 1984 auf die Arbeitszeitverkürzung entfällt, materielle Auswirkungen für die gesetzliche Rentenversicherung und andere Sozialversicherungsträger dieses Jahr noch nicht hat, weil diese Bestimmungen alle erst im Jahre 1985 in Kraft treten?
Es ist nicht zu bestreiten, daß die Hauptauswirkungen in 1985 liegen. Es ist aber ebensowenig zu bestreiten, daß die Erhöhungen für 1984 unter Berücksichtigung dieser Regelung so niedrig waren. Insofern ist der Sachzusammenhang selbstverständlich gegeben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, daß wir nachhaltig immer wieder für Beitragsstabilität eintreten, und zwar im Interesse der Arbeitnehmer und im Interesse der Wirtschaft, weil Arbeit nicht verteuert werden soll. Deswegen ist es selbstverständlich, logisch, vernünftig und richtig, die Möglichkeiten zur Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung wahrzunehmen. Wir haben sie noch nicht einmal ausgeschöpft, sondern haben — Gott sei Dank und erfreulicherweise mit Zustimmung des ganzen Hauses — für die älteren Arbeitnehmer, die längerfristig arbeitslos sind, längere Arbeitslosengeldzahlungen vereinbart.
Lassen Sie mich bitte noch zu der berühmten Behauptung „Renten auf Pump" ein paar Bemerkungen machen. Der kurzfristige Kredit, Kollege Heyenn, der den Rentenversicherungsträgern zusätzlichen Spielraum gibt, sorgt dafür,
daß zwei Dinge geschehen: erstens, daß die Rentenversicherungsträger nicht gezwungen sind, angelegtes Vermögen zum falschen Zeitpunkt auflösen zu müssen. Zweitens ist durch die Konkretisierung der Bundesgarantie gewährleistet, daß die Auszahlung der Renten sicher ist. Ich habe nie bestritten, daß das auch früher der Fall war, auch wegen der Bundesgarantie. Diese Ausgestaltung der Bundesgarantie und die veränderten Zahlungsmodalitäten führen dazu, daß die Rentenversicherungsträger nicht Zinsverluste, sondern Zinsgewinne haben. Dies wiederum müßte den Sozialpolitiker Heyenn und alle Sozialpolitiker hier im Hause erfreuen.
— Das ist kein schwacher Trost, sondern eine Feststellung, der man bei objektiver Bewertung durchaus leicht zustimmen kann.
Alles in allem möchte ich feststellen, daß durch diese beiden Maßnahmen — Absenken der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung und Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge — die Gesamtbelastung mit Sozialversicherungsbeiträgen gleich bleibt, und ein beachtlicher Beitrag zur Liquiditätsverbesserung der Rentenversicherung erfolgt ist. Das heißt, alles das, was wir vom Gesetz erwartet haben, ist erfüllt. Insofern fällt es uns überhaupt nicht schwer, dem Gesetz zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Potthast.
Herr Präsident! Verehrtes, leeres Hohes Haus!
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Frau Potthast
Herr Cronenberg, ich gebe Ihnen recht; denn es ist doch wirklich immer dasselbe. Dieser ganze Schlagabtausch ist letztendlich eine Farce. Das wissen Sie, das weiß ich, das wissen die Kollegen von der SPD, Zeitdruck hin, Unfähigkeit des Ministeriums her. So begründet die Vorwürfe des Kollegen Heyenn auch sind — ich teile sie; so etwas nennt man dann wahrscheinlich kollegiale Solidarität —, es ist doch wirklich unsinnig, sich vorzumachen, daß auch nur ein einziges Gesetz anders ausfiele, als es der Regierung und den Regierungsparteien genehm ist, selbst wenn wir mehr Zeit hätten; leider.
Hier wird in erster Linie mit Geld jongliert, und zwar vor dem Hintergrund einer immer weiter um sich greifenden Armutswelle, hervorgerufen durch unsoziale Haushaltsbegleitgesetze aus dem letzten Jahr, durch Rationalisierungsschübe, durch Steuerentlastungsgesetze für Unternehmer, für Besserverdienende. Vor dem Hintergrund dieser Armutswelle, die immer mehr Menschen aus dem Produktionsprozeß ausgrenzt —
ältere Menschen, Jugendliche und durch alle Gruppen hindurch insbesondere Frauen — hat die Bundesanstalt für Arbeit einen Überschuß in Milliardenhöhe. Das ist für die Menschen draußen nur schwer vorstellbar. Einsichtig ist es überhaupt nicht.
Deshalb wird einer Gruppe von Arbeitslosen, nämlich den älteren Langzeitarbeitslosen, etwas gegeben — statt 12 Monate Arbeitslosengeldbezug jetzt 18 Monate für alle, die älter als 49 sind und sieben Jahre lang beitragspflichtig gearbeitet haben —, während gleichzeitig einer anderen Gruppe von Arbeitslosen, nämlich all denjenigen, die von der Verschärfung der Sperrzeit betroffen sein werden, Arbeitslosengeld genommen wird.
Sosehr ich es auch begrüße, daß Sie mit diesem Gesetz älteren Arbeitnehmern eine kleine Erleichterung zukommen lassen wollen: Bei genauer Betrachtungsweise zeigt sich, daß es sich dabei gerade um ein winziges Trostpflästerchen handelt. Ein Kerzchen vor Weihnachten, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, und dann stehen an Stelle des Christkinds wieder Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit vor der Tür. Denn die Probleme eines 50jährigen Arbeitslosen sind nach weiteren sechs Monaten wieder dieselben: von dem Bezug des Arbeitslosengeldes in die Arbeitslosenhilfe zu stürzen, sich demütigenden Bedürfnisprüfungen unterziehen zu müssen,
um sich nach der Veräußerung des langjährig ersparten Eigentums als Sozialhilfeempfänger wiederzufinden. Das heißt, Sie verschieben das Problem um ganze sechs Monate.
Sie argumentieren ständig damit, daß es ungerecht sei, einen Menschen, der 30 Jahre lang Beiträge gezahlt habe, finanziell genauso abzusichern wie eine Person, die nur drei Jahre lang Beiträge gezahlt habe. Das Argument hat sogar etwas für sich. Aber nur dann, wenn Sie davon ausgehen, daß alle Menschen ähnliche Chancen haben, um überhaupt einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. Aber was ist denn eigentlich mit all den Frauen, die überhaupt gar nicht erst in die Lage kommen, eine kontinuierliche Berufsbiographie vorzuweisen? Was ist mit den Frauen, die nicht zu den Beitragszahlern gehören können, weil sie auf Grund ihrer Gebärfähigkeit schon von vornherein im Erwerbsleben diskriminiert werden, konkurrieren müssen mit Männern, die ihnen ständig vorgezogen werden, weil die Gesellschaft den Frauen die Rolle zuschiebt, verantwortlich für Kinder und Küche zu sein, so daß sie erst gar nicht in die Lage kommen, Beiträge an die Sozialversicherung abzuführen?
Oder was machen Sie mit all den Jugendlichen, für die es weder genügend Arbeitsplätze noch Ausbildungsplätze gibt? Frauen, Mädchen und Jugendliche gehören zu den Langzeitarbeitslosen, die von diesem kleinen Trostpflästerchen nichts, aber auch überhaupt nichts haben. Im Gegenteil. Denn das, was an Mehrausgaben auf die Bundesanstalt für Arbeit zukommt, müssen Sie sich zumindest in kleinen Portionen wieder holen. Deshalb und nur deshalb sind Sie auf die Idee gekommen, die Sperrzeit von zwei auf drei Monate zu verlängern. Denn das bringt wieder Geld, zwar nur einen Teilbetrag, aber immerhin.
— Sie wissen doch genausogut wie ich, daß sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in der Regel tatsächlich stattfindet.
Was machen Sie denn mit diesen Frauen, die Sie nämlich anschließend genau vor die Alternative stellen, drei Monate lang keinen Pfennig Geld mehr für ihren Lebensunterhalt zu erhalten oder ein unerträgliches Betriebsklima weiter durchzuhalten?
Denken Sie auch mal daran, daß gerade diese Frauen, die am Arbeitsplatz entweder vom Chef oder von den Kollegen sexuell belästigt werden und kündigen wollen, in aller Regel den Grund für ihre
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Frau Potthast
Kündigung verheimlichen, weil nämlich das Thema Sexismus am Arbeitsplatz sowohl für Sie als auch für die Gesellschaft immer noch ein Tabu-Thema ist.
Diese Frauen werden leider in den seltensten Fällen eine Widerspruchstelle in Anspruch nehmen. Denn die Angst vor der Öffentlichkeit, Schamgefühl, Peinlichkeit, alles das sind verständliche Gründe.
Diese Sperrzeitenverschärfung empfinden wir als unzumutbar. Wenn Sie wirklich einmal darüber nachdenken würden, müßten Sie mir recht geben.
Auf den Verschiebebahnhof, den Sie mit der Anhebung von 0,2 % der Beiträge zur Rentenversicherung bei gleichzeitiger Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in die Wege geleitet haben, will ich hier nicht mehr so genau eingehen; denn das ist schon an anderer Stelle gemacht worden. Ich bitte Sie, greifen Sie die Probleme doch einmal so an, daß Sie nicht nur immer versuchen, kurzfristig Löcher, die Sie ja bei der Rentenversicherung selbst eingerissen haben, indem Sie die Beiträge für Arbeitslose willkürlich abgesenkt haben, höchst notdürftig zu stopfen.
Ich komme zum Schluß. Wenn Sie diesen offensichtlichen Fehler wieder rückgängig machen würden, stände die Rentenversicherung nicht vor den Liquiditätsschwierigkeiten, die sie heute hat. Legen Sie also bei den Beiträgen für Arbeitslose an die Rentenversicherung wieder den Bruttolohn zugrunde, und Sie könnten sich das Verschieben zwischen den einzelnen Sozialversicherungszweigen sparen. Wenn Sie darüber hinaus unserer Forderung nach Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung nachgeben würden, hätten Sie sich mittelfristig zumindest ...
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist beendet.
... die Probleme vom Hals geschafft, die Sie ansonsten noch lange Zeit begleiten werden.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verlängern die Dauer der Gewährung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose. Das ist die beste und wichtigste Nachricht des Tages.
Meine Damen und Herren, ich habe sehr viel Verständnis für die Beschwerden des Ausschusses, unter welchem großen Zeitdruck gearbeitet werden mußte. Ich möchte mich noch ausdrücklich für die Bereitschaft bedanken, dieses Gesetz noch vor Weihnachten unter Dach und Fach zu bringen. Es geht ja nicht um uns, es geht nicht um Regierung und Opposition, sondern es geht um Arbeitslose und Rentner. Wir dürfen nie vergessen, für was wir hier Politik machen.
Ich wollte ausdrücklich Dank sagen. Daß wir unter großem Zeitdruck arbeiten müssen, das hängt auch mit dem großen Problemdruck zusammen, unter dem diese Regierung steht. Deshalb weise ich in aller Gelassenheit und mit großer Entschiedenheit den Vorwurf der Unfähigkeit der Mitarbeiter des Arbeitsministeriums zurück.
