Rede von
Klaus-Jürgen
Hoffie
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier fünf Tagesordnungspunkte in verbundener Debatte zu debattieren. Das sind fünf Problemkreise, die verkehrsbedingte Gefahren, die die Lebensfragen von Menschen und Umwelt betreffen. Sie hätten sicher eine gründlichere Behandlung erfordert, als wir sie bisher hier gehört haben. Das läßt sich auch in zwei Kurzrunden à zehn Minuten nicht machen.
Ich glaube, daß zur schlaglichtartigen Darstellung dieser fünf Problemkreise zuerst eine Feststellung gehört: Erstmals seit 30 Jahren haben wir in diesem zu Ende gehenden Jahr 1984 die Chance, die Zahl der im Verkehr getöteten Menschen unter 10 000 zu drücken. Erstmals seit drei Jahrzehnten! Das ist und bleibt zuviel, aber verbesserte aktive
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und passive Sicherheit, mehr Verantwortungsbewußtsein, verstärkte Verkehrserziehung und Gurtanlegepflicht ermöglichen offensichtlich eine deutliche Verbesserung der traurigen Bilanz. Da gilt es, jetzt nicht nachzulassen. Jetzt muß das neue Verkehrssicherheitsprogramm dieser Regierung — das erste seit 1972 — schnell in die Praxis umgesetzt werden. Jetzt brauchen wir keinen grünen Stopp im Straßenbau, keine statistischen Klimmzüge über die gesellschaftlichen, über die volkswirtschaftlichen Folgekosten des Autoverkehrs, wie es die Anträge der GRÜNEN hier heute verlangen.
Gefragt ist praktische Vernunft. Gefragt sind nicht Ideologien, gefragt sind Perspektiven für die Verkehrswelt von morgen.
Gefragt ist der größtmögliche Kompromiß zwischen der Befriedigung individueller Mobilitätsbedürfnisse und -anspräche der Bürger,
sowie wettbewerbs- und arbeitsplatzsichernder Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft einerseits und der größtmöglichen Sicherheit und Umweltschonung auf der anderen Seite.
Die Anträge von SPD und GRÜNEN, die wir heute zu diskutieren haben, werden diesem Anspruch nicht gerecht: Stopp des Fernstraßenbaus, Tempolimit um jeden Preis, d. h. Verzicht auf Ortskernentlastung, Umgehungsstraßen, d. h. Menschen weitere Jahrzehnte unter Abgas-, Lärm- und Verkehrsunsicherheit leiden zu lassen, d. h. auch Verzicht auf Beseitigung von Gefahrenstellen, also auch Stauverkehr und mehr Spritverbrauch.
Da stirbt nicht nur der Wald, sondern auch die Lebensqualität der Menschen. Straßenbau nach Maß schädigt nicht, sondern dient dem Umweltschutz, und Straßen ohne Schäden verkleinern nicht, sondern vergrößern die Verkehrssicherheit.
Hunderttausende von Arbeitsplätzen, die dafür stehen, sind die Dispositionsmasse für den grünen Stopp beim Straßenbau. Da werden Sie unsere Gegnerschaft finden.
Mir ist jedenfalls ein autofahrender Arbeiter im Tiefbau immer noch lieber als ein arbeitsloser Fahrradfahrer.
Uns und dem Wald ist ein schneller Umstieg auf schadstoffarme Autos mehr wert als zweifelhafte Hochrechnungen über den Nutzen von Tempolimits. Niemand bestreitet ja, daß Autoabgase Menschen und Natur krank machen.
47 % verkehrsbedingte Schadstoffbelastung zwingen zu energischem Handeln, zwingen aber auch zu Verantwortung hinsichtlich der Maßnahmen und der Prioritäten. 90 % der Abgasgifte von Autos werden durch Katalysatortechnik beseitigt.
Das ist der Stand der Technik auf der Basis des Vergleichswertes von 1969.
Deshalb begrüßen wir, daß die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf über die steuerlichen Maßnahmen Klarheit für jeden Bürger und Klarheit für die gesamte Automobilindustrie schafft. Jetzt ist für jeden Autofahrer und jeden Hersteller ganz eindeutig und berechenbar, welche Vorteile mit dem Kauf von schadstoffarmen Fahrzeugen verbunden sind.
Ebenso zweifelsfrei steht fest, welche Nachteile auf diejenigen zukommen, die weiter mit Altfahrzeugen die Umwelt belasten.
