Rede von
Dr.
Volker
Hauff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Notwendige möglich zu machen, sei Politik. Das hat uns vor vielen Jahren einmal unser früherer Kollege Carlo Schmid ins Stammbuch geschrieben. Das gilt in besonderem Maße für die Umweltpolitik.
Das Notwendige möglich zu machen — daran arbeiten wir seit den 60er Jahren. Ich nenne als Ergebnis dieser Arbeit nur einige wenige Stichworte: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die TA Luft, später das Benzinbleigesetz, das Abwasserabgabengesetz. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang nur eine Zahl nennen. Zwischen 1970 und 1980 wurden rund 120 Milliarden DM vom Staat und von der Wirtschaft für Umweltschutz ausgegeben. Das ist übrigens fünfmal so viel, wie Bund und Länder im selben Zeitraum für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben haben.
Ich nenne diese Zahl, weil heute zumindest von der CDU/CSU so getan wird, als wäre der Umweltschutz erst 1982 erfunden worden. Auch wird von den GRÜNEN behauptet, daß der Umweltschutz erst dann eine Rolle gespielt habe, als die GRÜNEN in den Bundestag eingezogen seien.
Beides ist nicht wahr, auch wenn es hier offensichtlich eine heimliche Koalition zwischen CDU/CSU und GRÜNEN gibt.
Die Umweltpolitik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, die auch untrennbar mit dem Namen Gerhart Baum verbunden ist, war ein wichtiger Baustein.
Die Debatte über den richtigen Weg hält an. Gerade am heutigen Tag finden wir eine Vielzahl von Meldungen. Eine davon geht zurück auf den Bundesverband der Deutschen Industrie, der der Bundesregierung einen Kurs häufigster Ankündigungen vorwirft, der der Bundesregierung vorhält, ihr fehle es an Berechenbarkeit, und der zum Ergebnis kommt, daß die Grenzwerte, die die Bundesregierung jetzt bei einer Reihe von neuen Gesetzesvorhaben vorgeschlagen habe, über das Ziel hinausschössen.
Mit diesem Thema, das meines Erachtens ein sehr, sehr ernstes Thema ist, möchte ich mich jetzt etwas beschäftigen. Es geht dabei um die Frage: Was ist eigentlich der richtige Grenzwert, und welche Rolle spielen Grenzwerte in einer modernen Umweltpolitik? Es gibt auf die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist, kein Patentrezept. Das ist ein Suchprozeß. Das Sondervermögen, das wir vorschlagen, schafft ja nicht nur Investitionen in einer Größenordnung von 18 Milliarden DM, sondern der entscheidende Punkt ist, daß damit ein Instrument gegeben ist, um denjenigen zu belohnen, der etwas tut, was über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht; es belohnt also den umweltpolitischen Schnelläufer. Beispielsweise bedeutet das, daß derjenige, der die vorgeschriebenen Grenzwerte unterschreitet, davon auch wirtschaftliche Vorteile hat.
Das schafft Bewegung, das schafft Dynamik, das schafft technische Innovationen, das schafft neue Märkte. Dies ist der erste wesentliche Grundgedanke unseres Vorschlages.
Kernstück unserer Umweltpolitik ist und bleibt das Verursacherprinzip. Das entspricht auch der Logik unserer Wirtschaftsordnung.
Aber das Verursacherprinzip stößt an Grenzen. Die Beseitigung ökologischer Notstände, die Sanierung von Altlasten bei fehlender Zurechenbarkeit von Verursachern und die Beschleunigung von Umweltinvestitionen, besonders im Bereich der Gemeinden und Städte, dies alles sind Beispiele dafür, wo man bei der Verwirklichung des Verursacherprinzips an Grenzen stößt und wo deswegen das Gemeinlastprinzip verwirklicht werden muß. Dies ist der zweite Grundgedanke unseres Vorschlags, daß hier ein Instrument gegeben ist, um das Gemeinlastprinzip zu verwirklichen.
Das vorgeschlagene Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ist unsere Antwort auf diese beiden Fragen. Sie mögen diese Antwort ablehnen; das ist Ihr gutes Recht. Aber, bitte, geben Sie sich nicht der Illusion hin, daß damit unsere Fragen gegenstandslos sind.
Unsere beiden Fragen bleiben: Was machen Sie in den Fällen, in denen das Verursacherprinzip nicht anwendbar ist, und wie schaffen Sie in einer Grenzwertdiskussion technische Dynamik, damit die Entwicklung an den jeweiligen Grenzwerten nicht haltmacht, sondern beschleunigt in die Richtung eines verstärkten Umweltschutzes vorangetrieben wird.