Die arbeiten bis an die Grenze der Erschöpfung wegen der Probleme, die Sie uns hinterlassen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Lage der älteren Arbeitslosen nur wenige Bemerkungen machen. 400 000 Arbeitslose sind über 50 Jahre alt. Also jeder fünfte Arbeitslose ist ein Arbeitsloser über 50 Jahre. 30 % jener Arbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, kommen aus dem Kreis derjenigen, die über 50 Jahre alt sind. Wenn wir uns also den Fünfzigj ährigen und Älteren zuwenden, deren Arbeitslosigkeit im Durchschnitt doppelt so lange dauert wie die Arbeitslosigkeit der Zwanzigjährigen, dann machen wir eine gezielte Sozialpolitik. Wir wenden uns denjenigen zu, die die Hilfe am meisten brauchen. Das ist — wie ich zugebe — nicht die Sozialpolitik mit der Gießkanne.
Es gibt auch die sachliche Begründung, nämlich daß der Ältere, im Normalfall der Fünfzigjährige, auch länger Beitrag gezahlt hat als der Zwanzigjährige. Es entspricht wiederum meinen Solidaritätsvorstellungen, daß derjenige, der länger in die Solidarkasse gezahlt hat, auch einen Anspruch darauf hat, länger aus der Solidarkasse unterstützt zu werden.
Ich denke, daß wir den Älteren auch deshalb helfen sollten, weil ein Umsteigen in die Arbeitslosenhilfe ja nicht nur Einkommensverlust, sondern auch den Verlust von Anrechnungszeiten bedeutet. Denken Sie daran, daß sich möglicherweise ein älterer Arbeitnehmer ein Zweifamilienhaus sauer von seinem Lohn abgespart und auf Urlaubsfahrten verzichtet hat. Sollten wir ihn nicht so weit es geht vor der Arbeitslosenhilfe bewahren? Sollten wir demjenigen, der treu und brav seinen Beitrag geleistet hat, nicht unterstützend unter die Arme greifen? Sie sehen, das ist keine Sozialpolitik aus Lehrbüchern, sondern das ist eine Sozialpolitik, die ihre Anregungen aus dem Leben erhält.
Wir entschärfen erstens die Arbeitslosenhilfe, wir entlasten zweitens auch die Sozialhilfe und drittens ist das auch eine Geste gegenüber den älteren Mitbürgern.
Lassen Sie mich auch zur Rückseite der Medaille, zur Sperrzeitverlängerung Stellung nehmen. Auch das stelle ich unter das Gebot der Solidarität. Bei über zwei Millionen Arbeitslosen müssen diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, sorgsam mit ihrer Kündigung umgehen. Ich denke, sie sollten erst kündigen, wenn sie einen neuen Arbeitsplatz in der
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Bundesminister Dr. Blüm
Hand haben. Die können sich die Arbeitsplatzsuche doch nicht aus der Solidarkasse bezahlen lassen.
Wir verlängern die Sperrzeiten — die ja nichts Neues sind —, wenn ohne „wichtigen Grund" gekündigt wird. Sie sehen, es ist ein Gebot der Solidarität derjenigen, die Arbeit haben, darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihr Geld für wichtigere Sachen braucht, als für die Arbeitsplatzsuche derjenigen, die schon Arbeit haben.
Als wir hier vor zwei Jahren vor Ihnen standen, hatten wir bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Defizit in Höhe von 13 Milliarden DM. Halten Sie es nicht für ein Wunder, daß wir uns schon wieder über die Verwendung von Überschüssen streiten können? Vor zwei Jahren hätte uns das auch niemand zugetraut. Wir haben diesen Erfolg nicht — wie Sie unterstellen — dadurch erreicht, daß wir die Arbeitsmarktinstrumente der Bundesanstalt zertrümmert hätten. Wir haben die Zahl der ABM-Maßnahmen verdreifacht; die Ausgaben für Umschulung und Fortbildung sind um 20 % höher. Das, was Sie gestern auf Ihrem Kongreß gefordert haben, ABM-Maßnahmen zu verlängern, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für die älteren Arbeitslosen zu verlängern sowie Arbeitsmarktinstrumente zu verbessern, haben wir gemacht. Während Sie noch am Bestellschein herumbasteln, haben wir schon den Lieferschein zugestellt.
Sagen Sie doch mal Herrn Lafontaine, daß er nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Er hat Verspätung; was er gestern gefordert hat, haben wir längst gemacht.
Heute werden wir die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für die Älteren — ich hoffe, mit Ihrer Hilfe — beschließen.
Lassen Sie mich auch etwas in aller Kürze zur „neuen Armut" sagen. Sicherlich, Arbeitslosigkeit ist Mangel. Das Schicksal der Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur materielle Einbuße; das weiß ich auch. Aber ein Horrorgemälde vom Elend zu entwerfen, das Katastrophenbild einer Massenarmut zu zeigen, das läßt Ihre eigenen Früchte, nämlich am Ausbau des Sozialstaates mitgewirkt zu haben, verfaulen. Damit demontieren Sie sich selber. Gott sei Dank haben wir einen Sozialstaat, der das Elend, das in der Dritten Welt herrscht, bei uns vermeidet. Deshalb sollten Sie mit dem Wort sparsam umgehen.
Wer das so inflationär verwendet, der handelt zynisch gegenüber denjenigen, denen es in der Dritten Welt wirklich elend geht.
Wissen Sie, wenn ich im Buch des Deutschen Gewerkschaftsbundes die „neue Armut" dargestellt sehe und beispielsweise einen Oliver D. — so ist er dort benannt — klagen höre, daß er seiner Freundin keine Geschenke mehr kaufen kann: Ich gönne ja jedem, daß er seiner Freundin Geschenke kauft, ich mache das auch gern
— Freundinnen und Freunden —, jeder verteilt gern Geschenke. Nur, meine Damen und Herren: Der Sozialstaat ist dafür nicht zuständig. Der Sozialstaat ist nicht für die Geschenkverteilung zuständig.
Wenn Sie das zulassen, dann werden die Arbeitnehmer, die morgens treu und brav zur Arbeit gehen, von uns fordern, daß wir ihnen ihr ganzes Einkommen schenken. Warum sollen sie überhaupt noch arbeiten, wenn ihnen über Beiträge alles weggenommen wird?
Ich komme zum zweiten Punkt: Rentenpolitik. Lieber, verehrter Kollege Glombig, der Streik mit seinem Lohnabschluß hat der Rentenversicherung natürlich viel Geld gekostet. Ein Prozentpunkt mehr Lohn macht 7 Milliarden DM Einnahmen in den Rentenkassen aus. Wissen Sie, was wir ihnen jetzt durch 0,2 Prozentpunkte beschaffen? 1,4 Milliarden DM! Hätte die IG Metall eine vernünftigere Tarifpolitik gemacht, bräuchten wir jetzt nicht nachzuschieben. Sie haben gesagt, Sie wüßten es seit einem halben Jahr. Ich habe vor einem halben Jahr nicht gewußt, daß die Tarifpolitik in dieser Sackgasse landet, in der sie die IG Metall hat landen lassen. Woher soll ich das wissen? Ich hätte meiner Gewerkschaft Besseres zugetraut.
Lassen Sie mich zu der Frage: „offen und ehrlich" Stellung nehmen. Die Bundesanstalt hat Geld übrig. Also senken wir dort die Beiträge. Der Rentenversicherung fehlt Geld. Also erhöhen wir dort die Beiträge. Was ist eigentlich besser, offener und ehrlicher, als das Geld immer dort einzusetzen, wo es gebraucht wird, und den Beitrag dort zu senken, wo Überschuß ist? Ich halte das für viel offener und ehrlicher, als hinter dem Rücken der Beitragszahler die Finanzströme von der einen Anstalt zur anderen zu schieben; das letztere verstehe ich als Versteckspiel.
Der Kollege Heyenn hat zuerst die Aggressionsplatte gespielt und dann die Hand zum Konsens ausgestreckt. Lassen wir einmal den ganzen Pulverdampf weg. Ich kann nur sagen: Je mehr Übereinstimmung wir in der Rentenversicherung erzielen, desto besser ist es. Es geht nicht um parteipolitische Profilierung. Wir werden Ihr Konzept Punkt für Punkt prüfen. Wo Übereinstimmung ist, werden wir sie nicht hintanstellen. Wo keine Übereinstimmung ist, werden wir den Dissens deutlich machen.
Eines müssen Sie mir noch verraten, damit ich es besser verstehe. Das Ganze soll 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte mehr kosten. Dieses Betriebsgeheimnis müssen Sie mir noch offenbaren, vielleicht noch in dieser Debatte. eine 70 %ige Teilhaberente kostet uns 2,5 Milliarden DM mehr, das Babyjahr, wie Sie es wollen, 5 bis 6 Milliarden DM, die Rente nach Mindesteinkommen je nach Ausgestaltung 1 bis 1,5
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Bundesminister Dr. Blüm
) Milliarden DM. Das alles schaffen Sie mit 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten. Sie werden mindestens das Zehnfache dafür benötigen, selbst wenn Sie noch Einnahmen beschaffen wollen, es sei denn, Sie würden bei der Bundesanstalt für Arbeit Löcher aufreißen und das Problem verschieben. Das ist die himmlische Rechenkunst, lieber Kollege Glombig. Das erinnert mich an Schulmeisterlein Wuz bei Jean Paul. Der war immer so selig, wenn er seine Buchhaltung betrachtet hat. Er hat allerdings immer nur die Ausgaben gezählt, nie die Einnahmen. Damit kann ich jede Rechnung schönschreiben.
Ich bleibe dabei: Wir müssen den Rentnern ehrlich und offen gegenübertreten. Rentner sind erwachsene Menschen. Sie dürfen nicht behandelt werden, als müßten sie mit schönen Liedern in den Schlaf gesungen werden. Es gehört zur Ehrlichkeit zu sagen: Die Rentenbäume wachsen nicht in den Himmel. Aber kein Rentner braucht Angst zu haben, wir wollten ihm etwas wegnehmen. Allerdings jene Steigerungsraten, die aus den Zeiten bekannt sind, als es noch mehr Beitragszahler und weniger Arbeitslose gab, gibt es leider nicht. Das muß man ihnen sagen, weil ich glaube, es gehört zur Ehrlichkeit.
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zur Liquiditätsfrage sagen. Die Rentenversicherung — lieber Kollege Heyenn, das müssen Sie doch in Ihre Gesamtdarstellung aufnehmen — hat fast 7 Milliarden DM Vermögen als Rücklage. Bei 275 Millionen DM, die für Stunden geliehen worden sind, „Rente auf Pump" zu sagen, kann ich nicht akzeptieren. Herr Heyenn, wenn Ihre Regierung uns ähnlich viel Rücklage zurückgelassen hätte und nur für ein paar Stunden einige Millionen Kredit aufgenommen hätte, hätten wir Ihnen ein Denkmal gebaut. Ich hätte Ihnen nie einen Vorwurf gemacht.
