Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den wir heute behandeln, wirft drei grundsätzliche Fragen auf, erstens die Frage nach dem Verhältnis von Ökologie und Ökonomie, zweitens die Frage: Wie kann Umweltschutz in eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik eingebracht werden? und drittens die Frage: Wie soll das alles finanziert werden?
8026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
Bundesminister Dr. Bangemann
Ich glaube zunächst einmal, daß es falsch wäre, wenn man eine Harmonie zwischen Ökologie und Ökonomie predigen würde. Eine solche von vornherein bestehende Harmonie gibt es nicht, und es wäre auch gefährlich, sie zu behaupten, weil dann jeder zufrieden ist. Diejenigen, die für Marktwirtschaft sind, sagen: Es ist ja alles in Ordnung, und diejenigen, die für Umweltschutz eintreten, sagen: Wir brauchen uns nicht besonders darum zu bemühen; es wird von selber zustande kommen. — Diese Einstellung war übrigens auch nach meiner Meinung eine Ursache dafür, daß wir alle in der Vergangenheit zu wenig auf die Umweltschäden geachtet haben und daß dadurch eine Reihe von Umweltgefahren entstanden sind, die erst heute virulent werden. Deswegen muß man dieses Verhältnis, diese Grundsatzfrage in der Tat etwas differenzierter sehen. Man kann nicht einfach behaupten, daß es keinen Zielkonflikt gibt. Aber es kann durchaus Methoden geben, mit denen ein solcher Zielkonflikt aufgelöst wird. Diese Methoden beschreiben die beiden Stichworte Verursachèrprinzip und Gemeinlastprinzip. Beides sind unterschiedliche Ansätze, die man zusammen sehen muß, wenn dieser Zielkonflikt aufgelöst werden soll.
Das Verursacherprinzip ist der Ansatzpunkt für eine ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft. Denn über das Verursacherprinzip werden Kosten, die für den Umweltschutz aufzubringen sind, in das System der Marktwirtschaft über den Preis eingebracht, so daß jeder, der mit einer solchen Umweltbelastung produzieren will, den Verbraucher über den Preis seines Produktes an der Beseitigung oder Verhinderung solcher Umweltschäden beteiligt. Deswegen ist das Verursacherprinzip die Grundlage einer ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft.
Das Gemeinlastprinzip kann man dabei nicht ganz ausschließen. Das hat auch niemand behauptet. Nur muß das Gemeinlastprinzip die Ausnahme bleiben. Was wir Ihrem Programm gegenüber einwenden, ist, daß Sie dort dieses Verhältnis umdrehen. Statt das Verursacherprinzip als Grundlage Ihrer Bemühungen, auch Ihrer Finanzierungsbemühungen, zu nehmen, gehen Sie auf das Gemeinlastprinzip und machen es zur tragenden Säule Ihres ganzen Konzeptes.
Deswegen ist es fast schon etwas abenteuerlich, wenn man vom Sprecher der Fraktion der GRÜNEN hört, wie er Ihnen marktwirtschaftliche Abirrungen vorhält. Das ist schon ein bißchen witzig.
Das zweite Problem, das wir hier grundsätzlich betrachten müssen, ist die Frage: Wieweit kann man Umweltschutzinvestitionen als Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen ansehen? Wenn man es richtig macht, kann es hier keinen Dissens geben. Jeder vernünftig angelegte Umweltschutz, jede Investition, die in einem marktwirtschaftlichen System bleibt und nach den Regeln des marktwirtschaftlichen Systems zur Erhöhung der Kosten führt, die durch den Verbraucherpreis gedeckt werden, ist natürlich arbeitsplatzschaffend. Denn jede Investition — das versuchen wir Ihnen seit Monaten vergeblich klarzumachen — schafft Arbeitsplätze. Nun anerkennen Sie zum erstenmal — auf einem Spezialgebiet, dem Umweltschutz — dieses Prinzip.
— Das ist nicht lächerlich, Herr Kollege Hauff, sondern das ist die Anerkennung dessen, was wir nicht nur im Umweltschutz sagen, sondern ganz generell in der Wirtschaftspolitik: Nur über Investitionen schaffen Sie Arbeitsplätze. Genau das behaupten Sie hier auch.