Diese Art von Umweltpolitik, diese ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft wollen wir. Wir reden nicht nur von der Alternative in der Industriegesellschaft, sondern wir wollen diese Alternative in der Industriegesellschaft. Und wir wollen das nicht nur, sondern wir zeigen mit unserem Vorschlag auch einen Weg auf, wie das tatsächlich gelöst werden kann: Wege der Hoffnung für viele Menschen.
Dieser Vorschlag wird zu einem breiten und besseren Angebot von Umwelttechnologien führen, ihre Herstellung und ihren Verkauf, auch auf den Auslandsmärkten, stärken und damit auch unser industrielles Potential auf diesem Gebiet erhalten und ausbauen. Dieser Vorschlag schafft Arbeitsplätze und verbessert die Umwelt. Das brauchen wir beides dringend. Wir müssen dazu kommen, Umweltschutzinvestitionen in großem Umfang zu verwirklichen, so wie wir in den 50er Jahren vor der Aufgabe standen, den Wiederaufbau voranzubringen. Damals gab es eine Wohnungsnot, heute gibt es eine Umweltnot.
8014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Dr. Hauff
Unser Vorschlag eines Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" ist ein neues Instrument, um endlich Umweltpolitik als Industriepolitik in unserem Lande zu etablieren. Wir suchen deswegen auf umweltpolitischem Gebiet nicht den Wettbewerb mit denen, die nur anklagen, die nur Mißstände aufdekken. Wir wollen Lösungen, und wir wollen Lösungen, die auch sozial verantwortbar sind.
Der Bundesinnenminister, Herr Zimmermann, hat vor kurzem gesagt: Eine wachsende Umweltschutzgüterindustrie zeigt, daß der Umweltschutz nicht Hemmschuh, sondern geradezu Schrittmacher des technischen Fortschritts ist. So redet Herr Zimmermann. Richtig, wir unterstützen das auch, wir halten es für richtig. Nur, wenn Sie das ernst meinen, dann sollten Sie unseren Vorschlag auch aufgreifen und ihn verwirklichen und sich nicht dagegen sperren.
Denn dieser Vorschlag bringt Lösungen, Lösungen für die Abfallwirtschaft, für die Trinkwassersicherung, für die Luftreinhaltung, für die rationelle Energieversorgung, für den Lärmschutz und für den Naturschutz, und zwar in einer Größenordnung, die wirklich den Namen verdient. Damit wird ein Schritt nach vorn gemacht, aber nicht mit den wenigen Millionen, die Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgesehen haben.
Wer heute beim Umweltschutz die Nase vorn hat, sichert auch langfristig die Chancen für Investitionen und Arbeitsplätze von morgen. Eine Spitzenstellung der Umwelttechnologien sichert die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist mittlerweile eine ökonomische Wahrheit, der niemand mehr widersprechen kann.
Die Umweltindustrie wächst und wächst. Schon heute arbeiten dort rund 350 000 Menschen; das sind erheblich mehr als im Gesamtbereich der Druckindustrie. Hier liegt eben auch eine Schlüsselindustrie für die Zukunft.
Dieses Sondervermögen, das Hans Apel, Wolfgang Roth und ich zusammen erarbeitet haben, ist ein Baustein für die kommenden Jahre.
Es soll unbürokratisch arbeiten; deswegen haben wir vorgeschlagen, es bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzusiedeln.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen keinen Ausstieg aus der Industriegesellschaft.
Wir wollen in der Industriegesellschaft leben. Wir wissen, daß die Industriegesellschaft die Grundlage für Wohlstand und für soziale Sicherheit ist. Das ist unbestreitbar, nur: Wir wissen auch, daß die heutige Industriegesellschaft zur Bedrohung für das
menschliche Leben selbst werden kann, wenn nichts Entscheidendes geschieht.
Deswegen wollen wir einen Weg aufzeigen, wie die Probleme tatsächlich gelöst werden. Wir suchen, um mit Ernst Bloch zu reden, eine begründbare Hoffnung für all die Menschen, die begründbare Sorgen haben, und davon gibt es viele.
Es geht um einen Aufbruch zu neuen Ufern, und zwar hier auf der Erde. Hier liegt unsere Zukunft! Hier müssen wir die Milliarden investieren, nicht in erster Linie im Weltraum!
Unsere Zukunft wird nicht daran entschieden — jedenfalls nicht in erster Linie —, ob wir den Mars oder die Venus erreichen, sondern sie wird daran entschieden, ob wir die Meere lebendig erhalten. Sie wird daran entschieden, ob wir die Flüsse saubermachen, ob wir das Trinkwasser genießbar halten und ob wir die Luft für Menschen, für Tiere und für den Wald saubermachen. Daran wird unsere Zukunft entschieden. Nicht der Griff nach den Sternen ist gefragt, nein, die Bewältigung der Probleme hier auf der Erde. Das ist die politische Aufgabe. Unsere Antwort auf diese Aufgabe ist das Sondervermögen „Arbeit und Umwelt".