Seien Sie also mit dem großen Wort „Pump" etwas vorsichtig. Das macht Angst, zu der die Rentner keinen Grund haben.
Ich wiederhole an dieser Stelle: Die Renten sind sicher. Ich werde das immer und immer wiederholen. Die Bundesregierung nimmt ihre Bundesgarantie ernst, was Sie daran sehen, daß wir auch die Liquiditätssicherung aus den Wagnissen der Ungeregeltheit herausgenommen und für das nächste Jahr sichergestellt haben.
Meine Damen und Herren, ich denke, heute abend ist nicht die Gelegenheit, eine große Rentendebatte zu führen. Ich hoffe, wir führen sie einmal in aller Ausführlichkeit und nicht in Zehnminutenbeiträgen, mit dem Willen — das erkläre ich noch einmal — zur Übereinstimmung dort, wo sich die Übereinstimmung herstellen läßt, allerdings auch nicht mit der Furcht, die Unterschiede deutlich zu machen, wo Unterschiede deutlich gemacht werden müssen. Unser Konzept ist meiner Ansicht nach ein Konzept der sozialen Ausgewogenheit: Beitragserhöhungen auf der einen Seite, Beitragssenkungen auf der anderen Seite — also ein Gleichgewicht —, Leistungsverbesserungen für ältere Arbeitslose auf der einen Seite, Einsparungen — bei Sperrzeiten — auf der anderen Seite und ein Beitrag für sichere Renten. Das ist unsere wichtigste Aufgabe in der Rentenpolitik.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch zu dieser späten Stunde
ist das Thema nicht bloß interessant, sondern sicherlich auch brisant. Herr Minister, ich nehme an, Ihre Beamten haben Ihnen sicher gesagt, daß das, was die Sozialdemokraten in der Frage der Hinterbliebenenversorgung oder einer kleinen Rentenreform nun vorgestellt haben, durchaus durchgerechnet und stimmig ist.
Ich frage mich deshalb, was dieses Zahlenwerk soll, das Sie hier vorgetragen haben. Ich kann Ihnen also nur empfehlen, sich unsere Vorschläge gründlich anzusehen.
Zum zweiten glaube ich, daß Sie wohl kaum Grund haben, sich hier vor Ihre Beamten zu stellen; denn die waren von uns überhaupt nicht gemeint und sind gar nicht angegriffen worden.
Die Regierung war gemeint, aber nicht die Damen und Herren, die Ihnen zuarbeiten. Um die geht es j a gar nicht.
Hier nun die IG Metall oder die Gewerkschaften als Prügelknaben und Verantwortliche für die Fehlentwicklungen hinzustellen, die mit auf Ihre Entscheidungen zur Rentenversicherung zurückzuführen sind, ist doch wohl der Gipfel.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen wurden und werden ja die Weihnachtsgratifikationen, Teile eines 13. Monatsverdienstes und die 13. Monatsgehälter ausgezahlt. Viele Arbeitnehmer — natürlich, verehrte Frau Kollegin — mußten ja feststellen, was sie vorher gar nicht glauben wollten: daß der Staat, hier vertreten durch Herrn Arbeitsminister Blüm und Herrn Finanzminister Stoltenberg, ihnen tief in die Lohntüte gegriffen hat.
— Der Grund, verehrter Herr Kollege, liegt in dem Haushaltsbegleitgesetz 1984, in dem auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, die Einmalzahlungen, die Sonderzahlungen ab 1. Januar 1984 in die Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung einbezogen haben.
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Sieler
— Darüber können wir ja streiten, Herr Kollege. — Just zu diesem Zeitpunkt werden die kleinen Leute wieder zur Kasse gebeten,
und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem das Bundesverfassungsgericht die Investitionshilfeabgabe für gutverdienende Bundesbürger für verfassungswidrig erklärt hat und diese Regierung die Abgabe wieder zurückzahlt. Das ist leider die Realität.
— Also, Herr Kollege Müller, genauso ist das. Während der verheiratete Hüttenarbeiter aus dem Stahlbereich meiner Heimat in Maxhütte-Haidhof und Sulzbach-Rosenberg mit 35 000 DM Jahresarbeitsverdienst heuer weniger Weihnachtsgeld in der Lohntüte mit nach Hause bringt, bekommt der Selbständige mit einem Jahresarbeitsverdienst von über 100 000 DM Geld zurück. Das ist doch die Realität.
Herr Abgeordneter Sieler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jagoda?
Herr Präsident, ich würde das gern tun. Herr Kollege, ich würde auch gerne mit Ihnen weiter diskutieren, aber meine Redezeit von zehn Minuten erlaubt mir das leider nicht.
Der Griff in die Weihnachtsgeldtüte wurde von der Bundesregierung mit dem Hinweis begründet, die Rentenfinanzen wieder in Ordnung bringen zu müssen, deren Probleme — Herr Bundesarbeitsminister, Sie leugnen sie — genau diese Regierung herbeigeführt hat. Wer hat denn den Beitrag für Arbeitslose zur Rentenversicherung halbiert? Doch nicht wir! Wir haben doch auf die finanziellen Folgen dieser Transaktion hingewiesen und entschieden widersprochen. Genau die finanziellen Schwierigkeiten bei der gesetzlichen Rentenversicherung sind doch nun absehbar und nicht mehr zu kaschieren.
Herr Minister Blüm wirft uns nun Panikmache vor, nur weil wir etwas kritisieren, was auch die Vorsitzenden und Präsidenten der Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten schon im vergangenen Jahr angesprochen haben und was Sie von der Koalition und was wir von dem Abgeordneten Blüm während der sozialliberalen Regierung bis zum Exzeß in diesem Hohen Hause mit den Schlagworten „Rentenbetrug", „Rentenpleite" und „Verschiebebahnhof" vorgehalten bekamen.
Wir hatten bei der Beratung zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1985 einen Antrag zur Sanierung eingebracht, der die Beitragsmanipulationen bei den Renten überflüssig gemacht hätten. Sie haben diesen Antrag der SPD-Fraktion abgelehnt und statt dessen auf die Ende 1985 stärkeren Beitragsrückflüsse zur Rentenversicherung infolge der Beitragspflicht für die Weihnachtsgelder hingewiesen. Die Bereitstellung zinsloser Betriebsmitteldarlehen im Haushaltsgesetz bis zu fünf Milliarden DM — das konnten Sie bisher nicht wiederlegen, meine Damen und Herren —, die Kreditaufnahme also der Rentenkassen im nächsten Jahr, wollen Sie kaschieren und vor der Öffentlichkeit verbergen. Das war doch der tiefere Sinn dieser gesetzlichen Regelung.
Ein weiteres Beispiel für Flickschusterei in der Kassenlage der Rentenversicherung ist nun noch das Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungsänderungsgesetz.
— Ja genau. Deswegen sage ich es doch, Herr Kollege Vogt. — Mit diesem Gesetz sollen 1,4 Milliarden DM in 1985 und bis 1988 insgesamt 6,5 Milliarden DM von der Arbeitslosenversicherung zur Rentenversicherung hinübergeschaufelt werden. Nicht genug, sage ich, für eine solide Finanzgrundlage bei den Rentenversicherungsträgern, aber von Ihnen mit dem Prinzip Hoffnung ausgestattet: Irgendwann wird das j a wohl vielleicht einmal wieder besser werden.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ordnet sich selbstverständlich logisch in die Politik dieser Regierung ein, den kleinen Mann weiter zu belasten und die Großverdiener zu entlasten.
Lieber Herr Kollege Blüm, Sie sind noch — das haben Sie gerade wieder gesagt — stolz auf diesen Erfolg, wie Sie mit Ihren Gesetzen die Arbeitslosen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe zur Kasse gebeten haben. Sie sind heute stolz darauf, daß diese Menschen nicht mehr in der Statistik der Bundesanstalt erscheinen, weil sie nicht mehr als Arbeitslose gelten.
— Herr Kollege Vogt, darüber können wir gern noch einmal diskutieren.
Der Rentenversicherungsbeitrag hat damit — und das sollten Sie sich einmal von Ihren FDP-Partnern sagen lassen —
die Schallmauer von 18,5 v. H. durchbrochen. Es scheint zwar so, als würden die Belastung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,2 Beitragsprozentpunkte und eine Entlastung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge in gleicher Größenordnung für den Versicherten belastungsneutral sein. Dies mag kurzfristig zutreffen, langfristig wird jedoch die Hemmung dieser Regierung und der sie tragenden Parteien, hier im besonderen der FDP, den Beitrag zur Rentenversicherung nach oben zu verändern,
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Sieler
endgültig fallen. Wer Herrn Lambsdorff aufmerksam liest,
der weiß, daß das genau dieser Intention entspricht. Die Politik der letzten zwei Jahre stärkt diese meine Befürchtung, meine werten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Im September 1984 erklärte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, wie man dies am 14. September 1984 in der FAZ lesen konnte, die Bundesregierung habe nicht nur buchhalterisch für Ordnung gesorgt, sondern auch Bausteine für ein solides Rentenhaus geliefert.
Die Buchhaltung stimmt. Die Frage ist nur, für wen. Mit Sicherheit nicht für die Millionen von kleinen Leuten und nicht für die Arbeitnehmer.
Aber wie ist das mit dem soliden Rentenhaus? Wir alle wollen — das ist gar nicht bestritten, Herr Kollege Kolb — ein solides Rentenhaus. Aber, Herr Minister Blüm, der Sie die SPD so gern als Abbruchfirma in diesem Hause und von dieser Stelle aus darzustellen versucht haben,
diese Entscheidungen, die Sie hier vorlegen, und diese Bausteine, von denen Sie reden,
sind nichts anderes als Bruchsteine, die Sie aus einer soliden Mauer der sozialen Sicherheit herausgebrochen haben, für die Sozialdemokraten wie Schellenberg, Leber und Arendt stehen.
— Das ist eine Mauer der sozialen Sicherheit — Herr Kollege Müller, das werden Sie doch wohl aus eigener Erfahrung wissen —, die weitgehend in den 15 Jahren sozialdemokratischer Mitverantwortung gestaltet worden ist. Sie werden sich fragen lassen müssen, Herr Bundesarbeitsminister, ob Sie auch zukünftig als Buchhalter mit falschen Zahlen statt als Sachwalter einer Sozialpolitik für mehr als 80% unseres Volkes gewertet werden wollen.
Weil dieser Gesetzentwurf nach unserer Überzeugung kein Baustein für ein solides Rentenhaus ist, lehnen wir ihn ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will die letzten Minuten unserer Redezeit nutzen, um auf das Argument einzugehen, das Sie, verehrter Herr Kollege Sieler, hier vorgetragen haben. Sie haben den Vorwurf erhoben, daß unsere Politik dazu führe, die Bezieher kleinerer Einkommen zu belasten und die Bezieher großer Einkommen laufenzulassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Politik schafft nicht Bruchsteine, sondern Ecksteine eines Sozialstaates.