— Wer das jemals bestritten hat? Jetzt muß ich Ihnen aber sagen: Ich stehe hier noch nicht sehr lange; die Kollegen dort stehen schon etwas länger an diesem Pult; aber seitdem ich hier stehe, bestreiten Sie regelmäßig,
daß das, was die Bundesregierung in ihrer Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik vorschlägt, nämlich eine Stärkung der privaten Investitionstätigkeit, Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielen könne. Das bestreiten Sie, seitdem ich hier stehe.
Nun muß man aus beschäftigungspolitischer Sicht an Ihren Vorschlägen insbesondere folgendes kritisieren. Sie wollen einen Steuerzuschlag.
— Nein, die Höhe ist insofern bekannt, als die einzelnen Produkte, die belastet werden sollen, genannt werden. Die Gesamthöhe ist nicht bekannt. Man kann sie höchstens aus der Gesamthöhe von
1 % Bruttosozialprodukt rückrechnen, die hier eingesetzt werden kann. Aber da man das Bruttosozialprodukt nicht in jedem Jahr kennt, ist das wirklich das, was die „Süddeutsche" eine „Finanzierungsmethode von hinten durch die kalte Küche in die Brust" genannt hat. Das habe nicht ich gesagt, sondern das ist die Kritik in der „Süddeutschen Zeitung".
Die Höhe ist durchaus im einzelnen beschrieben. Es wäre sehr wünschenswert gewesen, Herr Roth, wenn Sie das hier einmal vorgelesen hätten. Wenn die Bundesregierung eine solche Finanzierungsart vorgeschlagen hätte — eine Erhöhung beim Stromverbrauch um 0,5 Pf je Kilowattstunde, beim Benzin- und Dieselkraftstoffverbrauch um 2 Pf je Liter, beim leichten Heizöl um 2 Pf je Liter, beim schweren Heizöl um 2 Pf je Liter und beim Erdgas um
2 Pf je Kubikmeter —, dann hieße es: Das ist eine Umverteilung von unten nach oben. Denn wenn man Ihre Vorschläge unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten sieht, stellt man fest, daß Sie den
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Bundesminister Dr. Bangemann
Verbraucher belasten, den kleinen Mann, und die sogenannte Gemeinlast zu einem umverteilungspolitischen Skandal wird. Das ist es, was Ihre Finanzierung bewirken wird!
Sie erreichen damit auch keine — —
— Nein, daran kann wohl kein Zweifel bestehen, daß diese Finanzierungsart, weil sie eine Art Erhöhung von indirekten Steuern ist, ohne Rücksicht auf Einkommenshöhen den kleinen Verbraucher prozentual stärker belasten wird als denjenigen, der ein höheres Einkommen hat. Das kann man doch gar nicht bestreiten. Wenn Sie das auch noch bestreiten wollen, dann ist ja nun eine rationale Debatte überhaupt nicht mehr möglich.
Weil das so ist, ist das gar kein Gemeinlastprinzip, sondern Sie verletzen fundamentale Grundsätze der Verteilungspolitik, sozialpolitische Grundsätze, die zu beachten sind, und Sie verlassen das Verursacherprinzip. Das Verursacherprinzip ist eine klare, zu rechtfertigende Verteilung der Kosten, die durch Umweltverschmutzung entstehen. Das ist vollkommen klar. Wer die Umwelt verschmutzt, der muß diese Verschmutzung auf seine Kosten beseitigen. Übrigens haben wir das schon in den Freiburger Thesen gesagt.
Ich bitte Sie, Herr Präsident, mir zu gestatten, daß ich aus diesem geschichtlichen Dokument zitiere,
das immer noch gilt, Herr Vogel. Es heißt dort in der These 4:
Die Kosten der Umweltbelastung werden grundsätzlich nach dem Verursacherprinzip aufgebracht.
— Grundsätzlich! Sie hören ja nicht einmal zu. Ich habe vorhin schon gesagt, daß das Gemeinlastprinzip als Ausnahme gilt. Das steht auch noch darin; ich will das nur nicht lange vorlesen. Deswegen müssen wir gegenüber Ihrem Vorschlag einwenden, daß Sie in Wahrheit
— ich habe nur sehr wenig Zeit; wenn Sie gestatten, möchte ich das gerne zu Ende bringen — mit einer Finanzierungsart, die dem nicht entspricht, was Sie erreichen wollen, diese umweltpolitischen Ziele auch nicht erreichen werden.