Damit gibt es ab sofort für alle, die ein neues Auto kaufen, keinen vernünftigen Grund mehr, herkömmliche oder nicht nachrüstfähige Fahrzeuge zu erwerben oder die Kaufentscheidung zurückzustellen. Nachdem also jeder weiß, unter welchen Voraussetzungen er bis zu 3 000 DM Steuervorteile erhält, bleifrei fahren kann, er die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer für Altfahrzeuge um bis zu 50% vermeiden kann, und nachdem sich jeder darauf einstellen kann, daß für verbleites Benzin künftig 4 Pf mehr Mineralölsteuer als für bleifreies Katalysatorbenzin erhoben wird, ist es nachgerade unverantwortlich, daß ausgerechnet die bayerische Nobelmarke, die als erste behauptet hat, der Katalysator stelle für sie überhaupt keine Probleme dar — auch nicht auf dem Markt —, jetzt vom Kauf neuer Autos abrät.
Ich frage: Wie verträgt sich das mit den ganzseitigen Anzeigen für abgasarme Autos und für Nachrüstbarkeit bestimmter Modelle? — Damit schafft nicht die Bundesregierung, sondern die Automobilindustrie eine unklare Lage. Ich hätte mir gewünscht, seitens der Automobilindustrie wäre es beim ersten Akt der Unglaubwürdigkeit geblieben, indem behauptet wurde, es stünden nicht rechtzeitig genügend Autos mit Katalysatortechnik zur Verfügung.
Aber es geht ja auch um Unglaubwürdigkeit im politischen Raum, nämlich um die der GRÜNEN, die auf Kraftfahrzeugsteuerbefreiung verzichten wollen. Das hat man heute nicht gehört, weil sie blauäugig ihrer Utopie nachhängen, jeder, der über Umweltschutz rede, handle auch entsprechend. Wenn das so wäre, dann müßten ja wohl inzwischen fast 70% der Autofahrer freiwillig 100 km/h fahren, von denen die GRÜNEN behaupten, sie würden das gerne tun, wenn damit dem Wald geholfen würde.
Dann müßten sich zuallererst die Abgeordneten der GRÜNEN selber daran halten. Heute lese ich wieder in allen Zeitungen, daß ausgerechnet die GRÜNEN im hessischen Landtag, die sich zum Tempo 100 und 80 verpflichtet haben, nun ein er-
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neutes Mal, nach dem Ministerpräsidenten Börner, dabei erwischt wurden, daß sie auf der linken Spur mit voller Pulle gerast sind, während die anderen ordentlich rechts gefahren sind. Das ist die Praxis.
Ich sage Ihnen von den GRÜNEN: Wenn wir das Verursacherprinzip als tragende Säule des Umweltschutzes erhalten wollen, dann darf nicht darauf verzichtet werden, diejenigen, die aktiven Umweltschutz betreiben, auf Kosten derer zu begünstigen, die keinen Beitrag dazu leisten.
Deshalb kann es überhaupt nicht in Betracht kommen, daß am Ende der Staat nach dem Muster und den Denkungsweisen der GRÜNEN am Umweltschutz auch noch verdient, was bei der von Ihnen vorgeschlagenen reinen Mehrbelastung für Altfahrzeuge die ganz konsequente Folge wäre. Denn je höher der Anreiz, meine Damen und Herren — und dafür kämpfen wir —, desto. schneller die Umstellung. Das muß auch für die über 24 Millionen Altfahrzeuge gelten, die nur zu einem Teil mit Katalysatortechnik nachgerüstet werden können, und deshalb dann genauso steuerfrei gestellt werden. Aber es gibt ja Millionen von Altfahrzeugen, die zwar keinen Katalysator, dafür aber technische Hilfsmittel nachrüsten können, z. B. Abgasrückführungssysteme. Mit diesen kann — das ist schon gesagt worden — etwa die Hälfte der Schadstoffe beseitigt werden, die ein Katalysator eliminiert.
Wenn nur jeder dritte sein Auto mit solchen Hilfsmitteln ausrüstet, wenn er denn schon nicht den Katalysator nachrüsten kann, dann senkt das den Gesamtausstoß von verkehrsbedingten Stickoxiden schon auf 15 bis 20%. Das ist ein Vielfaches dessen, was selbst das Umweltbundesamt unter besten Voraussetzungen mit Tempolimit für erreichbar hält.
— Ja, ich weiß, daß es Ihnen nicht gefällt, daß wir mit den Mitteln der Technik, gegen deren Fortschritt Sie sind, ein Vielfaches dessen erreichen können, was mit Ge- und Verboten von Ihnen ständig als Gängelei des Bürgers versucht wird.