Erst wir haben dafür gesorgt, daß wieder Verläßlichkeit in dieses System eingeführt worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir doch, in den wenigen Sekunden, die ich hier habe, meine Gedanken in Ruhe auszuführen.
— Auch ich habe Ihnen doch zugehört. Nun warten Sie doch erst einmal ab. Leben Sie auch von einem Stück Hoffnung. Das hätte Ihnen schon in den 13 Jahren, in denen Sie die Regierungsverantwortung getragen haben, gutgetan.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sah denn Ihre Alternative aus? Darf ich Sie daran erinnern? Vor einem Jahr haben Sie im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz den Vorschlag gemacht, den Beitragssatz zur Rentenversicherung für alle auf 19 % und den zur Arbeitslosenversicherung auf 5,4 % zu erhöhen. Das hätte bedeutet, daß jeder, der monatlich bis zu 2 600 DM verdient, voll seinen Krankenversicherungsbeitrag hätte zahlen müssen, voll seinen Rentenversicherungsbeitrag hätte zahlen müssen, voll seinen Arbeitslosenversicherungsbeitrag hätte zahlen müssen, ohne eine Leistungssteigerung zu bekommen. Das System, das wir angewandt haben, stellt die Einlösung eines Urteils des Bundessozialgerichts dar, das zu Ihrer Regierungszeit vorgelegen hatte und das Sie mit Füßen getreten hatten. Sie haben sich einen Dreck darum geschert, was dieses höchste Gericht in Deutschland Ihnen als Gesetzgeber aufgegeben hatte.
Wir haben der Entscheidung des höchsten Gerichts Rechnung getragen und eine entsprechende Regelung eingeführt.
Nächster Punkt: Was hat sich denn für denjenigen geändert, der monatlich bis zu 2 600 DM verdient? Dem nehmen wir nicht einen Pfennig mehr ab als in der Vergangenheit. Wir fordern eben die Solidarität der Besserverdienenden, die beispielsweise 4 000 DM monatlich verdienen und 4 000 DM Weihnachtsgeld bekommen
und sich bei Ihnen hätten davonstehlen können. Sie werden von uns in die Solidaritätspflicht genommen, erwerben dafür aber auch höhere Rentenansprüche. Das muß man doch einmal dazusagen.
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Jagoda
In der Art und Weise ist das doch fairer und ehrlicher als das, was Sie damals schaffen wollten, aber nicht zustande gebracht haben.
Ich will doch gar nicht fragen, warum Sie es nicht zustande gebracht haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbst wenn Sie auf diesem Gebiet von den Alpen bis zur Nordsee pilgerten und wie eine tibetanische Gebetsmühle das immer wiederholten, würde es dadurch nicht richtiger. Mit dieser Entscheidung im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 haben wir diejenigen, die das Glück haben, auf Grund ihrer Begabung, auf Grund ihres Talents und auf Grund ihres Fleißes eine bessere Einkommenssituation zu haben, in die Solidaritätspflicht genommen. Dafür zahlen wir Ihnen auch etwas, in Form einer höheren Rente. Sie wollten die Bezieher kleinerer Einkommen heranziehen. Dagegen sind wir.
Wir sind nämlich der Auffassung, daß in unserer Gesellschaft diejenigen, die etwas besser tragen können, auch mehr tragen müssen.
Deswegen verteidigen wir dies. Wir halten das nach wie vor für richtig und auch für sozialpolitisch gerechtfertigt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, über die Nr. 1, 1 a, 2 bis 4 und 5 des Art. 1 getrennt abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe, das ist der Fall.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dies einstimmig angenommen worden. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 a sowie 2 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer wünscht zuzustimmen? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Art. 2 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann sind diese Vorschriften mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? —
Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
— Drucksachen 10/1034, 10/1319 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/2542 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Bernrath Broll
Dr. Hirsch
Hierzu liegt Ihnen auf der Drucksache 10/2558 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Beiträge bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, es gibt keinen Widerspruch, hoffentlich auch keinen gegen eine etwas kürzere Form der Debatte. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz ist in den vierjährigen Beratungen so gründlich gelesen worden, daß bis heute zwei kleine Fehler übersehen worden sind. Herr Präsident, darf ich Ihnen den endgültigen Beschluß des Ausschusses geben; auf Seite 7 muß etwas korrigiert werden.
Sie sind auch Berichterstatter. Dann tun Sie dies in dieser Eigenschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir regeln in dem Gesetz zur Begrenzung der Nebentätigkeit sehr unterschiedliche Sachverhalte. Da ist der Polizeibeamte, der mit seinem Privatwagen eine Werbung für seine Privatfirma durchführt, während der Dienstzeit auf den Dienstparkplatz fährt und jedermann sichtbar dokumentiert, daß er nebenbei noch einen anderen Job hat. Da ist der Vorsteher eines Finanzamtes, der an einigen Wochenenden des Jahres im Bereich der Fortbildung des Steuerbeamtennachwuchses tätig ist, also auch Nebentätigkeit ausübt. Da ist der Chefarzt, der eine städtische Klinik leitet, aber in der Regel in der Klinik eine Privatpraxis mit Genehmigung seines Dienstherrn unterhält. Da
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8117
Broll
ist ein Elektromeister der Post, der eine ganze Kolonne von Kollegen privat damit beschäftigt, Installationen, elektrische Einrichtungen in Privathäusern durchzuführen; da er in der Handwerkerrolle steht, ist er auch berechtigt, die Installation abzunehmen. Und da ist schließlich z. B. der Professor, der große Gutachten für die Anhörung im Bundestag schreibt. Auch er übt Nebentätigkeit aus.
Es gibt mancherlei Neid in diesem Zusammenhang innerhalb des öffentlichen Dienstes und von außerhalb gegenüber dem öffentlichen Dienst. Es gibt sehr viel Arger unter den Kollegen und sehr viel Arger von Selbständigen und abhängig Tätigen in der freien Wirtschaft wegen dieser Erscheinungen innerhalb eines Teils des öffentlichen Dienstes, so daß es nötig gewesen ist, das Gesetz zu novellieren und gewisse Bestimmungen zu klären und zu verschärfen.
Wir stehen dabei zwischen zwei Grenzen. Die eine Grenze ist die Bestimmung des Beamtengesetzes, daß sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen hat, und zwar rundherum und grundsätzlich ohne Beschränkung. Da ist andererseits der Art. 2 des Grundgesetzes, der von höchsten Gerichten so ausgelegt wird, daß auch der Beamte das Recht hat, außerhalb seiner Dienstzeit mit seiner Arbeitskraft zu machen, was er will.
In diesen beiden Grenzen bewegen wir uns, und Sie können sich vorstellen, daß die Entscheidung nicht leicht ist.
Zu den Motiven, aus denen die Regelungen nötig geworden sind, gehört zunächst der Arbeitsmarkt. Die Lage ist im Augenblick so, daß wir nicht wünschen, daß in Amt und Würden befindliche Beamte, Angestellte oder Arbeiter des öffentlichen Dienstes als Konkurrenten auftreten, da es über 2 Millionen Arbeitslose gibt, besonders nicht dort, wo mancher freiberuflich Tätige große Schwierigkeiten hat, überhaupt noch eine Existenz durchzuhalten,
noch dazu in Konkurrenz mit Beamten, die teilweise bisher infolge schlechter Dienstaufsicht dienstliche Einrichtungen benutzen und deswegen ihre Leistungen viel billiger als der Selbständige anbieten können.
Das zweite Motiv war das, das uns im Innenausschuß vorwiegend bewegt hat: Wir wollen den öffentlichen Dienst so halten und bewahren, daß jeder Beamte dem § 54 des Beamtengesetzes gerecht wird: daß er mit voller Hingabe und ganzer Kraft, auch geistiger Energie, im Dienst arbeitet und nicht seine dienstlichen Pflichten als Job ansieht und sein Hauptinteresse gar etwa auf die Nebentätigkeit richtet. Wir wollen, daß das Ansehen des öffentlichen Dienstes, j a ich möchte sogar sagen: die Sauberkeit des öffentlichen Dienstes gewahrt oder wiederhergestellt wird. Denn es gibt im Bereich der Nebentätigkeiten auch Erscheinungen, die gefährlich sind, wenn nämlich Beamte, deren Kollegen in den Behörden hoheitlich tätig sind, im gleichen Bereich etwa Privatanbieter von Leistungen sind. Im Baugewerbe ist so etwas üblich, wenn auch — das wissen wir — viele Baufirmen in Zeiten der Hochkonjunktur selber dazu beigetragen haben, daß solche Beamte an Nebentätigkeiten gewöhnt worden sind, indem man sie beschäftigt hat. Aber die Lage ist anders geworden.
Neid war kein Motiv der Politiker, die sich mit diesem Gesetz zu beschäftigen hatten; und er wäre auch ein schlechter Ratgeber gewesen.
Es ist paradox, daß in einer Zeit, in der manche nach immer stärkerer Verkürzung der Arbeitszeit drängen, viele Mitbürger durchaus Freude an Arbeit, auch Beamte Freude an Mehrarbeit haben, selbst dann, wenn sie „zufällig" mit etwas Nebenverdienst verbunden sein könnte, obwohl vom Begriff des Beamten her der Drang nach Verdienst eigentlich gar nicht möglich sein sollte.
Wir haben sehr hilfreiche Ratschläge von einigen mitberatenden Ausschüssen bekommen. Der Finanzausschuß etwa riet uns, die Gesetze lockerer zu machen. Er hatte Befürchtungen, daß etwa Professoren gehindert sein könnten, bei Drittmittelforschung tätig zu sein oder den Kontakt zur Praxis rechtzeitig zu halten.
Gegenteilige Tendenzen kamen vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Er empfahl uns, die Nebentätigkeit aus Arbeitsmarktgesichtspunkten überhaupt zu verbieten und sogar Verdienst aus Nebentätigkeit auf das Gehalt anzurechnen —
ein unbrauchbarer Vorschlag;
denn wenn etwas genehmigt ist, also rechtmäßig gearbeitet wird, hat der Staat nicht das Recht, in die privaten Verhältnisse eines solchen Bürgers einzugreifen, sei er Beamter oder nicht Beamter. Ein eigentümliches Staatsverständnis, muß ich sagen, steckt hinter einem solchen Vorschlag.
Verbände und Gewerkschaften hatten die Befürchtung, daß Verbands- und gewerkschaftliche Tätigkeit in ihrer Art von den Vorgesetzten kontrolliert werden könnte. Das wäre weder richtig noch wollen wir so etwas. Das Gesetz nimmt gewerkschaftliche Tätigkeit selbstverständlich ausdrücklich aus, es sei denn, daß Dienstpflichtverletzungen vorliegen. Dienstpflicht ist für jeden Beamten, auch für den gewerkschaftlich engagierten, das Oberste.