Es kann ja nur eines richtig sein. Wenn das, was der Kollege Roth hier sagte, richtig ist, dann handelt es sich im Grunde genommen um eine Auf stok-kung der Mittel aus ERP-Krediten und aus dem Sonderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Diese Mittel werden allerdings bei Ihnen durch eine Sondersteuer aufgebracht. Das ist der Kern Ihres Vorschlages. Dann wäre es aber relativ einfach, zu sagen: Wir machen das, was die Regierung auch heute schon macht, nämlich zu den marktüblichen Bedingungen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau holt sich ihre 3,5 Milliarden DM für das Sonderprogramm und die anderen Mittel, die 500 Millionen DM, die wir pro Jahr im ERP-Programm für Umweltschutzmaßnahmen haben, aus dem Kreditmarkt im Rahmen der dort geltenden normalen Bedingungen. Deswegen ist das auch nicht ein negativer Beitrag zum Arbeitsmarkt.
Wenn Sie demgegenüber 17 Milliarden DM oder noch mehr — das ist ja nach oben offen und ohne Ende — dem Kreditmarkt auf diese Weise abziehen, dann schaffen Sie nicht neue Arbeitsplätze, sondern dann gefährden Sie exakt das, was wir heute erreicht haben, daß sich nämlich bei niedrigem Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt der Private für seine Investitionen Mittel besorgen kann und damit Arbeitsplätze schaffen kann.
Die Umweltschutzinvestitionen haben wir in Höhe von 3,5 Milliarden DM in einem Sonderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir haben 500 Millionen DM in den normalen ERP-Programmen. Wir haben die Mittel für die Umwelt im Bundeshaushalt um 25% aufgestockt. Das heißt, wir können Jahr für Jahr 1,5 Milliarden DM ausgeben — unter Abzug der Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau —, die im Sinne von Gemeinlast eingesetzt werden. Das ist ein vernünftiges Verhältnis zwischen Verursacherprinzip und Gemeinlastprinzip. Alles andere, was Sie hier machen, ist nach meiner Meinung nicht nur arbeitsmarktpolitisch schädlich und finanzpolitisch überhaupt nicht zu rechtfertigen, sondern es bringt auch umweltpolitisch nichts; denn, meine Damen und Herren, wenn sie das Verursacherprinzip so fundamental verlassen, verlassen Sie natürlich auch die Bereitschaft der Bürger, der Öffentlichkeit und der Wirtschaft, mehr für Umweltschutz zu tun.
Wir dürfen die Last für die Durchsetzung von Umweltschutz nicht abwälzen, sondern wir müssen sie dort lassen, wo sie in der Tat bleiben muß, damit die Verantwortung und damit auch die Bereitschaft wachsen, für Umweltschutz etwas zu tun.
Deswegen war es letztlich so gefährlich, Herr Roth, daß Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen den Vorschlag gemacht hat, die Filter bei Kohlekraftwerken mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Das ist gefährlich für den Umweltschutz, weil man dann glaubt, auf leichte Art diese Belastung wegdrücken zu können. Das ist gefährlich für die Verwendung der Kohle, weil nämlich bei denjenigen Ländern, die schon heute über den Kohlepfennig nicht unbedingt nur Freude empfinden, noch stärker deutlich wurde, daß das keine Gemeinschaftsaufgabe ist. Diese Länder gibt es ja. Sie haben von Nordrhein-Westfalen her dazu beigetragen, daß die Verwendung von Kohle noch stärker in die Diskussion ge-
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raten ist, als sie es schon war. Deswegen ist das auch ein falscher energiepolitischer Ansatz.
Letztlich, meine Damen und Herren, weise ich auf eine Lektüre hin, die sich lohnt. Ich würde auch der Opposition empfehlen, sich einmal das Gutachten des Sachverständigenrates vorzunehmen. Dort stehen gerade auch zu dem Verhältnis von Ökologie und Ökonomie und auch zu der Frage, wann eine Investition im Umweltschutz arbeitsplatzfördernd oder -erhaltend oder sogar -schaffend sein kann, bedenkenswerte Ausführungen. Ich möchte das gerne zitieren.
— Nein, ich mache eine Pause, hole Luft und nehme an: Wenn der Präsident das nicht genehmigen würde, würde er mich jetzt unterbrechen.