Ich hoffe, daß wir auch angesichts der sehr langen Beratung — viel längere Zeit haben wir gebraucht, als man für so wichtige Dinge wie Rentenreform oder Steuerreform üblicherweise in diesem Haus braucht — etwas Vernünftiges zustande gebracht haben.
Den Vorschlag der SPD-Fraktion allerdings, arbeitsmarktpolitische Gründe im Gesetz für die Möglichkeit der Verweigerung von Nebentätigkeit anzuführen, konnten wir nicht annehmen, weil wir diesen Vorschlag nicht für praktikabel halten. Erstens ist es für Dienstvorgesetzte schlechterdings nicht möglich, die Beschäftigungs- oder Verdienstlage etwa freier Berufe zu beurteilen. Zweitens konnten wir das deshalb nicht tun, weil wir die —
8118 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Broll
gegenwärtig nicht günstige — Arbeitsmarktlage für ein vorübergehendes Phänomen halten. Wir wollen aber ein Dienstrecht haben, das auch dann gelten kann, wenn sich diese Verhältnisse ändern. So waren wir bemüht, dienstliche Interessen, dienstliche Prinzipien in unserem Gesetz voranzustellen. Daraus ergeben sich einige Regeln, die wir in diesem Gesetz neu getroffen haben.
Erstens. Kein Beamter darf Nebentätigkeit in Zukunft mehr in einem Bereich ausüben — gemeint ist der räumliche und auch der fachliche Bereich —, in dem seine Behörde tätig ist oder tätig werden könnte. Bestimmte schlimme Erscheinungen, z. B. im Bereich des Bauwesens, der Vermessungsämter usw., auch der Steuerverwaltung, soll es in Zukunft nicht mehr geben.
Zweitens. Wir haben die geringe Zahl der Nebentätigkeiten, die genehmigungsfrei sind, ausdrücklich erwähnt. Selbstverständlich sind wissenschaftliche Vorträge, künstlerische Tätigkeit usw. genehmigungsfrei. Es gibt manche Dinge, die man nur dann ausüben kann und die auch nur dann verlangt und gewünscht werden, wenn der Betreffende die Kompetenz und die Autorität hat. Bestimmte wissenschaftliche, künstlerische und sonstige Leistungen kann manchmal eben nur ein bestimmter Gelehrter, ein bestimmter Beamter im Staatsdienst erbringen und sonst keiner. Das ist volkswirtschaftlich erwünscht und wird nicht verboten.
Drittens. Wir haben im Gesetz verankert, daß keine Nebentätigkeit mehr als ein Fünftel der üblichen Dienstzeit umfassen darf, weil wir annehmen, Nebentätigkeit, die über diese Grenze hinausgeht, hindert den Beamten, seine ganze Kraft dem Staate zu widmen. Wir haben ein Verbot von Nebentätigkeit für diejenigen Beamten ins Gesetz aufgenommen, die im Hinblick auf später vielleicht lukrative Tätigkeit vor ihrer Pensionierung bereits im Dienst mit sehr schwierigen Entscheidungen, etwa Bestellungen bei Firmen usw., befaßt sind. Wir wollen nicht, daß auch nur der Hauch von Bestechlichkeit oder Korruption auf dem öffentlichen Dienst liegen könnte, hervorgerufen durch die Vermutung, jemand habe während des Dienstes in seiner hoheitlichen Entscheidung für eine Firma in der Erwartung etwas Gutes getan, daß er nach der Pensionierung dort noch für einige Jahre einen lukrativen Job bekommen könnte.
So hoffe ich, daß wir ein insgesamt brauchbares, handhabbares, aus dem Dienstrecht heraus strukturiertes Gesetz geschaffen haben. Ich fordere nun erstens die öffentlich Bediensteten auf, sich persönlich nach dem Wortlaut und den Zielen dieses Gesetzes zu richten, und zweitens die Dienstvorgesetzten, dieses Gesetz auch konsequent anzuwenden. Dann bietet es eine gute Handhabe, um Mißbräuchen vorzubeugen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzentwürfe gehen auf einen Gesetzentwurf zurück, über den wir bereits gegen Ende der sozialliberalen Koalition weitgehend Übereinstimmung erzielt hatten. Sie sind auch im wesentlichen wenn nicht inhaltsgleich, so doch auf das gleiche Ziel ausgerichtet, wobei sich unser Gesetzentwurf außerdem noch auf den Versuch bezieht, den Arbeitsmarkt als Maßstab in die Entscheidungspraxis bei der Genehmigung von Nebentätigkeiten einzubeziehen.
Wir haben eben noch einmal einige Beispiele ausdrücklich vorgeführt bekommen, die die Notwendigkeit dieser verbesserten, die Genehmigungspraxis oder das Ermessen einengenden Regelungen unter Beweis stellen. Ich will das nicht noch einmal an Beispielen deutlich machen, wohl aber an zwei, drei Zahlen. Der Bund hat im Augenblick etwa 27 000 Mitarbeitern eine Nebentätigkeit offiziell genehmigt. Beim Land Bayern sind es 16 300, davon über 10 000 Lehrer, und in den bayerischen Städten, Kreisen und Gemeinden üben etwa 7 500 Bedienstete Nebentätigkeiten aus.
— Das unterstreicht den Fleiß. — Eine andere Zahl: An einem Klinikum in Baden-Württemberg wurden in einem Jahr — 1981 — exakt 9 449 dienstliche Aufträge erledigt. Dort gibt es eine Statistik darüber. Dasselbe Personal hat im selben Jahr in Nebentätigkeit in diesem Klinikum 25 600 Aufträge erledigt.
Hier sieht man das Ungleichgewicht, hier sieht man auch, wie notwendig es wäre, den Arbeitsmarkt durchaus als Maßstab bei der Genehmigungspraxis mit zu berücksichtigen.
Mit den Ihnen jetzt vorliegenden Empfehlungen versuchen wir, der Innenausschuß, dazu beizutragen, daß sich die Genehmigungspraxis an einigen grundsätzlicheren Maßstäben orientiert. Wir haben erklärt, daß wir möchten, daß künftig jede Genehmigung vorher erteilt werden muß,
nicht dann, wenn die Tätigkeit bereits aufgenommen worden ist, und daß Ausnahmen davon im Gesetz ausdrücklich erwähnt sein müssen. Wir haben das Genehmigungsermessen an konkretere Voraussetzungen gebunden und damit eingeengt.
Wir versuchen weiter, die Aufnahme von Nebentätigkeit durch Ruhestandsbeamte — je nach Datum des Eintritts in den Ruhestand: vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze oder nachher — für eine Zeit von bis zu fünf bzw. bis zu drei Jahren zu verbieten. Wir verbieten Nebentätigkeiten, die vermutlich mehr als ein Fünftel der Wochenarbeitszeit in Anspruch nehmen werden. Wir präzisieren ausdrücklich, daß Nebentätigkeiten nur außerhalb der Dienstzeit und außerhalb der Diensträume wahrge-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8119
Bernrath
nommen werden dürfen und daß dann, wenn Räume, Material und Personal bei genehmigten oder vom Dienstherrn verlangten Nebentätigkeiten in Anspruch genommen werden, dafür ein Entgelt gezahlt werden muß.
Ich wiederhole auch noch einmal, daß wir die gewerkschaftliche Mitarbeit, die Vertrauensleutearbeit der Gewerkschaften in Betrieben auf keinen Fall einengen wollen. Das ist durch eine Änderung in der diesbezüglichen Vorschrift im Beamtenrechtsrahmengesetz und im Bundesbeamtengesetz, aber auch in unserer Stellungnahme, in der Empfehlung des Innenausschusses an das Plenum noch einmal ausdrücklich deutlich gemacht worden.
Wir müssen aber auch betonen, daß es sich dabei natürlich dann nicht um Freibriefe handeln kann, wenn im Zusammenhang mit solchen Tätigkeiten Dienstpflichtverletzungen begangen werden. Hinsichtlich der Tätigkeit in Selbsthilfeeinrichtungen des Personals, bei der wir innerhalb der Fünftel-Vermutung auch die Genehmigung zulassen, muß ausdrücklich erklärt werden, daß diese Tätigkeit in der Tat auch Selbsthilfe bleibt und nicht über den eigenen Personalkörper hinausgeht und sozusagen gewerblichen Charakter annimmt. Bis dahin stimmen wir überein.
Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß wir gerne möchten, daß der Arbeitsmarkt ein Maßstab für die Genehmigungspraxis wird. Darauf bezieht sich unser Änderungsantrag, den wir hier für die zweite Lesung vorlegen. Ich möchte auch dazu ausdrücklich sagen, daß wir in dem Umfang — soeben habe ich einige Zahlen genannt — der derzeitigen Nebentätigkeitspraxis für bestimmte Berufe in der Tat Existenzgefährdungen erkennen, insbesondere für freiberuflich Tätige, für Handwerker und für Gewerbetreibende in mittelständischen Bereichen.
Dazu zwei Beispiele: Ich denke hier beispielsweise an denjenigen, der bei einem großen Dienstleistungsunternehmen Antennen prüft, selbst aber Inhaber und Mitarbeiter einer Firma für Antennenplanung, Antennenbau und für den Kundendienst bei der Behandlung von Antennenanlagen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch, um einmal ein Beispiel aus dem Bereich der Konkurrenz zu anderen Arbeitsplatzsuchenden anzuführen, auf die Kursleiter an Volkshochschulen hinweisen, die, wenn man das addiert, inzwischen etwa 30 000 Arbeitsplätze in Anspruch nehmen. Jeder zweite Kursleiter an einer Volkshochschule ist Lehrer. Gerade bei dem angespannten Arbeitsmarkt für Lehrer scheint uns das nicht mehr angemessen zu sein.
Ich glaube auch, daß wir von der Verfassung her keine Einschränkungen erkennen sollten. Es gibt einige Verfassungsgerichtsurteile, die ausdrücklich sagen, daß der Dienstherr von seinen Mitarbeitern verlangen kann, daß bei bestimmten Entwicklungen in der Öffentlichkeit — etwa im Bereich des Arbeitsmarktes — auch Einschränkungen in der Nebentätigkeit hingenommen werden. Diese Urteile stellen aus dem langen Katalog der althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ausschließlich die Gemeinwohlbindung des Beamten in den Mittelpunkt. Sie sagen ausdrücklich, daß sich der Beamte wegen der Gemeinwohlbindung auch solche Einschränkungen zu bestimmten Zeiten nach rechtlich einwandfrei zu formulierenden Maßstäben gefallen lassen muß.
Insofern ist das Kernstück unseres Vorschlages die Feststellung, daß eine Beeinträchtigung erheblicher Belange des Arbeitsmarktes immer dann zu besorgen sein sollte, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Genehmigung von Nebentätigkeit im Bereich des Arbeitsamtes, wo der Antragsteller tätig ist, die Zahl der Arbeitslosen höher ist als die Zahl der offenen Stellen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat einen Maßstab eingeführt: Wenn zehn Arbeitssuchende mehr da sind als offene Stellen, darf nicht genehmigt werden. Das müßte eigentlich für uns ein Beispiel sein. Wir sollten innerhalb der uns von der Verfassung her eingeräumten Spielräume einen solchen Maßstab an die Dienstvorgesetzten vermitteln.
Ich bitte Sie darum, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Im übrigen verweise ich auch auf die Empfehlungen des Innenausschusses und auf die auf den Arbeitsmarkt bezogene Resolution, die für den Fall, daß wir uns in der zweiten Lesung nicht durchsetzen, immerhin die Dienstvorgesetzten auch im Sinne Ihrer Meinung, Herr Broll, auffordert, bei der Entscheidung über Nebentätigkeitsanträge bei der Ausübung des Ermessens, das sie über die konkreten Einzelregelungen hinaus nach dem jetzt zu beschließenden Gesetz haben werden, Bedingungen des Arbeitsmarktes, Wirkungen des Arbeitsmarktes auf die Genehmigungspraxis oder, umgekehrt, Wirkungen der Genehmigungspraxis auf den Arbeitsmarkt bedenken möchten, um auf diese Weise dazu beizutragen, daß die Nebentätigkeit, die im Rahmen der Verfassung in einem bestimmten Umfang genehmigt werden muß, nicht zu einer Benachteiligung anderer Bürger in unserer Gesellschaft führt.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Kollegen Broll und Bernrath haben so hervorragende Ausführungen über den Inhalt des Gesetzes gemacht, daß ich uns gemeinsam weite Teile dessen, was ich hier noch einmal darstellen wollte, ersparen kann.
— Herr Kollege, ich weiß Ihren Zuruf zu würdigen.
Da ich, wie das in diesem Hause üblich ist, den Redetext schon über den Pressedienst herausgegeben habe, kann ich nur zur Beruhigung der schreibenden Zunft sagen: Es gilt auch das geschriebene Wort.
8120 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Hirsch
Wir sind tatsächlich viele Jahre damit beschäftigt, diesen Gesetzentwurf über die Bühne zu bringen. Er präzisiert Teile dessen, was schon geltendes Recht ist, auch in der Frage der notwendigen vorhergehenden Genehmigung des Dienstherren, ehe eine Nebentätigkeit aufgenommen werden darf. Auch das ist seit vielen Jahren Bestandteil des Bundesrechts und wird durch die Übernahme in das Beamtenrechtsrahmengesetz nun für die Länder verpflichtend gemacht.
Ich glaube, der einzige streitige Punkt, Herr Kollege Bernrath, ist tatsächlich die Frage der Arbeitsmarktklausel. Hier möchte ich dem zustimmen, was der Kollege Broll dazu ausgeführt hat. Einmal ist in der Tat der rechtliche Umfang, in dem das in einwandfreier Weise geschehen kann, zweifelhaft. Der zweite Gesichtspunkt ist, daß die Klausel in ihren rechtlichen Möglichkeiten auf Beamte, Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst unterschiedlich anzuwenden wäre. Der dritte Gesichtspunkt ist, daß die Arbeitsmarktklausel die wirtschaftliche Lage der Angehörigen der freien Berufe, der Selbständigen überhaupt nicht erfassen kann. Der vierte Punkt, der uns geleitet hat, war die Überlegung, daß der einzelne Dienstvorgesetzte nur schwer beurteilen kann, wie die Arbeitsmarktlage im Einzugsbereich seiner Behörde ist. Die Nordrhein-Westfalen wissen, daß er durchaus nicht dekkungsgleich mit dem Arbeitsamtbezirk ist. Es ist sehr schwer für den Dienstvorgesetzten, dann zu beurteilen, ob die Nebentätigkeit, die einer seiner Mitarbeiter ausüben möchte, tatsächlich einen Einfluß auf Probleme des Arbeitsmarkts hat oder nicht.
Deswegen ist es besser, das, was wir gemeinsam erreichen wollen, aus dem Dienstrecht selbst heraus zu entwickeln, nämlich dafür zu sorgen, daß die Tätigkeit des Beamten nicht durch einen Wettbewerb von sicherem Port aus mit den Angehörigen anderer Berufe bekrönt wird, und außerdem zu erreichen, daß auch die Behörde oder die Beamten selber aus dem Gerede kommen. Denn es ist ja etwas, was das Ansehen des öffentlichen Dienstes gefährdet, wenn immer gesagt wird, hier seien Beamte, die in dem Tätigkeitsbereich ihrer Behörde selbst tätig werden, die die Baugenehmigungen oder die Bebauungspläne, die Statistiken, die Steuererklärungen vorbereiten, die dann später im Bereich ihrer eigenen Behörde dienstlich entschieden werden. Alles das muß ausscheiden. Ebenso muß erreicht werden, daß er die Nebentätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ausübt und daß er da, wo er öffentliche Einrichtungen in Anspruch nimmt, auch ein angemessenes Entgelt dafür zu leisten hat. Das alles ist unstreitig. Wir wissen, daß der Erfolg, das Ergebnis dieses Gesetzes weniger von den fein ziselisierten Formulierungen in dem einen oder anderen Paragraphen abhängt als davon, daß die Dienstherren dieses Gesetz und ihre Genehmigungsmöglichkeit im richtigen Sinne gebrauchen.
Es ist immer unangenehm für einen Dienstvorgesetzten, einem Mitarbeiter eine gewünschte Nebentätigkeit zu verweigern. Ich glaube, daß wir Regelungen gefunden haben, die für alle Beteiligten zumutbar sind, daß es auch ein wirkliches Interesse des öffentlichen Dienstes ist, nicht nur aus diesem Gerede herauszukommen, sondern auch dafür zu sorgen, daß in einer Zeit, in der die Aufgaben, aber nicht die vorhandenen personellen Ressourcen des öffentlichen Dienstes wachsen, die Arbeitskraft der Mitarbeiter auf ihre dienstlichen Aufgaben konzentriert wird.
Wir haben — das haben Sie, Herr Bernrath, zu Recht hervorgehoben — auch große Sorgfalt darauf verwendet, durch die Formulierungen klarzumachen, daß wir die Tätigkeiten in Berufsvertretungen und in Gewerkschaften, auch in Selbsthilfeeinrichtungen, nicht über das bisherige Maß hinaus kontrollieren oder reglementieren wollen. Ich greife das noch einmal ausdrücklich auf, damit bei der Anwendung des Gesetzes an diesem gemeinsamen Wunsch aller Fraktionen kein Zweifel bestehen kann.
Die letzte Bemerkung, die ich machen will, bezieht sich auf den Umfang der Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst. Sie haben als Beispiel u. a. die Lehrer genannt. Wir müssen uns natürlich darüber im klaren sein, daß, je mehr wir Teilzeitarbeiten einführen und durch gesetzliche Regelungen fördern, in derselben Weise natürlich auch der Wunsch dieser Mitarbeiter steigt, die damit gewonnene Freizeit für andere Tätigkeiten, auch entgeltlicher Art, zu nutzen. Das ist zusammenhängend. Jeder, der auf dem einen Bereich etwas tut, muß wissen, daß er damit Wirkungen auch hier erreichen kann.
Wir haben uns ja bemüht, statistische Feststellungen darüber zu erlangen, in welchem Umfang tatsächlich Nebentätigkeit ausgeübt wird. Wir wissen, daß jedenfalls im Bereich von Bund und Ländern die Zahl der Beamten prozentual außerordentlich gering ist und daß sich der überwiegende Kreis der Nebentätigkeiten auf Lehr-, Unterrichts- und Prüftätigkeiten bezieht, die im Interesse des Dienstherren selber ausgeübt werden. Es fehlen Daten aus dem Bereich der Kommunen. Das ist sehr bedauerlich. Ich möchte die Lesung dieses Gesetzes dazu benutzen, einen Wunsch zu wiederholen, den ich schon in der ersten Lesung vorgetragen hatte, daß nämlich der Innenminister uns in angemessener Zeit die Wirkung dieses Gesetzes darstellt und sich darum bemüht, zusammen mit den Ländern und den Kommunen dem Hause und der Öffentlichkeit einmal verläßliche und aussagekräftige Daten darüber vorzulegen, in welchem Umfang tatsächlich Nebentätigkeit ausgeübt wird. Ich glaube, das muß niemand als übertriebene Neugier betrachten, und ich denke, daß das Ergebnis für alle Beteiligten beruhigend sein wird.
Ich hoffe, daß dieser Gesetzentwurf alle Beteiligten zufriedenstellt, daß er eine segensreiche Wirkung ausübt und daß wir uns nicht in Kürze wieder mit diesem Thema beschäftigen müssen, sondern daß wir etwas zuwege gebracht haben, das etwas länger Bestand hat als viele der Gesetze, die wir hier gemeinsam beschließen. Wir werden dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zustimmen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8121
Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Walter Schwenninger wollte in einem weiteren Beitrag die besonderen Probleme der pädagogischen Berufe im Staatsdienst darlegen. Dies ist nun wegen einer Änderung der Tagesordnung, die wir nicht beeinflussen können, nicht möglich. Das muß daher jetzt hier ausgeklammert bleiben.
Über Wert und Unwert des Beamtentums im allgemeinen und im besonderen ist schon viel Papier beschrieben, allerdings meist anschließend dann von Beamten zielstrebig und unauffällig wieder weggeschafft worden.
Wenn wir heute anläßlich dieser Diskussion davon ausgehen müssen, daß die Beamten eine real existierende, gesellschaftlich relevante Gruppe in diesem Lande sind, dann müssen sie es sich auch gefallen lassen, daß man über Mißstände diskutiert, die ihre Existenz bewirkt hat. Auf jeden Fall müssen wir das aber vor dem Hintergrund tun, daß die Rechte von Beamten zu deren Pflichten in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ich schließe dabei die Angestellten im öffentlichen Dienst ausdrücklich ein, da gemäß § 11 BAT für deren Nebentätigkeit die Bestimmungen für Beamte sinngemäß gelten.
Das von mir herausgestellte angemessene Verhältnis bedeutet einerseits die Verpflichtung der Beamten, sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit bis an das Ende ihrer Tage für ihren Souverän, den Bürger, der sich im öffentlichen Auftraggeber widerspiegeln soll, einzusetzen, und andererseits, daß sie im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen sehr warm und sehr trocken sitzen.
Sich mit der ganzen Persönlichkeit einsetzen, das bedeutet doch nichts anderes als einen hohen Grad von Ausschließlichkeit auch in bezug auf Nebentätigkeiten. Erfreulicherweise gibt es den sogenannten loyalen, integren Beamten, der sich als Diener seiner Mitbürger versteht. Aber es gibt auch anderes.
Da gibt es z. B. den Hochschulprofessor, der ohnehin ein Bildungsprivileg hat, der obendrein Studenten sowie wissenschaftliche Hilfskräfte und Mitarbeiter zur Mehrung seiner Einnahmen, seines Ruhmes und seiner Machtfülle benutzt, wenn nicht ausbeutet, der darüber hinaus eigene Institute, Büros oder gar Firmen betreibt, und das alles unter dem weiten, undurchsichtigen Mantel der Alma Mater. Die Wissenschaft als Deckmantel und als Freibrief: Dieses Problem bleibt weiter ungelöst.
Da gibt es den früh pensionierten Bundeswehroffizier, der seine intimen Kenntnisse über Waffensysteme und Infrastruktur zugunsten seiner Konten verwertet, indem er für die Rüstungsindustrie als Vermittler oder Verkäufer auftritt.
— Ein sehr feiner Job, sehr verehrter Herr Kollege! Ich möchte dazu sagen: das ist ein Skandal.
Ein anderes Beispiel. Da schreibt ein hoher Beamter in einem Ministerium einen Gesetzentwurf. Nachdem der Entwurf beschlossen ist, besteht natürlich Bedarf für Kommentare. Da hat der sorgfältige Beamte natürlich schon vorgesorgt; rechtzeitig ist sein Referenten-Kommentar auf dem Markt, der auch noch den Vorteil hat, die Hausmeinung des Ministeriums ins rechte Licht zu setzen. Brauchbar ist der Kommentar bestimmt auch, weil er unter Verwendung der hochqualifizierten Möglichkeiten des Hauses und in gut ausgeschlafenem Zustand, nämlich während der normalen Dienstzeit, formuliert worden ist.
Dies ist kein Kavaliersdelikt mehr
Oder der Sozialfall jenes Ministerialrats —A 16 —, der, nachdem seine Tätigkeit als Ghostwriter des letzten Bundeskanzlers der sozialliberalen Koalition so unschön beendet war, jetzt seine Dienste über die „Welt am Sonntag" anbietet, allerdings erst nach 18 Uhr. Sehr honorig, finde ich.
Oder die vielen Fälle, in denen pensionierte Richter und Ministerialdirektoren — man hat j a schließlich viel Zeit — ihre Spitzengehälter mit einer netten kleinen Rechtsanwaltspraxis im Herrenzimmer ihres Bungalows aufbessern.
Eine umfangreiche Dokumentation über die unglaublichsten Nebentätigkeitsmißbräuche im Bausektor der öffentlichen Hand liegt mir vor. Ich sehe mich außerstande, dies hier alles auszubreiten.
Schließlich: Eines der traurigsten und fragwürdigsten Beispiele für mißbräuchliche Nebentätigkeit sitzt zuweilen noch hier in diesem Hohen Hause. Es handelt sich um den Bundespostminister. Ist das die Loyalität der Privilegierten?
Wenn angesichts solcher Mißstände selbst die CDU Handlungsbedarf erkennt, dann ist dies hinreichend Beleg dafür, daß selbst bei systemimmanenter Betrachtung ein von dorther akzeptierter Berufsstand in Verruf geraten ist, weil Privilegierte dieses Standes in schamloser Verkennung ihrer ursprünglichen Aufgabe schmarotzen. Als Arznei dagegen empfehle ich die Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 25. November 1980, veröffentlicht in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" 1981, Heft 18. Ich zitiere einmal auszugsweise mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Von wesentlicher Bedeutung ... ist der seit jeher das Beamten- und Richterrecht bestimmende Grundsatz, daß sich der Bedienstete mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen hat ... Dies bedeutet, daß mit der Berufung in das Be-
8122 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Sauermilch
amten- oder Richterverhältnis die Pflicht des Amtsinhabers verbunden ist, sich ganz für den Dienstherrn einzusetzen und diesem — grundsätzlich auf Lebenszeit — seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.
An anderer Stelle heißt es:
Daß eine uneingeschränkte Möglichkeit, Nebentätigkeiten auszuüben ... die Belange des Dienstherrn und das Interesse des Staates und seiner Bürger an der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ernsthaft zu gefährden vermag, liegt auf der Hand.
So weit das Bundesverfassungsgericht.
Wenn wir dann die vorliegenden Entwürfe der Fraktionen und die Empfehlung des Innenausschusses auf die Möglichkeit zur Bereinigung dieser Mißbräuche hin untersuchen, so stellen wir lediglich fest, daß zwar in die richtige Richtung gedacht wird, aber die Gefahr besteht, wieder einmal die Falschen, nämlich die Kleinen und die Loyalen, möglicherweise auszuforschen, zu disziplinieren und die Großkopfeten zu schonen. Der Fisch stinkt vom Kopfe her, wie mein Kollege Fischer schon anläßlich der ersten Beratung hier konstatiert hat.
Die von der SPD vorgetragenen Argumente, die zugegebenermaßen richtigerweise an den brennenden Problemen der herrschenden Beschäftigungslosigkeit orientiert sind, können allenfalls als Anlaß dienen, nicht aber als konjunkturpolitisches Instrument. Das ist sowohl vom Prinzip her — wobei auch verfassungsrechtliche Bedenken bestehen — als auch wegen der nicht zielgenauen Auswirkungen und der Gefahr von Mißbrauch durch übertriebene Kontrolle nicht vertretbar. Leider wurden unsere Vorschläge im Zuge der Beratungen nicht berücksichtigt. Wir werden uns daher wegen der genannten Bedenken dazu der Stimme enthalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2558 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 und 3 und die Art. 2 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen
Vorschriften sind mit Mehrheit bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2542 unter Buchstabe b die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die Entschließung ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Juni 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 10/2121 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/2363 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.
Meine Damen und Herren!
— Herr Präsident! Das will ich natürlich nicht vergessen. — Unmittelbarer Anlaß für diese Debatte zu später Stunde ist das Kapitalschutzabkommen der Bundesrepublik mit dem Sultanat Oman. Manche wissen gar nicht, wo das liegt.
Wir GRÜNE haben uns dafür eingesetzt, daß die
zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8123
Schwenninger
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf mit einer Aussprache verbunden wird. Bisher war es wohl immer so, daß der Bundestag diese Art von Gesetzen ohne ein Wort zu verlieren, beschlossen hat.
Mit dieser schlechten Tradition wollen wir nun brechen.
Dabei geht es uns nicht in erster Linie um den jetzt vorliegenden Vertrag mit Oman. Wir möchten vielmehr an diesem Beispiel aufzeigen, mit welchen Absichten die Bundesregierung Kapitalschutzabkommen mit Entwicklungsländern abschließt.
Diese Abkommen sind ein konkretes Beispiel dafür, wie die neokolonialen Wirtschaftsbeziehungen zur sogenannten Dritten Welt und die damit verbundene Ausbeutung durch staatliches Handeln von unserer Seite abgesichert und ausgebaut werden. Alle etablierten Parteien, die FDP, die CDU, die CSU und auch die SPD machen bei dieser Sache mit.
Da wird dann in der Öffentlichkeit die ungerechte Weltwirtschaftsordnung angeklagt. Da jammern die Entwicklungspolitiker aller etablierten Parteien über die Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer. Da werden Entwicklungshilfe und Nahrungsmittellieferungen als Trostpflästerchen in der ganzen Welt verteilt. Aber wenn es an die Substanz der Wirtschaftsbeziehungen zwischen armen und reichen Ländern geht, wenn es darum geht, wie die reichen Länder des Nordens weiterhin die Völker im Süden durch Handel, Kredite und Direktinvestitionen ausplündern, dann schweigen auf einmal die sonst so engagierten Entwicklungspolitiker und sind teilweise auch nicht da.
Dann werden die Kapitalschutzabkommen und die Doppelbesteuerungsabkommen vom Bundestag in aller Stille und ohne Debatte verabschiedet. Wir GRÜNEN sind nicht bereit, zu dieser egoistischen Politik gegenüber den Entwicklungsländern zu schweigen. Wir glauben, daß die entwicklungspolitisch interessierte Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, mit welchen entwicklungspolitisch verbrämten Vorwänden die anderen Fraktionen des Bundestages ihre Zustimmung zu den Kapitalschutzabkommen rechtfertigen.
Worum geht es eigentlich bei dieser Art von bilateralen Verträgen mit Entwicklungsländern? Grundlage der Abkommen ist ein Mustervertrag mit 13 Artikeln. Die Vertragsbestimmungen sehen die wertentsprechende Entschädigung bei Enteignung, einen freien Transfer von Kapital und Gewinn, eine Gleichbehandlung mit den Inländern, also eine Reihe von Privilegien für bundesdeutsche Auslandsinvestitionen vor. Nur noch als zynisch ist es zu werten, wenn in der offiziellen Bezeichnung der Verträge aufgeführt wird, daß sie „die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen" zum Ziel haben. Darf ich Sie mal fragen, Herr Bangemann, der Sie leider nicht da sind, wie hoch die Investitionen aus Oman in der Bundesrepublik sind? In Wirklichkeit geht es nämlich nicht um den gegenseitigen Schutz, sondern um den einseitigen Schutz von Investitionen bundesdeutscher Unternehmen in den Entwicklungsländern.
Da es nur dann Bundesgarantien über die Treuarbeit AG für Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern gibt, ist das bundesdeutsche Kapital brennend daran interessiert, daß die Bundesregierung die Welt mit einem lückenlosen Netz von Schutzabkommen überzieht. Schon heute ist die Bundesrepublik Weltmeister in dieser Disziplin.
Nach einem Artikel in der „Wirtschaftswoche" vom 12. Oktober 1984 ist unser Land an den weltweit über 200 Verträgen allein mit 54 beteiligt.
Inzwischen wurden j a noch vier Verträge für Benin, China, Mauretanien und Lesotho vom Bundestag verabschiedet.
Und die Sache geht immer weiter. Überall auf der Welt sind die Späher des Wirtschaftsministeriums unterwegs und suchen nach den nächsten Vertragspartnern. Die „Wirtschaftswoche" redet von Costa Rica, Jamaika, Bulgarien, Ungarn und anderen Ländern. Es sieht so aus, als könnten wir die ganze Welt mit den Schutzverträgen beglücken — wie damals bei der Kolonialherrschaft des Deutschen Reiches.
Ich sage nur: Carl Peters!
Da störte es nur etwas das harmonische Bild, daß einige Entwicklungsländer nicht so richtig mitziehen wollen. So berichtet Bundesminister Warnke laut „Wirtschaftswoche", daß der Regierungschef von Zimbabwe, Robert Mugabe, einen Vertrag unter Hinweis auf die schneidigen Verfassungsbestimmungen gegen Enteignung abgelehnt habe, zusätzlicher Schutz also gar nicht vonnöten sei.
Auch die Andenstaaten wehren sich noch immer gegen die freie Kapitalrückführung bei Direktinvestitionen.
Wenn doch fast alle Beteiligten so glücklich mit dem Abkommen sind, was haben wir dann eigentlich dagegen? — Die entschiedene Ablehnung dieser Abkommen durch die GRÜNEN erfolgt hauptsächlich aus zwei Gründen.
8124 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Schwenninger
Zum ersten lehnen wir diese Art von bilateralen Verträgen grundsätzlich ab, weil hier die Wirtschaftsmacht Bundesrepublik ihre egoistischen Interessen gegen die abhängigen und unterlegenen Entwicklungsländer durchsetzen kann. Zum zweiten wenden wir uns grundsätzlich gegen Direktinvestitionen ausländischer Konzerne in den Entwicklungsländern,
weil damit im Rahmen der herrschenden Weltwirtschaftsordnung die momentanen Ausbeutungsverhältnisse zementiert werden.
Zunächst zu den bilateralen Verträgen: Es ist klar, daß die Bundesregierung hier knallhart die Interessen der eigenen Wirtschaft gegenüber den Entwicklungsländern durchsetzt. Wir finden es deshalb besonders verlogen, wenn im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Bundestages von den Vertretern aller etablierten Parteien die positiven entwicklungspolitischen Auswirkungen dieser Abkommen hervorgehoben werden. Das Mindeste was man von den entwicklungspolitisch engagierten Abgeordneten verlangen könnte, wäre, daß sie sich nicht für diese Art von Verschleierung der egoistischen Wirtschaftsinteressen hergeben.
Statt dessen sollte in der Begründung offen die Interessenlage der bundesdeutschen Unternehmen angegeben werden.
Interessanterweise hat gerade die Weltbank Pläne für ein multilaterales Investitionsversicherungssystem entwickelt. Sie will den Drittländern demnach einen Stimmenanteil von 50 % in der Versicherungsagentur anbieten. Da überrascht es nicht, daß die Bundesregierung Sturm läuft gegen die Absichten der Weltbank.
Nun zur grundsätzlichen Problematik ausländischer Direktinvestitionen in Entwicklungsländer. Schon seit vielen Jahren werden die negativen Folgen dieser Art von Kapitaltransfer in der entwicklungspolitischen Fachliteratur diskutiert. Nur wenige Stichworte dazu: Ausbeutung billiger Arbeitskräfte zu Hungerlöhnen, vor allem für Frauen,
Ausplünderung natürlicher Rohstoffe, Wälder und fruchtbarer Böden, Umweltzerstörung durch ausgelagerte Industrieproduktionen, die bei uns schon strengen Auflagen unterliegen,
— Indien, Giftgaskatastrophe —, Belastung der Zahlungsbilanz durch hohe Gewinnrückflüsse, Abwälzung der Sozialkosten und der Infrastrukturkosten auf die Entwicklungsländer,
Verschärfung der dualen Wirtschaftsstruktur durch nicht angepaßte hochmoderne Technologien
und schließlich Intensivierung der Weltmarktabhängigkeit.
Die Kapitalschutzabkommen sind somit Teil dieser aggressiven Außenwirtschaftsstrategie der Bundesregierung und der bundesdeutschen Wirtschaft. Sie zementieren die herrschenden ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen und sichern
unseren Wohlstand auf Kosten des Hungers und des Elends in der Dritten Welt. Heute morgen haben wir darüber gesprochen. Auch in diesem Zusammenhang muß man so etwas mal sehen.
Uns wird langsam klar, wie dicht das Netz ist, mit dem die Bundesrepublik die Entwicklungsländer gefangen hält.
Über IWF und Weltbank setzt die Bundesregierung ihren finanzpolitischen Kolonialismus durch. Durch Mischfinanzierung und Lieferbindung wird Entwicklungshilfe für die Exportförderung mißbraucht.
Und mit dem Kapitalschutzabkommen sichert die Bundesregierung die Optimalbedingungen für Auslandsinvestitionen.
— Getroffene Hunde bellen.
Diese Strategien verfolgen aber nicht nur die Regierungsparteien, von denen wir sowieso nichts anderes erwartet hätten,
sondern leider eben auch die SPD.
Zum Abschluß noch ein paar Sätze.
Herr Kollege Schwenninger, einen Satz noch! Sie haben Ihre Redezeit jetzt schon überschritten.
Also gut, dann schenke ich es mir. Aber ich hoffe, daß dieser bald mitternächtliche Denkanstoß nicht umsonst war. Ich glaube, wir sollten einmal gemeinsam in dieser Richtung ein bißchen reflektieren. Von daher war es gut, das mal zu machen.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich den parlamenta- rischen Geschäftsführer der CDU ausdrücklich beglückwünschen, daß es ihm gelungen ist, noch ein Regierungsmitglied zu uns zu holen, damit wir hier nicht so allein sitzen, wenn es auch nicht zuständig ist.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8125
Vizepräsident Westphal
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben, wie ich finde, eine unsinnige und einseitige Polemik gehört.
Mal ganz ehrlich: Die Befolgung Ihres Ratschlags
würde in der Dritten Welt noch mehr Hunger, noch
mehr Armut und noch mehr Verzweiflung bringen.
Sie haben nicht einmal die Andeutung eines Versuchs einer Alternative vorbereitet.
Sie haben nicht gesagt, was Sie statt dessen machen würden, sondern Sie haben einem bewährten Instrument, das lediglich auf Bitten des Landes,
mit dem man den Vertrag abschließt, angewendet wird — dieser Vertrag ist von der Regierung von Oman erbeten worden, und er ist erfüllt worden —, etwas entgegengesetzt, was ich als Arroganz der Besitzenden bezeichnen möchte. Wenn das die zukünftige Entwicklungspolitik der GRÜNEN hier im Bundestag ist, bedaure ich schon jetzt die Menschen, die diese Folgen tragen müßten. — Mehr haben wir dazu nicht zu sagen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen hierzu nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von 1973 über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als 01
— Drucksache 10/969 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/2393 — Berichterstatter: Abgeordneter Drabiniok
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?. Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
— Drucksache 10/2097 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/2394 —
Berichterstatter: Abgeordneter Gilges
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eichgesetzes und des Gesetzes über Einheiten im Meßwesen
— Drucksache 10/916 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/2391 —
Berichterstatter: Abgeordneter Burgmann
8126 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Vizepräsident Westphal
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlaß- und Erbschaftsteuern in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 20. Januar 1984
— Drucksache 10/2115 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/2524 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Steinhauer, Frau Renger, Frau Fuchs , Glombig, Dr. Schmude, Büchner (Speyer), Amling, Bamberg, Buschfort, Buckpesch, Bernrath, Dreßler, Egert, Hauck, Heyenn, Jaunich, Klein (Dieburg), Lohmann (Witten), Kirschner, Lambinus, Lutz, Dr. Müller-Emmert, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Peter (Kassel), Reimann, Schreiner, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Zander, Dr. Kübler, Meininghaus und der Fraktion der SPD Förderung des Sports für behinderte Mitbürger
— Drucksache 10/2518 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sportausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Das Wort wird dazu nicht gewünscht. —
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/2518 zur federführenden Beratung an den Sportausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Sammelübersicht 57 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/2522 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, die in der Sammelübersicht 57 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist bei einigen Enthaltungen angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Wahlkreiskommission für die 10. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz/BWG
— Drucksachen 10/2053, 10/2291 —
Berichterstatter: Abgeordnete Krey Kiehm
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2291 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem An-
trag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung eines Grundstücks in BerlinSpandau
— Drucksachen 10/2139, 10/2374 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Dr. Hackel
Kleinert
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/2374 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8127
Vizepräsident Westphal
Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 und 28 bis 30 auf:
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag der Kommission an den Rat zur Festsetzung der allgemeinen Zollpräferenzen der Gemeinschaft für das Jahr 1985
— Drucksachen 10/1946 Nr. 10, 10/1991, 10/2198 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert
28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Mitteilung der Kommission an den Rat, Gemeinschaftsprogramm zur Entwicklung des Fachinformationsmarktes in Europa
Vorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm zur Entwicklung des Fachinformationsmarktes in Europa
— Drucksachen 10/1344, 10/2365 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Boroffka Vahlberg
Dr.-Ing. Laermann
Frau Dr. Bard
29. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3164/76 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie Nr. 65/269/EWG zur Vereinheitlichung gewisser Regeln betreffend die Genehmigungen für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
— Drucksachen 10/1404 Nr. 33, 10/2373 —
Berichterstatter: Abgeordneter Berschkeit
30. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen Nr. 136/66/EWG, (EWG) Nr. 804/68, (EWG) Nr. 805/68, (EWG) Nr. 727/70, (EWG) Nr. 1035/ 72, (EWG) Nr. 2727/75, (EWG) Nr. 2759/75, (EWG) Nr. 2771/75, (EWG) Nr. 2777/75, (EWG)
Nr. 1418/76, Nr. 516/77, (EWG) Nr. 337/ 79 und (EWG) Nr. 1837/80 hinsichtlich der Festsetzung der Ausfuhrerstattungen für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wege der Ausschreibung
— Drucksachen 10/1404 Nr. 17, 10/2379 —
Berichterstatter: Abgeordneter Eigen
Es handelt sich hierbei um Beschlußempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Wirtschaft, des Ausschusses für Forschung und Technologie, des Ausschusses für Verkehr und des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
— Alle einzeln?
— Dann müssen wir der Reihe nach vorgehen.
Tagesordnungspunkt 24: Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksachen 10/1946 Nr. 10, 10/1991 —, Vorschlag der Kommission an den Rat zur Festsetzung der allgemeinen Zollpräferenzen der Gemeinschaft für das Jahr 1985, auf Drucksache 10/2198 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.
Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 28: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksache 10/1344 —, Vorschlag für eine Mitteilung der Kommission an den Rat, Gemeinschaftsprogramm zur Entwicklung des Fachinformationsmarktes in Europa, Vorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm zur Entwicklung des Fachinformationsmarktes in Europa. Wer der Beschlußempfehlung auf der Drucksache 10/2365 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dann kommt Tagesordnungspunkt 29: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksache 10/1404 Nr. 33 —, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3164/76 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten usw. Wer der Beschlußempfehlung und dem Bericht auf der Drucksache 10/2373 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —
8128 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Vizepräsident Westphal
Enthaltungen? — Dann ist diese Empfehlung mit Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Punkt 30 unserer Tagesordnung: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 10/1404 Nr. 17. Hier handelt es sich um den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung einer Reihe von EWG-Verordnungen.
Wer der Beschlußempfehlung auf Ducksache 10/2379 vom 15. November 1984 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Der Tagesordnungspunkt 25 ist abgesetzt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung der integrierten Mittelmeerprogramme
— Drucksachen 10/524, 10/2224 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/2224 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Zwanzigste Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Ausnahmeregelung im Zusammenhang mit den Sonderbeihilfen, die bestimmten Landwirten als Ausgleich für den Abbau der Währungsausgleichsbeträge für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse gewährt werden
— Drucksachen 10/1946 Nr. 45, 10/2265 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schlatter
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/2265 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Wir gehen davon aus, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
— Drucksache 10/2230 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/2572 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Daniels
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich bekomme hier noch eine amtliche Mitteilung: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der heute vormittag überwiesene Antrag der Fraktion der SPD, Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" — Drucksache 10/1722 — zur Mitberatung auch dem Ausschuß für Forschung und Technologie überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich außerordentlich für die Mitwirkung in der Schlußphase.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Freitag, den 7. Dezember 1984, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.